Mailand verstehen

Das Antlitz Mailands

Die Hauptstadt der Region Lombardei ist mit aktuell rund 1,35 Millionen gemeldeten Einwohnern die zweitgrößte Stadt Italiens. Zusammen mit den zahllosen Vororten ist die Metropolregion Mailand mit etwa 7 Millionen Menschen der größte Ballungsraum des Landes.

Der grobe Aufbau der Stadt ist denkbar simpel und leicht zu merken: Unbestrittenes Zentrum des Innenstadtbereichs ist der Domplatz. Seine nähere Umgebung bildet das centro storico („historisches Zentrum“). Um diesen Altstadtbereich herum gruppieren sich die Gebiete, die noch zur Innenstadt zählen und dabei alle innerhalb des Straßenrings Cerchia dei Bastioni (auch „Cerchia delle Mura“) liegen, der in etwa dem Verlauf der Stadtmauer aus spanischer Zeit (16. Jahrhundert) folgt. Darüber hinaus gibt es noch drei weitere wichtige Straßenringe, die ebenfalls jeder eine wichtige historische Phase der Stadt markieren: der innere Ring Cerchia dei Navigli entlang der ehemaligen mittelalterlichen Stadtmauer, die „Viali“ genannten breiten Alleen des ausgehenden 19. Jahrhunderts und der weite Autobahnring aus noch jüngerer Zeit.

Vom Stadtkern führen Corsos genannte Alleen in alle Richtungen aus der Stadt hinaus. Die für Reisende wichtigsten sind der Corso Venezia, der Corso di Porta Ticinese, der Corso Magenta und der Corso Vittorio Emanuele II. Im Zusammenspiel mit dem Cerchia die Bastioni und anderen zu ihm parallel verlaufenden Straßenringen ergibt sich damit der ungefähre Eindruck eines Spinnennetzes mit dem Dom als eindeutigem Zentrum.

Den nicht vorhandenen Fluss ersetzen die Kanäle des malerischen Navigli-Viertels im Südwesten der Stadt.

Mailands Stadtmauern und -tore

Die Stadtmauersysteme aus der Römerzeit, dem Mittelalter und der Zeit unter spanischer Herrschaft sind nur noch an seltenen Stellen unmittelbar sichtbar. Sie haben aber unübersehbare Spuren in der Straßenführung Mailands hinterlassen.

Als Mediolanum von den Römern zur Stadt erhoben wurde, erhielt es einen rechteckigen Mauerkranz mit einer Seitenlänge von rund 700 Metern und insgesamt sechs Toren. Um das Jahr 300 wurde die Mauer erweitert und ausgebaut. An einigen wenigen Stellen sind Reste der fast 11 Meter hohen Mauer aus dem 3. Jahrhundert bis heute erhalten geblieben, zu besichtigen beispielsweise beim Civico Museo Archeologico (–>) am Corso Magenta.

Ende des 12. Jahrhunderts begannen die Arbeiten an einem neuen Mauerkranz mit sieben Haupt- und einer Reihe von Nebentoren. Bemerkenswert: Bis ins 20. Jahrhundert hinein hielt sich der mittelalterliche Stadtgraben in Form eines Kanalsystems. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Graben zugeschüttet und durch Straßen ersetzt.

Die dritte und raumgreifendste Ummauerung wurde unter den Spaniern 1560 vollendet. Ende des 18. Jahrhunderts hatte Mailand dann elf Haupttore, von denen die hier fett gedruckten noch heute existieren:

> Porta Garibaldi (bis 1860 Porta Comasina)

> Porta Lodovica

> Porta Magenta (bis 1859 Porta Vercellina)

> Porta Nuova

> Porta Romana

> Porta Sempione (früher Porta Giovia) als Arco della Pace (–>)

> Porta Ticinese (unter französischer Herrschaft Porta Marengo)

> Porta Volta, früher Porta Tenaglia

> Porta Venezia (bis 1860 Porta Orientale)

> Porta Vigentina

> Porta Vittoria (früher Porta Tosa)

Der Stadtname

Alle heute gängigen Bezeichnungen gehen auf das lateinische „Mediolanum“ zurück, was – geografisch einwandfrei zutreffend – „mitten in der Ebene“ bedeutet. Daraus wurde in heutigen Sprachen:

> Lombardisch: Milàn

> Italienisch: Milano

> Englisch: Milan

Die Stadt in Zahlen

Einwohnerzahl: 1,35 Millionen, Provinz Mailand: 3 Millionen

Höhe: durchschnittlich 120 m über dem Meeresspiegel

Fläche der Stadt: 182 km²

Bevölkerungsdichte: rund 7000 Personen pro km²

Stadtpatron: heiliger Ambrosius von Mailand

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Hinter dem Domplatz {1} wachsen die Wolkenkratzer heran (020ma Abb.: fo © vpardi)

Von den Anfängen bis zur Gegenwart

Ursprünglich von Kelten gegründet, erlebte die Stadt unter den Römern einen raschen Aufschwung. Ende des 4. Jahrhunderts übte Bischof Ambrosius (Sant’Ambrogio) einen besonders nachhaltigen Einfluss auf ihre Entwicklung aus.

Die Bauwut der Adelsfamilien Visconti und Sforza prägen das Antlitz Mailands noch heute. Unübersehbare steinere Zeitzeugen sind zum Beispiel das wuchtige Castello Sforzesco {19} und der riesige Komplex Ca’ Granda. Letzterer beherbergt heute unter anderem das Hauptgebäude der größten Mailänder Universität.

Vor allem die Sforza verpassten Mailand auch so manche Renaissance-Sehenswürdigkeit. Der Hof beschäftigte dafür unter anderem auch Leonardo da Vinci. Das Universalgenie lebte und wirkte rund 20 Jahre in der Stadt (–>).

Mailands Geschichte im Überblick

Von der Antike bis zur Völkerwanderung

Schon von der vorrömischen bis zu der Zeit, die wir heute Mittelalter nennen, ging es in und um Mailand ganz schön rund. Die klimatisch und geografisch bevorzugte Gegend lockte erst keltische Siedler an, dann die Römer und schließlich zur Völkerwanderung aufgebrochene germanische Gruppen. Die für die Stadt Mailand wohl prägendste Persönlichkeit dieser 1000 Jahre umfassenden Zeitspanne war der heilige Ambrosius (339–397, –>).

ca. 400 v. Chr. (nach anderer Ansicht schon früher): Die keltischen Insubrer besiedeln die Gegend.

222 v. Chr.: Die Römer erobern die Siedlung und geben ihr den lateinischen Namen Mediolanum.

286: Mailand wird Hauptstadt der Weströmischen Reichshälfte.

313: Mit dem Mailänder Toleranzedikt wird den Christen Glaubensfreiheit garantiert.

374–397: Ambrosius übt als Mailänder Bischof großen Einfluss auf die weitere Stadtentwicklung aus.

387: Ambrosius tauft seinen Meisterschüler Augustinus – später herausragender Kirchenlehrer an der Epochenschwelle zwischen Antike und Mittelalter.

402: Westgoten belagern die Stadt.

452: Die Hunnen nehmen Mailand ein.

539: Ostgoten zerstören die Stadt mitsamt den meisten römischen Überbleibseln.

569: Die Langobarden übernehmen die Herrschaft und geben der Region ihren Namen – Lombardei.

Mailand im Mittelalter

Auch Mailands „Mittelalter“ war äußerst ereignisreich. Die nachhaltigsten Vorkommnisse dieser Zeit dürften die gründliche Zerstörung der Stadt 1162 durch Kaiser Friedrich I. Barbarossa und die Idee, eine gotische Kathedrale der Superlative zu errichten, gewesen sein. Am Übergang zur „Neuzeit“ beherrschten Mitglieder der Familie Visconti die Stadt.

774: Mailand wird unter Karl dem Großen Teil des Frankenreiches.

10. Jahrhundert: Die Bewohner empfinden sich mehr und mehr als „Milanesi“, eine individuelle städtische Gemeinschaft mit eigenen Interessen.

1162: Die Truppen Kaiser Friedrichs I. Barbarossa zerstören große Teile der Stadt. Wenig später gründen lombardische Städte einen Städtebund unter Mailänder Führung.

1259: Der Angriff des kaisertreuen Feudalherrn Ezzelino da Romano wird erfolgreich abgewehrt.

1277: Erzbischof Visconti besiegt mit der Familie della Torre seine ärgsten Widersacher und beginnt mit dem Ausbau der Mailänder Hegemonie.

1385: Gian Galeazzo Visconti wird Alleinherrscher. Die Visconti beherrschen die Stadt bis 1447.

1388: Die Fundamente des Mailänder Doms werden gelegt.

Vom Beginn der Neuzeit bis 1900

Zu Beginn der Neuzeit wird der Visconti-Clan von den Sforza abgelöst. Die Renaissance-Fürsten fördern die Kunst im großen Stil. Ein von ihnen protegiertes Genie hinterlässt besonders viele Spuren in Mailand – Leonardo da Vinci. In den darauffolgenden Jahrhunderten haben fremde Mächte das Sagen, darunter die Habsburger, die Franzosen und die Spanier.

1450: Mailand fällt an das Geschlecht der Sforza. Die Adligen begründen den Ruf der Stadt als Perle der italienischen Renaissance und holen unter anderem Leonardo da Vinci an ihren Hof.

1515: Das Herzogtum wird Frankreichs König Franz I. zugesprochen.

1525: Mailand und ganz Norditalien fallen an das Haus Habsburg.

1556: Die Stadt geht an die von Philipp II. begründete spanische Linie der Habsburger über.

1560: Einweihung der neuen Stadtmauer. Ihre prunkvollen Tore sind größtenteils noch heute erhalten.

1704: Nach drei Jahren müssen die Franzosen Norditalien zugunsten der österreichischen Habsburger aufgeben.

1778: Einweihung des Teatro alla Scala als ein Höhepunkt der kulturellen Blüte unter Maria Theresia

1796: Napoleon erobert die Lombardei.

1815: Auf dem Wiener Kongress wird Mailand wieder Österreich zugesprochen.

1848: Das österreichische Militär schlägt den Aufstand der Cinque Giornate (fünf Tage) nieder.

1859: Mailand fällt an das Haus Sardinien-Piemont und wird Teil des Königreichs Italien.

1861: Etwa ab der Einigung Italiens beginnt für Mailand ein rasanter wirtschaftlicher Aufschwung.

1877: Mit der Galleria Vittorio Emanuele II wird die älteste überdachte Einkaufspassage der Welt fertiggestellt.

20. Jahrhundert

Nach der italienischen Einigung 1861 setzt ein rasanter wirtschaftlicher Aufschwung ein, der mit der Weltausstellung 1906 einen gefeierten Höhepunkt erreicht. Im Zweiten Weltkrieg werden große Teile der Stadt zerstört. Ab den 1950er-Jahren geht es wirtschaftlich wieder steil bergauf. An dem anhaltenden Boom wird 30 Jahre später auch ein gewisser Berlusconi mitwirken.

1906: Weltausstellung (Esposizione internazionale del Sempione) mit dem Themenschwerpunkt Verkehr

1922: Mailand ist der Ausgangspunkt für Mussolinis Marsch auf Rom.

1931: Einweihung des Hauptbahnhofs Stazione di Milano Centrale

1943: Das Teatro alla Scala und viele andere historische Gebäude werden bei einem britischen Bombenangriff zerstört.

1945: Mussolinis Leiche wird auf der Piazzale Loreto aufgehängt.

1950er-Jahre: Aufgrund des wirtschaftlichen Aufschwungs setzt der Zuzug von Millionen Süditalienern in die Lombardei ein.

1960: Das Pirelli-Hochhaus ist kurze Zeit das höchste Europas.

1970er-Jahre: Mailand ist Zentrum von Studentenaufständen.

1971: Mailand erreicht mit über 1,7 Millionen seine maximale Einwohnerzahl.

1980er-Jahre: Die wirtschaftliche Blüte verhilft auch Silvio Berlusconi zum geschäftlichen Durchbruch. Zwischen 1994 und 2011 wird er viermal als italienischer Ministerpräsident amtieren.

1990er-Jahre: Das Erstarken separatistischer regionaler Parteien zeigt den Unwillen des reichen Nordens, seinen Wohlstand mit den Süditalienern zu teilen.

21. Jahrhundert

Zu Beginn des Jahrhunderts prägen Aufstieg und Eskapaden des Mailänder Unternehmers und Politikers Berlusconi das Bild Italiens. 2012 wird im Stadtteil Porta Nuova das höchste Gebäude Italiens (231 m) eröffnet und 2015 richtet Mailand die Weltausstellung Expo 2015 (–>) aus. Außerdem verzeichnen Mailand und Umgebung eine vermehrte Ankunft afrikanischer Migranten, die sich oft auf der Durchreise befinden.

April 2015: Modezar Giorgio Armani eröffnet sein Fashion-Museum Armani/Silos (–>).

2015: Die Weltausstellung Expo 2015 verzeichnet über 20 Millionen Besucher.

Frühjahr 2017: Zum vierten Mal in Folge misslingt beiden großen Mailänder Klubs (–>) die Qualifikation für die UEFA Champions League.

September 2017: Bürgermeister Giuseppe Sala erwägt laut Medienberichten eine Bewerbung Mailands für die Olympischen Winterspiele 2026.

November 2017: Italien verpasst in Mailand gegen Schweden die Qualifikation zur Fußball-WM 2018.

Leben in der Stadt

Mailand ist die zweitgrößte Stadt Italiens, Hauptstadt der Provinz Mailand sowie der Region Lombardei (Lombardia). Die Metropolregion Mailand ist der größte italienische Ballungsraum und zählt bei einer beeindruckend niedrigen Arbeitslosenquote zu den wohlhabendsten Gegenden Europas.

Nach der Einigung Italiens entwickelte sich Mailand ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur größten Industriestadt des Landes. Sie ist heute die führende Kultur-, Medien- und Modemetropole Italiens, Sitz der Italienischen Börse und eine der wichtigsten Messestädte der Welt. Auch ihre herausragende Bedeutung als Musik- und Theaterzentrum ist unbestritten. Die beiden örtlichen Fußballklubs Inter und A.C. Milan (–>) gehören zu den bekanntesten Sportvereinen der Welt.

Dank seiner verkehrsgünstigen Lage in der oberitalienischen Poebene war Mailand in früheren Zeiten begehrtes Ziel von Invasoren und ist heute ein wichtiger Knotenpunkt des europäischen Verkehrsnetzes.

Knapp 80 % der Einwohner sind Italiener, in der großen Mehrzahl Katholiken. Bemerkenswert ist die nach allen Einschätzungen sehr hohe Zahl von clandestini, also nicht registrierten Ausländern ohne Papiere – die meisten von ihnen aus afrikanischen Ländern.

Mailand ist eine Tourismushochburg. Die bekannteste und meistbesuchte Sehenswürdigkeit ist der Dom {1}, gefolgt von der Galleria Vittorio Emanuele II {2} (sprich Vittorio Emanuele Secondo), die sich gleich daneben befindet. Wer diese Einkaufspassage der Extraklasse einmal der Länge nach durchschreitet, steht schon vor dem Teatro alla Scala {9}, einem der berühmtesten Opernhäuser der Welt. Auch Leonardo da Vincis Wandgemälde „Das letzte Abendmahl“ in der Basilica di Santa Maria delle Grazie {24}, die Pinacoteca di Brera {17} und das mächtige rote Castello Sforzesco {19} sind Besuchermagneten.

Mailand – Stadt der Wissenschaft und Bildung

Die Hauptstadt der Lombardei ist auch über ein halbes Jahrtausend nach Leonardo da Vinci (–>) ein Forschungsstandort von Weltrang. Dafür sorgen sieben Universitäten mit fast 50 Fakultäten, an denen insgesamt über 185.000 Studenten eingeschrieben sind.

Allein an der 1923 gegründeten Universität Mailand (Università degli Studi di Milano, kurz La Statale) unterrichten rund 2500 Hochschullehrer über 70.000 Studenten. Sie ist stolzes Mitglied der Liga europäischer Forschungsuniversitäten (LERU), die sich ausgezeichneter Lehre und international wettbewerbsfähiger Spitzenforschung verschrieben haben.

Das Hauptgebäude der Universität ist heute in der „Ca’ Granda“ (eigentlich Casa Grande, also großes Haus) untergebracht. Der Mailänder Edelmann Francesco Sforza ließ diesen mächtigen Bau Mitte des 15. Jahrhunderts südlich der Chiesa di San Bernardino alle Ossa {5} als „Ospedale Maggiore“ (Großes Hospital) errichten.

Die Technische Hochschule (Politecnico di Milano) nahm ihren Betrieb 1863 auf und ist damit die älteste Universität Mailands. Von der Zahl der Studenten her ist sie die größte Technische Universität Italiens.

Die Katholische Universität vom Heiligen Herzen (Università Cattolica del Sacro Cuore) ist mit etwa 42.000 immatrikulierten Studenten an fünf Standorten die größte private Universität Europas und die größte katholische Universität überhaupt. Ihren Sitz hat sie in Mailand und zwar unmittelbar neben der Basilica di Sant’Ambrogio {27}.

Hinzu kommen eine ganze Riege bekannter Akademien und Kunsthochschulen, darunter die 1776 von der österreichischen Kaiserin Maria Theresia gegründete Mailänder Akademie der Schönen Künste (Accademia di Belle Arti) im Stadtteil Brera. Dort ist sie im selben Palazzo untergebracht wie die weltberühmte Pinacoteca di Brera {17}.

Das Mailänder Konservatorium existiert seit 1807 und ist mit 1700 Studenten die größte Musikhochschule Italiens. Peinlich: 1832 lehnten die Profimusiker dort mit Giuseppe Verdi (–>) ausgerechnet den Komponisten als Schüler ab, der auch und gerade an der Mailänder Scala {9} eine ganze Serie von Welterfolgen feiern sollte.

Die zahlreichen Designschulen schließlich machen Mailand zur Hauptstadt italienischer Kreativität und das studentische Flair hat für Mailand-Besucher einige praktische Vorteile. So sorgen die vielen jungen Leute nicht nur für eine lockere, weltoffene Atmosphäre, sondern auch für bezahlbare Preise in den Cafés und Bars in der Umgebung der großen Hochschulen.

Die Mailänder

Mailand ist nicht Italien und hat mit Apulien und Sizilien weniger gemeinsam als mit der Schweiz und Österreich. Davon sind die Mailänder selbst am meisten überzeugt. Für sie ist Mailand nicht nur die wahre Hauptstadt, sondern auch die italienische Stadt mit der großartigsten Zukunft. Man ist der Meinung, das durch die Ausrichtung der Expo 2015 (–>) aufs Neue bewiesen zu haben.

Besucher, die das erste Mal in die Stadt kommen, empfinden Mailand oft als laut und hektisch. Das selbstbewusste Auftreten vieler Mailänder kommt bei ihren Landsleuten nicht immer nur gut an. Kritische Stimmen bescheinigen den stolzen Milanesi denn auch einen gewissen Hang zur übertriebenen Selbstinszenierung und Hochnäsigkeit. Allerdings sind sich Mailänder und ihre Landsleute wieder sehr einig, wenn es um die Benennung einiger Vorlieben geht, die für Mailänder Lebensart stehen und viele seiner Bewohner eint: Da wäre der Kult um den oft abendfüllenden Aperitivo (–>), die heiße Liebe für Inter und A.C. Milan, die beiden Top-Fußballklubs der Stadt, kulinarische Genüsse wie Panettone, Mailänder Kalbsbeinscheibe und gelbes Risotto und natürlich die Begeisterung für Mode, Design und alle anderen Dinge, die das Leben verschönern. Das inoffizielle italienische Daseinsmotto „piacere di vivere“ (schwer ins Deutsche zu übersetzen, sinngemäß: das Geschenk des Lebens genussreich zelebrieren) gilt auch und gerade in der schicken Hauptstadt der Lombardei.

Ihre sprichwörtliche Hartnäckigkeit haben Mailänder mit dem Dombau eindrucksvoll bewiesen – denn dieser zog sich über sechs Jahrhunderte hin.

Drei Fragen an einen typischen Mailänder

Francesco, was haltet ihr jungen Mailänder vom Tourismus-Boom?

Naja, wir sehen den Ansturm ehrlich gesagt differenziert. Zum einen kommt Geld in die Stadt und viele Besucher bedeuten wohl auch hohes Prestige. Auf der anderen Seite hat uns der Tourismus ganz schön die Preise verdorben, vor allem in der Innenstadt. Das ist auch einer der Gründe, weshalb man auf dem Domplatz keine „normalen“ Mailänder treffen wird, schon gar nicht am Wochenende.

Was machen Mailänder am Wochenende?

Jeder, der es sich leisten kann, fährt mit der Familie oder Freunden raus aus der Stadt, am besten in die Berge oder im Sommer auch an die Küsten. Ein oder zwei Stunden und schon ist man da. Die Anhänger unserer beiden weltberühmten Fußballklubs zieht es ins Stadion und das jährliche Formel-1-Rennen in Monza ist natürlich „unser“ Rennen! Die meisten Italiener, die am Wochenende durch die Innenstadt bummeln oder unsere großen Kaufhäuser stürmen, sind Touristen.

Was ist in Mailand anders als im Rest der Welt?

Wir sind nicht das, was Nordeuropäer für „richtige“ Italiener halten. Wir sind „Milanées“ mit eigener Identität und eigenem Charakter. In unserem Dialekt, den leider immer weniger Leute vernünftig beherrschen, bezeichnen wir uns auch als „Meneghìt“. Der Rest Italiens nennt uns „Milanesi“. Wir grenzen uns gern in alle Richtungen ab: Von unseren Erzrivalen in Turin, vom armen Süditalien und natürlich auch gegenüber euch Nordlichtern. Touristen, die unmodisch oder gar stil- und geschmacklos gekleidet hier erscheinen, dürfen sicher sein, von uns aufrichtig bedauert zu werden.

Was blieb von der Expo 2015?

Nach der „Esposizione internazionale del Sempione“ im Jahr 1906 richtete Mailand 2015 zum zweiten Mal eine Weltausstellung aus. Bestimmendes Thema der Veranstaltung zu Beginn des technologieversessenen 20. Jahrhunderts war der Verkehr. Das einzige noch erhaltene Gebäude der Weltausstellung von 1906 ist das Acquario Civico {21}.

Das Motto der Expo 2015 lautete Feeding the Planet, Energy for life („Den Planeten ernähren, Energie für das Leben“). Zentraler Ansatz war, Technologie, Innovation, Kultur, Tradition und Kreativität mit den globalen Themen Ernährung und Nahrung zu verbinden und so ökologisch nachhaltige Lebensentwürfe zu stärken.

Entgegen allen politischen und organisatorischen Querelen im Vorfeld kann Mailand die Expo 2015 als Erfolg verbuchen. Viele Milliarden Euro flossen zur Vorbereitung des Riesenevents in die Stadt und die Region – nach Meinung vieler Mailänder war das allerdings eher ein Rückfluss, schließlich ist das Steueraufkommen hier erheblich höher als in anderen Landesteilen.

Man begrüßte über 20 Millionen Gäste aus aller Welt. Besonderer Beliebtheit erfreuten sich u. a. die asiatischen Ausstellungspavillons und diejenigen der deutschsprachigen Länder. Die Massen besuchten aber nicht nur das riesige neu geschaffene Messegelände in den Vororten Rho und Pero nordwestlich von Mailand, sondern belebten auch die Innenstadt.

Die Investitionen kamen dort dem Ausbau von Metro und Radwegen und vielen anderen Infrastrukturmaßnahmen zugute. Der neue Schwung führte zu zahlreichen Renovierungen bzw. Neueröffnungen von Restaurants, Cafés usw. Und es gab kaum ein Museum oder Theater, das für die sechsmonatige Expo-Zeit nicht etwas Besonderes arrangiert hatte.

Expo-Besuchermagnete im Zentrum waren u. a. die beiden großen weißen Pavillons des „Expo Gate“ zwischen dem Castello Sforzesco {19} und der Piazza Largo Cairoli – einer Plattform für multimedialen und interdisziplinären Austausch mitsamt repräsentativer Bühne.

Das Ziel, mithilfe der Expo Mailands Anziehungskraft und Profil als vitale Weltstadt zu schärfen, wurde erreicht und der Werbeeffekt, den die Veranstaltung für die Stadt als Touristenziel und Messestandort brachte, kann kaum überschätzt werden.

Viele städtebauliche Projekte konnten mit dem Rückenwind der Expo beschleunigt werden, z. B. durften die drei Top-Architekten Daniel Libeskind, Zaha Hadid und Araka Isozaki im Zuge des „Projekt City Life“ (www.city-life.it) für das ehemalige Messegelände in Innenstadtnähe jeweils einen hochmodernen Wolkenkratzer entwerfen („Tre Torri“ – zu Deutsch „drei Türme“). Seit Ende 2015 ist das Areal an die Metrolinie M5 angeschlossen.

Außerdem hat man die Kanäle und das Hafenbecken herausgeputzt. Die alten Wasserwege sollen rasch wieder etwas von ihrer früheren Bedeutung zurückerhalten. Am sichtbarsten ist die Verschönerung des historischen Hafenbeckens „darsena“, in dem die beiden großen Kanäle Naviglio Grande und Naviglio Pavese {31} einander begegnen. Noch wenige Jahre vor der Expo in einem erbarmungswürdigen Zustand, zieht das renovierte Areal mit Grünflächen, Läden und Lokalen jetzt Erholungssuchende an.

Ein wenig ökologischer wurde die Stadt auch, etwa durch die Begrünung von Hochhäusern. Ein interessantes Beispiel dafür ist der „Bosco Verticale“ (zu Deutsch „senkrechter Wald“), ein Projekt nahe der Stazione Garibaldi im Norden des Zentrums, das Büsche und Bäume auf die Balkone und Dächer von Wohntürmen bringt.

Nicht zu unterschätzen sind die mittelbaren Auswirkungen der Expo-Planung und -Realisierung für die Stadt und ihre Bewohner: Das Selbstverständnis der Mailänder, in der heimlichen Hauptstadt Italiens zu leben, hatte in den Jahren zuvor spürbar gelitten. Rom holte ökonomisch auf und viele regionale Metropolen konnten mehr aus sich machen – allen voran Turin, das mit den Olympischen Winterspielen 2006 eine sehr gelungene internationale Großveranstaltung ausgerichtet hatte.

> Infos: www.expo2015.org (Italienisch)

Die Expo 2015 in Zahlen

> Dauer: 1.Mai bis 31.Oktober 2015

> Ausstellungsfläche: rund 200 ha

> Besucher: 21–22 Millionen

> Ausstellende Länder: 145