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C. Tertullians Traktat de fuga im theologischen Kontext seiner Zeit: Alternative Stellungnahmen zur Flucht in der Verfolgung

Besonders in Zeiten intensiver großflächiger, aber auch kleinräumiger oder persönlicher Verfolgung stand – wie die Anfrage des Fabius an Tertullian beispielhaft zeigt – für Christen die Suche nach einem legitimen Ausweg jenseits der beiden Extrema Martyrium bzw. Apostasie auf dem Plan: „Zu fliehen war seit den Tagen der Urgemeinde die natürliche Reaktion der Christen gewesen, wenn sie verfolgt wurden […]. Fälle von Flucht kamen ungleich häufiger vor als solche der Selbstanzeige und Provokation“1. Dass Christen in der Tat einen solchen Weg gingen und die Flucht auf sich nahmen, berichten beispielsweise ganz selbstverständlich Bischof Firmilian von Caesarea2, die von Hieronymus verfasste Vita Pauli3, die anonym verfasste Passio Quirini4 oder die Kirchengeschichte des Eusebius von Caesarea, welche auch von flüchtenden Bischöfen spricht.5 Von diesen Bischöfen ←491 | 492→selbst sind teils Stellungnahmen erhalten, die die ‚Normalität‘ eines solchen Verhaltens bestätigen, aber auch einen Einblick in die jeweiligen Beweg- und Rechtfertigungsgründe gewähren, welche beweisen, dass die Flucht nicht immer ohne Widerspruch geblieben sein muss.6

Flucht vor Verfolgung als Realität früher Christen war – wie schon Tertullians Traktat eindrucksvoll beweist – auch Gegenstand der theologischen Reflexion. Ein Blick in verschiedene frühchristliche Schriften zeigt: Die Frage nach der Legitimität eines Ausweichens vor der Verfolgung wurde im Laufe der Kirchengeschichte immer wieder gestellt und diskutiert.7

Der folgende Blick auf Stellungnahmen im zeitlichen Umfeld Tertullians soll einerseits aufzeigen, wie sich der Karthager mit seiner Position in die Theologie der Zeit einfügt, wie er sich von derselben andererseits aber auch deutlich abhebt.

Gleichzeitig soll damit die Entwicklung nachgezeichnet werden, welche die theologische Auseinandersetzung um die Frage der legitimen Flucht vor Verfolgung bis in die Zeit Tertullians genommen hat. Den Rahmen dieser Untersuchung sprengen würde eine zu weit gefasste Betrachtung alternativer Stellungnahmen, geht es doch darum, Tertullians Schrift de fuga in persecutione nach der Einordnung in den historisch-biographischen (Teil A) nun auch im theologischen Kontext der frühen Kirche zu verorten. So ist es einerseits geboten, zu betrachten, welche theologischen Aussagen zur Flucht bereits zu Tertullians Zeit vorhanden waren. Dies wird zeigen, dass der Karthager nicht der Erste war, der unter dem Eindruck der Verfolgungssituation die Frage nach der Erlaubtheit von Flucht und der Auslegung des jesuanischen Logions Mt 10,23a gestellt und nach Antworten gesucht hat. Andererseits heißt es, Tertullians unmittelbare Zeitgenossen in den Blick zu nehmen, um zu prüfen, wie zur selben Zeit an unterschiedlichen Orten des Reiches und vor dem Hintergrund verschiedener theologischer Traditionen Antworten auf dieselben Problemstellungen gegeben wurden.8 Die Darstellung endet mit den Schriften des Origenes, der noch als Zeitgenosse Tertullians gelten kann. Angeschlossen ist lediglich ein knapper Ausblick auf die folgende Zeit.

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1. Das Martyrium Polycarpi

Als erstes explizites Zeugnis der theologischen Reflexion über die Frage nach Flucht in der Verfolgung gilt das Martyrium Polycarpi. Es führt nach Kleinasien, in die römische Provinz Asia, welche bisweilen als „the cradle of Christian martyrdom“1 bezeichnet wird. Dies rührt vor allem daher, dass die ersten christlichen Texte aus dieser Region besonders das Leiden der Christen und ihr gewaltsames Sterben thematisieren. Neben dem neutestamentlichen Kolosserbrief sind hier die Ignatiusbriefe und die sogenannten Sendschreiben der Offenbarung des Johannes zu nennen, welche an sieben Gemeinden in Kleinasien gerichtet sind: Ephesus, Pergamon, Thyatira, Sardes, Philadelphia, Laodicea und Smyrna.2

In letzterer Stadt war Polykarp etwa zur Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. Bischof. Von ihm ist mit dem Brief an die Philipper zum einen ein literarisches Zeugnis aus eigener Hand überliefert, welches eine der ältesten einer konkreten historischen Gestalt zuzuordnenden Schriften außerhalb des Neuen Testaments darstellt.3 Zum anderen existiert ein an ihn adressierter Brief, der Bischof Ignatius von Antiochien zugeschrieben wird, sowie darüber hinaus der nach seinem Tod über ihn verfasste Martyriumsbericht.4 Letzterer soll im Mittelpunkt dieser Betrachtung stehen. Die Überlieferung führt die Einsetzung Polykarps in sein Bischofsamt auf den Apostel Johannes zurück.5 Über die genaue Datierung seines Todesjahres ist die Forschung uneins.6 Aktuelle Untersuchungen gehen von einer wahrscheinlichen Frühdatierung zwischen 155 und 160 n. Chr. aus.7 Aufgrund der im Martyriumsbericht überlieferten Selbstaussage im Rahmen des Verhörs vor dem Prokonsul, er habe 86 Jahre dem Herrn gedient8, ist wohl auf eine Geburt noch im 1. Jahrhundert n. Chr. zu schließen.9

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Um 155/160 n. Chr. soll Polykarp nach seiner Rückkehr aus Rom, wo er mit Bischof Aniket zusammengetroffen war10, verhaftet worden sein und das Martyrium durch Verbrennen erlitten haben. Der über Polykarps Martyrium existierende Bericht ist in Form eines Briefes der Gemeinde von Smyrna an die Gemeinde in Philomelium, eine Stadt in Phrygien, gestaltet.11 Möglicherweise entstand die Beschreibung als Augenzeugenbericht im Jahr nach dem Martyrium des Bischofs, jedoch ist die Datierung äußerst umstritten12, „anachronisms, implausibilities, and historical inaccuracies“13 werden bisweilen konstatiert. Es handelt sich, bleibt man bei der mehrheitlich vertretenen Datierung in die letzte Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr., um das älteste Beispiel eines Märtyrerberichtes. Damit begründete der Bericht „eine neue literarische Gattung“14. Die Verfasserschaft ist nicht eindeutig geklärt15, auch hinsichtlich des Umfangs bestehen divergierende Meinungen, neueste Darstellungen sehen den Text jedoch als einheitliche Komposition bis Kapitel 20 an.16 Die Schrift lässt sich in fünf große Abschnitte gliedern, welche sich der Briefform des Textes anpassen:

1. inscriptio des Briefes

2. Briefthema; Polykarp als Vorbild eines evangeliumsgemäßen Märtyrerverhaltens (1,1–2)

3. Das Vorbild der edlen Märtyrer Christi (2–4)

4. Das bewunderungswürdige Vorbild des evangeliumsgemäßen Martyriums des Polykarp (5,1–18,3)

5. Briefschluss (19,1–20,2).17

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Kernstück und zugleich umfangreichster Abschnitt des Martyriumsberichtes ist die Darstellung und besondere Herausstellung des ‚evangeliumsgemäßen‘ Martyriums des Polykarp (5,1–18,3) durch die Realisierung der frohen Botschaft im Leben und Sterben des Märtyrers, besonders aber durch Parallelisierung mit der Passion Christi.18

Nach der Briefeinleitung, der Vorstellung des Themas und einem allgemeinen Lob auf die Märtyrer Christi folgt der kurze Bericht über das standhafte Martyrium des Germanikos und über das warnende Beispiel des Quintus, der sich zunächst dem Martyrium selbst ausgeliefert hatte, letztlich aber beim Anblick der wilden Tiere schwach geworden war. Sodann setzt der große Hauptteil des Berichtes recht unvermittelt mit der Flucht des Polykarp aus seiner Bischofsstadt ein: ὁ δὲ θαυμασιώτατος Πολύκαρπος τὸ μὲν πρῶτον ἀκούσας οὐκ ἐταράχθη ἀλλ’ ἐβούλετο κατὰ πόλιν μένειν. οἱ δὲ πλείους ἔπειθον αὐτὸν ὑπεξελθεῖν. καὶ ὑπεξῆλθεν εἰς ἀγρίδιον οὐ μακρὰν ἀπέχον ἀπὸ τῆς πόλεως καὶ διέτριβεν μετ’ ὀλίγων, νύκτα καὶ ἡμέραν οὐδὲν ἕτερον ποιῶν ἢ προσευχόμενος περὶ πάντων καὶ τῶν κατὰ τὴν οἰκουμένην ἐκκλησίων, ὅπερ ἦν σύνηθες αὐτῷ19 (M. Polyc. 5,1 [Hartog 246]). Über den ersten Satz ist einerseits der Anschluss zum vorherigen Bericht über den Phryger Quintus hergestellt. Andererseits weist die Wendung τὸ μὲν πρῶτον ἀκούσας auf Kapitel 3 zurück, wo „das Volk“ nach der provokanten Standhaftigkeit des Germanikos verlangte, Polykarp zu suchen und festzunehmen.20 Dieses antichristliche Auftreten des Volkes wird als teuflisch inspiriert gedeutet: ἐμηχανᾶτο κατ’ αὐτῶν ὁ διάβολος (M. Polyc. 3,1 [Hartog 244].

Polykarp, so wird berichtet, erschrak zunächst nicht ob dieser Bedrohung, sondern wollte in Smyrna ausharren – floh aber letztlich auf Drängen der Mehrheit der Gemeinde. An dieser Stelle ist auffällig, dass Polykarp die Entscheidung zur Flucht nicht aus eigenem Antrieb trifft. Er wird von seiner Gemeinde überredet (πλείους ἔπειθον αὐτὸν ὑπεξελθεῖν), wobei der Inhalt der Diskussion hierüber bezeichnenderweise nicht überliefert ist. Flucht erscheint so als eine „Frage der kollektiven Vernunft“21 und dezidiert nicht als ein emotionaler Reflex aus Furcht vor Verfolgung und Leiden (οὐκ ἐταράχθη) – Polykarp wollte ja zunächst bleiben. Dass der Hauptteil der Erzählung, der erste ‚Auftritt‘ der Hauptperson, sogleich ←495 | 496→mit der Flucht derselben einsetzt, ist darüber hinaus angesichts der Komposition des Textes kein Zufall.22 Dahinter steht die eindeutige Aussage: Ein evangeliumsgemäßes Martyrium kann auch die Flucht mit einschließen. Sie ist nichts, was diesem entgegengesetzt wäre oder es verhindere. Dies bestätigt sich in der Antithese von Polykarp und Quintus dem Phryger der sich zum Martyrium drängt.23 „Polykarp ist wahrer Jünger, der sich nach seinem Meister richtet; das schließt Flucht vor dem Martyrium ein (Mt 10,23) und (montanistisches) Drängen zum Martyrium (M. Polyc. 4) aus.“24 Wenn es auch möglich und vielleicht angesichts der Frühdatierung sinnvoll ist, Quintus nicht als Montanisten zu betrachten25 – Kleinasien war schließlich als Hort besonderer Hochschätzung des Leidens und Martyriums seit dem 1. Jahrhundert n. Chr. bekannt26 –, so bleibt rein textimmanent sein Verhalten ein dem des Polykarp diametral entgegengesetztes, sodass die antienthusiastische Polemik in jedem Fall greift: „The text is a highly sophisticated and detailed exposition on the correct form of martyrdom […]. The author distinguishes between different kinds of martyrdom and offers a subtle polemic against the enthusiastic volunteerism embodied in Quintus.“27

Zu Beginn des 6. Kapitels flieht Polykarp erneut, als er bemerkt hat, dass nach ihm gefahndet wird (καὶ ἐπιμενόντων τῶν ζητούντων αὐτὸν μετέβη εἰς ἕτερον ἀγρίδιον). Nur durch Verrat wird er aufgespürt und schließlich gefangen gesetzt. Auch die zweite Flucht wird gleichsam christologisch unterfüttert und so gerechtfertigt: Sie diene wie die anschließende Gefangennahme dazu, Teilhaber Jesu Christi (Χριστοῦ κοινωνὸς) zu werden.28 Die Parallele zur Gethsemaneerzählung ist augenfällig und wird durch den Verrat und den Hinweis auf Judas direkt geknüpft.29 Wie Jesus muss Polykarp gesucht werden, er stellt sich nicht selbst; besteht aber keine Möglichkeit des Ausweichens mehr – die Häscher stehen schon vor der Tür –, ergibt er sich seinem Schicksal.30 Der Wille Gottes sei jetzt das Martyrium, wie deutlich festgestellt wird: κἀκεῖθεν δὲ ἠδύνατο εἰς ἕτερον χωρίον ἀπελθεῖν, ἀλλ’ οὐκ ἠβουλήθη εἰπών τὸ θέλημα τοῦ θεοῦ γενέσθω31 (M. Polyc. 7,1 [Hartog 248]). Das erneut mögliche Fliehen an einen anderen Ort (εἰς ἕτερον χωρίον) – in der Formulierung eine deutliche Anspielung auf Mt 10,23a – schlägt der Protagonist angesichts der ←496 | 497→unmittelbar drohenden Gefangennahme aus.32 Keineswegs also geht es darum, das Martyrium unter allen Umständen zu vermeiden, aber eben auch nicht darum, es unter allen Umständen zu suchen. So soll jede Form von Martyriumssucht und eigenmächtigem Drängen zum Martyrium zurückgewiesen werden. Entscheidend ist nicht der eigene Wille, sondern der Wille Gottes. Hierbei ist besonders die kontrastiv entgegengesetzte Episode vom Phryger Quintus zu betrachten, von dem es heißt, sein übereifriges, sich aufdrängendes, hitziges Verhalten entspreche nicht dem Evangelium.33 Polykarp dagegen wird als Vorbild stilisiert, das dem Beispiel Christi folgt und wie dieser Leiden und Tod – dann, wenn es unausweichlich ist – auf sich nimmt. „Das Schwergewicht der Darstellung liegt dabei neben den Evangeliumsanspielungen (z.B. M. Polyc. 7,1 a) auf der Beschreibung von Ruhe, Gelassenheit, Höflichkeit, Gefaßtheit und Entschiedenheit Polykarps gegenüber seinen Feinden“34 – und entspricht damit an diesem Punkt genau dem, was Tertullian für Christen angesichts der Verfolgung ohne Ausnahme einfordert.

So entspricht Polykarps Charakterisierung antithetisch der des Quintus.35 Diese Tradition der ‚Rechtgläubigkeit‘ und Evangeliumsgemäßheit des Handelns soll – möglicherweise in der Auseinandersetzung mit dem gerade aufkommenden Montanismus oder aber allgemein mit dem in Kleinasien beheimateten Martyriumseifer – einen bewussten Gegenpol setzen.36

Die Flucht dient darüber hinaus jedoch geradezu der Vorbereitung auf das Martyrium: καὶ προσευχόμενος ἐν ὀπτασίᾳ γέγονεν πρὸ τριῶν ἡμερῶν τοῦ συλληφθῆναι αὐτὸν καὶ εἶδεν τὸ προσκεφάλαιον αὐτοῦ ὑπὸ πυρὸς κατακαιόμενον. καὶ στραφεὶς εἶπεν πρὸς τοὺς σὺνόντας αὐτῷ προφητικῶς· δεῖ με ζῶντα καυθῆναι37 (M. Polyc. 5,2 [Hartog 246]). Dem Bischof wird in der Situation der Flucht und der Einsamkeit eine Vision zuteil, die ihn mit Gewissheit über sein Martyrium durch Verbrennen sprechen lässt.38 Erst durch seine Flucht und das anschließend in der ungestörten Ruhe mögliche unablässige Gebet erfährt Polykarp davon, was der Wille Gottes für ihn bereithält. Und er ergibt sich diesem ganz, wie Jesus in Gethsemane. Gleichzeitig dient die Vision auch der Legitimierung seines Verhaltens, der Flucht und auch ←497 | 498→des späteren Martyriums unter Verzicht auf eine dritte Flucht.39 Endloses Fliehen entspricht in der Diktion des Martyrium Polycarpi ebenso wenig dem Willen Gottes wie das Hindrängen zum Martyrium.40 In diesen beiden Fällen steht der eigene Wille – zu weiterer Flucht oder zum Martyrium – gegen den Willen Gottes.

Noch ein Aspekt fällt bei der Schilderung in Kapitel 5,1–2 ins Auge: Die Flucht ist kein Selbstzweck, kein Davonlaufen vor der Verantwortung als Bischof. Denn, so heißt es, Polykarp betete unablässig für die Kirche, wie er es gewohnt war. Er pflegt seine Sorge um die ihm anvertraute Gemeinde weiterhin, ja womöglich intensiver als zuvor. Dieser Gedanke der Kontinuität der Hirtensorge wird in späteren Schriften, die die Frage der Flucht von Klerikern thematisieren, etwa bei Cyprian von Karthago oder Augustinus, wiederkehren.41

Abschließend ist festzuhalten, dass es dem Verfasser des Martyrium Polycarpi darum geht, ein ‚gesundes‘, evangeliengemäßes Maß des Verhaltens in der Verfolgung zu formulieren, wider jegliche Extremposition. Flucht gehört dezidiert zu diesem Verhalten und entspricht in gewissem Ausmaß, und solange sie nötig scheint, dem Willen Gottes. Flucht ist ein Verhalten gemäß dem Evangelium und ist sogar nötige praeparatio martyrii: „Flucht ist demnach keine Alternative zum Martyrium, sondern dessen Bestandteil“42. Um zu erkennen, wann Flucht und wann Standhaftigkeit geboten ist, verweist der Text auf die lebendige Beziehung zwischen Mensch und Gott durch Gebet, Meditation und Vision. So könne der Christ Einsicht in den Willen Gottes für den spezifischen Augenblick gewinnen. Auch das Vernachlässigen oder gar Aufgeben der Hirtensorge aufgrund der Flucht sieht das Martyrium Polycarpi nicht: Vielmehr betont es die nun zwar auf andere Weise erfolgende, aber dennoch ununterbrochene Gemeinschaft des Bischofs mit seiner Gemeinde, ja mit der ganzen Kirche, auch während der Abwesenheit von der Bischofsstadt.

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2. Clemens von Alexandrien

T. Flavius Clemens wurde wohl um das Jahr 150 n. Chr. in Athen geboren.1 Über sein Leben jedoch „lassen sich keine historisch exakten Angaben machen, so daß sein etwaiger Lebenslauf nur indirekt aus seinen Schriften und aus verschiedenen anderen Quellen rekonstruiert werden kann.“2 Sein Name verrät immerhin, dass er römischer Bürger war und einer seiner Vorfahren durch einen flavischen Kaiser das Bürgerrecht erhalten haben wird.3 Auf zahlreichen Reisen zu Studienzwecken erwarb Clemens seine umfassende klassische Bildung und fand schließlich den Zugang zum Christentum über die Philosophie des Platonismus.4

Ab 180 n. Chr. wird er in Alexandria als Schüler des Pantainos vermutet.5 Dieser wiederum war als freier Lehrer tätig und sammelte einen Schülerkreis nach Art der klassischen Philosophenschulen um sich. Ab etwa 200 n. Chr. trat Clemens selbst in der ägyptischen Metropole als christlicher Lehrer auf.6 Einige Zeit später verließ er offenbar seine Stadt. In der Biographie des Origenes, die Eusebius überliefert, heißt es, Heiden hätten den jungen Origenes gebeten, christliche Unterweisung zu erteilen. Denn niemand sei damals in Alexandrien gewesen, der christliche Lehre hätte geben können.7 Sodann überliefert Eusebius auch einen Brief des Bischofs Alexander von Jerusalem, in welchem er der Adressatengemeinde in Antiochien den „Presbyter“8 Clemens, den Überbringer des Briefes, empfiehlt: ὃς καὶ ἐνθάδε παρὼν κατὰ τὴν πρόνοιαν καὶ ἐπισκοπὴν τοῦ δεσπότου, ἐπεστήριξέν τε καὶ ηὔξησεν τὴν τοῦ κυρίου ἐκκλησίαν9 (Eus. h.e. 6,11,6 [Bardy 102]). Es kann vermutet werden, dass Alexander diesen Brief zur Zeit seines Jerusalemer Episkopats (215–225 n. Chr.) verfasste, Clemens also in dieser Zeit in Jerusalem gewesen sein müsste.10 Über vorherige und weitere Stationen herrscht Unklarheit. Es wird angenommen, Clemens sei nach Caesarea in Kappadokien gelangt.11

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Clemens floh wohl – so die Mehrheit der Forscher im Anschluss an Eusebius’ Information – um das Jahr 202 n. Chr. vor einer Verfolgung aus Alexandria.12 Allerdings gilt: „Since the circumstances of his flight are not known, some scholars have speculated that Clement might have left Alexandria earlier than the persecution for some reason unknown to us.“13 War wirklich eine Verfolgung die Ursache, könnte diese persönliche Note durchaus Einfluss auf seine später schriftlich fixierte Haltung zur Erlaubtheit von Flucht vor Verfolgung gehabt haben.14 Demnach sei es „gut möglich, daß er sich dem Blutzeugnis entzog, um seine Unterrichtstätigkeit fortsetzen zu können.“15 Die fragliche Verfolgung wurde zumeist mit Kaiser Septimius Severus und dessen Verbot des Übertritts zum Judentum und zum Christentum in Verbindung gebracht.16 Daneben hatte er auch die Stadt Alexandria besucht.17 Welchen Anteil der Kaiser selbst jedoch am Ausbruch der Verfolgungen hatte – die Stadt hatte im Bürgerkrieg seinen Rivalen Niger unterstützt18 –, ist unklar. Auch in Karthago brach zeitgleich eine bei Tertullian erwähnte Verfolgung aus, deren bekannteste Opfer die Märtyrerinnen Perpetua und Felicitas waren.19 Wohl ist aber nicht an eine gleichsam konzertierte Aktion mit spezifischem Auslöser zu denken. Während dieser Verfolgungen in Alexandria, laut Eusebius’ Bericht unter der Regierung des Statthalters (praefectus Aegypti) Subatianus Aquila, verlor wohl Origenes seinen Vater.20 Daneben berichtet Eusebius vom Martyrium der Potamiaina und ihrer Mutter Markella.21

Clemens’ Werke, von denen nur etwa die Hälfte erhalten ist22, setzen sich in erster Linie aus christlicher Sicht mit der (platonischen) Philosophie auseinander und versuchen über die Betonung der grundsätzlichen Vereinbarkeit von Christentum und Philosophie, gerade gebildete Heiden für die christliche Religion zu gewinnen. Die Trias der Hauptwerke bilden der Protreptikos, der Paidagogos und die Stromateis.23

Seine Stromateis („Teppiche“) sind ein locker komponiertes Werk in sieben Büchern, das Fragen aus verschiedenen Bereichen ohne feste Gedankenführung ←500 | 501→umfasst.24 Clemens gibt hier „seinen mündlichen Unterricht unter den Bedingungen einer schriftlichen Abfassung wieder. Diese erfordern einen verbergenden und verhüllenden Darstellungsstil, denn Clemens rechnet mit uneingeweihten Lesern seiner Darstellung.“25 Ziel des Verfassers ist ein Hinführen zur geistigen Wahrheit und Erkenntnis (‚wahre Gnosis‘) durch eigenes gedankliches Nachvollziehen des dargelegten Inhalts. Clemens musste die Arbeit an seinem Hauptwerk wohl zunächst aufgrund seines Ausweichens aus Alexandria beenden, später dann scheint er es nicht mehr zu Ende geführt zu haben.26 In Alexandria entstanden wohl die Bücher 1–3, während die Bücher 4–7 schon in Kappadokien verfasst worden sind.27 Andere Thesen verorten das gesamte Werk bereits in Caesarea.28

Im vierten Buch, welches sich thematisch mit Vollkommenheit, Martyrium und Askese auseinandersetzt29, betont Clemens zunächst, dass die Apostel als ‚wahre Gnostiker‘ in der Nachfolge Jesu den Kelch des Leidens getrunken und für die von ihnen gegründeten Gemeinden gelitten hätten. Auch die wahren Gnostiker seiner Zeit, die vollkommenen Christen also, müssten bereit sein, Leiden und Drangsal zu ertragen und schließlich vor Gericht mit Wort und Tat Zeugnis abzulegen: Ὅσοι δὲ ἔργῳ μὲν παρὰ τὸν βίον, λόγῳ δὲ ἐν δικαστηρίῳ μαρτυροῦσι κἂν ἐλπίδα ἐκδεχόμενοι, κἂν φόβον ὑφορώμενοι, βελτίους οὗτοι τῶν στόματι μόνον ὁμολογούντων τὴν σωτηρίαν30 (Clem. str. 4,9,75,3 [Van den Hoek 178.180]). Es besteht also eine innere Verbindung zwischen Gnosis und Martyrium, die schon zu Beginn des vierten Buches eingeführt wird.31

Das gilt wohl im Sinne Clemens’ für alle Christen, die zum Ideal gelangen wollen. Zur vollkommenen Liebe gelange sodann der, welcher sein äußeres Menschsein gelassen und willig hingebe und so zum Herrn gelange. In diesem Sinne überlappen sich die Ideale des wahren Christen und des Märtyrers, ohne sich aber gegenseitig zu bedingen.32 Ein wahrer Gnostiker muss nicht notwendig Märtyrer sein: „The contest for virtue is not only fought in the arena; it is won in the forum, the household, and the interior life. […] Martyrdom becomes in the hands of Clement one of many venues through which the gnostic is called to act in a specific manner.“33 Für die Martyriumstheologie des Alexandriners insgesamt gilt: „Martyrdom is a ←501 | 502→practice that a good Christian (or, in Clement’s terms, a gnostic) might be expected to perform and is associated with personal salvation, penance, and purification“34. Hierbei knüpft er, durch das Vokabular schon rein oberflächlich zu sehen, an philosophisch-intellektuelle Konzepte der klassischen paideia an und versucht auch so, das Christentum als mit philosophischen Systemen vereinbar und letztlich als Höhepunkt und Vollendung derselben zu erweisen.35

Im Zusammenhang mit den oben zitierten Aussagen zu Standhaftigkeit und Martyrium äußert sich Clemens ein Kapitel später auch zur Frage der Flucht vor der Verfolgung. Der Alexandriner schreibt hierzu: Ἐπὰν δ’ ἔμπαλιν εἴπῃ. «Ὅταν διώκωσιν ὑμᾶς ἐν τῇ πόλει ταύτῃ, φεύγετε εἰς τὴν ἄλλην», οὐχ ὡς κακὸν τὸ διώκεσθαι παραινεῖ φεύγειν οὐδ’ ὡς θάνατον φοβουμένους διὰ φυγῆς ἐκκλίνειν προστάττει τοῦτον· βούλεται δὲ ἡμᾶς μηδενὶ αἰτίους μηδὲ συναιτίους κακοῦ τινος γίνεσθαι, σφίσιν τε αὐτοῖς πρὸς δὲ καὶ τῷ διώκοντι καὶ τῷ ἀναιροῦντι· τρόπον γάρ τινα παραγγέλλει αὐτὸν περιίστασθαι, ὁ δὲ παρακούων τολμηρὸς καὶ ῥιψοκίνδυνος36 (Clem. str. 4,10,76,1–2 [Van den Hoek 180]).

Zunächst betont Clemens hier, dass Verfolgung an sich nichts Schlechtes sei und das Gebot Jesu auch nicht dazu diene, der Furcht vor dem Tode Vorschub zu leisten und sich aufgrund ihrer der Verfolgung zu entziehen. Es zeigt sich also, dass nicht nur in Karthago, sondern auch im Umfeld des Clemens diese Interpretation des jesuanischen Wortes als Entschuldigung für persönliche Ängstlichkeit und Furcht virulent war. Unterstützt wird die demgegenüber deutlich ablehnende Aussage des Clemens auch durch den vorher benannten Kontext, in dem es gerade um Standhaftigkeit und Bekenntnis geht. Weder der Versuch, Verfolgung als Übel zu qualifizieren, noch Furcht könnten also eine Flucht im Sinne des jesuanischen Fluchtwortes rechtfertigen. Anders als Tertullian lehnt er die grundsätzliche Gültigkeit der jesuanischen Fluchterlaubnis zwar nicht ab, will sie aber im rechten Sinne verstanden wissen und ist sich in der Deutung der Verfolgung als etwas Gutes und der Forderung nach Furchtlosigkeit mit Tertullian ganz einig: Beides rechtfertigt keine Flucht.

Vielmehr jedoch sei es Jesus darum gegangen, weder den Christen selbst noch den Verfolgern, die Gewalt anwenden wollten, zu ermöglichen, Übel als Begleiterscheinung der Verfolgung in Kauf zu nehmen. Man solle sich nicht leichtfertig selbst in Gefahr bringen, indem man die Weisung Jesu missachte. Mit leicht apologetischem Unterton verweist Clemens darauf, dass man auch die Verfolger ←502 | 503→nicht in Gefahr bringen solle. Klar also wird unterschieden zwischen missbilligtem, nicht legitimem Fliehen aus Furcht einerseits und empfohlenem, legitimem Fliehen aus Vernunftgründen, wie es auch im Martyrium Polycarpi betont wird.37 Gleichzeitig ist unterschwellig die Ablehnung jeder Art von Selbstauslieferung und Martyriumseifer zu spüren. Noch deutlicher wird dies aber im folgenden Kapitel: Εἰ δὲ ὁ ἀναιρῶν ἄνθρωπον θεοῦ εἰς θεὸν ἁμαρτάνει, καὶ τοῦ ἀποκτειννύντος αὐτὸν ἔνοχος καθίσταται ὁ ἑαυτὸν προσάγων τῷ δικαστηρίῳ· οὗτος δ’ ἂν εἴη ὁ μὴ διωγμόν, ἁλώσιμον διὰθράσος παρέχων ἑαυτόν. οὗτός ἐστι τὸ ὅσον ἐφ’ ἑαυτῷ ὁ συνεργὸς γινόμενος τῇ τοῦ διώκοντος πονηρίᾳ, εἰ δὲ καὶ προσερεθίζοι, τέλεον αἴτιος, ἐκκαλούμενος τὸ θηρίον38 (Clem. str. 4,10,77,1 [Van den Hoek 182]).

Wer sich selbst dem Gericht und dem Martyrium ausliefere, der mache sich mitschuldig an der Sünde der Verfolger. Christen, die sich selbst gegenüber den heidnischen Verfolgern exponierten, seien im Bild wie Menschen, die wilde Tiere reizten und so zum Angriff provozierten. An dieser Stelle ist zwar oberflächlich nichts über die Frage der Flucht ausgesagt – Verfolger nicht zu reizen, kann ebenso bedeuten, sich nur still zu verhalten und dennoch vor Ort zu bleiben – doch bedeutete es wohl gerade für angesehenere, gesellschaftlich bekannte Christen in Zeiten einer hereinbrechenden Verfolgungswelle durchaus, die Gefangennahme durch das bloße Bleiben zu veranlassen. Clemens stellt dem Verhalten der „Selbstauslieferer“ illustrativ noch vergleichbare Verhaltensweisen aus dem Alltag zur Seite: Auch Feindschaften, Streit, Strafen und Gerichtsverhandlungen könnten Verfolgungen provozieren (ἀφορμὴν ἐγέννησε διωγμοῦ). Das gelte es unter allen Umständen zu vermeiden, wofür die Anweisung Jesu aus Lk 6,29 herangezogen wird: τῷ αἴροντι τὸ ἱμάτιον καὶ τὸν χιτῶνα προσδιδόναι. Unter allen Umständen solle man der Gewalt und Beschimpfung des Christennamens (τὴν τοῦ ὀνόματος διακινῶμεν βλασφημίαν) vorbeugen.39 Auch im siebten Buch der Stromateis wird in diesem Sinne nochmals herausgestellt, dass es kein Widerspruch zur vollkommenen Tapferkeit sei, bisweilen den Gefahren auszuweichen, wenn es die Vernunft gebiete. Im Gegenteil handelten diejenigen – Clemens nennt sie die „sogenannten Märtyrer“ und meint damit wohl abermals Selbstauslieferer – falsch, welche sich selbst einen Anlass suchen, sich in Gefahr zu begeben. Davon verschieden seien die wahrhaft Tapferen: οἳ δὲ περιστελλόμενοι κατὰ λόγον τὸν ὀρθόν, ἔπειτα τῷ ὄντι καλέσαντος τοῦ θεοῦ προθύμως ἑαυτοὺς ἐπιδιδόντες, καὶ τὴν κλῆσιν ἐκ τοῦ μηδὲν αὑτοῖς προπετὲς ←503 | 504→συνεγνωκέναι βεβαιοῦσιν40 (Clem. str. 7,11,66,4 [Le Boulluec 210]). Möglicherweise weist Clemens an dieser Stelle auf ‚montanistische‘ Selbstauslieferer hin.41 Diese These wird neben der Tatsache, dass Clemens in str. 4,13 die Montanisten namentlich nennt – sie also zumindest oberflächlich zu kennen scheint – vor allem dadurch gestützt, dass Buch 4 der Stromateis schon nicht mehr in Alexandria, sondern in Kappadokien entstanden sein könnte: „Clement’s references to the New Prophecy may have been stimulated by some contact with adherents of the movement in Asia minor.“42 Es gilt jedoch zu beachten, dass Selbstauslieferung und Martyriumseifer kein Proprium der ‚Montanisten‘ waren.43

Insgesamt antithetisiert Clemens also nicht Martyrium und Flucht, sondern eher Selbstauslieferung und Flucht/Martyrium. Beides, Flucht und Martyrium, gehören zum Leben des Christen und entsprechen der von Clemens so betonten ‚Vernünftigkeit‘ des christlichen Lebens in der Nachfolge Jesu. Man solle das Martyrium nicht suchen, es nicht um jeden Preis – vor allem nicht um den der Sünde – herausfordern, aber: „If gnostics find themselves in a situation in which martyrdom is expected, then they are required to accept it.“44 So betont auch Van den Hoek: „Ultimately, a virtuous life can lead to martyrdom if the situation calls for it.“45 Implizit ist schon hier der später bei Origenes vorgetragene kairologische Aspekt, der zum Kerngedanken der alexandrinischen Auseinandersetzung um eine bedingte Rechtfertigung von Flucht vor Verfolgung werden sollte46, enthalten. Dass die Frage nach Flucht vor der Verfolgung an sich für Clemens kein Thema sei, wie Leemans schreibt47, kann so nicht gehalten werden, da der Alexandriner das Wort Jesu in Mt 10,23a sehr wohl als Erlaubnis versteht48, der Verfolgung auszuweichen, ←504 | 505→ja mehr noch, in der entsprechenden Situation sei es gar ein Gebot der Vernunft, deren Urgrund letztlich Gott ist. Entscheidend hierbei ist aber die Intention des Fliehenden. Der Hauptakzent seiner Argumentation liegt trotz der möglicherweise persönlichen Fluchterfahrung nicht so sehr auf der Rechtfertigung des Fliehens, sondern vielmehr auf der Ablehnung jeder Selbstauslieferung und jedes Martyriumsenthusiasmus’: „[T]‌he condemnation of voluntary martyrdom as a distinct phenomenon serves to explain initial flight from persecution. […]. [T]he terms of the debate have shifted from the defense of flight in times of persecution to an attack on enthusiasm.“49

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3. Origenes

Der ebenfalls aus dem antiken Bildungszentrum Alexandria stammende Theologe Origenes (185–253 n. Chr.), dessen Leben und Werk durch die Geburtsstadt einerseits und den Ort seines späteren Exils, Caesarea, andererseits bestimmt wird, ist vor allem „für die Verschränkung von Antike u. Christentum, näherhin von platonischer Philosophie und jüdisch-christlicher Bibel“1 bekannt. In dieser Tradition führte er den von Clemens begonnenen Weg fort. Nicht zuletzt diese Tatsache bildete neben der Wirkungsstätte Alexandria die Grundlage für die Vermutung, Origenes sei ein Schüler des Clemens gewesen.2 Sein Leben lässt sich nur teils rekonstruieren, wobei eine solche Rekonstruktion hauptsächlich auf der nicht unkritisch zu lesenden Darstellung in der Kirchengeschichte des Eusebius fußt und durch einige weitere antike Zeugnisse ergänzt werden kann.3 Demnach ist der Theologe in Alexandria als Sohn einer aus Ägypten stammenden Mutter und eines griechischen Vaters, der das römische Bürgerrecht besaß, geboren. Die Familie war wohl christlich, sodass Origenes zunächst von seinem Vater „sowohl christlich durch das Studium der Bibel, die er weitgehend auswendig lernte, als auch griechisch in den Fächern der hellenist. paideia erzogen“4 wurde. Während einer regionalen Verfolgung im Jahre 202 n. Chr. verlor er den Vater und wollte sich, glaubt man den Quellen, in der Folgezeit selbst dem Martyrium ausliefern, konnte durch seine Mutter jedoch zurückgehalten werden. Zur Ernährung der Familie trug der von ihm erteilte Grammatikunterricht bei, der von einem Philosophiestudium ergänzt wurde, das ihn nach Sitte der Zeit für höhere Aufgaben qualifizieren sollte.5

Wenig später betrieb er zunächst „auf privater Basis“6 eine Schule, deren „christliche Lehrer den christlichen Glauben in philosophischem Stil einem gebildeten Publikum vermittelten.“7 Dies waren nicht alleine Taufbewerber, sondern es handelte sich in antiker Tradition um ein gemischtes, auch heidnisches Publikum.8 Hierin stand Origenes in der Tradition von Pantainos und Clemens, ohne letzteren jedoch je namentlich zu nennen, sodass von einem bei Eusebius postulierten Lehrer-Schüler-Verhältnis der beiden wohl nicht gesprochen werden kann.9

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Wohl im Jahre 215 n. Chr. begab sich Origenes zeitweilig von Alexandria nach Caesarea in Palästina, wo er als Laie Homilien im Gottesdienst gehalten haben soll. Daneben unternahm er nach klassisch-philosophischer Tradition zahlreiche Reisen, etwa auch nach Rom oder Arabien.10 Im Jahr 231/32 n. Chr. wurde er schließlich in Caesarea zum Presbyter geweiht, obwohl er bis dahin formell dem alexandrinischen Bischof unterstand. Nachdem es schließlich mit letzterem zum Streit um Fragen der Lehre und der Autorität gekommen war, wich Origenes gänzlich nach Caesarea aus11, wo er eine rege Tätigkeit als Presbyter und vor allem Prediger entfaltete. Während der Verfolgung in Zusammenhang mit dem decischen Opferedikt wurde er im Jahre 250 n. Chr. inhaftiert und gefoltert und starb um 253 n. Chr. in Caesarea oder Tyros.12

Origenes trat ab ca. 220 n. Chr. als äußerst produktiver Schriftsteller hervor, dessen Tätigkeit maßgeblich vom reichen Alexandriner Ambrosius finanziert wurde.13 Es finden sich in einer Liste des Eusebius 77 Titel mit etwa 800 einzelnen Büchern, von denen nur ein Bruchteil – teils fragmentarisch oder nur in lateinischer Übersetzung – auf uns gekommen ist.14 Zur Frage der Flucht und ihrer Bewertung äußert sich Origenes in kleinerem Rahmen an verschiedenen Stellen und in verschiedenen Gattungen seines umfangreichen Œuvres. Die relevanten Stellen finden sich fast ausnahmslos in – auch den Großteil des origenischen Corpus ausmachenden15 – exegetischen Werken, deren lebenspraktische Bedeutung für das Auditorium eine Behandlung dieser Frage naturgemäß erwarten lässt.

Zunächst finden sich relevante Ansatzpunkte in Origenes’ Biographie. Er wird vor allem aufgrund der eusebianischen Episode vom eigenen Martyriumsdrang angesichts der Inhaftierung des Vaters in der Forschung bisweilen als jugendlicher Rebell, der sich zum Martyrium drängte, begriffen und gedeutet.16 Ausdruck gefunden hätte dieses ‚Rebellentum‘ des jungen Alexandriners in der exhortatio ad martyrium,17 von der Frend meint: „Tertullian would have said no more.“18

Betrachtet man zunächst die genannte exhortatio ad martyrium, kommt dort deutlich und überbordend die Hochachtung des Origenes für das Martyrium zum Ausdruck. Es entsteht der „Eindruck, als wolle Origenes das Martyrium enthusiastisch anpreisen“19. Gerade dort taucht nun zum ersten Mal im Œuvre des Theologen ←507 | 508→das jesuanische Fluchtwort aus Mt 10,23a auf, ohne jedoch ausgelegt zu werden. Origenes zitiert vielmehr die auf Leidensbereitschaft, Zeugnis und Martyrium hin ausgelegten Stellen der Aussendungssrede Jesu und kombiniert sie mit markinischen und lukanischen Stellen, um zu beweisen, dass das Martyrium eine besondere Berufung der Apostel sei. Butterweck folgert hieraus, dass der Gemeindeleiter unter keinen Umständen fliehen dürfe20 – der Text an sich gibt jedoch weder dies noch das Gegenteil explizit her.21 Origenes lässt die Frage an dieser Stelle offen. Sein Thema, so könnte man mutmaßen, ist ja nicht, die Frage der Erlaubtheit von Flucht zu diskutieren, sondern eine Stellungnahme zur Gnade des Martyriums und seiner Bedeutung im Leben des Christen abzugeben. Dass Martyrium Ausdruck der Gnade Gottes ist, daran lässt er keinen Zweifel: „In erster Linie ist das Martyrium ein Geschenk der Gnade Gottes, eine Berufung, der der Christ gehorchen muss“22. Es gilt jedoch zweierlei zu bedenken: Einerseits „betont er, dass Jesus das Wort aussät, es aber auf den Menschen ankommt, ob er es aufnimmt, dann entsprechend handelt und in letzter Konsequenz das Martyrium auf sich nimmt“23, und andererseits, dass „die Weissagung Christi über das Martyrium […] im übrigen nicht allen Gläubigen [gelte], sondern in erster Linie den Aposteln, die zum Martyrium ermahnt worden seien.“24 Im Umkehrschluss heißt beides dann auch, dass Martyrium als Gnade und Erweis der vollkommenen Liebe25 nicht der Regelfall sein kann.26 Des Weiteren kennt Origenes zwei Arten des Martyriums, die für die Frage nach der Stoßrichtung der exhortatio von Belang sind: das Martyrium in der Öffentlichkeit als Folge des Bekenntnisses vor Gericht und das „Martyrium im Verborgenen, das nur Gott bekannt ist. Letzteres beschränkt sich nicht nur auf die Einstellung des Menschen, die von der Bereitschaft gekennzeichnet ist, nach dem Willen Gottes das Martyrium auf sich zu nehmen, sondern wird im Rückgriff auf 2 Kor 1,12 zum Zeugnis vor Gott, einen dem christlichen Glauben entsprechenden Lebenswandel geführt zu haben.“27 Aufforderung zum Martyrium bedeutet also in erster Linie die stete Bereitschaft, offen zu sein für den Anruf Gottes zum öffentlichen wie privaten Martyrium, so er denn eintrifft und dem Christen diese Gnade zuteilwerden soll. Ob diese Bereitschaft ausschließt, sich der Verfolgung durch Flucht zu entziehen, oder ob nicht eher die Annahme des Martyriums angezielt ist, das sich nicht mehr – oder nur unter Abfall vom Glauben – vermeiden lässt, etwa ←508 | 509→im Prozess, bleibt offen. Um diese Frage zu klären, ist man auf Origenes’ spätere Schriften angewiesen.

Berücksichtigt man ferner noch, dass die exhortatio nach neuesten Erkenntnissen nicht aus der frühen Lebensphase des Origenes stammt, sondern eher ins Jahr 235 n. Chr. zu datieren ist28, fällt auch die ohnehin historisch schwer zu belegende Theorie vom ‚jugendlichen Hitzkopf‘ weg.29 Es gilt auch zu bedenken, dass sich seine Schrift konkret an zwei Kleriker wendet – den Diakon Ambrosius und den Presbyter Protoktetus30 –, welche von der zur vermuteten Abfassungszeit bereits stattfindenden oder unmittelbar bevorstehenden Verfolgung unter Maximinus Thrax31 „bedroht, aber wohl noch nicht unmittelbar betroffen waren“32. Alles Lob und alle Ermutigung, das Martyrium auf sich zu nehmen, ist also auch vor diesem sehr persönlichen Hintergrund zu betrachten. Nicht zuletzt steht im Raum, dass Origenes nach mancher Ansicht auch selbst vor dieser Verfolgung unter Maximinus Thrax nach Caesarea in Kappadokien geflohen sei.33 Wenn diese These auch mehrheitlich bestritten wird34, lässt sich doch feststellen, dass Origenes in späteren Schriften explizit eine vernunftgemäße Erlaubtheit der Flucht vor Verfolgungen betonte.

Eine konkrete Thematisierung der Fluchtproblematik findet sich zunächst in den Homilien zum Josuabuch. Überliefert sind 26 dieser Predigten in der lateinischen Fassung des Rufinus von Aquileia.35 In originaler Fassung entstammen sie der Predigttätigkeit des Origenes in Caesarea und werden dort vermutlich in seinen letzten Lebensjahren entstanden sein.36 Die Predigten wurden generell von Stenographen mitnotiert und anschließend wohl nochmals überarbeitet, um „Spuren seines recht komplizierten mündlichen Satzbaus zu tilgen“37. Hinsichtlich ←509 | 510→des Inhalts „orientiert sich Origenes bei seinen Homilien im allgemeinen an der Erzählfolge des Josuabuches und greift dabei im einzelnen Themen auf, die sich in besonderer Weise einer christologischen und ekklesiologischen Ausdeutung unterziehen zu lassen scheinen.“38 Dabei ist für den Exegeten entscheidend, dass er durch die im Griechischen vorhandene Namensgleichheit von Josua und Jesus (᾿Ιησοῦς) – Origenes orientiert sich für seine Auslegung an der LXX-Fassung des Buches – Jesus Christus gleichsam in Josua präfiguriert sieht.39 In der achten Homilie wendet sich Origenes den Ereignissen um die Zerstörung der Stadt Ai (überliefert in Jos 8) zu. In der biblischen Erzählung heißt es in Jos 8,15, dass Josua vor dem Heer von Ai floh. Diese Stelle nimmt Origenes zum Anlass für grundsätzliche Erwägungen: Zunächst gebe es eine Flucht, die Heil in sich berge und tugendhaft sei (aliqua perfecta virtus in fuga) – etwa die Flucht vor der Unzucht gemäß dem Wort des Paulus in 1 Kor 6,18.40 Ebenso gelte es, Zorn, Habsucht, Neid, Missgunst, Verleumdung und üble Nachrede zu fliehen.41 Hier ordnet Origenes nun auch das jesuanische Fluchtgebot ein: Iste talis erat exercitus Gai, quem Iesus fugiendum docebat milites suos, et de his fortasse mandat discipulis suis dicens: Si vos persequuntur in hac civitate, fugite in aliam; quod si in alia, fugite in aliam42 (Or. hom. in Jos. 8,6 [Jaubert 232]). Nicht die konkrete, gleichsam körperliche Verfolgung durch Heiden, noch die physische Flucht Josuas vor dem feindlichen Heer steht aber hier für den allegorisierenden Exegeten Origenes zur Debatte, sondern das Fliehen vor Übeln und Lastern: Vult enim nos fugere ab huiusmodi hostibus, vult nos longe effici ab huiusmodi malis43 (Or. hom. in Jos. 8,6 [Jaubert 232]). Darin spiegelt sich die für Origenes’ Exegese so zentrale Bedeutung des menschlichen Lebens verbunden mit einer stark ethischen Komponente wider.44 So ist die vorliegende Stelle trotz der Thematisierung des jesuanischen Fluchtgebotes für die Frage nach theologischen Positionen zur Erlaubtheit von Flucht vor Verfolgung nicht geeignet, zeigt aber, mit welchen exegetischen Methoden Origenes für diese so zentrale Schriftstelle auch neue Fragestellungen und Kontexte erschließt.45 ←510 | 511→So wird die „Bibel zum Fundament christlicher Lebensführung […]. Exegese ist Psychagogie“46.

Anders verhält es sich in der neunten Homilie zum Buch Richter. Die ebenfalls nur in lateinischer Übersetzung des Rufinus erhaltenen Predigten umspannen die Kapitel 2–7 des alttestamentlichen Richterbuches.47 Dort ist der sich geschichtlich stets wiederholende Zyklus des Sündigens und Entfernens von Gott, des folgenden Leides, des Flehens um göttliche Hilfe, das im Senden eines Richters gipfelt, der das Volk auf Gottes Wege zurückführt, festgehalten. Origenes extrahiert als durchgängigen roten Faden seiner Predigten hieraus „the ongoing battle between virtue and vice for possession of the human soul.“48 Die Predigten entstanden zeitlich wohl nach den Homilien zum Buch Josua49 und sind in die Jahre zwischen 245 und 248 n. Chr. zu datieren.50

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Thema der neunten und letzten überlieferten Predigt ist Gideons Kampf, der in Ri 7 geschildert wird. Das biblische Geschehen wird auf die aktuelle Zeit und die Situation der Christen übertragen, indem das Leben der Christen und insbesondere die Situation der Verfolgung mittels der militia-Christi-Metaphorik beschrieben werden: et hodie princeps militiae nostrae Dominus et Salvator noster Iesus Christus clamat ad milites suos et dicit: Si quis timidus et formidulosus corde, ad mea bella non veniat51 (Or. hom. in. Jud. 9,1 [Messié/Neyrand/Borret 208.210]). Es folgt ein Zitat aus Lk 14,26f., welches deutlich macht, dass hier die konkrete Kreuzesnachfolge im Sinne des geistigen Kampfes verstanden wird. Ein solcher Kampf sei leicht, enthalte nichts Schweres, nichts Steiles oder Unmögliches, wird er nur aus dem Glauben heraus (ex fide) geführt. Demzufolge sei auch weniger die körperliche Stärke (corporis fortitudo), sondern die Stärke des Geistes (animi fortitudo) nötig.52 Komme es nun aber einmal dazu, dass ein Soldat Christi sich hinsichtlich seiner Kräfte dem Feind zeitweilig unterlegen fühlt und sich daher aufmacht, von einem Ort zum nächsten zu fliehen (fugere de loco ad locum), so sei auch dies ausdrücklich erlaubt (licet tamen etiam hoc).53 Origenes fährt in militärischer Metaphorik fort: nec tibi in hoc adscribitur militare commissum. Designatur enim etiam hoc in legibus Christi dicentis: Si vos persecuti fuerint in hac civitate, fugite in aliam; quodsi in alia, fugite in aliam54 (Or. hom. in. Jud. 9,1 [Messié/Neyrand/Borret 214]). Aufgrund der Weisung Jesu zur Flucht, die hier sogar unter die „Gesetze“ gerechnet wird, sei ein solches Handeln in der Verfolgung keine Fahnenflucht, welche wohl mit dem schwer wiederzugebenden „Vergehen gegen die soldatische Pflicht“ (militare commissum) gemeint sein wird.55 Denn ein solches Verhalten habe Christus schließlich zum Gesetz erhoben (designatur […] in legibus Christi), wofür er Mt 10,23a als Beleg zitiert und auch hier wiederum durch die bereits in der Josua-Homilie gemachte Ergänzung „wenn sie euch aber auch in der anderen verfolgen, dann flieht wieder in eine andere“ bereichert. Das Fluchtgebot ist also nicht auf eine einmalige Verfolgung begrenzt, es erlaubt in der origenischen Auslegung explizit ein mehrfaches Fliehen. Entscheidend (summa rei) sei lediglich, dass man Jesus, zu dem man sich einmal in der Taufe bekannt habe, ←512 | 513→nicht verleugne (Iesum quem semel confessus es non negare).56 Eine Flucht gewährleiste dann genau das und bewahre den Christen in seiner zeitweiligen Schwäche vor einer möglichen Apostasie. In militärischer Metaphorik führt Origenes diesen Gedanken weiter aus und betont, ein ängstlicher und furchtsamer Soldat möge das Heerlager verlassen und nach Hause zurückkehren, um den anderen Soldaten nicht ein schlechtes Beispiel im Kampfe abzugeben (ne exemplum timoris et formidinis ceteris praebeat).57

So tritt hier neben die gleichsam selbstbezogene Intention, aufgrund der Schwäche nicht zum Apostaten zu werden, eine zweite, auf den Nächsten bezogene Intention hinzu: Man solle nicht durch seine eigene Schwäche die anderer mitprovozieren. Eigenes Handeln hat demnach immer auch Konsequenzen für die Brüder und Schwestern. Ein weiterer solcher im Grunde ethisch-disziplinärer Gesichtspunkt wird an anderer Stelle im Zusammenhang mit der Frage nach der Erlaubtheit von Flucht noch bedeutsam werden.

Für die Thematik einschlägig ist auch der Matthäuskommentar des Origenes58, der in seinen letzten Lebensjahren entstanden sein soll.59 Ursprünglich umfasste er nach der Überlieferung von Eusebius und Hieronymus 25 Bücher, von denen nur die Bücher 10 bis 17 und einige Fragmente aus mittelbyzantinischen Kommentaren, „die aus aneinandergehängten Auszügen aus verschiedenen großen exegetischen Werken der Väterzeit zusammengesetzt sind wie eine Kette aus vielen Gliedern und die deshalb Katenen heißen“60, erhalten sind. Die Auslegung der erhaltenen Bücher beginnt mit Mt 13,36, sodass gerade die Exegese der zentralen Stelle Mt 10,23a fehlt. Nichtsdestoweniger nimmt Origenes an zwei anderen Stellen zur Frage des Ausweichens vor Verfolgung und Gefahren Stellung und bezieht hierbei ebenfalls eine liberal-vernünftige Position.

In der Auslegung von Mt 14,12–14 („Als Jesus es aber hörte, fuhr er in einem Schiff von dort weg an einen einsamen Ort für sich allein.“61) betont Origenes, dass es vernünftig (κατὰ τὸ εὐλόγιστον) sei, Verfolgern und Nachstellungen um des Wortes Gottes willen aus dem Wege zu gehen (ἀναχωρεῖν). Ein gegenteiliges Verhalten sei jedoch verwegen.62 Angesichts der Worte Jesu in Mt 10,23a und insbesondere ←513 | 514→dessen eigenen Verhaltens nach dem Tod Johannes’ des Täufers (das ja in der gerade fokussierten Mt-Stelle erkennbar ist) könne keiner bezweifeln, dass solches Verhalten richtig sei: τίς δὲ ἔτι ἀμφιβάλοι ἂν περὶ τοῦ ἐκκλίνειν τὰ τοιαῦτα, τοῦ Ἰησοῦ οὐ μόνον ἐπὶ τοῖς κατὰ τὸν Ἰωάννην ἀναχωρήσαντος, ἀλλὰ καὶ διδάσκοντος καὶ λέγοντος· »Ἐὰν διώκωσιν ὑμᾶς ἐν τῇ πόλει ταύτῃ, φεύγετε εἰς τὴν ἑτέραν«63 (Or. comm. in Mt. 10,23 [Klostermann/Benz 31]). Allerdings unterscheidet Origenes nach der zugrundeliegenden Situation – ob man ihr ausweichen oder nicht ausweichen könne: ἐπελθόντα μὲν οὖν οὐ παρ’ ἡμᾶς πειρασμὸν ἀναγκαῖον ὑπομένειν εὐγενῶς λίαν καὶ τεθαρρηκότως· παρὸν δὲ ἐκκλίνειν, τοῦτο μὴ ποιεῖν τολμηρόν64 (Or. comm. in Mt. 10,23 [Klostermann/Benz 31]). Nach welchen Kriterien dies geschehen sollte, lässt Origenes an dieser Stelle offen.

Im 16. Buch des Matthäuskommentars wird er konkreter: Im Zuge der Auslegung der Stelle Mt 20,17–1965 hält Origenes wiederum fest, dass es weder grundsätzlich immer angemessen sei, der Gefahr standhaft zu begegnen, noch, ihr stets auszuweichen.66 Es gelte aber, den rechten Moment zu erkennen, in dem Standhaftigkeit und Todesbereitschaft geboten seien – wann Gott also zum Martyrium rufe. So erklärt Origenes den Unterschied im Handeln Jesu, der einerseits anordnete, von Stadt zu Stadt zu fliehen (Mt 10,23a), andererseits aber bereit und willens war, nach Jerusalem zu ziehen, wo ihn der Tod erwartete (Mt 20,17–19): „[T]‌he kairos is the only difference. Until that moment has come, it is always best to escape danger by fleeing it.“67 Angemessen beurteilen könne die Situation jedoch nur ein „Weiser in Christus“: σοφοῦ δέ τινος ἐν Χριστῷ χρεία εἰς τὸ δοκιμάζειν, ποῖος μὲν ἀπαιτεῖ καιρὸς ἀναχώρησιν, ποῖος δὲ τὴν εἰς τὸν ἀγῶνα προθυμίαν χωρὶς ἀναχωρήσεως ←514 | 515→καὶ πολλῷ πλέον χωρὶς φυγῆς68 (Or. comm. in Mt. 16,1 [Klostermann/Benz 463f.]). Origenes ermuntert abschließend, Tod und Gefahren zu verachten (λελέχθω εἰς προτροπὴν τὴν περὶ τοῦ <ποτε> καὶ θανάτου κινδύνων καταφρονεῖν; Or. comm. in Mt. 16,1 [Klostermann/Benz 463f.]), was nochmals verdeutlicht, dass es keineswegs um ein bloß angstmotiviertes, gleichsam unvernünftig-effekthaft begründetes Vermeiden von Verfolgungen gehen kann, sondern je nach Situation und vernünftiger Beurteilung – je nach καιρὸς – das eine oder das andere mit aller Konsequenz gefordert ist. So wird an dieser Stelle eine Parallele zum Martyrium Polycarpi deutlich, wo ebenso hervorgehoben wird, dass beide Praktiken – Flucht und Standhaftigkeit bzw. Martyrium – evangeliumsgemäß sind und sich nicht kategorisch ausschließen.

Im in weiten Teilen nach 233 n. Chr. in Caesarea entstandenen69 Johanneskommentar geht Origenes noch einen Schritt weiter. Ausgangspunkt ist die Stelle Joh 11,54: „Nun zeigte sich Jesus nicht mehr unter den Juden, sondern zog sich von dort in die Gegend nahe der Wüste zurück, in eine Stadt, die Efraim heisst. Und dort blieb er mit seinen Jüngern.“ Zunächst wird in der folgenden Auslegung wieder betont, dass eine Intention dieses Wortes der Schrift sei, die Christen vor unvernünftiger, hitziger Suche nach dem Martyrium abzuhalten (ἀπὸ τοῦ θερμότερον καὶ ἀλογιστότερον).70 Zwar sei es gut, wenn man auf dem Kampfplatz stehend – also dem Gericht ausgeliefert oder den Henkern oder wilden Tieren gegenüber stehend – bekenne und sich nicht davor drücke, nicht weniger gut aber sei auch, gar nicht erst in die Versuchung zu geraten, eventuell schwach zu werden71 – und das in doppeltem Interesse: οὐ μόνον διὰ τὸ περὶ τῆς ἐν αὐτῷ ἐκβάσεως ἄδηλον ἡμῖν, ἀλλὰ καὶ ἵνα μὴ ἡμεῖς αὐτῷ ἐκβάσεως ἄδηλον ἡμῖν, ἀλλὰ καὶ ἵνα μὴ ἡμεῖς πρόφασις γενώμεθα τοῦ ἁμαρτωλοτέροις γενέσθαι καὶ ἀσεβεστέροις τοῖς οὐκ ἂν μὲν τῷ ἔργῳ τοῦ ἡμῶν ἐκκεχύσθαι τὸ αἷμα γενομένοις ἐνόχοις, εἰ τὰ παρ’ ἑαυτοὺς ποιοῦντες ἐκκλίνομεν τοὺς μέχρι θανάτου ἡμῖν ἐπιβουλεύοντας72 (Or. Jo. 28,23,194 [Blanc 5, 156]). Sich den Gefahren der Verfolgung und den Häschern selbst auszuliefern, sei gefährlich, ohne auf das Wohl der Verfolger bedacht zu sein, deren Vergehen so durch eigenes Tun bzw. Unterlassen der Christen noch größer würden. Auch sie selbst würden dann für das Verleiten zur Sünde zur Rechenschaft gezogen werden: Εἴπερ γὰρ καὶ ὁ πρόφασίς τινι γενόμενος ἁμαρτίας τῷ αὐτὸς ἐπὶ ←515 | 516→ταύτην κεκινηκέναι τὸν ἁμαρτάνοντα τίσει δίκας ἐπὶ τοῖς δι’ αὐτὸν ἀνθρώπων τινὶ ἡμαρτημένοις73 (Or. Jo. 28,23,195 [Blanc 5, 156.158]).

Hier klingt deutlich die Argumentation des Clemens an, man solle nicht durch allzu voreiliges Standhaftbleiben oder gar Selbstauslieferung die Übel der Verfolgung oder die Sünden der Verfolger mitverursachen.74 Wie schon in den Josua-Homilien wird das menschliche Verhalten nicht nur in Relation zu sich selbst verstanden, sondern auch in Relation zu den Mitmenschen, die man im vorliegenden Fall nicht durch eigenen Starrsinn in Sünde bringen solle. Jesus habe also durch seinen im Evangelium berichteten Rückzug in diesem Sinne selbst ein Beispiel rechten Verhaltens gegeben.75

Auch in Contra Celsum kommt Origenes auf diesen Zusammenhang zu sprechen. Es handelt sich bei der Schrift um ein zunächst nicht exegetisches, sondern apologetisches Werk in acht Büchern gegen eine antichristliche Schrift des platonischen Philosophen Kelsos (lat. Celsus), das etwa zeitgleich mit dem Matthäuskommentar entstanden ist.76 Es ist in Origenes’ Werk „der einzige Titel apologetisch-polemischen Charakters“77, einer Gattung, die der Theologe durchaus kritisch betrachtete, ermöglichte sie doch auch, dass heidnische Vorwürfe – trotz ihrer Entkräftung – überhaupt erst publik gemacht wurden.78

Kelsos hatte gut 70 Jahre zuvor, etwa zwischen 177 und 180 n. Chr.79, ein Werk mit dem Titel Ἀληθής Λόγος („Der wahre Logos“) verfasst. Auf Veranlassung seines „Mäzens“ Ambrosius widmet sich Origenes wohl zwischen 244 und 249 n. Chr. der Auseinandersetzung mit diesem Werk. Dabei verfolgte er „ein mehrfaches Ziel. Einerseits wollte er die Angriffe des Celsus zurückweisen, andererseits der von seinem Gegner ins Feld geführten ‚wahren Lehre‘ die Wahrheit des Christentums entgegenstellen und die Überlegenheit der christlich-jüdischen Tradition gegenüber der paganen Überlieferung erweisen.“80 Innerhalb der Argumentation der Schrift des Kelsos, die im Ganzen nicht erhalten und nur durch die Zitate des Origenes überliefert ist81, kommt auch ein Missverständnis zahlreicher biblischer Stellen zum Tragen, die vor allem das Verhalten Jesu betreffen.

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So wendet Origenes im ersten Buch seiner Widerlegung gegen den Vorwurf des Kelsos, Jesus habe sich aus Angst verborgen und sei von Ort zu Ort gezogen statt als König zu regieren, wie es einem Gottessohn angemessen wäre82, ein, dass es keineswegs würdelos sei, Gefahren vernünftigerweise auszuweichen. Dies habe nichts damit zu tun, blindlings jeder Gefahr aus Angst auszuweichen, sondern diene einem höheren Ziel: οὐ διὰ φόβον θανάτου, ἀλλ’ ὑπὲρ τοῦ χρησίμως αὐτὸν τῷ βίῳ ἐπιδημοῦντα ἑτέρους ὠφελεῖν, ἕως ἐπιστῇ ὁ ἐπιτήδειος καιρὸς τοῦ τὸν ἀνειληφότα ἀνθρωπίνην φύσιν ἀνθρώπου θάνατον ἀποθανεῖν, ἔχοντά τι χρήσιμον τοῖς ἀνθρώποις83 (Or. Cels. 1,61 [Marcovich 62f.]). Dieses höhere Ziel Jesu sei es gewesen, sein Wirken auf Erden fortzusetzen und den Menschen, zu denen er gesandt war, durch Wort und Tat Zeugnis zu geben. Und auch sein Tod, als er ihn zum rechten Zeitpunkt auf sich nahm, sei zum Nutzen der Menschen geschehen. Die Formulierung des Origenes lässt besonders unter Berücksichtigung der Stellen aus dem Matthäus- und Johanneskommentar den Schluss zu, dass sich alle Christen letztlich mit diesem Beispiel aus dem Leben Jesu identifizieren und ebenso klug und umsichtig handeln sollten unter Berücksichtigung auch des Wohles – oder zumindest nicht des vermeidbaren Schadens84 – der Mitmenschen. Im rechten Moment gelte es, wie Jesus, den schon mehrfach thematisierten καιρὸς zu erkennen und entsprechend zu handeln. Auch die Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten sei kein Zeichen menschlicher Schwäche, sondern ein kluges Umgehen der Todesgefahr und letztlich auch ein Beweis des wahren Menschseins Jesu gewesen.85 Jesus selbst lehrte seine Jünger entsprechend, nicht unbesonnen zu handeln, indem er ihnen in Mt 10,23a gebot, bei Verfolgung zu fliehen. Neben das Gebot Jesu trat sein eigenes Beispiel: καὶ διδάσκων παράδειγμα αὐτοῖς ἐγίνετο εὐσταθοῦς βίου, οἰκονομοῦντος μὴ εἰκῆ μηδ’ ἀκαίρως καὶ ἀλόγως ὁμόσε χωρεῖν τοῖς κινδύνοις86 (Or. Cels. 1,65 [Marcovich 67]). Auffällig ist das deutlich philosophisch geprägte Vokabular an dieser Stelle: „ausgeglichenes Leben“, „nicht unüberlegt“, „(un)vernünftig“ – all dies waren auch für einen heidnischen Philosophen erstrebenswerte Ideale. Wie solche Vokabeln Origenes’ Ansinnen in diesem konkreten Werk im Besonderen entsprechen, so reiht sich auch das Beispiel des Aristoteles in diesen Zusammenhang ein, der aus Athen nach Chalkis floh, als man gegen ihn eine Gerichtsversammlung wegen seiner Lehren einberufen wollte.87 Mit theologischer ←517 | 518→und philosophischer Autorität zugleich versucht Origenes also, das falsche Verständnis des Kelsos zu korrigieren und gleichzeitig die wahre Lehre Jesu als die reinste Philosophie darzustellen.

Eine solche Flucht der Christen gemäß dem Gebot Jesu diene wiederum anderen zum Heil, wie Origenes im achten Buch seiner Apologie verdeutlicht: Κἂν φεύγῃ δέ τις Χριστιανός, οὐ διὰ δειλίαν φεύγει, ἀλλὰ τηρῶν ἐντολὴν τοῦ διδασκάλου καὶ ἑαυτὸν φυλάττων καθαρὸν […] ἑτέρων ὠφεληθησομένων σωτηρίᾳ88 (Or. Cels. 8,44 [Marcovich 559]). Auch hier stehen der Gedanke der dadurch ermöglichten Ausbreitung des Evangeliums durch das Zeugnis der geflohenen Christen, aber auch das Stärken und Aufrichten anderer in Bedrängnis oder Verfolgung sowie ethische Fragen im Hintergrund.

So zeigt sich bei Origenes in der Gesamtschau deutlich das schon bei Clemens festgestellte Differenzieren hinsichtlich der scheinbaren Antithese von Standhaftigkeit und Martyrium einerseits und Flucht andererseits. Beides ist nicht gegeneinander, sondern miteinander zu lesen und zu verstehen. Das Vernunftgemäße‘ bzw. der Wille Gottes kann je nach Situation das eine oder das andere sein. Es gelte, den jeweiligen καιρός zu erkennen und zu ergreifen. Kronzeuge und göttliche Autorität hierfür ist das Leben Jesu selbst, wie in der Exegese des Origenes immer wieder deutlich wird. Damit lässt sich aber auch die zunächst festgestellte Hochschätzung des Martyriums übereinbringen, das von denen, denen es durch Gottes Gnade zuteilwerden soll, selbstverständlich anzunehmen ist, wogegen andere – zunächst oder auch für immer – diese Gnade nicht erfahren sollen und aus Vernunftgründen der Gefahr aus dem Weg gehen müssen.

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4. Ausblick

Origenes starb in einer Wendezeit. In der Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr. begann die Phase des reichsweiten und von oben her gesteuerten Zugriffs auf die Christen.1 In dieser Situation war es als Erster Cyprian von Karthago, der, bedingt vor allem durch sein eigenes Handeln während der Verfolgung aufgrund des decischen Opferedikts, Position zur Frage der Erlaubtheit von Flucht in der Verfolgung bezog – und das insbesondere aus persönlichen Gründen. Wohl im Frühjahr 250 n. Chr. floh Bischof Cyprian unter dem Eindruck der sich bedrängend zuspitzenden Lage aus seiner Bischofsstadt Karthago und zog sich in der Nähe der Stadt zurück. Dieses Verhalten blieb nicht ohne Kritik, sowohl von der eigenen, als auch von der römischen Gemeinde. Deren Bischof Fabian hatte im Gegensatz zu Cyprian standhaft das Martyrium erlitten.2

Gegenüber seiner karthagischen Gemeinde, mit der er aus dem Versteck in Briefkontakt stand, hatte Cyprian alle Mühe, sich zu rechtfertigen. Nicht unerheblich hierbei war sicher die ohnehin in der Gemeinde bestehende Opposition gegen ←519 | 520→den Bischof. Es entstand ebenso auch ein Machtvakuum, das viele Fragen der Leitung und Jurisdiktion offen ließ.3 Andererseits spielte sicherlich auch die von Tertullian nur knapp 30 Jahre zuvor vertretene Position einer Ablehnung jedweder Flucht, insbesondere der Kleriker, eine nicht unbedeutende Rolle in der anticyprianischen Gemengelage. Es ging dem Bischof – so verteidigt er sich – darum, zu vermeiden, dass die Gemeinde durch seine Anwesenheit gefährdet und der Unmut der Heiden auf ihn und die Christen insgesamt gezogen werde.4 Seine Aufgabe sei es dagegen, für den öffentlichen Frieden Sorge zu tragen (paci communi consulere) und sich angesichts der aufgeheizten Stimmung um allgemeine Ruhe zu bemühen (quieti omnium consulere). Zu bedenken ist hierbei, dass Cyprian aus der karthagischen Oberschicht stammte und erst kurze Zeit Christ war – man kannte ihn also in den für die Verfolgung maßgeblich verantwortlichen Kreisen.5 Auch abseits seiner eigenen Person nahm Bischof Cyprian zur Frage einer Fluchterlaubnis Stellung: Statt sich der Gefahr der Apostasie auszusetzen, solle man lieber seine Heimat und seine Habe zurücklassen und fliehen, wie er später in der Schrift über die Gefallenenfrage, die nach seiner Rückkehr auf der Frühjahrssysnode 251 n. Chr. vorgetragen wurde, erklärt.6 Später scheint sich seine Einstellung geändert zu haben: Im Jahr 257/58 n. Chr. erlitt Cyprian doch das Martyrium; jeden Ausweg, der ihm seitens einflussreicher Mitbürger angeboten worden war, lehnte er entschieden ab.7

Im weiteren Verlauf der altkirchlichen Theologiegeschichte wiederholten sich die genannten Positionen immer wieder. Mit der Entwicklung hin zur Reichskirche und dem damit verbundenen Ende der Verfolgungszeit vollzog sich ein grundlegender Wandel in der Auslegung des jesuanischen Fluchtwortes und ähnlicher Schriftstellen. Da in der Regel8 keine akuten Verfolgungen mehr drohten, begegnet ←520 | 521→zunehmend eine schon bei Origenes zu findende allegorisierende Auslegung9, oder die Tendenz, mehr der Position Tertullians zu folgen und die Fluchterlaubnis bzw. das Fluchtgebot auf die Zeit der Apostel zu limitieren.10 Auch hier zeigen sich der Zusammenhang zwischen Exegese und Lebenspraxis sowie der Versuch, die Frage nach der jeweiligen Relevanz von Jesu Wort für die konkrete Zeit zu beantworten.


1Wendebourg, Das Martyrium in der Alten Kirche als ethisches Problem, 306.

2Der Brief Bischof Firmilians von Caesarea an seinen Mitbruder Cyprian von Karthago ist unter dessen Briefen überliefert: Cypr. epist. 75,10,2 (Diercks 591). Weitere Stellen bei Bähnk, Von der Notwendigkeit des Leidens, 170, Anm. 297.

3Die Vita Pauli des Hieronymus erzählt von der Flucht des Protagonisten zunächst auf ein entlegenes Landgut, dann ins Gebirge (vgl. Hier. Pauli 4f. [Morales/Leclerc 150–154]). Die Historizität der Lebensbeschreibung ist jedoch zweifelhaft, Hieronymus überliefert „kaum historische Nachrichten über Paulus“ (Fürst, Hieronymus, 49). Es handelt sich eher um einen phantasievoll ausgeschmückten Roman, welcher in Konkurrenz zum „Bestseller der Spätantike“, dem Leben des Antonius aus der Feder des Athanasius von Alexandrien, stand, welches dem Mönch „Antonius den Rang als erster Einsiedler streitig“ machte (ebd., 48). Dennoch fällt auf, dass Hieronymus das Verhalten des Paulus nicht kritisiert. Vielmehr bezieht er sich direkt auf Cyprian (vgl. unten, Kapitel C. 4.), sodass „die Vita […] an einem Diskurs partizipiert, in dem Heiligkeit und Flucht vor dem Martyrium zusammen gedacht werden können“. So komme „der Flucht des Paulus grundsätzlich Legitimität zu“ (Schulz-Wackerbarth, Die Vita Pauli des Hieronymus, 211f.). Zur Flucht des Paulus und den darin enthaltenen theologischen Implikationen vgl. auch ebd., 69–74.201–244.

4Vgl. Pass. Quirin. 2 (Ruinart 522); vgl. hierzu auch Bratoz, Die diokletianische Christenverfolgung in den Donau- und Balkanprovinzen, 132f., Anm. 64 mit weiteren Belegstellen.

5Eus. h.e. 6,40,1–9 (Bardy 143–145) und Eus. h.e. 6,42,2–4 (Bardy 152f.). Eusebius selbst sei, so wird bisweilen behauptet, um 311/13 n. Chr. vor der tetrarchischen Verfolgung nach Ägypten geflohen (vgl. Alzog, Grundriss der Patrologie, 180; Bardenhewer, Patrologie, 214; Clauss, Konstantin der Grosse und seine Zeit, 104).

6Dies gilt etwa für Cyprian von Karthago, Dionysius von Alexandrien oder Athanasius von Alexandrien (vgl. zu dieser Problematik den Aufsatz von Kötting, Darf ein Bischof in der Verfolgung die Flucht ergreifen?).

7Vgl. für einen knappen Überblick Bähnk, Von der Notwendigkeit des Leidens, 169–175; Leclerq, Art. Fuite de la Persécution, 2660–2684; Thierry, de fuga (Einleitung), 16–39.

8Eine vergleichende Betrachtung der Stellungnahmen Tertullians, Clemens’, Origenes’ und Cyprians, die erst nach Einreichen der Dissertation im Druck erschien, lieferte jüngst Sutcliffe, To Flee or Not to Flee?. Die Ergebnisse entsprechen im Wesentlichen den hier folgenden Ausführungen.

1Moss, Ancient Christian Martyrdom, 49.

2Vgl. ebd.

3Über die Autorenschaft Polykarps hinsichtlich weiterer Schriften wurde in der Forschung bisweilen diskutiert (vgl. Hartog, Polycarp’s Epistle to the Philippians and Martyrdom of Polycarp [Einleitung], 17–19).

4Vgl. zu den Charakterisierungen des Polykarp in diesen drei Quellen Hartmann, Martyrium, 91–101.

5Vgl. Iren. haer. 2,22,5 (Rousseau/Doutreleau 224); Iren. haer. 3,3,4 (Rousseau/Doutreleau 38–44); vgl. dazu Hartog, Polycarp’s Epistle to the Philippians and Martyrdom of Polycarp (Einleitung), 11–16.

6Die wesentlichen Vorschläge nennt Buschmann, Das Martyrium des Polykarp (Einleitung), 39.

7Ebd., 39f., Baumeister, Die Norm des evangeliumsgemäßen Blutzeugnisses, 41f.; Hartog, Polycarp’s Epistle to the Philippians and Martyrdom of Polycarp (Einleitung), 195–200 (vgl. auch ebd., 200: „Overall, a placement between 155 and 161 appears most likely.“). Hartmann, Martyrium, 100f., datiert in „die ersten Jahrzehnte der zweiten Jahrhunderthälfte“.

8Vgl. M. Polyc. 9,3 (Hartog 252).

9Vgl. Damme, Art. Polykarp von Smyrna, 25f. Die Angabe, dass er dem Herrn bereits 86 Jahre gedient habe, bot immer wieder Anlass zu Diskussionen um sein Geburtsjahr einerseits und andererseits über die Frage, was mit dieser Angabe konkret gemeint sei (vgl. Buschmann, Das Martyrium des Polykarp [Kommentar], 192). Bisher wurde hierzu noch kein Konsens erzielt (vgl. Hartog, Polycarp’s Epistle to the Philippians and Martyrdom of Polycarp [Einleitung], 9).

10Vgl. Hartog, Polycarp’s Epistle to the Philippians and Martyrdom of Polycarp (Einleitung), 3.

11Vgl. Hartog, Polycarp’s Epistle to the Philippians and Martyrdom of Polycarp (Kommentar), 167.

12Vgl. Buschmann, Das Martyrium des Polykarp (Einleitung), 39. Für eine Datierung in das 3. Jahrhundert n. Chr. spricht sich Moss, Ancient Christian Martyrdom, 62–76 aus. Für einen Überblick zur Datierungsfrage vgl. auch Hartog, Polycarp’s Epistle to the Philippians and Martyrdom of Polycarp (Einleitung), 191–200.

13Moss, Ancient Christian Martyrdom, 72.

14Vgl. van Damme, Art. Polykarp von Smyrna, 27.

15Vgl. Hartog, Polycarp’s Epistle to the Philippians and Martyrdom of Polycarp (Einleitung), 165f.

16Vgl. für einen Überblick Baumeister, Die Norm des evangeliumsgemäßen Blutzeugnisses, 42–44.

17Vgl. Buschmann, Martyrium Polycarpi, 72f. Alternative Gliederungsentwürfe nach anderen, etwa rhetorischen Gesichtspunkten, bringt Buschmann, Das Martyrium des Polykarp (Einleitung), 40–45.

18Vgl. Buschmann, Das Martyrium des Polykarp (Einleitung), 49–58; Aland, Märtyrer als christliche Identifikationsfiguren, 55–57; Baumeister, Die Norm des evangeliumsgemäßen Blutzeugnisses, 47.

19„Der höchst bewundernswerte Polykarp hingegen, als er zuerst davon hörte, erschrak nicht, sondern wollte in der Stadt bleiben. Die Mehrheit aber überredete ihn, sich heimlich zu entfernen. Also flüchtete er heimlich in ein kleines Landhaus, nicht weit von der Stadt entfernt, und blieb dort mit einigen wenigen. Tag und Nacht tat er nichts Anderes als für alle und die Kirche in der ganzen Welt zu beten, wie er es gewohnt war.“ (Übersetzung Buschmann, 130).

20Vgl. M. Polyc. 3,2 (Hartog 244).

21Buschmann, Das Martyrium des Polykarp (Kommentar), 133.

22Vgl. ebd., 130.

23Vgl. die Gegenüberstellung ebd., 131.

24Ebd., 141.

25Vgl. zu dieser Thematik oben, Kapitel A. 2.2.1.2. (Entstehungszeit des Montanismus) und A. 2.2.1.3.6. (das ‚montanistische‘ Verständnis vom Martyrium).

26Vgl. Birley, Die „freiwilligen“ Märtyrer, 107.

27Moss, Ancient Christian Martyrdom, 72.

28Vgl. M. Polyc. 6,1–2 (Hartog 246).

29Vgl. Buschmann, Das Martyrium des Polykarp (Kommentar), 141.

30Vgl. ebd., 144.

31„Auch noch von dort aber hätte er an einen anderen Ort fliehen können, aber er wollte es nicht, sondern sagte: ‚Der Wille Gottes geschehe!‘ “ (Übersetzung Buschmann 150).

32Vgl. Buschmann, Das Martyrium des Polykarp (Kommentar), 155f.

33Ebd., 51f. und 130f. Inwiefern das auf die Montanisten anspielt, ist umstritten (vgl. oben, Kapitel A. 2.2.1.2. und A. 2.2.1.3.6.).

34Buschmann, Das Martyrium des Polykarp (Kommentar), 151.

35Vgl. ebd., 131.

36Vgl. ebd., 55f.

37„Und beim Gebet hatte er eine Vision, drei Tage vor seiner Gefangennahme; er sah, daß sein Kopfkissen vom Feuer verzehrt wurde. Er wandte sich um und sprach prophetisch zu denen, die bei ihm waren: ‚Ich muß lebendig verbrannt werden‘ “ (Übersetzung Buschmann 130).

38Dass sich diese Vision, von der er prophetisch redet, erfüllt, ist womöglich ebenso als antimontanistische Spitze zu verstehen (vgl. Buschmann, Das Martyrium des Polykarp [Kommentar], 130f.).

39Vgl. ebd., 131.144.

40Vgl. ebd., 155f.

41Vgl. den knappen Überblick unten, Kapitel C. 4.

42Buschmann, Das Martyrium des Polykarp (Kommentar), 144.

1Feulner, Clemens von Alexandrien, 22f.

2Ebd., 21; vgl. hierzu Neymeyr, Die christlichen Lehrer im zweiten Jahrhundert, 45–50.

3Vgl. Feulner, Clemens von Alexandrien, 24.

4Vgl. ebd.

5Vgl. ebd., 25f.

6In der älteren Forschung wird zumeist von der Tätigkeit in bzw. der Leitung einer ‚Katechetenschule‘ gesprochen, die Pantainos gegründet haben soll. Dies wurde jedoch jüngst als Konstruktion des Eusebius entlarvt und die Institution einer ‚Schule‘ angezweifelt (vgl. Fürst, Christentum als Intellektuellen-Religion, 59–61).

7Vgl. Eus. h.e. 6,3,1 (Bardy 86f.).

8Über die Verwendung dieses Titels und seine Bedeutung sowie die Frage, ob Clemens Presbyter war, vgl. Neymeyr, Die christlichen Lehrer im zweiten Jahrhundert, 47–49 mit weiterführender Literatur.

9„Er ist nach dem Willen und der Fügung des Herrn hier gewesen und hat die Gemeinde des Herrn gestärkt und vergrößert“ (Übersetzung Haeuser 286).

10Vgl. Neymeyr, Die christlichen Lehrer im zweiten Jahrhundert, 47.

11Vgl. Feulner, Clemens von Alexandrien, 26f.; Hill, The Johannine Corpus in the Early Church, 122.

12Vgl. Fürst, Christentum als Intellektuellen-Religion, 46; Neymeyr, Die christlichen Lehrer im zweiten Jahrhundert, 49f. und 97; Osborn, Clement of Alexandria, 1; Karavites, Evil, Freedom, and the Road to Perfection in Clement of Alexandria, 5.

13Karavites, Evil, Freedom, and the Road to Perfection in Clement of Alexandria, 5.

14So interpretiert Neymeyr, Die christlichen Lehrer im zweiten Jahrhundert, 49.

15Ebd.

16Dieser Hinweis findet sich in Hist. Aug. Sept. Sev. 17,1 (Hohl 149); vgl. hierzu oben, Kapitel A. 1.1.2.

17Vgl. Clauss, Alexandria, 190–194.

18Vgl. ebd., 190.

19Vgl. Habermehl, Perpetua und der Ägypter, 41–43; Siker, Christianity in the second and third centuries, 245.

20Vgl. Frend, Martyrdom and Persecution in the Early Church, 342, Anm. 149; Markschies, Origenes, 2.

21Eus. h.e. 6,5,1–5 (Bardy 91–93).

22Vgl. Feulner, Clemens von Alexandrien, 29.

23Vgl. Neymeyr, Die christlichen Lehrer im zweiten Jahrhundert, 50–63.

24Vgl. Feulner, Clemens von Alexandrien, 31.

25Neymeyr, Die christlichen Lehrer im zweiten Jahrhundert, 60f.

26Vgl. Tabbernee, Fake Prophecy, 56f.

27Vgl. ebd., 57; Grant, From Augustus to Constantine, 230.

28Vgl. Feulner, Clemens von Alexandrien, 31 mit weiteren Vertretern dieser These in Anm. 160.

29Vgl. ebd., 31.

30„Alle aber, die während ihres Lebens mit der Tat und vor Gericht mit Worten Zeugnis ablegen, mögen sie nun eine Hoffnung erwarten oder eine Furcht scheuen, sind besser als die, die nur mit dem Munde das Heil bekennen“ (Übersetzung Stählin 54).

31Vgl. Clem. str. 4,1,1,1 (Van den Hoek 54); dazu Hoek, Clement of Alexandria on Martyrdom, 327f.

32Moss, Ancient Christian Martyrdom, 147.

33Ebd., 148.

34Ebd., 147.

35Vgl. ebd.

36„Wenn aber der Herr wiederum sagt: ‚Wenn sie euch in dieser Stadt verfolgen, so flieht in die andere!‘ (Mt 10,23a), so ermahnt er nicht zur Flucht, als wäre das Verfolgtwerden etwas Schlimmes, und verlangt nicht, daß man sich aus Furcht vor dem Tode diesem durch Flucht entziehe. Vielmehr will er nur, daß wir für niemand Ursache oder Mitursache irgendeines Übels werden, für uns selbst nicht, aber auch nicht für den, der uns verfolgt, oder für den, der uns töten will. Denn er befiehlt uns gewissermaßen, ihm aus dem Wege zu gehen; wer aber dieser Weisung nicht gehorcht, der ist tollkühn und stürzt sich selbst in Gefahr“ (Übersetzung Stählin 54f.).

37Vgl. oben, Kapitel C. 1.

38„Wenn nun derjenige, der ‚einen Menschen Gottes‘ tötet, gegen Gott sündigt, so wird auch der, der sich selbst vor Gericht bringt, für den verantwortlich, der ihn tötet. Das ist aber bei dem der Fall, der sich der Verfolgung nicht entzieht, sondern es aus Vermessenheit selbst veranlaßt, daß er gefangengenommen werden kann. Er ist es, der, soweit es ihm möglich ist, die Schlechtigkeit seines Verfolgers unterstützt; und wenn er diesen noch überdies reizt, so ist er völlig schuldig, da er das wilde Tier herausfordert“ (Übersetzung Stählin 55).

39Vgl. Clem. str. 4,10,77,2 (Van den Hoek 182).

40„[Der Unterschied bestehe darin, dass] jene dagegen, wie es die richtige Vernunft gebietet, den Gefahren ausweichen, aber dann, wenn Gott sie wirklich zu sich ruft, sich freudig hingeben und ihre Berufung dadurch gewiß machen, daß sie sich dessen bewußt sind, sich keine voreilige Handlung vorwerfen zu müssen“ (Übersetzung Stählin 70).

41Vgl. Smith, The Art of Rhetoric in Alexandria, 32, Anm. 35.

42Tabbernee, Fake Prophecy, 57.

43Vgl. Moss, Ancient Christian Martyrdom, 150. Hierbei verweist die Autorin speziell auf William Tabbernees Untersuchungen zu diesem Thema. Vgl. auch oben, Kapitel A. 2.2.1.3.6.

44Moss, Ancient Christian Martyrdom, 148.

45Hoeck, Clement of Alexandria on Martyrdom, 328.

46Auch Athanasius von Alexandrien greift in seiner Verteidigungsschrift zur Rechtfertigung seines Entweichens vor den Arianern (apologia pro fuga sua) auf dieses Argument zurück (vgl. Ath. fug. 14–17 [Szymusiak 208–218] und Leemans, The Idea of „Flight for Persecution“ in the Alexandrian Tradition, 909f.).

47Vgl. Leemans, The Idea of „Flight for Persecution“ in the Alexandrian Tradition, 905.

48So auch Bähnk, Von der Notwendigkeit des Leidens, 173. Bähnk verweist in einer Fußnote auch auf eine Stelle in einem Brief des Bischofs Calixtus von Rom ([Ps.] Calixt. epist. 2 [PG 10, 125–132]), welcher aufgrund der Datierung seiner Amtszeit ins erste Drittel des 3. Jahrhunderts n. Chr. ebenfalls in die hier untersuchte Zeit fallen würde. Der Brief gilt jedoch als unecht (vgl. Wenzlowsky, Zweiter pseudoisidorischer Brief, 322–331). Wahrscheinlich ist eine Zuweisung an Pseudoisidor, eine umfangreiche kirchenrechtliche Fälschung des 9. Jahrhunderts n. Chr. (vgl. ebd., 322; eine neue kritische Edition ist online verfügbar: http://www.pseudoisidor.mgh.de/html/036.htm [zuletzt aufgerufen am 04.08.2018]). Der Inhalt sei dennoch kurz skizziert: Innerhalb des fingierten Schreibens an gallische Bischöfe kommt der Verfasser auch auf die Frage der Flucht vor Verfolgung zu sprechen. Insbesondere im Blick sind hierbei – angesichts der Adressaten nicht verwunderlich – die Bischöfe. ‚Calixtus‘ untersagt zunächst generell die Tätigkeit eines Bischofs im Jurisdiktionsgebiet eines anderen und vergleicht hierbei Bischof und Kirche mit Ehepartnern (vgl. [Ps.] Calixt. epist. 2,3 [PG 10, 126f.]). Wer eine andere Frau heirate, solange ihr Mann noch lebt, begehe Ehebruch. Ebenso verhalte es sich mit einem Bischof und der ihm anvertrauten Kirche. Eine Ausnahme macht der Verfasser jedoch: (Ps.) Calixt. epist. 2,3 (PG 10, 127f./Übersetzung D.G.): si autem [episcopus] persecutus fuerit in sua Ecclesia, fugiendum illi est ad alteram, eique est associandus, dicente Domino: Si persecuti vos fuerint in una civitate, fugite in aliam – „Wenn [ein Bischof] aber verfolgt wird in seiner Gemeinde, so soll er zu einer anderen fliehen und dieser angegliedert werden. Denn der Herr spricht: ‚Wenn sie euch in einer Stadt verfolgen, so flieht in eine andere‘ “.

49Moss, Ancient Christian Martyrdom, 155.

1Fürst, Art. Origenes, 461.

2Vgl. Fürst, Christentum als Intellektuellen-Religion, 59f.

3Vgl. Fürst, Art. Origenes, 462f.

4Ebd., 464.

5Vgl. Markschies, Origenes, 2f.

6Ebd., 3.

7Fürst, Christentum als Intellektuellen-Religion, 60; vgl. Fürst, Origenes, 5f.

8Vgl. Fürst, Christentum als Intellektuellen-Religion, 60.

9Vgl. Fürst, Art. Origenes, 464; Fürst, Origenes, 5.

10Vgl. Markschies, Origenes, 4.

11Vgl. ebd., 4; Fürst, Art. Origenes, 467f.

12Vgl. ebd., 469.

13Vgl. ebd., 470.

14Vgl. ebd., 470f.; Fürst, Origenes, 15–28.

15Vgl. Fürst, Art. Origenes, 471f.

16Vgl. Butterweck, „Martyriumssucht“ in der Alten Kirche?, 166f., Anm. 142; Frend, Persecution and Martyrdom in early Church, 392f.; Leemans, The Idea of „Flight for Persecution“ in the Alexandrian Tradition, 905.

17Leemans, The Idea of „Flight for Persecution“ in the Alexandrian Tradition, 905.

18Frend, Persecution and Martyrdom in early Church, 392.

19Butterweck, „Martyriumssucht“ in der Alten Kirche?, 167.

20Vgl. ebd., 172f.

21Vgl. Or. mart. 34 (Koetschau 29–32).

22Stritzky, Aufforderung zum Martyrium (Einleitung), 13.

23Ebd., 14.

24Butterweck, „Martyriumssucht“ in der Alten Kirche?, 172.

25Vgl. Stritzky, Aufforderung zum Martyrium (Einleitung), 13.

26Mit Butterweck, „Martyriumssucht“ in der Alten Kirche?, 177 gilt es jedoch zu betonen: „[D]‌ie in Erwartung einer Verfolgung dargelegte Martyrologie des Origenes [erweist sich] als rein biblische Theologie und damit als grundsätzliche Anfrage an die Bekenntnisbereitschaft aller Christen“.

27Stritzky, Aufforderung zum Martyrium (Einleitung), 15f.

28Vgl. ebd., 9; Fürst, Origenes, 27.

29Auch Butterweck datiert auf 235 n. Chr., folgt aber kurz zuvor dennoch der Einschätzung, dass die Schrift „das Temperament des Verfassers am klarsten widerzuspiegeln scheint“ (Butterweck, „Martyriumssucht“ in der Alten Kirche?, 166f.).

30Vgl. Stritzky, Aufforderung zum Martyrium (Einleitung), 9–11.

31Die regionale Verfolgung in Pontus und Kappadokien ist wohl nicht auf kaiserlichen Impetus, sondern auf ein Erdbeben zurückzuführen, für das die Christen als Sündenböcke herhalten mussten (vgl. Stritzky, Aufforderung zum Martyrium [Einleitung], 8).

32Butterweck, „Martyriumssucht“ in der Alten Kirche?, 167. Vgl. hinsichtlich Zweifeln diesbezüglich Stritzky, Aufforderung zum Martyrium (Einleitung), 8.

33Vgl. zu dieser These Harnack, Die Geschichte der altchristlichen Literatur 2, 33f., Anm. 5.

34Vgl. Stritzky, Aufforderung zum Martyrium (Einleitung), 9, Anm. 54 mit weiterführender Literatur.

35Vgl. zur Person Drobner, Art. Rufinus, Tyrannius, 959–972; Henry, Art. Rufin von Aquileia, 460–464.

36Vgl. Fürst, Art. Origenes, 476; ders., Origenes, 27 („nach 245“).

37Markschies, Origenes, 7. Zum Charakter der Predigten insgesamt vgl. ders., „…für die Gemeinde im Grossen und Ganzen nicht geeignet…“, 35–62.

38Elßner, Josua und seine Kriege in jüdischer und christlicher Rezeptionsgeschichte, 236.

39Vgl. ebd., 237–240.

40Vgl. Or. hom. in Jos. 8,6 (Jaubert 230).

41Vgl. ebd.

42„Dieses Heer von Ai war von solcher Art, vor der Jesus seine Soldaten aufgefordert hatte, dass sie fliehen müssten, und hinsichtlich dieser empfiehlt er seinen Jüngern: ‚Wenn sie euch in dieser Stadt verfolgen, so flieht in eine andere. Und wenn [sie euch] auch dort [verfolgen], so flieht [wieder] in eine andere.‘ “ (Übersetzung D.G.).

43„Er will nämlich, dass wir vor solchen Feinden fliehen, er will, dass wir von Übeln dieser Art weit ferngehalten werden“ (Übersetzung D.G.).

44Vgl. Fürst, Art. Origenes, 520.

45Auch in den nur lateinisch erhaltenen Fragmenten späterer Bücher des Matthäuskommentars begegnet in Fragment Nr. 44 zu Mt 24,20 („Betet aber, daß eure Flucht nicht im Winter oder am Sabbat geschieht“ [Übersetzung Vogt 3, 122]) eine allegorisierende Auslegung der genannten Flucht auf ein Ausweichen vor Übeln der Seele, wie sie auch in den eben betrachteten Josuahomilien zu finden ist (Or. comm. ser. 44 in Mt. [Klostermann/Benz 88/Übersetzung Vogt 3, 122f.]): Est enim, sicut diximus, quaedam fuga hominum secundum praeceptum verbi, ut qui fugit, quae fugere oportet, melior sit eo qui non fugit et ideo talia et maiora delinquit per hoc, quod non fugit, sed semetipsum subditum facit perdentibus animam malis. quoniam est autem constituta fuga atque laudabilis, manifeste docet apostolus dicens: »fugite fornicationem« – „Es gibt nämlich, wie wir gesagt haben, eine Flucht der Menschen, die der Vorschrift des Wortes entspricht, so daß, wer flieht, was man fliehen muß, besser ist als der, der nicht flieht und daher solche und größere Vergehen begeht, einfach dadurch, daß er nicht flieht, sondern sich selbst den Übeln unterwirft, welche die Seele verderben. Daß es aber eine festgesetzte und lobenswerte Flucht gibt, lehrt der Apostel offen, wenn er sagt: ‚Fliehet die Unzucht!‘ “. Wie eine solche Flucht vor der Unzucht geschehen könne, stellt Origenes anhand einiger Beispiele dar und nennt etwa, sich nicht mit Jünglingen und ihren Geschichten, mit Saitenspielerinnen und ihren Reizen abzugeben oder sich in der ferventior aetas eines allzu großen Weingenusses zu enthalten. Wie die Unzucht, solle schließlich jede Sünde gemieden werden (vgl. ebd.). Ähnlich im Fragment Nr. 42, wo Origenes die Worte Jesu, man solle in die Berge fliehen, wenn man den Gräuel der Verwüstung an heiliger Stätte stehen sehe, dergestalt auslegt, dass man vom Judäa des Buchstabens (Iudaea litterae) zu den spiritalia et intelligibilia et sublimes veritatis montes fliehen solle (vgl. Origenes, Comm. ser. 44 in Mt. [Klostermann/Benz 84f.]). Ähnlich in der ebenfalls nur lateinisch erhaltenen Auslegung von Mt 24,15–20. Den dort erwähnten „Gräuel der Verwüstung“ deutet Origenes zunächst als Häresien, die die Heiligen Schriften ‚besetzen‘ und sich als Gotteswort ausgeben oder sich aus ihm zu begründen suchen. Fliehen solle man zu den hohen Bergen der Wahrheit. Eine solche Flucht sei lobenswert wie die Flucht vor Unzucht und Sünde. Besser sei es dann, zu fliehen, als sich den Übeln, die die Seele verderben, zu unterwerfen. Wichtig sei, den Zeitpunkt der Flucht durch Gebet zu erkennen und den Zufluchtsort zu wissen (vgl. Or. comm. ser. 42.44 in Mt. [Klostermann/Benz 83–86.88–90]).

46Fürst, Art. Origenes, 521.

47Vgl. Lauro, Homilies on Judges (Einleitung), 4.

48Ebd., 27.

49Vgl. ebd., 18.

50Vgl. ebd., 20; Fürst, Origenes, 27.

51„Auch heute ruft der Kaiser unseres Soldatenstandes, der Herr und Retter Jesus Christus, seinen Soldaten zu und spricht: ‚Wenn jemand ängstlich und furchtsam im Herzen ist, soll er zu meinen Kriegen nicht hinzutreten‘ “ (Übersetzung D.G.).

52Vgl. Or. hom. in. Jud. 9,1 (Messié/Neyrand/Borret 210).

53Vgl. Or. hom. in. Jud. 9,1 (Messié/Neyrand/Borret 212f.).

54„Diese Sache wird dir nicht als Vergehen gegen deine soldatische Pflicht angerechnet. Denn auch hierüber besteht in den Gesetzen Christi eine Regelung, wenn er sagt: ‚Wenn sie euch in dieser Stadt verfolgen, so flieht in eine andere. Und wenn [sie euch] auch in der anderen [verfolgen], dann flieht [wieder] in eine andere‘ “ (Übersetzung D.G.).

55Die engl. Übersetzung von Lauro umschreibt militare commissum in diesem Sinne als „a military offense is not imputed to you“ (Lauro, Homilies on Judges, 115).

56Vgl. Or. hom. in. Jud. 9,1 (Messié/Neyrand/Borret 214).

57Vgl. ebd.

58Vgl. McGuckin, The Scholarly Works of Origen, 30.

59Vgl. Heine, Origen, 219; Fürst, Origenes, 27.

60Vogt, Kommentar zum Evangelium nach Mattäus (Einleitung), 52; Heine, Origen, 219.

61Übersetzung Vogt 1, 92.

62Vgl. Or. comm. in Mt. 10,23 (Klostermann/Benz 31). Ähnlich verhält es sich auch, mit aller Vorsicht angesichts des fehlenden Textzusammenhangs, im Fragment 1433 der Katenen zur Genesis, wo das Ausweichen Isaaks und der „Hirten Israels“ vor dem über einen Brunnen entbrannten Streit (Gen 26,19–23) mit Mt 10,23a in Verbindung gebracht wird: Isaak widerstand nicht denen, die Unrecht taten, sondern zog weiter nach Beer-Scheba, wo er Verheißung und Segen erfuhr (vgl. Or. comm. in Gen., Fr. 1433 [Petit 3, 329]); griech. Text und Übersetzung auch bei Metzler, Die Kommentierung des Buches Genesis, 248f. (der dort gebotene griechische Text wurde von Metzler bearbeitet und sollte von der Autorin in der Reihe GCS kritisch ediert werden [vgl. ebd., 13]).

63„Wer möchte aber noch zweifeln, daß man solchen Dingen ausweichen soll, wo doch Jesus selbst nicht nur, als das mit Johannes geschah, weggegangen ist, sondern sogar lehrt: ‚Wenn sie euch in dieser Stadt verfolgen, dann flieht in eine andere‘ “ (Übersetzung Vogt 1, 92).

64„Wenn also eine Prüfung herankommt, an der wir nichts ändern können, dann ist es notwendig, sie sehr standhaft und mutig zu ertragen; wenn man ihr aber ausweichen kann, wäre es verwegen, dies nicht zu tun“ (Übersetzung Vogt 1, 92).

65„Und als Jesus nach Jerusalem hinaufzog, nahm er die Zwölf beiseite und sagte unterwegs zu ihnen: Seht, jetzt ziehen wir hinauf nach Jerusalem, und der Menschensohn wird den Hohen Priestern und Schriftgelehrten ausgeliefert werden, und sie werden ihn zum Tode verurteilen und ihn den Heiden ausliefern, und die werden ihn verspotten und auspeitschen und kreuzigen; und am dritten Tag wird er auferweckt werden“.

66Vgl. Or. comm. in Mt. 16,1 (Klostermann/Benz 463).

67Leemans, The Idea of „Flight for Persecution“ in the Alexandrian Tradition, 906, Anm. 22.

68„Es braucht aber einen Weisen in Christus, um zu beurteilen, welcher Zeitpunkt Ausweichen fordert, welcher aber Bereitschaft zum Kampf ohne Ausweichen und erst recht ohne Flucht“ (Übersetzung Vogt 2, 163f.).

69Vgl. Fürst, Origenes, 27.

70Vgl. Or. Jo. 28,23,194 (Blanc 5, 156).

71Vgl. Or. Jo. 28,23,195 (Blanc 5, 156.158).

72„Nicht nur, weil der Ausgang für uns ungewiß wäre, sondern damit wir nicht zum Anlaß werden, daß diejenigen noch größere Sünder und noch gottloser werden, die nicht an unserem Blute schuldig geworden wären, wenn wir das unsere getan hätten, unseren tödlichen Hassern auszuweichen“ (Übersetzung Gögler 355).

73„Denn wenn jemand für einen anderen zum Anlaß der Sünde wird, weil er selbst den Sünder verleitet, dann wird er selbst zu büßen haben für das, was seinetwegen von jemand gesündigt worden ist“ (Übersetzung Gögler 356).

74Vgl. oben, Kapitel C. 2.

75Vgl. Blanc, Commentaire sur Saint Jean 5 (Einleitung), 24–26.

76Vgl. Heine, Origen, 219f. Für die Datierung vgl. auch Barthold, Contra Celsum (Einleitung), 10; Arnold, Der Wahre Logos des Kelsos, 1.

77Barthold, Contra Celsum (Einleitung), 11.

78Vgl. ebd.

79Vgl. ebd., 34f.

80Ebd., 40.

81Mit der Zuverlässigkeit dieser Zitate für eine mögliche Rekonstruktion der kelsischen Schrift beschäftigte sich jüngst Arnold, Der Wahre Logos des Kelsos.

82Or. Cels. 1,61 (Marcovich 62).

83„Nicht aus Furcht vor dem Tod, sondern in der Absicht, durch sein Fortleben den anderen in nützlicher Weise beizustehen, bis der geeignete Zeitpunkt gekommen war, dass der, der eine menschliche Natur angenommen hatte, den Tod eines Menschen starb, zum Nutzen der Menschen“ (Übersetzung Barthold 1, 323).

84Vgl. die Aufforderung, den Verfolgern nicht Raum für ihre Sünde zu geben.

85Vgl. Or. Cels. 1,66 (Marcovich 69f.).

86„Zusammen mit der Lehre bot er ihnen das Beispiel eines ausgeglichenen Lebens, das darauf bedacht war, sich nicht unüberlegt, nicht unzeitig und unvernünftig in Gefahr zu begeben“ (Übersetzung Barthold 1, 333).

87Vgl. Or. Cels. 1,65 (Marcovich 68).

88„Und wenn ein Christ flieht, so flieht er nicht aus Feigheit, sondern weil er das Gebot seines Lehrers einhalten und sich unversehrt bewahren will, um anderen Hilfe für ihr Heil zu bringen“ (Übersetzung Barthold 5, 1409).

1Vgl. oben, Kapitel A. 1.1.2.

2Im Sommer 250 n. Chr. erreichte Cyprian durch den Subdiakon Crementius ein Schreiben des römischen Klerus an den Klerus Karthagos (vgl. Ley, Kirche im Konflikt, 145–147). Im Fortgang des römischen Schreibens wird unter Verweis auf Joh 10,11f. das Verhalten des guten Hirten mit dem des bezahlten Knechts kontrastiert. Man wolle nicht, dass sich Kleriker als Lohnarbeiter erweisen, sondern als gute Hirten (vgl. Cypr. epist. 8,2,1 [Diercks 41]). Die Aufgabe derselben sei es, die Brüder zur unerschütterlichen Standhaftigkeit aufzurufen, sonst würde die Gemeinde dem Götzendienst in die Arme laufen und drohen, ausgerottet zu werden (vgl. Cypr. epist. 8,2,1 [Diercks 41]). Wenn Cyprian auch nicht direkt genannt wird, ist klar, dass ihm ein solches Verhalten unterstellt wird. Der römische Klerus hingegen verhalte sich nach dem Willen des Herrn ganz gegenteilig, er stehe den Brüdern bei und ermuntere sie, im Glauben fest zu stehen und dem Herrn nachzufolgen (vgl. Cypr. epist. 8,2,1 [Diercks 41]). Auch gegenüber den Abgefallenen sei es unverantwortlich, zu weichen, müssen sie doch unablässig zur Buße ermahnt werden. Die Sorge um Kranke, Witwen, Gefangene, Vertriebene und Katechumenen sowie um die Bestattung der Märtyrer werden ebenso als Pflichten angeführt, die es nicht erlauben, zu fliehen (vgl. Cypr. epist. 8,3,1–2 [Diercks 42]). Im Rahmen seiner Gegenargumentation legt Cyprian auch sein Verständnis des jesuanischen Fluchtgebots in Mt 10,23a dar. Motiviert zur Flucht bzw. secessio haben ihn die Weisungen Jesu (vgl. Cypr. epist. 20,1,2 [Diercks 106]). Und ebenso erfülle er nach den Weisungen des Herrn seine Aufgabe in der Sorge um die Brüder. Er sieht also keinen Widerspruch zwischen dem Fluchtgebot Jesu einerseits und der Schelte der schlechten Hirten, die ihre Schafe bei Gefahr verlassen, in Joh 10,12 andererseits. Ein schlechter Hirte verlasse seine Gemeinde schließlich wirklich, während er selbst im Geiste – als Bischof – stets bei ihr geblieben sei. Sein Handeln betrachtet er ganz im Lichte der Weisungen Jesu und sieht sich im Beispiel des Paulus bestätigt und legitimiert (vgl. Cypr. epist. 20,1,2 [Diercks 107]; 1 Kor 5,3).

3Unter anderem war die Frage des Umgangs mit den Bekennern und deren Vollmachten umstritten (vgl. Ley, Kirche im Konflikt, 155–182). Im Frühjahr 251 n. Chr. kam es zur faktischen Spaltung der Gemeinde, als ein gewisser Felicissimus gegen Cyprian opponierte und sich auch einige Presbyter gegen den Bischof stellten (vgl. ebd., 175–178; Dorbath, Die Logik der Christenverfolgungen, 175f.).

4Vgl. Cypr. epist. 7,1 (Diercks 38f.).

5Vgl. ebd.; Ley, Kirche im Konflikt, 142f.

6Vgl. Cypr. laps. 10 (Bévenot 226). Die Ausführungen habe Cyprian jedoch noch im Exil ausgearbeitet, „um seine Rückkehr nach Karthago gewissenhaft vorzubereiten“, so Gülzow/Schmidt/Wlosok, Caecilius Cyprianus, 563.

7Vgl. Dorbath, Die Logik der Christenverfolgungen, 270f.

8Verwiesen sei jedoch auf die Invasion des römischen Nordafrika durch die Vandalen ab 430 n. Chr., im Zuge derer über katholische Christen und insbesondere Kleriker Gewalt und Verfolgung seitens der ‚arianischen‘ Barbaren hereinbrachen. Augustinus sah sich in diesem Zusammenhang mit der Anfrage eines Mitbruders konfrontiert, wie sich Kleriker zu verhalten hätten (vgl. Aug. epist. 228 [Goldbacher 484–496]; dazu Castritius, Die Vandalen, 74–95).

9Vgl. Hil. in Matth. 10,14 (Doignon 232); Aug. in euang. Ioh. 46,8 (Willems 403).

10Vgl. Ephr. comm. in Diat. 8,7–9 (Leloir 111f. [armen.]/Leloir 81f. [lat.]); Hier. in Matth. 10,23 (Bonnard 198.200).

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