2Naturgesetze und Intuition

Wiederholungsvorlesung B

Letztes Mal haben wir über die Mathematik gesprochen, die Sie für die Physik brauchen, und ich habe darauf hingewiesen, dass man sich Gleichungen als Werkzeug merken sollte, dass es aber keine gute Idee ist, sich alles merken zu wollen. Auf lange Sicht gesehen ist es unmöglich, alles auswendig zu lernen. Das heißt nicht, dass man gar nichts auswendig wissen sollte – an je mehr Sie sich erinnern, desto besser in gewisser Hinsicht –, aber Sie sollten alles, was Sie vergessen haben, rekonstruieren können.

Was übrigens die Tatsache angeht, dass Sie sich plötzlich unter dem Durchschnitt wieder fanden, als Sie ans Caltech kamen (wir haben letztes Mal darüber gesprochen), ist Folgendes zu sagen: Wenn Sie es irgendwie schaffen, aus der unteren Hälfte des Kurses hinauszukommen, dann ist jemand anderer der Unglückliche, weil Sie damit jemand anderen in die untere Hälfte zwingen! Es gibt allerdings einen Weg, wie Sie niemanden belästigen: Finden und verfolgen Sie etwas Interessantes, das Ihnen Freude macht. Auf diese Weise werden Sie ein vorübergehender Experte für irgendein Phänomen, über das Sie mal etwas gehört haben. Damit können Sie sich vor dem Untergang retten – und Sie können immer sagen: „Na ja, wenigstens wissen die anderen gar nichts über dieses Thema!“

2.1Die physikalischen Gesetze

So, in dieser Wiederholungsvorlesung werde ich über die physikalischen Gesetze sprechen. Dazu müssen wir erst einmal erklären, was das ist. Wir haben sie bis jetzt in den Vorlesungen oft in Worten ausgedrückt und es ist schwierig, alles noch einmal ohne denselben Zeitaufwand zu wiederholen. Aber man kann die physikalischen Gesetze auch mithilfe einiger Gleichungen zusammenfassen und die werde ich jetzt anschreiben. (Ich nehme an, dass sich Ihre Mathematikkenntnisse inzwischen so weit entwickelt haben, dass Sie die Schreibweise auf Anhieb verstehen können.) Die folgenden Gleichungen beinhalten alle physikalischen Gesetze, die Sie kennen sollten.

Als Erstes:

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Das bedeutet, dass die Kraft F identisch ist mit dem Maß der Änderung des Impulses p in Abhängigkeit der Zeit. (F und p sind Vektoren. Die Bedeutung der Symbole müssten Sie mittlerweile kennen.)

Ich möchte darauf hinweisen, dass man bei jeder physikalischen Gleichung wissen muss, für was die Buchstaben stehen. Sie sollen aber nicht sagen: „Ach ja, p kenne ich, das steht für das Produkt aus Masse in Bewegung und Geschwindigkeit oder aus ruhender Masse und Geschwindigkeit geteilt durch die Quadratwurzel von 1 minus v geteilt durch c zum Quadrat“:16

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Stattdessen sollten Sie physikalisch verstehen, wofür p steht, und dafür müssen Sie wissen, dass p nicht einfach „der Impuls“ ist, sondern der Impuls von etwas – der Impuls eines Massenpunktes, dessen Masse m und dessen Geschwindigkeit v ist. Und in Gleichung (2.1) ist F die Gesamtkraft – die Vektorsumme aller Kräfte, die auf diesen Massenpunkt ausgeübt werden. Nur dann können Sie diese Gleichungen wirklich verstehen.

Hier nun ein weiteres physikalisches Gesetz, das Sie kennen sollten, und zwar der Impulserhaltungssatz:

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Der Impulserhaltungssatz besagt, dass der Gesamtimpuls immer eine Konstante ist. Was bedeutet das physikalisch? Bei einem Stoß heißt das z. B., dass die Summe der Impulse aller Massenpunkte vor einem Stoß mit der Summe der Impulse aller Massenpunkte nach dem Stoß identisch ist. In der relativistischen Welt können sich die Massenpunkte nach dem Stoß verändert haben – Sie können neue Massenpunkte schaffen und alte zerstören –, aber die Aussage, dass die Vektorsumme der Gesamtimpulse aller Massenpunkte vorher und nachher gleich ist, gilt nach wie vor.

Das nächste physikalische Gesetz, das Sie kennen sollten, der Energieerhaltungssatz, hat dieselbe Form:

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Das bedeutet, dass die Summe der Energien aller Massenpunkte vor einem Stoß identisch mit der Summe der Energien aller Massenpunkte nach dem Stoß ist. Damit Sie diese Formel anwenden können, müssen Sie wissen, wie groß die Energie eines Massenpunktes ist. Die Energie eines Massenpunktes mit der ruhenden Masse m und der Geschwindigkeit v ist

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2.2Die nichtrelativistische Näherung

So, das sind die in der relativistischen Welt geltenden Gesetze. In der nichtrelativistischen Näherung – d. h. wenn wir Massenpunkte bei im Verhältnis zur Lichtgeschwindigkeit kleiner Geschwindigkeit betrachten – gibt es einige Spezialfälle der Gesetze, die ich eben genannt habe.

Beginnen wir mit dem Impuls bei kleinen Geschwindigkeiten. Das ist einfach: die Wurzel jpeg/png ist näherungsweise 1, sodass die Gleichung (2.2) zu

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wird.

Das heißt, dass man die Formel für die Kraft, F = dp/dt, auch als F = d(mv)/dt schreiben kann. Wenn wir dann die Konstante m voran stellen, sehen wir, dass die Kraft bei kleinen Geschwindigkeiten gleich dem Produkt aus Masse und Beschleunigung

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Der Impulserhaltungssatz für Massenpunkte bei kleinen Geschwindigkeiten hat dieselbe Form wie die Gleichung (2.3), außer dass die Formel für den Impuls p = mv ist (und alle Massen konstant sind):

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Der Energieerhaltungssatz bei kleinen Geschwindigkeiten besteht jedoch aus zwei Gesetzen: Erstens ist die Masse jedes Massenpunktes konstant – man kann kein Material erschaffen oder zerstören – und zweitens ist die Summe der ½mv2’s (die gesamte kinetische Energie Ekin) aller Massenpunkte konstant:17

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Wenn wir uns große Alltagsgegenstände als Massenpunkte mit kleinen Geschwindigkeiten vorstellen – wie z. B. einen Aschenbecher –, dann ist der Satz, dass die Summe der kinetischen Energien vorher gleich der Summe nachher ist, nicht wahr, weil einige der kinetischen Energien jpeg/png der Massenpunkte im Inneren der Gegenstände in Form von innerer Bewegung – z. B. Wärme – vermischt sein können. Somit scheint dieses Gesetz beim Stoß zwischen großen Körpern zu versagen. Es gilt nur für Elementarteilchen. Natürlich kann es bei großen Körpern passieren, dass nicht viel Energie in die innere Bewegung geht, sodass der Energieerhaltungssatz näherungsweise gilt. Das nennt man dann einen näherungsweise elastischen Stoß – manchmal idealisiert als ideal elastischer Stoß. Energie ist also viel schwieriger im Auge zu behalten als der Impuls, weil die kinetische Energie beim unelastischen Stoß großer Körper, wie Gewichte und Ähnliches, nicht erhalten bleiben muss.

2.3Bewegung mit Kräften

Wenn wir jetzt einmal nicht einen Stoß, sondern eine Bewegung betrachten, bei der Kräfte wirken, dann erhalten wir als Erstes einen Satz, der besagt, dass die Änderung der kinetischen Energie eines Massenpunktes identisch mit der an ihm von den Kräften verrichteten Arbeit ist:

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Denken Sie daran, dass das etwas bedeutet – Sie müssen wissen, was die Buchstaben bedeuten. Es bedeutet: Wenn sich ein Massenpunkt unter Einwirkung einer Kraft F auf einer Kurve S von A nach B bewegt, wobei F die auf den Massenpunkt ausgeübte Gesamtkraft ist, und Sie wissen, wie groß ½ mv2 des Massenpunktes im Punkt A und im Punkt B ist, dann unterscheiden sich die kinetischen Energien durch das Integral von F ∙ ds von A nach B, wobei ds ein Inkrement des Weges entlang S ist (siehe Abbildung 2.1).

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Abbildung 2.1: jpeg/png

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und

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In bestimmten Fällen kann dieses Integral ganz leicht und schnell berechnet werden, weil die auf den Massenpunkt ausgeübte Kraft nur einfach vom Ort des Massenpunktes abhängt. Unter solchen Umständen können wir schreiben, dass die an dem Massenpunkt verrichtete Arbeit den gleichen Betrag und die entgegengesetzte Richtung der Änderung einer anderen Größe hat, die wir potentielle Energie, Epot, nennen. Solche Kräfte bezeichnet man als „konservativ“:

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Die Worte, die wir in der Physik benutzen, sind übrigens schrecklich: „konservative Kräfte“ bedeutet nicht, dass die Kräfte konserviert werden oder erhalten bleiben, sondern dass die Kräfte so beschaffen sind, dass die Energie der Körper, an denen die Kräfte Arbeit verrichten, erhalten bleiben kann.18 Es ist sehr verwirrend, das gebe ich zu, aber ich kann es nicht ändern.

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Abbildung 2.2: Geschwindigkeits- und Beschleunigungsvektor bei einer Kreisbewegung mit konstanter Geschwindigkeit.

Die Gesamtenergie eines Massenpunktes ist die Summe aus seiner kinetischen und seiner potentiellen Energie:

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Wenn nur konservative Kräfte wirken, ändert sich die Gesamtenergie eines Massenpunktes nicht:

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Wenn aber nichtkonservative Kräfte wirken – Kräfte, die in keinem Potential enthalten sind –, dann ist die Änderung der Energie eines Massenpunktes gleich der von diesen Kräften an ihm verrichteten Arbeit:

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So, diesen Teil der Wiederholung werden wir mit der Angabe aller bekannten Regeln für die verschiedenen Kräfte beenden.

Aber zuvor gibt es noch eine sehr nützliche Formel für die Beschleunigung: Wenn sich zu einem gegebenen Zeitpunkt ein Körper auf einer Kreisbahn mit dem Radius r mit der konstanten Geschwindigkeit v bewegt, ist seine Beschleunigung zum Mittelpunkt hin gerichtet und ihr Betrag ist identisch mit v2/r (siehe Abbildung 2.2). Das hat eigentlich nichts mit dem zu tun, worüber ich gerade gesprochen habe, aber diese Formel prägt man sich besser ein, weil es mühsam ist, sie herzuleiten:19

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Tabelle 2.1

  Immer wahr Im Allgemeinen falsch (nur bei kleinen Geschwindigkeiten wahr)
Kraft jpeg/png F = ma
Impuls jpeg/png p = mv
Energie jpeg/png jpeg/png

Tabelle 2.2

Wahr bei konservativen Kräften Wahr bei nichtkonservativen Kräften
ΔEpot = −ΔW Epot ist nicht definiert
ΔE = ΔEkin + ΔEpot ΔE = ΔW

Definitionen: Kinetische Energie jpeg/png.

2.4Kräfte und ihre Potentiale

Jetzt zurück zum eigentlichen Thema: Ich werde eine Reihe von Gesetzen über verschiedene Kräfte und die Formeln für ihre Potentiale auflisten.

Bei der ersten Kraft handelt es sich um die Gravitationskraft nahe der Erdoberfläche. Die Kraft ist nach unten gerichtet, dabei spielt das Vorzeichen keine Rolle. Passen Sie nur auf, welche Richtung die Kraft hat, denn wer weiß, wie Ihre Achsen verlaufen – vielleicht wählen Sie die z-Achse nach unten gerichtet! (Das dürfen Sie!) Also ist die Kraft −mg und die potentielle Energie ist mgz, wobei m die Masse eines Körpers, g eine Konstante (die Fallbeschleunigung an der Erdoberfläche – sonst wäre die Formel nicht so gut!) und z die Höhe über dem Boden oder einem anderen Niveau ist. Das heißt, dass der Wert der potentiellen Energie an jedem beliebigen Ort null sein kann. Wir werden uns hier mit den Änderungen der potentiellen Energie beschäftigen – und dann macht es natürlich keinen Unterschied, ob man eine Konstante addiert.

Tabelle 2.3

  Kraft Potential
Gravitationskraft nahe der Erdoberfläche mg mgz
Gravitationskraft zwischen Massenpunkten Gm1m2/r2 Gm1m2/r
Elektrische Ladung q1q2/4πε0r2 q1q2/4πε0r2
Elektrisches Feld qE
Ideale Feder kx jpeg/png
Reibung μN Nein!

Die nächste Kraft ist die Gravitationskraft im Raum zwischen Massenpunkten. Diese Kraft ist zentral gerichtet und proportional zu dem Produkt aus der einen Masse und der anderen Masse, dividiert durch den Abstand zwischen den beiden zum Quadrat, −mm′/r2 oder –m1m2/r2 oder wie Sie es auch immer schreiben wollen. Es ist besser, sich einfach die Richtung der Kraft einzuprägen anstatt sich Gedanken über das Vorzeichen zu machen. Aber eines müssen Sie sich merken: Die Gravitationskraft nimmt mit dem umgekehrten Quadrat des Abstandes zwischen den Massenpunkten ab. (Aber wie sieht das Vorzeichen aus? Nun, gleiche Vorzeichen ziehen sich unter dem Einfluss der Gravitation an, also ist die Kraft dem Radiusvektor entgegen gerichtet. Das zeigt, dass ich mich nicht an das Vorzeichen erinnern kann, ich weiß nur physikalisch, um welches Vorzeichen es sich handelt: Die Massenpunkte ziehen sich an – das ist alles, was ich wissen muss.)

Die potentielle Energie zwischen zwei Massenpunkten ist −Gm1m2/r. Ich tue mich schwer damit, mir zu merken, in welche Richtung die potentielle Energie gerichtet ist. Mal sehen: Die Massenpunkte verlieren potentielle Energie, wenn sie zusammen kommen. Das bedeutet, wenn r kleiner ist, sollte die potentielle Energie geringer sein, also ist sie negativ – ich hoffe, das stimmt! Ich habe so meine Schwierigkeiten mit den Vorzeichen.

Bei der Elektrizität ist die Kraft proportional zum Produkt der Ladungen q1 und q2, dividiert durch das Quadrat des Abstandes zwischen ihnen. Die Proportionalitätskonstante wird allerdings nicht (wie bei der Gravitationskraft) in den Zähler geschrieben, sondern als 4πε0 in den Nenner. Die elektrische Kraft ist radial ausgerichtet wie die Gravitationskraft, sie verhält sich aber nach dem entgegengesetzten Vorzeichengesetz: Gleiche Vorzeichen stoßen sich elektrisch ab und deshalb hat die elektrische potentielle Energie das entgegengesetzte Vorzeichen der potentiellen Energie als Folge der Gravitation. Dann ist allerdings die Proportionalitätskonstante nicht gleich: 1/4πε0 anstatt G.

Einige fachliche Punkte aus den Gesetzen der Elektrizität: Die auf q Ladungseinheiten ausgeübte Kraft kann als Produkt aus q und dem elektrischen Feld, qE, geschrieben werden. Die Energie kann man als Produkt aus q und dem elektrischen Potential, , schreiben. Hier ist E ein Vektorfeld und ϕ ein Skalarfeld. q wird in Coulomb gemessen, ϕ in Volt, wenn die Energie, wie normalerweise üblich, in Joule angegeben ist.

Wenn wir nach der Formeltabelle weitergehen, haben wir als Nächstes eine ideale Feder. Die Kraft, um eine ideale Feder bis zu einer Auslenkung x auseinander zu ziehen, ist eine Konstante k mal x. Jetzt müssen Sie natürlich wieder einmal wissen, was die Buchstaben bedeuten: x ist der Weg, um den Sie die Feder aus ihrer Gleichgewichtslage ziehen, und die Kraft zieht sie einen Weg −kx zurück. Ich habe das Vorzeichen dazugesetzt, weil ich damit ausdrücken will, dass die Feder zurückzieht. Sie wissen verdammt genau, dass eine Feder einen Körper zurückzieht und nicht noch weiter wegschiebt, wenn Sie daran ziehen. So, die potentielle Energie ist ½ kx2. Wenn Sie eine Feder auseinanderziehen, verrichten Sie Arbeit an ihr. Deshalb ist, wenn die Feder auseinandergezogen ist, die potentielle Energie positiv. Also ist die Sache mit dem Vorzeichen einfach – wenigstens bei der Feder.

Sehen Sie, Einzelheiten wie die Sache mit den Vorzeichen, die ich vergessen habe, versuche ich, durch Argumente zu rekonstruieren. So erinnere ich mich an all die Dinge, an die ich mich nicht erinnere.

Reibung: Die Reibungskraft auf einer trockenen Oberfläche beträgt −μN. Und wieder müssen Sie wissen, was die Symbole bedeuten: Wenn man einen Körper auf einer Fläche schiebt, und zwar mit einer Kraft, deren Komponente senkrecht zu der Fläche N gerichtet ist, dann ist die Kraft, die erforderlich ist, damit der Körper weiter entlang der Fläche gleitet, μ mal N. Sie können leicht herausfinden, welche Richtung die Kraft hat. Sie ist der Richtung, in der Sie schieben, entgegen gerichtet.

Nun steht in der Spalte „Potential“ bei der Reibung in Tabelle 2.3 ein Nein. Bei der Reibung bleibt die Energie nicht erhalten und deshalb gibt es bei der Reibung keine Formel für die potentielle Energie. Wenn Sie einen Körper entlang einer Fläche in eine Richtung schieben, verrichten Sie Arbeit. Wenn Sie ihn dann zurückziehen, verrichten Sie wieder Arbeit. Wenn Sie einmal durch sind, stellen Sie fest, dass Sie nicht ohne Änderung der Energie durchgekommen sind. Sie haben Arbeit verrichtet – und deshalb hat die Reibung keine potentielle Energie.

2.5Physik lernen durch Beispiele

Das sind alle Regeln, die ich als notwendig in Erinnerung habe. So, nun sagen Sie: „Das ist ja einfach: Ich präge mir einfach die verdammte Tabelle ein und dann bin ich perfekt in Physik.“ So funktioniert es nicht.

Am Anfang kann es tatsächlich ganz gut funktionieren, aber es wird immer schwieriger, wie ich in Kapitel 1 schon erklärt habe. Deshalb müssen wir als Nächstes lernen, wie man die Mathematik auf physikalische Aufgaben anwendet, damit wir die Welt verstehen. Die Gleichungen behalten für uns die Übersicht, deshalb benutzen wir sie als Werkzeuge. Aber damit wir das können, müssen wir wissen, wovon die Gleichungen handeln.

Es ist wirklich sehr schwierig, jemandem beizubringen, wie man neue Dinge aus alten herleitet und wie man Aufgaben löst. Ich weiß nicht, wie man das macht. Ich weiß nicht, wie ich Ihnen etwas erzählen soll, das aus Ihnen, einem Menschen, der neue Situationen nicht analysieren oder Probleme nicht lösen kann, einen Menschen macht, der das alles kann. In der Mathematik kann ich aus Ihnen, der Sie nicht differenzieren können, jemanden machen, der das kann, indem ich Ihnen alle Regeln nenne. Aber was die Physik betrifft, da kann ich aus Ihnen, der etwas nicht kann, nicht jemanden machen, der etwas kann. Daher weiß ich nicht, was wir machen sollen.

Denn ich verstehe intuitiv, was physikalisch vor sich geht, ich finde es allerdings schwierig, das zu vermitteln: Ich kann Ihnen höchstens Beispiele zeigen. Deshalb werden der Rest dieser Vorlesung und die nächste aus dem Durchführen von vielen kleinen Beispielen bestehen – Anwendungsbeispiele, Phänomene aus der physikalischen oder industriellen Welt, physikalische Anwendungsbeispiele an verschiedenen Stellen –, um Ihnen zu zeigen, wie das, was Sie schon wissen, Ihnen das Verstehen oder die Analyse der Vorgänge ermöglicht. Nur durch die Beispiele werden Sie es kapieren.

Wir haben viele alte Texte mit alter Babylonischer Mathematik gefunden, unter anderem auch eine große Bibliothek voll mit Mathematik-Arbeitsbüchern für Studenten. Und das ist sehr interessant: Die Babylonier konnten quadratische Gleichungen lösen. Sie hatten sogar Tabellen zum Lösen von Gleichungen dritten Grades. Sie konnten Dreiecke bearbeiten (siehe Abbildung 2.3), sie konnten alle möglichen Dinge machen, aber sie haben nie eine algebraische Formel aufgeschrieben. Die alten Babylonier kannten keine Methode für das Aufschreiben von Formeln. Stattdessen machten sie ein Beispiel nach dem anderen – das ist alles. Man meinte, dass man sich Beispiele anschauen sollte, bis man es kapiert hatte. Deshalb besaßen die alten Babylonier nicht die Fähigkeit, das in mathematischer Form auszudrücken.

Heute besitzen wir nicht die Fähigkeit, einem Studenten zu zeigen, wie er Physik physikalisch verstehen kann! Wir können die Gesetze aufschreiben, aber wir können immer noch nicht sagen, wie man sie physikalisch versteht. Mangels einer Ausdrucksmöglichkeit ist der einzige Weg, Physik physikalisch zu verstehen, auch heute noch der langweilige, Babylonische Weg, viele Beispiele zu machen, bis man es kapiert hat. Das ist alles, was ich für Sie tun kann. Die Studenten, die es in Babylonien nicht kapiert haben, sind durchgefallen, und die Typen, die es kapiert haben, sind gestorben. Also kommt alles auf’s Gleiche heraus!

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Abbildung 2.3: Pythagoreische Tripel auf der Tafel Plimpton 322, etwa 1700 v. Chr.

So, nun versuchen wir es.

2.6Physik physikalisch verstehen

Die erste Aufgabe aus Kapitel 1 hatte viel mit physikalischen Dingen zu tun. Wir hatten zwei Stangen, eine Rolle, ein Gelenk und ein Gewicht −2 kg, glaube ich. Das geometrische Verhältnis der Stangen war 0,3, 0,4 und 0,5 und die Aufgabe war herauszufinden, wie groß die horizontale Kraft P an der Rolle sein muss, um das Gewicht oben zu halten, wie in Abbildung 2.4 dargestellt. Wir mussten etwas herumprobieren (tatsächlich musste ich die Aufgabe zweimal machen, bevor sie richtig gelöst war), aber wir fanden heraus, dass die auf die Rolle ausgeübte horizontale Kraft einem Gewicht von ¾ kg entsprach, wie in Abbildung 2.5 dargestellt.

Nun lösen Sie sich mal von den Gleichungen und denken Sie etwas darüber nach, krempeln Ihre Ärmel hoch und schütteln Ihre Arme aus und dann können Sie beinahe verstehen, wie die Antwort lauten wird – ich kann es zumindest. Und jetzt muss ich Ihnen beibringen, wie das geht.

Sie könnten sagen: „Die von dem Gewicht ausgeübte Kraft verläuft direkt nach unten und entspricht 2 kg und das Gewicht wird gleichmäßig auf zwei Beine verteilt. Deshalb muss die von jedem Bein ausgeübte vertikale Kraft so groß sein, dass sie 1 kg oben halten kann. Die entsprechende auf jedes Bein ausgeübte horizontale Kraft muss der Anteil der vertikalen Kraft sein, der nur dem Verhältnis horizontal zu vertikal in diesem rechtwinkligen Dreieck – 3 zu 4 – entspricht. Deshalb entspricht die auf die Rolle ausgeübte horizontale Kraft ¾kg Gewicht – Punkt.“

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Abbildung 2.4: Die einfache Maschine aus Kapitel 1.

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Abbildung 2.5: Verteilung der Kraft vom Gewicht durch die Stangen auf die Rolle und das Gelenk.

Nun, lassen Sie uns mal sehen, ob das Sinn macht: Wenn die Rolle wesentlich näher an das Gelenk herangeschoben würde, sodass der Abstand zwischen den Beinen wesentlich kleiner wäre, würde ich entsprechend dieser Idee erwarten, dass eine wesentlich geringere Kraft auf die Rolle ausgeübt würde. Stimmt es, dass die auf die Rolle ausgeübte Kraft gering ist, wenn sich das Gewicht gaaaanz weit oben befindet? Jawohl! (Siehe Abbildung 2.6).

Wenn Sie es nicht erkennen können, ist es schwer zu erklären, warum das so ist. Aber wenn Sie z. B. versuchen, etwas mit einer Leiter hoch zu halten, und Sie die Leiter direkt unter dieses Etwas stellen, ist es kein Problem, die Leiter am Wegrutschen zu hindern. Aber wenn die Leiter ein Stück weiter weg in einem bestimmten Winkel angelehnt wird, ist es verdammt schwierig, das Etwas oben zu halten! Wenn Sie sich gaaanz weit nach außen bewegen, sodass der Abstand zwischen dem oberen Ende der Leiter und dem Boden ganz klein ist, werden Sie in der Tat herausfinden, dass eine nahezu unendliche horizontale Kraft erforderlich ist, um das Etwas in einem sehr flachen Winkel oben zu halten.

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Abbildung 2.6: Die auf die Rolle ausgeübte Kraft ändert sich mit der Höhe des Gewichtes.

Alle diese Dinge können Sie fühlen. Sie müssen sie nicht fühlen. Sie können sie durch das Anfertigen von Zeichnungen und durch Berechnungen erarbeiten. Aber da die Aufgaben immer schwieriger werden und da Sie versuchen, die Natur in immer komplizierteren Situationen zu verstehen, sind Sie wesentlich besser dran, je mehr Sie vermuten, fühlen und verstehen können, ohne tatsächlich zu rechnen! Das sollten Sie beim Bearbeiten der verschiedenen Aufgaben versuchen zu üben: Wenn Sie irgendwie Zeit haben und Sie die Antwort nicht für ein Quiz oder so etwas finden müssen, schauen Sie sich die Aufgabe an und versuchen Sie, ob Sie die Art und Weise verstehen, wie sich die Aufgabe schätzungsweise verhält, wenn Sie einige der Zahlen ändern.

Nur weiß ich nicht, wie man erklärt, wie man das machen soll. Ich erinnere mich an einen Fall, als ich versucht habe, jemanden zu unterrichten, der sehr viele Probleme im Physikkurs hatte, obwohl er gut in Mathematik war. Ein gutes Beispiel war folgende Aufgabe, die er nicht lösen konnte: „Ein runder Tisch hat drei Beine. An welcher Stelle sollte man sich auf den Tisch lehnen, damit dieser seine instabilste Position einnimmt?“

Die Lösung des Studenten lautete: „Wahrscheinlich oben auf eines der drei Beine, aber mal sehen: Ich berechne, welche Kraft welche Hubkraft an verschiedenen Stellen erzeugt und so weiter.“

Dann habe ich gesagt: „Lassen Sie mal das Rechnen beiseite. Können Sie sich einen realen Tisch vorstellen?“

„Aber so soll man es doch nicht machen!“

„Egal, wie man es machen soll. Sie haben hier einen realen Tisch mit verschiedenen Beinen, sehen Sie? Nun, wo, glauben Sie, würden Sie sich auflehnen? Was würde passieren, wenn Sie direkt über einem Bein nach unten drücken würden?“

„Nichts!“

Ich sage: „Das stimmt. Und was passiert, wenn Sie nahe der Kante mitten zwischen zwei Beinen nach unten drücken?“

„Er kippt um!“

Ich sage: „Gut! Das hört sich besser an!“

Der Punkt ist, dass der Student nicht erkannt hatte, dass das nicht einfach mathematische Aufgabenstellungen waren. Es wurde ein realer Tisch mit Beinen beschrieben. Tatsächlich war es kein realer Tisch, weil er vollkommen rund war, die Beine gerade waren und so weiter. Aber er beschrieb näherungsweise, grob gesagt, einen realen Tisch. Und wenn man weiß, wie sich ein realer Tisch verhält, kann man sich sehr gut vorstellen, wie sich dieser Tisch verhält, ohne dass man irgendwelche Rechnungen anstellen muss – Sie wissen verdammt gut, an welcher Stelle Sie sich auflehnen müssen, damit der Tisch umkippt.

Ich habe keine Ahnung, wie man das erklärt. Aber wenn Sie einmal kapiert haben, dass es keine mathematischen, sondern physikalische Aufgabenstellungen sind, ist das schon sehr hilfreich.

Jetzt werde ich diese Herangehensweise bei einer Reihe von Aufgaben anwenden: Zuerst bei der Konstruktion von Maschinen, zweitens bei Bewegungen von Satelliten, drittens beim Raketenantrieb, viertens bei Strahlenanalysatoren und dann, wenn noch Zeit ist, beim Zerfall von Pionen und bei ein paar anderen Dingen. Alle diese Aufgaben sind ziemlich schwierig, aber sie veranschaulichen im weiteren Verlauf verschiedene Punkte. So, nun schauen wir mal, was passiert.

2.7Eine Aufgabe bei der Konstruktion von Maschinen

Beginnen wir mit der Konstruktion von Maschinen. Hier ist die Aufgabe: Zwei drehbare Stangen, jeweils einen halben Meter lang, tragen ein Gewicht von 2 kg – kommt Ihnen bekannt vor, oder? – und auf der linken Seite wird eine Rolle durch einen Mechanismus mit einer konstanten Geschwindigkeit von 2 m pro Sekunde vor- und zurückbewegt. OK? Die Frage für Sie lautet: „Wie groß ist die dafür erforderliche Kraft, wenn sich das Gewicht in einer Höhe von 0,4 m befindet?“ (Siehe Abbildung 2.7.)

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Abbildung 2.7: Die einfache Ma- schine in Bewegung.

Sie könnten denken: „Das haben wir schon gemacht! Die horizontale Kraft, die erforderlich ist, um das Gewicht auszugleichen, beträgt ¾ von 1 kg Gewicht.“

Aber ich sage: „Die Kraft beträgt nicht ¾ kg, weil sich das Gewicht bewegt.“

Sie könnten entgegnen: „Wenn sich ein Körper bewegt, ist dann eine Kraft erforderlich, um ihn in Bewegung zu halten? Nein!“

„Aber es ist eine Kraft erforderlich, um die Bewegung des Körpers zu ändern.“

„Ja, aber die Rolle bewegt sich mit konstanter Geschwindigkeit!“

„Ah ja, stimmt: Die Rolle bewegt sich mit einer konstanten Geschwindigkeit von 2 m pro Sekunde. Aber wie steht’s mit dem Gewicht: Bewegt sich das mit konstanter Geschwindigkeit? Stellen wir es uns vor: Bewegt sich das Gewicht manchmal langsam und manchmal schnell?“

„Ja … “

„Dann ändert sich seine Bewegung – und das ist unsere Aufgabe: Wir müssen die Kraft herausfinden, die erforderlich ist, damit sich die Rolle konstant mit 2 m pro Sekunde bewegt, wenn sich das Gewicht in einer Höhe von 0,4 m befindet.“

Schauen wir mal, ob wir verstehen können, wie sich die Bewegung des Gewichtes ändert.

Nun, wenn sich das Gewicht nahe der obersten Position befindet und die Rolle fast direkt darunter ist, bewegt sich das Gewicht kaum auf und ab. In dieser Position bewegt sich das Gewicht nicht sehr schnell. Aber wenn sich das Gewicht unten befindet, wie vorhin, und Sie die Rolle nur etwas nach rechts schieben – mein lieber Mann, dann muss sich das Gewicht ganz schön nach oben bewegen, um nicht im Weg zu sein! Also, wenn wir beginnen, die Rolle zu schieben, beginnt das Gewicht, sich sehr schnell nach oben zu bewegen und wird dann langsamer, richtig? Wenn es sich sehr schnell nach oben bewegt und langsamer wird, in welche Richtung ist dann die Beschleunigung gerichtet? Die Beschleunigung muss nach unten gerichtet sein: Es ist so, als ob ich es schnell nach oben werfe und es dann langsamer wird – als ob es fällt, sodass die Kraft reduziert werden muss. Das heißt, die horizontale Kraft, die ich auf die Rolle ausübe, ist kleiner, als wenn sie sich nicht bewegen würde. Also müssen wir herausfinden, wie viel kleiner. (Der Grund, warum ich das alles durchgehe, ist, dass ich die Vorzeichen in den Gleichungen nicht richtig behalten kann. So muss ich am Ende durch dieses physikalische Argument herausfinden, wie die Vorzeichen aussehen.)

Übrigens habe ich diese Aufgabe ungefähr viermal gemacht – jedes Mal mit einem Fehler –, aber schließlich habe ich sie hinbekommen. Ich schätze, dass, wenn Sie eine Aufgabe das erste Mal in Angriff nehmen, viele, viele Dinge durcheinander geraten: Ich habe die Zahlen verwechselt, ich habe das Quadrieren vergessen, ich habe das falsche Vorzeichen für die Zeit genommen und viele andere Dinge falsch gemacht, aber immerhin, jetzt habe ich es geschafft und ich kann Ihnen zeigen, wie man es richtig machen kann – ich muss allerdings zugeben, offen gesagt, dass ich ziemlich lange gebraucht habe, bis ich es geschafft hatte. (Mann, bin ich froh, dass ich meine Notizen noch habe!)

Nun, um die Kraft zu berechnen, brauchen wir die Beschleunigung. Nur durch Anschauen der Zeichnung kann man die Beschleunigung unmöglich herausfinden, denn in der Zeichnung sind alle Maße zum betreffenden Zeitpunkt fest. Um das Maß der Änderung zu bestimmen, können wir nicht alles fest lassen – ich meine, wir können nicht sagen: „Das ist 0,3, das ist 0,4, das ist 0,5, das sind 2 m pro Sekunde, wie groß ist die Beschleunigung?“ Es ist nicht einfach, dorthin zu kommen. Die einzige Möglichkeit, die Beschleunigung herauszufinden, ist, die allgemeine Bewegung zu bestimmen und sie nach der Zeit zu differenzieren.20 Dann können wir den Betrag für die Zeit einsetzen, der dieser bestimmten Zeichnung entspricht.

Deshalb muss ich dieses Ding in einer allgemeineren Situation analysieren, in der sich das Gewicht an einem beliebigen Ort befindet. Sagen wir, das Gelenk und die Rolle befinden sich zum Zeitpunkt t = 0 zusammen und der Abstand zwischen ihnen beträgt 2t, weil sich die Rolle mit 2 Metern pro Sekunde bewegt. Der Zeitpunkt, für den wir die Analyse durchführen wollen, liegt 0,3 Sekunden, bevor die Rolle und das Gelenk zusammen sind, d.h. t = −0,3, und der Abstand zwischen ihnen beträgt tatsächlich minus 2t – aber es ist OK, wenn wir t = 0,3 und für den Abstand 2t wählen. Zum Schluss werden eine Menge Vorzeichen falsch sein, aber weil ich am Anfang etwas herumprobiert habe, welches Vorzeichen die Kraft hat, wird es passen – ich lasse die Mathematik lieber ruhen und nehme das Vorzeichen direkt aus der Physik, das klappt besser als umgekehrt. Wie dem auch sei, da haben wir es. (Tun Sie das nicht, es ist zu schwierig – man muss erst üben!)

(Denken Sie daran, was das t bedeutet: t ist die Zeit, bevor die Gelenke zusammen sind, eine Art negative Zeit, die jeden verrückt macht, aber ich kann es nicht ändern – so habe ich die Aufgabe nun mal gelöst.)

Nun, geometrisch sieht es so aus, dass sich das Gewicht immer (horizontal) in der Mitte zwischen der Rolle und dem Gelenk befindet. Wenn wir also den Ursprung unseres Koordinatensystems am Gelenk wählen, ist die x-Koordinate des Gewichtes

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Die Länge der Stangen beträgt 0,5, somit erhalte ich nach dem Satz des Pythagoras für die Höhe des Gewichtes, d. h. seine y-Koordinate,

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(siehe Abbildung 2.8). Können Sie sich vorstellen, dass ich, als ich diese Aufgabe das erste Mal gemacht habe, übrigens sehr sorgfältig,

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herausbekommen habe?

Jetzt brauchen wir die Beschleunigung und die Beschleunigung hat zwei Komponenten: Eine ist die horizontale Beschleunigung und die andere die vertikale Beschleunigung. Wenn es eine horizontale Beschleunigung gibt, gibt es eine horizontale Kraft und die müssen wir durch die Stange hinunter verfolgen und herausfinden, wie groß die auf die Rolle ausgeübte Kraft ist. Diese Aufgabe ist etwas einfacher, als sie aussieht, denn es gibt keine horizontale Beschleunigung – die x-Koordinate des Gewichtes ist immer die Hälfte der x-Koordinate der Rolle. Es bewegt sich in dieselbe Richtung, aber mit halb so großer Geschwindigkeit. Also bewegt sich das Gewicht horizontal konstant mit 1 m pro Sekunde. Es gibt, Gott sei Dank, keine seitliche Beschleunigung! Das macht die Aufgabe etwas einfacher. Wir müssen uns nur mit der Beschleunigung nach oben und unten beschäftigen.

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Abbildung 2.8: Mithilfe des Satzes des Pythagoras wird die Höhe des Gewichtes bestimmt.

Deshalb muss ich, um die Beschleunigung zu erhalten, die Höhe des Gewichtes zweimal differenzieren: Einmal, um die Geschwindigkeit in y-Richtung zu bestimmen, und noch einmal, um die Beschleunigung zu erhalten. Die Höhe ist

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Das sollten sie schnell differenzieren können. Die Antwort lautet:

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Sie ist negativ, obwohl sich das Gewicht nach oben bewegt. Aber ich habe mit meinen Vorzeichen Mist gebaut, also lasse ich es so. Ich weiß sowieso, dass die Geschwindigkeit nach oben gerichtet ist, und dies wäre falsch, wenn t positiv wäre, also sollte t tatsächlich negativ sein – folglich ist es doch richtig.

Jetzt berechnen wir die Beschleunigung. Es gibt mehrere Möglichkeiten. Sie können es auf herkömmliche Weise machen, aber ich werde die neue „Supermethode“ anwenden, die ich Ihnen in Kapitel 1 gezeigt habe: Sie schreiben noch einmal y′ auf. Dann sagen Sie: „Der erste Term, den ich differenzieren will, gehört zur ersten Potenz, −t. Die Ableitung von −t ist −1. Der nächste Term, den ich differenzieren will, gehört zur negativen halben Potenz. Der Term ist 0,25 − t2. Die Ableitung ist −2t. Fertig!“

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Jetzt haben wir die Beschleunigung zu jedem beliebigen Zeitpunkt. Um die Kraft zu bestimmen, müssen wir sie mit der Masse multiplizieren. Die Kraft – d. h. die zusätzliche Kraft neben der Gravitationskraft, die aus der Beschleunigung resultiert – ist das Produkt aus der Masse, 2 kg in diesem Fall, und dieser Beschleunigung. Nun setzen wir die Zahlen in dieses Ding ein: t ist 0,3. Die Quadratwurzel von 0,25 − t2 ist die Quadratwurzel von 0,25 minus 0,09, also von 0,16, und die Quadratwurzel davon ist 0,4 – wie praktisch! Stimmt das? Jawohl, meine Herren: Diese Quadratwurzel ist mit y selbst identisch und wenn t 0,3 ist, ist y nach unserer Zeichnung 0,4. OK, kein Fehler.

(Beim Rechnen prüfe ich immer nach, weil ich so viele Fehler mache. Eine Möglichkeit zur Überprüfung ist, dass man die Mathematik sehr sorgfältig anwendet. Die andere Möglichkeit ist, dass man immer wieder schaut, ob die Zahlen, die herauskommen, plausibel sind, ob sie beschreiben, was wirklich passiert.)

Jetzt rechnen wir. (Das erste Mal, als ich diese Aufgabe gerechnet habe, habe ich versehentlich 0,25 − t2 = 0,4 anstatt 0,16 geschrieben. Das hat vielleicht gedauert, bis ich diesen Fehler gefunden hatte!) Wir erhalten irgendeine Zahl21, die ich ausgerechnet habe: ungefähr 3,9.

Also beträgt die Beschleunigung 3,9. Und jetzt die Kraft: Die vertikale Kraft, zu der diese Beschleunigung passt, ist das Produkt aus 3,9,2 kg und g. Nein, das stimmt nicht! Ich habe vergessen, dass es jetzt kein g gibt. 3,9 ist die tatsächliche Beschleunigung. Die vertikale Gravitationskraft ist das Produkt aus 2 kg und der Fallbeschleunigung, 9,8 – das ist g – und die vertikale Komponente der von der Stange auf das Gewicht ausgeübten Kraft ist die Summe dieser beiden, wobei eine ein negatives Vorzeichen hat. Die relativen Vorzeichen sind entgegengesetzt gerichtet. Sie subtrahieren also und erhalten

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Aber denken Sie daran, das ist die auf das Gewicht ausgeübte vertikale Kraft. Wie groß ist die auf die Rolle ausgeübte horizontale Kraft? Die Antwort ist: Die auf die Rolle ausgeübte horizontale Kraft beträgt drei Viertel einer Hälfte der auf das Gewicht ausgeübten vertikalen Kraft. Das haben wir vorhin schon bemerkt: Die nach unten gerichtete Kraft wird durch zwei Beine ausgeglichen, dadurch wird sie durch zwei dividiert. Die Geometrie ist so beschaffen, dass das Verhältnis der horizontalen zur vertikalen Komponente 3/4 ist – und deshalb lautet die Antwort, dass die auf die Rolle ausgeübte horizontale Kraft drei Achtel der auf das Gewicht ausgeübten vertikalen Kraft beträgt. Ich habe die drei Achtel für jedes der Teile ausgerechnet und habe für die Gravitationskraft 7,35, 2,925 für den Term, der sich aufgrund der Beschleunigung ergibt, und für die Differenz 4,425 Newton erhalten – ungefähr 3 Newton weniger als die Kraft, die erforderlich ist, um das Gewicht in derselben Position zu halten, wenn es sich nicht bewegt (siehe Abbildung 2.9).

So konstruiert man jedenfalls Maschinen. Sie wissen, wie viel Kraft Sie brauchen, um das Ding vorwärts zu bewegen.

Jetzt werden Sie sagen: „Ist das denn der richtige Weg, so etwas anzugehen?“

So etwas gibt es gar nicht! Es gibt keinen „richtigen“ Weg, etwas zu tun. Ein bestimmter Weg, etwas zu tun, ist möglicherweise richtig, aber es ist nicht der richtige Weg. Sie können es, verdammt noch mal, so tun, wie Sie es möchten. (Na ja, Entschuldigung: Es gibt natürlich falsche Wege, etwas zu tun …)

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Abbildung 2.9: Verwendung gleicher Dreiecke, um die auf die Rolle ausgeübte Kraft zu bestimmen.

Wenn ich clever genug wäre, könnte ich eben mal einen Blick auf die ganze Sache werfen und Ihnen dann sagen, wie groß die Kraft ist, aber ich bin eben nicht clever genug. Also muss ich es auf irgendeine andere Weise angehen – aber es gibt viele Wege. Ich werde einen anderen Weg aufzeigen, der sehr nützlich ist, insbesondere wenn Sie im Konstruktionsbereich für reale Maschinen tätig sind. Diese Aufgabenstellung ist etwas vereinfacht dadurch, dass die Beine identisch sind und so weiter, weil ich die Arithmetik nicht verkomplizieren wollte. Aber die physikalischen Vorstellungen sind so beschaffen, dass Sie die ganze Sache auf andere Art und Weise ausrechnen können, auch wenn die Geometrie nicht so einfach ist. Dieser andere interessante Weg sieht folgendermaßen aus.

Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Menge Hebel, die viele Gewichte bewegen. Dann können Sie Folgendes tun: Wenn Sie das Ding vorwärts bewegen und alle Gewichte auf Grund aller Hebel beginnen, sich zu bewegen, verrichten Sie eine bestimmte Arbeit, W. Zu jedem beliebigen Zeitpunkt wird eine bestimmte Leistung zugeführt, und zwar das Maß, in dem Sie arbeiten, dW/dt. Gleichzeitig ändert sich die Energie aller Gewichte, E, in einem bestimmten Maß, dE/dt, und diese beiden Maße sollten zueinander passen, d. h. das Maß, in dem Sie Arbeit verrichten, sollte dem Maß der Änderung der Gesamtenergie aller Gewichte entsprechen:

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Vielleicht erinnern Sie sich aus den Vorlesungen daran, dass die Leistung das Produkt aus Kraft und Geschwindigkeit ist:22

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Und so ergibt sich

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Folgender Gedanke steckt dahinter: Die Gewichte haben zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Geschwindigkeit und somit auch eine kinetische Energie. Sie befinden sich in einer bestimmten Höhe über dem Boden und haben deshalb auch eine potentielle Energie. Wenn wir nun herausfinden können, wie schnell sich die Gewichte bewegen und wo sie sich befinden, um ihre Gesamtenergie zu erhalten, und wir dann das nach der Zeit differenzieren, entspricht das dem Produkt aus der Kraftkomponente in der Richtung, in die sich das betreffende Teil bewegt, und seiner Geschwindigkeit.

Schauen wir mal, ob wir das auf unsere Aufgabenstellung anwenden können.

Nun, wenn ich die Rolle mit einer Kraft P = −FRolle schiebe und sie dabei mit einer Geschwindigkeit vRolle bewege, sollte das Maß der Änderung der Energie des gesamten Teils in Abhängigkeit der Zeit mit dem Produkt aus dem Betrag der Kraft und der Geschwindigkeit, FRollevRolle, identisch sein, weil in diesem Fall Kraft und Geschwindigkeit in dieselbe Richtung verlaufen. Das ist keine allgemeine Formel. Wenn ich Sie nach der Kraft in einer anderen Richtung gefragt hätte, hätte ich diese nicht direkt mit dieser Argumentation bestimmen können, weil diese Methode Ihnen nur die Komponente der Kraft liefert, die die Arbeit verrichtet! (Natürlich können Sie sie indirekt bestimmen, weil Sie wissen können, dass die Kraft entlang der Stange gerichtet ist. Wenn es einige miteinander verbundene Stangen mehr gäbe, würde diese Methode immer noch funktionieren, vorausgesetzt, Sie würden die Kraft in einer Bewegungsrichtung nehmen.)

Was ist mit all der Arbeit, die von den Kräften der Rolle, den Gelenken und all den anderen Mechanismen verrichtet wird, die den ganzen Kram richtig in Bewegung halten? Sie verrichten keine Arbeit, vorausgesetzt, dass an ihnen nicht von anderen Kräften Arbeit verrichtet wird, wenn sie sich mitbewegen. Wenn z. B. jemand dort sitzt und ein Bein ausstreckt, während ich das andere zurückdrücke, muss ich die Arbeit, die mein Gegenüber verrichtet, berücksichtigen! Aber das macht hier keiner und deshalb ergibt sich bei vRolle = 2

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Also bin ich startklar, wenn ich dE/dt berechnen kann – dividiert durch zwei, und siehe da: die Kraft! Alles klar? Auf geht’s!

Wir haben die Gesamtenergie des Gewichtes in zwei Teilen: Kinetische plus potentieller Energie. Nun, die potentielle Energie ist einfach: mgy (siehe Tabelle 2.3). Wir wissen schon, dass y 0,4 = m, m = 2 kg und g 9,8 = m pro Sekunde zum Quadrat ist. Also beträgt die potentielle Energie 2 ∙ 9,8 ∙ 0,4 = 7,84 J. Jetzt zur kinetischen Energie: Nach ziemlich viel Herumprobieren erhalte ich die Geschwindigkeit des Gewichtes und füge die kinetische Energie dafür ein. Das machen wir gleich. Dann bin ich bereit, weil ich die Gesamtenergie habe.

Stimmt nicht, ich bin nicht bereit, denn leider will ich die Energie nicht! Ich brauche die Ableitung der Energie nach der Zeit und Sie können nicht herausfinden, wie schnell sich etwas ändert, indem Sie ausrechnen, wie groß es jetzt ist! Sie müssen es entweder zu zwei direkt hintereinander liegenden Zeitpunkten – jetzt und einen Augenblick später – berechnen oder es, wenn Sie die mathematische Form benutzen wollen, für einen beliebigen Zeitpunkt t ausrechnen und nach t differenzieren. Es hängt davon ab, was am einfachsten ist: Es ist möglicherweise numerisch viel einfacher, die Geometrie für zwei Orte zu berechnen, als die Geometrie allgemein auszurechnen und zu differenzieren.

(Die meisten Leute versuchen sofort, eine Aufgabe in mathematische Form zu bringen und zu differenzieren, weil sie mit der Arithmetik nicht genug Erfahrung haben, um die ungeheure Macht und Leichtigkeit beim Rechnen mit Zahlen anstatt mit Buchstaben zu schätzen. Trotzdem mache ich es mit Buchstaben.)

Wieder haben wir diese Aufgabe zu lösen, in der x = t und jpeg/png ist, sodass wir die Ableitung berechnen können.

Jetzt brauchen wir die potentielle Energie. Die können wir sehr leicht bestimmen: Sie ist das Produkt aus mg und der Höhe y, und das ergibt

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Aber interessanter und schwieriger auszurechnen ist die kinetische Energie. Die kinetische Energie ist ½ mv2. Um die kinetische Energie zu bestimmen, muss ich das Quadrat der Geschwindigkeit berechnen, und dafür ist viel Herumprobieren nötig: Die Geschwindigkeit zum Quadrat ist ihre x-Komponente zum Quadrat plus ihrer y-Komponente zum Quadrat. Ich könnte die y-Komponente wie zuvor bestimmen. Die x-Komponente, darauf habe ich schon hingewiesen, ist 1. Diese beiden hätte ich quadrieren und addieren können. Aber nehmen wir an, ich hätte das noch nicht getan und möchte über einen anderen Weg zur Bestimmung der Geschwindigkeit nachdenken.

Nun, ein guter Maschinenkonstrukteur kann das, nachdem er darüber nachgedacht hat, auf Grundlage der geometrischen Prinzipien und der Konstruktion der Maschine normalerweise ausrechnen. Da das Gelenk stationär ist, muss sich z. B. das Gewicht auf einer Kreisbahn um das Gelenk bewegen. Und in welcher Richtung muss die Geschwindigkeit des Gewichtes verlaufen? Es kann keine Geschwindigkeitskomponente parallel zur Stange besitzen, weil dann die Länge der Stange verändert würde, richtig? Deshalb ist der Geschwindigkeitsvektor senkrecht zur Stange gerichtet (siehe Abbildung 2.10).

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Abbildung 2.10: Das Gewicht bewegt sich auf einer Kreisbahn, deshalb ist seine Geschwindigkeit senk- recht zur Stange gerichtet.

Sie könnten sich sagen: „Oh! Den Trick muss ich lernen!“ Nein. Dieser Trick ist nur für eine ganz bestimmte Aufgabenstellung gut. Meistens funktioniert er nicht. Sie werden sehen, dass Sie die Geschwindigkeit eines Körpers, der um einen festen Punkt rotiert, äußerst selten benötigen. Es gibt keine Regel, die besagt: „Geschwindigkeiten sind senkrecht zu Stangen gerichtet!“ oder so etwas. Sie müssen Ihren gesunden Menschenverstand so oft wie möglich benutzen. Hier in diesem Fall ist die allgemeine Idee, die Maschine geometrisch zu analysieren, wichtig – nicht irgendeine spezielle Regel.

So, jetzt kennen wir die Richtung der Geschwindigkeit. Die horizontale Geschwindigkeitskomponente, das wissen wir schon, ist 1, weil sie halb so groß wie die Geschwindigkeit der Rolle ist. Aber schauen Sie! Die Geschwindigkeit ist die Hypotenuse eines rechtwinkligen Dreiecks, das einem Dreieck gleicht, das die Stange als Hypotenuse hat! Um den Betrag der Geschwindigkeit zu bestimmen, müssen wir nur ihr Verhältnis zu ihrer horizontalen Komponente herausfinden. Dieses Verhältnis erhalten wir aus dem anderen Dreieck, das wir bereits genau kennen (siehe Abbildung 2.11).

Schließlich erhalten wir für die kinetische Energie:

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Nun zu den Vorzeichen: Die kinetische Energie ist sicher positiv und die potentielle Energie ist positiv, weil ich den Abstand vom Boden gemessen habe. Also sind die Vorzeichen OK. Das bedeutet, dass die Energie zu jedem Zeitpunkt

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beträgt.

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Abbildung 2.11: Man verwendet gleiche Dreiecke, um die Geschwindigkeit des Gewichtes zu bestimmen.

Um die Kraft mit diesem Trick herauszufinden, müssen wir jetzt die Energie differenzieren. Dann können wir durch zwei dividieren und alles wird bestens sein. (Die scheinbare Mühelosigkeit, mit der ich das hier mache, ist aufgesetzt: Ich schwöre, ich hab das mehr als einmal gemacht, bevor es richtig war!)

Jetzt differenzieren wir die Energie nach der Zeit. Damit werde ich hier keine Zeit verschwenden. Ich gehe davon aus, dass Sie mittlerweile differenzieren können. Also, die Antwort für dE/dt (was übrigens zweimal die erforderliche Kraft ist) lautet:

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Das war’s. Ich brauche nur 0,3 für t einzusetzen und bin fertig. Nun, nicht ganz – damit sich das richtige Vorzeichen ergibt, muss ich t = −0,3 setzen:

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Jetzt schauen wir mal, ob das Sinn macht. Wenn es keine Bewegung gäbe und ich mich nicht mit der kinetischen Energie beschäftigen müsste, wäre die Gesamtenergie des Gewichtes gleich seiner potentiellen Energie und ihre Ableitung wäre die Kraft als Folge des Gewichtes.23 Und ganz sicher kommt hier das gleiche Ergebnis heraus wie in Kapitel 1, 2 mal 9,8 mal ¾.

Der erste Term auf der rechten Seite von Gleichung (2.29) ist negativ, weil das Gewicht abnimmt und damit kinetische Energie verloren geht; der zweite Term ist positiv, weil das Gewicht zunimmt, er also potentielle Energie gewinnt. Beide Terme sind jedenfalls einander entgegengesetzt gerichtet, und das ist alles, was ich wissen will. Sie können die Zahlen einsetzen und ganz bestimmt wird die Kraft dieselbe sein wie vorher:

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Das ist eigentlich der Grund, warum ich es so oft machen musste: Nachdem ich es zum ersten Mal gemacht hatte und völlig zufrieden mit meiner falschen Antwort war, beschloss ich, es auf eine ganz andere Weise zu versuchen. Nachdem ich es mit dem anderen Weg probiert hatte, war ich mit einer völlig anderen Antwort zufrieden! Wenn Sie viel arbeiten, gibt es Momente, in denen Sie denken: „Endlich habe ich herausgefunden, dass die Mathematik inkonsequent ist!“ Aber schon bald werden Sie den Fehler entdecken, wie ich schließlich auch.

Das sind jedenfalls zwei Lösungsmöglichkeiten für diese Aufgabe. Es gibt nicht den einen Lösungsweg für eine bestimmte Aufgabe. Wenn Sie immer einfallsreicher werden, können Sie Wege finden, die immer weniger Arbeit erfordern, aber dazu braucht man Erfahrung.24

2.8Fluchtgeschwindigkeit der Erde

Ich habe nicht mehr viel Zeit, aber das nächste Problem, über das wir sprechen werden, hat mit den Planetenbewegungen zu tun. Ich werde noch darauf zurückkommen, denn ich kann Ihnen dieses Mal bestimmt nicht alles erzählen. Die erste Frage ist, wie groß die für das Verlassen der Erdoberfläche erforderliche Geschwindigkeit ist. Wie schnell muss sich ein Körper bewegen, um gerade aus dem Gravitationsfeld der Erde entweichen zu können?

Nun, eine Möglichkeit, um das auszurechnen, wäre, die Bewegung unter dem Einfluss der Gravitationskraft zu berechnen. Eine andere Möglichkeit ist der Energieerhaltungssatz. Wenn der Körper die Bindung an die Erde überwindet und unendlich weit weg ist, ist die kinetische Energie null und die potentielle Energie ist das, was für unendliche Entfernungen herauskommt. Die Formel für das Potential als Folge der Gravitation finden Sie in Tabelle 2.3. Sie besagt, dass die potentielle Energie bei Massenpunkten, die unendlich weit entfernt sind, gleich null ist.

Somit muss, wenn ein Körper die Erde mit Fluchtgeschwindigkeit verlässt, die Gesamtenergie dieses Körpers dieselbe sein, wenn der Körper einen unendlichen Weg zurückgelegt hat und die Erdanziehungskraft ihn auf Geschwindigkeit null abgebremst hat (vorausgesetzt, dass keine anderen Kräfte beteiligt sind). Wenn M die Erdmasse, R der Erdradius und G die universelle Gravitationskonstante ist, ergibt sich, dass das Quadrat der Fluchtgeschwindigkeit 2GM/R sein muss.

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Übrigens ist die Gravitationskonstante g (die Fallbeschleunigung nahe der Erdoberfläche) GM/R2, weil das Gesetz der Kraft für eine Masse m lautet: mg = GMm/R2. In der einfacheren Schreibweise mit der Gravitationskonstanten kann ich schreiben: v2 = 2gR. g ist 9,8 m/s2 und der Erdradius beträgt 6400 km, sodass die Fluchtgeschwindigkeit der Erde

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beträgt. Das heißt, Sie müssen sich mit 11 km pro Sekunde bewegen, um die Bindung an die Erde zu überwinden – das ist ziemlich schnell.

Als Nächstes möchte ich darüber sprechen, was passiert, wenn Sie sich mit 15 km pro Sekunde bewegen und einen bestimmten Abstand über die Erde hinausschießen.

Nun, mit 15 km in der Sekunde hat der Körper genug Energie, um aus dem Gravitationsfeld der Erde zu fliehen, wenn er sich direkt nach oben bewegt. Aber verlässt er zwangsläufig das Gravitationsfeld der Erde, auch wenn er sich nicht direkt nach oben bewegt? Ist es möglich, dass der Körper die Erde umrundet und zurückkommt? Das ist nicht selbstverständlich. Wir müssen darüber nachdenken. Sie sagen: „Er hat genug Energie um zu fliehen.“ Aber woher wissen Sie das? Wir haben die Fluchtgeschwindigkeit für diese Richtung gar nicht berechnet. Könnte es sein, dass die seitliche Fallbeschleunigung so groß ist, dass der Körper umkehrt (siehe Abbildung 2.12)?

Im Prinzip ist es möglich. Sie kennen das Gesetz, nach dem in gleichen Zeiten gleiche Flächen überstrichen werden. Also wissen Sie, dass, wenn Sie sich weit nach draußen bewegen, Sie sich irgendwie seitwärts bewegen müssen. Es ist nicht klar, dass die Bewegung, die Sie zum Überwinden der Bindung an die Erde brauchen, nicht seitlich gerichtet ist, sodass sie selbst bei 15 km pro Sekunde nicht aus dem Gravitationsfeld der Erde fliehen.

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Abbildung 2.12: Garantiert die Fluchtgeschwindigkeit ein Entkommen aus dem Gravitationsfeld?

Tatsächlich stellt sich heraus, dass der Körper bei 15 km in der Sekunde die Bindung an die Erde überwindet – das geschieht, solange die Geschwindigkeit größer als die Fluchtgeschwindigkeit ist, die wir vorhin ausgerechnet haben. Solange der Körper fliehen kann, flieht er – obwohl das nicht selbstverständlich ist – und das nächste Mal werde ich versuchen, es Ihnen zu zeigen. Aber ich gebe Ihnen noch einen Tipp, wie ich es Ihnen zeigen werde, damit Sie schon mal selbst etwas herumprobieren können.

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Abbildung 2.13: Abstand und Geschwindigkeit eines Satelliten im Perihel (sonnennächster Punkt) und im Aphel (sonnenfernster Punkt).

Wir werden den Energieerhaltungssatz in zwei Punkten, A und B, im kleinsten Abstand von der Erde, a, und im größten Abstand von der Erde, b, verwenden, wie in Abbildung 2.13 dargestellt. Die Aufgabe besteht darin, b zu berechnen. Wir kennen die Gesamtenergie des Körpers im Punkt A. Im Punkt B ist sie auf Grund der Energieerhaltung gleich groß. Wenn wir die Geschwindigkeit im Punkt B kennen würden, könnten wir also die potentielle Energie des Körpers und damit b ausrechnen. Aber wir kennen die Geschwindigkeit im Punkt B nicht!

Doch: Von dem Gesetz, das besagt, dass in gleichen Zeiten gleiche Flächen überstrichen werden, wissen wir, dass die Geschwindigkeit im Punkt B geringer sein muss als die Geschwindigkeit im Punkt A, und zwar in einem bestimmten Verhältnis – nämlich im Verhältnis a zu b. Wenn wir diese Tatsache nutzen, um die Geschwindigkeit im Punkt B zu bestimmen, können wir diesen Abstand b als Funktion von a berechnen. Das werden wir nächstes Mal tun.

2.9Alternative Lösungen

Von Michael Gottlieb

Hier sind drei weitere Lösungsmöglichkeiten für die Aufgabe aus dem Maschinenkonstruktionsbereich in Abschnitt 2.7.

a)Geometrische Bestimmung der Beschleunigung des Gewichtes

Das Gewicht befindet sich immer horizontal in der Mitte zwischen der Rolle und dem Gelenk. Deshalb beträgt seine horizontale Geschwindigkeit 1 m/s. Das entspricht der halben Geschwindigkeit der Rolle. Das Gewicht bewegt sich auf einer Kreisbahn (mit dem Gelenk als Mittelpunkt), sodass seine Geschwindigkeit senkrecht zu der Stange gerichtet ist. Mithilfe von gleichen Dreiecken erhalten wir die Geschwindigkeit des Gewichtes (siehe Abbildung 2.14a).

Da sich das Gewicht auf einer Kreisbahn bewegt, ist die radiale Komponente seiner Beschleunigung laut Gleichung (2.17)

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Die vertikale Beschleunigung des Gewichtes ist die Summe seiner radialen und seiner transversalen Komponente (siehe Abbildung 2.14b).

Auch die vertikale Beschleunigung erhalten wir mithilfe gleicher Dreiecke:

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Abbildung 2.14: Geometrische Bestimmung der Beschleunigung

b)Trigonometrische Bestimmung der Beschleunigung des Gewichtes

Das Gewicht bewegt sich auf einem Kreisbogen mit dem Radius ½, sodass seine Bewegungsgleichungen als Funktion des Winkels, den die Stangen mit dem Boden bilden, ausgedrückt werden können (siehe Abbildung 2.15).

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Die horizontale Geschwindigkeit des Gewichtes beträgt 1 m/s (die Hälfte der Geschwindigkeit der Rolle). Deshalb gilt: x = t, dx/dt = 1 und d2x/dt2 = 0. Die vertikale Beschleunigung erhält man, wenn man y zweimal nach t differenziert. Da t = ½ cos θ, gilt aber zunächst:

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Abbildung 2.15: Trigonometrische Bestim- mung der Beschleunigung

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Folglich ist

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Wenn x = t = 0,3, ist y = 0,4 und sin = 0,8 (da y = ½ sin θ). Der Betrag der vertikalen Beschleunigung ist somit

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c)Bestimmung der auf das Gewicht ausgeübten Kraft mittels Drehmoment und Drehimpuls

Das auf das Gewicht ausgeübte Drehmoment ist M = xFyyFx. Das Gewicht bewegt sich horizontal mit 1 m/s, sodass keine horizontale Kraft auf dieses ausgeübt wird: Fx = 0. Wenn wir x = t nehmen, reduziert sich das Drehmoment auf M = tFy. Das Drehmoment ist die Ableitung des Drehimpulses nach der Zeit. Wenn wir also den Drehimpuls L des Gewichtes bestimmen können, können wir ihn differenzieren und durch t dividieren, um Fy zu erhalten:

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Der Drehimpuls des Gewichtes ist leicht zu bestimmen, weil sich das Gewicht auf einer Kreisbahn bewegt. Sein Drehimpuls ist einfach das Produkt aus der Länge der Stange, r, und dem Impuls des Gewichtes, der wiederum das Produkt aus der Masse m des Gewichtes und seiner Geschwindigkeit v ist. Die Geschwindigkeit können wir mithilfe der geometrischen Methode nach Feynman (siehe Abbildung 2.16) oder durch Differentiation der Bewegungsgleichungen des Gewichtes ermitteln.

Alles das zusammen liefert:

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Abbildung 2.16: Bestimmung der Kraft mittels Drehmoment und Drehimpuls

Zum Zeitpunkt t = 0,3, ist Fy = 7,8125. Wenn wir das durch 2 kg dividieren, erhalten wir die vertikale Beschleunigung, die wir auch schon vorhin ausgerechnet haben: 3,90625.