Ich möchte ankündigen, dass die heutige Vorlesung sich von den anderen dadurch unterscheiden wird, dass ich über eine Vielzahl von Themen sprechen werde, die nur zu Ihrer Unterhaltung dienen und die Physik für Sie interessant machen sollen. Wenn Sie etwas nicht verstehen, weil es zu kompliziert ist, können Sie es einfach vergessen, es ist völlig unwichtig.
Wir könnten jedes Thema, das wir behandeln, natürlich noch mehr im Detail behandeln – ganz sicher viel detaillierter als bei einer ersten Annäherung – und wir könnten die Probleme der Drehdynamik fast endlos weiterverfolgen, aber dann hätten wir keine Zeit, etwas anderes aus der Physik zu lernen. Also werden wir uns hier von dem Thema verabschieden.
Eines Tages werden Sie vielleicht auf Ihrem eigenen Weg zur Drehdynamik zurückkehren wollen, ob als Maschinenbauer oder als Astronom, der sich Gedanken über die rotierenden Sterne oder die Quantenmechanik macht (in der Quantenmechanik gibt es Drehbewegungen) – wie auch immer Sie sich wieder damit beschäftigen, das hängt von Ihnen ab. Es ist allerdings das erste Mal, dass wir ein Thema verlassen, das wir nicht abgeschlossen haben. Wir haben eine Menge unterbrochener Gedanken oder Gedankengänge, die irgendwo hingehen und nicht weitergedacht werden, und ich möchte Ihnen erzählen, wohin sie gehen, damit Sie eine bessere Einschätzung davon bekommen, was Sie wissen.
Die meisten Vorlesungen bis jetzt waren zu einem großen Teil theoretisch – voller Gleichungen und so weiter – und viele von Ihnen mit einem Interesse an praktischem Maschinenbau möchten liebend gerne ein paar Beispiele für die „menschliche Cleverness“ bei der Anwendung dieser Theorien sehen. Wenn dem so ist, dann ist unser heutiges Thema bestens geeignet, Sie zu erfreuen, weil es nichts Erleseneres im Maschinenbau gibt als die praktische Entwicklung der Trägheitsnavigation in den letzten Jahren.
Das wurde eindrucksvoll durch die Fahrt des U-Bootes Nautilus unter dem Polareis veranschaulicht: Es konnten keine Sterne beobachtet werden, Karten vom Meeresboden unter dem Polareis gab es praktisch nicht, im Schiff gab es keine Möglichkeit zu sehen, wo man sich befand – und trotzdem wusste die Besatzung immer, wo sie war.32 Die Fahrt wäre ohne die Entwicklung der Trägheitsnavigation unmöglich gewesen und ich möchte Ihnen heute erklären, wie sie funktioniert. Aber vorher möchte ich Ihnen ein paar ältere, weniger empfindliche Geräte erklären, damit Sie die Grundlagen und Aufgabenstellungen, die die schwierigen und wunderbaren Entwicklungen der späteren Jahre betreffen, besser verstehen können.
Falls Sie noch kein solches Teil gesehen haben, zeigt Ihnen Abbildung 4.1 ein Gyroskop in kardanischer Aufhängung.
Abbildung 4.1: Ein Gyroskop.
Wenn das Rad einmal in Drehbewegung gesetzt ist, behält es seine Ausrichtung, selbst wenn die Basis aufgenommen und in einer beliebigen Richtung bewegt wird – das Gyroskop bleibt mit seiner Drehachse AB im Raum fest. Bei praktischen Anwendungen, bei denen das Gyroskop sich weiterdrehen muss, wird ein kleiner Motor eingesetzt, um die Reibung in den Achszapfen des Gyroskops auszugleichen.
Wenn Sie versuchen, die Richtung der Achse AB zu ändern, indem Sie im Punkt A nach unten drücken (und so ein auf das Gyroskop einwirkendes Drehmoment um die Achse XY erzeugen), bewegt sich Punkt A nicht nach unten, sondern seitlich Richtung Y in Abbildung 4.1. Das Ausüben eines Drehmomentes auf das Gyroskop um eine beliebige Achse (außer der Drehachse) erzeugt eine Drehbewegung des Gyroskops um eine Achse, die jeweils senkrecht zu dem ausgeübten Drehmoment und zur Drehachse des Gyroskops verläuft.
Ich beginne mit der einfachsten möglichen Anwendung eines Gyroskops: Wenn es sich in einem Flugzeug befindet, das seine Richtung ändert, zeigt die Drehachse des Gyroskops – z. B. horizontal ausgerichtet – weiter in dieselbe Richtung. Das ist sehr nützlich: Da das Flugzeug mehrere unterschiedliche Bewegungen macht, können Sie eine Richtung beibehalten – dieses Gyroskop nennt man Kurskreisel (siehe Abbildung 4.2).
Abbildung 4.2: Ein Kurskreisel behält seine Ausrichtung in einem Flugzeug, das seine Richtung ändert.
Sie sagen: „Das ist das Gleiche wie ein Kompass.“ Ist es nicht, weil der Kurskreisel nicht Norden sucht. Er wird so benutzt: Wenn sich das Flugzeug am Boden befindet, stellen Sie den magnetischen Kompass ein und verwenden ihn, um die Achse des Gyroskops in einer Richtung, z. B. Norden, einzustellen. Wenn Sie dann herumfliegen, behält das Gyroskop seine Ausrichtung bei und Sie können es immer benutzen, um Norden zu finden.
„Warum benutzt man denn nicht einfach den magnetischen Kompass?“
Es ist sehr schwierig, einen magnetischen Kompass in einem Flugzeug zu benutzen, weil die Nadel auf Grund der Bewegung schwingt oder abfällt und es Eisen und andere Quellen magnetischer Felder im Flugzeug gibt.
Andererseits werden Sie feststellen, dass das Gyroskop, wenn das Flugzeug ruhiger fliegt und sich eine Zeitlang auf einer geraden Linie bewegt, auf Grund der Reibung in der kardanischen Aufhängung nicht mehr nach Norden zeigt. Das Flugzeug hat sich langsam in eine andere Richtung bewegt und es war Reibung vorhanden, kleine Drehmomente wurden erzeugt, das Gyroskop hat Präzessionsbewegungen gemacht und es zeigt nicht mehr genau in dieselbe Richtung. Deshalb muss der Pilot von Zeit zu Zeit seinen Kurskreisel nach dem Kompass neu einstellen – jede Stunde oder vielleicht auch häufiger, je nachdem, wie perfekt reibungslos das Ding hergestellt wurde.
Der künstliche Horizont, eine Vorrichtung zur Bestimmung der Aufwärtsrichtung, funktioniert nach demselben Muster. Wenn Sie sich am Boden befinden, stellen Sie ein Gyroskop so ein, dass seine Achse vertikal ausgerichtet ist. Dann gehen Sie in die Luft und das Flugzeug schaukelt und wackelt hin und her. Das Gyroskop behält seine vertikale Ausrichtung, aber es muss auch gelegentlich neu eingestellt werden.
Wie können wir den künstlichen Horizont abgleichen?
Wir könnten die Schwerkraft benutzen, um die Aufwärtsrichtung zu bestimmen, aber Sie können sich sicher gut vorstellen, dass bei einem Kurvenflug die scheinbare Schwerkraft in einem bestimmten Winkel abweicht und dass das Abgleichen nicht so einfach ist. Aber auf Dauer und im Durchschnitt gesehen ist die Schwerkraft in eine bestimmte Richtung gerichtet – es sei denn, das Flugzeug fliegt letzten Endes mit der Unterseite nach oben (siehe Abbildung 4.3)!
Abbildung 4.3: Scheinbare Schwerkraft in einem Flugzeug, das die Richtung ändert.
Überlegen Sie deshalb mal, was passieren würde, wenn wir ein Gewicht in die kardanische Aufhängung im Punkt A des in Abbildung 4.1 dargestellten Gyroskops einfügen und dann das Gyroskop mit vertikal ausgerichteter Achse und Punkt A in unterer Position in Drehbewegungen versetzen würden. Wenn das Flugzeug geradeaus und eben fliegt, zieht das Gewicht direkt nach unten und hält dadurch die Drehachse in vertikaler Ausrichtung. Fliegt das Flugzeug eine Kurve, versucht das Gewicht, die Achse vertikal wegzuziehen, aber durch die Präzession setzt das Gyroskop dem einen Widerstand entgegen und die Achse bewegt sich nur sehr langsam weg von der vertikalen Ausrichtung. Schließlich beendet das Flugzeug sein Manöver und das Gewicht zieht wieder gerade nach unten. Auf Dauer und im Durchschnitt richtet das Gewicht die Achse des Gyroskops in Richtung der Schwerkraft aus. Das ist fast so wie der Abgleich zwischen dem Kurskreisel und dem Magnetkompass, außer dass dieser Abgleich nicht stündlich oder so erfolgt, sondern ständig während des Fluges, so dass trotz der Tendenz des Gyroskops, sehr langsam abzuweichen, seine Ausrichtung durch die durchschnittliche Auswirkung der Schwerkraft über lange Zeiträume beibehalten wird. Je langsamer das Gyroskop abweicht, desto länger ist natürlich der Zeitraum, über den dieser Durchschnittswert tatsächlich genommen wird, und desto besser eignet sich das Instrument für kompliziertere Manöver. Es ist nicht ungewöhnlich, Flugmanöver zu machen, bei denen die Schwerkraft eine halbe Minute lang ausgeschaltet ist. Wenn also der Zeitraum für die Durchschnittberechnung nur eine halbe Minute wäre, würde der künstliche Horizont nicht richtig funktionieren.
Die Geräte, die ich gerade beschrieben habe – der künstliche Horizont und der Kurskreisel – sind die Instrumente, die als Leitvorrichtung für die Autopilotfunktion in Flugzeugen benutzt werden. Das heißt, dass man Informationen, die man von diesen Instrumenten erhält, verwendet, um das Flugzeug in eine bestimmte Richtung zu lenken. Wenn sich ein Flugzeug z. B. von der Achse des Kurskreisels weg bewegt, werden elektrische Kontakte hergestellt, die über eine Reihe von Teilen dazu führen, dass ein paar Klappen bewegt werden und das Flugzeug so wieder auf Kurs gebracht wird. Solche Gyroskope bilden das Herzstück von Autopiloten.
Eine weitere interessante Anwendung von Gyroskopen, die heute nicht mehr eingesetzt wird, früher aber vorgeschlagen und gebaut wurde, ist die Stabilisierung von Schiffen. Jeder glaubt natürlich, man dreht einfach ein großes Rad auf einer am Schiff befestigten Achse, aber das stimmt nicht. Wenn Sie das wirklich auf diese Weise z. B. mit vertikal ausgerichteter Drehachse machen würden und eine Kraft das Schiff vorne hochschleudern würde, wäre das Endresultat, dass das Gyroskop eine Präzessionsbewegung zu einer Seite machen und das Schiff umkippen würde – das funktioniert also nicht! Ein Gyroskop stabilisiert nichts durch sich selbst.
Was stattdessen passiert, veranschaulicht ein Prinzip, das bei der Trägheitsnavigation verwendet wird. Der Trick sieht so aus: Irgendwo in dem Schiff gibt es ein sehr kleines, aber wunderbar gebautes Master-Gyroskop, dessen Achse z. B. vertikal ausgerichtet ist. In dem Moment, in dem das Schiff etwas aus der vertikalen Ausrichtung rollt, steuern elektrische Kontakte in dem Master-Gyroskop ein riesiges Slave-Gyroskop, das zur Stabilisierung des Schiffes verwendet wird – das waren wahrscheinlich die größten Gyroskope, die jemals gebaut wurden (siehe Abbildung 4.4)! Normalerweise wird die Achse des Slave-Gyroskops in vertikaler Ausrichtung gehalten, aber da es sich in einer kardanischen Aufhängung befindet, kann es um die Nickachse des Schiffes gedreht werden. Wenn das Schiff beginnt, nach rechts oder links zu rollen, wird das Slave-Gyroskop zwecks Korrektur vor- oder rückwärts gerissen – Sie wissen, wie eigensinnig Gyroskope immer sind und sich einfach nicht in die richtige Richtung bewegen wollen. Die plötzliche Drehung um die Nickachse erzeugt ein Drehmoment um die Rollachse, das der Rollbewegung des Schiffes entgegengerichtet ist. Die Neigung des Schiffes wird durch dieses Gyroskop nicht korrigiert, aber natürlich ist die Neigung eines großen Schiffes relativ klein.
Abbildung 4.4: Ein Gyroskop zur Schiffsstabilisierung: Wird das Gyroskop vorwärts getrieben, wird ein Drehmoment erzeugt, das das Schiff nach rechts rollt.
Jetzt möchte ich ein anderes Instrument beschreiben, das auf Schiffen verwendet wird, den „Kreiselkompass“. Im Unterschied zum Kurskreisel, der immer von der Nordrichtung abweicht und regelmäßig neu eingestellt werden muss, sucht ein Kreiselkompass selbst die Nordrichtung – er ist sogar besser als der Magnetkompass, weil er die echte Nordrichtung im Sinne der Erdrotationsachse sucht. Er funktioniert folgendermaßen: Nehmen wir an, wir schauen von oberhalb des Nordpols auf die Erde und bewegen uns gegen den Uhrzeigersinn. Irgendwo haben wir ein Gyroskop aufgestellt, z. B. am Äquator, und die Achse des Gyroskops verläuft in Ost-West-Richtung parallel zum Äquator, wie in Abbildung 4.5(a) dargestellt. Für den Moment lassen Sie uns das Beispiel eines idealen, freien Gyroskops mit vielen kardanischen Ringen und was weiß ich nicht noch allem nehmen. (Es könnte sich in einem Ball, der in Öl schwimmt, befinden oder wo immer Sie wollen, sodass keine Reibung vorhanden ist.) Sechs Stunden später würde das Gyroskop immer noch in dieselbe absolute Richtung zeigen (weil keine Drehmomente als Folge von Reibung auf es einwirken), aber wenn wir in der Nähe des Äquators stehen würden, könnten wir beobachten, wie es sich langsam umdreht: Sechs Stunden später würde es direkt nach oben zeigen, wie in Abbildung 4.5(c).
Abbildung 4.5: Ein freies Gyroskop, das sich mit der Erde dreht, behält seine Ausrichtung im Raum bei.
Aber jetzt stellen Sie sich vor, was passieren würde, wenn wir ein Gewicht an das Gyroskop hängen würden, wie in Abbildung 4.6 dargestellt. Das Gewicht würde die Drehachse des Gyroskops senkrecht zur Schwerkraft halten.
Auf Grund der Erdrotation wird das Gewicht hochgehoben und das hochgehobene Gewicht will natürlich wieder nach unten. Das erzeugt ein Drehmoment parallel zur Erdrotation, wodurch das Gyroskop sich im rechten Winkel zu allem dreht. In diesem speziellen Fall bedeutet das, dass das Gewicht nicht hochgehoben wird, sondern stattdessen das Gyroskop umkippt. Und so dreht es seine Achse um in Richtung Norden, wie in Abbildung 4.7 dargestellt.
Abbildung 4.6: Das Gyroskop mit Gewichten, die die Drehachse senkrecht zur Schwerkraft halten.
Abbildung 4.7: Ein beschwerter Kreiselkompass richtet seine Drehachse parallel zur Rotationsachse der Erde aus.
Jetzt nehmen wir an, dass die Achse des Gyroskops schließlich nach Norden zeigt: Bleibt sie so? Wenn wir dasselbe Bild mit der nach Norden ausgerichteten Achse zeichnen, wie in Abbildung 4.8 dargestellt, schwingt der Arm, da die Erde sich dreht, um die Achse des Gyroskops herum und das Gewicht bleibt unten. Es wirken keine Drehmomente von dem hochgehobenen Gewicht auf die Achse ein und die Achse zeigt auch später in Richtung Norden.
Wenn also die Achse des Kreiselkompasses nach Norden zeigt, gibt es keinen Grund, warum das nicht so bleiben sollte; wenn aber seine Achse nur leicht in Ost-West-Richtung zeigt, dann dreht das Gewicht die Achse in Richtung Norden, da die Erde sich dreht. Der Kreiselkompass ist deshalb ein nordsuchendes Instrument. (Wenn ich ihn genau so bauen würde, würde er Norden suchen und sich vorbeibewegen, auf der anderen Seite ausrollen und sich eigentlich hin- und herbewegen – deshalb muss etwas Dämpfung eingebaut werden.)
Abbildung 4.8: Ein Kreiselkom- pass mit parallel zur Rotationsachse der Erde ausgerichteter Drehachse behält seine Lage bei.
Jetzt haben wir eine Art künstlichen Kreiselkompass, der in Abbildung 4.9 dargestellt ist. Leider sind nicht alle Achsen des Gyroskops frei. Nur zwei sind frei und Sie müssen ein bisschen nachdenken um herauszufinden, dass das fast das Gleiche ist. Sie drehen das Ding, um die Bewegung der Erde zu simulieren, und die Schwerkraft wird durch ein Gummiband nachgeahmt, das analog zu dem Gewicht am Ende des Arms am Gyroskop befestigt ist. Wenn Sie beginnen, das Ding zu drehen, macht das Gyroskop eine Zeit lang eine Präzessionsbewegung, aber wenn Sie geduldig genug sind und das Ding immer weiter drehen, beruhigt es sich. Der einzige Ort, an dem es bleiben kann, ohne zu versuchen, sich in eine andere Richtung zu drehen, ist parallel zur Rotationsachse seines Rahmens – in diesem Fall der imaginären Erde – und daher pendelt es sich sehr hübsch ein und zeigt in Richtung Norden. Wenn ich die Drehbewegung stoppe, driftet die Achse ab, weil in den Lagern verschiedene Reibungskräfte und andere Kräfte wirken. Reale Gyroskope weichen immer ab. Sie verhalten sich nicht ideal.
Abbildung 4.9: Feynman demonstriert einen künstlichen Kreiselkompass.
Die besten Gyroskope, die vor ungefähr zehn Jahren gebaut werden konnten, hatten eine Abweichung zwischen zwei und drei Grad in der Stunde – das war die Beschränkung der Trägheitsnavigation: Es war unmöglich, die Richtung im Raum genauer zu bestimmen. Wenn Sie z. B. eine zehnstündige Fahrt in einem U-Boot gemacht hätten, hätte die Abweichung der Achse Ihres Kurskreisels bis zu 30 Grad betragen können! (Der Kreiselkompass und der künstliche Horizont würden richtig arbeiten, weil sie durch die Schwerkraft „überprüft“ werden, aber die frei drehenden Kurskreisel wären nicht genau.)
Die Entwicklung der Trägheitsnavigation verlangte die Entwicklung wesentlich besserer Gyroskope – Gyroskope, in denen die unkontrollierbaren Reibungskräfte, die zur Präzessionsbewegung der Gysroskope führen, auf ein absolutes Minimum reduziert sind. Es sind eine Reihe von Erfindungen gemacht worden, um dies zu ermöglichen, und ich möchte die daran beteiligten allgemeinen Prinzipien veranschaulichen.
Zunächst einmal sind die Gyroskope, über die wir bisher gesprochen haben, Gyroskope „mit zwei Freiheitsgraden“, weil es zwei Möglichkeiten für die Drehachse gibt, sich zu drehen. Es zeigt sich, dass es besser ist, wenn Sie sich nur mit jeweils einer Möglichkeit beschäftigen müssen – das heißt, es ist besser, wenn Sie Ihre Gyroskope so anordnen, dass Sie nur die Rotationen jedes Gyroskops um eine einzige Achse betrachten müssen. Abbildung 4.10 zeigt ein Gyroskop „mit einem Freiheitsgrad“. (Ich muss Herrn Skull vom Jet Propulsion Laboratory dafür danken, dass er mir diese Folien geliehen und mir alles erklärt hat, was in den letzten Jahren so los war.)
Das Kreiselrad dreht sich um eine horizontale Achse („Drehachse“ in der Abbildung), die sich nur um eine Achse (EA) und nicht um zwei frei drehen kann. Dennoch ist dies eine nützliche Vorrichtung, und zwar aus folgendem Grund: Stellen Sie sich vor, dass das Gyroskop um die vertikale Eingangsache (EA) gedreht wird, weil es sich in einem Auto oder in einem Schiff befindet, das seine Richtung ändert. Dann versucht das Kreiselrad, um die horizontale Ausgangsachse (AA) eine Präzessionsbewegung zu machen. Genauer gesagt, es wird ein Drehmoment um die Ausgangsachse erzeugt und wenn diesem Drehmoment nichts entgegengesetzt wird, macht das Gyroskop eine Präzessionsbewegung um diese Achse. Wenn wir also einen Messgenerator (MG) haben, der den Winkel der Präzessionsbewegung des Rades erfassen kann, können wir diesen benutzen um herauszufinden, dass das Schiff seine Richtung ändert.
Nun muss man hier einige Eigenschaften berücksichtigen: Das Schwierige ist, dass das Drehmoment um die Ausgangsachse absolut genau das Ergebnis der Drehbewegung um die Eingangsachse darstellen muss. Alle anderen Drehmomente um die Ausgangsachse bedeuten Störungen und wir müssen sie loswerden, um nichts durcheinander zu bringen. Die Schwierigkeit ist, dass das Kreiselrad selbst ein gewisses Gewicht hat, das gegen das Gewicht der Zapfen an der Ausgangsachse gestützt warden muss – und die sind das wirkliche Problem, weil sie eine Reibung erzeugen, die unsicher und unbestimmt ist.
Abbildung 4.10: Vereinfachte schematische Darstellung eines Gyroskops mit einem Freiheitsgrad, basierend auf einer Originalfolie aus der Vorlesung.
Der erste und wichtigste Trick, mit dem man das Gyroskop verbesserte, bestand darin, dass man das Kreiselrad in einen Behälter packte und den Behälter in Öl schwimmen ließ. Der Behälter ist ein Zylinder, der vollständig von Öl umgeben ist und sich um seine Achse („Ausgangsachse“ in Abbildung 4.11) frei drehen kann. Das Gewicht des Behälters einschließlich des darin befindlichen Rades und der Luft im Inneren ist genau gleich (oder so nah wie möglich) dem Gewicht des Öls, das er verdrängt, sodass sich der Behälter im neutralen Gleichgewicht befindet. Auf diese Weise ist das Gewicht, das an den Zapfen gestützt werden muss, sehr gering und damit können sehr feine Lagersteine wie bei Uhrwerken verwendet werden, die aus einem Stift und einem Edelstein bestehen. Lagersteine können sehr wenig seitliche Kraft aufnehmen, aber das müssen sie in diesem Fall auch nicht – und sie sind ausgesprochen reibungsarm. Das war also die erste große Verbesserung: Das Schwimmen des Kreiselrades und die Verwendung von Lagersteinen an den Zapfen, die das Rad tragen.
Die nächste bedeutende Verbesserung war, dass man das Gyroskop nie wirklich benutzte, um irgendwelche Kräfte – oder sehr große Kräfte – zu erzeugen. Bisher haben wir darüber gesprochen, dass das Kreiselrad um die Ausgangsachse eine Präzessionsbewegung macht und wir messen, wie weit die Präzessionsbewegung geht. Aber ein anderes interessantes Verfahren, um die Auswirkung der Drehbewegung um die Eingangsachse zu messen, basiert auf dem folgenden Gedanken (siehe Abbildung 4.10 und Abbildung 4.11): Nehmen wir an, wir haben ein sehr genau gebautes Gerät, sodass wir, indem wir es mit einer bestimmten Menge Strom versorgen, sehr genau ein bestimmtes Drehmoment um die Ausgangsachse erzeugen können – ein elektromagnetischer Drehmomenterzeuger. Dann können wir einen Messwertgeber mit enormer Verstärkung zwischen den Messgenerator und den Drehmomenterzeuger setzen, sodass, wenn sich das Schiff um die Eingangsachse dreht, das Kreiselrad mit einer Präzessionsbewegungum die Ausgangsachse beginnt, der Messgenerator aber, sobald sich das Schiff um einen Hauch, eine Haaresbreite – wirklich eine Haaresbreite – bewegt, sagt: „Hey! Es bewegt sich!“ und der Drehmomenterzeuger sofort ein Drehmoment um die Ausgangsachse legt, das dem Drehmoment, das für die Präzessionsbewegung des Kreiselrades verantwortlich ist, entgegenwirkt und das Schiff in Position hält. Und dann fragen wir: „Wie kräftig müssen wir es halten?“ Mit anderen Worten, wir messen die Menge an Saft, die in den Drehmomenterzeuger geht. Im Grunde messen wir das Drehmoment, das zur Präzessionsbewegung des Kreiselrades führt, indem wir messen, wie groß das Drehmoment ist, das erforderlich ist, um es auszugleichen. Dieses Feedback- oder Rückführungsprinzip ist für die Konstruktion und Entwicklung von Gyroskopen von großer Bedeutung.
Abbildung 4.11: Detaillierte schematische Darstellung eines integrierenden Gyroskops mit einem Freiheitsgrad, basierend auf einer Originalfolie aus der Vorlesung.
Ein weiteres interessantes Feedback-Verfahren, das noch häufiger eingesetzt wird, ist in Abbildung 4.12 dargestellt.
Das Gyroskop ist der kleine Behälter („Gyroskop“ in Abbildung 4.12) auf der horizontalen Plattform (Plattform) im Mittelpunkt des Tragrahmens. (Für den Moment können Sie den Beschleunigungsmesser (Beschl.) vernachlässigen. Wir kümmern uns nur um das Gyroskop.) Im Unterschied zu dem vorhergehenden Beispiel ist die Drehachse des Gyroskops (GDA) vertikal. Die Ausgangsachse (AA) ist allerdings nach wie vor horizontal. Wenn wir uns vorstellen, dass der Rahmen in einem Flugzeug angebracht ist, das sich in die angezeigte Richtung („Vorwärtsrichtung“ in Abbildung 4.12) bewegt, dann ist die Eingangsachse die Nickachse des Flugzeugs. Wenn sich das Flugzeug nach oben oder unten neigt, beginnt das Kreiselrad eine Präzessionsbewegung um die Ausgangsachse und der Messgenerator gibt ein Signal aus, aber anstatt dies durch ein Drehmoment auszugleichen, arbeitet dieses Feedback-System folgendermaßen: Sobald das Flugzeug beginnt, sich um die Nickachse zu drehen, wird der Rahmen, der das Gyroskop in Bezug auf das Flugzeug trägt, in die entgegengesetzte Richtung gedreht, damit die Bewegung rückgängig gemacht wird. Wir drehen es zurück, sodass wir kein Signal mehr erhalten. Mit anderen Worten, wir halten die Plattform mittels Feedback oder Rückführung stabil und in Wirklichkeit bewegen wir das Gyroskop nie! Das ist verdammt viel besser als es zu schwingen und zu drehen und zu versuchen, die Neigung des Flugzeugs durch Messen des Ausgangssignals des Messgenerators herauszufinden! Es ist viel einfacher, das Signal auf diese Weise zurückzuführen, so dass die Plattform sich überhaupt nicht dreht und das Gyroskop seine Achse beibehält – dann können wir den Nickwinkel einfach sehen, indem wir die Plattform mit dem Flugzeugboden vergleichen.
Abbildung 4.12: Schematische Darstellung einer stabilisierten Plattform mit einem Freiheitsgrad, basierend auf einer Originalfolie aus der Vorlesung.
Abbildung 4.13 zeigt eine Schnittzeichnung, die darstellt, wie ein wirkliches Gyroskop mit einem Freiheitsgrad aufgebaut ist. Das Kreiselrad sieht in dieser Zeichnung sehr groß aus, aber der ganze Apparat passt in meine Handfläche. Das Kreiselrad befindet sich in einem Behälter, der in einer ganz kleinen Menge Öl schwimmt – alles in einer kleinen Spalte um den Behälter herum –, aber es ist genug, dass die winzigen Lagersteine an jedem Ende kein Gewicht tragen müssen. Das Kreiselrad dreht sich ständig.
Abbildung 4.13: Schnittansicht eines wirklichen integrierenden Gyroskops mit einem Freiheitsgrad, basierend auf einer Originalfolie aus der Vorlesung.
Die Lager, auf denen es sich dreht, brauchen nicht reibungsfrei zu sein, denn es wird ihnen etwas entgegengesetzt – der Reibung wird die Maschine entgegengesetzt, die einen kleinen Motor dreht, der wiederum das Kreiselrad dreht. Es gibt elektromagnetische Wicklungen („kombinierter Messgenerator und Drehmomenterzeuger“ in Abbildung 4.13), die die minimalen Bewegungen des Behälters erfassen und die Feedbacksignale liefern, die entweder zur Erzeugung eines auf den Behälter ausgeübten Drehmomentes um die Ausgangsachse oder zur Drehung der Plattform, auf der sich das Gyroskop befindet, um die Eingangsachse benutzt werden.
Hier gibt es ein technisches Problem: Um den Motor, der das Gyroskop dreht, mit Energie zu versorgen, müssen wir von einem festen Teil der Vorrichtung Strom in den drehenden Behälter leiten. Das bedeutet, dass Leitungen mit dem Behälter in Kontakt kommen müssen, die Kontakte aber müssen ihrerseits praktisch reibungsfrei sein, und das ist sehr schwierig. Das Problem wird folgendermaßen gelöst: Vier sorgfältig hergestellte, halbrunde Federn werden an Leiter an dem Behälter angeschlossen, wie in Abbildung 4.14 dargestellt. Die Federn sind aus sehr gutem und feinem Material, wie Uhrenfedern. Sie werden ausbalanciert, sodass sie kein Drehmoment erzeugen, wenn sich der Behälter genau in der Nullstellung befindet. Wird der Behälter nur leicht gedreht, erzeugen sie ein kleines Drehmoment – da die Federn so perfekt hergestellt sind, ist dieses Drehmoment allerdings genau bekannt (wir kennen die passenden Gleichungen dafür), sodass es in den Stromkreisen der Feedback-Vorrichtungen korrigiert werden kann.
Abbildung4.14: Elektrische Verbindungen vom Gehäuse zu der schwimmenden Aufhängung in einem Gyroskop mit einem Freiheitsgrad.
Außerdem übt das Öl eine Menge Reibung auf den Behälter aus und dadurch wird ein Drehmoment um die Ausgangsachse erzeugt, wenn der Behälter sich dreht. Aber das Reibungsgesetz für flüssiges Öl ist sehr genau bekannt: Das Drehmoment ist genau proportional zur Drehgeschwindigkeit des Behälters. Und so kann es in den Rechenelementen des Kreises, die für die Rückführung zuständig sind, ebenso wie die Federn, vollständig korrigiert werden.
Das grundlegende Prinzip all dieser genauen Vorrichtungen ist nicht so sehr, alles perfekt zu machen, sondern vielmehr alles sehr eindeutig und präzise zu machen.
Diese Vorrichtung ist wie die wunderbare „one-horse shay“33: Bei der Herstellung eines beliebigen Gegenstandes geht man bis an die absolute Grenze der mechanischen Möglichkeiten zu der jeweiligen Zeit und versucht immer noch, es besser zu machen. Aber das größte Problem ist folgendes: Was passiert, wenn sich die Achse des Kreiselrades nicht mittig im Behälter befindet, wie in Abbildung 4.15 dargestellt? Der Schwerpunkt des Behälters fällt dann nicht mit der Ausgangsachse zusammen und das Gewicht des Rades dreht sich um den Behälter und erzeugt so eine große Menge an unerwünschtem Drehmoment.
Zur Befestigung bohren Sie als Erstes kleine Löcher oder befestigen Gewichte an dem Behälter, damit er so weit wie möglich ausbalanciert wird. Dann messen Sie sehr genau, wie groß die restliche Abweichung ist, und verwenden diesen Messwert zum Justieren. Wenn sie eine bestimmte Vorrichtung, die Sie gebaut haben, messen und feststellen, dass sich die Abweichung nicht auf null reduzieren lässt, können Sie das immer in der Feedback-Schaltung korrigieren. Das Problem in diesem Fall ist jedoch, dass die Abweichung nicht eindeutig ist: Nachdem das Gyroskop zwei oder drei Stunden gelaufen ist, verändert sich der Ort des Schwerpunktes auf Grund von Abnutzung in den Achslagern leicht.
Abbildung 4.15: Eine nicht im Gleichgewicht befindliche schwimmende Aufhängung erzeugt ein unerwünschtes Dreh- moment um die Ausgangsachse in einem Gyroskop mit einem Freiheitsgrad.
Heute sind Gyroskope dieser Art über hundert Mal besser als jene, die vor 10 Jahren gebaut wurden. Die Allerbesten haben nur noch eine Abweichung von 1/100 eines Grades pro Stunde. Für die in Abbildung 4.13 dargestellte Vorrichtung bedeutet das, dass sich der Schwerpunkt des Kreiselrades nicht mehr als 1/10 eines Millionstel Inches34 vom Mittelpunkt des Behälters weg bewegen kann! Gute mechanische Praxis liegt bei 100 Millionstel eines Inches, das heißt, dass dieses Gyroskop noch tausend Mal besser sein muss als gute mechanische Praxis. Das ist tatsächlich eines der größten Probleme – eine Abnutzung der Achslager zu vermeiden, damit sich das Gyroskop nicht mehr als 20 Atome zu jeder Seite vom Mittelpunkt weg bewegen kann.
Die Vorrichtungen, über die wir gesprochen haben, können uns die Aufwärtsrichtung anzeigen oder verhindern, dass sich etwas um eine Achse dreht. Wenn wir drei solcher Vorrichtungen mit allen Sorten von kardanischer Aufhängung und so weiter an drei Achsen befestigen, können wir eine Sache absolut stationär halten. Während das Flugzeug eine Kurve fliegt, bleibt die Plattform innen drin horizontal und bewegt sich nie nach rechts oder links. Sie macht gar nichts. Auf diese Weise können wir unseren Norden oder Osten oder unsere Auf- und Abwärtsrichtung oder jede andere Richtung beibehalten. Aber das nächste Problem ist herauszufinden, wo wir sind: Wie weit haben wir uns bewegt?
Nun, Sie wissen, dass Sie in einem Flugzeug nicht messen können, wie schnell es sich bewegt, also können Sie sicherlich auch nicht messen, wie weit es geflogen ist, aber Sie können messen, wie stark es beschleunigt. Wenn wir anfangs keine Beschleunigung messen, sagen wir: „Wir sind in Nullposition und haben keine Beschleunigung.“ Wenn wir starten, müssen wir beschleunigen. Wenn wir beschleunigen, können wir das messen. Und wenn wir dann die Beschleunigung mit einer Rechenmaschine integrieren, können wir die Geschwindigkeit des Flugzeugs berechnen, und wenn wir auch die integrieren, können wir die Position des Flugzeugs bestimmen. Um herauszufinden, wie weit sich etwas bewegt hat, müssen wir deshalb die Beschleunigung dieses Etwas messen und dann zweimal integrieren.
Abbildung 4.16: Schematische Darstellung eines einfachen Beschleunigungsmessers, basierend auf einer Originalfolie aus der Vorlesung.
Wie misst man die Beschleunigung? Abbildung 4.16 zeigt die schematische Darstellung einer Vorrichtung zur Beschleunigungsmessung. Der wichtigste Bestandteil ist einfach ein Gewicht („seismische Masse“ in der Abbildung). Außerdem gibt es eine Art schwache Feder (elastische Rückhaltevorrichtung), um das Gewicht mehr oder weniger in Position zu halten, und einen Dämpfer, um Schwingungen des Gewichtes zu verhindern. Aber diese Details sind unwichtig. Jetzt nehmen wir an, diese ganze Vorrichtung wird in Vorwärtsrichtung beschleunigt, das heißt in die Richtung, in die der Pfeil zeigt (sensitive Achse). Dann beginnt das Gewicht natürlich, sich zurückzubewegen, und wir benutzen die Skala (Skala mit den angezeigten Beschleunigungswerten) um zu messen, wie weit sich das Gewicht zurückbewegt. Damit können wir die Beschleunigung bestimmen und wenn wir die zweimal integrieren, erhalten wir die Entfernung. Wenn wir beim Messen der Position des Gewichtes einen kleinen Fehler machen, so dass die Beschleunigung, die wir damit berechnen, an einer Stelle leicht abweicht, dann weicht nach langer Zeit, über die wir zweimal integriert haben, die Entfernung natürlich schon erheblich ab. Also müssen wir die Vorrichtung verbessern.
Die nächste Stufe der Verbesserung, schematisch dargestellt in Abbildung 4.17, verwendet unser bekanntes Feedback-Prinzip: Wenn diese Vorrichtung beschleunigt, bewegt sich die Masse, und die Bewegung führt dazu, dass ein Messgenerator eine Spannung ausgibt, die proportional zur Entfernung ist. Der Trick ist jetzt folgender: Anstatt einfach die Spannung zu messen, wird sie über einen Verstärker an eine Vorrichtung zurückgeführt, die das Gewicht zurückzieht. So können wir herausfinden, wie groß die Kraft ist, die erforderlich ist, um eine Bewegung des Gewichtes zu verhindern.
Abbildung 4.17: Schematische Darstellung eines Unwucht-Beschleunigungsmessers mit Kraftrückführung, basierend auf einer Originalfolie aus der Vorlesung.
Mit anderen Worten, anstatt Bewegungen des Gewichtes zuzulassen und zu messen, wie weit es sich bewegt, messen wir die Reaktionskraft, die erforderlich ist, um es im Gleichgewicht zu halten, und dann bestimmen wir mit F = ma die Beschleunigung.
Eine Ausführungsart dieser Vorrichtung ist schematisch in Abbildung 4.18 dargestellt. Abbildung 4.19 ist eine Schnittzeichnung, die zeigt, wie die wirkliche Vorrichtung aufgebaut ist. Sie sieht dem Gyroskop aus Abbildung 4.11 und Abbildung 4.13 sehr ähnlich, außer dass der Behälter leer aussieht: Anstelle eines Gyroskops gibt es nur ein an der einen Seite nahe dem Boden angebrachtes Gewicht. Der gesamte Behälter schwimmt, sodass er insgesamt von flüssigem Öl getragen und im Gleichgewicht gehalten wird (er bewegt sich auf wunderschönen, feinen Lagersteinen) und die beschwerte Seite des Behälters bleibt natürlich als Folge der Schwerkraft unten.
Abbildung 4.18: Schematische Darstellung eines Beschleunigungsmessers mit schwimmender Aufhängung mit Drehmomentrückführung, basierend auf einer Originalfolie aus der Vorlesung.
Abbildung 4.19: Schnittansicht eines wirklichen Beschleunigungsmessers mit schwimmender Aufhängung, basierend auf einer Originalfolie aus der Vorlesung.
Diese Vorrichtung wird benutzt, um die horizontale Beschleunigung in der zur Achse des Behälters senkrechten Richtung zu messen. Sobald die Vorrichtung in dieser Richtung beschleunigt, bewegt sich das Gewicht verzögert und verschiebt die Seite des Behälters, der sich auf seinen Zapfen dreht, über ihre normale Position hinaus. Der Messgenerator gibt sofort ein Signal aus, und dieses Signal wird an die Wicklungen des Drehmomenterzeugers weitergegeben, um den Behälter in seine ursprüngliche Position zurückzuziehen. Wie vorhin führen wir ein Drehmoment zurück, um Dinge wieder in ihre korrekte Position zu bringen, und wir messen, wie groß das erforderliche Drehmoment ist, um das Ding am Schütteln zu hindern. Dieses Drehmoment gibt uns an, wie groß die Beschleunigung ist.
Eine andere interessante Vorrichtung zum Messen der Beschleunigung, die genau genommen eine der beiden nötigen Integrationen automatisch durchführt, ist in Abbildung 4.20 schematisch dargestellt. Die Anordnung ist die gleiche wie die Vorrichtung in Abbildung 4.11, außer dass sich auf der einen Seite der Drehachse ein Gewicht („Pendelmasse“ in Abbildung 4.20) befindet. Wenn diese Vorrichtung nach oben beschleunigt wird, wird ein Drehmoment auf das Gyroskop ausgeübt, und dann gilt das Gleiche wie für unsere andere Vorrichtung – das Drehmoment wird nur durch eine Beschleunigung verursacht und nicht durch das Drehen des Behälters. Der Messgenerator, der Drehmomenterzeuger und der ganze Kram, das ist alles gleich. Die Rückführung wird benutzt, um den Behälter um die Ausgangsachse zurückzudrehen. Um den Behälter im Gleichgewicht zu halten, muss die nach oben gerichtete, auf das Gewicht ausgeübte Kraft proportional zur Beschleunigung sein, aber die nach oben gerichtete, auf das Gewicht ausgeübte Kraft ist proportional zur Winkelgeschwindigkeit, mit der der Behälter gedreht wird, sodass die Winkelgeschwindigkeit des Behälters proportional zur Beschleunigung ist. Das bedeutet, dass der Winkel des Behälters proportional zur Geschwindigkeit ist. Wenn Sie messen, wie weit sich der Behälter gedreht hat, erhalten Sie die Geschwindigkeit – und somit ist die eine Integration schon erledigt. (Das heißt nicht, dass dieser Beschleunigungsmesser besser ist als der andere. Was in einer bestimmten Anwendung am besten funktioniert, hängt von einer Reihe technischer Details ab, und das ist eine Frage der Konstruktion.)
Abbildung 4.20: Schematische Darstellung eines integrierenden Pendelkreisels mit einem Freiheitsgrad, der als Beschleunigungsmesser verwendet wird. Der Drehwinkel der Aufhängung zeigt die Geschwindigkeit an. Basierend auf einer Originalfolie aus der Vorlesung.
So, wenn wir einige solcher Vorrichtungen bauen, können wir sie auf einer Plattform zusammen anordnen, wie in Abbildung 4.21 dargestellt, und so ein vollständiges Navigationssystem zusammenstellen. Die drei kleinen Zylinder (Gx, Gy, Gz) sind Gyroskope mit drei jeweils zueinander senkrecht stehenden Achsen und die drei rechteckigen Kästchen (Bx, By, Bz) sind Beschleunigungsmesser, jeweils einer für jede Achse. Diese Gyroskope mit ihren Feedback-Systemen halten die Plattform im absoluten Raum, ohne in irgendeine Richtung zu drehen – es gibt weder Gieren noch Stampfen noch Rollen –, während das Flugzeug (oder Schiff oder wo immer es auch angebracht ist) seine Richtung ändert, sodass die Plattformebene immer sehr genau fixiert ist. Das ist sehr wichtig für die Beschleunigungsmesser, denn Sie müssen genau wissen, in welcher Richtung die messen: Wenn sie schief und krumm sind, sodass das Navigationssystem denkt, sie sind in die eine Richtung gedreht worden, sie aber tatsächlich in eine andere Richtung gedreht worden sind, dann spielt das System verrückt. Der Trick ist, dass man die Beschleunigungsmesser in einer festen Ausrichtung im Raum hält, sodass es einfach ist, die Wegberechnungen zu machen.
Die Ausgangsgrößen des x-, y- und z-Beschleunigungsmessers gehen in Integrationsverstärker, die den Weg durch zweimaliges Integrieren in jeder Richtung berechnen. Nehmen wir an, wir starten aus der Ruhelage von einem bekannten Ort aus, dann können wir auf diese Weise jederzeit wissen, wo wir uns befinden. Und wir wissen auch, in welche Richtung wir uns bewegen, weil die Plattform sich immer noch in derselben Richtung wie bei unserem Start befindet (im Idealfall). Das ist die allgemeine Idee. Ich muss allerdings ein paar Anmerkungen dazu machen.
Abbildung 4.21: Ein vollständiges Navigationssystem mit drei Gyroskopen und drei Beschleunigungsmessern, montiert auf einer stabilisierten Plattform, basierend auf einer Originalfolie aus der Vorlesung.
Überlegen Sie beim Messen der Beschleunigung zuerst, was passiert, wenn die Vorrichtung einen Fehler von z. B. einem Millionstel erzeugt. Nehmen wir an, die Vorrichtung befindet sich in einer Rakete und muss Beschleunigungen von bis zu 10 g messen. Es wäre schwierig, weniger als 10−5g mithilfe einer Vorrichtung aufzulösen, die bis zu 10 g messen kann (ich bezweifle in der Tat, ob Sie das könnten). Aber es zeigt sich, dass ein Fehler von 10−5g in der Beschleunigung nach zweimaliger Integration über eine Stunde eine Ortsabweichung von mehr als einem halben Kilometer bedeutet – nach 10 Stunden sind das mehr als 5,0 Kilometer und das ist eine erhebliche Abweichung. Dieses System arbeitet also nicht einfach weiter. Bei Raketen spielt das keine Rolle, weil die gesamte Beschleunigung ganz am Anfang passiert und die Raketen danach frei herumfliegen. Aber bei einem Flugzeug oder Schiff muss man das System genauso wie einen normalen Kurskreisel von Zeit zu Zeit neu einstellen um sicherzustellen, dass es immer noch gleich ausgerichtet ist. Das kann man nach der Position eines Sterns oder nach dem Stand der Sonne machen. Aber wie überprüft man das in einem U-Boot?
Nun, wenn wir eine Meereskarte haben, können wir sehen, ob wir über einen Berggipfel oder so etwas gefahren sind, der unter uns liegen musste. Aber nehmen wir an, wir haben keine Karte – auch dann gibt es eine Überprüfungsmöglichkeit! Hier die Idee: Die Erde ist rund und wenn wir bestimmt haben, dass wir z. B. 100 Kilometer in eine Richtung gefahren sind, dann sollte die Gravitationskraft nicht mehr in dieselbe Richtung zeigen wie zuvor. Wenn wir die Plattform nicht senkrecht zur Gravitationskraft halten, dann sind die Ausgangsgrößen der Beschleunigungsmessvorrichtungen alle falsch. Deshalb machen wir Folgendes: Wir starten mit der Plattform in horizontaler Position und verwenden die Beschleunigungsmessvorrichtungen, um unseren Ort zu berechnen. Entsprechend dem Ort rechnen wir aus, wie wir die Plattform drehen sollten, damit sie in horizontaler Position bleibt, und wir drehen sie mit einer für das Halten in horizontaler Position vorausberechneten Geschwindigkeit. Das ist einerseits sehr praktisch – andererseits ist es genau das, was unser Problem löst!
Überlegen wir, was passieren würde, wenn es einen Fehler gäbe. Nehmen wir an, die Maschine stände einfach in einem Raum, ohne sich zu bewegen, und nach einiger Zeit wäre die Plattform auf Grund eines Konstruktionsfehlers nicht mehr horizontal, sondern hätte sich leicht gedreht, wie in Abbildung 4.22(a) dargestellt. Dann wären die Gewichte in den Beschleunigungsmessern entsprechend einer Beschleunigung verschoben und die von dem Mechanismus berechneten Orte würden Bewegung nach rechts, Richtung (b), anzeigen. Das System, das versucht, die Plattform in horizontaler Position zu halten, würde sie leicht drehen und schließlich, wenn die Plattform wieder in horizontaler Position wäre, würde das System nicht mehr merken, dass es beschleunigt. Auf Grund der scheinbaren Beschleunigung würde das System allerdings immer noch denken, dass es eine Geschwindigkeit in derselben Richtung hat, und so würde der Mechanismus, der versucht, die Plattform in horizontaler Position zu halten, die Plattform weiter sehr langsam drehen, bis sie sich, wie in Abbildung 4.22(c) dargestellt, nicht mehr in der horizontalen Position befände. Tatsächlich würde das System den Nullpunkt der Beschleunigung durchlaufen und dann denken, dass es in der entgegengesetzten Richtung beschleunigt. So hätten wir eine sehr kleine schwingende Bewegung und die Fehler würden sich nur über eine dieser Schwingungen summieren. Wenn Sie alle Winkel, Drehungen und was weiß ich noch alles berechnen, braucht man für eine dieser Schwingungen 84 Minuten. So muss man die Vorrichtung nur so gut machen, dass sie innerhalb eines Zeitraums von 84 Minuten die passende Genauigkeit hat, weil sie sich in dieser Zeit selbst korrigiert. Das ist wie bei einem Flugzeug, in dem der Kreiselkompass von Zeit zu Zeit mit einem magnetischen Kompass abgeglichen wird, aber in diesem Fall wird der Mechanismus wie beim künstlichen Horizont mit der Schwerkraft abgeglichen.
Abbildung 4.22: Die Erdanziehungskraft wird benutzt um zu überprüfen, dass die stabilisierte Plattform in horizontaler Position bleibt.
In ungefähr derselben Weise wird das Azimutsystem in einem U-Boot (das angibt, wo Norden ist) von Zeit zu Zeit mit einem Kreiselkompass abgeglichen, der über große Zeitspannen mittelt, sodass die Bewegungen des Schiffes keinen Unterschied machen. So können Sie den Azimut mit dem Kreiselkompass abgleichen und die Beschleunigungsmesser mit der Schwerkraft. Auf diese Weise summieren sich die Fehler nicht ständig, sondern nur etwa über anderthalb Stunden.
In der Nautilus gab es drei ungeheuer große Plattformen dieser Art, jede in einem riesengroßen Ball, wobei alle Bälle direkt nebeneinander an der Decke des Navigationsraums aufgehängt waren. Die Plattformen waren völlig unabhängig voneinander, falls eine von ihnen ausfallen sollte (oder falls sie keine übereinstimmenden Messwerte anzeigen sollten), würde der Navigator die beiden besten von den dreien nehmen (das dürfte ihn ziemlich nervös gemacht haben!). Diese Plattformen waren alle unterschiedlich, als sie gebaut waren, denn man kann nicht alles perfekt machen. Die durch leichte Ungenauigkeiten verursachte Abweichung musste in jeder Vorrichtung gemessen werden und die Vorrichtungen mussten zum Ausgleich kalibriert werden.
Es gibt am Jet Propulsion Laboratory ein Labor, in dem einige dieser neuen Vorrichtungen getestet werden. Es ist ein interessantes Labor, wenn Sie überlegen, wie Sie eine solche Vorrichtung überprüfen würden: Sie möchten nicht in ein Schiff steigen und herumfahren. Nein, in diesem Labor wird die Vorrichtung mit der Erdrotation abgeglichen! Wenn die Vorrichtung empfindlich ist, dreht sie sich auf Grund der Erdrotation und weicht ab. Durch das Messen der Abweichung können Korrekturen innerhalb sehr kurzer Zeit bestimmt werden. Dieses Labor ist wahrscheinlich das einzige auf der Welt, dessen Hauptmerkmal – das, was das Labor am Leben erhält – die Tatsache ist, dass die Erde sich dreht. Für das Abgleichen wäre es recht unpraktisch, wenn die Erde sich nicht drehen würde!