I n der zufriedenen Behaglichkeit seines Familiensitzes Jordans plante Speke unterdessen emsig seine eigene Expedition. Was ihn offenbar am meisten beschäftigte, betraf allerdings weder die Vorräte, die es mitzunehmen galt, noch die günstigste Route, sondern die Frage, wen er anheuern sollte. Aus eigener Erfahrung wusste Speke, dass die Wahl der Männer, mit denen er durch Ostafrika marschieren würde, eine lebenswichtige und potenziell gefährliche Entscheidung war. Er würde sie nicht leichtfertig treffen.
Loyalität wurde für Speke zum zentralen Thema. Natürlich musste er Sidi Mubarak Bombay bei sich haben. »Sagen Sie Bombay, dass ich ihn hier [1] über den grünen Klee gelobt habe«, schrieb er an Rigby, »nun besteht so viel Interesse an seiner Mitarbeit, dass ich ihn das nächste Mal mit nach Hause bringen muss.« Mit Bombay an seiner Seite hätte er nicht nur einen Dolmetscher und ortskundigen Führer, wusste Speke, sondern zudem einen vertrauenswürdigen Gefährten. Mit ihm würde er sich niemals verloren oder einsam fühlen.
Als weitaus schwieriger empfand Speke die Wahl seines Stellvertreters. Die Royal Geographical Society hatte bereits mehrere Bewerbungen für diesen Posten erhalten, aber Speke wollte jemanden, den er persönlich kannte und dem er vertraute. Als Erster kam ihm Edmund Smyth in den Sinn. Er hatte Smyth bereits zweimal im Stich gelassen: zuerst 1854, als er lieber allein nach Aden gesegelt war statt wie geplant mit Smyth, und erneut zwei Jahre später, als er die gemeinsame Jagd im Kaukasus hatte sausen lassen, um sich Burtons Ostafrika-Expedition anzuschließen. Doch Speke war zuversichtlich, dass Smyth ihm nichts nachtragen würde, und zudem überzeugt, dass auf seinen alten Freund unbedingt Verlass war, komme, was wolle. Er war ein »Typ, der nicht vor die Hunde gehen würde, [2] voller Schneid und immer klar im Kopf«, schrieb er, »ein Mann, der meine Gewohnheiten teilt, ganz nach meinem Geschmack.« Smyth hatte in Indien gedient, im Dreizehnten Regiment der bengalischen Infanterie, und im Zweiten Anglo-Sikh Krieg gekämpft, in den Schlachten bei Chenab und Gujrat. Er hatte mit Speke im Himalaya gejagt, die Bergwelt in Kumaon und Garhwal erforscht und am Oberlauf des Ganges einen Pfad eröffnet, der Reisenden lange verschlossen gewesen war. Zwei Jahre zuvor hatte der Schriftsteller Thomas Hughes, der mit Smyth die Rugby School besucht hatte, in seinem beliebten Roman Tom Brown’s Schooldays ihm sogar eine Figur nachempfunden. »Der schrägste, coolste Fisch in Rugby«, [3] hatte Hughes über Crab Jones, die Smyth-Figur, geschrieben. »Wenn er in diesem Moment gegen den Mond stolpern würde, er würde sich aufrappeln, ohne die Hände aus den Hosentaschen zu nehmen.«
Doch kaum hatte er Smyth gebeten, ihn zu begleiten, änderte Speke erneut seine Meinung und zog sein Angebot zurück. Er hatte plötzlich Bedenken, dass sein alter Freund nicht mehr zäh genug sein könnte, um mit ihm Schritt zu halten. »Mir ist zu Ohren gekommen, dass Smyth [4] des Öfteren fiebert«, schrieb er herablassend an Shaw. »Ich will ihn nicht dabeihaben. … Ich bin hart wie Stein.« Speke suchte nach jemandem, der nicht nur intelligent und stark war, sondern zugleich – vielleicht noch wichtiger – von unerschütterlicher Loyalität. Er brauchte jemanden, der ihn niemals hintergehen, ihm weder seine Position als Kommandant neiden noch ihm seinen Platz in der Geschichte als Entdecker der Nilquellen streitig machen würde.
Am Ende fand sich der ideale Begleiter: [5] James Augustus Grant hatte sich in einem Brief an Speke gewandt und sich erboten, ihn nach Ostafrika zu begleiten. Der Sohn eines Gemeindepfarrers war in den schottischen Highlands geboren, in Aberdeen zur Schule gegangen und schließlich in die indische Armee eingetreten. Dort hatte er Speke vor zwölf Jahren kennengelernt. Grant besaß all die guten Eigenschaften, die Speke sich von seinem stellvertretenden Kommandanten wünschte. Die meisten davon trafen weder auf Burton noch auf Speke selbst zu. Grant war bescheiden, zurückhaltend und zufrieden damit, die zweite Geige zu spielen. »Mutter denkt unentwegt an unseren Freund [6] Grant und ist hingerissen von der Vorstellung, dass er mich begleiten wird«, schrieb Speke von seinem Familiensitz Jordans aus an Shaw. Mit Grant, das wusste Speke, käme er niemals in Gefahr, das Rampenlicht teilen zu müssen. »Die Entdeckung des Nils, dessen bin ich gewiss, [7] wird mir keiner wegnehmen«, schrieb er zufrieden an Rigby.
Nachdem Speke es nicht sonderlich schwergefallen war, die Entdeckung der Nilquellen für sich zu beanspruchen, sollte er nun den Beweis dafür erbringen, was weitaus schwieriger wäre. Speke war zwar bereits am Nyanza gewesen, hatte aber noch nie eine Expedition dieser Größe geleitet. Nun wäre es an ihm, all die missliebigen Entscheidungen zu treffen, für die er Burton kritisiert hatte. Die Royal Geographical Society würde ihm keine große Hilfe sein. Sie erwartete von Speke – wie von allen Forschungsreisenden –, dass er die Angelegenheit selbst in die Hand nahm, und ließ ihm ihre Instruktionen erst einen Monat vor dem geplanten Reisebeginn zukommen. Als Speke sie endlich erhielt, boten sie ihm wenig Orientierung. Von Sansibar aus sollte die Expedition sich geradewegs zum nördlichen Ufer des Nyanza begeben und die Stelle finden, an der der Weiße Nil dem See entströmte. Damit hätten Speke und seine Männer den Beweis erbracht, dass besagter See die Hauptquelle war, und sollten alsdann dem Flusslauf in nördlicher Richtung bis zur deutschen Mission Gondokoro am Ostufer folgen, im heutigen Südsudan. Die ganze Angelegenheit würde, so die Erwartung der Society, bis Ende 1861 abgeschlossen sein, also in gut einem Jahr.
Speke wusste, dass seine Expedition, wenn sie in Gondokoro einträfe, in Schwierigkeiten stecken würde. Sie hätte kaum noch Vorräte übrig und keine Möglichkeit, ein Schiff zu bekommen, das sie nach Khartum brächte, von wo aus sie nach England zurückkehren konnte. Er brauchte jemanden, der bereit wäre, ihm mit Booten und Proviant entgegenzukommen. Mit Murchisons Hilfe fand er genau den richtigen Mann dafür: John Petherick kannte die Gegend um Gondokoro wie seine Westentasche. Der Waliser Bergbauingenieur hatte vergeblich nach Kohlevorkommen in Ägypten und dem Sudan gesucht, ehe er die Segel gestrichen hatte und Elfenbeinhändler im Niltal geworden war. Dort hatte er die Nebenflüsse des Nils erforscht und als erster Europäer den Fluss Bahr el-Ghazal kartographiert, das größte der zehn Teileinzugsgebiete des Nils. Nach seiner Ernennung zum britischen Vizekonsul in Khartum war er 1859 nach England zurückgekehrt, um Murchison aufzusuchen, den er seit Jahren kannte. Murchison wiederum stellte ihn Speke vor.
In den folgenden Monaten setzte Speke alles daran, sich mit Petherick anzufreunden. Nachdem er eine Karte gesehen hatte, die dieser vom oberen Nil gezeichnet hatte, lobte er das Werk als »überaus wertvoll« [8] und Petherick als den »größten Forschungsreisenden in jenem Teil Afrikas«. Petherick forschte gern, blieb dabei aber lieber anonym. Speke gab ihm zu bedenken, wie berühmt er werden könnte. »Bekanntheit zu erlangen, ob als Forschungsreisender oder als Autor, lag mir fern«, [9] schrieb Petherick. »Es war Captain Speke, der mich von all meinen neuen Bekannten am meisten drängte, meine Vorurteile hinsichtlich einer Veröffentlichung zu überwinden.« Speke ermunterte Petherick, seine Reisetagebücher nicht nur zu veröffentlichen, sondern sie, wie er selbst es getan hatte, an das Blackwood’s Magazine zu schicken. »Das Interesse der Öffentlichkeit … ist weitaus größer [10] als Sie annehmen, darum dürfen Sie ihr das, was jetzt in Ihnen verborgen liegt, nicht länger vorenthalten«, nötigte er Petherick. »Die Royal Geographical Society verfügt nicht über die Mittel, einem breiteren Publikum Informationen zugänglich zu machen, wogegen Blackwood eine höhere Auflage bietet als jeder andere. Noch einmal, die Royal Geographical Society ist unendlich träge, Blackwood indes braucht keine Woche, um eine Karte, einen Aufsatz oder was auch immer zu drucken.«
Speke lud Petherick sogar ein, ihn auf Jordans zu besuchen. »Ich habe Petherick gebeten, für ein paar Tage [11] herzukommen«, schrieb er an Norton Shaw, »damit wir Pläne schmieden können, wie wir uns gemeinsam über Afrika hermachen.« Während Spekes Mutter sich für Grant begeisterte, weil er ihrem Sohn gegenüber so uneingeschränkt loyal war, gaben seine Schwestern Petherick den Vorzug, wenn auch nur, weil er sie zum Lachen brachte. Klein und untersetzt, mit einem widerspenstigen Bart und einem Kopf voller wilder Locken, fühlte Petherick sich in einem Zelt in Afrika weitaus wohler als auf einem britischen Herrensitz. Er sei »wie ein blindwütiges Nilpferd« [12] inmitten ihrer delikaten Möbel und des feinen Porzellans herumgetrampelt, schrieb Speke. Seine Schwestern hatten Freude daran, dem vierschrötigen Menschen dabei zuzusehen, wie er sich einzufügen suchte, stets im Ungewissen, was von ihm erwartet wurde. »Sehr zum Vergnügen der Mädchen«, [13] schrieb Speke an Blackwood, »fand Petherick sich heute mit den Kirchenbüchern nicht zurecht.«
Doch bei aller Unbeholfenheit im Umgang mit Aristokraten war Petherick keineswegs dumm. Er wollte an den Nil zurück und war gern bereit, seine eigenen Bestrebungen hintanzustellen, um Speke bei der Verwirklichung der seinen zu helfen; allerdings hatte er Sorge, für solch ein schwieriges Unterfangen nicht genügend Finanzmittel auftreiben zu können. Selbst Speke hatte nur zweitausendfünfhundert Pfund erhalten, und ein Großteil davon war Murchison zu verdanken, der sich direkt an seine Freunde im Schatzamt gewandt hatte. Um zu tun, was Speke und die Royal Geographical Society von ihm erwarteten – während Spekes Expedition von Sansibar aus gen Norden wanderte, sollte Petherick von Khartum aus nach Süden reisen, um dann in Gondokoro mit drei vollbeladenen Versorgungsbooten auf Speke und seine Männer zu warten –, würde Petherick eine Geldsumme benötigen, die jener von Speke gleichkäme. »Die Ausgaben für eine solche Expedition [14] würden sich auf etwa zweitausend Pfund belaufen«, erklärte Petherick der Society. »Sollte eine so große Summe nicht verfügbar sein, würde ich vorschlagen, zwei mit Proviant bestückte Boote unter der Aufsicht eines meiner eigenen Männer, auf dessen Integrität stets Verlass war, auf die Ankunft der Expedition warten zu lassen. … Die Ausgaben lägen dann, nach moderater Kalkulation, bei eintausend Pfund.«
Petherick hatte allen Grund, sich zu sorgen. Die Royal Geographical Society bemühte sich [15] lediglich, sein Gehalt um dreihundert Pfund im Jahr anheben zu lassen, doch selbst diese Forderung verweigerte die Regierung. »Ich muss schon sagen«, beklagte sich der Untersekretär des Schatzamtes, »die Society saugt uns ganz schön aus.« Murchison bemühte sich nach Kräften, das Geld selbst aufzutreiben. Am Ende konnte er die Society und das Foreign Office überreden, jeweils einhundert Pfund beizusteuern, legte von seinem eigenen Geld zwanzig Pfund dazu und drängte seine Kollegen in der Society, es ihm gleichzutun. »Man kann von Konsul Petherick doch nicht erwarten, dass er das Unternehmen aus eigener Tasche bezahlt«, tadelte er sie. Am Ende war Petherick aber noch immer weit von den zweitausend Pfund entfernt, die er mit Sicherheit benötigen würde. Er hatte wiederholt erklärt, dass der Gefallen, um den man ihn bat, unmöglich mit den Mitteln zu bewältigen wäre, die man ihm zur Verfügung stellte. Trotzdem erteilte ihm Francis Galton, der im Expeditionskomitee der Society saß, die Anweisung, er solle im November 1861 in Gondokoro auf Speke warten und nötigenfalls bis mindestens Juni 1862 dort verbleiben.
Während Petherick noch mit der Society rang, bereiteten Speke und Grant ihre Abreise vor. Galton lud beide Männer zu sich nach Hause ein, um ihnen eine gute Reise zu wünschen. Noch Jahre danach würde er sich staunend an die Ergebenheit erinnern, die Grant Speke entgegenbrachte. »Diese unbedingte Loyalität, [16] mit der Grant sich Speke verpflichtet sah, war schon bemerkenswert, wenn ich so sagen darf«, schrieb er später. Doch selbst mit Grant wollte Speke kein Risiko eingehen. Weil ihm das gequälte Verhältnis zwischen ihm selbst und seinem eigenen Kommandanten nur allzu deutlich vor Augen stand, setzte er unverfroren einen strengen Vertrag auf, den er seinem bescheidenen, zurückhaltenden Stellvertreter am Abend vor ihrer Abreise nach Ostafrika zur Unterzeichnung vorlegte.
Hiermit stimme ich zu, [17] Captain J.H. Speke bei seiner Expedition nach dem östlichen Zentralafrika zu begleiten, und erkläre mich mit den folgenden Bedingungen einverstanden: Dass ich der Expedition während der gesamten Reise keine Kosten verursachen werde, meine Dienste und Fähigkeiten ausschließlich der Expedition zur Verfügung stelle und auf das Recht auf eigene Publikationen oder Sammlungen jedweder Art verzichte, es sei denn, Captain Speke oder die R.G.S. geben ihr Einverständnis.
Captain Speke seinerseits erklärt sich einverstanden, Captain Grant unter den oben genannten Bedingungen an der Expedition teilhaben zu lassen.
J.A. Grant
J.H. Speke
Endlich sicher, dass er niemals in dieselbe Lage geraten würde, in die er Burton gebracht hatte, empfand Speke nun einen Anflug von Bedauern darüber, wie sich alles entwickelt hatte. Burtons übergroße Selbstgewissheit, sein Desinteresse an der Meinung anderer und seine Überzeugung, dass er sich, ganz gleich in welcher Lage, ausschließlich auf seinen eigenen Verstand verlassen konnte, hatten Speke schon immer an ihm gestört. Was ihn aber tatsächlich zur Weißglut getrieben hatte, war die Tatsache, dass er Burton offenbar weder beeindrucken, noch einschüchtern konnte. »Wann immer ich über irgendetwas sprach, fuhr er mir dermaßen grob über den Mund, [18] dass ich lieber mit mir selbst Rat hielt«, hatte Speke sich Shaw gegenüber beklagt. »Burton ist einer dieser Männer, die sich grundsätzlich niemals irren, und folglich auch niemals einen Fehler eingestehen, so dass die Unterhaltung mit ihnen irgendwann eher langweilt als erfreut.«
Jetzt jedoch, da Speke im Begriff war, seine eigene Expedition zu leiten, wich sein Groll allmählich einem Gefühl der Großherzigkeit. »Burton und ich sind uns heute in der R.G. Society [19] begegnet«, gestand er Rigby in einem Brief, »aber er hat nicht mit mir gesprochen. Nach einer kleinen Meinungsverschiedenheit hatte er den Wunsch geäußert, jede persönliche Korrespondenz [20] mit mir zu beenden.« Die Briefe zwischen den beiden Männern – sie hatten einander weiterhin geschrieben, nachdem Speke aus Aden abgereist war – waren im Ton zunehmend kälter geworden, zumal das Ausmaß von Spekes Verrat allmählich ans Licht kam. Was so überaus vertraut begonnen hatte – zwei Freunde, die einander mit wechselseitigem Respekt, ja Herzlichkeit schrieben –, war schnell zu knisternder Anspannung und dann zu kaum verhohlener Wut geworden. Aus »Mein lieber John« wurde rasch »Mein lieber Speke«, dann »Speke« und endlich das absolute Minimum, das in viktorianischer Zeit gerade noch als höflich durchging: »Sir.« Schließlich bat Burton Norton Shaw, er möge zwischen ihnen beiden vermitteln, und erklärte, er wünsche »fortan keine private oder direkte Kommunikation mehr mit Speke«.
Zwei Tage vor Spekes geplantem Aufbruch nach Afrika wandte er sich ein letztes Mal mit einem Brief an Burton. »Mein lieber Burton«, schrieb er in dem Versuch, zu einem freundlicheren Umgangston zurückzufinden. »Ich kann England nicht verlassen [21] und Sie dabei ebenso schnöde anreden wie Sie mich, zumal Sie sich herbeiließen, bezüglich der Summe, die ich Ihnen schulde, ein freundschaftliches Arrangement vorzuschlagen.« Burton jedoch wollte Spekes Versöhnungsangebot nicht annehmen. Er war zu tief gekränkt, hatte zu viel verloren. Seine verletzten Gefühle würden nicht mehr heilen. »Sir, ich habe Ihr Schreiben [22] vom 16. April zur Kenntnis genommen«, erwiderte er kurz angebunden. »Was die Schuldenfrage angeht, so habe ich keinerlei Einwände. Allerdings kann ich Ihrem Wunsch, weniger unterkühlt zu korrespondieren, nicht entsprechen – jeder andere Ton wäre mir zuwider. Hochachtungsvoll«, schrieb er und ließ den Brief unsigniert.