12 Parameter-Integrale

In diesem und im folgenden Kapitel zeigen wir einige wichtige Anwendungen der Konvergenzsätze. Hier untersuchen wir die Frage, unter welchen Bedingungen sich die Stetigkeit und Differenzierbarkeit eines Integranden (bezüglich eines Parameters) auf das Integral vererbt. Wie immer ist (E, Illustration, µ) ein Maßraum.

Illustration

Offenbar handelt es sich wieder um ein Problem vom Typ Grenzwert-Vertauschung.

12.1 Satz (Stetigkeitslemma). Es sei Illustration offen, und

Dann ist t ↦ V(t):= ∫ u(t, x) µ(dx) stetig für alle t ∈ (a, b).

Beweis. Wegen Annahme c) ist V wohldefiniert. Die Funktion V(·) ist genau dann an der Stelle t stetig, wenn V(tn) → V(t) für jede Folge Illustration gilt.10 Sei also t fest und (tn)n ⊂ (a, b) eine Folge mit tnt. Setze un(x):= u(tn, x). Dann ist

Der Satz von Lebesgue (Satz 11.3) zeigt

Illustration

Eine ähnlich einfache Idee, wenn auch mit einem etwas aufwendigeren Beweis, hat der folgende Satz.

12.2 Satz (Differenzierbarkeitslemma). Es sei Illustration: offen, und

Illustration

Dann ist tV(t):= ∫ u(t, x) µ(dx) differenzierbar in t ∈ (a, b) und es gilt

Illustration

(12.1)

Beweis. Wir zeigen die Differenzierbarkeit von V und (12.1) für ein festes t ∈ (a, b). Wähle Illustration mit tnt, tnt, und setze

Illustration

Insbesondere ist x ↦ ∂tu(t, x) messbar (Limes messbarer Funktionen) und die rechte Seite von (12.1) ist wohldefiniert. Nach dem Mittelwertsatz gilt

Illustration

Daher ist un ∈ ℒ1 (µ) und wir können dominierte Konvergenz in dem mit (#) gekennzeichneten Schritt anwenden:

Illustration

Für das folgende Beispiel benötigen wir eine Tatsache, die wir erst im nächsten Kapitel 13 beweisen werden: Eine Riemann-integrierbare Funktion f ist auch Lebesgue-integrierbar. In diesem Fall gilt, dass Riemann-f(x) dx = Lebesgue-f(x) dx.

Somit stehen uns alle Rechenregeln der Riemannschen Theorie zur Verfügung.

 

12.3 Beispiel. Es sei Illustration. Dann gilt

Beweis. a) Da x ↦ xα stetig ist, ist xα Illustration Borel-messbar. Daher ((R)∫ ... bezeichnet das Riemann–Integral) haben wir

Illustration

b) wird ganz ähnlich bewiesen. [✍]

 

12.4 Beispiel. Die Funktion f(x):= xαeβx, x > 0, ist Lebesgue-integrierbar auf (0, ∞), wenn α > – 1 und β > 0.

Beweis. 1°) Da f stetig auf (0, ∞) ist, ist f auch Borel-messbar.

2°) Mit der exp-Reihe sehen wir für alle x > 0 und β > 0

Illustration

und somit

Illustration

aber α – N < –1 ist stets möglich, da NIllustration beliebig ist.

 

12.5 Beispiel (Eulersche Γ-Funktion). Die Gamma-Funktion ist definiert durch

Illustration

(12.2)

Beweis. Wir zeigen hier nur a), b) (und auch nur für die erste Ableitung), der Rest bleibt als Übung. [✍]

Beispiel 12.4 zeigt, dass Γ(t), t > 0, wohldefiniert ist. Da Stetigkeit und Differenzierbarkeit lokale Eigenschaften sind, zeigen wir a), b) für alle t in beliebigen Intervallen (a, b) c [a, b] ⊂ (0, ∞) – nur so können wir die Majoranten im Stetigkeits- und Differenzierbarkeitslemma finden.

 

a) Wir verwenden Satz 12.1. Sei t ∈ (a, b) fest. Dann

Illustration

und t ↦ u(t, x) ist stetig. Weiter:

Illustration

und somit gibt es eine Majorante, die gleichmäßig in t ∈ (a, b) ist (die aber von a, b abhängen darf). Daher können wir Satz 12.1 lokal auf (a, b) anwenden.

Das zeigt die Stetigkeit von Γ im Intervall (a, b). Da 0 < a < b < ∞ beliebig sind, folgt die Stetigkeit von Γ auf (0, ∞).

b) Wir verwenden Satz 12.2. Es sei t ∈ (a, b) fest. Dann ist

Wir müssen noch eine Majorante finden. Für jedes x ∈ (1, ∞) gilt

Illustration

und für x ∈ (0,1) haben wir Illustration und somit

Illustration

Hier ist a –1 – ε > –1, was für kleines ε > 0 stets möglich ist, da a > 0. Nun ist

Illustration

Somit gilt für alle t ∈ (a, b)

Illustration

Jetzt greift Satz 12.2 und wir finden

Illustration

Da 0 < a < b < ∞ beliebig sind, folgt die Differenzierbarkeit von Γ auf dem Intervall (0, ∞).

Aufgaben

  1. Es seien µ ein Maß auf (Illustration eine messbare (vgl. Aufgabe 9.2) Funktion und dx das Lebesgue-Maß auf Illustration. Finden Sie Bedingungen für µ und u, so dass die Fouriertransformationen
    Illustration
    existieren bzw. stetig sind bzw. n-fach differenzierbar sind.
  2. Es sei µ ein Maß auf (Illustration) und u ∈1(µ), u > 0. Zeigen Sie, dass x ↦ ∫(0,x)u(t) µ(dt) genau dann an der Stelle x = x0 stetig ist, wenn µ{x0} = 0.
  3. Mit Hilfe von φ ∈ ℒ1([0,1], dx) definieren wir f(t):= ∫[0,1] |φ(x) – t|dx. Zeigen Sie:
    • (a) f ist stetig.
    • (b) f ist differenzierbar an der Stelle tIllustration genau dann, wenn λ{φ = t} = 0.
  4. Es sei Illustration dx, t ≥ 0.
    • (a) Zeigen Sie, dass f auf [0, ∞) stetig und auf (0, ∞) zweimal differenzierbar ist.
    • (b) Finden Sie f″ und berechnen Sie limt→∞ f(t) und limt→∞ f′(t).
    • (c) Verwenden Sie die vorangehenden Teilaufgaben, um eine einfache Darstellung für f zu finden.

Weitere Aufgaben zum Thema „parameterabhängige Integrale“ finden sich im folgenden Kapitel.

11 Die Funktion ist stetig und Illustration für ε > 0.