Kapitel 7
IN DIESEM KAPITEL
Stratifizierung – eine Bevölkerung in Scheiben schneiden
Standardisierung – die Gleichmacherei
Standardbevölkerungen – die Qual der Wahl
In unserem Umfeld tragen fast alle eine Brille. In Ihrem Bekanntenkreis sind es nur wenige? Das spricht doch wohl für die Belesenheit unserer Bekannten (was natürlich auf uns abfärbt). Oder ist die mangelnde Sehschärfe doch überwiegend ein Problem des Altersunterschieds? Ihre Bekannten sind im Schnitt 20 Jahre jünger als unsere? Das würden wir nur ungern als Erklärung hören. Wir belassen es lieber bei der für uns sympathischeren Interpretation der Dinge.
In diesem Kapitel zeigen wir Ihnen, wie Sie Daten aus unterschiedlichen Gruppen oder Bevölkerungen gegenüberstellen und richtig vergleichen (also seriöser, als wir das eben getan haben).
Für solide Analysen reicht uns Epidemiologen die absolute Zahl der Exponierten oder Erkrankten häufig nicht aus (mehr dazu in Kapitel 5). Zwar können Gesundheitsplaner schon auf Grundlage absoluter Zahlen Entscheidungen herbeiführen. Anhand der Zahl erkrankter Personen schätzen sie zum Beispiel die Zahl der erforderlichen Krankenhausbetten ab. Meist ist es aber unumgänglich, die Zahlen weiter zu differenzieren.
So sollen durch die Grippeschutzimpfung in erster Linie ältere Menschen über 65 Jahre und chronisch Kranke geschützt werden. Die erforderliche Zahl an Impfstoffdosen können Sie nicht mehr aus der absoluten Zahl der ungeimpften Personen ableiten (dies wäre ja vor Beginn einer Grippesaison die gesamte Bevölkerung). Um die Zahl der erforderlichen Impfstoffdosen zu bestimmen, müssen Sie die Bevölkerung in Gruppen einteilen. Zuerst in die über 65-Jährigen und die jüngeren Menschen. Danach unterscheiden Sie unter den jüngeren noch zwischen den chronisch kranken und den nicht chronisch kranken Menschen. (Ältere Menschen sollten in jedem Fall geimpft werden, egal ob sie chronisch krank sind oder nicht.) Die Aufteilung einer Bevölkerung in zwei Gruppen ist der einfachste Fall einer Stratifizierung. Er entspricht der Situation bei einem Gruppenfoto, wenn es heißt: »Die Kleinen nach vorn, die Großen nach hinten«.
Die Schichtungen können auch feiner sein als in unserem Beispiel. Dann schneiden Sie sozusagen eine Bevölkerung in Scheiben – selbstverständlich nur im übertragenen Sinne! Epidemiologen schichten häufig nach dem Geschlecht und nach dem Alter in Fünf-Jahres-Altersgruppen. Also beispielsweise:
Altersgruppe |
Beschreibung |
Männer von 60 bis 64 Jahren |
(ab dem 60. Geburtstag bis zum Tag vor dem 65. Geburtstag) |
Männer von 65 bis 69 Jahren |
(ab dem 65. Geburtstag bis zum Tag vor dem 70. Geburtstag) |
und so weiter …
Frauen von 60 bis 64 Jahren |
(ab dem 60. Geburtstag bis zum Tag vor dem 65. Geburtstag) |
Frauen von 65 bis 69 Jahren |
(ab dem 65. Geburtstag bis zum Tag vor dem 70. Geburtstag) |
und so weiter …
Mit einer solchen Schichtung können Sie dann genauere Aussagen zu Fragestellungen treffen, für die Geschlechtsunterschiede und die Altersverteilung relevant sind: Ab welchem Alter gibt es Schlaganfälle, in welcher Altersgruppe treten die meisten Schlaganfälle auf, gibt es Altersgruppen, in denen bei Frauen mehr Schlaganfälle auftreten als bei Männern?
Die Stratifizierung spielt auch in der Analyse der Ergebnisse epidemiologischer Untersuchungen eine wichtige Rolle. Sie ist eine der Techniken, mit denen Epidemiologen für Confounding kontrollieren. Darunter verstehen sie die »Verschleierung« wirklicher Zusammenhänge durch eine Störgröße. Das Beispiel im einleitenden Absatz dieses Kapitels zeigt Ihnen Confounding durch Alter. Tatsächlich gehen die Unterschiede in der Prävalenz des Brillentragens nämlich auf Altersunterschiede zwischen den verschiedenen Bekanntenkreisen zurück und nicht auf deren Belesenheit. Mehr zu Confounding erfahren Sie in Kapitel 15.
Sie haben Ihre Stelle gewechselt und arbeiten seit einiger Zeit in der Gesundheitsberichterstattung des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW). Im Rahmen Ihrer neuen Tätigkeit sollen Sie einen Gesundheitsbericht zum Thema »Sterblichkeit an bösartigen Neubildungen in der männlichen Bevölkerung des Landes NRW zwischen 2009 und 2012« erstellen.
Die bösartigen Neubildungen sind nach der International Classification of Diseases (ICD-10, siehe Kapitel 3) mit C00 bis C97 codiert. Sie stellen die Angaben der Diagnosegruppen für 2009 und 2012 gegenüber. Im Jahr 2009 starben 26.909 Männer an bösartigen Neubildungen, im Jahr 2012 dagegen 27.587 Männer. Das sind fast 700 Todesfälle mehr. Die absolute Zahl der Krebstoten ist also innerhalb weniger Jahre angestiegen.
Um das zu prüfen, bestimmen Sie die Mortalitätsraten bösartiger Neubildungen für die Jahre 2009 und 2012. Sie benötigen dazu jeweils die Zahl der Verstorbenen und die durchschnittliche Bevölkerung.
Die Zahl der Verstorbenen ist Ihnen bereits bekannt, die durchschnittliche männliche Bevölkerung von NRW schlagen Sie bei den entsprechenden Bevölkerungsindikatoren nach. Sie finden sie zum Beispiel im Themenfeld 2 des Indikatorensatzes für die Gesundheitsberichterstattung der Länder. Die durchschnittliche Bevölkerung lag 2009 bei 8.730.031 Männern und 2012 bei 8.532.719 Männern.
Auf Grundlage dieser Zahlen berechnen Sie die sogenannten »rohen« Mortalitätsraten (Sterberaten) für jedes der beiden Jahre:
Für das Jahr 2009 liegt die »rohe Sterberate« bei 308 pro 100.000 Männer und für das Jahr 2012 bei 323 pro 100.000 Männer. Auch beim Vergleich der rohen Raten zeigt sich ein Anstieg der Krebssterblichkeit.
Die Zahl der über 55-Jährigen hat von 2009 bis 2012 um fast 57.000 zugenommen. Die Zahl der unter 15-Jährigen ist um annähernd 68.000 zurückgegangen. Bei großen Altersunterschieden kann der Alterseffekt sogar alle anderen Faktoren überlagern, die das Mortalitätsgeschehen beeinflussen.
Der überwiegende Teil der Krebserkrankungen tritt im höheren Alter auf. Sie erwarten daher zu Recht, dass in der »gealterten« Bevölkerung des Jahres 2012 mehr Krebsfälle auftreten als 2009 und – wenn sich die Behandlungsmöglichkeiten nicht dramatisch verbessert haben – ebenfalls mehr Personen an der Erkrankung versterben.
Bleiben wir bei den Männern. Ihr Problem ist: Wenn sich die zu vergleichenden Bevölkerungen durch eine unterschiedliche Altersstruktur auszeichnen und sich das Risiko zu erkranken oder an einer Krankheit zu versterben mit dem Alter verändert, wirkt das Alter als verschleiernder, konfundierender Faktor.
Eine Lösungsmöglichkeit bietet Ihnen die Altersstandardisierung. Durch die Altersstandardisierung erreichen Sie, dass Ihre Ergebnisgrößen auf vergleichbaren Altersstrukturen beruhen. Wenn die Altersstrukturen vergleichbar sind, tritt kein Confounding (keine Verschleierung) des untersuchten Effekts durch das Alter mehr auf. Hierzu haben Sie zwei Möglichkeiten:
In den folgenden Abschnitten stellen wir beide Methoden vor.
Die direkte Altersstandardisierung umfasst ein »Gleichmachen« der Altersstruktur von Bevölkerungen (Populationen) oder Gruppen, die einen unterschiedlichen Altersaufbau haben und die Sie direkt vergleichen möchten. Ein solches »Gleichmachen« ermöglicht es Ihnen auch, das Mortalitätsgeschehen innerhalb einer Bevölkerung zu mehreren Zeitpunkten zu vergleichen (denn deren Altersstruktur kann sich ja über die Zeit verändert haben).
Zurück zu unserem Beispiel. Um eine Vergleichbarkeit im Alterssaufbau der nordrhein-westfälischen männlichen Bevölkerung von 2009 und 2012 herzustellen, gehen Sie wie folgt vor:
Sie benötigen nun eine Standardbevölkerung. Im Prinzip können Sie jede beliebige Bevölkerung als Standardbevölkerung einsetzen. Es ist jedoch sinnvoll, auf eine der international verwendeten (und meist extra für den Zweck der direkten Standardisierung erzeugten) Standardbevölkerungen zurückzugreifen. Sie haben damit die Möglichkeit, Ihre Ergebnisse mit den Ergebnissen aus anderen Ländern zu vergleichen. Auch viele Gesundheitskennzahlen sind auf der Grundlage dieser Bevölkerungen standardisiert.
Für die Berechnungen in der folgenden Tabelle verwenden wir die »alte Europabevölkerung« als Standardbevölkerung. Wir haben jeweils mehrere Fünf-Jahres-Altersgruppen der Standardbevölkerung zusammengefasst, damit die Tabelle übersichtlich bleibt.
Tabelle 7.1: Direkte Altersstandardisierung, männliche Bevölkerung, NRW 2009
Altersgruppe |
Mittlere männliche Bevölkerung |
Anzahl Verstorbener |
Verstorbene je 100.000 (Rate) |
Standardbevölkerung |
Standardisierte Sterberate |
0 – 14 |
1.297.575 |
40 |
3,08 |
22.000 |
0,68 |
15 – 29 |
1.593.560 |
72 |
4,52 |
21.000 |
0,95 |
30 – 44 |
1.876.653 |
393 |
20,94 |
21.000 |
4,40 |
45 – 59 |
1.974.384 |
3.511 |
177,83 |
20.000 |
35,57 |
60 – 74 |
1.410.216 |
11.237 |
796,83 |
12.000 |
95,62 |
75 + |
577.643 |
11.662 |
2018,89 |
4.000 |
80,76 |
Gesamt |
8.730.031 |
26.915 |
308,30 |
100.000 |
217,98 |
Die Standardisierung erfolgt in drei Rechenschritten:
Für die Altersgruppe der 0- bis 14-Jährigen ist dies beispielsweise:
In der Formel steht dabei
Den einzelnen Wert für die Altersgruppe der 0- bis 14-Jährigen berechnen Sie als
Auf die gleiche Weise haben wir die altersstandardisierte Sterberate für 2012 berechnet, sie beträgt rund 213 Krebstodesfälle pro 100.000 Männer. Nach der Alterstandardisierung der beiden Kennziffern können Sie sehen, dass die Krebssterblichkeit bei den Männern nicht angestiegen, sondern sogar etwas zurückgegangen ist: Im Jahr 2012 liegt die standardisierte Sterberate (213 pro 100.000) niedriger als im Jahr 2009 (218 pro 100.000).
Es gibt einen weiteren Weg, mit dem Sie das Mortalitätsgeschehen in Bevölkerungen oder Gruppen mit unterschiedlicher Altersstruktur vergleichbar machen können: die indirekte Standardisierung. Bei der indirekten Standardisierung gehen Sie den umgekehrten Weg wie bei der direkten Standardisierung: Ausgangspunkt ist die Standardbevölkerung. Sie gewichten deren altersspezifischen Sterberaten mittels der Altersverteilung in Ihrer Studienbevölkerung. Die indirekte Standardisierung ist sinnvoll
Gibt es nur wenige Verstorbene, so können sich diese zufallsbedingt so auf die Altersgruppen verteilen, dass sie nicht die Realität widerspiegeln. In einer solchen Situation erhalten Sie keine zuverlässigen altersspezifischen Raten. Die Zufallsschwankungen erhalten bei der direkten Standardisierung ein großes Gewicht und führen zu entsprechenden Abweichungen. Bei der indirekten Standardisierung ist der Fehler kleiner, da die Berechnung nicht auf den altersspezifischen Raten der untersuchten Bevölkerung, sondern auf der deutlich solideren Gesamtzahl der Sterbefälle beruht.
Stellen Sie sich folgende Situation vor: In einer nahe gelegenen Kleinstadt mit rund 20.000 Einwohnern (genau die Hälfte davon sind Männer) sind im gerade abgelaufenen Jahr 38 Todesfälle infolge einer Erkrankung aufgetreten, die nur Männer betrifft. Der Bürgermeister der Kleinstadt hat die Zahlen aus einem für die Stadt erstellten regionalen Gesundheitsbericht erfahren. Dort stehen aber nur nicht-standardisierte Raten. Er hat Sie schon mehrmals angerufen und gefragt, ob denn das Gesundheitsamt da nichts unternehmen muss, denn für das Bundesland seien die Zahlen pro 10.000 Männer doch deutlich niedriger.
Sie fragen daher beim Landesgesundheitsamt an, um zu klären, wie häufig die Krankheit auf Landesebene ist. Der Mitarbeiter des Landesgesundheitsamts übermittelt Ihnen die rohen und die altersspezifischen Mortalitätsraten. Beim Vergleich stellen Sie fest, dass die rohe Mortalitätsrate in der Kleinstadt mit 380 pro 100.000 tatsächlich wesentlich höher liegt als auf Landesebene mit rund 275 pro 100.000 Männern (siehe Tabelle 7.2). Bis hierhin war der Bürgermeister ja auch schon gekommen.
Sie vergleichen nun den Altersaufbau im Land mit dem in der Kleinstadt und stellen deutliche Abweichungen fest. Im Land sind rund 4,8 Prozent der Männer 75 Jahre oder älter, in der betroffenen Kleinstadt jedoch 10 Prozent. Mehr oder weniger starke Abweichungen finden Sie auch in den anderen Altersgruppen. Sie entschließen sich, die Mortalitätsraten zu standardisieren, bevor Sie mögliche weitere Schritte unternehmen, etwa Experten einzuladen und zu befragen.
Für die indirekte Standardisierung verwenden wir die männliche Bevölkerung von Nordrhein-Westfalen (die Sie ja bereits aus der Tabelle 7.1 kennen) als Standardbevölkerung. Die 10.000 Männer umfassende kleinstädtische Bevölkerung ist Ihre Studienpopulation. Sie führen die indirekte Standardisierung in mehreren Schritten durch:
Für die 0- bis 14-Jährigen ist die altersspezifische Mortalitätsrate:
Tabelle 7.2: Die indirekte Standardisierung – Beispielberechnung
Altersgruppe |
Mittlere männliche Bevölkerung |
Anzahl Verstorbener |
Verstorbene je 100.000 (MR) |
Beobachtete Gruppe |
Beobachtete Sterbefälle |
Erwartete Sterbefälle |
0 – 14 |
1.297.575 |
40 |
3,08 |
1.500 |
- |
0,046 |
15 – 29 |
1.593.560 |
72 |
4,52 |
2.000 |
- |
0,090 |
30 – 44 |
1.876.653 |
393 |
20,94 |
2.000 |
- |
0,419 |
45 – 59 |
1.974.384 |
3.511 |
177,83 |
2.000 |
- |
3,557 |
60 – 74 |
1.410.260 |
11.237 |
796,83 |
1.500 |
- |
11,952 |
75 + |
577.643 |
11.662 |
2018,89 |
1.000 |
- |
20,189 |
Gesamt |
8.730.031 |
26.915 |
308,30 |
10.000 |
38 |
36,253 |
Tabelle 7.2 zeigt Ihnen die erwarteten Sterbefälle für alle Altersgruppen, die wir für Sie gemäß der oben stehenden Formel berechnet haben.
Wenn die Altersstruktur der Bevölkerung in der Kleinstadt der Altersstruktur der Bevölkerung des Bundeslandes entsprechen würde, wären statt der beobachteten 38 Todesfälle 36 zu erwarten gewesen. Die standardisierte Mortalitätsratio liegt also bei 1,06. Das ist nur ganz geringfügig über 1,0 und bedeutet: Es besteht kein wirklicher Unterschied zwischen den Sterberaten in der Kleinstadt und im gesamten Land.
Der erste Eindruck des Bürgermeisters auf der Basis der rohen Daten täuschte. Nach der Auswertung der standardisierten Daten können Sie Entwarnung geben. Sie teilen dem Bürgermeister mit, dass die Sterblichkeit in seiner Stadt der Sterblichkeit im gesamten Bundesland entspricht. Darüber hinaus werden Sie ihm erklären müssen, wie Sie zu Ihrem Schluss gelangt sind.
Doch das epidemiologische Arbeitsleben ist voller Tücken. Gegen eine Anwendung der indirekten Standardisierung zum Vergleich von einander ähnlichen Verwaltungseinheiten ist nichts einzuwenden. Anders sieht es jedoch aus, wenn sich die Altersverteilung von zwei Studienbevölkerungen sehr stark unterscheidet.
Hierzu ein Beispiel. Zunächst zeigen wir Ihnen in Tabelle 7.3 die Standardbevölkerung, die wir zur Standardisierung einsetzen. Wir haben sie selbst erzeugt. Passend zu unseren Beobachtungsdaten in Tabelle 7.4 hat sie nur zwei (sehr breite) Altersgruppen.
Tabelle 7.3: Standardbevölkerung für das Beispiel zur indirekten Standardisierung
Altersgruppe |
Bevölkerung |
Anzahl Verstorbener |
Sterberate pro 100.000 Personen |
20 – 39 |
40.000 |
1.000 |
2.500 |
40 – 59 |
60.000 |
3.000 |
5.000 |
alle |
100.000 |
4.000 |
In Tabelle 7.4 finden Sie Informationen zu den zwei Studienbevölkerungen, die Sie vergleichen wollen. Die Gruppen sind mit jeweils insgesamt 10.000 Personen gleich groß. Die altersspezifischen SMRs (Standardized Mortality Ratios) unterscheiden sich nicht. Sie liegen in beiden Bevölkerungen bei 0,5 (20- bis 39-Jährige) und 1,0 (40- bis 59-Jährige). Trotzdem weichen die zusammengefassten SMRs voneinander ab.
Tabelle 7.4: Beispiel für SMRs (Standardized Mortality Ratios), bei denen ein Confounding (eine Verschleierung) durch die Variable Alter vorliegt
Studienbevölkerung I |
Studienbevölkerung II |
||||||||
Altersgruppe |
Personen |
Beobachtete Fälle |
Erwartete Fälle |
SMR |
Altersgruppe |
Personen |
Beobachtete Fälle |
Erwartete Fälle |
SMR |
20 – 39 |
8.000 |
100 |
200 |
0,5 |
20 – 39 |
2.000 |
25 |
50 |
0,5 |
40 – 59 |
2.000 |
100 |
100 |
1,0 |
40 – 59 |
8.000 |
400 |
400 |
1,0 |
alle |
10.000 |
200 |
300 |
0,67 |
alle |
10.000 |
425 |
450 |
0,94 |
Die Abweichung kommt zustande, weil die Anzahl der Personen in den Altersgruppen unterschiedlich ist und die zusammengefassten SMRs sich einmal auf eine sehr junge und einmal auf eine sehr alte Studienbevölkerung beziehen.
Warum ist das so? Bei der indirekten Standardisierung berechnen Sie ja, wie viele Fälle in den Studienbevölkerungen jeweils zu erwarten wären, wenn der Altersaufbau der Standardbevölkerung dem der Studienbevölkerung entsprechen würde.
Sie vergleichen daher zwei Studienbevölkerungen, deren Altersaufbau nicht identisch ist. Epidemiologen bezeichnen die Wirkung der ungleichen Altersverteilung in den zwei Studienbevölkerungen als Confounding, das Alter ist ein konfundierender Faktor. Ein direkter Vergleich der beiden Gruppen ist dann nicht zulässig.
Epidemiologen setzen die indirekte Standardisierung beispielsweise im Rahmen der Gesundheitsberichterstattung (GBE) ein. In der GBE der Länder dient sie zum Vergleich von Raten in Kreisen und kreisfreien Städten. Das Land als Summe aller Kreise und kreisfreien Städte ist dabei die Referenz. Die SMR für das Land ist 1,0, da die Anzahl der beobachteten Fälle der Anzahl der erwarteten Fälle entspricht. Die SMRs der Kreise und kreisfreien Städte können Sie als Abweichung (in Prozent) vom Landesdurchschnitt interpretieren. Das ist möglich, weil eine SMR von »1,0« 100 Prozent entspricht. Eine SMR von »1,03« wie im obigen Beispiel bedeutet dementsprechend 103 Prozent. Die Abweichung vom Landesdurchschnitt beträgt dann
Tabelle 7.5: Alte und neue Europa-Standardbevölkerungen
Altersgruppe (in Jahren) |
»Alte« Europa-Bevölkerung |
»Neue« Europa-Bevölkerung |
||
weiblich |
männlich |
insgesamt |
||
<1 |
1.600 |
1.218 |
1.345 |
1.305 |
1 – 4 |
6.400 |
4.800 |
5.303 |
5.021 |
5 – 9 |
7.000 |
6.160 |
6.800 |
6.472 |
10 – 14 |
7.000 |
6.452 |
7.108 |
6.772 |
15 – 19 |
7.000 |
6.863 |
7.570 |
7.208 |
20 – 24 |
7.000 |
7.438 |
8.163 |
7.792 |
25 – 29 |
7.000 |
7.552 |
8.206 |
7.871 |
30 – 34 |
7.000 |
7.258 |
7.811 |
7.528 |
35 – 39 |
7.000 |
6.986 |
7.448 |
7.212 |
40 – 44 |
7.000 |
6.661 |
7.068 |
6.860 |
45 – 49 |
7.000 |
5.739 |
5.997 |
5.865 |
50 – 54 |
7.000 |
5.817 |
5.937 |
5.876 |
55 – 59 |
6.000 |
5.585 |
5.521 |
5.553 |
60 – 64 |
5.000 |
5.463 |
5.015 |
5.245 |
65 – 69 |
4.000 |
5.196 |
4.139 |
4.680 |
70 – 74 |
3.000 |
3.392 |
2.449 |
2.932 |
75 – 79 |
2.000 |
3.536 |
2.228 |
2.897 |
80 – 84 |
1.000 |
2.076 |
1.094 |
1.606 |
85 + |
1.000 |
1.808 |
798 |
1.305 |
Insgesamt |
100.000 |
100.000 |
100.000 |
100.000 |
Standardbevölkerungen sind künstliche Bevölkerungen, auch wenn sie, wie die alte Europabevölkerung, dem europäischen Bevölkerungsaufbau der 1960er-Jahre näherungsweise entsprechen. Sie dienen ausschließlich als Hilfsmittel, um direkt miteinander vergleichbare Kennziffern zu berechnen. Sie können daher jede Bevölkerung als Standardbevölkerung verwenden. Eine eigene Standardbevölkerung hat jedoch den Nachteil, dass Sie Ihre Ergebnisse (Kennziffern) nicht mit den Kennziffern anderer Untersuchungen vergleichen können.
Für Europa gibt es zwei Standardbevölkerungen, die »alte« und die »neue« Europabevölkerung. Eigentlich wäre es gar nicht nötig, mehrere Standardbevölkerungen zu haben: eine würde ja völlig ausreichen, um Vergleiche anzustellen.
Die »alte« Europabevölkerung hat aber eine einheitliche Altersstruktur für beide Geschlechter. Das wurde kritisiert. Seit 1990 gibt es daher die »neue« Europabevölkerung, in der die unterschiedlichen Altersstrukturen bei Frauen und Männern berücksichtigt werden.
Falls Sie selbst einmal Standardisierungen durchführen möchten, stellen wir Ihnen in Tabelle 7.5 die »alte« und die »neue« Europabevölkerung bereit.