Gebildete Menschen hören sich oft gern reden, und daher ist es nicht erstaunlich, dass nach der Philippika und der
Suada in diesem Buch nun ein drittes Wort auftaucht, dass eine längere, emotionale mündliche Einlassung bezeichnet. Das Duden-Universalwörterbuch und das DWDS nennen das aus dem Französischen entlehnte Wort Tirade »abwertend« und erklären seine Bedeutung mit ›wortreiche, geschwätzige (nichtssagende) Äußerung; Wortschwall‹ beziehungsweise ›Wortschwall, leeres Gerede, Geschwätz‹.
Daneben meinte Tirade früher in der Theatersprache wertfrei ›längere ununterbrochene Folge von Sätzen, Versen, zusammenhängende Passage‹. Der berühmte Schauspieler Eduard von Winterstein schreibt 1947 in seiner Lebensgeschichte: »Wer eine Schillersche Tirade mit Seele und Herz empfindet […], wer sie künstlerisch erlebt, der kann auch im höchsten Schwung, den die Sprache Schillers verlangt, ›natürlich‹ sein.«
Dieser positive Gebrauch lässt sich bis zu Lessings »Hamburgischer Dramaturgie« von 1767/69 zurückverfolgen. Dort werden die Stärken aufgezählt, die Shakespeares Stück »Richard III.« ausmachen:
Poesie des Ausdrucks; Bilder; Tiraden; kühne Gesinnungen; einen feurigen hinreißenden Dialog; glückliche Veranlassungen für den Akteur, den ganzen Umfang seiner Stimme mit den mannichfaltigsten Abwechselungen zu durchlaufen, seine ganze Stärke in der Pantomime zu zeigen u. s. w.
In der gleichen Schrift setzt Lessing das Wort aber auch abwertend ein, wenn er dem Franzosen Pierre Corneille nachsagt: »Mißgeschilderte Charaktere, dergleichen schaudernde Tiraden, sind indeß bey keinem Dichter häufiger«.
Möglicherweise wurde das Theater hier durch die musikalische Fachsprache beeinflusst, in der eine Tirade einen Lauf von schnell aufeinanderfolgenden Tönen als Verzierung zwischen zwei Tönen einer Melodie bezeichnet. So gebrauchte es beispielsweise Leopold Mozart 1756 in seiner »Violinschule«.
Heute ist die außermusikalische Verwendung nur noch negativ; oft werden in Medien und Politik die Reden Hitlers beziehungsweise allgemein Ergüsse rechter Gesinnung als Tiraden bezeichnet.