9.2    Was Unternehmen mit Twitter erreichen können

Die Kommunikation in Twitter ist öffentlich und ohne Hierarchie. Jeder kann mit jedem auf Augenhöhe kommunizieren. Es ist kein Problem, mit einem Firmenchef oder einer leitenden Person ins Gespräch zu kommen. Twitter ist unkonventionell und bietet seinen Nutzern offenen Austausch und direkten Kontakt. Das ermöglicht es, Kunden, Journalisten, Meinungsmacher oder Firmen auf direktem Wege anzuschreiben.

9.2.1    Ansprache von Journalisten und Influencer

Journalisten und Blogger nutzen Twitter sowohl zu Recherchezwecken als auch zum Verbreiten ihrer Nachrichten. Bekannte Journalisten und Blogger, wie z. B. Richard Gutjahr, haben eine hohe Reichweite dank ihrer Follower und können wichtige Multiplikatoren zur Verbreitung von Nachrichten sein (siehe Abbildung 9.2).

Wenn Ihre Tweets von den richtigen Journalisten und Meinungsmachern retweetet (geteilt) werden, bringt Ihnen das eine enorme Reichweite. Noch dazu profitieren Sie von dem Ansehen des Influencers in Twitter. Wenn Richard Gutjahr Ihre News teilt, muss es sich um etwas Interessantes handeln. Häufig geteilte Tweets sind auch langlebig.

Journalist und Blogger Richard Gutjahr auf Twitter (Quelle: http://twitter.com/gutjahr)

Abbildung 9.2     Journalist und Blogger Richard Gutjahr auf Twitter (Quelle: http://twitter.com/gutjahr)

Journalisten in Twitter kommunizieren jedoch anders als in Tageszeitungen. Das müssen sie auch, denn sie haben ja nicht allzu viel Platz. Es gilt, in 280 Zeichen kurz und knackig zu schreiben und Informationen auf den Kern zusammenschrumpfen. Die Tweets erinnern also oft eher an Schlagzeilen und unterscheiden sich ganz stark von langen Pressemitteilungen. Wenn Sie also mit Twitter starten, folgen Sie den bekannten Profilen, die Ihnen Twitter vorschlägt, damit Sie ein Gefühl dafür bekommen, wie in Twitter kommuniziert wird.

9.2.2    Regionale Kundenbindung

Für Unternehmen ist Twitter die Chance, eine persönliche Kundenbeziehung durch direkten Kontakt aufzubauen. Der Kunde erfährt hier anstelle einer kühlen Beratung per Telefon-Hotline oder E‐Mail authentischen Service von Personen, die tatsächlich erreichbar sind. Der Vorteil besteht darin, dass die Twitter-Kommunikation öffentlich und transparent geschieht: Das hat einerseits positive Auswirkungen auf das Image des Unternehmens, kann aber auch helfen, langfristig den Supportaufwand zu verringern. Somit ist ein öffentlicher Frage-Antwort-Bereich über Twitter möglich, der den Kundensupport wesentlich verbessert, sowohl für die Kunden als auch für das Unternehmen.

Best Practice: #weilwirdichlieben – BVG-Charmeoffensive

Für den deutschen Nah- und Fernverkehr ist Twitter das perfekte Tool, um über aktuelle Störungen oder Verspätungen schnell und einfach zu informieren. Viele Nutzer melden sich nur deshalb einmalig bei Twitter an, um den aktuellen Fahrplan ihrer Verkehrsbetriebe abzurufen. Das ist zwar eine nützliche Sache, aber die Meinung über die öffentlichen Verkehrsmittel ist dennoch allerorts gleich. In jedem Land wird häufig über sie geschimpft, genörgelt und gepöbelt. In Twitter gehört es ja fast schon zum guten Ton, über verspätete Züge zu schreiben.

Auch die Berliner Verkehrsbetriebe standen bei ihren Kunden nicht im besten Licht. Genau deswegen starteten sie 2015 mit einer Imagekampagne #weilwirdichlieben auf Twitter. Am 12. Januar 2015 twitterten sie unter @BVG_Kampagne zum ersten Mal: »Hallo Berlin! Wir eröffnen hiermit unseren #weilwirdichlieben-Account. Mit Herz und Hashtag. Einsteigen bitte!« Doch zunächst einmal erntete die BVG nur Häme und Spott für den Account. Das Hashtag #weilwirdichlieben entfaltete sein Kritikpotenzial im gesamten Social Web. Die Kampagne war für die Twitter-User nur ein Anlass, sich über überfüllte Busse, verpasste Anschlüsse, fehlende Aufzüge und zänkische Busfahrer zu beschweren. Ein Shitstorm, wie er im Buche steht (wir berichten übrigens über Shitstorms in Kapitel 13, »Social Media Monitoring und Online Reputation Management«), rollte über die BVG hinweg. Und nicht nur das. Fast alle etablierten Medien und Online-Magazine berichteten schon 24 Stunden nach dem Kampagnenstart mit Negativschlagzeilen wie »Kampagne mit Stotterstart: #weilwirdichlieben: BVG erntet Häme« (BZ Berlin, 13.01.2015), »Twitter-Nutzer lästern über Berliner Verkehrsbetriebe« (RP Online, 13.01.2015) oder »#WeilWirDichLieben wird zum Kummerkasten der Berliner Verkehrsbetriebe« (Buzzfeed, 13.01.2015) über die Charmeoffensive der BVG.

Doch die BVG wären nicht die Berliner Verkehrsbetriebe, wenn sie damit nicht umgehen könnten. Sie waren auf den Shitstorm vorbereitet und hatten ihn von Anfang an einkalkuliert. Anstatt Beschwerden zu sammeln und Entschuldigungen auszusprechen, konterte die BVG mit Witz und bewies, dass Social Media auch Spaß machen kann. Hier einige Beispiele vom Schlagabtausch zwischen der BVG und ihren Followern:

Die BVG hat also von Anfang an Kritik einkalkuliert und es zugelassen, dass man ihr widerspricht. Aber anstatt zu beschwichtigen und höflich Verständnis einzuwerben, antwortete die BVG mit Berliner Schnauze, eben genauso wie ihre Fahrgäste, die bei Problemen kein Blatt vor den Mund nehmen. Für die BVG-Sprecherin Petra Reetz war eines klar: »Wir haben gesagt, wir haben nur eine Chance: Wir müssen so sein wie die da draußen.« Aus PR- und Marketingsicht war das die einzige Möglichkeit, um aus der Abwärtsspirale von Kritik und Problemdiskussionen herauszukommen. Mit rauem Berliner Charme und einer klaren Botschaft rückt die BVG wieder näher an ihre Fahrgäste heran. Die Antworten kann man auch so lesen: »Hey, wir sind nicht perfekt und bemühen uns, dass es besser wird, aber wir sind trotzdem deine BVG und auch ein bisschen dein Berlin. Darüber kannst du jetzt schimpfen, du kannst aber auch darüber lachen und dich mit uns darüber lustig machen.«

Der erste Wendepunkt der Kampagne kam dann am 20. März 2015 durch einen Beitrag in dem bekannten Blog »Schlecky Silberstein« mit der Headline »Top 9 BVG-Tweets – Social Media kann auch Spaß machen«, in dem der Autor die mutige Kommunikationsweise der BVG lobte. Mittlerweile hat die Kampagne mehrere Preise erhalten, z. B. den Deutschen Preis für Online-Kommunikation 2016.

Neben der mutigen Kommunikation hat die BVG bei ihrer Imagekampagne einige weitere Sachen ganz richtig gemacht: Erstens hat sie die erste Negativwelle erfolgreich ausgesessen und ist nicht in Panik verfallen. Zweitens hat sich die BVG durch vorinstallierte Spezial-Accounts wie @BVG_UBahn oder @BVG_Tram rechtzeitig abgrenzen können und den Usern Hinweise geliefert, wo sie Antworten auf ihre konkreten Beschwerden erhalten. Drittens hat die Chefetage der BVG sie nach der Regel »Sage nichts, was du nicht selbst hören könntest« machen lassen. Das ist sehr mutig und einmalig für die Social-Media-Kommunikation. Auch in den Postings, die die BVG auf Twitter und in ihren Social-Media-Kanälen absetzt, nimmt sie sich selbst auf die Schippe. Berliner U-Bahnen sind ja bekanntlich überfüllt. Die BVG hat auch gleich die Lösung dafür (siehe Abbildung 9.3): »Übrigens: Wer keine Nachbarn mag, ist bei uns falsch.«

Die BVG traut sich Ironie zu – die Berliner lieben es. (Quelle: http://twitter.com/BVG_Kampagne/status/737286665576828929)

Abbildung 9.3     Die BVG traut sich Ironie zu – die Berliner lieben es. (Quelle: http://twitter.com/BVG_Kampagne/status/737286665576828929)

9.2.3    Informationen schnell und einfach verbreiten

Twitter ist ein Echtzeitmedium. Nachrichten, Inhalte und Links werden innerhalb kürzester Zeit breit gestreut – vorausgesetzt, es handelt sich um eine Information, die für die breite Masse interessant ist. Das ist insbesondere für Ihre Krisenkommunikation wichtig, wenn es gilt, schnell, direkt und konkret zu einem Vorwurf Stellung zu beziehen. Auf Twitter werden viele Inhalte mittels Retweet einfach weitergeleitet.

9.2.4    Wertvolles Feedback zu Produkten

Durch die Beschränkung auf 280 Zeichen sind die Twitter-Beiträge kurz und prägnant, und so sind auch die Beiträge und Kommentare der User. Durchaus unverblümt und direkt werden positive sowie negative Erlebnisse, Erfahrungen und Meinungen kommuniziert. Twitter verhilft Ihnen zu einem schnellen und breiten Überblick über das Feedback zu bestimmten Produkten oder zu Ihrem Unternehmen. Sie müssen nur die Scheu davor verlieren, sich dem Feedback zu stellen. Es ist so oder so in der Welt, auch wenn Sie es nicht möchten oder versuchen, es zu ignorieren. Besser ist es, wenn Sie Feedback proaktiv einfordern und nutzen.

9.2.5    Kundensupport durch Expertenstatus

Der Kundensupport wird üblicherweise via E‐Mail und Telefon gewährleistet. In Twitter sind Support und Beratung öffentlich. Das hilft Ihnen, Ihr Expertenwissen zu kommunizieren. Das ist im Social Web wichtig, denn Sie konkurrieren hier nicht nur mit Ihren Wettbewerbern, sondern auch mit den Meinungsführern und Influencern, die Ihre Produkte im Social Web bewerten und weiterempfehlen (oder auch nicht). Nur durch einen ausgezeichneten Kundensupport und News vom Experten können Sie dem entgegenwirken. Dafür müssen Sie aber in einen wertschätzenden und aufmerksamen Kontakt mit Ihren Kunden treten.

»Telekom hilft« und ihre Twitter-Gemeinde (Quelle: http://twitter.com/Telekom_hilft)

Abbildung 9.4     »Telekom hilft« und ihre Twitter-Gemeinde (Quelle: http://twitter.com/Telekom_hilft)

Mit ihrem Twitter-Support versucht auch die Deutsche Telekom, Hilfestellung für ein breites Produktspektrum zu geben und Fragen der Kunden in Echtzeit zu beantworten (siehe Abbildung 9.4). Im Minutentakt twittern die Telekom-Mitarbeiter via @telekom_hilft, http://twitter.com/telekom_hilft, und beantworten Fragen zu Internetgeschwindigkeiten, Online-Services sowie Telekom-Tarifen und Verträgen.

Twitter-Fake @telekom_hiIft

Trotz der Twitter-Hilfe muss die Telekom mit Kritik zurechtkommen. Ein User hat sich 2011 den Spaß gemacht, über den Account @telekom_hiIft Servicelücken der Telekom zu parodieren. Entdecken Sie den »Schönheitsfehler« dieses Accounts? Anstelle des kleinen »l« in »hilft« setzte der User ein großes »I«, und schon war der Fake-Account perfekt. Auf die Frage eines Kunden: »Kann man in Ihrem Shop auch WLAN-Kabel kaufen?«, antwortete der Fake-Account beispielsweise: »Sind Sie bescheuert? ^nm.« Das Namenskürzel »nm« gab dem Fake-Account noch zusätzliche Autorität. Lange hat der Spaß natürlich nicht angehalten, denn die Telekom ließ den Account sperren.

Rechtstipp von Sven Hörnich: Was können Sie tun, wenn Ihr Twitter-Account gefälscht wird?

Im Fall von Fake-Accounts sind nach deutschem Recht einerseits die originären Namens- und/oder Markeninhaber betroffen und andererseits auch Dritte, die das Angebot für echt halten. Die Fallgestaltungen gehen über das Telekom-Beispiel weit hinaus. So sind in meiner beruflichen Praxis auch Fake-Accounts von Schauspielern, Musikstars und ‐sternchen in diversen Social Communitys ein Thema, die dort fleißig Fans und von diesen wiederum Daten sammeln. Die Frage aus Sicht der »Parodierten« ist zunächst, in welche Rechtsposition eingegriffen wird. Markenrechte und/oder Unternehmenskennzeichen greifen regelmäßig nur bei Handeln im geschäftlichen Verkehr und bei Verwechslungsgefahr (§ 14 Markengesetz – MarkenG).

Aber Vorsicht an Nachahmer: Geschäftliches Handeln kann schon durch ein paar Werbebanner auf der sonst »ach so privaten Website« vorliegen. Einer Verwechslungsgefahr bedarf es bei sogenannten bekannten Marken (z. B. Marken diverser Koffeingetränke) nicht. Wenn das Markenrecht nicht greift, ist vielleicht § 12 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) einschlägig, der die unbefugte Namensanmaßung verbietet. Aus Sicht der »Abnehmer« wiederum kann sich je nach Fallgestaltung ebenfalls ein Anspruch ergeben, so beispielsweise wegen Betrugs, soweit der Adressat in dem Glauben, es mit einem Popstar zu tun zu haben, Vermögensdispositionen traf. Im vorstehenden Beispiel lag das Problem bzw. der Fehler des Nachahmers übrigens vor allem darin, dass der Name tatsächlich sehr leicht verwechselt werden konnte. Hätte der Nachahmer einen stärkeren Abstand zum Telekom-Zeichen gesucht, wäre sein Handeln marken- bzw. namensrechtlich vielleicht eher von der Kunstfreiheit gedeckt und damit »unantastbar« geworden. Von einer direkten Übernahme der Originaltexte bzw. deren Bearbeitung wäre dann aber noch immer im Hinblick auf ein mögliches Urheberrecht an dem Text abzuraten gewesen.

Best Practice: Twitter-Support von Microsoft

Microsoft betreibt über Twitter einen erfolgreichen Supportkanal für die Spielkonsole Xbox (siehe Abbildung 9.5). Ein eigenes Team scannt das Web und vor allem Twitter mittels Monitoring-Tools auf Erwähnungen diverser Keywords rund um das Produkt ab. Sie reagieren proaktiv, wenn ein User ein Problem oder eine Frage in seinem eigenen Profil postet, sprechen den User direkt auf Twitter an und bieten auch Hilfe an.

Die User reagieren positiv überrascht und sind zufrieden mit diesem Support. Auf http://twitter.com/xboxsupport vereint das Team mittlerweile über 1,6 Millionen Follower (Stand: Februar 2021). Microsoft ist sich sicher, dass Supportanfragen via Telefon oder E‐Mail damit proaktiv vorweggenommen und verhindert werden können und dass die Zufriedenheit dieser Kunden besonders hoch ist.

Bei Fragen rund um das Produkt Xbox ist @XboxSupport die erste Anlaufstelle für Twitter-affine Kunden. (Quelle: http://twitter.com/xboxsupport)

Abbildung 9.5     Bei Fragen rund um das Produkt Xbox ist @XboxSupport die erste Anlaufstelle für Twitter-affine Kunden. (Quelle: http://twitter.com/xboxsupport)

9.2.6    Den neuesten Wissensstand zu einem Themengebiet erfahren

Wenn Sie sich in ein neues Thema einlesen möchten, ist Twitter das ideale Medium dafür. Sie müssen einerseits den richtigen Twitter-Usern folgen, die viel zum gewünschten Thema kommunizieren und sich selbst als Experten zu diesem Thema profilieren möchten. Diese User versuchen, so viele relevante Informationen und Links wie möglich zu twittern. So können Sie es sich in Zukunft sparen, lange Wege zu Veranstaltungen auf sich zu nehmen, vorausgesetzt, dass das Publikum vor Ort twittert. Beispielsweise wird jedes Jahr breit und ausgiebig von der DLD Conference getwittert. Sie müssen aber gar nicht zwingend vor Ort dabei sein, um interessante Inhalte dieser renommierten Konferenz mitzubekommen. Andererseits helfen relevante Hashtags ebenfalls sehr gut, sich schnell einen Überblick über ein Thema zu verschaffen. Über die Twitter-Suche können Sie sich beispielsweise ganz einfach alle aktuellen Nachrichten über die Konferenz mit dem Hashtag #DLD anzeigen lassen, so das tagesaktuelle Geschehen mitverfolgen und am Ende sogar Zusammenfassungen lesen.

9.2.7    Die Konkurrenz beobachten

Sie sind auf Twitter transparent, und so ist es auch Ihre Konkurrenz. Über Twitter können Sie schneller neue Branchentrends mitbekommen. Auch können Sie das Kundenfeedback verfolgen, das Ihre Konkurrenz erhält, und dadurch auch Ihre eigene Produktentwicklung vorantreiben und auf konkrete Wünsche in Ihrer Branche reagieren.