Wie im vorangehenden Kapitel seien () und (F, ℬ, ν) zwei σ-endliche Maßräume. Wir können die Formel für ρ(C) im Satz 15.5 als „Vertauschungssatz für Doppelintegrale“ über eine einstufige Treppenfunktion lesen:
Mit den üblichen Techniken (Sombrero-Lemma, Beppo Levi; vgl. Abbildung 9.1) lässt sich diese Aussage auf positive messbare Funktionen erweitern.
16.1 Satz (Tonelli). Es seien (E, , μ) und (F, ℬ, v) zwei σ-endliche Maßräume. Für jede
ℬ-messbare, positive Funktion u: E x F → [0, ∞] gilt
Integrale von positiven messbaren Funktionen darf man immer vertauschen, wenn man +∞ als Wert zulässt. Wenn ein (Doppel-)Integral endlich ist, dann sind alle Integrale endlich.
Beweis. 1°) Zunächst sei für ein C ∈
⊗. Für solche f folgt die Behauptung aus Satz 15.5.
2°) Nun sei g ). Wir wählen eine Standarddarstellung
Da ⊗ ein Vektorraum ist und da Messbarkeit unter Vektorraum-Operationen erhalten bleibt, folgen a), b) (für u = g) aus den entsprechenden Aussagen für die einzelnen Treppenstufen.
Wegen der Linearität des Integrals gilt das auch für c).
3°) Schließlich sei u ∈. Mit dem Sombrero-Lemma (Satz 7.11) finden wir eine Folge einfacher Funktionen gn
∈ mit gn ↑ u. Der Satz von Beppo Levi (Satz 8.6) zeigt nun, dass die Aussagen a)-c) unter aufsteigenden Limiten bestehen bleiben.
16.2 Korollar (Satz von Fubini). Es seien (), (F,ℬ, ν) zwei σ-endliche Maβräume und u:
sei ⊗ ℬ-messbar. Wenn eines der folgenden drei Integrale endlich ist
dann sind alle Integrale endlich, und es gilt
Beweis. Satz 16.1 (Tonelli) zeigt
d. h. wenn ein Integralausdruck endlich ist, dann sind alle Integrale endlich. In diesem Fall gilt .
Aus Satz 16.1 folgt auch die Messbarkeit von
Da u± ≤ |u|, folgt wegen ∫F {∫E, |u(x,y)|μ(dx)} ν(dy) < ∞, das
Weiterhin gilt
Das zeigt b), d).
c), e) folgen analog.
f) folgt aus u = u+ – u-, aus der Linearität des Integrals
und mit Satz 16.1 angewendet auf .
16.3 Beispiel (Partielle Integration (PI)). Der Satz von Fubini kann auch verwendet werden, um klassische Integrationsformeln zu zeigen. Es seien Funktionen, die über jeder kompakten Menge von
integrierbar sind (d. h. lokal-integrierbar, f g ∈ L1(K, dx) für alle Kompakta
). Wir setzen
Dann gilt für alle -∞ < a < b < ∞
(16.1)
Beweis. Wir haben
Durch einfaches Umstellen erhalten wir (16.1). Bei der mit „F“ gekennzeichneten Gleichheit haben wir den Satz von Fubini angewendet. Beachte hierbei, dass
16.4 Beispiel. Mit Hilfe des Satzes von Tonelli können wir ein wichtiges Integral einfach berechnen.
(16.2)
Beweis. Wir setzen . Dann gilt
Wir dürfen diese Integrale als (uneigentliche) Riemann-Integrale behandeln. Der Variablenwechsel y = tx, dy = x dt zeigt
Das innere Integral können wir durch eine Stammfunktion ausdrücken
16.5 Beispiel (Integralsinus).
Beweis. Beachte, dass sowie Im eiξ = sin ξ. Der Satz von Fubini zeigt
Das innere Integral ergibt
Somit erhalten wir mit dem Satz von der dominierten Konvergenz (Satz 11.3)
Das Cavalierische Prinzip besagt, dass wir das Volumen eines Körpers durch die Summation der Volumina seiner Niveauflächen berechnen können. Das ist auch die Idee, die dem Konzept der Verteilungsfunktion zu Grunde liegt. Die Menge {u ≥ t} beschreibt die Werte des Definitionsbereichs einer messbaren Funktion wo das Niveau mindestens t erreicht, und die Verteilungsfunktion gibt das zugehörige μ-Maß an.
16.6 Definition. Für u ∈ heißt
, (obere) Verteilungsfunktion oder Verteilungsfunktion (nach oben) von u unter μ.
Vor allem in der Wahrscheinlichkeitstheorie wird t ↦ μ{u ≤ ≥ t} als Verteilungsfunktion bezeichnet. Um die Begriffe sauber zu trennen, sprechen wir daher von einer unteren/oberen Verteilungsfunktion bzw. von einer Verteilungsfunktion nach unten/oben.
Wir könnnen nun das Integral von u (also das „Volumen unter dem Graphen von u“) durch „Aufsummieren“ der Volumina der Niveauflächen berechnen.
16.7 Satz. Für gilt
Beweis. Setze U(x, t):= (u(x), t). Dann ist -messbar:
Insbesondere sehen wir . Eine direkte Rechnung ergibt, dass
ist, da
genau für u(x) ≥ t gilt. Mit dem Satz von Tonelli folgt nun
16.8 Korollar. Es sei φ: [0, ∞) → [0, ∞) stetig differenzierbar, . Dann gilt für messbare positive Funktionen u: E → [0, ∞)
(16.3)
Insbesondere: R-integrierbar.
Einen der wichtigsten Sonderfälle stellt die konvexe Funktion φ(t) = tp, t > 0, mit 1 ≤ p < ∞ dar:
(16.4)
Beweis. Die Funktion φ ∘ u ist messbar, da φ stetig ist.
An der Stelle (*), wo wir Riemann – und Lebesgue–Integrale gleichsetzen, gibt es eine Lücke. Hier benötigen wir nämlich, dass t → u{φ(u) ≥ t} f. ü. stetig (siehe a) und beschränkt (siehe b) ist.
Lemma. Eine monotone Funktion: hat höchstens abzählbar viele Sprünge und ist somit f ü. stetig.[✍]
Da alles positiv ist, reicht es für die Integrierbarkeit, wenn ein Integralausdruck endlich ist.
Wir diskutieren noch eine weitere Charakterisierung der Produkt-σ-Algebra. Dazu seien Messräume und
die kanonischen Koordinatenprojektionen. Nach Definition 6.5 ist
die kleinste σ-Algebra in E1 × E2, die π1, π2 simultan messbar macht.
16.9 Satz. Es seien und πn, n = 1, 2, 3, wie oben.
Beweis. a) Wegen , gilt
Insbesondere ist und
b) Aus , folgt, dass πn ∘ T messbar ist (n = 1, 2). Umgekehrt seien
messbar (n = 1, 2); dann ist
Da die σ-Algebra
erzeugt, folgt die Behauptung.
c) Sei x1 ∈ E1, fest. Definiere
Nun gilt
und es folgt, dass messbar ist;
behandelt man analog.
Zeigen Sie, dass das Doppelintegral bezüglich λ x λ existiert.
Hinweis: Der Integrand besitzt eine Stammfunktion und der Wert des linken Integrals ist π/4. Zusatz: Zeigen Sie direkt, dass das zugehörige Doppelintegral nicht existiert.
Zeigen Sie, dass das Doppelintegral dennoch nicht existiert.
Hinweis: Integraldarstellung der Eulerschen Beta-Funktion, vgl. Aufgabe 20.2.
Hinweis: Satz 16.7 sowie {f > λ} x {t > 0} = Un {x,λ+ t/n) ∈ Γf}.
Hinweis: Wenden Sie Tonelli und Hölder auf := an, wobei
und Ak ↑ E mit μ(Ak) < ∞. Für den Grenzwert k → ∞ verwenden Sie Beppo Levi.