Die Lebesguesche Integrationstheorie wurde entwickelt, weil der Riemannsche Integralbegriff sich für viele Anwendungen als zu eng erwies. In diesem Kapitel zeigen wir, dass das Lebesgue–Integral das Riemann–Integral fortsetzt. Das erlaubt es uns, in vielen Situationen Stammfunktionen „Riemannsch“ zu berechnen und so die Vorzüge beider Theorien zu verbinden. Wir werden auch eine notwendige und hinreichende Charakterisierung aller Riemann-integrierbaren Funktionen angeben (dazu benötigt man interessanterweise den Begriff der Lebesgue–Nullmenge). Wir schreiben
R- / L-integrierbar = Riemann- / Lebesgue-integrierbar,
Zunächst erinnern wir kurz an die Definition des Riemann–Integrals. Auf einem endlichen Intervall sei eine beschränkte Funktion
gegeben. Dann heißt
13.1 Definition. Eine beschränkte Funktion heißt R-integrierbar, wenn
Der gemeinsame Wert (R) u ist das R-Integral von u.
Offensichtlich haben wir
und entsprechend ist
Für jede Verfeinerung Π′ ⊃ Π der Partition Π gilt dann
Abb.13.1. Beim R-Integral werden die Stützstellen tn im Definitionsbereich des Integranden fest gewählt, während beim Lebesgue–Integral der Wertebereich fest aufgeteilt wird, und somit die Werte von u die Partitionierung des Definitionsbereichs bestimmen.
13.2 Satz. Es sei u: Borel-messbar und R-integrierbar. Dann
Beweis. Es sei u R-integrierbar. Dann gibt es eine Folge von Partitionen Πn mit
Wir dürfen o. E. annehmen, dass Πn ⊂ Πn+1 ⊂ ... (sonst betrachten wir Π1 ∪ ... ∪ Πn).
Daher gilt
und mit monotoner Konvergenz (MK) sehen wir
(*)
Es folgt
Da u zudem Borel-messbar war, sehen wir u ∈ ℒ1(λ).
Der Beweis von Satz 13.2 zeigt noch mehr: Wenn u R-integrierbar (aber nicht notwendig Borel-messbar) ist, dann gibt es eine messbare Funktion Σu ∈ ℒ1(λ) mit u = Σu f. ü. und
13.3 Satz. Es sei u: [a, b] → ℝ beschränkt. Dann gilt
Die Menge der Stetigkeitsstellen {x: u stetig in x} einer beliebigen Funktion u: [a, b] → IR ist sogar eine Borelmenge, vgl. Anhang A.3.
Beweis von Satz 13.3. „⇒“: Für eine R-integrierbare Funktion u seien Πn und σu, Σu wie im Beweis von Satz 13.2. Wegen der Eigenschaften von sup und inf gilt
Somit erhalten wir für x ∈ [a, b] \ ∪n∈ℕ Πn und wie oben
Nun gilt [Σu ≠ σu} ∈ da u R-integrierbar ist (vgl. Beweis von 13.2), und daher ist
„⇐“: Umgekehrt sei {x: u(x) ist unstetig} Teilmenge einer Nullmenge.
∀x ∉ {u unstetig} ∀Π ⊂ [a, b] Partition ∃k = k(x, Π): x ∈ [tk–1, tk]
Es folgt, dass die Funktion u R-integrierbar ist.
Die Sätze 13.2 und 13.3 gelten i. Allg. nicht für uneigentliche Riemann-Integrale.
Hinweis: Zeigen Sie , t > 0, und differenzieren Sie diese Identität.
Was würde sich ändern, wenn wir stattdessen [, 2] wählen?
Hinweis: Betrachten Sie zunächst etc. und nutzen Sie monotone Konvergenz sowie Aussagen über den Zusammenhang von Riemann- und Lebesgue-Integralen.
Hinweis: Verwenden Sie die geometrische Reihe und bestimmen Sie Im .
Existieren diese Integrale auch als Lebesgue-Integrale?
Bemerkung: Mit Hilfe des Residuenkalküls kann man zeigen, dass beide Integrale den Wert haben.
Hinweis: Mittelwertsatz für Riemann-Integrale.