NEUES ZEUG
BRAUCHST DU DAS WIRKLICH?
»I
ch liebe es! Es riecht nach neuem Auto!«
Hmm … dieser »neue« Geruch ist für gewöhnlich das Ergebnis flüchtiger organischer Bestandteile, die als Gift gelten, aber wir scheinen besessen zu sein von neuen Sachen, aber nicht nur von neuen Autos. Es ist beinahe so, als würde es den Wert wesentlich steigern, der erste Benutzer eines Gegenstands zu sein.
Es herrscht auch eine gravierende Unverbundenheit zwischen dem gezahlten Preis und dem tatsächlichen Nutzen bzw. der gelieferten Befriedigung.
Der Hauptvorteil beim Kauf von etwas Neuem liegt in der sofortigen Verfügbarkeit, aber für diese bezahlst du teuer. Etwas Seltsames passiert: Wenn wir unsere Lebensqualität auf ökonomischere Weise verbessern, wenn wir uns für etwas Gebrauchtes entscheiden, können wir nicht aufhören zu denken, dass wir neue Sachen aber »verdienen«.
Es ist jedoch keine Frage des »Verdienens«, es ist eine Frage des Wissens über den eigenen Kontostand. Reiche Kids »verdienen« es nicht, all das auszugeben, was sie ausgeben – sie verfügen lediglich über die entsprechenden Mittel.
Gebrauchte Sachen sind für arme Leute
Reichtum und gebrauchte Gegenstände erzeugen eine kognitive Dissonanz. Da wir Reichtum (oder zumindest geringere Armut) anstreben, denken wir anscheinend, dass wir aus reinem Reflex auch etwas neu kaufen müssen, wenn wir schon das Geld dafür haben. Aber eine deiner vernünftigsten wirtschaftlichen Entscheidungen ist, gebraucht zu kaufen.
Wieso? Weil der Preis einer gebrauchten Ware schneller fällt als sein Nutzen. Ein neuer Latthammer kostet 25 Euro, aber bei einem Garagenverkauf kannst du dir einen für 3 Euro besorgen. Kann er immer noch Nägel einschlagen wie zu der Zeit, als er brandneu war? Natürlich. Auf diese Art
von Frage lautet die Antwort oft ja. Der Preisrückgang ist nicht proportional zum Produktnutzen.
Mit Webseiten und Anzeigenapps, die Käufer Tag und Nacht in Kontakt mit Verkäufern bringen, kann man nur schwerlich mit der Lästigkeit, etwas Gebrauchtes zu finden, argumentieren. Für gewöhnlich verkauft irgendwo irgendjemand genau das Gesuchte.
Da die Suche nach Gebrauchtwaren aber Zeit kostet, stelle ich automatisch die Verbindung zu einer Ausgabenstrategie her (siehe »Eine Ausgabenstrategie« auf
S. 203
): Während ich nach etwas Benötigtem suche, kann sich die Vorstellung dieses Produktkaufs setzen und ich kann mich entscheiden, ob ich es wirklich kaufen soll oder nicht. Wenn es um Geldausgaben geht, ist der schlimmste Feind die Eile, aber der beste Freund die Zeit.
Wenn du weniger Armut anstrebst und einen guten Lebensstandard haben möchtest, sollte deine Hauptpriorität sein, nichts Neues mehr zu kaufen, und dir stattdessen all das zunutze machen, was Menschen als ehemalige Objekte der Begierde nun als Gebrauchtes verkaufen.
Gebraucht zu kaufen bedeutet, Sachen preiswerter als zum Neupreis zu bekommen. Du musst dem Rasenmäher verkaufenden Nachbarn nicht mal Mehrwertsteuer bezahlen. Gebraucht zu kaufen, lässt dich den Wert der Gegenstände mit ihrer Nützlichkeit vergleichen.
Nehmen wir zum Beispiel eine Esszimmereinrichtung. Eine aus einem Tisch und Stühlen bestehende Garnitur wird im Geschäft für 4.000 Euro angeboten und landet früher oder später zwangsläufig beim Garagenverkauf. Obschon Gegenstände an Wert verlieren, behalten sie zum Glück ihren Nutzen.
Wenn du also das Gefühl hast, dass du eine neue Esstischgarnitur brauchst, obwohl du an der alten ganz prima sitzen und essen kannst, dann vergiss den IKEA-Katalog, die Zeitschriften für Inneneinrichtung und versuche stattdessen, jemanden zu finden, der ebenfalls eine neue Garnitur sucht und seine alte verkaufen will.
Einen fabrikneuen Tisch zu kaufen, ist zu teuer und du brauchst ihn nicht wirklich. Ernsthaft – willst du wochenlang zu einem Durchschnittsgehalt für eine Esszimmergarnitur arbeiten, die sowieso schon bald ihren Glanz verloren haben wird?
Vergiss nicht, dass alles ab dem Moment des Auspackens nicht mehr neu ist. Musst du wirklich der Erste sein, der sie auspackt?
AUS FEHLERN LERNEN
Ich habe eine Menge Sachen neu gekauft, vor allem Gitarren. Wenn ich erneut die Wahl hätte, würde ich es wieder tun? Vermutlich nicht. Ich bin einer dieser Freizeitmusiker, der nur den Spiegel oder die durchs Haus laufenden Kinder als Publikum hat.
Gitarren halten ein Leben lang, warum also das Objekt der Begierde nicht von einem Musiker kaufen, der sich auch für Jimi Hendrix hielt? Die Kleinanzeigen sind voll mit Gitarren von Musikern, die mit dem Spielen aufgehört haben oder in einen neuen Lebensabschnitt eingetreten sind.
Reparaturen: Zurück zum Wesentlichen
Neben dem Wunsch, etwas Neues zu kaufen, weist die Konsumgesellschaft noch einen weiteren Reflex auf: Sachen wegzuwerfen, statt sie reparieren zu lassen. Nur weiter so. Wirf alles raus. Es lohnt sich eher, etwas Neues zu kaufen, als etwas Altes reparieren zu lassen. Wirklich?
Es stimmt, dass eine Menge Gegenstände, vor allem elektronische Geräte, nicht für eine etwaige Reparatur konzipiert oder die Reparaturkosten höher ausfallen würden, als dieser Artikel neu (made in China) kostet.
Einiges kann jedoch repariert werden – zum Beispiel Fahrräder. Kürzlich investierte ein Freund von mir 150 Dollar, um sein Fahrrad aus dem Jahr 1990 instand zu setzen. Ein vergleichbares neues Rad würde heute etwa 500 Dollar plus MwSt. kosten. Mein Freund hat nun ein funktionierendes Fahrrad, seine Bedürfnisse wurden erfüllt, und er hat ein paar Hundert Dollar gespart.
Diese clevere Vorgehensweise lässt sich auf vieles anwenden: Autos, Gartenmöbel, Grills, kleine Sofas, Couchtische, Schlafzimmermöbel etc. Die Freude, mit der wir Sachen ersetzen, die repariert werden müssen oder ein bisschen Pflege brauchen, zeigt, wie reich wir sind … oder dass wir den Wert des Geldes nicht mehr kennen.
Schuhe sind ebenfalls ein gutes Beispiel. Nach erfolgreichen Besuchen beim Schuh-Discounter werfen wir am Ende alles weg, was wir dort gekauft haben. Dabei kann das Erneuern eines Absatzes oder einer Sohle, oder der
Gebrauch von Schuhcreme wahre Wunder bewirken bei einem Paar Schuhe, die man nur noch in der Tonne gesehen hat.
Das Gleiche gilt für Jacken mit kaputten Reißverschlüssen (erinnerst du dich an die Jacke mit dem kaputten Zipper, die ich 13 Jahre lang getragen habe? Siehe »Auf andere Menschen hören« auf
S. 65
). Nach einem You-Tube-Video und der Investition von 5 Euro kannst du aus deiner Jacke noch ein paar Jahre herausholen. Hält sie dich immer noch warm? Schützt sie vor Regen und Schnee? Ach – Moment mal – du hast sie schon seit Jahren? Na und? Befürchtest du, andere könnten sie für unmodern halten?
Natürlich lässt du nichts nur als Selbstzweck reparieren. Die goldene Regel lautet, dass die Reparatur dem Gegenstand noch viele Lebensjahre schenken und hohe Ausgaben vermeiden soll. Wenn du zum Beispiel etwas, das 500 Euro wert ist, für 200 Euro reparieren lässt, musst du sicherstellen, dass die Ausgabe sinnvoll ist. Auch wenn der Gegenstand alt ist, aber die Reparatur bedeutet, dass du in den kommenden fünf Jahren nicht die weiteren 300 Euro berappen musst, hast du soeben Zeit und folglich Geld gespart.
Zeit kaufen
Gebraucht zu kaufen, spart Zeit. Mal angenommen, jemand verdient für zwei Wochen Arbeit 1.000 Euro netto. Wenn diese Person für einen gebrauchten Gegenstand 500 Euro statt 1.000 Euro für den gleichen neuwertigen Gegenstand bezahlt, hat sie sich die Entsprechung von einer Woche Freizeit gekauft.
Gebraucht zu kaufen, ermöglicht es, den Gegenstand früher zu bekommen, weil man nur 500 statt 1.000 Euro dafür zusammensparen muss. Diese Vorgehensweise:
- verschiebt die Ausgabe der Differenz zwischen den Kosten für ein neues Produkt und den Kosten für ein gebrauchtes Produkt; und
- lässt dich das Produkt früher besitzen und nutzen.
Diese Logik lässt sich perfekt auf Gebrauchsgüter anwenden, weil bestimmte gebrauchte Produkte genauso lange halten wie neue. Esszimmermöbel sind ein gutes Beispiel dafür; solange es nicht brennt, kann eine gebrauchte Garnitur ein Leben lang halten – wie eine neue
.
Kinderspielzeug
Kinder sind für Einzelhändler eine unerschöpfliche Quelle des Reichtums. Alles für sie ist viel zu teuer und wird nur eine begrenzte Zeit genutzt.
Es ist eine Falle: Die elterliche Liebe für die Kinder wird ausgenutzt, um eigentlich unnötige Sachen zu verkaufen. Und doch kann man nahezu alles Nötige für das Kind auch gebraucht finden.
Wozu einen neuen Schlitten für Kinder kaufen?
Warum brauchst du eine zum Kinderzimmer passende Wiege?
Ein neues Fahrrad? Ich hoffe, das ist ein Scherz, denn ein Kinderfahrrad hält nur einen oder zwei Sommer. Das Gleiche gilt für Roll- oder Schlittschuhe oder Inline-Skates, Spielsachen und Kleidung.
Die Rechnungen bezahlenden Eltern werden am Ende die Erkenntnis erlangen, dass man die Geldausgabe nicht mit Liebe zu ihren Kindern gleichsetzen kann. Sie werden gebrauchte Kleidung in Bündeln statt einzeln kaufen. Sie werden die Spielsachen des ersten Kindes an das Zweitgeborene weiterreichen. Sie werden die Spielsachen des Erstgeborenen von vor ein paar Jahren sogar in Geschenkpapier einschlagen. Ich habe meinen Söhnen eine Menge neuer Bücher gekauft. Derjenige, der irgendwann den Inhalt ihrer Bücherregale erwerben wird, bekommt eine Goldmine zum Bruchteil des Ursprungspreises.
GRATISTIPP!
Scheu dich nicht, Eltern, die inzwischen alle Kinder auf die Welt gesetzt haben und keine weiteren planen, vorzuschlagen, dass du ihnen alles für 1.000 Euro abkaufst. Viele Eltern wären glücklich, all die Kleidungsstücke, Spielsachen, Möbel und alles andere zusammenzupacken, statt es einzeln verkaufen zu müssen.
Vergiss dabei nicht, dass der Kauf gebrauchter Sachen mit gestiegenen Bedürfnissen korrespondieren kann. Du kannst also den alten Esstisch deiner Schwiegereltern 20 Jahre lang nutzen und warten, bis es dir finanziell besser geht, um dir einen neuen zu kaufen. Du kannst ihn aber auch aufarbeiten und ihm so ein zweites Leben schenken. Wieso
nicht?
In einer Gesellschaft, in der die persönlichen und kollektiven Schulden in Kanada mehr als 22.837 Dollar betragen
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, kann es lebensrettend sein, Gebrauchtwaren zu kaufen. Bevor du dich abmühst, jährlich 400 Euro mehr an zu versteuerndem Einkommen zu verdienen, kannst du da nicht eher auf deine Ausgaben schauen und die Ausgabenspalte verkürzen? Neues Zeug: Brauchst du das wirklich? Denk daran, dass die Leere, die du mit dem Kauf neuer Produkte füllen willst, nie gefüllt werden kann. Es ist ein Fass ohne Boden.