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Die schönsten und gemeinsten von allen: Die griechischen Göttinnen

In diesem Kapitel

arrow Die Ehefrauen: Hera und Aphrodite

arrow Ein Besuch bei Mutter Natur: Demeter

arrow Die jungfräulichen Göttinnen: Athene und Artemis

arrow Was es mit den Musen, den Parzen, Furien und Grazien auf sich hat.

Dachten die Griechen an Götter oder Göttinnen, so stellten sie sich vor, es handele sich um mächtige, schöne und unsterbliche Versionen des gewöhnlichen Menschen. Die mächtigen, schönen und unsterblichen Göttinnen der Griechen taten das, was man von den Menschenfrauen schon kannte. Sie heirateten (einige blieben unverheiratet), hatten hin und wieder Liebesaffären, gebaren Kinder, trugen Streitigkeiten mit ihren Männern und Liebhabern aus, vertrugen sich wieder und empörten sich darüber, dass es die männlichen Gottheiten waren, die alle Regeln bestimmen durften.

Hera, Aphrodite und Demeter: Die divenhaften Göttinnen

Die meisten griechischen Frauen waren die überwiegende Zeit ihres Lebens Ehefrau und Mutter. Nicht anders erging es den Frauen anderer Zeiten und Erdteile. Entsprechend waren einige der wichtigeren Göttinnen ebenfalls Ehefrauen und Mütter.

Königin Hera, Bewahrerin der Ehe (außer ihrer eigenen)

Hera war mit Zeus verheiratet. Sie war außerdem seine Schwester, was aber keinen zu stören schien. Beide waren die Kinder von Rheia und Kronos.

Icon_Hand.jpgMan sollte sich von der Tatsache, dass es Inzest unter den Göttern gab, nicht auf die falsche Fährte führen lassen. Wie in fast allen anderen Kulturen war auch in Griechenland der Inzest ein Tabu für die Menschen.

Hera war das weibliche Pendant zu Zeus, die Königin des Himmels. Die griechischen Frauen verehrten Hera als Göttin von Ehe und Heim. Ihre Tochter Ilithyia (beziehungsweise Eileithyia) stand den Frauen bei der Geburt bei. In Hera sahen die Frauen damals alle Stadien eines Frauenlebens verkörpert: Heranwachsen, Ehe, Mutterschaft und Witwentum. Sie war von erhabener Königlichkeit, entrückt und schön. Oft wurde sie auf einem Thron dargestellt. Sie war auch die Schutzgöttin der Städte und bestimmter gesellschaftlicher Schichten.

Die anderen Kinder Heras waren: Ares, Hebe und Hephaistos. Hera erzeugte und gebar Hephaistos ohne männliche Hilfe als Vergeltung dafür, dass Zeus Athene ohne sie erschaffen hatte (vergleiche Kapitel 4). Einige Quellen sagen, dass auch das Ungeheuer Typhon ihre eigene Schöpfung gewesen sei.

Heras Symbole

Ihre Symbole waren der Pfau, der wohl wegen seiner Anmut und Pracht angemessen für eine Königin schien, und die Kuh. (Viele große Göttinnen trugen das Epitheton »die Kuhäugige«, zum Beispiel Hathor, weil Kühe schöne Augen haben!) Sie verwandelte wenigstens eine der Gespielinnen ihres Gatten Zeus in eine Kuh. Kein netter Zug von ihr.

Die Beinamen Heras

Hera hatte eine Reihe von Beinamen: »Beschützerin« (insbesondere in der Stadt Argos gebräuchlich, die sehr mit Hera verbunden war), »Braut« und »Olympierin« (genau wie ihr Gemahl Zeus). Andere ihrer Beinamen erscheinen seltsamer: »die Erwachsene« oder auch »die Stier verzehrende«. Die Bewohner der Stadt Stymphalos verwendeten sogar das Beiwort »Hera, die Verwitwete«, eine ironisch gemeinte Bezeichnung, die sich darüber lustig machte, dass ihr Gemahl Zeus sie so oft betrog.

Ein Taugenichts als Ehemann

Hera verbrachte viel Zeit damit, Zeus’ menschlichen Geliebten und seinen unehelichen Kindern in böser Absicht nachzustellen. Als Zeus sich zum Beispiel in Kallisto verliebte und einen Sohn mit ihr zeugte, verwandelte Hera sie in einen Bär. Als Kallistos Sohn herangewachsen war und eines Tages auf Jagd ging, sorgte Hera dafür, dass er seiner immer noch in einen Bären verwandelten Mutter Kallisto begegnete. Bevor er sie aber mit seinen Jagdwaffen töten konnte, griff Zeus ein, packte Kallisto und verwandelte sie in ein Sternbild – den Großen Bären. Später gesellte sich Kallistos Sohn zu ihr und wurde zum Sternbild Kleiner Bär. Was auch immer Zeus dazu bewogen haben mag, ständig hinter Röcken herzujagen und sich zu amüsieren (siehe Kapitel 4), die griechische Damenwelt genoss es wahrscheinlich, den Schilderungen über die Bestrafungen zu lauschen, die Hera ihren Rivalinnen zukommen ließ.

Eines Tages war Hera aus irgendeinem Grund böse auf ihren Gemahl Zeus. Er ging zu einem weisen alten Mann und fragte ihn, wie er ihre Gunst wieder erlangen könne. Der Weise sprach, er solle aus einem Baumstamm die Statue einer Frau anfertigen, sie mit einem Gewand kleiden und erklären, dies sei nun seine Braut. Zeus tat wie ihm geheißen. Hera hörte davon, rannte zum Schauplatz des Geschehens und riss der Statue die Kleidung herunter. Als sie bemerkte, dass die »Rivalin« nur aus Holz war und nicht aus Fleisch und Blut, war sie so entzückt, dass sie Zeus vergab und sich wieder mit ihm versöhnte. Diese Episode war der Beginn eines regelmäßig gefeierten Festes, bei dem hölzerne Statuen eine wichtige Rolle spielten.

Verrückt genug, um einen Krieg vom Zaun zu brechen

Wie die meisten griechischen Göttinnen war auch Hera sehr eitel. Bei einem denkwürdigen Ereignis erwies sich ihre Eitelkeit (gepaart mit derjenigen Athenes und Aphrodites) als Auslöser für einen folgenschweren Krieg. Als bei einer Hochzeit (zu der sie eigentlich nicht eingeladen war) Eris, die Göttin der Zwietracht, einen goldenen Apfel in die Menge warf, der die Aufschrift »Der Schönsten« trug, da entbrannte sofort ein Streit zwischen Hera, Athene und Aphrodite, da jede den »Zankapfel« für sich beanspruchte. Verwickelte Umstände (die Sie in Kapitel 7 nachlesen können) führten dazu, dass ein trojanischer Jüngling mit Namen Paris dazu auserkoren wurde, die Schönste der drei Göttinnen zu bestimmen. Natürlich versuchten alle drei, Paris zu bestechen, damit er eine der drei zur Siegerin erklärte. Aphrodites Bestechungsversuch (Heirat mit der schönsten Frau, die es im Himmel und auf Erden gab) wirkte am besten. Sie errang den Titel und konnte am Ende den Apfel ihr eigen nennen.

Hera geriet darüber dermaßen in Rage, dass sie Paris und den Bewohnern seiner Heimat furchtbare Rache schwor. Es entbrannte schließlich der Trojanische Krieg (die Quelle für vielleicht tausend mythische Geschichten), der den Tod zahlloser Helden zur Folge hatte und am Ende zur Gründung des römischen Volkes führte (vergleiche Kapitel 11).

Hera und Herakles: Du bringst mich zur Verzweiflung

Hera beschränkte ihren Zorn nicht nur auf die Gespielinnen des Zeus, sondern er traf auch dessen uneheliche Kinder. Aus Zeus’ Verbindung mit Alkmene ging das Kind Herakles hervor. Hera empfand eine sofortige Abneigung gegen das Kind. Der Name »Herakles« bedeutet so viel wie »zum Ruhme Heras« oder auch »berühmt wegen Hera«.

Natürlich war Hera zornig über dieses weitere demütigende Beispiel von Zeus’ Untreue, aber Zeus setzte dem noch die Krone auf, indem er sie (wie taktlos!) bat, seinen kleinen Sprössling zu stillen, damit das Baby Herakles Unsterblichkeit erlange. Heras Antwort auf diese geschmacklose Bitte war ihrer würdig. Sie schmiedete ein Komplott, um das Kind töten zu lassen.

Icon_Fragezeichen.jpgIn einer anderen Version der Geschichte wandte Zeus eine List an, um Herakles doch Unsterblichkeit zukommen zu lassen. Er schlich sich nachts zu seiner schlafenden Gemahlin und legte ihr den kleinen Herakles an die Brust. Sie aber wachte auf und stieß das Baby von sich fort. Die Muttermilch, die ihr daraufhin aus der Brust schoss, verwandelte sich in die hell am Firmament strahlende Milchstraße.

Hera schickte zwei Schlangen, die das Kind in seiner Wiege töten sollten. In Kapitel 6 erfahren Sie die ganze Geschichte. Als Herakles erwachsen war, war Heras Zorn immer noch nicht abgeklungen. Sie bewirkte, dass er seinen Verstand verlor und seine Frau und seine Söhne tötete. Außerdem brachte sie die Amazonen gegen ihn auf. Nach Herakles’ Tod legte sich ihr Zorn. Sie stimmte zu, dass er ihre Tochter Hebe (die Göttin der Jugend) zu seiner Frau nahm, und war einverstanden, dass er mit den Göttern auf dem Olymp leben durfte.

Aphrodite, die fruchtbare Femme fatale

Aphrodite! Die Göttin der Liebe. Sie entstieg dem Meer dort, wo Uranos’ Männlichkeit in die Fluten fiel, nachdem sein Sohn Kronos ihn entmannt hatte. In dem berühmten Gemälde Geburt der Venus von Sandro Botticelli sieht man, wie sie gerade auf einer großen Kammmuschel stehend an die Gestade der Insel Zypern treibt. (Bei Homer ist sie allerdings die Tochter von Zeus und Dione.)

Aphrodite war schön und begehrenswert. Ihr Dasein war der Aufgabe gewidmet, dafür zu sorgen, dass die Menschen sich in sie und untereinander verliebten. Sie verkörperte die guten, aber auch die schlechten Seiten der weiblichen Natur: verführerischen Charme, den Wunsch nach Kindern sowie die Fähigkeit zur Täuschung. Sie war die Göttin der erotischen Liebe – egal welcher Couleur – und der Fruchtbarkeit.

Aphrodites Symbole

Die ihr zugeordneten Symbole sind die Kammmuschel, auf der sie an Land trieb, nachdem sie dem Meer entstiegen war, der Schwan, der Sperling, die Taube und der Myrtenbaum (alles Dinge, die die Liebe symbolisieren).

Land ahoi!

Die Göttin der Liebe wird oft als die Zyprische bezeichnet, benannt nach der Insel, an der sie an Land ging. Andere Beinamen lauten: die Braut Aphrodite, Aphrodite des tiefen Meeres, die himmlische Aphrodite oder die siegreiche Aphrodite. Der interessanteste ihrer Beinamen ist jedoch »die Dunkle«, ein Name, der ihr vielleicht deswegen verliehen wurde, weil er an die Fruchtbarkeit von Schwarzerde erinnert oder wegen ihrer Macht über all die Dinge, die sich zwischen Liebenden bei Nacht abspielen.

Die von allen geliebte Aphrodite

Aphrodite war eine beliebte Göttin. Die Griechen verehrten sie als die für Sexualität und Fortpflanzung zuständige Gottheit, eine Göttin also, die das Angenehme mit dem Notwendigen verband. Im antiken Griechenland brachte die Braut ihr Opfer dar, auf dass ihre erste erotische Erfahrung positiv verlaufen möge. Kurtisanen verehrten sie. Aphrodite war auch für die Fruchtbarkeit der Scholle und des Ackers zuständig. Die Dichter verehrten sie wegen ihrer Liebesfähigkeit.

Wie Sie ja bereits wissen, war Aphrodite mit dem missgestalteten Hephaistos verheiratet. Das mutet ein wenig wie ein kosmischer Scherz an, und warum sie überhaupt zueinanderfanden, das bleibt im Dunkeln. Das ungleiche Ehepaar scheint aber auf alle Fälle nicht gut miteinander ausgekommen zu sein. Aphrodites wahre Liebe war der Kriegsgott Ares. In Kapitel 4 können Sie weitere Details über ihr Verhältnis nachlesen.

In Vergils epischer Dichtung Aeneis ist Aphrodite (sie erscheint dort unter ihrem römischen Namen Venus) die treueste Gefährtin des Helden Aeneas. (In Homers Odyssee war es Athene, die diese Stellung für Odysseus einnahm.) Dies ergab auch Sinn, da sie dort gleichzeitig dessen Mutter war.

Aphrodites Sohn hieß Eros. (Bei Hesiod erfahren wir von einem Eros, der aus dem Chaos geboren wurde; er unterscheidet sich aber doch erheblich von dem knabenhaften Eros, über den die späteren Dichter berichten.) Ihr Sohn war ein wunderhübscher Knabe, der immer mit Pfeil und Bogen anzutreffen war. Traf er jemanden mit seinem Pfeil, so verliebte sich der Getroffene in einen anderen. Seine Mutter und andere Götter veranlassten ihn mitunter, seine Pfeile auf bestimmte Ziele abzufeuern. So ließ Aphrodite ihn einen Pfeil auf Zeus abschießen, damit dieser sich in Europa verliebte, oder – ein anderes Beispiel – Hera brachte ihn dazu, auf Medea zu zielen, sodass sie sich in Jason verliebte.

Icon_abc.jpgDas Wort erotisch leitet sich etymologisch von Eros ab. Ein Aphrodisiakum ist eine Substanz, die die erotisch-libidinösen Kräfte eines Menschen stimulieren soll. Der Ursprung dieses Wortes ist natürlich der Name Aphrodite.

Eine etwas andere Schönheitskonkurrenz: Paris ist gefragt!

Wie schon berichtet (siehe den Abschnitt Verrückt genug, um einen Krieg vom Zaun zu brechen) war Aphrodite die Gewinnerin des Schönheitswettbewerbs, durch den am Ende der Trojanische Krieg verursacht wurde. Zusammen mit Athene und Hera stritt sie sich um den Titel »Die Schönste« und alle drei versuchten, den Ausgang des Wettstreits zu ihren Gunsten zu beeinflussen, indem sie einen jungen trojanischen Prinzen mit Namen Paris zu bestechen versuchten. Athene und Hera aber hatten gegen Aphrodite von Anfang an keine Aussichten auf Erfolg, denn welcher Mann würde ernsthaft den Sieg in der Schlacht oder politische Macht Aphrodites Angebot vorziehen, Ehemann des schönsten weiblichen Wesens im Himmel und auf Erden zu werden? Paris bekam also seine Helena, die schönste Frau, die es gab, was eine Menge anderer Ereignisse zur Folge hatte (beispielsweise den Trojanischen Krieg). Mehr dazu lesen Sie in Kapitel 7.

Teilzeit-Liebhaber: Adonis

Adonis war ein Mensch. Aphrodite verliebte sich gleich nach seiner Geburt in ihn. Sie nahm ihn seiner Familie weg und gab ihn bei Persephone, Königin der Unterwelt, in Obhut.

Persephone aber verliebte sich gleichfalls in Adonis und weigerte sich, ihn Aphrodite herauszugeben. Die beiden Göttinnen stritten sich um ihn und schließlich musste Zeus herbeieilen, um den Streit zu schlichten. Er entschied, dass Adonis Herbst und Winter mit Persephone verbringen und Aphrodite ihn im Frühling und im Sommer haben sollte.

Mit diesem klugen Kompromiss war beiden gedient. Besonders Persephone musste zufrieden sein, da sie die kalten Monate des Jahres ja sowieso in der Unterwelt verbringen musste und nur den Frühling und den Sommer bei ihrer Mutter Demeter oben bei den Lebenden verbringen durfte. Mehr zur Geschichte Persephones in einem der nächsten Abschnitte.

Adonis verbrachte den Großteil seiner Zeit bei der Jagd. Aphrodite begleitete ihn oft dabei. Eines Tages jedoch ging er allein zur Jagd. Mit einem Speer versuchte er, einen wilden Eber zu erlegen. Er konnte ihn aber nur verwunden. Das rasende Tier durchbohrte ihn daraufhin mit seinen Hauern. Aphrodite hörte seine Schreie und eilte rasch zu ihm hin. Er aber war tödlich verwundet und verblutete in ihren Armen. Als er starb, küsste sie ihn und überall, wo sein Blut den Boden berührte, wuchsen blutrote Buschwindröschen.

Demeter und Mutter Natur

Demeter war eine ganz eigene Gottheit, eine Erdgöttin, die nicht im Olymp mit den anderen Unsterblichen lebte. Sie war die Tochter von Kronos und Rheia und war zum Beispiel dafür verantwortlich, dass das Korn auf den Feldern gedieh. Sie war nicht die Göttin der Erde – dieser Titel gebührte Gaia. Für die meisten Griechen aber war sie von größerer Bedeutung wegen ihrer Rolle im Ackerbau und in der Natur im Allgemeinen.

Demeters Symbole

Ihre Symbole entstammen naheliegenderweise dem Bereich rund um die Ernte: Kornbüschel, kleine Kuchen (die die Menschen auf den ihr geweihten Altären niederlegten) sowie die für die Ernte verwendeten Werkzeuge wie zum Beispiel Sense oder Sichel.

Demeters Beinamen

Einer von Demeters interessanteren Beinamen lautet »die namenlose Jungfrau«. Man war damals wohl der Ansicht, dass ein einfacher Name einer solch mächtigen Göttin nicht angemessen sein könnte. Sie hieß auch Eleusinische Demeter, benannt nach der Stadt Eleusis in der Nähe Athens, deren Bewohner sie besonders verehrten. Andere Beinamen betonen ihre Macht über das Wachstum der Nutzpflanzen des Menschen: »die Frucht tragende«, »Gaben stiftende«, »die Grüne« und »die Schwarze« (benannt nach der schwarzen, besonders fruchtbaren Erde).

Die Schändung Persephones und die Jahreszeiten

Demeter hatte eine Tochter, Persephone. Sie liebte ihre Tochter abgöttisch.

Eines Tages bemerkte Hades, der Gott der Unterwelt, Persephone und beschloss, sie zu rauben. Er überredete Zeus dazu, ihm zu helfen. Zeus erschuf hierzu eine wunderschöne Blume, die Narzisse, und pflanzte sie in einige Felsen ein. (Dies widerspricht zwar einer anderen Geschichte über die Entstehung der Narzisse, nämlich der mit Echo und Narkissos beziehungsweise Narziss – aber so ist die Mythologie eben!)

Persephone sah die Blume und entfernte sich von ihren Freunden, um sie zu pflücken. Wenn Sie erfahren möchten, wie die Geschichte ausging, blättern Sie zurück zu Kapitel 4. Es genügt zu sagen, dass Persephone Hades’ Frau wurde.

Demeter trat daraufhin in den Streik – alle Pflanzen stellten ihr Wachstum ein und sie ließ verlauten, dass sie nicht eher ihre Arbeit wieder aufnehmen würde, bis sie ihre Tochter wiederbekommen hätte. Zeus hatte die Konsequenzen seiner Hilfe für seinen Bruder Hades nicht ganz bedacht und sich auch nicht weiter für Persephones Schicksal interessiert. Nachdem er aber mit Demeter gesprochen hatte, entschied er schließlich, dass Hades Persephone wieder herausgeben müsse. Er schickte Hermes hinab in die Unterwelt, damit er sie wieder zurückholte.

Hades erkannte schließlich, dass ihm nichts anderes übrig bleiben würde, als Persephone ihrer Mutter wiederzugeben. Bevor sie ihn verließ, gab er ihr aber noch vier (oder auch sechs, je nach Version der Geschichte) Granatapfelsamen zu essen. (Mehr über Hades können Sie in Kapitel 4 nachlesen.)

Hermes übergab die Tochter schließlich ihrer überglücklichen Mutter. Demeter aber geriet in Sorge, als Persephone ihr von den Granatapfelsamen erzählte. Natürlich sollte sie mit ihren Bedenken recht behalten.

Zeus’ Mutter Rheia kam und besuchte Demeter. Sie erklärte ihr, dass ihre Tochter jedes Jahr für eine bestimmte Zeit in die Unterwelt zurückkehren müsse, da sie von dem Granatapfel probiert habe. Demeter blieb nichts anderes übrig, als das Unvermeidliche hinzunehmen, auch wenn sie ihre Tochter eigentlich niemals wieder herausgeben wollte. Während der Zeit aber, die ihre Tochter bei ihr weilen konnte, war sie glücklich und ließ auch die Natur an ihrem Glück teilhaben, indem sie alles wachsen und gedeihen ließ. Musste ihre Tochter aber zurück in den Hades, überkam die Mutter ein Gefühl der Trauer und des Verlustes. Sie stellte für die Dauer der Abwesenheit ihrer Tochter ihre Arbeit einfach ein. Diese Zeit nennen wir Winter.

Die seltsame Krankenschwester

War ihre Tochter für die Dauer einiger Monate in der Unterwelt entschwunden, wanderte Demeter als alte Frau verkleidet von einem Ort zum anderen. Als sie sich eines Tages an einem Brunnen ausruhte, der sich in der Stadt Eleusis befand, liefen ihr vier junge Schwestern über den Weg und fragten sie, was sie denn in der Stadt mache. Sie antwortete, sie sei vor Seeräubern geflohen, die sie als Sklavin verkaufen wollten. Die Schwestern brachten Demeter zu ihrer Mutter, Metaneira, die die Göttin als Amme für ihren kleinen Sohn anstellte.

Icon_Fragezeichen.jpgDie Amme, eine Frau, die ein Kind anstelle der Mutter stillt, war ein in der Antike sehr verbreiteter »Beruf«. Viele Frauen, die es sich finanziell leisten konnten, zogen es vor, ihr Baby von einer Amme ernähren zu lassen, anstatt diese Aufgabe selbst zu übernehmen.

Demeter liebte das Kind über alles und beschloss, es unsterblich zu machen. Jede Nacht, wenn die Familie schon schlief, griff sie sich das Kind und setzte es in ein Feuer, das es unsterblich gemacht hätte, wenn nicht seine Mutter Demeter bei ihrem Tun erwischt und ihr das Kind weggenommen hätte.

Demeter geriet über die Mutter des Kindes in Wut und erklärte ihr, dass sie die Göttin Demeter sei und dass sie es verhindert habe, ihrem Sohn Alter und Tod zu ersparen. Jetzt aber sei es zu spät. Sie verlangte, dass Metaneira und ihre Stadt ihr zu Ehren einen Tempel bauen sollten. Alle Bewohner der Stadt packten mit an, und als der Tempel fertig war, ließ sich Demeter dort nieder und betrauerte den zeitweisen Verlust ihrer Tochter.

Angucken erlaubt – aber bitte nicht berühren! Die jungfräulichen Göttinnen

Einige Göttinnen waren Jungfrauen. Dies war vielleicht sogar auch besser so, da für die Männer (egal ob göttlich oder nur menschlich) ihre erotischen Beziehungen zu den weiblichen Göttern meist in die Hose gingen und sie am Ende die Gelackmeierten waren. Aphrodite zum Beispiel betrog Hephaistos mit Ares und beide standen am Ende in aller Öffentlichkeit als die Gedemütigten da. Zeus’ Ehe mit Hera hatte ihre heiklen Momente, um es noch vorsichtig auszudrücken. Der sterbliche Peleus schließlich alterte frühzeitig, als er mit seiner göttlichen Ehefrau Thetis intim verkehrte. Es waren besonders zwei Göttinnen, die für ihre Jungfräulichkeit bekannt wurden. Artemis verkörperte die verführerische Variante der Jungfräulichkeit. Alle Männer begehrten sie, erreichten aber nie ihr Ziel, sondern gerieten höchstens in Schwierigkeiten. Athene dagegen war ein ganz anderer Typ Jungfrau und man verehrte sie insbesondere wegen dieser Eigenschaft. Der berühmteste Tempel in Griechenland, der Parthenon in Athen, trägt ihren Beinamen parthenos, was nichts anderes als Jungfrau bedeutet. Es gibt aber buchstäblich keinen einzigen griechischen Mythos, in dem beschrieben würde, dass Männer sie begehrten oder ihr nachstellten. Sie war zu mächtig, zu beeindruckend und zu angsteinflößend.

Die Göttin Athene

Eines Tages hatte Zeus furchtbare Kopfschmerzen. Er rief den Schmied Hephaistos zu sich und bat ihn, mit seiner Axt seinen Kopf zu spalten. (Sicher eine gute Art, seine Kopfschmerzen loszuwerden; von einer Nachahmung wird aber dringend abgeraten!) Dieser tat wie ihm geheißen und siehe da – aus Zeus’ Kopf sprang Athene heraus, vollständig ausgewachsen und in vollem Harnisch.

Wie aber kam Athene in Zeus’ Kopf? Nun, Zeus hatte eine Nacht mit Metis verbracht, einer der eher abstrakten, kaum greifbaren weiblichen Göttinnen. Sie war die Verkörperung der pragmatischen Weisheit und Schläue. Auf alle Fälle wollte sie aber eigentlich keinen Sex mit Zeus und veränderte deshalb ständig ihre Gestalt. Seine Großmutter Gaia sagte ihm, dass er, nachdem Metis ihm eine Tochter geboren hätte, einen Sohn bekommen würde, der ihn eines Tages entmachten würde, um selbst König des Himmels zu werden. Also verschlang Zeus sicherheitshalber Metis. Derweil aber reifte Athene in seinem Kopf heran. Wie Hephaistos (dessen Mutter Hera – wie schon in Kapitel 4 berichtet – ihn ohne männliche Mithilfe zeugte) wurde auch Athene durch Jungfernzeugung, also ohne die Einwirkung des anderen Geschlechts, erschaffen und geboren.

Athene war die Göttin des Krieges. Sie trug einen Helm und einen Brustpanzer und einen Schild mit dem Haupt der Medusa. Dazu trug sie einen besonderen Ziegenfellumhang mit Fransen, der undurchdringlich für jede Waffe war und sie selbst vor Zeus’ Blitzen zu schützen vermochte, die sogenannte aegis.

Icon_Fragezeichen.jpgDie US-Marine besitzt einige besonders ausgerüstete Kriegsschiffe. Sie begleiten Flugzeugträger und sollen verhindern, dass diese angegriffen und getroffen werden. Sie heißen Aegis Combat System Cruisers, benannt nach eben jenem Umhang der Athene.

Die Weisheit der Athene

Eines von Athenes Symbolen ist die Eule, die für ihre Weisheit steht. Eine Eule war auch auf den in Athen geprägten Silbermünzen abgebildet. Athen war die mit ihr besonders verbundene Stadt. Häufig ist Athene auch mit einer Schlange dargestellt, ein Symbol für machtvolle weibliche Gottheiten. Die Athener glaubten, dass Athenes Schlange die Stadt schützte. Und die berühmteste, leider nicht erhalten gebliebene Statue von ihr im Parthenon in Athen zeigte sie mit einer kleinen, geflügelten Nike (der Göttin des Sieges) in der Hand.

Athenes Beinamen

Wie andere Götter und Göttinnen, so hatte auch Athene viele Beinamen. Hier sind einige von ihnen:

check.gif Pallas Athene: Pallas ist nichts weiter als ein Name. Vielleicht entstand der Doppelname, als zwei antike Gottheiten zu einer verschmolzen wurden.

check.gif Athene Parthenos: Parthenon bedeutet »Tempel der Jungfrau«.

check.gif Die Helläugige: Athene war berühmt für ihre Weisheit und ihre hellen Augen.

check.gif Aegis tragende Athene: Sie heißt so, weil sie Zeus’ Aegis trug.

check.gif Athene Polias: Athene, die die Stadt beschützt (Stadt heißt im Griechischen polis).

check.gif Athene Pronaos: In Delphi stand vor dem Tempel des Apoll eine Statue der Athene. Besucher konnten dort Athene Proanos (»Athene vor dem Tempel«) Opfer darbringen.

Ihre Lieblingsstadt war Athen. Sie trägt nicht umsonst auch ihren Namen. Sie war Schutzgöttin der Stadt, förderte und lehrte die Menschen das Handwerk und den Landbau und zeigte den Menschen nicht zuletzt, wie man wilde Tiere zähmt. Der berühmte, Athene geweihte Tempel in Athen ist der Parthenon auf der Akropolis.

Athene und die Musik

Auch zur Musik hatte sie eine besondere Beziehung. Sie erfand die Doppelflöte. Als sie aber beim Spielen ihr Spiegelbild sah, fand sie, dass ihr die aufgeblähten Backen gar nicht stünden. Sie warf die Flöte weg. Daraufhin nahm sich der Satyr Marsyas das Instrument und maß sich mit Apoll bei einem musikalischen Wettkampf, der gar nicht gut für ihn endete. (Mehr zu seinem scheußlichen Schicksal können Sie in Kapitel 4 nachlesen.)

Athenes göttliche Gefälligkeiten

In Homers Odyssee greift Athene mehrfach in den Ablauf des Geschehens ein, um Odysseus, für den sie große Sympathie empfindet, beim Bestehen seiner Abenteuer zu helfen. Sie half auch Perseus dabei, Medusa zu töten. Sie lieh ihm ihren Schild, sodass er Medusa das Gorgonenhaupt abschlagen konnte, ohne sie dabei ansehen zu müssen, was ihn ja bekanntlich unweigerlich zu Stein verwandelt hätte. (Dieser Schild war aber nicht die Aegis des Zeus, die Athene allem Anschein nach nicht einfach so ausleihen durfte.)

Artemis, die schöne Jägerin

Artemis war Apolls Zwillingsschwester, Tochter von Zeus und der Titanin Leto. Als Leto mit den beiden in den Wehen lag, jagte Hera sie von einem Ort auf der Erde zum anderen. Nirgendwo konnte sie sich niederlassen, um ihre Kinder zu gebären. Schließlich kam sie in die Stadt Delos. Die Einwohner der Stadt erteilten ihr die Erlaubnis, mit ihren Kindern niederzukommen, vorausgesetzt, ihre Stadt würde zum heiligen Ort erklärt und erhielte später einen Apoll geweihten Tempel. Leto gebar dort Artemis, die gleich nach ihrer Geburt ihrer Mutter half, Apoll zur Welt zu bringen.

Die Liebe der Artemis zur Natur

Artemis liebte die Wälder und die wilden Tiere in der Natur. Sie war die Göttin der Jagd und Herrin über die Tierwelt. Ihren Bogen nahm sie überall hin mit.

Artemis war eine sehr wichtige Göttin, insbesondere für die Frauen. Sie wachte über die Veränderungen des weiblichen Körpers von der Kindheit bis zum Alter, sie war Muttergottheit und Geburtshelferin. Genau wie Apoll war sie aber nicht nur die Gottheit, die das Leben der Frauen beschützte, sondern auch die, die ihnen das Leben jäh entreißen konnte.

Artemis’ Symbole sind der Mond (sie ist die Schwester Apolls, des Sonnengottes; außerdem wurde sie mit dem Zyklus der Frau in Verbindung gebracht), der Hirsch (wegen ihrer Neigung zur Jagd) und die Zypresse.

Artemis ist eine komplexe Göttin, im gesamten östlichen Mittelmeerraum für die unterschiedlichsten Bereiche verehrt. Sie vereint in sich sowohl weibliche als auch männlich besetzte Aspekte des Lebens. Eine kurze Liste ihrer vielen Namen verdeutlicht diese Uneinheitlichkeit ihres Wesens. (Wie alle anderen Aufzählungen göttlicher Beinamen in diesem Buch ist auch die folgende nicht vollständig; ausgenommen haben wir insbesondere Beinamen, die Artemis lediglich mit bestimmten Orten in Verbindung bringen, wie zum Beispiel Persische Artemis, Mysische Artemis und so weiter): die Beste, Zeder Artemis, die Kinder-Großziehende, die Vollkommene, Freundin der Jugend, die Ruhmreiche, die Pferde-Aufspürerin, die Jägerin, die Führerin, die Licht-Bringende, die Väterliche, die Überzeugende, Priesterin, Erretterin, Artemis des steilen Ortes, die Erstickte und die Wölfische. Artemis hatte also viele Erscheinungsformen.

In der Ilias erscheint Artemis als Göttin, die auf der Seite Trojas steht. Als Agamemnon einmal auf ihre heilige Hirschkuh schoss, da verlangte sie, dass Agamemnon seine junge Tochter Iphigenie opfern sollte. In Sparta wachte sie über die Entwicklung der Knaben vom Jüngling zum Manne und war auch für die Jagd und bestimmte Teile des Krieges zuständig.

In manchen Geschichten ist sie die Göttin, die jede Nacht den Mond über den Himmel zieht. Als Mondgöttin taucht mitunter aber auch Selene auf, die Tochter (Ehefrau? Schwester? So genau weiß man das nicht.) des Sonnengottes Helios, mit dem Apoll bisweilen verwechselt wird.

Artemis’ gefährlicher Zorn

Mit der Göttin Artemis wollte es sich niemand verscherzen. War sie einmal erzürnt, folgte ihre Rache auf dem Fuße. Die Königin von Theben (gemeint ist das griechische Theben, nicht das ägyptische), Niobe, hatte sieben Töchter und sieben Söhne. Sie beging den Fehler, sich damit zu brüsten, dass sie es besser gemacht habe als Leto, die nur zwei Kinder hatte. Daraufhin tötete Artemis alle Töchter und ihr Bruder Apoll alle Söhne der Niobe. Arme Niobe!

In Ovids Metamorphosen können wir die Geschichte von Aktaion nachlesen. Er, ein glückloser Jäger, streifte eines Tages mit seiner Hundemeute durch die Wälder und gelangte zufällig an einen kleinen Waldsee. Pech für ihn, dass Artemis gerade ein Bad in diesem See nahm. Erbost, dass Aktaion sie unbekleidet gesehen hatte, verwandelte sie ihn in einen Hirsch. Der Flüchtende wurde von seiner eigenen Hundemeute schließlich zerfleischt.

Artemis hasste es, wenn eine ihrer weiblichen Begleiterinnen ihre Jungfräulichkeit einbüßte. Zeus verliebte sich in eine von ihnen, Kallisto. Sie gebar ihm den Sohn Arkas. Der Mythos gibt abweichende Berichte darüber, was folgte. In der einen Version heißt es, Artemis habe Kallisto daraufhin getötet; andere dagegen berichten, dass Kallisto von ihr selbst oder Hera in einen Bären verwandelt worden sei. Zeus verwandelte Bär-Kallisto und ihren Sohn dann in Sternbilder – den Großen und den Kleinen Bären.

Hestia, die Göttin des häuslichen Feuers

Hestia, die erstgeborene Tochter von Kronos und Rheia, war die jungfräuliche Göttin des häuslichen Herds. Der Herd war in der Antike der Mittelpunkt des Hauses, was Hestia Macht über Haus und Hof und damit auch über die Familie und die Gemeinschaft verlieh, in der sie mit anderen Familien lebte. Da sie nie das Haus verließ, trat sie auch nie als auffällige Figur in der griechischen Mythologie auf. Dennoch war sie von großer Bedeutung für die Griechen wie übrigens auch später für die Römer, denen sie unter dem Namen Vesta bekannt war.

Der häusliche Herd

Der Herd, die Feuerstelle war die symbolische Mitte des Hauses. Die Familien brachten Hestia täglich Opfergaben dar, ein Ritual, das man vielleicht mit dem heute in manchen Familien praktizierten Tischgebet vergleichen kann.

Neue Familienmitglieder – Bräute, Kinder oder Sklaven – wurden in die Familie aufgenommen, indem man rings um den Herd bestimmte Rituale aufführte. In jeder antiken Stadt Griechenlands gab es eine Hestia geweihte öffentliche Feuerstelle, deren Feuer niemals ausgehen durfte. Dieser heilige, geweihte Herd bestimmte unter Umständen sogar, was Stadt war und was nicht. Einem Athener Mythos zufolge war es Theseus, der das Gebiet Attikas vereinigte. Er machte dabei alle unabhängigen Dörfer zu einem Teil der Stadt Athen, indem er deren heilige Feuerstellen nach und nach entfernte, bis nur noch eine einzige – die in Athen – übrig geblieben war.

Hestia, die Namenlose

Soweit wir wissen, trug Hestia keinen Beinamen. Homer (eine sonst verlässliche und ergiebige Quelle göttlicher Beinamen) schien Hestia nicht zu kennen. Spricht er in der Ilias von »hestia«, so meint er schlicht Feuerstelle. Die Bewohner Skythiens nannten sie aus unerfindlichen Gründen Tabiti.

Einige weitere Göttinnen

In der griechischen Sprache sind abstrakte Begriffe – Zwietracht, Notwendigkeit, Sieg, Frieden, Wahnsinn – vom grammatischen Geschlecht her weiblich. In der griechischen Dichtung werden diese Begriffe mitunter personifiziert und erscheinen dann auf der mythologischen Bühne als Göttinnen. Im Folgenden ein paar Beispiele hierfür:

Eris (Zwietracht)

Eris bedeutet übersetzt »Zwietracht«. Da die Zwietracht ein ständiger Begleiter des Menschen und aus seinem Leben nicht wegzudenken ist, lag es nahe, sie zu einer Gottheit zu vergegenständlichen. Hesiod beginnt seine Dichtung Werke und Tage mit der Bemerkung, dass es zwei Arten von Zwietracht unter den Menschen gibt:

check.gif Die negative Zwietracht, die Feindschaft stiftet und Kriege nach sich zieht

check.gif Die positive Zwietracht, die den Menschen zur Arbeit anspornt und durch Konkurrenz zum Guten führt

Er redet über die Zwietracht, als wäre sie eine Göttin.

In den mythischen Erzählungen über den Trojanischen Krieg ist Eris ebenfalls eine Göttin. Sie war es, die nicht zur Hochzeit von Peleus und Thetis eingeladen war und die mit dem goldenen Apfel den ganzen kriegerischen Schlamassel in Troja begann. (Wir berichteten. Noch mehr zu dieser Geschichte in Kapitel 7.)

Nike (Sieg)

Die Göttin des Sieges (Nike im Griechischen) gehört in dieselbe Reihe wie die Zwietracht. Auf der Akropolis in Athen findet sich ein ihr zu Ehren erbauter Tempel. Plastiken der Athene stellen sie oft mit einer kleinen Nikefigur in der Hand dar.

Darstellungen der Siegesgöttin zeigen sie oftmals mit Flügeln – nicht so bei den Athenern, die Stolz auf ihre flügellose Nike waren, da sie nicht wegfliegen konnte.

Die Weisheit

Die Neigung zur Vergöttlichung abstrakter Allgemeinbegriffe fand mit dem Niedergang der griechischen Hochkultur kein Ende. Die große christliche Kirche in Konstantinopel (heute Istanbul) heißt Hagia Sophia, das heißt »Kirche der heiligen Weisheit«. Ein weiteres Beispiel für eine Göttin, die sich von der Vergegenständlichung eines Begriffes ableitet.

Der Klub der Göttinnen: Ein bunt gemischter Haufen

Die untergeordneten Göttinnen Griechenlands treten immer gruppenweise auf. Da wären etwa die neun Musen (musai auf Griechisch), die drei Grazien (charites auf Griechisch), die drei Moiren (griechisch moirai) und schließlich eine unbestimmte Anzahl Furien (griechisch erinyes). Dass diese Göttinnen immer zu dritt oder einem Vielfachen der Zahl drei auftreten, ist wohl kein Zufall. Die Zahl Drei hat in vielen Kulturen eine besondere Bedeutung.

Die Musen

Die Musen waren die Töchter von Zeus und Mnemosyne. Im Olymp unterhalten sie die Götter durch ihren Gesang. Die Musen waren für die künstlerische Eingebung zuständig. In den ersten Zeilen der Odyssee und der Ilias wie in vielen anderen Werken auch, finden sich Anrufe an die Musen. Sie waren eines der Lieblingsobjekte der Bildhauer. Die Namen der neun Musen lauten (ihre Anzahl und ihr Zuständigkeitsbereich variiert je nach schriftlicher Quelle – wir geben im Folgenden die verbreitetste Übersicht):

check.gif Polyhymnia: die Schirmherrin über die Hymnen an die Götter

check.gif Urania: die Muse der Astronomie

check.gif Kalliope: die Muse der epischen Dichtung

check.gif Thaleia: die Muse der Komödie

check.gif Terpsichore: die Muse des Chorgesangs (lyrischer Dichtung) und des Tanzes

check.gif Klio: die Muse der Geschichte

check.gif Euterpe: die Muse des Flötenspiels

check.gif Melpomene: die Muse der Tragödie

check.gif Erato: die Muse der Dichtung ohne Begleitung durch den Tanz, besonders der Liebesdichtung, woraus auch ihr Name resultiert.

Alle epischen Dichter beanspruchen die Musen als Inspirationsquelle ihrer Dichtung. Die ersten Worte in Homers Ilias lauten: »Vom Zorn singe mir, Muse, des Peleussohnes Achilleus!« Die Odyssee beginnt mit der Zeile: »Den Mann nenne mir, Muse, den vielgewandten ...« Der römische Dichter Vergil ist ein wenig selbstbezogener. Seine Dichtung Aeneis beginnt mit den Worten: »Ich singe von Waffen und von einem Mann ...« Die Musen werden erst im weiteren Verlauf der Dichtung angerufen.

Die Grazien

Die drei Grazien (auch Chariten genannt von griechisch charis, was übersetzt Charme bedeutet) waren die Töchter des Zeus und der Eurynome, deren Vater der Titan Okeanos war. Wo auch immer sie erschienen, ließen sie Anmut und Schönheit erblühen. Kein Fest gelang ohne sie. Sie standen in enger Verbindung zu Aphrodite. Die Grazien waren mit Namen:

check.gif Aglaia: die Grazie der Pracht oder des Charmes

check.gif Euphrosyne: die Grazie der Freude und der Heiterkeit

check.gif Thalis: die Grazie des Frohsinns und des Erblühens

Die in Abbildung 5.1 dargestellten Grazien liebten die Dichtung, Gesang und Tanz. Mitunter traten sie auch bei göttlichen Hochzeiten auf. Sie ließen die Blumen, insbesondere die Rosen, wachsen und blühen. Sie konnten den Menschen außerdem Schönheit und Charme zuteilwerden lassen, egal ob in körperlicher, moralischer oder künstlerischer Hinsicht.

 

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Abbildung 5.1: Die drei anmutigen Grazien

Die Moiren

Die Moiren waren ein weiteres Göttinnentrio. Sie waren die Töchter von Zeus und Themis (oder der Nacht). Die Moiren bestimmten über das Leben und das Schicksal eines jeden Menschen von der Geburt bis zum Tode, indem sie den Lebensfaden spannen.

Im Folgenden sind die Moiren mit ihrer jeweiligen Aufgabe aufgeführt:

check.gif Klotho (die Spinnerin): Sie spann den Lebensfaden. Auf Darstellungen ist sie eine schöne junge Frau.

check.gif Lachesis (die das Los bestimmende): Sie maß den Menschen die Länge ihres jeweiligen Lebensfadens zu und bestimmte so den Lauf ihres Lebens. Sie wurde als Frau in mittleren Jahren dargestellt.

check.gif Atropos (die Unabwendbare): Sie schnitt den Lebensfaden der Menschen schließlich ab und nahm ihnen damit das Leben. Dargestellt wurde sie als alte Frau.

Das Sinnbild vom Menschenschicksal als Faden ist bedeutsam. In der Dichtung Homers entscheidet das Schicksal darüber, wann ein Mensch stirbt, aber nicht darüber, was in seinem Leben geschieht. Die Menschen sterben, wenn sie an das Ende ihres Lebensfadens gelangt sind, nicht früher und nicht später. Der trojanische Krieger Hektor kann also seiner Frau mitteilen: »Mache dir keine Sorgen! Wenn heute der Tag meines Todes ist, so sterbe ich, bliebe ich auch zu Hause oder ginge in die Schlacht, dort zu kämpfen. Ist heute aber nicht der Tag meines Todes, so werde ich auch auf dem Schlachtfelde in Sicherheit sein.« (Siehe in Kapitel 7.)

Gegen die Mächte des Schicksals schienen auch die olympischen Götter machtlos. In der Ilias wird geschildert, wie Zeus einige Todgeweihte, in seiner Gunst stehende Helden retten wollte. Hera und Athene allerdings taten alles, damit er von seinem Vorhaben abließ, sodass die natürliche Ordnung der Dinge nicht gestört würde. (Mehr dazu in Kapitel 4.)

Die Furien

Die Furien entstanden aus dem Blut, das auf die Erde fiel, als Kronos die Männlichkeit seines Vaters Uranos ins Meer schleuderte. Auf bildlichen Darstellungen haben sie Schlangen statt Haare auf dem Kopf. Sie bestraften jeden, der das miasma auf sich gezogen hatte, was durch Morde an Familienmitgliedern, Tempelbesuchern oder Gästen geschah. Die Furien waren auch die Beschützer der Bettler und garantierten die »natürliche Ordnung« der Dinge, wie etwa das Geburtsrecht des ältesten Sohnes.

Es gibt unterschiedliche Quellenaussagen über die genaue Anzahl der Furien, so schrieb der Tragödiendichter Aischylos ein Stück über sie mit Namen Eumeniden, in der eine ganze Reihe von Furien genannt werden. Spätere Autoren reduzierten die Zahl auf die folgenden drei:

check.gif Tisiphone (»Mondrächerin«)

check.gif Allekto (»Unversöhnliche«)

check.gif Megaira (»Beneiderin«)

Die Griechen glaubten an göttliche Vergeltung und an die natürliche Ordnung der Welt. Die Furien sprangen immer dort ein, wo das Menschengesetz versagte.