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Graf Leo N. Tolstoi Auferstehung 1. Band Da trat Petrus zu ihm und sprach: Herr, wie oft muß ich denn meinem Bruder, der an mir sündiget, vergeben? Ist es genug siebenmal? Jesus sprach zu ihm: Ich sage dir, nicht siebenmal, sondern siebenzig mal siebenmal. (Ev. Matth. 18, 21–22.) Was siehest du aber den Splitter in deines Bruders Auge, und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge? (Ev. Matth. 7, 5.) Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie. (Ev. Johannis 8, 7.) Der Jünger ist nicht über seinen Meister; wenn der Jünger ist wie sein Meister, so ist er vollkommen. (Ev. Luc. 8, 40.)
Es erfüllt den Herausgeber von »Kürschners Bücherschatz« mit berechtigtem Stolze, das großartige Werk Leo Tolstois in W. Thals trefflicher Uebersetzung hierdurch zuerst und in jeder Hinsicht weitesten Kreisen zugänglich machen zu können. Es geschieht im Vertrauen auf die Unbefangenheit und die Reife des Lesers, dem hier ein so vollständig Anderes entgegentritt, daß er auch eines anderen Maßstabes und vor allem eines freien und unbefangenen Blickes bedarf, um dem Ungewöhnlichen gegenüber den rechten Standpunkt zu gewinnen. Tolstoi schreibt mit der Wahrheit des großen und lauteren Charakters, voll Liebe für die Menschheit, als Vertreter heiligster Sache. Er zeigt dabei, was die Verhältnisse zu zeigen ihn zwingen, aber nur Böswilligkeit und Unlauterkeit des Herzens können daran Anstoß nehmen, kein Einsichtiger wird verkennen, daß gerade diese Wege gegangen werden mußten, um zu diesem Ende zu gelangen. Der Eisenbahnzug, den der Dichter im letzten Kapitel seines Werkes den Steppen Sibiriens
Erstes Kapitel Vergeblich bemühten sich einige hunderttausend Menschen, die auf kleinem Raum vereinigt waren, die Erde zu verstümmeln, auf der sie lebten; umsonst erdrückten sie die Erde unter Steinen, damit nichts aufkeimen konnte; umsonst rissen sie das kleinste Grashälmchen aus; umsonst verpesteten sie die Luft mit Petroleum und Steinkohle; umsonst beschnitten sie die Bäume; umsonst jagten sie die Tiere und Vögel fort; der Frühling war, selbst in der Stadt, immer noch der Frühling. Die Sonne strahlte; das Gras begann wie neubelebt wieder zu wachsen, nicht nur auf dem Rasen des Boulevards, sondern auch zwischen den Straßenrinnsteinen; die Birken, Pappeln und Maulbeerbäume entfalteten ihre feuchten und duftenden Blätter; die Linden zeigten ihre dicken, fast schon platzenden Knospen; die Krähen, Sperlinge und Tauben arbeiteten lustig an ihren Nestern; die Bienen und Fliegen summten an den Wänden und freuten, sich, daß die gute warme Sonne wiedergekehrt war. Alles war lustig, die Pflanz
Zweites Kapitel Die Geschichte der Maslow war höchst alltäglich. Sie war das natürliche Kind einer Bäuerin, die ihrer Mutter in einem Schlosse beim Viehhüten half. Die Bäuerin, die nicht verheiratet war, brachte jedes Jahr ein Kind zur Welt; und wie es in solchem Falle oft passiert, wurden die Kinder sofort nach der Geburt getauft; ihre Mutter nährte sie nicht, weil sie unerwünscht zur Welt gekommen war und ihr bei ihrer Arbeit nur lästig fielen; deshalb starben die armen Kleinen auch bald vor Hunger. Fünf Kinder waren schon auf diese Weise dahingegangen. Alle waren gleich nach der Geburt getauft worden, die Mutter nährte sie nicht, und sie waren gestorben. Das sechste Kind, das von einem herumziehenden Zigeuner stammte, war ein Mädchen; deshalb wäre ihr aber doch dasselbe Schicksal, wie den fünf ältesten, beschieden gewesen, hätte es der Zufall nicht gefügt, daß eine der beiden alten Damen, denen das Schloß gehörte, einen Augenblick in den Kuhstall trat, um ihre Mägde wegen der Sahne,
Drittes Kapitel Im Augenblick, da die Maslow in einer Zelle des Gerichtsgebäudes auf einer Bank saß und sich die Schuhe von den Füßen zog, die sie sich, auf dem Wege durch die Stadt wund gelaufen, erwachte derselbe Fürst Dimitri Iwanowitsch Nechludoff, der sie einst verführt hatte, in seinem großen, mit einem weichen Daunenkissen belegten Sprungfederbett. Er richtete sich in seinem, elegant auf der Brust in Fältchen gelegten Hemde aus holländischer Leinewand, nachlässig auf, zündete sich eine Cigarette an und dachte darüber nach, was er am vorigen Tage gethan und was er an diesem thun wollte. Er erinnerte sich an den vorigen Abend, den er bei den Kortschagins zugebracht. Es war ein sehr reiches und sehr angesehenes Ehepaar, dessen Tochter er nach Ansicht aller heiraten mußte. Diese Erinnerung entlockte ihm einen Seufzer; dann warf er die Cigarette fort und streckte die Hand nach einem silbernen Etui aus, um sich eine zweite zu nehmen, doch sofort besann er sich eines anderen, richtete
Viertes Kapitel Als Nechludoff das Gerichtsgebäude betrat, ging es auf den Korridoren schon sehr lebhaft zu. Aufseher liefen mit Papieren hin und her; andere gingen mit ernstem, langsamem Schritte, die Hände auf dem Rücken, auf und nieder. Die Nuntien, die Advokaten, die Anwälte spazierten hin und her, die Bittsteller und die auf freien Fuß belassenen Angeklagten drückten sich demütig an die Wand oder blieben wartend auf den Bänken sitzen. »Das Bezirksgericht?« fragte Nechludoff einen der Aufseher. »Was für eins? Kriminal oder Zivil?« »Ich bin Geschworener!« »Dann handelt es sich um das Schwurgericht! Das hätten Sie gleich sagen sollen! Gehen Sie nach rechts und dann links die zweite Thür!« Nechludoff trat in die Korridore. Vor der Thür, die der Aufseher ihm bezeichnet hatte, standen zwei Männer in eifriger Unterhaltung begriffen. Der eine war ein dicker Kaufmann, der jedenfalls als Vorbereitung auf seine Aufgabe tüchtig gegessen und getrunken hatte; denn er schien in sehr lustiger Gem
Fünftes Kapitel Ja, es war Katuscha, und Nechludoff erinnerte sich, unter welchen Verhältnissen er sie kennen gelernt hatte! Als er sie zum erstenmal gesehen, hatte er eben sein drittes Universitätsjahr beendet und sich bei seinen Tanten niedergelassen, um seine Doktorarbeit in Ruhe vorzubereiten. Er verbrachte die Sommermonate gewöhnlich mit Mutter und Schwester in dem Schloß, das die erstere in der Gegend von Moskau besaß. Doch in diesem Jahre hatte seine Schwester sich verheiratet und seine Mutter war ins Ausland, ins Seebad gegangen. Nechludoff hatte sie nicht begleiten können, da er an seiner Doktorarbeit zu schreiben hatte, und darum hatte er sich entschlossen, den Sommer bei seinen Tanten zuzubringen. Er wußte, hier würde er die für seine Arbeit notwendige Ruhe finden, ohne daß ihn etwas ablenkte; er wußte auch, daß seine Tanten ihn sehr lieb hatten, und er liebte auch sie und ihr einfaches altmodisches Leben. Er befand sich damals in der begeisterten Gemütsverfassung eines Mens
Sechstes Kapitel In dieser Gemütsverfassung befand sich Nechludoff, während er im Geschworenenzimmer die Wiederaufnahme der Sitzung erwartete. Er sah am Fenster, hörte kaum auf die Unterhaltungen seiner Kollegen und rauchte unaufhörlich Cigaretten. Der Obmann der Geschworenen gab Erklärungen ab, aus denen man schließen konnte, der ganze Knotenpunkt der Sache ruhe auf den gerichtlichen Sachverständigen. Peter Gerassimowitsch scherzte mit dem jüdischen Kommis, und alle beide lachten laut. Als der Gerichtsdiener mit seinem hüpfenden Gange in das Zimmer trat, um die Geschworenen wieder hereinzurufen, empfand Nechludoff ein Gefühl der Angst, als sollte er nicht urteilen, sondern abgeurteilt werden. Im Grunde seines Herzens war er sich jetzt klar, daß er ein erbärmlicher Mensch war, der den andern nicht ins Gesicht sehen durfte. Trotzdem war die Kraft der Gewohnheit so stark in ihm, daß er mit dem sichersten Schritte wieder auf die Estrade stieg und seinen Sessel in der ersten Reihe, ganz in
Siebentes Kapitel »Treten Ew. Exzellenz nur gütigst ein, man erwartet Sie oben,« sagte der dicke Portier der Kortschagins zu Nechludoff, »Man sitzt bei Tische, Ew. Exzellenz werden gebeten, sich in den Speisesaal zu bemühen.« Der Portier ließ Nechludoff in den Speisesaal treten; dann ging er nach der Treppe und zog an einer Klingel. »Ist Gesellschaft da?« fragte Nechludoff, während er seinen Paletot auszog. »Nur Herr Kolossoff und Michael Sergejewitsch; sonst aber niemand,« versetzte der Portier. Oben auf der Treppe zeigte sich die elegante Gestalt eines Dieners im Frack und weißen Handschuhen. »Geruhen Ew. Excellenz, sich heraufzubemühen! Man bittet Sie, heraufzukommen!« Nechludoff stieg die Treppe hinauf, durchschritt das große und prächtige Vorzimmer und trat in den Speisesaal, An dem großen Tische saß die ganze Familie Kortschagin mit Ausnahme von Missys Mutter, der Fürstin Sophie Wassiljewna, die ihre Mahlzeiten stets in ihrem Zimmer einnahm. Der alte Kortschagin saß oben an der T
Achtes Kapitel Die Maslow wurde erst gegen sechs Uhr in das Gefängnis zurückgeführt. Sie fühlte sich vollkommen erschöpft. Die unvorhergesehene Strenge des über sie gefällten Urteils hatte sie gleichsam niedergeschmettert; und der lange Weg durch die schlechtgepflasterten Straßen hatte sie vollends betäubt. Dann fiel sie auch vor Hunger um. In einer der Pausen während der Verhandlung hatten ihre Wärter Brot und harte Eier gegessen; das Wasser war ihr im Munde zusammengelaufen und sie hatten bemerkt, daß sie Hunger hatte; doch aus Schamgefühl hatte sie die Wärter um nichts bitten wollen. Die Verhandlung hatte wieder begonnen und noch über drei Stunden gedauert, so daß die Maslow schließlich vor Ermüdung und Abspannung keinen Hunger mehr spürte. In diesem Zustande hatte sie die Verlesung des Urteils angehört. Zuerst glaubte sie, sie träume, und hatte sich von der Zwangsarbeit nicht gleich eine Vorstellung machen können. Es erschien ihr wie ein böser Traum, aus dem sie im nächsten Augenbl
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