Am 15. Januar 1609 erschien in Wolfenbüttel die erste Ausgabe der zweitältesten Zeitung der Welt – und der ersten, die das Wort Zeitung im Namen trug. Der »Aviso Relation oder Zeitung« druckte Nachrichten ab, die der diplomatischen Korrespondenz des Herzogs von Braunschweig-Wolfenbüttel entnommen worden waren. Der Name war Programm, denn av(v)iso heißt im Italienischen nichts anderes als ›Mitteilung, Nachricht‹. Das Wort ist im Italien des 16. Jahrhunderts als Titel von Flugschriften, die aktuelle Ereignisse beschreiben, nachweisbar, etwa der »Nuovo Aviso« von 1585 in Mailand über die Belagerung und Kapitulation von Antwerpen. Auch Zeitung bedeutete, bevor es auf seinen heutigen Medienstatus verengt wurde, bekanntlich ›Kunde, Botschaft, Nachricht‹.
Aus dem Französischen stammt das Verb für jene Tätigkeit, die die frühen Journalisten beim »Aviso« ausübten: avisieren. So wurde im 15. Jahrhundert das Wort aviser mit der für Lehn- und Fremdwörter im Deutschen so typischen Endung -ieren eingedeutscht. In der heute veralteten Bedeutung ›benachrichtigen, warnen‹ war es bis ins 20. Jahrhundert üblich; man liest es bei E. T. A. Hoffmann, aber vor allem bei Autoren, die im süddeutschen Sprachraum beheimatet waren, beispielsweise bei Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen in seinem »Simplicissimus«, bei Wolfgang Amadeus Mozart in seinen Briefen oder bei Hugo von Hofmannsthal, der in seinem Lustspiel »Der Schwierige« den Diener Vinzenz sagen lässt: »Chauffeur habe ich avisiert, Koffer hab’ ich vom Boden holen lassen, Sekretär Neugebauer hab’ ich auf alle Fälle aufwecken lassen.«
Heute ist avisieren so nur noch in der Schweiz gebräuchlich, überall sonst verwendet man es fast ausschließlich mit der Bedeutung ›ankündigen‹. In diesem Sinne gehört es wie das im 15. Jahrhundert aus dem Französischen entlehnte und wohl als Vorbild für das italienische av(v)iso dienende Avis (›Zahlungsankündigung‹, früher ebenso ›Nachricht‹) einerseits der wirtschaftlichen Fachsprache an, ist andererseits aber auch bildungs- und literatursprachlich weit verbreitet. Heinrich Böll etwa schreibt 1966 in seiner Erzählung »Ende einer Dienstfahrt«: »Tief in Nachdenken versunken, die angerauchte Zigarre kalt im Mund, machte sich Stollfuss auf den Heimweg, nachdem er seine Sekretärin gebeten hatte, seiner Frau sein baldiges Kommen zu avisieren.«
Gelegentlich wird avisieren mit anvisieren verwechselt, dann avisiert jemand ein Ziel. Das ist aber eher unbildungssprachlich und ein Kandidat für den Karoline-Stöhr-Gedächtnispreis ( Agonie).