So klappt es mit Insulin

Die Umstellung von Tabletten auf Insulin kann mit Ängsten verbunden sein. Aber mit immer mehr Erfahrung wird es Ihnen schnell und sicher von der Hand gehen.

imageViele von Ihnen kennen bestimmt noch die „Injektionsgeräte“ von Eltern oder Großeltern. Lange, dicke Nadeln, die selbst ausgekocht, sterilisiert und neu angeschliffen werden mussten. Die Zeiten sind zum Glück längst vorbei. Die kleinsten Nadeln sind heutzutage lediglich 4 mm lang und 0,23 mm dick. Sie sind so dünn, dass man den Einstich kaum spürt.

Durchschnittlich nach zehn bis zwölf Jahren Diabetes produziert die eigene Bauchspeicheldrüse nicht mehr genügend Insulin. Dann kann sich die Umstellung auf eine Insulintherapie lohnen. Sie werden merken: Damit geht es Ihnen besser. Sie fühlen sich wieder fitter. In dieser Situation werden Sie nicht allein gelassen. Ihr Diabetesteam unterstützt Sie und Sie können an einer Gruppenschulung teilnehmen. Sie lernen, wie Insulin wirkt, wie Sie es spritzen und wie Sie Ihre Insulindosis im Alltag selbstständig anpassen können.

imageVor exakt 100 Jahren kam Insulin erstmalig zum Einsatz und rettet seitdem Millionen von Menschen das Leben. Dr. Frederick Grant Banting und sein Student Charles Herbert Best spritzten dem abgemagerten 14-jährigen Leonard Thompson am 11. Januar 1922 erstmals ein aus zerkleinerten Kälber-Bauchspeicheldrüsen hergestelltes Sekret. Der Blutzucker sank jedoch nur minimal, da das Sekret zu stark verunreinigt war. Ein Kollege der beiden, der Biochemiker Dr. Collip, entwickelte ein Reinigungsverfahren für das Sekret. So konnte ein paar Tage später die erste, wirksame Injektion verabreicht werden.

Insulin ist ein Segen

Das Hormon Insulin ist aus einer Kette von aneinandergereihten Aminosäuren aufgebaut. Viele Aminosäuren zusammen bilden Eiweiße. Also: Insulin besteht ist ein Eiweiß. Eiweiß verklumpt bei hohen Temperaturen und geht bei niedrigen Temperaturen kaputt. Deswegen sollten Sie Ihr Insulin niemals einfrieren oder zu hohen Temperaturen aussetzen. Es verliert seine Wirkung.

Insulin gewann man Anfang der 1920er Jahre aus der Bauchspeicheldrüse von Kälbern, später dann aus der von Schweinen. Schweineinsulin ist dem menschlichen Insulin in seiner Struktur sehr ähnlich. Allergische Reaktionen waren daher selten. Über viele Jahre wurde Insulin aus dem „Saft“ der Schweine-Bauchspeicheldrüse gewonnen.

In den 1980er Jahren gelang es Forschern, Insulin durch gentechnisch veränderte Hefezellen oder Bakterien zu produzieren. Das bis heute verfügbare „Humaninsulin“ war geboren. Mitte der 1990er Jahre veränderten Wissenschaftler die Aminosäurekette und entwickelten sogenannte Analog- oder Kunstinsuline, die länger oder kürzer wirken als Humaninsuline.

Human- oder Analoginsulin?

Humaninsuline werden aus Hefen und Bakterien hergestellt und sind dem menschlichen Insulin in seiner Struktur gleich. Abhängig von der gespritzten Menge wirken sie zu den Mahlzeiten gespritzt, in etwa drei bis vier Stunden. Langwirksame Humaninsuline halten bis zu zwölf Stunden an.

Analoginsulin hat eine veränderte Wirkweise. Kurzwirksame Analoginsuline zu den Mahlzeiten kommen schneller im Blut an und wirken nur bis zu vier Stunden. Langwirksame Analoginsuline haben im Gegensatz zu Humaninsulinen eine längere Wirkdauer von circa 24 Stunden. Einige Studien haben untersucht, ob Analoginsuline Menschen mit Diabetes Typ 2 einen Vorteil bringen und weniger Unterzuckerungen auftreten oder der HbA1c verbessert wird. Dies ist nicht der Fall.

Lang und kurz

Insuline werden nach ihrer Wirkdauer in kurz- und langwirksame Insuline eingeteilt. Eine Mischung aus beiden nennt sich Kombinationsinsulin.

Kurzwirkende Insuline werden zu den Mahlzeiten oder zur Korrektur erhöhter Blutzuckerwerte gespritzt, da ihre Wirkung sofort einsetzt und die Wirkdauer nur circa drei bis sechs Stunden beträgt. Langwirkende Insuline (sogenannte Basalinsuline) werden ein- bis zweimal täglich gespritzt, da sie nur langsam und über eine längere Zeitspanne wirken (circa 12 bis 24 Stunden). Es gibt verschiedene Basalinsuline:

imageTrübe Basalinsuline (sogenannte NPH-Insuline) mit einer Wirkdauer bis zu zwölf Stunden: Diese Insuline sehen milchig aus. Der enthaltene Verzögerungsstoff muss vor der Injektion mit der klaren Substanz vermischt werden. Bitte zehnmal schwenken, aber nicht schütteln.

imageLangwirkende Analoginsuline mit einer Wirkung von bis zu 24 Stunden: Sie sind klare Insuline und müssen nicht geschwenkt werden.

Kombinationsinsuline sind eine Mischung aus kurz- und langwirksamem Insulin und werden in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen angeboten. Falls Ihr Mischinsulin einen milchigen Verzögerungsstoff enthält, sollten Sie Ihren Insulinstift vor jeder Injektion mindestens zehnmal schwenken, um die richtige Insulinmischung zu erhalten.

So geht es mit dem Spritzen

Alle Insulinarten gibt es entweder als Fertigpen oder in einer 3-ml-Ampulle. Fertigpens können Sie direkt nach dem Aufschrauben der Nadel benutzen, Ampullen müssen zuerst in einen Pen eingesetzt werden. 10-ml-Insulinfläschen zum selbstständigen Aufziehen mit einer Insulinspritze gibt es heutzutage nur noch selten. Menschen mit Diabetes Typ 1 und einer Insulinpumpe benötigen Insulinfläschchen hin und wieder. Für sie spielt das Aufziehen jedoch keine Rolle.

Wenn Sie Ihr Insulin in der Apotheke abgeholt haben, stellen Sie das Insulin, das Sie nicht brauchen, in Ihren Kühlschrank. Am besten ins Gemüsefach oder in die Ablagefächer der Kühlschranktür. Das Insulin darf nicht gefrieren. Wenn Sie es aus Versehen einfrieren, können Sie es direkt in den Müll werfen und sich ein neues Rezept holen.

Den Insulinstift für den täglichen Gebrauch lagern Sie an einem sonnengeschützten Ort in Ihrer Wohnung. Wenn Sie außer Haus gehen, bewahren Sie den Pen in einer Tasche auf. An sehr heißen oder kalten Tagen ist es am sichersten direkt am Körper. Erhitzt sich Insulin über 40 Grad, kann die Insulinstruktur zerstört werden. Es ist ähnlich wie bei einem Hühnerei, das gekocht wird. Ab etwa 65 Grad beginnt das Eiweiß zu stocken, die Struktur hat sich geändert.

Checkliste

Insulin richtig spritzen

Insulin richtig zu spritzen ist eine Frage von Übung. Hier finden Sie eine kleine Anleitung. Sind Sie unsicher, nutzen Sie erneut eine Diabetesschulung (siehe S. 28) oder fragen Sie bei Ihrem Diabetesteam nach. Es wird Ihnen gerne helfen.

imageNur bei trüben Insulinen: Mindestens zehnmal schwenken, bis das Insulin gleichmäßig trüb ist.

imageEntfernen Sie die Schutzkappe Ihres Insulinstifts.

imageVor jeder Injektion eine neue Pennadel auf das Gewinde gerade aufschrauben und die beiden Schutzkappen der Nadel entfernen.

imageFunktionskontrolle: Stellen Sie 1–2 IE am Dosierknopf ein und drücken diesen wieder auf „0“. Das Insulin muss vorn austreten (ggf. wiederholen Sie diesen Vorgang).

imageStellen Sie nun die gewünschte Insulindosis am Dosierknopf ein.

imageFühren Sie die Nadel des Insulinstifts gerade durch die Haut ins Unterhautfettgewebe ein, drücken Sie den Dosierknopf langsam nach unten, bis die Skala „0“ anzeigt und zählen dann langsam von zehn an rückwärts.

imageZiehen Sie nun langsam die Injektionsnadel aus dem Unterhautfettgewebe heraus.

imageSetzen Sie die große Kappe der Pennadel wieder auf und drehen die Nadel damit ab.

imageSetzen Sie die Schutzkappe wieder auf den Pen.

Muss man eigentlich in eine Hautfalte spritzen? Nein, wenn Sie eine Nadel von 4 oder 5 mm Länge verwenden. Ja, ab einer Nadellänge von 6 mm.

imageDas Wocheninsulin

Forscher versuchen seit einigen Jahren, ein Insulin herzustellen, das man nur noch einmal pro Woche spritzen muss. Im Vergleich zu bereits verfügbaren langwirkenden Analoginsulinen traten in den Studien jedoch häufiger Unterzuckerungen auf. Daher ist das wöchentliche Insulin noch nicht verfügbar.

imageSauberer Einstich. Wenn Sie an Insulin schon mal gerochen haben, wird Ihnen aufgefallen sein, dass die Flüssigkeit nicht geruchslos ist. Aber nicht das Insulin riecht, sondern das darin enthaltene Desinfektionsmittel. Die Injektionsstelle müssen Sie daher nicht desinfizieren.

So vermeiden Sie Fehler

Eigentlich können Sie nicht viele Fehler machen, wenn Sie sich an die beschriebene Vorgehensweise halten (siehe Checkliste S. 146). Doch vor allem die Einstichstellen können Menschen mit Diabetes Probleme bereiten.

Wird die Nadel zu schnell herausgezogen, kann es passieren, dass ein Teil des Insulins aus dem Einstichloch wieder herausfließt. Folglich kommt nicht die komplette Insulindosis im Körper an und der Blutzuckerwert steigt. Die Flüssigkeit braucht etwas Zeit, um sich im Unterhautfettgewebe zu verteilen. Deswegen sollten Sie beim Spritzen unbedingt bis zehn zählen!

imageNadeln und Einstichstelle wechseln

Wenn Sie eine Nadel immer wieder und vor allem mehrfach täglich in dieselbe Stelle stechen, wird sich irgendwann Narbengewebe bilden. Doch Narbengewebe ist nur schwach durchblutet und das Insulin wirkt hier deutlich schlechter. Auch das mehrfache Verwenden derselben Pennadel verursacht verhärtete Spritzstellen. Nehmen Sie daher für jede Injektion eine neue Nadel.

Verhärtete Einstichstellen?

Verhärtete Körperbereiche sollten Sie in Ruhe lassen, damit sich die unschönen Stellen wieder zurückbilden können. Der Prozess dauert teilweise mehrere Monate. Das ständige Verwenden derselben Spritzstelle und Pennadel führt zu verhärteten Stellen. Das Insulin kann hier schlecht wirken. Eine größere Insulinmenge sowie höhere Blutzuckerwerte sind die Folge. Mit einer neuen Injektionsstelle benötigen Sie weniger Insulin, da Ihr Insulin wieder besser wirkt. Auch Ihre Blutzuckerwerte werden sich verbessern. Sogenannte Rotationsschablonen für den Bauch sowie für den Oberschenkel erleichtern den Wechsel der Spritzstellen. Erkundigen Sie sich bitte bei Ihrem Diabetesteam. Veränderte Injektionsstellen lassen sich einfach feststellen. Stellen Sie sich seitlich vor einen großen Spiegel und schauen Sie auf die unbekleideten Stellen. Seitliche Wölbungen können Sie auch ertasten. Außerdem wird Ihr Diabetesteam Ihre Injektionsstellen quartalsweise überprüfen.

imageIdeen für eine alternative Verabreichung von Insulin existieren aber schon länger. 2006 konnten Patienten in Deutschland erstmals Insulin mit einem Inhalationsgerät verabreichen. Die Dosis musste jedoch im Vergleich zur eigentlichen Spritze vervielfacht werden, um die gleiche Wirkung zu erzielen. Das Gerät wurde aufgrund von Nebenwirkungen wie Reizhusten, Lungenkrebs, Atemnot, Unterzuckerungen und anderen Beschwerden nach kurzer Zeit wieder vom Markt genommen.

Die Wirkdauer aller Insuline ist abhängig von der Insulinmenge und dem Injektionsort. Je mehr Insulineinheiten (IE) Sie in eine Stelle spritzen, desto später beginnt das Insulin zu wirken und umso länger ist die eigentliche Wirkdauer. Falls Ihre Dosis mehr als 30 Insulineinheiten (IE) beträgt, sollten Sie Ihre Insulindosis auf zwei Injektionen in verschiedene Spritzorte aufteilen. Das ist besser für die Aufnahme ins Blut.

Wohin Insulin spritzen?

Insulin sollte immer ins Fettgewebe und niemals in den Muskel gespritzt werden. Oberarm und Wade sind tabu, weil sie zu wenig Fettmasse besitzen. Insulin wirkt im Muskel zu schnell und könnte dadurch eine Unterzuckerung noch während einer Mahlzeit auslösen. Außerdem würden Sie bei der Injektion einen brennenden Schmerz verspüren, was auf das im Insulin enthaltene Desinfektionsmittel zurückzuführen ist.

Ihre Bauchregion ist besser durchblutet und somit wärmer. Hier wirkt Insulin schneller als in den Außenseiten der Oberschenkel oder des oberen Gesäßbereiches. Kurzwirksame Insuline sollten Sie unbedingt in den Bauch spritzen, da sie schnell wirken sollen. Langwirksame Insuline können in den seitlichen Oberschenkel oder das Gesäß gespritzt werden. Wenn Ihnen das unangenehm ist, können diese Insuline auch in den Bauch injiziert werden.

Gut in die Insulintherapie starten

Eine Insulintherapie, die für alle Menschen mit Diabetes Typ 2 unkompliziert funktioniert, gibt es nicht. Zum Glück. Welches Insulin passt und wie oft Sie dieses spritzen, hängt von vielen Faktoren ab: zum Beispiel von Ihrem Alltag und Tagesrhythmus, Ihren Blutzuckerwerten und Ihren Therapiezielen. Zusammen mit Ihrem Diabetesteam wählen Sie die geeignetste Behandlung aus.

Zu Beginn der Insulintherapie werden zumeist ein Teil der Tabletten bzw. GLP1-Analoga abgesetzt. Wenn die Nieren noch ausreichend funktionieren, können Sie manchmal weiter Ihre Medikamente nehmen. So sorgt beispielsweise Metformin dafür, dass Ihr gespritztes Insulin besser wirkt. Sie brauchen dann weniger Insulin – egal welche Art der Insulintherapie Sie gewählt haben.

imageDen Grundbedarf decken

Täglich einmal ein langwirksames Insulin zu spritzen ist die einfachste Form einer Insulintherapie. Hier müssen Sie nur wenige Dinge beachten. Sie dürfen nicht übermäßig viele Kohlenhydrate essen oder trinken. Auch Ihre Blutzuckerwerte dürfen nicht zu stark erhöht sein. Die Insulindosis bei einem langwirkenden Humaninsulin wird meist zum Schlafengehen in den Oberschenkel oder Gesäß injiziert. Langwirkende Analoginsuline mit einer Wirkung von circa 24 Stunden können morgens oder abends gespritzt werden. Die Insulinmenge halbieren Sie, wenn Sie sich tagsüber mehrere Stunden lang kräftig bewegt haben. Das gilt auch dann, wenn Sie sich in der Nacht viel bewegen wollen, zum Beispiel tanzen oder eine Nachtwanderung vorhaben. Insulin vorm Schlafengehen gespritzt soll verhindern, dass Ihr Blutzucker über Nacht durch den Leberzucker ansteigt.

Sollten die Diabetesmedikamente und das Basalinsulin, also langwirksames Insulin, nicht mehr ausreichen, benötigen Sie auch Insulin für die Kohlenhydrate Ihrer Mahlzeiten. Hier können Sie zwischen konventioneller oder flexibler Insulintherapie wählen. Beide Insulinwege sind gleich erfolgreich, nur der Therapieaufwand unterscheidet sich. Für die Wahl der für Sie geeignetsten Therapie sollten Sie sich drei Fragen stellen:

imageVerändere ich öfters meine Mahlzeitengröße und meine Essenszeiten?

imageLasse ich Hauptmahlzeiten aus?

imageHabe ich stark wechselnde körperliche Betätigungen (zum Beispiel bei Schichtarbeit)?

Ein- bis zweimal täglich: Konventionelle Insulintherapie

Lautet die Antwort auf diese Fragen „nein“, ist eine konventionelle Insulintherapie mit Mischinsulin wahrscheinlich die richtige Wahl. Sie essen dann fast immer drei Hauptmahlzeiten mit etwa der gleichen Kohlenhydratmenge und der Zeitabstand zwischen Frühstück und Mittagessen beträgt nicht mehr als sechs Stunden. Auch Ihre täglichen körperlichen Aktivitäten unterscheiden sich nicht sehr. Die Dosis richtet sich dabei nach festen Kohlenhydratmengen, die Sie zusammen mit Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin ermitteln. Bei dieser Therapie messen Sie nur zweimal täglich vor der Injektion Ihren Blutzucker. Sie können selbstständig die Dosis erhöhen oder verringern, sowohl bei niedrigen oder erhöhten Zuckerwerten als auch in besonderen Situationen wie Krankheit oder vermehrter Bewegung. Wie Sie die Dosis anpassen, lernen Sie in Diabetesschulungsprogrammen.

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Die Dosis anpassen

In einer Diabetesschulung lernen Sie Ihre Insulinmenge zu berechnen.

Drei- bis viermal täglich: Flexible Insulintherapie

Wenn Sie die oben genannten drei Fragen vorrangig mit „Ja“ beantworten, ist für Sie eine flexible Insulintherapie genau richtig. Dabei wird kurzwirksames Insulin direkt vor den Mahlzeiten gespritzt. Eine flexible oder auch präprandiale Insulintherapie (präprandial = vor den Mahlzeiten) eignet sich für Menschen, deren Lebensführung unregelmäßig ist, die öfters Hauptmahlzeiten auslassen und deren körperliche Aktivitäten stark wechseln.

Der Preis der Flexibilität ist der höhere Aufwand. Sie müssen Ihren Blutzucker vor jeder Mahlzeit bestimmen und Ihre individuelle Insulindosis selbst berechnen. Dabei ist das exakte Schätzen der Kohlenhydrate für gute Blutzuckerwerte sehr wichtig. Für die Berechnung sind noch zwei Faktoren entscheidend, die vorher anhand Ihrer Blutzuckerwerte ausgetestet und festgelegt werden.

imageDen KE-Faktor verwenden Sie zum Errechnen der Insulinmenge für Ihre Kohlenhydrate im Essen und Trinken. Dieser Faktor sagt aus, wie viele Insulineinheiten Sie für 1 KE (siehe Kapitel „Genießen ohne süß zu werden“, S. 72.) benötigen. Er liegt meistens zwischen 1 bis 3 Insulineinheiten (IE) pro KE. Die geschätzten Kohlenhydrate multiplizieren Sie mit diesem Faktor.

imageDen Korrekturfaktor braucht man, um einen erhöhten Blutzuckerspiegel wieder in Ihren individuellen Zielbereich zu senken. Zumeist senkt 1 IE etwa um 1–2 mmol/l bzw. 18–36 mg/dl.

Es gibt noch eine zweite Therapievariante, bei der Sie allerdings weniger flexibel handeln können: Hier bestimmen Sie gemeinsam mit Ihrem Diabetesteam eine Grunddosis Insulin zu den einzelnen Mahlzeiten. Dies setzt voraus, dass Sie tagtäglich immer die gleiche Kohlenhydratmenge zu den einzelnen Mahlzeiten verzehren. So müssen Sie Ihre Insulindosis zu den Mahlzeiten nicht berechnen. Mithilfe einer Korrekturtreppe können Sie dann die zusätzlich benötigte Insulinmenge, je nach Zuckerwert, ablesen (zum Beispiel über 10,0 mmol/l bzw. 180 mg/dl + 2 IE, über 12,0 mmol/l bzw. 216 mg/dl + 3 IE usw.).

Wenn Sie Kurzzeitinsulin zu den Mahlzeiten spritzen, sind Sie tagsüber mit Insulin gut versorgt. Es kann aber vorkommen, dass Ihr Blutzucker über Nacht ansteigt. Hier könnte zusätzlich Basalinsulin zur Nacht Abhilfe schaffen. Da der Körper zwischen zwei und drei Uhr nachts sehr empfindlich auf Insulin reagiert, sollten Sie hin und wieder zu dieser Zeit den Blutzucker messen, um Gewissheit zu bekommen. Es ist wichtig, dass Sie während des Schlafens nicht in eine Unterzuckerung geraten.

So rechnen Sie richtig: Kurzwirksames Insulin zu den Mahlzeiten

In dem nachfolgenden Beispiel können Sie Schritt für Schritt nachvollziehen, wie sich die erforderliche Insulinmenge berechnen lässt.

Sie erreichen unmittelbar vor dem Frühstück einen Blutzucker von 12,0 mmol/l (216 mg/dl). Ihr Zielwert liegt aber morgens bei 6,0 mmol/l (108 mg/dl). Ihr vorher festgelegter KE-Faktor ist 2 IE/KE (also 2 IE pro 1 KE) und Ihr Korrekturfaktor lautet „1 IE senkt Ihren Blutzucker um 2,0 mmol/l (36 mg/dl)“. Sie schätzen Ihr Brötchen mit etwas Marmelade und einer Scheibe Käse mit 4 KE ein.

imageInsulin für Ihr Essen: Dazu multiplizieren Sie die KE-Menge (4 KE) mit Ihrem KE-Faktor (2,0): 4 KE x 2,0 IE/KE = 8 IE

imageInsulin zur Korrektur: Differenz zwischen Istwert (12 mmol/l bzw. 216 mg/dl) und Zielwert (6 mmol/l bzw. 106 mg/dl), geteilt durch den Korrekturfaktor (1 IE senkt um 2 mmol/l bzw. 36 mg/dl): 12 mmol/l – 6 mmol/l = 6 mmol/l bzw. 216 mg/dl – 108 mg/dl = 108 mg/dl. 1 IE senkt um 2 mmol/l: 6:2 = 3 IE bzw. 1 IE senkt um 36 mmol/l: 108:36 = 3 IE

imageGesamtinsulinmenge: Insulin zum Essen + Insulin zur Korrektur: 8 IE + 3 IE = 11 IE

Diese 11 IE spritzen Sie aber nur dann, wenn Sie sich in den nächsten Stunden nicht viel bewegen wollen. Planen Sie dagegen einen längeren Spaziergang, eine Stunde Gartenarbeit oder andere Aktivitäten, sollten Sie Insulin abziehen, um eine Unterzuckerung zu vermeiden. Die genaue Menge richtet sich nach der Art und der Dauer der Bewegung. Bei unter zwei Stunden können Sie circa 25 Prozent und bei längerer Bewegung circa 50 Prozent Insulin reduzieren. Mit zunehmender Erfahrung werden Sie allmählich die für Sie richtigen Mengen genauer bestimmen können.

imageDie Dosis ist genau richtig, wenn sich Ihr Blutzuckerwert vorm Schlafengehen zum Morgen kaum verändert. Sollten Sie bei Ihrem morgendlichen Blutzuckerwert wiederholt einen Unterschied von mehr als 2,0 mmol/l bzw. 36 mg/dl im Vergleich zum Wert vor dem Zubettgehen feststellen, muss die Dosis angepasst werden. Bei richtiger Dosis können Sie in der Nacht nicht unterzuckern. Ihren Blutzucker messen Sie nur sporadisch, meist vor der Injektion.

Kleine Helfer für den Alltag

Es klingelt am Telefon oder an der Tür und Sie werden abgelenkt. Hinterher denken Sie: „Habe ich gerade gespritzt oder nicht?“ Was tun Sie in diesem Fall? Sie sollten besser nicht (noch mal) spritzen. Eine doppelte Insulindosis kann Sie in eine Unterzuckerung stürzen. Warten Sie lieber ab und kontrollieren Sie Ihren Blutzucker nach vier Stunden. Danach sehen Sie, ob Sie gespritzt haben oder nicht und können eventuell noch etwas nachspritzen.

imageDigitaler Überblick

Mit „Smartpens“ lassen sich Ihre Injektionen der vergangenen Monate mit einer speziellen Software rückverfolgen. Selbst die Übertragung der gespritzten Insulineinheiten vom Pen auf Ihr Smartphone ist heutzutage kein Problem mehr. Für jeden Anwender gibt es den passenden Insulinstift.

Bestimmte Hilfsmittel können Ihre Erinnerung aber auch unterstützen. Es gibt spezielle Penkappen für alle Fertigpens, an denen man ablesen kann, wann zuletzt die Kappe des Insulinpens abgezogen wurde. Wenn Sie Ampullen haben, können Sie sogenannte „Memorypens“ nutzen. Eine digitale Anzeige am Pen verrät, wie viel Zeit seit der letzten Injektion vergangen ist und wie viele Insulineinheiten Sie gespritzt haben.

Zwischen Spritzen und Essen

Vielleicht fragen Sie sich jetzt, wann genau Sie vor einer Mahlzeit spritzen sollten.In der Insulintherapie spricht man vom Spritz-Ess-Abstand (SEA), der Zeit zwischen der Insulininjektion und dem Verzehr von kohlenhydrathaltigen Lebensmitteln. Kurz gesagt: Liegt Ihr Zuckerwert in Ihrem individuellen Zielbereich, sollten Sie nach der Insulininjektion Ihr Essen nicht warten lassen – egal, ob Sie humanes oder analoges kurzwirksames Insulin bzw. ein Mischinsulin verwenden. Ein solcher Abstand wirkt sich nicht auf Ihren HbA1c-Wert aus. Im Gegenteil. Wenn Sie zu spät nach der Insulininjektion essen, kann es zu Unterzuckerungen kommen, da das Insulin schon wirkt, Sie aber noch nicht essen.

Nur wenn der Blutzuckerwert über 12,0 mmol/l bzw. 216 mg/dl liegt, können Sie nach der Injektion 15 bis 30 Minuten mit dem Essen warten. Hier droht keine Unterzuckerung, der Blutzucker ist ja erhöht.

Bei einem niedrigen Blutzuckerwert vor der Insulininjektion sollten Sie entweder zuerst essen und danach erst spritzen. Oder Sie reduzieren die Insulindosis und spritzen das Insulin in die Außenseite des Oberschenkels oder in das obere Gesäß. An diesen Stellen braucht das Insulin länger, bis es im Blut ankommt und damit wirken kann. So steigt der Blutzucker erst einmal durch das Essen an, ehe das Insulin seine Wirkung entfaltet.

Alternativen zur Insulinspritze

Insulin ist ein Eiweißmolekül, daher kann es (noch) nicht als Tablette über den Mund, Magen und Darm verabreicht werden. Die Verdauungsfermente würden das Eiweiß zerstören. Forscher und Forscherinnen arbeiten jedoch aktuell an der Entwicklung magenresistenter Insulinkapseln.

Insulin kann aber nicht nur über einen Pen, sondern auch über eine kleine, batteriebetriebene Insulinpumpe verabreicht werden. Das Gehäuse der Pumpe ist etwa 7x5 cm groß und passt in die Hosentasche. Es besitzt neben der Batterie ein Insulinreservoir und eine Gewindestange. Eine Software steuert die Pumpe, die bedarfsgerecht das Insulin durch ein Schlauchsystem direkt ins Unterhautfettgewebe abgibt. Es gibt auch Pumpen ohne Schlauchsystem. Alle zwei bis drei Tage wird entweder das Infusionsset oder die gesamte Patch-Pumpe gewechselt. Da diese Therapie sehr kostenintensiv ist, muss die Pumpe durch die Krankenkasse genehmigt werden. Im Vergleich: Ein Insulinpen kostet etwa 100 Euro, die Insulinpumpe aber etwa 3 500 Euro und das Schlauchsystem alle zwei bis drei Tage noch einmal 15 Euro. Aus diesem Grund sind solche Pumpen bei Menschen mit Typ-2-Diabetes nur in Ausnahmefällen möglich.

Es liegt nun an Ihnen!

Dieser Ratgeber sollte Sie bei der Findung und Umsetzung Ihrer eigenen Therapieziele für eine erfolgreiche Diabetestherapie unterstützen. Wir hoffen, das ist uns hiermit gelungen!

Sie haben gesehen, dass Sie an vielen Stellschrauben etwas ändern können. Es liegt nun an Ihnen, das Leben auch mit Diabetes voll und ganz zu genießen.