Höhenflug der Dinosaurier

Dinosaurier waren zum Fliegen schon immer wie geschaffen. Das fing bereits mit ihrem Faible für den zweibeinigen Gang an, der von jeher weit ausgeprägter war als bei ihren vielen krokodilartigen Vettern.[157]

Normalerweise haben vierbeinige Lebewesen ihren Masseschwerpunkt in der Brustgegend. Es kostet sie enorm viel Kraft, sich aufzurichten und auf die Hinterbeine zu stellen. Dadurch fällt es ihnen auch so schwer, längere Zeit bequem aufrecht zu stehen. Bei Dinosauriern hingegen lag der Masseschwerpunkt oberhalb der Hüften. Der relativ kurze Körper von den Hüften aufwärts wurde von einem langen, starren Schwanz stabilisiert, der als Gegengewicht diente. Mit ihrem Hüftgelenk als Angelpunkt waren Dinosaurier in der Lage, mühelos aufrecht zu stehen. Im Gegensatz zu den stämmigen, kompakten Gliedmaßen der meisten Amnioten brachten die Dinosaurier lange dünne Hinterbeine hervor. Beine lassen sich viel leichter bewegen, wenn sie sich nach unten hin verjüngen. Und je leichter sie zu bewegen sind, desto schneller kann man damit laufen. Die vorderen Gliedmaßen, die zum Laufen nicht benötigt wurden, bildeten sich zurück und konnten nun für andere Aufgaben verwendet werden, wie etwa zum Greifen der Beute oder zum Klettern.

Gebaut wie ein langer Hebel und sicher auf zwei Beinen

Die Dinosaurier räumten auf ganzer Linie ab. Bis zum Ende der Trias hatten sie sich derart ausgebreitet und in verschiedene Richtungen entwickelt, dass sie jede ökologische Nische auf dem Land besetzen konnten, ähnlich wie es die Therapsiden einst im Perm getan hatten – nur mit formvollendeter Eleganz. Fleischfressende Dinosaurier jedweder Größe machten Jagd auf pflanzenfressende Dinosaurier, deren Verteidigung entweder darin bestand, so groß wie möglich zu werden, oder aber sich einen Panzer zuzulegen, der ihnen das Aussehen von schwerem Militärgerät verlieh. Mit den Sauropoden entwickelte sich ein Zweig zurück zu Vierbeinern und wurde so zur größten Landtierart, die je gelebt hat. Manche von ihnen wurden über 50 Meter lang und wogen, wie etwa der Argentinosaurus,[158] mehr als 70 Tonnen.

Doch selbst sie waren vor räuberischen Artgenossen nicht gefeit und endeten nicht selten als Beute riesiger Fleischfresser, furchterregender Karnivoren wie Carcharodontosaurus und Giganotosaurus,[159] oder – in der Endzeit ihrer Herrschaft – fielen dem Inbegriff der Gattung zum Opfer: Tyrannosaurus rex.

In Tyrannosaurus rex, so scheint es, waren alle Potenziale der einzigartigen Bauweise der Dinosaurier auf die Spitze getrieben und hatten ihren Höhepunkt erreicht. Die Hinterbeine dieses Fünf-Tonnen-Ungeheuers waren gewaltige Säulen aus

Dinosaurier konnten aber auch ausgesprochen klein sein. Manche waren gar so klein, dass sie in eine Handfläche gepasst hätten. Microraptor zum Beispiel war so groß wie eine Krähe und wog nicht einmal ein Kilo, und der seltsam fledermausartige Yi, so winzig wie sein Name kurz, sogar weniger als die Hälfte davon.

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Das Spektrum der Körpergröße bei den Therapsiden reichte bereits vom großen Elefanten bis zum kleinen Terrier, doch die Dinosaurier stellten selbst das noch in den Schatten. Wieso wurden die Dinosaurier so groß – und auch so klein?

Die Antwort liegt in ihrer Atmung.

In der Evolutionsgeschichte der Amnioten kam es einst zu einem Bruch. Bei den Säugetieren – den letzten verbliebenen Therapsiden, die sich im Schatten der Dinosaurier mutig ans

Andere Amnioten wie Dinosaurier und Eidechsen atmeten zwar ebenfalls durch dieselben Öffnungen ein und aus, aber zwischen dem Inhalieren und Exhalieren geschah etwas völlig anderes. Sie hatten für ihre Luftversorgung eine Art Einwegsystem entwickelt, welches das Atmen überaus effizient machte. Die Luft strömte zwar in die Lunge, gelangte aber anschließend nicht sofort wieder heraus. Stattdessen wurde die Luft weitergeleitet und durch Ventile in ein verzweigtes System von Luftsäcken überall im Körper geschleust. Obwohl einige Echsen heute noch auf diese Weise atmen,[163] waren es die Dinosaurier, die dieses System bis zur Vollendung perfektioniert hatten. Luftgefüllte Räume – im Grunde Erweiterungen der Lunge – umgaben die inneren Organe und lagen sogar im Inneren der Knochen.[164] Dinosaurier waren voller Luft.

Dieser Belüftungsmechanismus war ebenso elegant wie notwendig. Aufgrund ihres leistungsstarken Nervensystems und ihrer aktiven Lebensweise, die die Aufnahme und den Verbrauch enormer Energiemengen verlangte, liefen die

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Wenn ein Körper wächst, aber seine Form beibehält, steigt sein Volumen ungleich mehr als seine Oberfläche.[165] Einfach gesagt, bedeutete dies, dass, wenn ein Körper größer wird, es in seinem Inneren vergleichsweise mehr von ihm gibt als außen. Dies kann zum Problem werden, wenn es etwa darum geht, genügend Nahrung, Wasser und Sauerstoff zu beschaffen oder Abfallprodukte und Hitze abzustoßen, die durch Verdauungsprozesse und das Leben generell entstehen. Der Grund ist, dass der Bereich des Körpers, der zur Verfügung steht, um Dinge herein- und hinauszutransportieren, im Verhältnis zur Masse des zu versorgenden Gewebes schrumpft.

Die meisten Lebewesen sind mikroskopisch klein, sodass dies nicht schwierig ist, doch für jedes Tier, das größer ist als der Punkt am Ende dieses Satzes, wird es zum Problem. Einerseits kann ein Organismus dem begegnen, indem er eigens darauf ausgelegte Transportsysteme wie Blutgefäße, Lunge und so weiter entwickelt. Andererseits kann er seine Gestalt ändern, vergrößerte oder verschachtelte Formen ausbilden, die als Kühlrippen dienen können, von den Segeln der Pelycosaurier und den Ohren von Elefanten bis hin zum komplexen Innenleben der Lunge, der neben dem Gasaustausch auch die wichtige Aufgabe zukommt, überschüssige Wärme abzuführen.[166]

Die größten Dinosaurier aber waren noch einmal sehr viel größer. Die Körperoberfläche eines gigantischen Sauropoden wie des 70 Tonnen schweren und 30 Meter langen Argentinosaurus, der zu den größten Landtieren gehört, die je existierten, war im Vergleich zu seinem Volumen geradezu winzig. Selbst Veränderungen seiner Form wie ein langer Hals und Schwanz reichten bei weitem nicht aus, um die gesamte Wärme abzugeben, die sein raumgreifendes Innenleben produzierte.

Obwohl die Sauropoden riesig groß waren, hatten sie in der Regel einen langsameren Stoffwechsel als kleinere Tiere, sodass ihre Körpertemperatur etwas niedriger lag. Bis ein Dinosaurier dieser Größe von der Sonne aufgewärmt war, dauerte es ungeheuer lange – das Abkühlen jedoch hätte ebenso lange gedauert, sodass ein sehr großer Dinosaurier, einmal

Schließlich war es ihr anatomisches Erbe, das die Dinosaurier rettete und ihnen erlaubte, solche Größen zu erreichen. Da sich ihre ohnehin gewaltigen Lungen in ein System aus Luftsäcken verzweigten, das ihren ganzen Körper durchzog, waren die Tiere weniger massiv, als sie aussahen. Luftsäcke in den Knochen sorgten zudem für ein verhältnismäßig leichtes Skelett. Die Skelette der größten Dinosaurier waren Glanzleistungen des Bioengineering, die Knochen reduziert auf ein effizientes Gerüst aus hohlen tragenden Streben mit so wenigen nichttragenden Teilen wie nur möglich.

Der Clou war jedoch, dass dieses innere Leitungssystem aus Luftsäcken zu mehr diente, als nur Wärme aus der Lunge abzuleiten. Es leitete sie auch direkt aus den inneren Organen ab, sodass die Wärme nicht erst mit dem Blut durch den gesamten Körper und dann schließlich in die Lunge transportiert werden musste, wobei sich ein Teil davon wieder verstreuen konnte und das Problem weiter verschlimmerte. Das Organ, das am meisten davon profitierte, war die Leber, die eine Menge Wärme produzierte und bei einem großen Dinosaurier etwa die Größe eines Pkw besaß. Das luftgekühlte Innenleben der Dinosaurier war effizienter als die mit Flüssigkeit gekühlte Version der Säugetiere.[168] Diese Bauweise ermöglichte es den Dinosauriern, viel größer zu werden, als es Säugetiere je könnten, ohne sofort überzukochen.

Argentinosaurus war also weniger das schwerfällige Ungetüm, als das er uns erscheinen mag, sondern vielmehr ein leichtfüßiger, vierbeiniger, flugunfähiger … Vogel. Schließlich verfügen Vögel, die wahren Erben der Dinosaurier, über dieselbe Leichtbauweise, denselben rasend schnellen Stoffwechsel und dasselbe luftbasierte Kühlsystem – allesamt

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Zum Fliegen gehören meist auch Federn. Schon sehr früh in ihrer Geschichte legten sich die Dinosaurier ein Federkleid zu. Anfangs glichen diese Federn eher Haaren, wie bei den Pterosauriern – enge Verwandte der Dinosaurier und die ersten Wirbeltiere, die schon in der Trias fliegen gelernt hatten.[169] Doch selbst wenn sie nicht damit flogen, diente ein Federkleid kleinen Tieren, die viel Wärme produzierten, hervorragend als Dämmung. Denn das Problem, mit dem kleine aktive Dinosaurier zu kämpfen hatten, war genau das Gegenteil von dem ihrer riesigen Vettern: Sie mussten vermeiden, dass die ganze kostbare Wärme wieder in die Umgebung verpuffte.[170] Und ihre anfangs schlichten Federn wurden zunehmend bunter und komplexer, bildeten Fahnen und Hakenstrahlen aus.[171] Intelligente Tiere wie die Dinosaurier hatten ein reges Sozialleben, in dem Balzverhalten eine wichtige Rolle spielte.

Ein weiterer Schlüssel zum Erfolg der Dinosaurier war das Eierlegen. Obwohl Wirbeltiere in der Regel schon immer Eier gelegt hatten – eine Angewohnheit, die die endgültige Eroberung des Landes durch die ersten Amnioten erst ermöglichte –, kehrten viele von ihnen im Laufe ihrer Geschichte wieder zu einer uralten Gepflogenheit zurück, die schon bei den frühesten kiefertragenden Wirbeltieren zu finden war: dem Gebären lebender Jungen. Im Grunde geht es jeweils darum, eine Strategie zu finden, die dem Nachwuchs Schutz bietet, ohne den Eltern allzu große Opfer aufzubürden. Anfangs legten alle Säugetiere Eier. Doch fast alle wurden zu Lebendgebärenden, wenn auch zu einem hohen Preis: Das

Kein Dinosaurier zog seine Jungen auf diese Weise auf. Sie legten Eier, so wie alle Archosaurier. Intelligent und aktiv, wie sie waren, maximierten sie die Überlebenschancen ihrer Nachkommen, indem sie die Eier in Nestern ausbrüteten und sich nach dem Schlüpfen um sie kümmerten. Viele Dinosaurier, insbesondere in Herden zusammenlebende Pflanzenfresser wie die Sauropoden und die kleineren, bevorzugt zweibeinigen Hadrosaurier, die die Sauropoden in der Kreide größtenteils verdrängten, bauten ihre Nester in gemeinschaftlichen Nistkolonien, die sich bis zum Horizont erstreckten und die gesamte Landschaft beherrschten. Weibliche Dinosaurier zehrten von ihrer eigenen Knochenmasse, um das Kalzium für ihre Eier zu gewinnen, eine Praxis, die Vögel sich bewahrt haben.[174] Es war ein Opfer, das sich angesichts der enormen Vorteile des Eierlegens lohnte.

Das amniotische Ei ist ein Meisterwerk der Evolution. Es besteht nicht nur aus einem Embryo, es ist eine vollständig ausgerüstete Überlebenskapsel. Das Ei enthält ausreichend Nahrung, dass es ein Tier bis zum Schlüpfen versorgen kann, sowie ein Entsorgungssystem, mit dem es gewährleistet, dass diese in sich geschlossene Biosphäre nicht vergiftet wird. Das Eierlegen ersparte einem Dinosaurierweibchen all die Strapazen und Entbehrungen, die es kosten würde, ein Junges im eigenen Körper heranwachsen zu lassen.

Manche Dinosaurier machten sich durchaus die Mühe, ihre Jungen nach dem Schlüpfen zu umsorgen – aber sie waren nicht dazu gezwungen. Andere vergruben ihre Eier in

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Dinosaurier und ihre nächsten Verwandten sammelten über Jahrmillionen hinweg alles an, was sie zum Fliegen benötigten: Federn, einen raschen Stoffwechsel, effektive Luftkühlung, damit sie nicht überhitzten, ein leichtes Tragwerk und das Eierlegen als Fortpflanzungsmethode.[176] Einige Dinosaurier setzten diese Errungenschaften für Dinge ein, die wenig vogelartig anmuten – etwa um größer zu werden als jedes Landtier davor oder danach. Irgendwann jedoch waren die Dinosaurier endlich startklar. Wie aber meisterten sie den letzten Schritt und hoben ab?

Der Anfang lag im Jura, als eine Linie von bereits recht kleinen fleischfressenden Dinosauriern noch kleiner wurde. Und je kleiner sie wurden, desto gefiederter wurden sie. Schließlich mussten kleine Tiere mit schnellem Stoffwechsel so warm wie möglich bleiben. Diese Tiere lebten zeitweise auf Bäumen –

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Eine Tragfläche – oder ein Flügel – ist kein Hexenwerk. Sie ist lediglich so geformt, dass sie die Luft, durch die sie sich bewegt, auf eine bestimmte Weise umlenkt, sodass einige Luftteilchen extrem beschleunigt werden, während andere in Wirbeln und Strudeln verharren. Im Endeffekt erzeugen diese Strömungsunterschiede eine aufwärtsgerichtete Kraft, die nun auf den Flügel einwirkt. Diese Kraft nimmt proportional zur Geschwindigkeit zu, mit der er sich bewegt. Man nennt sie Auftrieb.

Es gibt zwei Techniken, die es einem Tier erlauben abzuheben.

Als Erstes kann man vom Boden oder vom Wasser aus starten. Dabei rennt der Möchtegernflieger, so schnell er kann, gegen den Wind und schlägt dabei so kräftig wie nur möglich mit den Flügeln – ein sogenannter Schlagflug. Theoretisch wäre es sogar schon möglich abzuheben, wenn die Flügel einfach nur waagerecht fixiert würden, doch kein fliegendes Tier kann so schnell rennen. Wenn jedoch mit den Flügeln geschlagen wird, verändert das die Geschwindigkeitsverteilung der Luft, die den Flügel umströmt, was den Auftrieb weiter verstärkt und somit das Unwahrscheinliche möglich macht.[177]

Die andere Möglichkeit, sich in die Lüfte zu erheben, besteht darin, auf einen hoch gelegenen Ort zu steigen, sich von dort hinabzustürzen und die durch die Schwerkraft entstehende Beschleunigung zu nutzen. Es ist sogar noch leichter, wenn man in eine Thermik springen kann – eine Säule aus warmer,

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Die besten Flieger sind sehr klein, mikroskopisch klein sogar, und sie lassen sich treiben, wohin der Wind sie trägt. Die meisten lebenden Organismen sind so klein und seit Urzeiten auf diese Weise durch die Welt gereist, ganz gleich, ob es sich dabei um die windverwehten Sporen der ersten Landpflanzen des Ordoviziums handelte; von einem Tyrannosaurus ausgenieste Saurierviren oder von seiner Haut abgestreifte Bakterien; Spinnen, die an seidenen Fäden durch die Lüfte gleiten, oder winzige Insekten – alles zusammen ergibt die gewaltige Menge an Aeroplankton, das allgegenwärtig durch die Lüfte treibt, kurz über dem Boden bis hinauf zum Rand des Weltraums. Ein sehr kleiner Organismus, eine Spore oder ein Pollenkorn, muss sich zum Fliegen keine Hilfsmittel wie Flügel zulegen, wenn er bereits vom zartesten Windstoß kilometerweit getragen werden kann.

Und genau hier liegt das Problem. Aeroplankton ist dem Wind wehrlos ausgeliefert und kann seine Fortbewegung nicht im Geringsten kontrollieren. Kleine Flieger, die dieser Fortbewegung jedoch eine bestimmte Richtung geben wollen, brauchen Flügel. Doch auf ein Lebewesen, das so klein ist wie ein Staubkorn, wirken die Luftmoleküle deutlich stärker als auf eines, das, sagen wir mal, so groß ist wie eine Biene oder Fliege. Für ein Körnchen Staub ist Luft zähflüssig wie Wasser oder Sirup, sodass das Fliegen vielmehr einem Schwimmen gleicht. Die Flügel der kleinsten geflügelten Insekten ähneln eher Borsten als Tragflächen, und sie funktionieren wie Paddel, mit denen sie durch die Luft rudern.

Für Lebewesen allerdings, die groß genug sind, dass die

Viele unterschiedliche Tiere haben diese Fortbewegungsweise schon für sich entdeckt – von der sogenannten fliegenden Schlange, die ihren Körper verbreitern kann, womit sie ihn in eine Art Tragfläche verwandelt, und den »fliegenden« Fröschen mit ihren riesigen fallschirmartigen Füßen bis hin zu den vielen Arten gleitender echsenartiger Reptilien, ob rezent oder nur aus Fossilienfunden bekannt. Letztere hatten oder haben Gleithäute, die an stark verlängerten Rippen aufgespannt sind und zuweilen sogar selbst Knochen besitzen. Diese Reptilien gleiten bereits seit dem Perm, wenn nicht sogar noch länger. Auch viele kleine Säugetiere sind geschickte Fallschirmspringer, von den südasiatischen Kurzkopfgleitbeutlern bis hin zu einer ganzen Reihe »fliegender« Eichhörnchen, die mit Hilfe von Hautfalten, die sie zwischen Vorder- und Hinterbeinen aufgespannt haben, kontrolliert fallen oder gleiten können. Die Säugetiere haben das Gleiten bereits kurz nach ihrem ersten Auftreten gelernt. Eine der ältesten Säugetiergruppen überhaupt, die Haramiyida, schwebte bereits seit dem Jura durch die Lüfte,[179] womöglich sogar vor dem ersten bekannten Vogel, Archaeopteryx.

Vielleicht ist es Zufall, dass all diese gleitfliegenden Tiere in Bäumen leben oder lebten – und dass sich dieses Fallschirmspringen so häufig unabhängig voneinander entwickelt hat.[180] Schließlich fordert die natürliche Auslese von jedem Lebewesen, das gern auf Bäume klettert, unerbittlich ihren Tribut,

Allerdings hatten nur die kleineren Dinosaurier Chancen, einmal die Lüfte zu erobern, denn wie wir gesehen haben, besagen die Gesetze der Physik nun mal, dass mit zunehmender Größe auch die Energieerfordernisse des Fliegens massiv in die Höhe schnellen. Nur kleine Flieger können flattern. Größere können nur segeln.

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Dinosaurier bedienten sich einer Kombination verschiedener Starttechniken – Rennen und Flattern ebenso wie Fallen und Gleiten. Dass sie fliegen lernten, war jedenfalls reiner Zufall. Denn ihre gefiederten Flügel besaßen sie schon lange, bevor für sie das Fliegen überhaupt in Betracht kam. Viele Dinosaurier hatten Federbüschel oder Federkiele, und das bereits seit sehr langer Zeit.

Doch erst eine Familie kleiner fleischfressender Dinosaurier entwickelte ein vollständiges Federkleid. Obwohl diese Tiere in vielerlei Hinsicht bereits wie Vögel aussahen – so winkelten sie etwa ihre Arme an wie Vögel ihre Flügel und brüteten ihre Eier aus[182] –, waren manche schlicht zu groß zum Fliegen.[183] Trotzdem besaßen viele von ihnen Federn, die sie für verschiedene andere Zwecke einsetzten: zur Wärmedämmung, als Balztracht, zur Tarnung vor Raubtieren oder eine Kombination aus all diesem und vielleicht noch anderen Dingen.

Die ersten Flüge waren kaum mehr als kurze Hüpfer, und sie wurden wohl entweder vom Boden oder von leichten Erhöhungen aus unternommen. Die Flügel der ersten Dinosaurier funktionierten gerade gut genug, um ins untere Geäst zu

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Archaeopteryx lebte am Ende des Juras und war nur eine von vielen Dinosaurierarten, die das Fliegen ausprobierte. Manche der ersten fliegenden Dinosaurier waren eine Art »Doppeldecker« mit Flugfedern an Flügeln wie an Beinen. Der berühmteste von ihnen war der winzige Microraptor aus China, der einer Gruppe namens Dromaeosaurier angehörte.[185] Die Dromaeosaurier waren eng mit Archaeopteryx verwandt wie auch mit einer anderen Gruppe kleiner intelligenter Zweibeiner, den Troodontidae. Und wie die Vögel und Dromaeosaurier probierten auch die Troodontidae mit Federn und, zu einem gewissen Grad, mit dem Fliegen einiges aus. Einer der Troodontidae, Anchiornis, hatte gefiederte Arme und Beine wie Microraptor und lebte im Jura[186] vor dem Aufkommen des Archaeopteryx.

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Eine weitere Besonderheit in der Entwicklung der Flugfähigkeit ist, dass Tierarten es oft fertigbringen, sie wieder einzubüßen.[189]

Sobald sie die Möglichkeit dazu bekommen, scheinen Vögel nur allzu bereit, das Fliegen wieder aufzugeben. Zunächst einmal können nicht alle Vögel sonderlich gut fliegen. Mindestens zwei ganze Ordnungen von Vögeln haben das Fliegen schon lange aufgegeben. Eine davon sind die Laufvögel, zu denen Strauße, Emus, Kasuare und Kiwis gehören wie auch ihre ausgestorbenen Verwandten, die neuseeländischen Moas und die Aepyornis oder Elefantenvögel auf Madagaskar, die beide kurz nach der Ankunft der ersten Menschen auf den jeweiligen Inseln ausgerottet wurden. Die andere sind die Pinguine, die ihre Flügel zu Flossen umfunktioniert haben, um unter Wasser zu »fliegen«. Beide Gruppen gibt es schon sehr lange. Andere Vogelarten wurden flugunfähig, nachdem sie abgelegene Inseln besiedelt hatten, auf denen es keine bodenlebenden Raubtiere gab. Denn jetzt konnten sie sich die

Doch es gab noch eine Reihe anderer nicht mit den Laufvögeln verwandter Gruppen, die allesamt Jahrmillionen vor dem Erscheinen der ersten Menschen ausgestorben sind. In der späten Kreide etwa hüpfte ein primitiver Vogel namens Ichthyornis, der einer Möwe mit Zähnen ähnelte,[190] an den Ufern eines breiten Stroms entlang, der Nordamerika einst von Nord nach Süd in zwei Hälften teilte, während Flugsaurier wie Pteranodon darüber ihre Kreise zogen. Einer seiner Zeitgenossen war Hesperornis, ein großer Vogel, der über einen Meter lang war, aber praktisch keine Flügel besaß und wie die Pinguine viel Zeit im Wasser verbrachte, wo er nach Fischen tauchte. Ein anderer Vogel aus der Kreidezeit, dessen Flugfähigkeit sich wieder zurückbildete, war der hennengroße Patagopteryx, der etwa zur gleichen Zeit in Argentinien lebte, als Ichthyornis und Hesperornis die Strände des heutigen Nebraska besiedelten. Die Alvarezsauridae, zu denen er gehörte, waren eine verwandte Gruppe sehr kleiner gefiederter Dinosaurier mit langen Beinen, aber zu winzigen Stümpfen verkümmerten Flügeln, die je in einer großen Klaue endeten. Als Forscher sie erstmals beschrieben, hielt man auch sie für flugunfähige Vögel.[191]

Fliegen ist eine aufwendige Angelegenheit. Obwohl im Bauplan der Dinosaurier fast von Beginn an sämtliche Voraussetzungen dafür vorhanden waren, war und ist das Fliegen enorm anstrengend, sodass es kaum verwundert, wieso so viele Flugtiere es wieder aufgaben. Bei den Dromaeosauriern und Troodontidae beispielsweise waren die frühen Vertreter ihrer Art noch klein und flugfähig, doch ihre Nachkommen

Die Vögel verlernten das Fliegen, noch bevor sie Vögel wurden.

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Trotz allem nahmen viele die Herausforderung an. Der Himmel der Kreidezeit wurde rasch von dem Zwitschern, Kreischen und Trällern unzähliger Vögel erfüllt. Viele davon zählten zu den Enantiornithes, einer Gruppe von Vögeln, die den heutigen schon sehr ähnelten, nur dass sie noch immer Zähne im Schnabel und Klauen an den Flügeln hatten. Doch schon lange vor Ende der Kreidezeit erschienen die ersten Vögel, die ihrem heutigen Erscheinungsbild entsprechen. Der Wattvogel Asteriornis aus der Oberkreide etwa war ein früher Vetter jener Vogelgruppe, aus der einst Enten, Gänse und Hühner hervorgehen sollten.[192]

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Die Erde aber veränderte sich weiter. Bis zum Ende der Kreide hatte sich Pangäa in jene großen Landmassen geteilt, die wir, mehr oder weniger, heute kennen. Eine Folge davon war die Evolution regional unterschiedlicher Dinosauriertypen. Eine Gruppe von Theropoden namens Abelisaurier war im Allgemeinen auf den südlichen Kontinenten zu Hause, während Ceratopsia wie Triceratops nahezu ausschließlich im Westen Nordamerikas und in Ostasien vorkamen – zwei Regionen, die damals noch miteinander verbunden, von anderen Landmassen jedoch getrennt waren.[193]

Die Isolation der Dinosaurier auf verschiedenen Inselwelten schuf eine bizarre Alice-im-Wunderland-artige Menagerie

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In der Kreide tauchten auch die Blütenpflanzen zum ersten Mal auf.[196] Die ersten waren klein und siedelten sich, wie die ersten Tetrapoden, nah am Wasser an, wo sie die Flussufer mit den wächsern-weißen Blüten der Wasserlilien bedeckten, die sich scharf von der grünen Wand aus Nadelbäumen abhoben.

Schon seit langem hatten Pflanzen ihre Embryos in schützende Samenkörner gehüllt, doch Blütenpflanzen fügten noch zusätzliche Schichten hinzu. Wie bei allen Pflanzen befruchtete eine männliche Zelle eine weibliche, die dann einen Embryo hervorbrachte. Doch bei Blütenpflanzen gab es nun noch zwei weitere weibliche Zellen, die, beide von einem weiteren Spermium befruchtet, ein Endosperm genanntes Gewebe produzierten, von dem sich der junge Embryo ernähren konnte. Das ganze Gebilde war in einer weiteren schützenden Hülle verborgen, aus der sich die Frucht entwickelte. Doch vor der Frucht kam erst noch die Blüte – farbig und duftend, um Bestäuber anzulocken. Auch die Frucht konnte farbig und duftend sein, um Tiere dazu zu bringen, sie zu fressen und durch ihre Exkremente die darin enthaltenden Samen zu verbreiten.

Schlichte Landpflanzen wie Moose hatten sich schon seit Jahrmillionen von Tieren bei der Befruchtung helfen lassen,[197]

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Das Zeitalter der Dinosaurier schien kein Ende nehmen zu wollen. Und in der Tat hätte es womöglich noch ewig andauern können – trotz des Platzens einer Magmablase in Indien am Ende der Kreide. Sonst jedoch schien die Erde im Jura und in der Kreidezeit wie in einen tiefen Dornröschenschlaf gefallen. Das Ereignis, das sie jäh daraus erweckte und die Kreidezeit beendete, war dagegen schnell, brutal – und es kam vom Himmel.

Man muss nur einen Blick zum Mond werfen, um zu sehen, dass er von Einschlägen gezeichnet ist. Die meisten festen Oberflächen unseres Sonnensystems sind von Kratern jeder Größe übersät – von mikroskopisch kleinen bis hin zu riesengroßen. Selbst der winzigste Asteroid ist mit Kratern gespickt, die der Aufprall noch kleinerer Geschosse hinterlassen hat. Nur Himmelskörper, deren Oberfläche sich ständig verändert, sind in der Lage, diese Narben wieder auszulöschen.[198]

Auch die Erde ist schon viele Male von Objekten aus dem All getroffen worden, doch es gibt wenige Krater, die lange überdauern. Die wenigen Himmelskörper, die nicht in der dichten Atmosphäre verglühen, hinterlassen kaum Spuren,

Wie bei allen plötzlichen Ereignissen liegen die Ursachen weit in der Vergangenheit. Auch das Schicksal der Dinosaurier hatte sich schon Jahrmillionen zuvor entschieden. Vor rund 160 Millionen Jahren, im späten Jura, führte ein Zusammenprall im weit entfernten Asteroidengürtel zur Loslösung eines Asteroiden. Dieser Gesteinsbrocken, den man heute Baptistina nennt, maß im Durchmesser 40 Kilometer, und mit ihm löste sich ein ganzer Haufen weiterer Bruchstücke, über 1000 davon, jedes mehr als einen Kilometer breit, manche sogar deutlich größer. Und diese Todesboten schwärmten aus ins innere Sonnensystem.[199]

Etwa 100 Millionen Jahre später traf einer davon die Erde. Der Asteroid, der einen Durchmesser von bis zu 50 Kilometern besessen haben könnte, schoss im Sturzflug aus dem nordöstlichen Himmel[200] und schlug mit einer Geschwindigkeit von 20 Kilometern pro Sekunde vor der Küste der heutigen Halbinsel Yucatán in Mexiko ein, bohrte sich in die Erdkruste und ließ sie schmelzen. Ein greller Lichtblitz, gefolgt von einem Sturm mit Windgeschwindigkeiten von 1000 Stundenkilometern und einem Donnergrollen jenseits aller Vorstellungskraft, löschte alles Leben in der Karibikgegend und einem Großteil Nordamerikas aus. Anschließend wurde die Erde von einem glutheißen Wind und einem Feuerregen

Beim Einschlag wurden Sedimente aufgesprengt, die große Mengen Anhydrit enthielten, Relikte eines urzeitlichen Meeresbodens. Anhydrit ist eine Form von Kalziumsulfat. Der Aufprall verwandelte es mit einem Schlag in gasförmiges Schwefeldioxid. In der Stratosphäre bildete dieses Gas Wolken. Zusammen mit dem dichten Staub blockierten diese Wolken die Sonnenstrahlen und stürzten die Welt in einen jahrelangen Winter. Als die Sonne endlich wieder hell am Himmel stand, war das Schwefeldioxid in Form eines alles verätzenden sauren Regens niedergegangen, hatte die verbliebenen Pflanzen abgetötet und alle Riffe zur Auflösung gebracht.

Doch da waren alle Dinosaurier, die am Boden gelebt hatten, schon verschwunden. Die Pterosaurier waren vom Himmel gefegt worden. In den Meeren starben die prächtigen Plesiosaurier – Nachkommen der Nothosaurier aus der Trias – und auch die Mosasaurier, furchterregende, im Meer lebende Warane.[201] Die großen Ammoniten, Verwandte von Tintenfischen und Kraken, mit ihren gewundenen Schalen, manche groß wie Lkw-Reifen, wurden ausgelöscht, womit ein reicher Tierstamm, der die Erde seit dem Kambrium bevölkert hatte, sein Ende fand.

Der Krater, der zurückblieb, hatte einen Durchmesser von 160 Kilometern.

Doch das Leben erholte sich auch diesmal wieder. Obgleich drei Viertel aller Spezies ausgerottet waren, kehrte das Leben schon bald zurück an diesen »Ground Zero«. Nur 30000 Jahre später war der unterseeische Katastrophenort schon wieder

Die Erben dieser Welt waren jene entfernten Nachfahren der Therapsiden, die, wie die Dinosaurier, einen schnellen Stoffwechsel entwickelt hatten, ihn aber völlig anders nutzten. Es waren die Säugetiere, die sich seit der Trias im Dunkeln verkrochen hatten – und die nun hinaus ins Licht traten.