9 Das Integral messbarer Funktionen

In diesem Kapitel bezeichne (E, Illustration, µ) einen Maßraum. Wir wollen nun das Integral von Illustration auf Illustration fortsetzen. Da das Integral linear sein soll, werden wir das Integral durch Linearität fortsetzen. Wie bisher bezeichnen wir mit Illustration den Positiv- und Negativteil von Illustration.

9.1 Definition. Illustrationu: heißt (µ-)integrierbar, wenn

Illustration

In diesem Fall definieren wir

Illustration

(9.1)

u dµ heißt (µ-)Integral von u. Die Familie der µ-integrierbaren Funktionen ist Illustration, mit ℒ1(µ) bezeichnen wir die Illustration-wertigen integrierbaren Funktionen.

Illustration

Abb. 9.1. Vom Maß zum Integral - und zurück. Die Abbildung zeigt alle Schritte, wie man vom Maß zum Integral gelangt. Da Illustration, können wir aus dem Integral das ursprüngliche Maß rekonstruieren.

9.2 Bemerkung. a) Weitere Schreibweisen: ∫ u dµ = ∫ u(x) µ(dx) = ∫ u(x) (x).

b) Wenn µ = λd, dann nennen wir u Lebesgue-integrierbar und schreiben oft λd (dx) = dx, d. h. ∫ u(x) dx usw.

c) Die Forderung ∫u± < ∞ in Definition 9.1 schließt den Fall „∞ – ∞“ aus. Beachte, dass wir für u ≥ 0 auch ∫ u dµ = ∞ zulassen, dass dann aber nur Illustration gilt, wenn ∫ u dµ < ∞.

d) Wenn u = fg eine weitere Darstellung von u als Differenz positiver messbarer Funktionen ist, dann gilt auch ∫ u dµ = ∫ f dµ – ∫ g dµ (sofern die Differenz definiert ist). Das sieht man so: Indem wir u+u- = fg umstellen, erhalten wir Illustration, und damit

Illustration

9.3 Satz (Integrabilitätskriterium). Für eine messbare Funktion Illustration sind folgende Aussagen äquivalent:

Beweis. a)⇔b) Das ist gerade die Definition des Integrals.

b)⇒c) |u| = u+ + u⇒ ∫ |u| = ∫ u+ + ∫ u < ∞.

c)⇔d) Wähle w:= |u|.

d)⇒b) u± ≤ |u| ≤ w ⇒ ∫ u± ≤ ∫ w dµ < ∞.

Die Definition des Integrals ist gerade so gewählt, dass sich die Eigenschaften des Integrals von Illustration auf Illustration übertragen.

 

9.4 Satz. Illustration und Illustration. Dann

a) Illustration, ∫ αu dµ = αu dµ; (homogen)
b) Illustration (wenn definiert), ∫ (u + w) = ∫ u dµ + ∫ w dµ; (additiv)
c) Illustration; (Verband)
d) uw ⇒ ∫ u dµ ≤ ∫ w dµ; (monoton)
e) |∫ u dµ| ≤ ∫ |u| . (Dreiecks-Ungl.)

Beweis. Da u und w messbar sind, sind auch die Funktionen αu, u + w (sofern definiert – „∞ – ∞“-Problematik!), uw und uw wiederum messbar. Es reicht daher, die Integrierbarkeit der Beträge zu prüfen.

9.5 Bemerkung. Wenn αu + βw in Illustration definiert ist (d. h. „∞ – ∞“ tritt nicht auf), dann besagt Satz 9.4.a), b)

Illustration

Für u, w ∈ ℒ1 (µ) gilt das immer.

Illustration
  • Illustration ist ein Vektorraum.
    • ►► Addition: (u + w)(x) = u(x) + w(x), xE
    • ►► skalare Multiplikation: (αu)(x) = αu(x), xE, Illustration
  • ► ℒ1 (µ) ∋ u ↦ ∫ u dµ ist positives lineares Funktional.

9.6 Beispiel (Fortsetzung von Beispiel 3.5 und 8.10).

Illustration

Die Umkehrung der Aussage c) ist falsch! Betrachte, z. B. in b) die Folge αn = 2-n (damit erhalten wir einen W-Raum) und Illustration mit Y(n) = n. Dann ist Y nicht beschränkt, aber Illustration konvergiert.

9.7 Definition. Es sei Illustration oder Illustration. Dann

Illustration
Illustration

Beachte: Wir haben Illustration.

Definition 9.7 erlaubt es uns insbesondere, das Integral als Funktion des Integrationsbereichs zu verstehen, also A ↦ ∫A…, und dadurch viele neue Maße und Mengenfunktionen zu konstruieren, z. B. wie im folgenden Lemma. [✍]

 

9.8 Lemma. Es sei Illustration. Dann ist

Illustration

ein Maβ auf (E, Illustration). ν heißt Maß mit der Dichte(funktion) u (bzgl. µ).

 

9.9 Bemerkung. Folgende Bezeichnungen sind üblich: ν = u · µ oder = u · dµ. Oft schreibt man Illustration. Diese Bezeichnung kommt vom Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung:

Illustration

Mit den Bezeichnungen λ = λ1 und λ(dx) = dx erhalten wir

Illustration

Die positive Dichte u ≥ 0 induziert das Maß ν:

Illustration

Aufgaben

  1. Es sei u: Illustration eine messbare Funktion. Zeigen Sie, dass für ein Maß µ
    Illustration
  2. (Komplexwertige Integranden) Es sei (E, Illustration, µ) ein Maßraum und C der Körper der komplexen Zahlen. Wir bezeichnen mit x = Re z und y = Im z den Real- bzw. Imaginärteil von Illustration und mit Illustration die Euklidische To pologieauf Illustration, die die „übliche“ Konvergenz in Illustrationbeschreibt. Weiter sei Illustration. Zeigen Sie:
    • (a) Illustration stimmt mit Illustration überein.
    • (b) Eine Abbildung h: E →ℂ ist genau dann Illustration-messbar, wenn Re h und Im h Illustration- messbar sind.

    Eine Funktion h: E →ℂ heißt µ-integrierbar, falls Re h und Im h µ-integrierbar sind; wir schreiben Illustration{µ) für die komplexwertigen µ-integrierbaren Funktionen. Das Integral ist definiert als Illustration. Dann gilt:

    • (c) h → ∫ hdµ definiert auf Illustration eine C-lineare Abbildung.
    • (d) Re ∫ h dµ = ∫ Reh dµ und Im ∫ hdµ - ∫ Im hdµ.
    • (e) ∣∫hdµ∣ ≤ ∫∣h∣dµ.

      Hinweis: Da ∫h dµ ∈ ℂ gibt es ein 0 ∈ (-π, π], so dass eh dµ ≥ 0.

    • (f) Illustration.
  3. (Reihenvergleichskriterium)Es sei (E, Illustration, µ) ein endlicher Maßraum. Zeigen Sie:
    • (a) Illustration
    • (b) Illustration
  4. Es sei (Ω, Illustration) ein Wahrscheinlichkeitsraum. Zeigen Sie, dass eine Illustration-integrierbare Funktion nicht beschränkt sein muss.
  5. (Fatou - verallgemeinert) Es sei (E, Illustration, µ) ein Maßraum und Illustration.
    • (a) Wenn es ein u ∈ ℒ1 (µ) mit ui(x) ≥u(x), i ∈ N, x ∈ E gibt, dann gilt:
      Illustration
    • (b) Wenn es ein v ∊ ℒ1 (µ) mit vi(x) ≤v(x), i ∈ Illustration, xE gibt, dann gilt:
      Illustration
    • (c) Wenn w(x) = limi wi (x) für alle xE existiert und wenn lwi (x) 1 ≤ g(x) für ein g ∈1 (µ) und alle x ∈ E gilt, dann ist w ∈1 (µ) und
      Illustration
    • (d) Zeigen Sie durch ein Gegenbeispiel, dass die halbseitige Beschränktheit durch integrierbare Funktionen eine wesentliche Annahme in (a) und (b) ist.
  6. (Satz von Egorov) Es sei (E, Illustration, µ) ein endlicher Maßraum und Illustration, eine Folge messbarer Funktionen.
    • (a) Illustration
    • (b) Wir nehmen an, dass Illustrationfür alle x außerhalb einer Nullmenge. Dann gilt für die Mengen Illustration
      Illustration
    • (c) Satz (Egorov). Auf einem endlichen Maßraum sei Illustration(eine Folge messbarer Funktionen, die punktweise (überall oder außerhalb einer Menge vom Maß Null) gegen eine Funktion f konvergiert. Dann gibt es für jedes ∈ > 0 eine Menge Illustration,so dass fn → f gleichmäßig auf Aε (also: Illustration).
    • (d) Geben Sie ein Beispiel an, dass die Voraussetzung µ(E) < ∞ für den Satz von Egorov wesentlich ist (betrachten Sie etwa das Zählmaß auf N oder das Lebesgue-Maß auf Illustration).