4 Eindeutigkeit von Maßen

Ehe wir die Fortsetzbarkeit von Illustration und anderen Maßen diskutieren, untersuchen wir, ob es prinzipiell ausreicht, Maße auf einem Erzeuger Illustrationeiner σ-Algebra vorzugeben –z. B. Illustration auf Illustration. Dabei stoßen wir auf ein grundlegendes Problem: man kann selten Illustration konstruktiv zu Illustration erweitern. Einen Ausweg bietet das folgende Hilfsmittel.

 

4.1 Definition. Eine Familie Illustration heißt Dynkin-System, wenn gilt

Illustration

(D1)

Illustration

(D2)

Illustration

(D3)

Vergleicht man (D1)-(D3) mit (1)—(3), dann folgt sofort, dass jede σ-Algebra auch ein Dynkin-System ist. Wie in § 2.2.a), b) sieht man, dass

Illustration und Illustration.

4.2 Satz. a) Für jede Familie Illustration existiert ein minimales Dynkin-System Illustration mit Illustration. Illustration heißt das von Illustration erzeugte Dynkin-System. Bezeichnung: Illustration.

b) Stets gilt Illustration.

 

Beweis. Teil a) ist analog zu Satz 2.4. Zu b): Da die σ-Algebra Illustration ein Dynkin-System ist, für das Illustration gilt, folgt wegen der Minimalität von Illustration, dass Illustration

Das folgende Lemma erklärt den Zusammenhang zwischen Dynkin-Systemen und Illustration Algebren.

 

4.3 Lemma. Es sei Illustration ein Dynkin-System.

Illustration ist eine Illustration ist-stabil (d. h. Illustration.

 

Beweis. „⇒“: Ist Illustration eine Illustration dann (∑1)—(∑3) ⇒ (D1)—(D3), und die ∩-Stabilität folgt aus § 2.2.c).

„⇐“: Wir müssen (∑3) zeigen: Illustration. Setze E1:=D1 und

Illustration

Mithin folgt Illustration.

Erzeuger sind i. Allg. kleiner und handlicher als die davon erzeugte σ-Algebra. Daher ist der folgende Satz von großer Bedeutung.

 

4.4 Satz. Illustration ∩-stabil Illustration.

Beweis. 1°) Offensichtlich gilt Illustration

2°) Wäre Illustration eine σ-Algebra dann hätten wir Illustration, da ja Illustration die kleinste σ-Algebra ist, für die Illustration gilt; wegen 1° ist Illustration. Im Hinblick auf Lemma 4.3 reicht es also zu zeigen, dass Illustration ∩-stabil ist.

3°) Wir zeigen: Illustration ist ein Dynkin-System für jedes Illustration

(D1) Klar.

(D2) Für Illustration gilt auch Illustration. Das folgt so:

Illustration

(D3) Illustration

Somit ist Illustration.

 

4°) Offensichtlich ist Illustration; da Illustration ∩-stabil ist, gilt

Illustration

Nun besagt Illustration für alle Illustration gerade, dass Illustration ∩-stabil ist.

Illustration

Einige Autoren verwenden monotone Klassen. Das sind Familien Illustration mit

Illustration

(MC1)

Illustration

(MC2)

Für monotone Klassen gilt folgende Aussage, die Satz 4.4 entspricht:

Satz von der monotonen Klasse. Es sei Illustration eine Familien von Mengen, die stabil unter Schnitten und Komplementbildung ist Illustration. Dann gilt für jede monotone Klasse, dass aus Illustration sofort Illustration folgt. Illustration Aufgabe 4.5)

Die Aussage und Beweistechnik von Satz 4.4 spielen in der Wahrscheinlichkeitstheorie eine wichtige Rolle. Wir verwenden Dynkin-Systeme zunächst nur im folgenden Satz.

 

4.5 Satz (Eindeutigkeitssatz). Es seien Illustration ein beliebiger Messraum, Illustration zwei Maße und Illustration mit folgenden Eigenschaften:

a) Illustration ist ∩-stabil,

b) Illustration

Dann Illustration.

4.6 Bemerkung. a) Die Aussage von Satz 4.5 wird oft auch so geschrieben: Illustration. (Dabei ist Illustration die Einschränkung von µ auf die Familie Illustration.)

b) Sind µ und v W-Maße, dann kann Bedingung b) in Satz 4.5 weggelassen werden. Denn: µ(E) = ν(E) = 1. Füge o. E. E zu Illustration hinzu und wähle Gn = E.

 

Beweis von Satz 4.5. Setze Illustration, nIllustration.

1°) Behauptung: Illustration ist ein Dynkin-System.

(D1) Klar.

(D2) Sei Illustration dann ist Illustration weil gilt

Illustration

(D3) Seien Illustration paarweise disjunkt. Dann folgt Illustration aus

Illustration

2°) Für alle n gilt

Illustration

Andererseits:

Illustration

Also:

Illustration

Aufgrund der Stetigkeit von Maßen (Satz 3.3.f) folgt nun

Illustration

Weitere Anwendungen für Dynkin-Systeme

Die folgenden Resultate zeigen, dass das Lebesgue–Maß Illustration – wenn es existiert – ein besonderes Maß ist. Zur Erinnerung

x + B:= {x + b: bB} ist die um Illustration verschobene Menge Illustration.

4.7 Satz. a) Das Lebesgue–Maß λd ist translationsinvariant, d. h.

Illustration

b) Es sei µ ein translationsinvariantes Maβ auf (Illustration, ℬ(Illustration)) mit K = µ([0, 1)d) < ∞. Dann gilt bereits µ = κ · λd.

Beweis. Zunächst überlegen wir uns, dass Illustration für alle Illustration — sonst wäre a) sinnlos. Für festes xIllustration setzen wir

Illustration

Offenbar ist Illustration eine σ-Algebra Illustration und Illustration. Somit gilt

Illustration

a) Setze ν(B):= λd (x + B) für ein festes xIllustration und B ∈ ℬ(Illustration)Dann ist ν ein Maß auf (Illustration und

Illustration

Also gilt Illustration, wobei Illustration ein ∩-stabiler Erzeuger von ℬ(Illustration) ist (vgl. Abb. 4.1), für den außerdem [–m, m)dIllustration, [–, m)dIllustration,λd([-m,m)d) = (2m)d < ∞ erfüllt ist. Somit können wir Satz 4.5 anwenden und sehen, dass ν = λd gilt.

Illustration

Abb. 4.1. Links: Es gilt Illustration. Rechts: Wir parkettieren I mit Rechtecken Illustration der Seitenlänge 1/M und mit linker unterer Ecke x(n). (M ist z. B. das kgV aller Nenner der an, bn ...).

b) Es sei IIllustration. Dann existieren M, k(I) ∈ N und x(n)Illustration mit

Illustration

(vgl. Abb. 4.1). Da λd und µ translationsinvariante Maße sind, gilt

Illustration

Aus der ersten Zeile erhalten wir Illustration und aus der zweiten Zeile ergibt sich Illustration Zusammen haben wir µ(I) = κ·λd(I) für alle Rechtecke Illustration. Aus dem Eindeutigkeitssatz 4.5 folgt dann µ = κ · λd.

 

Unser nächstes Etappenziel ist der Existenzbeweis für das Lebesgue–Maß (und viele andere Maße!).

Aufgaben

  1. Es sei λd das d-dimensionale Lebesgue-Maß auf (Illustration, ℬ(Illustration)).
    • (a) Zeigen Sie: Illustration , λd(Nj) = 0 ∀jIllustrationIllustration
    • (b) Für alle rIllustration gilt {r} ∈ ℬ(Illustration) und λ1 {r} = 0. (Hinweis: Stetigkeit von oben.)
    • (c) Es sei E eine Ebene in Illustration. Dann gilt E ∈ ℬ(Illustration)und λ3(E) = 0. (Hinweis: Satz 3.7 und 4.7.)
    • (d) Es sei N eine λd-Nullmenge und M ⊂ N. Ist M eine λd-Nullmenge?
    • (e) Gegeben sei der Maßraum (Illustration, ℬ(Illustration), δa + δb) mit a, bIllustration. Finde alle δa + δb-Nullmengen.
  2. Es sei kIllustration und E = {1, 2,… , 2k – 1, 2k}. Ist F = {AE: #A ist gerade} ein Dynkin-System bzw. eine σ-Algebra?
  3. Bestimmen Sie die Familien (Illustration) und Illustration auf dem Grundraum E = (0,1) für
    Illustration

    Hinweis: Beachten Sie die Struktur von σ({A1, ..., An}) für eine Partition A1, ...,An von E (vgl. Aufgabe 2.6), sowie Illustration und Satz 4.4.

  4. (Alternative Charakterisierungvon Dynkin-Systemen) Eine Familie Illustration (E) ist genau dann ein Dynkin-System, wenn
    Illustration

    (D1)

    Illustration

    Illustration

    Illustration

    Illustration

  5. (Satz von der monotonen Klasse) Es sei ℳ ⊂ Illustration eine monotone Klasse (MC), vgl. Seite 15, und ℱ ⊂ Illustration eine Familie von Mengen.
  6. (Approximation von σ-Algebren) Es sei Illustration eine Boolesche Algebra auf E, d. h. EIllustration und Illustration ist stabil unter endlichen Schnitten, Vereinigungen und Komplementen. Weiter seien Illustration und µ ein endliches Maß auf (E, Illustration). Wir schreiben Illustration für die symmetrische Differenz von zwei Mengen A, BE. Zeigen Sie:
    • (a) Für jedes ∈ > 0 und AIllustration gibt es ein GIllustration mit µ(AG) ≤ ∈. Hinweis: Die Familie {AIllustration: Ve > 0 ∃G ∈ Illustration: µ (A ∆ G) ≤ ∈} ist ein Dynkin-System.
    • (b) Es seien µ, ν endliche Maße auf (E, Illustration). Für jedes ∈ > 0 und A ∈ Illustration gibt es ein GIllustration mit µ(A ∆ G) ≤ ∈ und ν (AG) ≤ ∈.
    • (c) Es sei E = Illustration, Illustration = ℬ(Illustration) und µ = λd. Für eine Menge AIllustration gilt µ(A) = 0 genau dann, wenn es für jedes ∈ > 0 eine Folge von RechteckenIllustration gilt, so dass A ⊂ UnIn und µ(UnIn) ≤ ∈.
  7. Es sei (Ω, Illustration,) ein Wahrscheinlichkeitsraum und ℬ, IllustrationIllustration seien σ-Algebren. ℬ und Illustration heißen (stochastisch) unabhängig, wenn
    Illustration

    Seien ℬ = Illustration und Illustration = σ(ℋ), wobei Illustration und ℋ durchschnittsstabile Mengenfamilien sind. Zeigen Sie:

    Illustration

    Hinweis: Beachten Sie die Struktur des Beweises von Satz 4.5.

  8. Zeigen Sie, dass Satz 4.5 auch dann gilt, wenn die Folge Illustration den Raum E überdeckt, d. h. E = Un Gn (aber nicht notwendig gegen E aufsteigt), und µ(Gn) = ν(Gn) < ∞ erfüllt.

    Hinweis: Die Mengen G1 ∪ · · · ∪ Gn erfüllen die Voraussetzungen von Satz 4.5.

  9. (Dilatationen) Adaptieren Sie den Beweis von Satz 4.7 und zeigen Sie, dass t · B:= {tb: bB} für jede Borelmenge B ∈ ℬ.(Illustration) und t > 0 wiederum Borelsch ist. Weiter gilt
    Illustration
  10. (Invariante Maße) Es sei (E, Illustration, µ) ein endlicher Maßraum und Illustration für einen ∩-stabilen Erzeuger Illustration. Weiterhin sei θ: EE eine Abbildung mit θ-1 (A) ∈ Illustration für alle AIllustration. Zeigen Sie, dass
    Illustration