| Ein Wandrer kam aus einem alten Land, Und sprach: »Ein riesig Trümmerbild von Stein Steht in der Wüste, rumpflos Bein an Bein, Das Haupt daneben, halb verdeckt vom Sand. Der Züge Trotz belehrt uns: wohl verstand Der Bildner, jenes eitlen Hohnes Schein Zu lesen, der in todten Stoff hinein Geprägt den Stempel seiner ehrnen Hand. Und auf dem Sockel steht die Schrift: ›Mein Name Ist Osymandias, aller Kön’ge König: – Seht meine Werke, Mächt’ge, und erbebt!‹ Nichts weiter blieb. Ein Bild von düstrem Grame, Dehnt um die Trümmer endlos, kahl, eintönig Die Wüste sich, die den Koloß begräbt. Percy Bysshe Shelley, Osymandias |
Heutzutage vollzieht sich die Kommunikation dank Internet, allgegenwärtiger drahtloser Netzwerke und Smartphones mühelos und in Sekundenschnelle. Wir bleiben über E-Mail, Skype und Twitter in Kontakt, Webseiten verbreiten Nachrichten und Informationen, und wir können von unserem Handteller aus auf die Fülle des menschlichen Wissens zugreifen. In einer postapokalyptischen Welt müssen wir jedoch zu traditionelleren Kommunikationstechnologien zurückkehren.
Vor der Erfindung der Schrift wurde alles Wissen ausschließlich über das gesprochene Wort weitergegeben. Doch die mündlich überlieferte Geschichte kann nur eine begrenzte Menge an Informationen speichern, und es besteht die Gefahr, dass Ideen für immer verlorengehen, wenn Menschen sterben. Sobald Informationen an ein physisches Medium gebunden sind, lassen sich Ideen getreulich speichern, Jahre später wieder aufgreifen und im Lauf der Zeit stetig ansammeln. Eine Kultur, die über Schrift verfügt, kann weit mehr Wissen anhäufen, als jemals im transgenerationalen kollektiven Gedächtnis ihrer Menschen gespeichert werden könnte.
Die Schrift ist eine der elementaren Basistechnologien der Zivilisation und geht mit einer begrifflichen Abstraktionsleistung einher, da die Schrift gesprochene Wörter in Zeichenfolgen umsetzt: entweder in Buchstaben, die willkürlich den einzelnen Lauten der Sprache zugeordnet werden (wie die Phoneme des Englischen), oder in Schriftzeichen, die bestimmte Objekte oder Konzepte symbolisieren (wie die Morpheme des Chinesischen). Mit Hilfe der Schrift können Sie die vereinbarten Geschäftsbedingungen, einen Pachtvertrag oder ein Gesetzbuch dauerhaft aufzeichnen. Aber es ist die Anhäufung von Wissen, die einer Gesellschaft erlaubt, sich kulturell, wissenschaftlich und technologisch weiterzuentwickeln.
In der modernen Welt betrachten wir solche Grundprodukte der Zivilisation wie Kuli und Papier als selbstverständlich, und uns wird erst bewusst, wie wichtig sie sind, wenn wir nicht mehr einfach nach einem Briefumschlag greifen können, um schnell eine Einkaufsliste niederzuschreiben, oder wenn wir das irritierende Verschwinden eines Kulis beklagen, den wir erst vor zwei Minuten weggelegt haben. Obwohl unsere Zivilisation eine Menge Papier hinterlassen wird, handelt es sich dabei um einen Stoff von begrenzter Haltbarkeit, und er wird in den Lauffeuern, die durch menschenleere Städte brausen, rasch verbrennen oder in Feuchtigkeit und Überschwemmungen verrotten. Wie können Sie mühelos Papier in großen Mengen selbst herstellen und die zeitraubende Herstellung anderer Materialien wie Papyrus und Pergament, die in der Vergangenheit gebräuchlich waren, überspringen?
Papier wurde um 100 n. Chr. von den Chinesen erfunden; es dauerte allerdings über 1000 Jahre, ehe es Europa erreichte. Aus Zellstoff hergestelltes Papier ist indes eine erstaunlich moderne Erfindung. Bis zum späten 19. Jahrhundert wurde Papier hauptsächlich durch Recyclen von Lumpen – abgenutzten Leinentextilien – hergestellt. Leinen ist ein Gewebe, das aus den Fasern der Flachspflanze (vgl. Kapitel 4) gemacht wird, und jede faserige Pflanze lässt sich grundsätzlich in Papier umwandeln, etwa Hanf, Nesseln, Schilf und andere derbe Gräser. Aber in dem Maße, wie die Nachfrage stieg, angetrieben, wie wir sehen werden, von der Fülle von Büchern und Zeitungen, die von den Druckerpressen ausgestoßen wurden, suchte man gezielt nach anderen geeigneten Fasern. Holz ist eine hervorragende Quelle von qualitativ hochwertigen Fasern zur Papierherstellung, aber wie zerkleinert man einen dicken, massiven Baumstamm in einen feinen Brei aus weichen, kurzen Fasern, ohne sich dabei das Kreuz zu brechen?
Die Fasern, die Papier so leicht und gleichzeitig widerstandsfähig machen, bestehen aus Cellulose. Chemisch gesehen ist Cellulose eine langkettige Verbindung, die in allen Pflanzen das wichtigste Gerüstmolekül ist, das die Pflanzenzellen miteinander verbindet, und insbesondere in ihrem Stiel und ihren Achseltrieben reichlich enthalten ist – es sind die markigen Cellulosefasern, die sich zwischen Ihren Zähnen verfangen, wenn Sie Sellerie kauen. In den kräftigen Stämmen von Bäumen und Sträuchern werden die Cellulosefasern jedoch durch ein weiteres Gerüstmolekül, Lignin, verstärkt, das die Cellulosefasern zu Holz verdichtet. Dieses versorgt den Baum mit dem idealen Material für eine starke, tragende Mittelsäule und weitverzweigte Äste, die es ihm ermöglichen, seine Blätter in der Sonne auszubreiten, aber es macht die Cellulosefasern bedauerlicherweise unzugänglich für uns.
Früher wurden Pflanzenfasern getrennt, indem man die Stängel zerkleinerte und anschließend »röttete« – sie mehrere Wochen in stehendem Wasser einweichte, damit Mikroorganismen das Gerüst aufweichten –, ehe man die aufgeweichten Stiele kräftig stampfte, um die Cellulosefasern mit roher Gewalt herauszulösen. Die gute Nachricht ist, dass Sie sich eine Menge Zeit und Mühe sparen können, indem Sie direkt auf eine effektivere Methode zurückgreifen.
Die Bindungen zwischen Cellulose und Lignin in Bäumen sind anfällig für einen chemischen Spaltungsprozess, der Hydrolyse genannt wird. Dies ist der gleiche molekulare Vorgang, der bei der Verseifung während der Seifenherstellung zum Tragen kommt, und wir führen ihn mit genau den gleichen Mitteln herbei: durch Beimischung alkalischer Stoffe. Die am besten hierfür geeigneten Baum- beziehungsweise Pflanzenteile sind der Stängel oder Stamm und Äste – die Wurzeln und Blätter enthalten nicht viele der benötigten Cellulosefasern. Zerhacken Sie diese in kleine Stücke und setzen Sie einen möglichst großen Teil der Oberfläche der Lösung aus, kochen Sie sie anschließend mehrere Stunden lang in einem Fass mit alkalischer Lösung. Dadurch werden die chemischen Bindungen, die die Polymere zusammenhalten, aufgebrochen, so dass das pflanzliche Stützgerüst weich wird und zerfällt. Die ätzende Lösung greift sowohl Cellulose als auch Lignin an, aber die Hydrolyse des Lignins geschieht schneller, weshalb Sie die wertvollen Fasern für die Papierherstellung unbeschädigt herausnehmen können, während das Lignin zerfällt und sich auflöst. Kurze weiße Cellulosefasern treiben an der Oberfläche der lehmbraunen, ligningefärbten Brühe.
Jedes der Alkalien, die wir in Kapitel 5 betrachtet haben – Pottasche, Soda, Kalk – ist geeignet, auch wenn die bevorzugte Option während eines Großteils der Geschichte Löschkalk (Calciumhydroxid) gewesen ist, da er durch Brennen von Kalk in großen Mengen hergestellt werden kann, während die Herstellung von Pottasche – durch Wässern von Holzasche – ziemlich arbeitsintensiv ist. Aber sobald Sie die künstliche Synthese von Soda (wir kommen später, in Kapitel 11, darauf zurück) beherrschen, sollten Sie für den chemischen Holzaufschluss Ätznatron (Natriumhydroxid) verwenden, das die Hydrolyse stark beschleunigt. Man stellt es direkt im Aufschlussbottich durch Mischen von Löschkalk und Soda her.
Sammeln Sie die herausgelösten Cellulosefasern in einem Sieb und spülen Sie die Fasern mehrfach, bis sie von der schmutzigen Ligninfarbe gesäubert sind. Um den Farbton des fertigen Papiers zu einem reinen Weiß aufzuhellen, können Sie den Faserstoffbrei jetzt in einer Bleiche einweichen. Calciumhypochlorit oder Natriumhypochlorit sind beides gut wirksame Bleichmittel und lassen sich dadurch erzeugen, dass man Chlorgas (das durch Elektrolyse aus Meerwasser gewonnen wird – siehe S. 257) mit Löschkalk oder Ätznatron reagieren lässt. Dieser Bleicheffekt beruht, chemisch gesehen, auf Oxidation: Molekulare Bindungen in den farbigen Stoffen werden aufgespalten, wodurch die Moleküle zerstört oder in eine farblose Form umgewandelt werden. Bleichen spielt nicht nur bei der Papierherstellung, sondern auch bei der Textilproduktion eine wichtige Rolle, weshalb die Beherrschung der Technik des Bleichens wahrscheinlich für die Ausweitung der chemischen Industrie während eines zivilisatorischen Neustarts von zentraler Bedeutung sein wird.
Gießen Sie einen Klecks dieses zähflüssigen Cellulosebreis auf ein feines Drahtnetz oder ein Siebgewebe, das in einen Rahmen eingespannt ist, so dass die Fasern eine kunterbunt gemischte Matte bilden, während das Wasser abtropft. Pressen Sie diese, um das restliche Wasser herauszuquetschen und um flache, glatte Papierbogen zu erhalten, die Sie anschließend trocknen lassen.
Die Papierproduktion im kleinen Maßstab wird Ihnen viel leichter fallen, wenn Sie einige Gegenstände aus der untergegangenen Zivilisation aufstöbern können. Ein Häcksler oder auch ein großer Küchenmixer, der von einem Generator angetrieben wird, wird das Zermahlen der pflanzlichen Stoffe zu einer dicken Pflanzensuppe erleichtern; Sie können die für den Antrieb der Fallhämmer, die das Material zerstampfen, erforderliche mechanische Kraft aber auch mit Hilfe von Wind- oder Wassermühlen erzeugen.
Die Herstellung sauberen, glatten Papiers ist freilich nur die eine Hälfte der Fähigkeit, die Schrift zur Kommunikation und zum Aufbau dauerhafter Wissensspeicher zu nutzen. Sobald alle Kulis ausgetrocknet oder verschwunden sind, besteht die zweite entscheidende Aufgabe darin, funktionstüchtige Tinte herzustellen, mit der sich Wörter niederschreiben lassen.
Grundsätzlich kann alles, was in ärgerlicher Weise Ihr Baumwollhemd beschmutzt, wenn Sie sich zufällig vollspritzen, auch als behelfsmäßige Tinte benutzt werden. Sie können zum Beispiel eine Handvoll knallbunter reifer Beeren nehmen und sie zerquetschen, um ihren Saft zu gewinnen, dann sieben Sie das breiige Fruchtfleisch aus, und zu guter Letzt lösen Sie zum Konservieren etwas Salz in dem Saft auf. Das Hauptproblem der meisten Tinten aus Pflanzenextrakten ist jedoch ihre Unbeständigkeit. Um Ihre Wörter und das neu angehäufte Wissen der sich erholenden Gesellschaft unbegrenzt aufzubewahren, benötigen Sie eine Tinte, die sich nicht leicht von Papier abwaschen lässt oder im Sonnenlicht ausbleicht. Die Lösung, die man im mittelalterlichen Europa fand, war die sogenannte Eisengallustinte. Tatsächlich wurde die Geschichte der abendländischen Zivilisation in Eisengallustinte geschrieben. Leonardo da Vinci verfasste seine Notizbücher mit dieser Tinte. Bach komponierte seine Konzerte und Suiten damit. Van Gogh und Rembrandt benutzten sie für ihre Federzeichnungen. Auch die Verfassung der Vereinigten Staaten wurde in dieser Tinte der Nachwelt vermacht. Und eine der ursprünglichen Eisengallustinte ganz ähnliche Rezeptur ist in Großbritannien noch heute weithin in Gebrauch: Die Urkundentinte (»registrar’s ink«), die für Rechtsdokumente wie Geburts-, Sterbe- und Heiratsurkunden vorgeschrieben ist, basiert auf der gleichen mittelalterlichen chemischen Zusammensetzung.
Wie schon der Name sagt, enthält Eisengallustinte zwei Hauptbestandteile: eine Eisenverbindung und einen Extrakt aus Pflanzengallen (Galläpfeln). Galläpfel tauchen an Zweigen von Bäumen wie der Eiche auf, und sie entstehen, wenn parasitische Wespen ihre Eier in die Blattknospe legen, was den Baum dazu anregt, diese durch die Bildung zusätzlichen Gewebes einzukapseln. Sie sind reich an Gallus- und Gerbsäuren, die mit Eisensulfat reagieren – das man seinerseits dadurch erhält, dass man Eisen in Schwefelsäure löst. Eisengallustinte ist praktisch farblos, wenn sie gemischt wird, und daher sieht man kaum, wo man schreibt, es sei denn, man mengt einen anderen pflanzlichen Farbstoff bei. Aber an der Luft oxidiert die Eisenkomponente und verwandelt die Trockentinte in ein tiefes, beständiges Schwarz.
Ein einfacher Schreibstift lässt sich ebenfalls auf altmodische Weise herstellen. Weichen Sie eine Vogelfeder (in der Vergangenheit wurden Gans oder Ente bevorzugt) in heißem Wasser ein und entfernen Sie das in dem Schaft enthaltene Mark. Formen Sie das Federkielende zu einer scharfen Spitze, indem Sie es beidseitig einschneiden, und unterschneiden Sie die Unterseite zu einer sanften Kurve, um die klassische Form einer Schreibfeder zu erzeugen. Ein kleiner Schlitz in der Spitze hält ein winziges Reservoir an Tinte zurück, während Sie schreiben. Erst wenn dieses aufgebraucht ist, müssen Sie die Kielspitze erneut ins Tintenfass eintauchen.
Wenn die Schrift die entscheidende Erfindung ist, welche die dauerhafte Speicherung und Anhäufung von Ideen erlaubt, dann ist die Druckerpresse die Maschine, die die zügige Vervielfältigung und umfassende Verbreitung menschlichen Gedankenguts ermöglichte. Heute können in den Industrieländern fast alle Menschen lesen und schreiben, und Tag für Tag werden geschätzte 45 Billionen Seiten gedruckt: Bücher, Zeitungen, Magazine und Broschüren, die uns nicht nur informieren, sondern auch die Meinungsbildung anstoßen.
Wenn Sie ohne Drucktechnik ein Dokument reproduzieren wollen, benötigen Sie ein engagiertes Team von Schreibern, die es im Lauf von Wochen eifrig von Hand kopieren. Nur die Mächtigen und Wohlhabenden werden sich ein solches Vorhaben leisten können, und dies bedeutet, dass nur genehmigte oder gutgeheißene Texte produziert würden. Mit der Erfindung der Druckerpresse wurde das Wissen demokratisiert. Nicht nur kann sich jeder Mensch in einer Gesellschaft das vorhandene Wissen aneignen, vielmehr kann jeder auch rasch seine eigenen Ideen in Umlauf bringen, von neuen wissenschaftlichen Theorien bis zu radikalen politischen Ideologien. Dies regt nicht nur die öffentliche Diskussion an, sondern fördert auch den gesellschaftlichen Wandel.
Das Grundprinzip des Druckens besteht darin, eine handgeschriebene Seite in eine Abfolge zeilenweise angeordneter Drucktypen (Lettern) – quaderförmigen Blöcken, an deren Stirnseite jeweils eine Letter eingeprägt ist – umzusetzen, die in einem rechteckigen Rahmen angeordnet werden. Die Type wird mit Tinte geschwärzt und anschließend auf einen Papierbogen gedrückt. Sobald der Rahmen gesetzt – vollständig mit Lettern ausgefüllt – ist, kann dieselbe Seite Text sehr schnell immer wieder vervielfältigt werden, und sobald die gewünschte Anzahl von Abzügen hergestellt ist, werden die Lettern einfach zu einer anderen Seite Text neu angeordnet. Selbst eine sehr einfache Druckerpresse kann ein Dokument hundertmal schneller als ein Schreiber reproduzieren.
Sie müssen drei grundlegende Probleme lösen, wenn Sie die Druckerpresse mit beweglichen Lettern, die Johannes Gutenberg im Deutschland des 15. Jahrhunderts erfand, wiederauferstehen lassen wollen.27 Sie müssen ein einfaches Verfahren zur Herstellung einer großen Zahl präzise maßgeprägter Drucktypen finden. Sie müssen außerdem eine Maschine erfinden, die einen gleichmäßigen, hohen Druck ausübt, um die Druckform auf den Papierbogen zu pressen. Und drittens müssen Sie eine neue Art von Tinte erfinden, die nicht flüssig von einer Schreibfederspitze fließt, sondern gut an fein ziselierten metallischen Strukturen haftet.
Die erste Frage lautet: Welches Material verwendet man zur Herstellung der Lettern? Holz lässt sich zwar leicht schnitzen, aber es bedürfte der sorgfältigen Arbeit eines geschickten Handwerkers, um jede Drucktype einzeln von Hand anzufertigen – insgesamt rund achtzig Lettern (sowohl Klein- als auch Großbuchstaben), Ziffern, Satzzeichen und andere gebräuchliche Symbole – und dann zahlreiche identische Kopien von jeder einzelnen herzustellen. Und all diese harte Arbeit für nur einen Schriftsatz, in nur einer Schriftart und -größe.
Ehe Sie Bücher in großer Zahl drucken können, müssen Sie also zunächst einmal die Druckwerkzeuge selbst in großen Mengen herstellen, etwa durch Schriftgießen, also durch das Gießen identischer Drucktypen aus geschmolzenem Metall. Diese Lösung für die Herstellung von Lettern mit geraden, glatten Seiten und vollkommen rechtwinkligen Ecken, die sich in Zeilen nahtlos aneinanderfügen lassen, besteht, wie Gutenberg erkannte, darin, die Typen in einer metallenen Gussform mit einem scharfkantigen, würfelförmigen inneren Hohlraum zu gießen. Die scharf umrissene Form eines bestimmten Schriftzeichens kann an der Kopfseite der Drucktype herausgearbeitet werden, indem man eine austauschbare Matrize am Boden der Hohlform positioniert. Diese Matrizen können aus einem weichen Metall wie Kupfer angefertigt werden, und die präzise Einkerbung einer Letter kann ganz einfach mit einem harten Stahlstempel (Patrize) in sie eingeschlagen werden. Jetzt müssen Sie nur noch jedes Schriftzeichen, jede Ziffer oder jedes Symbol ein einziges Mal in verschiedene Patrizen einschneiden, und schon können Sie mühelos zahllose Exemplare der identischen Drucktype herstellen.
Es gibt noch ein letztes Problem, das durch die Natur der Buchstaben in der westlichen Schrift aufgeworfen wird, und das ist die große Variabilität ihres Umfangs: das grazile »i« oder schlanke »l« im Vergleich zu dem rundlichen »O« oder dem breitschultrigen »W«. Um leicht lesbar zu sein, sollten die Lettern dicht aufeinanderfolgen, ohne große Lücken um die schlankeren Buchstaben und Ziffern. Das bedeutet, dass Sie in der Lage sein müssen, würfelförmige Typen zu gießen, die alle genau gleich hoch sind, so dass sie sich gleichförmig, aber mit je unterschiedlicher Breite auf der Seite abdrucken.
Die Lösung ist die letzte zündende Idee in Gutenbergs genialer Konzeption eines eleganten Systems für die Serienfertigung der Bausteine des Buchdrucks. Erschaffen Sie die Gießform in spiegelbildlichen Hälften: zwei L-förmige Teile, die einander gegenüberliegen und einen würfelförmigen Raum umfassen. Die Wände dieses Hohlraums können leicht aufeinander zu- oder voneinander weggeschoben werden, um die Breite der Form stufenlos anzupassen, ohne die Tiefe beziehungsweise Höhe zu verändern (versuchen Sie es mit Ihren Daumen und Zeigefingern, um zu sehen, wie dieses ausgetüftelte System funktioniert). Das Gießen einer perfekt geformten Type ist jetzt überaus einfach: Man platziert die passende gestanzte Matrize am Boden der Form, stellt die Breite ein, gießt das geschmolzene Metall ein und stößt das fertige Werkstück aus, sobald es erstarrt ist, indem man die L-förmigen Hälften wieder voneinander trennt.
Nachdem man eine Seite Text gesetzt hat, wird die Druckform mit Tinte geschwärzt und als ein detailreicher Abdruck auf einen leeren Papierbogen übertragen. Es gibt eine Reihe mechanischer Vorrichtungen, mit denen sich die ausgeübte Kraft verstärken lässt, etwa einen einfachen Hebel oder einen Flaschenzug, die beide von jeher dazu benutzt wurden, die bei der Papierherstellung anfallende überschüssige Feuchtigkeit herauszudrücken. Gutenberg wuchs in einer Weinanbauregion Deutschlands auf und griff daher für seine bahnbrechende Erfindung auf eine weitere sehr alte Vorrichtung zurück. Die Spindelpresse ist eine römische Technik aus dem 1. Jahrhundert n. Chr., die weithin zum Entsaften von Trauben und Oliven eingesetzt wurde. Sie stellt auch den idealen kompakten Mechanismus für die Anwendung eines starken, gleichmäßigen Drucks auf zwei Platten dar, wobei die mit Tinte geschwärzte Type auf die Seite gepresst wird. Diese Schlüsselkomponente der Drucktechnik überlebt bis heute in unserer Sammelbezeichnung für Zeitungen und im weiteren Sinne für Journalisten, die für diese berichten, als »Presse«.28
Hohlform für das Gießen von Lettern (Handgießinstrument).
Die Matrize, die den Abdruck der in sie eingeschlagenen
Letter trägt, liegt am Boden der zentralen Vertiefung.
Die Verfügbarkeit von Papier ist keine Voraussetzung für die Druckerpresse, da die Technik auch mit aus Kalbshaut hergestelltem Pergament (nicht dagegen mit spröden Papyrusbögen) funktioniert. Doch ohne in großen Mengen hergestelltes Papier könnten Druckwerke niemals so billig produziert werden, dass sie auch für die Allgemeinbevölkerung erschwinglich sind, und so könnten sie ihr sozialrevolutionäres Potential nicht verwirklichen. Wenn das Buch, das Sie gerade in der Hand halten, auf Pergamentseiten im selben typographischen Format wie Gutenbergs erste Bibel gedruckt worden wäre, dann würde man für jedes Exemplar die vollständigen Häute von etwa 48 Kälbern benötigen.
Drucken erfordert zudem eine geeignete Tinte. Die dünnflüssigen Tinten auf Wasserbasis, die für das Schreiben von Hand entwickelt wurden, wie etwa Eisengallustinte, sind völlig ungeeignet zum Drucken. Um klar konturierte Buchstaben zu drucken, benötigt man eine zähflüssige Tinte, die gut an der metallenen Feinstruktur der Lettern haftet und anschließend sauber auf das Papier übertragen wird, ohne zu verschmieren, zu verlaufen oder zu klecksen. Gutenberg bewältigte diese Herausforderung, indem er Anleihen an einer Mode machte, die gerade erst unter den Malern der Renaissance aufkam: den Gebrauch von Ölfarben.
Sowohl die alten Ägypter als auch die Chinesen entwickelten ungefähr zur gleichen Zeit, vor etwa 4500 Jahren, eine schwarze Tinte auf der Basis von Ruß. Die winzigen Kohlenstoffteilchen des Rußes werden, wenn sie mit Wasser und einem Verdickungsmittel wie Baumharz oder Gelatine (tierischem Klebstoff, vgl. Kap. 5) gemischt werden, zu einem vollkommen dunklen Pigment. Dies ist die Zusammensetzung der sogenannten chinesischen oder schwarzen Tusche, die in China erfunden und von dort durch Kaufleute nach Indien gebracht wurde und die sich bei Künstlern heute noch großer Beliebtheit erfreut. Eine Suspension aus rußschwarzen Pigmentpartikeln bildet auch die Grundlage des Fotokopierer- und Laserdrucker-Toners. Rußpartikel lassen sich aus der rauchenden Flamme brennender Öle gewinnen – das daraus hergestellte Pigment wird auch Flammruß oder Lampenschwarz genannt – sowie durch Verkohlen organischer Stoffe wie Holz, Knochen oder Teer.
Obwohl rußschwarze Pigmente sich im Lauf der Geschichte vielfach bewährten, eignet sich die mit Klebstoff oder Baumharz verdickte Tusche nicht für die Druckerpresse: Sie benötigen eine Tinte mit einer völlig anderen Viskosität und anderem Trocknungsverhalten. Hier ließ sich Gutenberg von den allerersten Anfängen der Renaissance-Ölmalerei inspirieren. Mit Lein- oder Walnussöl gemischter Flammruß trocknet gut und haftet viel besser an metallenen Lettern als eine dünnflüssige Tinte auf Wasserbasis. (Allerdings muss Leinöl aufbereitet werden: Kochen Sie es und entfernen Sie den dicken, klebrigen Schleim, der sich an der Oberfläche abscheidet.) Sie können die so wichtige Viskosität der Tinte mit Hilfe zweier weiterer Zusätze beeinflussen, Terpentin und Baumharz. Terpentin ist ein Lösungsmittel, das zur Verdünnung ölbasierter Farben benutzt wird, und es wird durch Destillation von aus Kiefern oder anderen Koniferen abgezapftem Harz gewonnen (siehe S. 137f.). Der harte, erstarrte Harz wiederum, der übrig bleibt, nachdem die flüchtigen Bestandteile während der Destillation vertrieben wurden, dickt die Lösung ein. Indem man das Gleichgewicht dieser beiden gegensätzlich wirkenden Zusätze – Terpentin und Baumharz – feinjustiert, kann man die Viskosität der Tinte optimieren, und man kann ihr Trocknungsverhalten beeinflussen, indem man die Anteile von Walnuss- und Leinöl verändert.
Die Drucktechnik erlaubt einer Zivilisation im Wiederaufbau also die rasche Reproduktion des Wissens, aber um über große Entfernungen zu kommunizieren, muss man schriftliche Mitteilungen versenden. Ist es vielleicht möglich, mit Hilfe der Elektrizität über große Entfernungen zu kommunizieren, ohne sich die Mühe machen zu müssen, die Nachrichten physisch zu übermitteln?
Die Elektrizität ist etwas Wunderbares: Sie schießt quasi augenblicklich durch einen Draht, der eigens für sie verlegt wurde, und erzeugt weit weg vom Betriebsschalter einen wahrnehmbaren Effekt – zum Beispiel das Aufleuchten einer Glühbirne in einem anderen Zimmer. Um aber zwischen Gebäuden, Städten oder auch Kontinenten zu kommunizieren, kann man nicht einfach eine Stromleitung, die eine Glühbirne mit Energie versorgt, verlängern und Nachrichten hin- und herjagen. Hier ist der energiezehrende Widerstand Ihr Feind; er bewirkt, dass die elektrische Spannung über eine größere Strecke so stark abnimmt, dass sie nicht mehr ausreichte, um eine Glühbirne mit Energie zu versorgen. Ein leistungsfähiger Elektromagnet, der so gebaut ist, wie in Kapitel 8 beschrieben, erzeugt jedoch selbst aus einem schwachen Strom ein recht starkes Magnetfeld. Platzieren Sie einen leicht ausbalancierten Metallbügel (Anker) über einem Elektromagneten; Sie können diesen als einen hochempfindlichen Schalter verwenden: Jedes Mal, wenn an dem Elektromagneten eine Spannung anliegt, wird der Anker von der Spule angezogen, der Stromkreis schließt sich und ein Summer ertönt. Ein relaisgesteuerter Summer an beiden Enden eines langen Telegraphenkabels erlaubt weit voneinander entfernten Bedienungspersonen, zu hören, wann die jeweils andere Person Strom durch die Leitung schickt.
Nachrichten können als Folgen einzelner Buchstaben versandt werden, indem man jeden Buchstaben als eine Kombination kurzer oder langer Stromstöße repräsentiert – Punkte und Striche. Sie müssen lediglich im Vorfeld mit der Person am anderen Ende der Telegraphenleitung absprechen, wie Sie jeden Buchstaben des Alphabets codieren wollen, und anschließend senden Sie Ihre erste postapokalyptische E-Mail durch die Leitung. Wie Sie dies im Einzelnen organisieren, spielt im Grunde keine Rolle, aber wenn Sie im Vorfeld ein wenig darüber nachdenken, wie ein schnelles und zuverlässiges Codiersystem aussehen könnte, würden Sie wahrscheinlich etwas Ähnliches wie das Morsealphabet neu erfinden. In diesem System werden die am häufigsten verwendeten Buchstaben des englischen Alphabets durch die einfachsten Formen repräsentiert: E ist ein einfacher Punkt, T ist ein einfacher Strich, A ist ein Punkt-Strich, und I ist ein Punkt-Punkt.
In gleichmäßigen Abständen angeordnete Relaisstationen verstärken den Strom für den nächsten Leitungsabschnitt und ermöglichen so eine weltumspannende telegraphische Kommunikation. Die Verlegung und Instandhaltung der quer über die Kontinente und die Meeresböden verlegten Kabel ist allerdings mühsam. Gibt es vielleicht eine bessere Möglichkeit? Kann man mit Hilfe der Elektrizität kommunizieren, aber ohne die lästigen Leitungen, die notwendig sind, um den Strom weiterzuleiten?
Wir wollen uns jetzt etwas eingehender mit der Yin-Yang-Beziehung zwischen Elektrizität und Magnetismus befassen. Wenn ein veränderliches elektrisches Feld ein Magnetfeld erzeugen und ein veränderliches Magnetfeld seinerseits ein elektrisches Feld induzieren kann, dann sollten Sie in der Lage sein, eine Welle sich wechselseitig verstärkender Energien zu generieren. Tatsächlich breiten sich solche elektromagnetischen Wellen sogar im völligen Vakuum aus, in dem keine Materie vorhanden ist, die die Störung übertragen könnte (anders als bei einer Schall- oder Wasserwelle): Elektrizität und Magnetismus tun sich zusammen, um wie Geister durch das Weltall zu reisen.
Das goldene Sonnenlicht, das durch mein Fenster hereinströmt, ist selbst nichts anderes als eine Verbindung elektrischer und magnetischer Felder. Eine Vielzahl von Geräten, von Röntgenapparaten, UV-Sonnenbänken, Infrarot-Nachtsichtkameras und Mikrowellenherden bis zu Radar, Rundfunk- und Fernsehübertragungen und – der Inbegriff des modernen Lebensstils – dieser drahtlose Internetzugangspunkt, in den ich mich mit meinem Laptop eingewählt habe, basiert auf verschiedenen Formen von Licht. Das elektromagnetische Spektrum ist eine breite Palette von Wellen mit verschiedenen Vibrationsfrequenzen der gekoppelten elektrischen und magnetischen Felder, die von gefährlich energiereichen Gammastrahlen bis zu Langwellen-Radiostrahlen reichen, sich aber alle mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten.
Hier interessieren uns jedoch in erster Linie Radiowellen. Sie lassen sich nicht nur relativ leicht erzeugen und einfangen, sie können auch mit Informationen »aufgeladen« werden, die sich dadurch über weite Entfernungen übermitteln lassen. Diese Radiosender- und Radioempfänger-Technologie sollten Sie sich als Mittel zur Fernkommunikation so schnell wie möglich wieder aneignen.
Beginnen wir mit der etwas leichteren Aufgabe, einen Funkempfänger zu bauen. Lassen Sie ein langes Stück Draht von einem Baum herunterhängen; entfernen Sie sämtliches Isolationsmaterial am unteren Ende und graben Sie dieses in den Boden ein, um es zu erden. Das ist Ihre Antenne, und die schnell schwankenden elektromagnetischen Felder vorbeilaufender Radiowellen werden Elektronen im Metall dazu drängen, die Leitung auf und ab zu wandern: Dies ist ein induzierter Wechselstrom. Aber um in einem Paar von Kopfhörern irgendetwas zu hören, müssen Sie einen Weg finden, entweder den negativen oder den positiven Teil der Welle zu erhalten und die andere Hälfte auszusondern.
Dies leistet jedes Material, das den Strom nur in eine Richtung leitet und den Fluss in die entgegengesetzte Richtung blockiert; es wandelt einen Wechselstrom in eine Reihe von Gleichstromimpulsen um. Glücklicherweise zeigen viele Typen von Kristallen diese wunderbar nützliche Eigenschaft. Eisendisulfid, wegen seines trügerischen Aussehens auch Katzen- oder Narrengold genannt, eignet sich gut und ist außerdem leicht zu beschaffen. Ein anderes Mineral, Bleiglanz (Galenit), wird in Detektorempfängern ebenfalls häufig verwendet. Bleiglanz, das wichtigste Bleierz, findet sich in großen Ablagerungen überall auf der Welt, und es wird schon seit langer Zeit abgebaut, um daraus Rohre, Kirchendächer, Musketenkugeln und wiederaufladbare Bleibatterien herzustellen.
Schließen Sie den Kristall an den Stromkreis Ihres Antennen-Kopfhörers an, indem Sie ihn in eine metallene Halterung einsetzen, und stellen Sie daraus mit Hilfe eines dünnen Drahts einen zweiten Kontakt her, die sogenannte Detektornadel. Die Gleichrichtung ereignet sich an der Verbindung zwischen dem Kristall und dem Punktkontakt, aber der Effekt ist schwer zu realisieren, und man braucht viel Geduld, um durch systematisches Probieren einen idealen Punkt zu finden. Aber auch wenn es keine Rundfunkübertragungen von Menschenhand mehr gibt, können Sie mit dieser einfachen Vorrichtung Radioemissionen aus natürlichen Quellen wie Gewitterstürmen auffangen. Tatsächlich beruht das Funktionsprinzip eines einfachen Funksenders – des Knallfunkensenders – auf der Erzeugung einer raschen Folge künstlicher Blitzentladungen.
Der Hochspannungsstromkreis eines Knallfunkensenders weist einen kleinen Zwischenraum auf, den ein Funke mehrfach überspringt. Jeder Funke setzt einen Elektronenstoß entlang der Antenne frei und emittiert kurzzeitig Radiowellen hoher Intensität. Wenn der Stromkreis des Senders Tausende von Malen pro Sekunde funkt und eine rasche Folge von Radiopulsen freisetzt, ist ein Summton in den Kopfhörern eines Funkempfängers zu hören. Bringen Sie einen Schalter an der Niederspannungsseite des Transformators an, der die Funkenstrecke mit Energie versorgt, um zu kontrollieren, wann der Stromkreis von Strom durchflossen wird und Radiowellen aussendet, und codieren Sie Ihre Nachricht wieder in Form von Punkten und Strichen.
Idealerweise sollten Sie in der Lage sein, über die Radiowellen Laute zu übertragen, damit Gespräche zwischen einzelnen Funkern oder die Übermittlung von Nachrichten an eine breitgestreute Hörerschaft möglich werden. Beim Morsealphabet werden die Radiowellen in einer recht primitiven Weise vollständig an- oder ausgeschaltet. Die Übermittlung von Lauten erfordert jedoch eine ausgetüfteltere Manipulation, die Modulation der Trägerwelle. Die einfachste Methode ist die sogenannte Amplitudenmodulation (AM); dabei wird die Intensität der Trägerwelle stetig zwischen diesen beiden Extremen variiert: Die sanften Konturen der Schallwelle werden den frenetischen Schwankungen der Radiowelle aufgeprägt. Der Kristalldetektor eignet sich dankbarerweise auch hervorragend dazu, das Signal im Empfänger zu »demodulieren«. Das Einbahnstraßen-Verhalten der Kristall-Verbindungsstelle beseitigt im Zusammenwirken mit dem Glättungseffekt eines Kondensators die hochfrequente Trägerwelle und lässt die Stimme eines Ansagers oder Musik zurück.
Sofern Sie keinen leistungsfähigen Sender in der Nähe haben, wird das Signal, das Sie mit diesem aufs Wesentliche reduzierten Funkempfänger hören werden, ein wirres Durcheinander von Funkstationen sein: Die Antenne nimmt eine Vielzahl von Übertragungen auf verschiedenen Frequenzen von Trägerwellen auf und leitet sie alle an Ihre Kopfhörer weiter. Wenn Sie Ihre elektronischen Geräte um einige Komponenten ergänzen, können Sie diese Rundfunkempfänger auf bestimmte Sender feinabstimmen. Die Feinabstimmung macht einen Funksender effizienter, indem sie die Übertragungsenergie in eine schmale Spanne von Radiofrequenzen packt, und ein abgestimmter Empfänger greift aus der chaotischen Kakophonie des Funkfrequenzspektrums nur die Übertragungsfrequenz heraus, an der Sie interessiert sind.
Wie wir gesehen haben, ist eine Radiowelle im Grunde eine Oszillation (Schwingung), und die magnetischen und elektrischen Felder, aus denen sie sich zusammensetzt, wechseln sich mit einem bestimmten Rhythmus beziehungsweise einer bestimmten Frequenz ab, wie das schwingende Pendel einer Uhr. Um einen Funksender oder -empfänger abzustimmen, müssen Sie einen Stromkreis einfügen, der elektrisch in einem bestimmten Rhythmus oszilliert und anderen, ganz ähnlichen Frequenzen widersteht. Sie müssen sich die Macht der Resonanz zunutze machen.
Stellen Sie sich diese folgendermaßen vor. Ein Kind auf einer Schaukel schwingt, wie ein Pendel, mit einer bestimmten Frequenz hin und her. Wenn Sie nun zu den richtigen Zeitpunkten die Schaukel ganz leicht anschubsen, wird das Kind immer höher schwingen. Wenn Sie die Schaukel jedoch mit einem Rhythmus anstoßen, der nicht dieser Resonanzfrequenz entspricht, erreichen Sie gar nichts.
Es genügt, auf elegante Weise einen Kondensator mit einer Induktionsspule zu kombinieren, um einen einfachen Schwingungskreis, der in einem konstanten Rhythmus schwingt, zu bauen. Ein Kondensator besteht aus zwei in geringem Abstand zueinander angeordneten Metallplatten, die eine Isolationsschicht zwischen sich einschließen. Wird ein Kondensator unter Strom gesetzt, wandern Elektronen zu einer der Platten, bis diese so stark negativ geladen ist, dass sie sich einer weiteren Aufladung widersetzt. Ein Kondensator fungiert als ein Speicher elektrischer Ladung und kann diese in einem jähen Sturzbach freigeben, wie etwa in der Blitzlichtlampe einer Kamera. Eine Induktionsspule ist im Wesentlichen ein Elektromagnet, der allerdings weit mehr leistet, als bloß metallene Gegenstände anzuziehen. Während ein Widerstand den Stromfluss bremst, widersetzt sich eine Induktionsspule jeder Änderung des Stromflusses. Daher lassen sich sowohl der Kondensator als auch die Induktionsspule als wiederauffüllbare Speicher elektrischer Energie nutzen: der Kondensator in Form eines elektrischen Feldes zwischen seinen gegenüberliegenden Metallplatten, die Induktionsspule als ein Magnetfeld um die Spule. Verdrahten Sie diese beiden parallel zueinander angeordneten Komponenten, und es entsteht auf wundersame Weise ein einfacher Schleifenstromkreis.
In dem Maße, wie die mit Elektronen aufgeladene Kondensatorplatte ihre gespeicherte Ladung abgibt, drückt sie einen Strom durch den Stromkreis und durch die Induktionsspule, wobei sie ein Magnetfeld erzeugt, bis die Kondensatorplatten gleich stark geladen sind. Jetzt beginnt das Magnetfeld um die Induktionsspule zusammenzubrechen, aber dabei überstreichen die schrumpfenden Feldlinien die Spule und erzeugen im Draht einen Strom (der Generatoreffekt), während die Spule weiterhin Elektronen zur anderen Kondensatorplatte pumpt – erstaunlicherweise kann das kollabierende Magnetfeld vorübergehend den elektrischen Strom aufrechterhalten, der es überhaupt erst erzeugte. Zu dem Zeitpunkt, zu dem das Induktionsfeld auf null geschrumpft ist, hat sich die gegenüberliegende Kondensatorplatte vollständig aufgeladen und treibt jetzt den Strom zurück in die entgegengesetzte Richtung, wobei dieser wieder durch die Spule fließt.
Die Energie fließt in dieser Weise zwischen Kondensator und Induktionsspule hin und her, wobei sie wiederholt zwischen den elektrischen und magnetischen Feldern umgewandelt wird, wie ein Pendel, das Tausende Male pro Sekunde hin- und herschwingt – mit Radiofrequenzen.
Die Schönheit dieses entwaffnend einfachen Schwingungskreises besteht darin, dass er nur in seiner eigenen natürlichen Frequenz tickt und anderen Frequenzen widersteht. Sie können die Resonanzfrequenz dieses Stromkreises ändern und so Ihren Sender oder Empfänger neu abstimmen, indem Sie die Eigenschaft einer der beiden Komponenten verändern. Am leichtesten lässt sich der Kondensator justieren: Indem man D-förmige Metallplatten aneinander vorbei rotieren lässt, verändert man ihre Überlappung und folglich die Ladung, die gespeichert werden kann. Der Sendersuchknopf an alten Radioapparaten war daher oftmals mit einem Kondensator mit veränderlicher Kapazität im Schwingungskreis verbunden. Moderne Sender und Empfänger können so fein abgestimmt werden, dass das Funkfrequenzspektrum wie roher Schinken an einer Delikatessentheke in hauchdünne Scheiben geschnitten und zwischen unzähligen Anwendungen aufgeteilt werden kann: privaten Rundfunk- und Fernsehsendern, GPS-Signalen, Notfallkommunikation, Flugsicherung, Handys, WiFi und Bluetooth kurzer Reichweite, funkgesteuerten Spielzeugen und so weiter. Tatsächlich sind Knallfunkensender heute verboten, da sie sehr unscharfe Quellen sind und Emissionen verschmiert über das gesamte Funkfrequenzspektrum aussenden, so dass sie benachbarte, breite Funkfrequenzbänder gleichsam »zumüllen«.
Die anderen wesentlichen Elemente für Funkübertragungen sind selbstverständlich ein Mikrofon, um Schallwellen in Spannungsschwankungen im Sender-Stromkreis umzuwandeln, und Kopfhörer oder Lautsprecher, um die empfangenen elektrischen Signale wieder in Schallwellen umzuwandeln. Tatsächlich sind Mikrofone und Kopfhörer im Grunde das gleiche Gerät. Beide enthalten eine Membran, die frei vibriert und Schallwellen entweder erzeugt oder darauf reagiert und die an einer Drahtspule befestigt ist, die sich dann über einen Magneten bewegt. So nutzen beide die gleichen reversiblen elektromagnetischen Effekte wie Motoren und Generatoren.
Eine empfindlichere Version kann man mit Hilfe eines piezoelektrischen Kristalls bauen, der die seltsame Eigenschaft besitzt, eine elektrische Spannung zu erzeugen, wenn er elastisch verformt wird. Man benötigt einen so empfindlichen Kristall-Kopfhörer, um den extrem schwachen Output eines Kristall-Funkempfängers zu hören. Kaliumnatriumtartrat (auch »Seignettesalz« oder »Rocheller Salz« genannt, nach dem Namen beziehungsweise der Heimatstadt des Apothekers, der es im 17. Jahrhundert erstmals herstellte) eignet sich hervorragend für diesen Zweck. Dieses Salz lässt sich dadurch herstellen, dass man heiße Lösungen von Natriumcarbonat und Kaliumbitartrat mischt, aus dem die Kristalle bestehen, die sich im Innern von Weinfässern bilden (daher auch seine geläufigere Bezeichnung »Weinstein«).
Wir können davon ausgehen, dass eine neustartende Zivilisation sich aus den einfachsten Anfängen schnell wieder die Funkkommunikation aneignen könnte, auch ohne die komplexen elektromagnetischen Gleichungen herzuleiten oder die Fähigkeit zu besitzen, elektronische Präzisionsteile herzustellen. Dies ist in der jüngeren Vergangenheit bereits der Fall gewesen.
Während des Zweiten Weltkriegs bastelten sowohl Soldaten, die sich an der Front eingegraben hatten, als auch Kriegsgefangene behelfsmäßige Funkempfänger, um Musik oder die neuesten Kriegsnachrichten zu hören. Diese ausgetüftelten Konstruktionen enthüllen die schiere Vielfalt der Altmaterialien, die für den Bau eines funktionstüchtigen Radios wiederverwertet werden können. Antennendrähte wurden um Bäume geschlungen oder als Wäscheleinen getarnt, und manchmal taten es sogar Stacheldrähte. Der Stromkreis ließ sich durch Anschluss an Kaltwasserrohre in der Gefangenenzelle gut erden. Induktionsspulen wurden gebastelt, indem man Drähte um Toilettenpapierrollen aus Pappe wickelte, und der ergatterte blanke Draht wurde mit Kerzenwachs beziehungsweise, in japanischen Kriegsgefangenenlagern, mit einer Paste aus Palmöl und Mehl isoliert. Kondensatoren für den Abstimmungsstromkreis wurden aus mehreren Schichten Zinnfolie (Stanniol) oder Zigarettenschachtelfutter, zwischen die zur Isolation Zeitungspapier eingelegt wurde, improvisiert; die breite, flache Vorrichtung wurde dann wie eine Biskuitrolle zu einem kompakteren Bauteil gewickelt.
Der Kopfhörer ist eine Komponente, die sich schwerer zusammenbasteln lässt, und er wurde daher oftmals aus Autowracks ausgebaut. Man fertigte einfache Alternativen, indem man Draht um einen Kern aus Eisennägeln wickelte, einen Magneten an einem Ende befestigte und locker über der Spule einen Dosendeckel platzierte, der mit dem empfangenen Signal schwach vibrierte.
Die vielleicht ausgeklügeltste Improvisation überhaupt war jedoch die Erfindung des bedeutenden Gleichrichters, der zum Demodulieren des Tonsignals aus der Trägerwelle benötigt wird. Mineralkristalle wie Eisenpyrit oder Bleiglanz waren auf dem Schlachtfeld nicht zu erhalten, aber rostige Rasierklingen und korrodierte Kupfergroschen eignen sich genauso gut. Die Klinge wurde neben einer aufgebogenen Sicherheitsnadel an einem Stück Abfallholz fixiert. Ein gespitzter Bleistiftgraphit wurde fest an der Spitze der Sicherheitsnadel befestigt (oftmals indem er fest mit Drahtresten umwickelt wurde), und der Federarm fungierte als notdürftige Detektornadel, die die feine Nachführung des Bleistiftgraphits über die Metalloxid-Oberfläche erlaubte, bis eine funktionierende Gleichrichter-Verbindungsstelle gefunden wurde.
Schaltplan für einen einfachen Funkempfänger (oben) und ein Rasierklingen-Gleichrichter,
wie er in den Radios von Kriegsgefangenen weithin verwendet wurde (unten).
Kristallempfänger (und Klingen-Graphitstift-Detektoren) sind schön in ihrer Einfachheit und müssen nicht an eine Stromquelle angeschlossen werden, da sie ihre Betriebsenergie aus der empfangenen Radiowelle selbst beziehen. Aber der Kristall-Gleichrichter ist unzuverlässig, und Kristall-Funkempfänger können nur sehr leistungsschwache Töne ausgeben. Die Lösung dafür – und eine wegbereitende Technologie für eine ganze Palette anderer fortgeschrittener Anwendungen – ist die Herstellung einer Vakuumröhre, ein Apparat, der eng mit einer anderen kennzeichnenden Technologie der modernen Zivilisation verwandt ist – der Glühbirne.
Wie eine Glühbirne besteht auch eine Vakuumröhre aus einem hitzebeständigen metallenen Glühfaden innerhalb eines Glasgefäßes, aber sie enthält außerdem eine zylinderförmige Metallplatte dicht um den Glühfaden; im Inneren des Glasgefäßes wird ein Vakuum von sehr niedrigem Druck erzeugt. Wenn der Glühfaden weißglühend erhitzt wird, dampfen Elektronen von dem Metall ab und bilden eine Ladungswolke um den Draht. Dies wird als thermische Elektronenemission (Glühemission) bezeichnet, und sie ist das Funktionsprinzip von Röntgenapparaten, Fluoreszenzlampen und altmodischen Fernseh- und Computerbildschirmen. Wenn die Metallplatte eine höhere positive Ladung aufweist als der Glühfaden, werden die freigesetzten Elektronen davon angezogen, und ein Strom fließt durch den Apparat. Der Strom kann jedoch nie in die umgekehrte Richtung fließen, da die Metallplatte nicht erhitzt wird, um Elektronen abzugeben, so dass eine solche »Diode« (mit zwei Metallkontakten oder Elektroden) wie ein Ventil funktioniert und einen Stromfluss nur in eine Richtung zulässt. Die Elektronenröhre besitzt daher, wenn auch unter Nutzung völlig anderer physikalischer Prinzipien, genau die gleiche Funktionalität wie die Kristalldetektoren und kann daher ohne weiteres als Gleichrichter in Funkempfängern verwendet werden. Aber die entscheidende Innovation, die eine völlig neue Fähigkeit ermöglicht, geht auf eine einfache Verzierung der Diode zurück.
Wenn Sie eine Standard-Vakuumdiode nehmen und zwischen dem heißen Glühfaden und der Metallplatte eine Drahtspirale oder ein Drahtsieb einfügen, können Sie etwas Phantastisches erreichen. Diese Vorrichtung aus drei Elementen heißt Triode, und durch die Feinabstimmung der elektrischen Spannung, die Sie an das Sieb – auch Steuergitter genannt – anlegen, können Sie den Strom durch die Röhre beeinflussen. Legt man eine leicht negative Spannung an, werden die Elektronen, die von dem Glühfaden abdampfen, abgestoßen und strömen zur Metallplatte; wenn Sie die negative Vorspannung weiter erhöhen, wird der Fluss noch stärker eingeschränkt – es ist, wie wenn man einen Strohhalm leicht zusammendrückt, um die Durchflussmenge einer Flüssigkeit zu regulieren. Entscheidend aber ist, dass man mit Hilfe der Triode eine Spannung dazu benutzen kann, eine andere zu kontrollieren. Die geniale Anwendung dieser Anordnung besteht nun jedoch darin, dass ganz geringe Schwankungen der niedrigen Steuergitterspannung große Schwankungen der Ausgangsspannung verursachen können, wodurch sich das Eingangssignal erheblich verstärken lässt.
Derartiges leisten Kristalle nicht, und man kann diese Funktion dazu nutzen, das schwache Empfangssignal zu verstärken, um Lautsprecher mit Energie zu versorgen und einen Raum mit Schall zu füllen. Sie ermöglicht Ihnen auch, eine reine elektrische Frequenzschwingung zu erzeugen, die sich hervorragend für eine schmalbandige Trägerwelle eignet, und der Trägerwelle in bequemer Weise eine modulierte Schallwelle aufzuprägen. Dies alles sind bedeutende Anwendungen der konventionellen Funkkommunikation, aber genauso nützlich lassen sich Vakuumröhren als Schalter anwenden, die viel schneller als ein mechanischer Schalter die Fließrichtung des Stroms kontrollieren. Wenn man ein großes Netzwerk dieser Vakuumröhren derart miteinander verbindet, dass sich die Schalter gegenseitig kontrollieren, kann man mathematische Berechnungen durchführen und sogar vollständig programmierbare elektronische Rechner bauen.29
27 Wieso haben die Chinesen dann das Papier, gut tausend Jahre bevor es in Europa allgemein in Gebrauch kam, erfunden und auch Texte mit Hilfe hölzerner Druckstöcke vervielfältigt, aber niemals jenen Schritt zur Drucktype gemacht, den Gutenberg vollzogen hat? Das hängt vermutlich mit einem grundlegenden Unterschied zwischen der europäischen Schrift und östlichen Schreibschriften zusammen. Die westliche Schrift setzt sich aus kleinen Sätzen von Buchstaben zusammen, die zu je verschiedenen Kombinationen angeordnet werden, um die Lautform verschiedener Wörter wiederzugeben, während die chinesische Schrift aus einer sehr viel größeren Anzahl komplex zusammengesetzter Schriftzeichen besteht, die jeweils ein bestimmtes Objekt oder Konzept symbolisieren. Diese einfache Neuanordnung der Buchstaben bei den Wörtern westlicher Sprachen bot sich von selbst zum Drucken mit Drucktypen an.
28 Wenn Sie damit rechnen, in Zukunft weitere Abdrücke desselben Textes herzustellen, zum Beispiel nachfolgende Druckauflagen einer bedeutenden Abhandlung, können Sie sich die Mühe sparen, Tausende einzelner Lettern noch einmal zu setzen, indem Sie die Seitenkonfiguration aufbewahren. Die Typen selbst sind zu wertvoll, um sie in dem Rahmen angeordnet zu lassen, aber Sie können einen Abdruck des Textlayouts in Gips anfertigen und diesen als Hohlform zum Gießen einer Metallplatte der gesamten Seite verwenden. Dies ist die ursprüngliche Bedeutung des Wortes »Stereotyp«. Der Spitzname für eine Stereotyp-Platte lautet »Klischee«, offenbar nach dem Geräusch, das beim Gießen entsteht – ein Klischee zu benutzen bedeutet daher, eine Druckform eines vielfach gedruckten Textes wiederzuverwenden.
29 Die moderne Elektronik hat sich über stromfressende Vakuumröhren hinaus entwickelt und macht sich heute die Eigenschaften von Halbleitermaterialien zunutze: Elektronenröhren-Gleichrichter werden durch Halbleiterdioden ersetzt, und das durch die elektrische Spannung steuerbare Verhalten der Triode wird durch den Siliciumtransistor reproduziert. Der Monolith der Miniaturisierung, der das Smartphone in meiner Tasche ist, enthält Billionen von Transistoren, die jeweils funktional mit einer warm leuchtenden Vakuumröhre identisch sind.