Bewegung senkt den Blutzucker. Das passiert immer, wenn Sie sich körperlich betätigen. Ob Sport oder Alltagsbewegung, ist dabei egal.
Im Kapitel „Werden Sie zum Diabetes-Experten“, S. 18, haben Sie gelesen, dass Insulin wie ein Türöffner arbeitet, um den Zucker aus dem Blut in die Zellen zu transportieren. Insbesondere Muskelzellen benötigen Traubenzucker, um Energie herzustellen. Dabei ist den Körperzellen jedes Insulin recht: egal, ob es von Ihrer Bauchspeicheldrüse produziert wird oder ob Sie es sich mittels eines Insulinpens spritzen.
Jede unserer Körperfunktionen wie Atmung, Herztätigkeit oder Erhaltung der Körpertemperatur zieht Energie aus den Zellen. Aber auch beim Sprechen oder Spielen eines Musikinstruments benötigen Ihre Muskeln Energie. Dabei wird vorrangig Zucker zur Energiegewinnung genutzt.
Je mehr Sie sich also bewegen, desto mehr wird Energie und damit Zucker gebraucht – sei es bei der Gartenarbeit, dem Hausputz oder sportlichen Aktivitäten wie Fahrradfahren, Wandern oder Schwimmen. Immer mehr Zucker wird aus dem Blut in die Zellen geschleust, wodurch Ihr Zuckergehalt im Blut noch weiter absinkt. Je mehr Sie sich bewegen, desto stärker sinkt der Blutzucker. Und das Tolle ist, dieser Zucker schafft es ohne Insulin in die Zellen. Die „Türen der Zellen“ öffnen sich von allein, sodass der Zucker – unabhängig vom Insulin – den Zellen zur Verfügung steht. Falls Sie Insulin spritzen müssen, sollten Sie diesen positiven Effekt aber bedenken und vor der Bewegung Ihr Insulin reduzieren oder ganz weglassen.
Vorsicht vor Unterzuckerung!
Der positive Effekt kann auch ins Gegenteil umschlagen, falls der Zuckergehalt im Blut zu stark absinkt. Unterzuckerungen treten jedoch nur bei bestimmten Diabetesmedikamenten auf. Das passiert unter Umständen bei viel Sport oder starker Bewegung, wenn Sie sich Insulin spritzen oder eine Tablette zur Steigerung der Insulinproduktion einnehmen (sogenannte Sulfonylharnstoffe oder Glinide, siehe S. 131). Daher sollten Sie diese Medikamente vor körperlicher Betätigung oder Sport reduzieren (siehe S. 111).
Energiespeicher für schlechte Zeiten. Zur kurzfristigen Energiebereitstellung speichern Ihre Leber und Muskeln etwa 500 Gramm Traubenzucker ab. Dies entspricht etwa 2 000 kcal. Der größere Energiespeicher ist jedoch unser Fettgewebe. Bei einem 70 Kilo schweren Menschen mit etwa 20 Prozent Körperfettanteil entspricht das etwa 14 Kilo Fett, was umgerechnet 100 000 kcal bedeutet. Je höher Ihr Fettanteil, desto höher der Energiespeicher in Form von Fett.
Sie müssen sich jedoch keine Gedanken machen, wenn Sie keine dieser Tabletten einnehmen und kein Insulin spritzen. Dann bremst Ihr Körper selbst die Produktion Ihres Insulins in der Bauchspeicheldrüse, sodass Sie keine Unterzuckerung bekommen können.
Die blutzuckersenkende Wirkung von Bewegung ist ein Pluspunkt. Darüber hinaus kann mehr Bewegung – neben einer Ernährungsumstellung – helfen, überschüssige Pfunde loszuwerden. Sie verlieren Gewicht und – das ist der eigentliche Vorteil – können es halten.
Es reicht allerdings nicht aus, nur einige Schritte mehr zu machen. Bei einer kurzfristigen körperlichen Anstrengung, wie bei einem Spaziergang, mobilisiert der Körper seine eigenen Energiereserven. Leber und Muskeln speichern genügend Traubenzucker ab, um diesen jederzeit zur Verfügung zu stellen.
Anders ist es, wenn Sie sich für längere Zeit intensiv betätigen. Bei einer Fahrradtour oder einer Aerobicstunde zum Beispiel reichen diese Energiereserven nicht aus. Der Körper muss anderweitig Energie mobilisieren – er geht an Ihre Fettreserven. Werden diese Reserven angezapft, dann verlieren Sie an Gewicht.
Bevor Sie mit einem Bewegungsprogramm loslegen, gilt es einige Dinge zu beachten. Wie bereits erwähnt, sollten Sie Freude an der Sportart haben. Das zweite oberste Gebot ist, nicht von Null auf Hundert zu gehen, also sich nicht so stark zu verausgaben. Das merken Sie daran, dass Sie sich zum Beispiel während des Laufens mit Ihren Mitstreitern unterhalten können, ohne schnaufend nach Luft schnappen zu müssen.
Wenn Sie beim Radfahren oder Walken ins Schwitzen kommen, ist dies ein Zeichen, dass Ihr Körper vermehrt Energie verbrennt. Ob der Sport für Sie passt, richtet sich nach Ihrer körperlichen Verfassung wie beispielsweise der Belastbarkeit Ihrer Füße, Augen, Herz und Gefäße. Sprechen Sie immer vorher mit Ihrem Behandlungsteam darüber.
Bei einem Körpergewicht von 50 bis 100 Kilo verbrauchen Sie bei verschiedenen Bewegungsarten in zehn Minuten unterschiedlich viele Kalorien.
Aktivität |
Energieverbrauch (in kcal) |
Spaziergang |
20–40 |
Einkaufen |
30–60 |
Gymnastik |
30–60 |
Radfahren |
30–60 |
Gartenarbeit/Hausarbeit |
40–70 |
Wandern 4–5 km/h |
40–80 |
Walking 5 km/h |
40–80 |
Aerobic |
50–100 |
Tanzen |
50–100 |
Skilanglauf |
70–140 |
Joggen 10 km/h |
80–160 |
Schwimmen |
80–160 |
Starke Kraftanstrengungen, wie Bankdrücken, Liegestützen oder einen Marathon, sollten Sie besser vermeiden, wenn Sie einen hohen Blutdruck haben oder Blutdruckmedikamente einnehmen. Solche Übungen im Fitnessstudio oder steile Anstiege mit dem Rad oder Rennen erhöhen den Druck auf Ihre Gefäßwände zusätzlich. Die Folge daraus: Ihr Blutdruck steigt dann noch weiter. Gehen Sie lieber zwei Stunden flott spazieren, als 15 Minuten mit dem Fahrrad berghoch zu strampeln und sich dabei völlig zu verausgaben.
Sprechen Sie mit Ihrem Behandlungsteam, bevor Sie mehr Bewegung in Ihr Leben bringen wollen. Eventuell müssen zuvor noch ärztliche Untersuchungen gemacht werden, wie zum Beispiel ein EKG, Augen- oder Fußuntersuchungen. Sie stellen damit sicher, dass Sie keine vorhersehbaren Schäden bekommen. Sollten Sie zum Bespiel Probleme mit Ihren Füßen haben, sind Bewegungsarten wie Joggen, mit denen Sie die Füße stark belasten, eher kontraproduktiv. Junge Menschen, die „nur“ Diabetes Typ 2 haben, müssen nicht extra zum Arzt gehen.
Der Satz „Bewegen Sie sich einfach mehr, dann verlieren Sie an Gewicht und der Zucker geht runter“ ist leichter gesagt als getan. Warum ist das so?
An der frischen Luft!
Ein langer Spaziergang bringt Mensch und Tier Freude. Und Sie kommen ganz schnell auf viele Schritte.
Genetisch bestimmt?
Wissenschaftler und Mediziner gehen momentan davon aus, dass das Bewegungsverhalten eines jeden Einzelnen von Geburt an im Gehirn einprogrammiert ist. Menschen, die sich viel bewegen, tun dies meistens von Kindheit an und haben viel Freude dabei. Ist der Gedanke an Sport hingegen ein Graus für Sie, wird es schwierig, sich dafür zu begeistern.
Unser Bewegungsverhalten ist also nicht so einfach umzuprogrammieren und zu beeinflussen. Deswegen sollten Sie auch kein schlechtes Gewissen haben, wenn Sie sich nicht Tag für Tag für Bewegung oder Sport motivieren können. Und denken Sie bitte daran: Haben Sie keine Freude an Sport, verursacht das nur Stress und Unzufriedenheit und damit ist nichts gewonnen.
Aber es gibt einige Studien, die zeigen, dass bei anderen Erkrankungen mehr Bewegung helfen kann. So gibt es Hinweise dafür, dass spezielle Bewegungsprogramme bei Depressionen helfen können, das Wohlbefinden zu steigern. Auch bei anderen Erkrankungen wie etwa Rückenbeschwerden können bestimmte Übungen für den Rücken und vor allem für den Bauch dazu beitragen, Mobilität zu fördern und Schmerzen zu lindern. Man muss dann immer je nach Situation entscheiden, ob Bewegung für Sie persönlich einen Nutzen bringen kann.
Bewegung soll kreislauffördernd sein, den Blutdruck senken sowie Herzinfarkten und Schlaganfällen vorbeugen.
Ob Bewegung den Blutdruck senkt, wissen wir aus Studien nicht eindeutig. Wenn das so ist, dann wahrscheinlich nur minimal. Einige Untersuchungen zeigen, dass Yoga mit Entspannungsübungen einen positiven Einfluss auf den Blutdruck hat. Wahrscheinlich verhilft aber nicht die körperliche Betätigung an sich zu einem besseren Blutdruck, sondern eher die Entspannung, die man dabei erlebt. Es gibt also durchaus noch viel dazu zu forschen.
Die Look-Ahead-Studie: Über 5 000 übergewichtige Personen mit Diabetes Typ 2 wurden in zwei Gruppen zufällig aufgeteilt. Die eine Gruppe sollte sich mehr bewegen (mindestens 10 000 Schritte am Tag, 175 Minuten/Woche) und nur 1 200–1 800 kcal pro Tag zu sich nehmen. Die andere Gruppe änderte ihre Gewohnheiten nicht. Die Studie untersuchte, ob eine Änderung der Lebensgewohnheiten sich positiv auf Herzkreislauf-Erkrankungen und die Lebenserwartung auswirkt. Sie wurde abgebrochen, da nach 9,6 Jahren kein Unterschied zwischen den beiden Gruppen zu sehen war.
Ungewiss ist auch noch, ob Sie durch jahrelangen Sport einen Herzinfarkt oder Schlaganfall vermeiden können und länger leben. Bislang konnte keine Studie diesen Nachweis bringen. Selbst die größte und längste Studie, die herausfinden wollte, ob mehr Bewegung und weniger Kalorien bei Menschen mit einem Diabetes Typ 2 Veränderungen bringen, nicht (siehe Kasten oben). Sie wurde nach 9,6 Jahren vorzeitig wegen Erfolglosigkeit abgebrochen.
Auch wenn mehr Bewegung unter Umständen langfristig keine entscheidenden Vorteile für Ihren Diabetes bringt: Einige Kilos weniger auf der Waage können sich positiv auf Ihre Gelenke auswirken. Mehr Ausdauer bringt mehr Schwung ins Leben. Sie können dann wieder ohne Luftnot die Treppen zu Ihrer Wohnung hochsteigen. Oder mit den Enkeln ausdauernd spielen, ohne schon nach fünf Minuten eine Pause einlegen zu müssen. Mit zusätzlicher Bewegung könnten Sie also kleine Veränderungen in Ihrem Leben eventuell möglich machen:
den Blutzuckerspiegel senken
das Körpergewicht senken
das Herz-Kreislauf-System auf Touren bringen
die Muskeln stärken
Stress abbauen
das seelische und körperliche Wohlbefinden verbessern
Wenn Sie für sich entschieden haben, mehr Bewegung in Ihr Leben zu bringen, zeigen wir Ihnen im nächsten Kapitel, wie Ihnen das gelingt – ganz ohne Stress!