1.4 Markenbekanntheit, Kundengewinnung, Sales – wofür Sie Social Media einsetzen können
Bevor es Bestellungen, Aufträge und Sales regnet, müssen Sie etwas dafür tun: für Bekanntheit und Reichweite sorgen. Mittlerweile ist dies auch bei den meisten deutschen Unternehmen angekommen, die Social Media Marketing betreiben. Am häufigsten verfolgen deutsche Unternehmen mit Social Media Marketing das Ziel, die Bekanntheit der Marke/des Unternehmens zu steigern, gefolgt von der Akquise neuer Kunden und dem Aufbau von Kundenbeziehungen. Neben der Kundengewinnung gibt es noch eine ganze Reihe anderer Ziele, die sich mit Social Media verfolgen lassen, wie es die Erfolgsmessungsmatrix des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft e. V. (BVDW) zeigt (siehe Abbildung 1.6).
Abbildung 1.6 Vom Unternehmensziel zum Social-Media-Ziel (Quelle: BVDW, http://www.bvdw.org/themen/publikationen/detail/artikel/erfolgsmessung-in-social-media)
1.4.1 Social Media im Marketingmix
Social Media werden in allen Bereichen des Marketingmix eingesetzt. Am häufigsten werden Social Media im Bereich der Kommunikation genutzt. Das ist historisch bedingt, da Social Media die Kommunikation mit den Kunden stark verändert hat. Social Media sind daher noch immer kommunikative Maßnahmen in einer Firma und werden deshalb häufig an solchen Kennzahlen gemessen (Reichweite, Share-of-Voice). Online Reputation Management ist eine wichtige Disziplin der Social-Media-Kommunikation, um den guten Ruf des Unternehmens zu schützen, Krisen vorzubeugen und das Unternehmensimage zu stärken. Gleichzeitig wird Social-Media-Kommunikation eingesetzt, um die eigenen Produkte und Dienstleistungen bekannter zu machen (Marken-Branding) und die Kundenbindung und Markenloyalität zu erhöhen. Social Media lassen sich aber auch im Vertrieb und im Produktionsprozess (Crowdsourcing), als Marktforschungsinstrument (Social Media Monitoring) und in der Finanzierung von Produkten (Crowdfunding) einsetzen.
1.4.2 Social Media für Kommunikationszwecke nutzen
Social Media beweisen immer wieder, dass sich Menschen gern über Produkte und Dienstleistungen austauschen. Das liegt schlichtweg daran, dass Menschen nur mit Menschen – und nicht mit den Produkten selbst – kommunizieren können und wollen. Natürlich gibt es die Love Brands und Menschen, die stark mit einer Marke verbunden sind, sodass man von »Liebe« sprechen kann. Im Grunde geht es jedoch um Folgendes: Diese Produkte helfen ihnen dabei, ihr Leben ein bisschen besser und einfacher zu machen. Damit jedoch jemand ein Produkt kauft, braucht es Menschen, die andere davon überzeugen. Das geschieht nur über Kommunikation – vor allem in Social Media. Social Media bieten Plattformen, auf denen Sie Ihre Kunden mit Ihren Geschichten am besten erreichen und begeistern können.
1.4.3 Best Practice Coca-Cola: User teilen ihre Coke in Social Media
Mit der Individualisierungskampagne #MeineCoke ist es Coca-Cola gelungen – online und offline – Awareness für das Brausegetränk zu generieren, an dem sich grundlegend nichts geändert hat, nur die Verpackung. Coca-Cola nahm die höheren Produktionskosten in Kauf, druckte 150 Vornamen und Begriffe aus dem Jugendwortschatz auf das Label und brachte so die Flaschen in den Handel. Kunden konnten anschließend auf der Website www.meinecoke.de ihre eigene Coke mit einem individuellen Namen kreieren (siehe Abbildung 1.7). Ein schöner Nebeneffekt ist folgender: Eigentlich sollten ja Schriftzüge wie »Mama« oder »Held« draufstehen, tatsächlich haben Spaßvögel die Kampagne aber auch für Schimpfwörter und andere unbequeme Phrasen genutzt, beispielsweise »Anabolika« oder »Vollpfosten«. Dem Erfolg tat das allerdings keinen Abbruch. Die Social-Media-Welt hat das Angebot gerne angenommen und Bilder der individuellen Flaschen durch Facebook gejagt. #MeineCoke zählt zu den erfolgreichsten User-Generated-Content-Strategien mithilfe von Mass Customization.
Und jetzt stellen Sie sich vor, diese Kampagne hätte es vor 15 Jahren gegeben – ohne Social Media. Die PR hätte etwas von individuellem Lifestyle erzählt. Zeitungen und Zeitschriften hätten vielleicht darüber berichtet, dass immer mehr Menschen einen immer individuelleren Lifestyle wählen und dies jetzt mit Coca-Cola-Flaschen zeigen. Langweilig, oder? Aber wenn Ihr Freund eine Coke mit Ihrem Namen auf Ihrer Facebook-Pinnwand postet, ist das ein Dank an Ihre Freundschaft, und schon wird das Produkt emotionaler für Sie. Sie fühlen sich geschmeichelt und danken es mit einer individuellen Coke zurück mit dem Namen Ihres Freundes und bestellen gleich noch eine mit dem Namen Ihrer Frau. Und das geht so weiter und weiter.
Abbildung 1.7 Coca-Cola trifft mit seiner Individualisierungskampagne den Nerv der Zeit: Poesiealbum in Social Media.
Coca-Cola nutzte einfach nur das grundsätzliche Bedürfnis nach geselligem Beisammensein. Die besten Kampagnen sind manchmal so einfach, und die besten Geschichtenerzähler sind die Kunden selbst – und das mit Erfolg: Die Nutzer teilten ihre individuellen Brauseaufdrucke in Social Media und lösten Begeisterung für ein Produkt aus, das alle schon kennen und an dem sich grundlegend nichts geändert hat. Selbst Heino ließ es sich nicht nehmen, seine Coke in Facebook zu teilen (siehe Abbildung 1.8).
Abbildung 1.8 Die Begeisterung für #MeineCoke war so groß, dass selbst Heino seine Coke in Facebook teilte. (Quelle: www.facebook.com/HEINO.de/photos/a.137683796280494.20752.113353862046821/521079911274212)
1.4.4 Märkte sind noch immer Gespräche
»Märkte sind Gespräche« lautet die erste und wahrscheinlich wichtigste These im »Cluetrain Manifest«. Das mittlerweile über 20 Jahre alte Manifest ist erst heute im deutschsprachigen Raum richtig spürbar. Nicht alle der 95 Thesen des Manifests erheben heute noch Anspruch auf volle Gültigkeit. Gemeinsam ist allen Thesen jedoch die unverfälschte Stimme der User im Netz. Das Bedürfnis der Internetnutzer, ihre Statements zu Produkten im Internet zu veröffentlichen, geht auf die Weiterempfehlungen im »richtigen Leben« zurück. Informationen, Nachrichten und Empfehlungen wurden schon immer unter den Menschen ausgetauscht. Dies ist ein nicht steuerbarer Prozess. Über die Verbraucher sagt das Manifest: »Wir sind keine Zielgruppen oder Endnutzer oder Konsumenten. Wir sind Menschen – und unser Einfluss entzieht sich eurem Zugriff.« Dieser Satz ist provokant, und Sie werden sich als Unternehmer fragen, warum Sie dann überhaupt mit den Usern in Kontakt treten sollen. In Social Media hat dieser Satz jedoch seine Berechtigung. Empfehlungen in sozialen Medien werden nur deshalb ernst genommen, weil sie von Menschen für Menschen geschrieben sind. Wenn Sie als Unternehmer zu Ihrer Zielgruppe in Social Media sprechen wollen, müssen Sie persönlich und ehrlich sein. Seien Sie keine Marke, seien Sie Mensch! Sie müssen so kommunizieren, als würden Sie den User persönlich kennen. Sie müssen sich zu 100 % auf den Kunden einlassen, seine Wünsche anhören und versuchen, ihn zu verstehen.
2015 haben die Autoren das Manifest überarbeitet und die »New Clues«, siehe http://newclues.cluetrain.com, veröffentlicht. Die Neuauflage liest sich jedoch eher wie eine Anklage als ein Manifest, wenn die Autoren beklagen, dass das Internet seine demokratischen Grundprinzipien einbüßt. Unrecht haben sie damit natürlich nicht, aber die New Clues haben den Glanz des Manifests verloren.
Tipp: Marktforschung in Foren
Motor-Talk.de ist eines der größten Internetforen über Auto und Motor mit über 2,4 Millionen registrierten Nutzern. Dort tauschen sich Autoliebhaber und Motorradfans aus, geben sich gegenseitig Tipps, bieten Gebrauchtfahrzeuge an usw. Für die Automobilbranche sind das 2,4 Millionen potenzielle Kunden. Für die Automobilindustrie mit ihren Beratern, Händlern und Werkstätten ist Motor-Talk.de ein wichtiger Partner, um Einblicke in die Lebenswelt der Verbraucher zu erlangen und Kundenmeinungen zu aggregieren, die in der üblichen Marktforschung verloren gehen. Motor-Talk quantifiziert die Daten aus den Foren und Gesprächen für Automobilmarken und stellt sie ihnen gegen Bezahlung zur Verfügung. Verkaufsoffensiven sind in solch einem Forum jedoch nicht gefragt.
1.4.5 Social Media sind Treiber für Online-Mundpropaganda
Soziale Netzwerke sind wie Mundpropaganda, nur online. Zufriedene Kunden sind die besten Multiplikatoren, offline und online. Nur sind Reichweite und Sichtbarkeit online einfach viel, viel höher. Social Media sind also nichts anderes als Empfehlungsmarketing. Wenn Sie mit Ihrem Unternehmen in sozialen Netzwerken präsent sind, können Sie Ansprechpartner sein und bei Fragen weiterhelfen, Ihre Kompetenz zeigen und einen Ort anbieten, an dem Ihre zufriedenen Kunden ihrer Zufriedenheit Ausdruck verleihen können. Speziell an sozialen Netzwerken ist, dass die Verweildauer der User darin viel größer ist als auf herkömmlichen Websites und es um den Austausch von persönlichen Informationen und Empfehlungen geht. Besonders spannende, unterhaltsame oder dramatische Informationen verbreiten sich wie ein Lauffeuer. Das können Sie sich als Unternehmen ebenfalls zunutze machen.
Rechtstipp von Sven Hörnich: Rechtliche Probleme des Zielgruppenmarketings auf der Grundlage (nicht selten leider rechtswidrig) erlangter Datensätze großer Suchmaschinenkonzerne und Social Networks
Dass es für einen lokalen Anbieter (beispielsweise) laktosefreier Milchprodukte interessant sein kann, dass seine Werbung jeden Morgen genau den 1.000 Bürgern seiner Region angezeigt wird, die eine Milchallergie haben, morgens typischerweise Müsli essen und regelmäßig nach dem Aufstehen ihre Handynachrichten (darunter die aus ihren sozialen Netzwerken) checken, liegt auf der Hand. Ebenso müsste aber auch auf der Hand liegen, dass eben diese Betroffenen ein Interesse an sonstigen Informationen haben könnten (z. B. an alternativen Produkten oder gar Behandlungsmöglichkeiten). Über die datenschutzrechtliche Zulässigkeit dieser Werbeformen nach den Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) wird im Hinblick auf die aktuellen Möglichkeiten der Werbetreibenden heftig gestritten. Die wohl seriöseren Stimmen gehen selbst dann, wenn sie die Verarbeitung durch eine Interessenabwägung nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f. DSGVO rechtfertigen wollen, von deren Unzulässigkeit aus. Hintergrund ist erneut, dass der User kaum transparent über den Umfang der Verarbeitung belehrt werden kann. Der Anbieter laktosefreier Milch wird jedenfalls kaum wissen, woher sein Werbepartner die Informationen erhalten bzw. im Sinne eines Profils extrahiert hat, um eben diese Werbeform zu ermöglichen. Dass zudem ein Betroffener nach einer ausreichenden (nicht nur im Fließtext versteckten sowie ausreichend transparenten) Belehrung tatsächlich in diese Form der Werbung einwilligen würde (die ungefähre Aussage: »Hey! Wir möchten dir spannende Werbung zeigen!« dürfte nicht genug sein), ist unwahrscheinlich. Nicht selten ist es zudem so, dass man als Werbetreibender in dem Moment dem Anbieter zugleich erneut die Möglichkeit einräumt, weitere Nutzerdaten (teils wohl auch hier rechtswidrig) zu akquirieren.
Ein Beispiel: Sie binden einen Werbeclip über eine der großen Videoplattformen in Ihre Website ein und schalten zugleich über diesen Anbieter Werbung, die – je nach Interessenlage der User – vor dem Abspielen anderer (spannender) Clips auf Ihren Beitrag verweist. Zunächst haben Sie keine Kenntnis, woher der Videoplattformbetreiber jene Daten bezieht, mit deren Hilfe er »Ihre« künftigen Kunden auswählt und anspricht, können also auch innerhalb der Ansprache nicht ausreichend belehren. Zugleich ermöglichen Sie aber eben diesem Anbieter durch Einbinden Ihres Beitrags in Ihre Website die Möglichkeit, personenbezogene Daten Ihrer Seitenbesucher zu sammeln, dies zudem auch ohne Kenntnis des Besuchers bereits mit dem Seitenaufruf, so Sie nicht z. B. bei YouTube den sogenannten erweiterten Datenschutzmodus nutzen. Aber auch letztgenannter Modus reicht nicht aus, denn spätestens mit dem Aufruf bzw. Abspielen des eingebetteten Videos würden Daten an den Plattformbetreiber abfließen, weshalb Ihr Besucher – z. B. durch einen entsprechenden Content-Filter – vor dem Abspielen des Clips ausreichend transparent belehrt werden muss. Auch hier stellt sich das Problem, dass Ihnen für eine ausreichend transparente Belehrung die hinreichenden Kenntnisse der Praxis des Betreibers der Videoplattform fehlen dürften. Je nach Branche finden sich dazu in der Folge recht witzige Formulierungen. In der Beratungspraxis für durch unsere Kanzlei vertretene Künstler entwickelten wir beispielsweise einmal diesen Warnhinweis:
»Deine persönlichen Daten sind in Gefahr! Also ich würde keinesfalls das Video laden! Falls Du nun für ein unsinniges Video dennoch auf Video trotz datenschutzrechtlicher Risiken laden klicken und Deine Privatsphäre offenlegen willst…sei hiermit wenigstens gewarnt!
Mehr erfahren
[Video trotz datenschutzrechtlicher Risiken laden]«
Entgegen dem ersten Eindruck erweisen sich übrigens solche ehrliche(re)n Hinweise marketingtechnisch nicht unbedingt als Flopp. Denn ein lächelnder User kann leichter mit einer eigentlich beunruhigenden (da transparenten) Information umgehen. Der vorstehende Passus eignet sich aber freilich eher für den künstlerischen Bereich als für eine Bank. Der Link Mehr erfahren enthielt im angeführten Beispiel übrigens eine seriösere Darstellung der Datenschutzthematik.
Zwischenzeitlich finden sich übrigens – ob »dank« oder »wegen« der DSGVO sei der politischen Diskussion vorbehalten – eine Reihe europäischer (auch deutscher) zahlungspflichtiger Anbieter, die Werbetreibende als Alternative für die durch Datensammlung finanzierten Branchenriesen zum Zweck des Vorhaltens und Präsentierens von Produktvideos nutzen können. Dort behalten Sie nach Angaben der Anbieter die Kontrolle über Ihre Daten und die Daten Ihrer Kunden.
1.4.6 Die Bedeutung von Social Media in der Consumer Journey
Social Media spielen bei Kaufentscheidungen eine große Rolle. Empfehlungen von Freunden und Bekannten beeinflussen die Kaufentscheidung Ihrer Kunden nachhaltig. In dem Zyklus vom ersten Kaufinteresse bis hin zur finalen Kaufentscheidung spielen immer wieder die Meinungen anderer Personen eine Rolle, wie es das Kaufentscheidungsmodell[ 6 ] von McKinsey zeigt (siehe Abbildung 1.9). Laut McKinsey informieren sich mehr als 50 % der befragten Konsumenten sowohl auf den Internetseiten der Händler und Hersteller als auch in Foren und Online-Communitys. Weniger als 5 % der Konsumenten nutzen klassische Medien als Informationsquelle, um sich vor einer konkreten Kaufentscheidung über ein Produkt zu informieren. »Ob im klassischen Einzelhandel, in der Bankfiliale oder im Internet – die Kunden informieren sich eingehender und nutzen mehr Möglichkeiten zum Erfahrungsaustausch untereinander«, sagt Christoph Erbenich, Partner bei McKinsey, »Die klassische Marketingkommunikation reicht allein nicht mehr aus, um die Kaufentscheidung wesentlich zu beeinflussen.« Ihre potenziellen Kunden wählen also aus einer kleinen Markenauswahl die Marken aus, die auch bei Bekannten und Freunden sowie bei Bewertungsportalen gut abgeschnitten haben. Für 41 % der 16- bis 24-Jährigen genügt ein negativer Kommentar, egal, ob von einem engen Freund oder einer »anonymen Bewertung in Amazon«, um seine Kaufentscheidung zu beeinflussen. Nach dem Kauf – wenn der Kunde das Produkt nutzt – ist er besonders bereit, es weiterzuempfehlen. Das klassische Marketing vernachlässigt diesen Loyalitätszyklus. Mit Social Media Marketing können Sie auf die Rückmeldungen reagieren, Empfehlungen forcieren und so Markenloyalität aufbauen.
Abbildung 1.9 Das Kaufentscheidungsmodell von McKinsey (Grafik: Justus Wunschik, bfmg.de)
Marketing-Take-away: Durch Meinungsführer die Masse erreichen
Wenn ein Produkt am Markt gelauncht wird, werden zuerst sogenannte Innovatoren darauf aufmerksam, bevor immer mehr und mehr Verbraucher (Early Adopters) dieses Produkt kaufen und Unternehmen dadurch die Early Majority (die frühe Mehrheit) an Käufern erreichen. Hat sich das Produkt durchgesetzt, erreicht es die Late Majority (die späte Mehrheit). Solche Zyklen sind bei allen Produkten zu beobachten. Innovatoren und Early Adaptors können mit den Meinungsführern Hand in Hand gehen. Die Begeisterung für das Produkt führt bei den Meinungsführern dazu, dass sie ihre positiven sowie negativen Erfahrungen mit neuen Produkten an andere Personen weitergeben.
1.4.7 Social Media im Vertrieb nutzen
Social Media werden als Vertriebskanal unterschätzt. Das mag daran liegen, dass es beim Aufkommen der sozialen Netzwerke noch vollkommen verpönt war, Angebote in den sozialen Netzwerken zu posten. Dabei wünschen sich die Kunden sogar Sonderangebote und Rabatte bzw. wollen über Angebote informiert werden. Auch im B2B hat spätestens seit der Corona-Krise der proaktive persönliche Vertrieb via Social Media extrem an Fahrt aufgenommen (Stichwort: Social Selling via LinkedIn und XING).
1.4.8 Kundenservice in Social Media
Mit Social Media Marketing lassen sich signifikante Verbesserungen im Bereich Kundenservice und Beschwerdemanagement erzielen, beispielsweise indem Sie einen Teil der Serviceanfragen direkt in Social Media beantworten. Als sehr gutes Beispiel ist hier der Service der Telekom zu nennen. Aber auch lokale Unternehmen, Zahnärzte, Reinigungsdienste usw. setzen Social Media als Serviceschnittstelle ein – nicht zuletzt auch, um Kunden zu gewinnen. Social Media bieten wichtige Berührungspunkte während der Customer Journey. Liefern Sie schon in der frühen Phase der Kundenanbahnung die richtige und konkrete Hilfestellung, verhindern Sie, dass die Customer Journey unterbrochen wird. Sie erleichtern dem Kunden seine Kaufentscheidung und stärken gleichzeitig das Vertrauen in Ihr Unternehmen.
Abbildung 1.10 Social Service innerhalb weniger Minuten von Ottonova
Ein Beispiel, wie so eine Customer Journey via Social Support funktioniert, sehen Sie in Abbildung 1.10. Es zeigt die Korrespondenz mit dem Krankenversicherer Ottonova, der innerhalb weniger Minuten geantwortet hat. Die Antwortrate ist deshalb so gut, weil Ottonova seinen Messenger mit einem Chatbot angereichert hat. Sobald eine Nachricht eingeht, erhält der Nutzer innerhalb von Sekunden Nachricht, im Beispiel: »Hallo Anne. Vielen Dank für deine Nachricht. Wir versuchen so schnell wie möglich zu antworten. Besuche auch gerne unsere Webseite http://www.ottonova.de für mehr Informationen zu uns.«
1.4.9 Crowdsourcing – auf Trends reagieren und treue Kunden belohnen
Jedes Unternehmen entwickelt seine Produkte stetig weiter – oder sollte es zumindest tun. Dafür gibt es in Unternehmen Marktforschung und Innovationsteams, oder es ist reine Chefsache. Hin und wieder werden Spezialisten zurate gezogen, seltener der Kunde selbst. Für die neutrale Sicht von außen können Sie jedoch auch Ihre Kunden befragen und sie an der Produktinnovation teilhaben lassen. Social Media bieten die Möglichkeit, Kunden im gesamten Wertschöpfungsprozess zu integrieren. Und das funktioniert so: Gründen Sie eine eigene Community, die Ideen für die Sortimentsgestaltung liefert, wie es beispielsweise das Unternehmen Ritter Sport macht. Über die »SortenKreation«, www.ritter-sport.de/sortenkreation/#/start, können Kunden eigene Schokoladen kreieren und als Vorschlag einreichen. Ritter Sport kann aus diesen Kreationen Trends ablesen und hat beispielsweise auf den anhaltenden Wunsch seiner Kundschaft nach einer »Einhornschokolade« im November 2016 reagiert. Die Limited Edition löste in Social Media und darüber hinaus in den klassischen Medien (BILD und RTL berichteten) eine überragende und für Ritter Sport unerwartete Resonanz und Nachfrage aus. Innerhalb weniger Minuten war die Schokolade ausverkauft. Die Kunden klickten unentwegt auf den Webshop, und es dauerte nicht lange, bis der Webshop unter den vielen Anfragen zusammenbrach. Das führte innerhalb weniger Stunden – neben der großen Nachfrage und Euphorie – auch zu Frust und Enttäuschung bei den Nutzern. Weder das interne Social-Media-Team von Ritter Sport noch die unterstützende Social-Media-Agentur Elbkind waren auf die Masse von Nachrichten vorbereitet und konnten nicht unmittelbar auf alle Anfragen reagieren. Doch der Hype um die Einhornschokolade war so groß, dass viele Fans leer ausgingen.
Ritter Sport pflegt schon immer eine sehr »offene, ehrliche und transparente Kommunikation auf Augenhöhe«, bei der die Bedürfnisse der User im Mittelpunkt stehen. Das wichtigste Ziel ist die Involvierung und das Mitspracherecht der Community. Beispielsweise können die User mitbestimmen, welche Plakatmotive an Bahnhöfen hängen sollen oder eben Sorten kreieren und einreichen. Man muss jedoch Ritter Sports Umgang mit der Kritik während der #Glittersport-Kampagne loben. Ritter Sport nutzte mehrere Taktiken, um die Lawine zu entschärfen. Da nicht auf jeden Kommentar reagiert werden konnte, wurden teilweise offizielle Stellungnahmen an enttäuschte Fans, die vergeblich versuchten, eine Schokolade zu bestellen, auf Facebook abgesetzt. So schrieb Ritter Sport am 15. November 2016 auf seiner Facebook-Seite: »Liebe Einhorn-Fans, wir können uns wirklich gar nicht genug bei euch dafür entschuldigen, dass der Webshop schon so lange offline ist. Es tut uns einfach wahnsinnig leid, und wir arbeiten ununterbrochen daran, dass ihr bestellen könnt. Unsere Techniker hatten die Server-Kapazitäten so hochgeschraubt, dass sie auch einem Ansturm standgehalten hätten, den wir uns in unseren kühnsten Träumen nicht hätten ausmalen können. Hier wurden wir eines Besseren belehrt und müssen diese Fehleinschätzung eingestehen.
Abbildung 1.11 »OMG – Einhornschokolade – gibt es die wirklich?« Ritter Sports Sonderedition lässt die Herzen der Einhornfans höher schlagen – und davon gibt es sehr viele, wie Ritter Sport selbst erfahren musste.
Mittlerweile sind wir mit unseren Servern komplett umgezogen und hoffen, euch so schnell wie möglich zu informieren, dass der Webshop wieder funktioniert! #glittersport #einhornsorry«. Updates zur Nachproduktion und Informationen über die Hintergründe zur geringen Auflage kommunizierte Ritter Sport stets über Blog-Posts. So waren alle Nutzer immer auf dem neuesten Stand, auch wenn ihre Nachricht oder ihr einzelner Kommentar noch nicht beantwortet war.
Marketing-Take-away: Was bedeutet Crowdsourcing?
Der Begriff Crowdsourcing ist eine Wortschöpfung aus »Crowd« und »Outsourcing«. Die Ideenfindung wird dabei an die Nutzer ausgelagert. In der Community können die Nutzer nach dem Credo »Mitmachen. Mitreden. Mitgestalten.« Produkte testen, bewerten oder sich mit eigenen Kreationen aktiv beteiligen.
1.4.10 Crowdfunding – die höchste Form der Kundenvernetzung
Die erfolgreichste Kinodokumentation im Jahr 2017 wurde durch Crowdfunding in die deutschen Kinos gebracht: »WEIT. Die Geschichte von einem Weg um die Welt« zeigt die 3,5-jährige Weltreise von Gwendolin Weisser und Patrick Allgaier, die das Paar in bildgewaltigen Videos festgehalten hatte. Sie erzählen von emotionalen Begegnungen, ihrem Anspruch, ohne Flugzeug zu reisen, von Höhen und Tiefen, einer unerwarteten Schwangerschaft, dem Leben in Mexiko und der Heimkehr nach Deutschland. Als Zuschauer erlebt man Stück für Stück die Transformation eines Paares, das auszog, um die Welt zu verbessern, und das als Familie heimkehrt. Eine Heldenreise par excellence. Der Film feierte am 27. März 2017 im Freiburger Kino Premiere und war anschließend über 30 Wochen in den deutschen Kinos zu sehen. 975 User unterstützten bis November 2016 die Crowdfunding-Kampagne, http://www.startnext.com/weitumdiewelt. Insgesamt sammelten die Freiburger 35.145 € ein. Das gesammelte Geld floss nach dem Crowdfunding in die Vorfinanzierung des Films und des Magazins »WEIT. Ein Reisemagazin«. Das Paar wollte gerne unabhängig bleiben und ohne Verlag veröffentlichen. Die Unterstützer profitierten direkt von den Dankeschöns; von der DVD bis hin zur Filmvorführung in den eigenen vier Wänden oder im Bulli des Paares war für Reisebegeisterte alles dabei.
Beim Crowdfunding entsteht eine Win-win-Situation für die Projektmacher und Projektunterstützer. Letztere werden sofort mit einem Dankeschön belohnt und können direkt am Entstehungsprozess teilhaben. Crowdfunding ist eine neue Finanzierungsmethode, die es ermöglicht, Ideen und Produkte zu verwirklichen, die sonst im Sande verlaufen wären. Social Media dienen dabei als »Brandbeschleuniger« und helfen gleichzeitig, das Projekt zu vermarkten. Crowdinvesting ist noch eine Weiterentwicklung des Crowdfundings, womit sich sogar Geschäftsideen finanzieren lassen.