So sorgen Sie für Ihr Neugeborenes – und für sich selbst
Eine angstfreie Erziehung will eingeübt und im Voraus geplant werden. Wahrscheinlich müssen Sie schon viel früher als gedacht damit beginnen, Ihre Widerstandskraft zu trainieren, denn auch das Einflößen von Angst fängt früh an. Als die 29 Jahre alte Rettungssanitäterin Chris ihren Freunden und ihrer Familie verkündete, dass sie schwanger sei, freuten sich diese mit ihr. Chris war glücklich. Doch schon kurz nach den ersten Glückwünschen musste sie sich viele warnende Worte anhören: »Schlaf jetzt so viel, wie du kannst. Wenn das Baby erst mal da ist, bekommst du gar keinen Schlaf mehr – vielleicht sogar jahrelang!« – »Genieß dein Leben jetzt, denn nach der Geburt hast du überhaupt keine Freizeit mehr.« – »O Mensch, wenn du einmal in dieser Tretmühle steckst, findest du nicht mehr heraus.« – »Vielleicht muss ja ein Kaiserschnitt gemacht werden.«
Auch wenn die zukünftigen Mütter (und Väter) mit guten Wünschen, Partys, Geschenken für das Baby und Anne-Geddes-Glückwunschkarten gefeiert werden, überschüttet man sie nur allzu oft auch mit einer Flut von Warnungen; sie hören, wie sehr die Ankunft des Babys den Körper der Mütter ruinieren wird, dass sie keine Zeit mehr für sich selbst haben werden und dass ihr ganzes Leben auf den Kopf gestellt wird. Frauen wetteifern um die schrecklichste Geburtsgeschichte – Wehen, die 48 Stunden dauerten, der Notfall-Kaiserschnitt, die erfolglose Periduralanästhesie –, um dann anschließend hinzuzufügen, dass sich all der Schmerz aber gelohnt habe. Während der Geburt gelitten zu haben ist wie ein Qualitätssiegel.
Dieses Verhalten unterscheidet sich grundlegend von dem, was ich in Kenia und Südafrika beobachtet habe. Die Glückwünsche, die Unterstützung und die Ermutigung, die die afrikanischen Frauen von ihren Freunden und ihrer Familie bekamen, waren nicht von Warnungen und abschreckenden Erzählungen begleitet. Dass die frischgebackenen Mütter schon wissen würden, wie sie mit den Bedürfnissen ihrer Babys umgehen, und in ihre neue Rolle finden würden, wurde einfach als selbstverständlich erachtet. Und so erwarteten Mütter in vielen Gebieten des unterentwickelten Afrika die Ankunft ihres Babys selten mit derselben Ängstlichkeit und denselben Selbstzweifeln wie Mütter in den USA. Die Schwangeren dort hatten auch eine viel nüchternere Einstellung zur Geburt, obwohl ihnen klar war, dass in ihrer »natürlichen Umgebung« für Mutter und Kind viel schiefgehen konnte. Sie betrachteten Wehen nicht als wunderbares, aber doch beängstigendes Kreuz, das es zu tragen galt, sondern mehr als natürlichen Übergangsritus, mit dem sie schon würden umgehen können. Und soweit ich weiß, können auch heutzutage nur wenige Frauen in den unterentwickelten Gebieten Afrikas damit rechnen, im Notfall einen Kaiserschnitt zu bekommen oder auch nur schmerzlindernde Medikamente während der Wehen.
In diesen Gebieten wird einfach vorausgesetzt, dass Mütter wissen, was zu tun ist, wenn die Zeit da ist. Das heißt, obwohl viele afrikanische Frauen weniger über die Gesundheit oder die Lage des Fötus wissen als die meisten amerikanischen Frauen, haben sie kaum Angst vor der Geburt. Häufig werden die Frauen während der Wehen ausschließlich von ihren eigenen Müttern, ihren Schwiegermüttern oder von Freundinnen unterstützt, auch wenn inzwischen immer mehr Frauen in einer Klinik entbinden. Doch selbst dort werden die Patientinnen zwar überwacht, erhalten aber im Prinzip nur Hilfe, wenn es Zeit ist zu pressen oder die Mediziner wegen irgendetwas beunruhigt sind. Und obwohl die werdenden Mütter oft bei den Geburten anderer Frauen anwesend waren und durch die Erfahrung von Familienmitgliedern die Risiken kennen, sind sie im Allgemeinen ruhig und auf das Ereignis vorbereitet. Sie sind optimistisch, dass die Geburt gut gehen wird und sie positive Erfahrungen dabei machen werden.
Wie kommt es, dass werdende Mütter in Afrika so gelassen und optimistisch sind, obwohl sie in einem Land leben, in dem das Gebären vielleicht eins der gefährlichsten Ereignisse im Leben einer Frau und die Kindersterblichkeitsrate hoch ist? In einem wohlhabenden Land wie den Vereinigten Staaten mit einem der fortschrittlichsten Gesundheitssysteme der Welt dagegen herrscht bei Schwangeren Stress vor – Stress, der ein solches Ausmaß erreicht, dass er als eine der Hauptursachen für die hier gehäuft auftretenden Fälle von geringem Geburtsgewicht und Frühgeburten gilt.22 Ich vermute, dass der Grund dafür derselbe ist, weshalb ich mir keine Sorgen mache, wenn ich vergessen habe, die Haustür abzuschließen; wenn man von echten Gefahren umgeben war, macht man sich nicht mehr damit verrückt, sich Gefahren nur vorzustellen. Während des Mau-Mau-Aufstands in Kenia in den 1950er-Jahren wachte ich jeden Tag in dem Bewusstsein auf, dass meine Familie eines der Hauptziele der antikolonialen Feindseligkeiten war. Diese hatten dazu geführt, dass weiße Familien entführt und in ihren Häusern ermordet worden waren, und eine Flut von brutalen Vergehen ausgelöst, die sich gegen ganze Dörfer richtete, wenn diese sich nicht sofort der Sache der Mau-Mau anschlossen. Außerdem war es mir in Fleisch und Blut übergegangen, ständig nach Skorpionen und giftigen Schlangen Ausschau zu halten, die sich häufig im Gras und auf den Wegen rund um unser Haus aufhielten und es sich manchmal auch in Spielsachen, Schuhen und Betten gemütlich machten.
Krieg und giftige Tiere gehörten zu meinem afrikanischen Leben. Der Umzug in die USA war wie die Reise an einen Urlaubsort. Keine Skorpione unter dem Bett, keine wütenden Krieger, die drohten, meine Familie zu töten, und dann auch noch Zentralheizung? Es war der Himmel. Eine Zeit lang bestand meine größte Herausforderung darin, meinen Kindern beizubringen, auf den Straßenverkehr zu achten – schließlich waren sie den größten Teil ihres Lebens in der südafrikanischen Wüste herumgetollt. Dann wurde mein viertes Kind zu früh geboren, und wir mussten einen Monat auf der Intensivstation für Neugeborene verbringen. Ich hatte furchtbare Angst um mein Baby, so wie es jeder Mutter ergangen wäre, aber als die Gefahr vorüber war und wir wussten, dass unser Kind leben würde, ließen wir das Krankenhaus und mit ihm auch die Sorgen hinter uns. Natürlich mussten mein Mann und ich besonders vorsichtig sein, um unseren Sohn zu schützen, solange er noch winzig und schwach war, aber wir zweifelten nicht im Geringsten daran, dass wir unserer Aufgabe gewachsen waren. Sich darum zu sorgen, was passieren könnte, hätte uns nur geschwächt, und unser Kind brauchte starke Eltern.
Es ist so viel besser, das Leben mit einem Kind mit Vertrauen und Optimismus zu beginnen. Dieses Kapitel zeigt Ihnen, wie Sie diese Haltung vor und nach der Ankunft Ihres Babys entwickeln können. Nehmen Sie diese Ratschläge wie ein virtuelles Vitaminpräparat für die Seele. Genau wie ein reales Aufbaumittel wird es Sie stärken und Ihnen Widerstandskraft gegen zermürbende Kräfte von außen verleihen.
Wenn Sie gerade erst anfangen, anderen die frohe Botschaft mitzuteilen, sollten Sie ein paar Punkte beachten, um sich eine schützende Pufferzone zuzulegen. So können Sie die vor Ihnen liegende, wunderbare Reise ruhig und zuversichtlich beginnen.
Wehren Sie Negatives ab
Wenn andere von Ihrer Schwangerschaft erfahren, werden sich viele genötigt fühlen, Sie mit unerwünschten Ratschlägen und Warnungen zu überschütten. Es kann sehr schwierig sein, diese abzuwehren, aber ich rate Ihnen dringend, es zu versuchen. Das Leben mit einem Baby ist sicher nicht immer ein Zuckerschlecken, aber es muss auch keine erdrückende Dauerbelastung sein. Nur weil ein anderes Baby sechs Wochen lang jede Nacht durchgeschrien hat, heißt das noch lange nicht, dass Ihres das auch tun wird. (Vor allem dann nicht, wenn Sie die Ratschläge in diesem Buch befolgen – im fünften Kapitel – finden Sie Tipps, wie Ihr Baby durchschläft.) Nur weil das Kleinkind Ihrer Schwester ziemlich schwierig war, muss Ihres das noch lange nicht sein.
Wahrscheinlich werden sich Ihre Prioritäten deutlich verschieben, und Sie werden überraschend intensive Gefühle erleben, aber es ist durchaus möglich, dass Ihr Leben sich nur zum Positiven verändert. Sie werden wieder in feinen Restaurants essen gehen, Sie werden Ihre Arbeit wieder aufnehmen können, Sie werden den Freiraum haben, ein Buch zu lesen oder Zeit allein mit Ihrem Partner zu verbringen. Alles, was man dafür braucht, ist eine gute Vorbereitung und eine Einstellung, die in unserer Kultur häufig vergessen wird – dass nämlich frischgebackene Eltern genauso viel Zuwendung und Fürsorge brauchen wie die neugeborenen Babys.
Wenn man Ihnen also Horrorgeschichten erzählen will, oder andere darüber reden, wie wenig Schlaf, Sex, Geld und Freizeit Sie nach der Geburt haben werden, dann versuchen Sie, denjenigen mit einem Lächeln zu unterbrechen und sagen Sie: »Wir freuen uns so sehr, dass wir uns lieber auf das konzentrieren, was wir dazugewinnen, anstatt auf das, was wir vielleicht verlieren könnten.«
Benutzen Sie soziale Medien mit Vorsicht
Es ist zu einem aufregenden Ritual geworden, Neuigkeiten über das Baby und sogar Ultraschallbilder in den sozialen Medien zu posten, aber seien Sie auf Internetplattformen vorsichtig damit, um Ratschläge zu bitten, und nehmen Sie sich die Feeds Ihrer Freundinnen nicht allzu sehr zu Herzen. Eltern posten gerne Neuigkeiten und süße Fotos ihrer Nachkommen, aber oft sind die beliebtesten Threads Berichte von den Kämpfen, die sie mit ihren Dreijährigen austragen oder Klagen über Wutanfälle, unaufhörliches Schreien, allergische Reaktionen und Fahrten in die Notaufnahme. Denken Sie immer daran, Ihre Freundinnen haben ihre Erfahrungen und Sie werden Ihre eigenen machen. Soziale Medien können wie eine Droge sein; viele benutzen sie zur Selbstbestätigung. Eltern posten etwas, um anzugeben, Mitgefühl zu bekommen und auch um einen inneren Druck loszuwerden. Lassen Sie sich nicht von der Unsicherheit und den negativen Gefühlen anderer anstecken. Wenn Sie Ihr Kind erst einmal in den Armen halten, können soziale Medien ein wunderbarer Begleiter sein, der Sie mit Ihren Freunden und Ihrer Familie verbindet, die alle wissen wollen, wie es Ihnen geht, und Ihre Fragen gern beantworten werden. Es besteht nämlich ein großer Unterschied darin, ob Sie konkrete Fragen in Bezug auf Ihr Baby stellen oder ob es schon vorher darum geht, was alles passieren könnte. Lassen Sie sich von Ihrem Baby führen und versuchen Sie nicht vorherzusagen, wer sie oder er sein wird. Das werden Sie schon herausfinden.
Sehen Sie sich keine Ärzte- oder Krankenhausfilme an
Drehbuchautoren erfinden liebend gern Handlungsstränge, in denen bei Geburten alles Erdenkliche schiefgeht. Das müssen Sie sich wirklich nicht ansehen, vor allem dann nicht, wenn das Drehbuch die unwahrscheinlichsten Szenarien bereit hält.
Hoffen Sie nicht nur, dass alles gut gehen wird – erwarten Sie es
Die meisten Frauenärztinnen und Geburtshelfer bieten ihren schwangeren Patientinnen eine ganze Batterie von Tests zur Früherkennung gesundheitlicher Problemen an, zum Beispiel Schwangerschaftsdiabetes, Fehlbildungen des Fötus und Chromosomenanomalien. Tatsächlich gibt es heute Tests zum Ausschluss von mehr als 800 genetischen Störungen.23 Sich einem Test nach dem anderen auszusetzen und dann auf die Ergebnisse zu warten, kann für die Eltern sehr nervenaufreibend sein, vor allem, wenn diese auch noch im Internet recherchieren, was ein positives Testergebnis bedeuten könnte. Frauenärztinnen und Geburtshelfer nutzen diese Tests, um Sie bei Ihrer Schwangerschaft medizinisch zu unterstützen, hilfreiche Gespräche mit Ihnen zu führen und dafür zu sorgen, dass der Start Ihres Babys ins Leben auf die bestmögliche Art verläuft. Ich sehe dabei allerdings das Problem, dass viele Ärzte die Angst unterschätzen, die solche Tests auslösen können, und zu wenig in Betracht ziehen, dass Komplikationen und genetische Anomalien extrem selten vorkommen.
Für die meisten Eltern fühlt es sich nicht so an, als seien schlechte Testergebnisse die Ausnahme, weil man bei der Suche im Internet Tausende Geschichten über Eltern findet, die sich nach einem Ultraschall oder einem Bluttest mit enttäuschenden oder sogar erschütternden Nachrichten konfrontiert sahen. Deren Kummer ist real, und ihre Geschichten sind es wert, erzählt zu werden, aber Sie müssen nicht zu denen gehören, die davon erfahren – zumindest im Moment noch nicht. Es gibt Millionen andere Eltern, die keine schlechten Nachrichten erhalten haben, und Sie haben allen Grund, darauf zu vertrauen, dass Sie zu dieser Gruppe gehören werden.
Beziehen Sie Ihren Partner mit ein
Sehr oft wenden sich schwangere Frauen an ihre Facebook-Freunde, um sich Unterstützung und Ermunterung zu holen und Antworten auf ihre Fragen zu bekommen. Sie denken gar nicht daran, dass sie dadurch ihrem Partner die Chance nehmen, diese Rolle zu übernehmen. Jetzt ist die Zeit, alle Kräfte zu bündeln und dafür zu sorgen, dass die Kommunikationskanäle und emotionalen Verbindungen offen sind und gut funktionieren. Die langfristigen Vorteile, sich in dieser wichtigen Zeit zusammenzutun, sind ohne Weiteres einsichtig, aber vielleicht erstaunt Sie der kurzfristige Nutzen. Studien haben ergeben, dass bei werdenden Müttern, die einen auf starken Stress hinweisenden erhöhten Cortisolspiegel aufwiesen, weniger Schwangerschafts- oder Geburtskomplikationen auftraten, wenn sie zusätzlich zu einem normalen Geburtsvorbereitungskurs gemeinsam mit ihrem Partner an einem Kurs zur Konfliktlösung und Verbesserung der Kommunikation teilnahmen.24 Mit anderen Worten verlaufen Geburten bei Frauen nachweisbar leichter, wenn sie sich emotional unterstützt fühlen und von einem Gefühl des Vertrauens erfüllt sind. Gehen Sie zusammen mit Ihrem Partner in die Geburtsvorbereitungskurse und beziehen Sie ihn oder sie in jede Phase – von der Schwangerschaft über die Wehen und die Geburt bis zur Babybetreuung – mit ein. Erleben Sie diese Zeit gemeinsam.
Behaupten Sie sich gegen Gruppendruck
Chris bekam viele Ratschläge, bevor ihr Sohn geboren wurde, aber am meisten verblüffte sie der folgende: »Versuch vorher so viele Kurse wie möglich zu belegen, denn wenn das Baby erst einmal da ist, wirst du nicht mehr zur Berufsschule gehen können.« Chris hatte die Ausbildung zur Rettungssanitäterin fast beendet, sie musste nur noch eine Prüfung ablegen. Doch ihre Familie und ihre Freundinnen machten deutlich, dass ihrer Meinung nach eine gute Mutter ihre Kinder nicht in eine Kinderbetreuung gibt, um zur Berufsschule zu gehen. Chris nahm den Ratschlag an und blieb nach der Geburt 15 Monate zu Hause. Sie kümmerte sich gern und liebevoll um ihren Sohn, aber ihr wurde schnell klar, dass sie ihrem Sohn in Zukunft nichts würde bieten können.
Ob es nun ums Stillen geht oder darum, seine Kinder impfen zu lassen, ob man die Babys schreien lässt oder mit ihnen im selben Bett schläft, ob man Kindern Gebärdensprache beibringt oder sie mit Bioprodukten ernährt, ob man sein Kind in die Tagesbetreuung gibt, eine Kinderfrau einstellt oder als Mutter zu Hause bleibt – eine der Stärken unseres Landes ist, dass wir den hier lebenden Menschen und Eltern vermeintlich unendliche Wahlmöglichkeiten lassen. Doch leider schränken viele Eltern diese Wahlmöglichkeiten selbst ein, um es ihrer Familie recht zu machen oder den Forderungen einer Gruppe zu entsprechen, zu der sie gehören wollen. Manchmal scheint es fast, als seien unsere Kinder wandelnde Reklametafeln für unsere Werte und Überzeugungen.
Wir neigen alle dazu, unseren Freunden oder unserer Familie nachzugeben, wenn diese versuchen, Druck auf uns auszuüben, damit wir nach ihren Vorstellungen leben. Das Beste ist aber, eigene Vorstellungen zu entwickeln und sich daran zu halten. Sie selbst müssen sich mit den von Ihnen getroffenen Entscheidungen wohlfühlen, um in Ihrer Mutter- oder Vaterrolle glücklich zu sein – und diese Zufriedenheit überträgt sich wiederum auch auf das Kind. Wenn Sie in zehn Jahren mit Ihren Kindern darüber sprechen, wie man Gruppendruck standhält, wird es hilfreich sein, als Vorbild auf sich selbst verweisen können.
Mein viertes Kind, David, war das erste, das in den USA geboren wurde. Als es so weit war und ich ins Krankenhaus kam, erlebte ich eine der größten Überraschungen meines Lebens. Nur Minuten nach meiner Ankunft dort wurde ich an einen Wehenschreiber angeschlossen und bekam einen Venenkatheter gelegt. Ich war völlig perplex. »Ich bin nicht krank«, sagte ich. »Und es wird auch nicht lange dauern, das ist mein viertes Kind!« Die Krankenschwester erwiderte: »So machen wir es hier in den USA immer. Wir wollen nicht, dass sie dehydrieren.« Ich war immer eine starke Verfechterin präventiver Medizin gewesen und auch dafür, angemessene Sorgfalt walten zu lassen, um Probleme zu verhindern. Aber in den Ländern, in denen meine ersten drei Kinder zur Welt gekommen waren, hatten sich die anwesenden medizinischen Fachkräfte bei der Geburt sehr viel weniger eingemischt – und so ist es dort noch immer.
In einem anderen Buch würde es jetzt vielleicht mit einer Kritik an der Medikalisierung der Geburtsindustrie unseres Landes weitergehen. Aber ich will die Verwendung technischer Geräte und den Einsatz von Medikamenten durch Gynäkologen, Geburtshelfer oder im Entbindungssaal weder infrage stellen noch verurteilen. Es ist nicht zu leugnen, dass unsere extreme Vorsicht und die intensive medizinische Überwachung vor und nach der Geburt die Gesundheit von Millionen Müttern und Kindern gesichert und die USA zu einem der sichersten Orte für eine Entbindung gemacht hat.[*]
In Japan, wo schwangere Frauen hinsichtlich ihrer Gesundheit und selbst in puncto Ernährung streng von Ärzten überwacht werden und ein Ultraschall bei jeder Schwangerschaftsuntersuchung Routine ist, braucht man nur ein Viertel so viele Betten auf den Intensivstationen für Neugeborene wie in den USA – selbst wenn man die geringere Geburtenrate von etwa einer Million pro Jahr einbezieht.25 Warum? Weil japanische Mütter in einer Kultur leben, in der Autoritätspersonen verehrt werden, und sie daher normalerweise genau das tun, was die Ärzte ihnen sagen. (Einige Ärzte sollen sogar den Arbeitgeber einer Frau angerufen haben, wenn sie der Ansicht waren, ihre Patientin bräuchte etwas »Ermunterung«, um ihre Anweisungen zu befolgen.)26 Die Ärzte minimieren die Anzahl der Variablen und Komplikationen, mit denen sie im Kreißsaal konfrontiert werden könnten, und tun so im Vorfeld alles dafür, dass bei den Geburten keine Schwierigkeiten auftreten.
In den USA – einer nonkonformistischen sowie ethnisch und soziologisch sehr gemischten Gesellschaft, in der kaum zwei Mütter während ihrer Schwangerschaften auf dieselbe Art gelebt haben – verwenden Ärzte und Krankenhäuser im Kreißsaal Venenkatheter und Wehenschreiber, um dort, wo sie die Kontrolle haben, einen genormten, möglichst hohen Betreuungsstandard zu schaffen. Zumindest hier können sie dafür sorgen, dass alle Schwangeren bekommen, was sie brauchen.
Aber all die Geräte und Kabel und das ständige Kommen und Gehen von Krankenschwestern, die den Zustand der Patientinnen überprüfen, kann einen an sich natürlichen Prozess wie einen Notfall aussehen lassen und die werdenden Eltern nervös und verkrampft machen. Um dies zu vermeiden und ein stärker individualisiertes, auf die Kraft der Frau vertrauendes Geburtserlebnis zu ermöglichen, bieten viele Krankenhäuser jetzt »natürliche« Geburtszimmer an. Auf Wunsch können Frauen dort ohne medizinische Intervention, aber in dem Wissen entbinden, dass sich Fachpersonal und modernste technische Gerätschaften bei Bedarf im selben Gebäude befinden. Das ist eine ausgezeichnete Alternative und sehr viel sicherer, als zu Hause zu entbinden.[**]
Leider habe ich viele frischgebackene Mütter getroffen, die darunter litten, dass ihre idealisierte Vorstellung von der Geburt ihres Kindes im Nachhinein nicht mit der Realität übereinstimmte. Hatten sie schließlich doch eine Periduralanästhesie (PDA) verlangt oder in eine eher traditionelle klinische Umgebung gebracht werden müssen, um die Entbindung abzuschließen, fühlten sich manche, als hätte ihr Körper sie betrogen. Oder sie bedauerten, nicht stark genug gewesen zu sein, um eine natürliche Geburt auszuhalten. Es war, als hätten sie es nicht geschafft, in einen Eliteklub aufgenommen zu werden.
Tun Sie sich das nicht an! Es ist etwas Wunderbares, sich auf die Geburt seines Kindes vorzubereiten und den Luxus zu haben, sich zwischen mehreren Möglichkeiten zu entscheiden. Treffen Sie die Wahl, mit der Sie sich am wohlsten fühlen. Entwerfen Sie einen Geburtsplan, der Ihnen das Gefühl vermittelt, größtmögliche Kontrolle zu haben. Und sobald Sie das getan haben und alle Ihre Lieben wissen, welche Rolle sie spielen werden, wenn der große Tag kommt – entspannen Sie sich und denken Sie nicht mehr darüber nach. Lassen Sie sich nicht von der Meinung anderer davon abhalten, offen für unerwartete Situationen zu bleiben. Wenn die Wehen erst einmal eingesetzt haben, erlauben Sie sich selbst, das zu tun, was die Entbindung zu einer schönen Erinnerung für Sie macht. Und wenn das heißt, eine PDA zu bekommen, um besser atmen zu können, dann ist es eben so. Es gibt keinen Heiligenschein und keinen Preis für diejenigen, die mehr leiden, als sie müssen. Hilfe oder Schmerzmittel in Anspruch zu nehmen, die Ihnen die Situation erleichtern, macht Sie nicht zur Versagerin oder zu einem schwachen Glied in den Annalen starker Frauen. Ich bin sicher, dass sich zur Zeit der Neandertaler viele Mütter gerne eine Periduralanästhesie hätten geben lassen, wenn sie es nur gekonnt hätten.
Es gibt keinen Heiligenschein und keinen Preis für diejenigen, die mehr leiden, als sie müssten.
Nur wenig deutet darauf hin, dass Periduralanästhesien eine komplikationslose Geburt behindern oder negative Auswirkungen auf die Fähigkeit des Neugeborenen haben, an der Brust zu saugen – das gilt insbesondere für die neueren, niedriger dosierten Rezepturen. Eine von Krankenschwestern an der University of Illinois in Chicago veröffentlichte Untersuchung aus dem Jahr 2011 ergab, dass das Nabelschnurblut der Frauen, denen eine PDA gelegt worden war, gleich nach der Geburt einen ähnlich hohen Cortisolspiegel aufwies wie das von Frauen, die keine Medikamente bekommen hatten. Da der Cortisolspiegel im Nabelschnurblut ein gutes Anzeichen für die Wachheit Neugeborener ist, legen die Untersuchungsergebnisse nahe, dass Periduralanästhesien diesbezüglich wahrscheinlich keine Auswirkung haben.27 Ob Sie sich nun für ein Schmerzmittel entscheiden oder nicht, jede Wahl ist in Ordnung, solange Sie diese als richtig erachten.
Beeinflusst eine Periduralanästhesie das Stillen?
In den ersten 24 Stunden nach der Geburt kann sich eine Wirkung zeigen, aber einigen Untersuchungen zufolge ist der Unterschied sehr gering. Das Medikament für die Periduralanästhesie ist dafür entwickelt, in dem Bereich um das Rückenmark herum zu verbleiben, sodass es den Rest Ihres Körpers nicht beeinflusst.
Nehmen Sie jemanden mit ins Krankenhaus, dem Sie wirklich vertrauen – Ihren Ehemann, Ihren Partner, einen Elternteil, Ihre Schwester, Ihre beste Freundin – aber nicht eine ganze Cheerleader-Mannschaft. Dies ist ein freudiges Ereignis, aber kein gesellschaftliches. Zu viele Leute im Kreißsaal können für Ihre medizinischen Betreuer, die Ihnen zu einer sicheren Entbindung verhelfen möchten, zum Problem werden. Vertrauen Sie auf die Geburtshelferinnen und Ärzte, die ihr Bestes für Sie und Ihr Baby tun werden. Vertrauen Sie darauf, dass Sie wissen werden, was zu tun ist, und befolgen Sie die Anweisungen Ihrer professionellen Helfer. Denken Sie daran, dass alle dazu ausgebildet wurden, Sie zu unterstützen und für Ihre Sicherheit und die Ihres Babys zu sorgen. Bei allem, was das medizinische Fachpersonal tut, vor allem auch beim Anlegen des intravenösen Katheters, geht es um Ihre Sicherheit. Ich versichere Ihnen, dass nichts getan wird, nur weil es für die Geburtshelferinnen oder die Ärzte bequemer wäre. Auch wenn Fürsprecher einer natürlichen Geburt so etwas behaupten, stimmt es nicht, dass Ärzte Technik einsetzen, damit die Krankenhausrechnung höher wird (alle Ärzte, mit denen ich je gesprochen habe, hassen es, sich mit Rechnungen abzugeben); sie nutzen die Technik, weil diese ihnen unmittelbar und exakt Feedback gibt, was mit Ihnen und Ihrem Baby gerade geschieht; so können sie gegebenenfalls schnell etwas zu Ihrem Besten anpassen, falls die Umstände es erfordern. Wenn im Kreißsaal etwas schiefgeht, kann das nämlich sehr schnell gehen.
Der Tag, an dem Ihr Baby zur Welt kommt, wird der erste von vielen sein, an dem Sie entdecken, trotz aller Bemühungen niemals alles kontrollieren zu können. Die glücklichsten, zuversichtlichsten Eltern sind diejenigen, die das verstehen, akzeptieren und die Realität bereitwillig annehmen. Sie glauben sogar, dass es ein Teil dessen ist, was diese Reise gerade so wunderbar macht.
Nun haben Sie Ihr Baby endlich in die Arme schließen können. Zeit zum Entspannen. In vielen anderen hoch entwickelten Ländern bleiben sogar Mütter mit unkomplizierten Spontangeburten eine ganze Woche im Krankenhaus, damit sie und ihre Babys dort beobachtet werden können und es ein gelungener Anfang wird. Mütter erhalten Unterstützung zum Thema Stillen, außerdem wird auf Anzeichen von häufigen Problemen bei Säuglingen geachtet. In den USA und anderen Ländern haben die meisten Frauen diese Möglichkeit nicht, was also können Sie tun, damit Sie sich zu Hause so ausgeruht und gut vorbereitet wie möglich um Ihr Neugeborenes kümmern können?
Bleiben Sie so lange wie möglich im Krankenhaus
Auch wenn zu Hause eine ganze Armee von Helfern darauf wartet, für Sie zu sorgen, versuchen Sie auch von einem kurzen Krankenhausaufenthalt zu profitieren. Bei einer normalen Geburt wird dieser wahrscheinlich zwei Tage, nach einem Kaiserschnitt drei bis fünf Tage betragen. Viele Ihrer Freundinnen werden Ihnen erzählen, dass sie das Krankenhaus früher verlassen haben, weil sie möglichst schnell als Familie leben wollten. Ich aber rate Ihnen dringend, so lange wie möglich im Krankenhaus zu bleiben. Sie werden müde sein. Nutzen Sie die Zeit im Krankenhaus, wo alle um Sie herum für Sie bereitstehen, während Sie nichts anderes zu tun haben, als Ihr Baby kennenzulernen. Zu Hause fühlen die meisten Frauen sich verpflichtet, so früh wie möglich wieder aufzustehen, vor allem wenn weitere Kinder da sind, die Aufmerksamkeit brauchen. Im Krankenhaus haben Sie niemandem gegenüber eine Verpflichtung und brauchen sich nur um sich selbst und Ihr Baby zu kümmern. Genießen Sie diese besondere Zeit.
Es gibt noch einen anderen Grund, im Krankenhaus zu bleiben. Bestimmte Herzleiden können eventuell einen Tag oder etwas länger unerkannt bleiben, während der Körper des Babys sich daran gewöhnt, außerhalb des Mutterleibs zu leben. Außerdem gibt es Infektionen, auf die die Mutter vielleicht negativ getestet wurde, die das Baby aber haben kann. Auch diese können eventuell erst nach ein oder zwei Tagen festgestellt werden. Daher ist es besser, dort zu bleiben, wo Ärzte Ihre und die Gesundheit Ihres Babys am leichtesten überprüfen können. Beherzigen Sie das, verlassen Sie das Krankenhaus im Bewusstsein, dass Sie beide im bestmöglichen Gesundheitszustand sind.
Verzichten Sie lieber auf Schmerzmittel
Bei einer normalen Entbindung ist es Ihre Entscheidung, ob Sie eine Periduralanästhesie wünschen, aber auch wenn Sie sich dafür entscheiden, müssen Sie manchmal etwas darauf warten. Nach der Geburt bieten die Schwestern oft Schmerzmittel an, manchmal noch bevor Sie selbst darum bitten. In diesem Fall sollten Sie sich gut überlegen, ob Sie diese nehmen wollen, vor allem wenn Sie vorhaben, Ihr Kind ausschließlich zu stillen.
Wenn Sie Schmerzen haben und sich deswegen nicht ausruhen können oder nicht in der Lage sind, die Zeit mit Ihrem Baby zu genießen, sollten Sie durchaus die Schmerzmittel nehmen. Haben Sie jedoch nur leichte Schmerzen, warten Sie vielleicht besser erst einmal ab. Wenn die Schmerzen nicht so stark sind, dass Sie sofort ein Schmerzmittel brauchen, benötigen Sie dann überhaupt eines? Stillende Mütter sollten bedenken, dass Betäubungsmittel über den Körper in die Milch gelangen, sodass auch das Baby sie aufnimmt. Diese können es müde und lethargisch machen, was die ersten Stillversuche oftmals erschwert. Wenn die Schmerzmittel zu Hause weitergenommen werden, kann das Stillen tagelang davon beeinflusst werden. Bei Frauen, die ausschließlich stillen möchten, ist es sehr wichtig, dass das anfängliche Stillen nicht nur im Krankenhaus gut gelingt, sondern auch zu Hause ohne Schwierigkeiten funktioniert.
Und es gibt noch einen Grund, warum man sich nach einer Entbindung gut überlegen sollte, ob man wirklich Schmerzmittel braucht – einen Grund, der nur selten angeführt wird: Sie können zu Verstopfung führen. Und eine weitere Baustelle in dieser Körperregion ist sicher das Letzte, was Sie gebrauchen können.
Gönnen Sie sich eine Pause
Früher war das Neugeborenenzimmer das Herz der Entbindungsstation, ein Raum, in dem die Babys nebeneinander in Betten mit blauen und rosa Deckchen lagen. Heutzutage verbringen Neugeborene dort immer weniger Zeit. Für die meisten Mütter ist es selbstverständlich, dass sie ihr Baby rund um die Uhr in einem Bettchen neben sich im Zimmer haben – das sogenannte Rooming-in. Vor nicht allzu langer Zeit war es noch üblich, dass die Babys zumindest nachts von Kinderkrankenschwestern mit einer Flasche gefüttert wurden, während die Mütter schliefen. Seit das Stillen als optimaler Start für Babys gilt und Rooming-in als förderlich für die Mutter-Kind-Bindung, sieht man so etwas jedoch kaum noch.
Es gibt viele gute Gründe für das Stillen, aber die Diskussion darum und die im Allgemeinen sehr strikte Fürsprache haben dazu geführt, dass viele Frauen sich gar nicht mehr bewusst sind, dass sie eine Alternative haben. Manchmal werden Krankenschwestern auch dazu angehalten, Müttern davon abzuraten, das Neugeborenenzimmer in Anspruch zu nehmen, sogar wenn diese krank werden oder sich von einem Kaiserschnitt erholen.28 Das kann dazu führen, dass sich frischgebackene Mütter, die noch unter Schmerzen leiden, schwach oder benommen sind, vollkommen verlassen fühlen, wenn sie keinen Partner oder Familienangehörigen bei sich haben, der ihnen hilft, das Baby sicher aus seinem Bettchen herauszuheben und wieder hineinzulegen. Ironischerweise kann das wiederum dazu führen, dass die Mutter einschläft, während ihr Baby noch neben ihr liegt – eine Schlafsituation, von der in den meisten Krankenhäusern abgeraten wird, da sie das Risiko birgt, das Neugeborene zu erdrücken (mehr dazu später).
Es ist wunderbar, dass in unserer Gesellschaft erkannt wurde, wie wichtig es ist, eine starke Mutter-Kind-Bindung vom ersten Tag an durch Stillen und Haut-zu-Haut-Kontakt zu fördern. Doch betrachten wir das Ganze aus einer anderen Perspektive.
Wenn Ihr Baby ein paar Stunden im Neugeborenenzimmer verbringt, weil es Ihnen nicht gut geht oder Sie vollkommen erschöpft sind, wird das die Bindungsfähigkeit zwischen Ihnen und Ihrem Kind nicht schwächen. Wenn es so wäre, hätten ja nur wenige der Menschen, die in der Zeit vor dem Rooming-in geboren wurden, liebevolle Bindungen zu ihren Müttern aufbauen können. Ist in den ländlichen Gegenden Afrikas eine Frau zu müde, oder fühlt sie sich nicht wohl genug, um selbst für ihr Baby zu sorgen, wird erwartet, dass sich die Mutter der Frau, ihre Schwester oder ihre Freundinnen eine Weile um das Baby kümmern, damit die Wöchnerin sich ausruhen kann.
Auch eine gesunde Mutter, die ihr Baby den Schwestern im Neugeborenenzimmer überlässt, um sich ein paar Stunden auszuruhen, ist weder selbstsüchtig noch faul – sie ist klug. Eine ausgeschlafene, erfrischte Mutter ist viel besser in der Lage, all ihre Energie dem Neugeborenen zu widmen, als eine Mutter, die sich aus Schlafmangel am Rand eines Nervenzusammenbruchs befindet. Frauen, die zum ersten Mal Mutter geworden sind und sich eine Pause gönnen, in der eine Kinderschwester für ihr Neugeborenes sorgt, kommen manchmal viel schneller und besser mit dem Stillen, dem Wickeln und anderen Aspekten der Babypflege zurecht als die völlig erschöpfte Mütter, die ihr Kind immer neben sich haben.
Rooming-in kann etwas Wunderbares sein, aber es muss nicht Ihre einzige Option darstellen. Lassen Sie ohne Schuldgefühl die Kinderschwestern für Ihr Neugeborenes sorgen, sobald Sie das Gefühl haben, dass Sie eine Pause brauchen.
Sprechen Sie mit der Stillberaterin
Auch wenn es nicht Ihr erstes Kind ist, empfehle ich Ihnen, im Krankenhaus mit der Stillberaterin zu sprechen. Es gibt sie in den meisten Krankenhäusern, aber nicht in allen gehört ein Gespräch mit ihnen nach der Geburt zum Standardrepertoire. Die Krankenschwestern können Ihnen in vielem helfen, aber sie haben keine spezielle Ausbildung, die sie auf die feinen, aber wichtigen Zeichen achten lässt, die ein erfolgreiches Stillen erschweren können. Zum Beispiel sehen sie, dass das Baby saugt, und versichern Ihnen, dass alles in Ordnung ist. Doch sie bemerken vielleicht nicht, dass in Wirklichkeit ein verkürztes Zungenbändchen vorliegt und das Baby als Kompensation besonders stark mit den Lippen saugt und Ihnen dadurch unnötige Schmerzen verursacht.
Wenn meine Patientinnen bei ihrem ersten Besuch bei mir Fragen zum Stillen haben oder ich feststelle, dass das Gewicht eines Babys geringer ist, als es sein sollte, bitte ich die Frauen, ihr Baby in meiner Gegenwart zu stillen. Ich sehe normalerweise sofort, ob der Babymund die Brustwarze nicht richtig umschließt, oder ob das Problem darin liegt, wie die Mutter ihr Kleines hält. Sehr häufig ließ sich die Situation schon allein dadurch verbessern, dass ich der Mutter die Hände auf die Schultern legte und in beruhigendem Ton sagte: »Entspannen Sie sich«. Meist sah ich augenblicklich Spannung aus dem Gesicht der Mutter weichen und hörte das wunderbare Geräusch von fließender Milch und einem schluckenden Baby.
Wie erkenne ich, ob mein Baby ein verkürztes Zungenbändchen hat?
Bei dieser Ankyloglossie genannten angeborenen Fehlbildung ist das Zungenbändchen verkürzt. Die eingeschränkte Beweglichkeit der Zunge kann dazu führen, dass das Baby nicht richtig saugt und die Mutter beim Stillen Schmerzen hat. Wenn das verkürzte Zungenbändchen nicht behandelt wird, kann es später Sprach- und Zahnprobleme hervorrufen. Oft stellen Ärzte schon beim Blick in den Mund des Babys diese Fehlbildung fest, aber manchmal wird der Kinderarzt auch erst darauf aufmerksam, wenn die Mutter über Schmerzen beim Stillen klagt. Das Problem kann dann durch ein einfaches und schmerzloses Durchtrennen des Zungenbändchens in den ersten Tagen oder Wochen nach der Geburt behoben werden.
Am Anfang, wenn man bisweilen vier Hände benötigt, um ein Baby richtig anzulegen (ja, wirklich!), brauchen Sie jemanden, der bei Ihnen sitzt, Ihre Technik beobachtet und sie eventuell korrigiert. Scheuen Sie sich nicht, um Rat zu fragen. Bitten Sie im Krankenhaus um ein Gespräch mit der Stillberaterin, damit das Stillen eine angenehme Erfahrung wird. Legen Sie sich auch schon vor der Geburt die Telefonnummer einer Stillberaterin bereit, damit Sie zu Hause im Bedarfsfall schnell einen Termin vereinbaren können.
Mein Baby schläft beim Stillen ein. Woher weiß ich, ob es genug Milch bekommt?
Wenn Ihr Baby während des Stillens einschläft, vor allem wenn dies bereits in den ersten zehn Minuten geschieht, hat es nicht genug Milch bekommen und nur genascht! Streichen Sie ihm über die Wange, um es wach zu halten. Lösen Sie es nach zehn Minuten von der Brust, lassen Sie es sein Bäuerchen machen und legen Sie es dann an der anderen Brust an. Versuchen Sie nun noch einmal, es acht bis zehn Minuten wach zu halten. Danach sollte Ihr Baby in der Lage sein, zwei bis zweieinhalb Stunden zu schlafen. Wacht es früher wieder auf, ist das ein Anzeichen dafür, dass es nicht genug getrunken hat.
Der größte Unterschied zwischen frischgebackenen Müttern in den USA und anderen Ländern besteht nicht darin, wie sie im Krankenhaus behandelt werden, sondern in der Art, wie die glückliche Familie ihr Leben zu Hause beginnt.
Wenn zum Beispiel in China eine Mutter mit ihrem Baby nach Hause kommt, beginnt eine monatelange, zuo yuezi genannte Ruhezeit. Es gibt strenge Regeln dafür, was die junge Mutter essen und trinken darf und wie sie sich kleiden soll. In dieser Zeit verlässt sie so gut wie nie das Haus, wenn überhaupt, und nicht selten wird eine Helferin eingestellt, damit die Frau schlafen kann. Im Iran gebären die meisten Frauen im Krankenhaus, aber wenn sie nach Hause kommen, ziehen sie mit ihrer Familie 40 Tage zu ihrer Mutter, wo die Wöchnerin traditionell im Bett bleibt und nur für ihr Baby da ist, während die anderen Familienmitglieder sich um sie und ihre anderen Kinder kümmern. Nach sieben bis zehn Tagen, in denen die Mutter nicht baden durfte, nehmen sie und ihr Kind ein zeremonielles Bad in einem öffentlichen Badehaus. In Bali wird von den frischgebackenen Müttern erwartet, dass sie so lange nicht in die Küche gehen, bis die Nabelschnur abfällt,29 und sie und ihr Baby erwarten täglich Massagen.30 Miriam schwärmte von ihrer Erfahrung in Israel:
»Ich hatte keine Familie in Israel, als ich meine Kinder bekam, weder meine eigene noch die des Kindsvaters, und trotzdem bekam ich ungeheuer viel Unterstützung. Ich kann gar nicht beschreiben, wie großartig das Krankenhauspersonal ist. Die Leute dort sind rund um die Uhr für dich und dein Kind da. Stillberaterinnen kommen vorbei, und auf der Wöchnerinnenstation gibt es Milchpumpen. Wenn die Milch nicht einschießt und man Hilfe braucht, sitzen sie bei dir und helfen. Und es ist alles kostenlos. Immer wenn eine Frau ein Baby bekommt, wird ihr außerdem mindestens drei Wochen lang Essen von der Gemeinde gebracht, von Freunden und auch von Fremden. Wenn man nicht religiös ist, organisiert diesen Service die Schule, in die deine Kinder gehen; wenn man religiös ist, die Synagoge. Alle werden informiert und es wird einfach erwartet, dass jeder hilft. Es ist ein tolles Gefühl, wenn man weiß, dass man nicht kochen oder für seine anderen Kinder Essen vorbereiten muss. Die Leute kümmern sich viel umeinander. Ich weiß nicht, wie ich es irgendwo anders geschafft hätte.«31
Miriams Erfahrung ist außerhalb der Vereinigten Staaten nichts Ungewöhnliches. In anderen Ländern wird einer Mutter in den ersten paar Wochen oder Monaten die Möglichkeit gegeben, Urlaub von der wirklichen Welt zu nehmen. Borgit, die ihr erstes Kind in Guatemala bekam, beschrieb die Tage nach der Geburt als völlig stressfrei. In Guatemala stellen die meisten Familien aus den mittleren oder höheren Schichten ein Kindermädchen ein, das bei ihnen zu Hause wohnt. »Wenn man also nach der Geburt nach Hause kommt und mit Geschenken überhäuft wird, ist da ein Kindermädchen, das sich um die schwierigen Aufgaben des Lebens mit einem Neugeborenen kümmert, einschließlich des nächtlichen Fütterns. Die Mutter kann sich entspannen und langsam wieder in den Alltag zurückfinden. Es war schön und ruhig und friedlich.« Ob nun mithilfe der Familie oder einer bezahlten Kraft, in den meisten Ländern ist es selbstverständlich, dass sich nach der Geburt eines Kindes alle um das Baby und die Mutter kümmern. Auf diese Weise kann die Frau sich ausruhen, sich erholen, ihr Baby kennenlernen und von den Ratschlägen derjenigen profitieren, die selbst Kinder großgezogen haben.
Die Unterschiede zu den USA könnten größer nicht sein. Wenn es eine Sache gibt, die frischgebackene Mütter hier nicht tun sollen, ist es, sich aus der wirklichen Welt zurückzuziehen. Meiner Meinung nach gilt das für Mütter, die zu Hause bleiben, genauso wie für arbeitende Mütter. Es gibt eine kulturell bedingte Erwartungshaltung, dass Mütter bereits ein paar Ruhetage nach der Entbindung wieder fit sein sollen. Sie sollen am Familienleben teilnehmen, für die älteren Kinder sorgen, Mahlzeiten vorbereiten, Verschiedenes erledigen und mit Freunden schwatzen, die unbedingt das neue Baby sehen wollen. Wenn sie Glück haben, kommt für ein oder zwei Wochen die Mutter, Schwester oder Schwiegermutter zu ihnen, um zu helfen. Danach aber sind die Mütter auf sich selbst gestellt. Nur zwölf Prozent der Arbeiterinnen in den USA können bezahlten Mutterschaftsurlaub nehmen,32 und von den 71 Prozent der außer Haus arbeitenden Mütter ist zwei Wochen nach der Geburt bereits ein Viertel wieder am Arbeitsplatz.33
Viele Experten beklagen, wie wenig die Politik in unserem Land für junge Familien tut, und ich möchte ihnen die Diskussion darüber überlassen, was wir von Gesetzgebern und Arbeitgebern fordern sollten. Aber es gibt einen Grund, warum Mütter nach der Geburt eines Kindes in fast allen anderen Ländern der Welt verwöhnt werden und eine Zeit lang nicht nur vom Arbeitsleben, sondern auch von der alltäglichen Routine des Familienlebens freigestellt werden: Eine solche Praxis führt zu glücklicheren Müttern. Glücklich sind normalerweise die Frauen, die nach der Geburt ihres Kindes Zeit hatten, sich zu erholen, sich auszuruhen, die hormonelle Umstellung in Ruhe geschehen lassen konnten und sich darauf konzentrierten, ihr Baby in die Familie zu integrieren – vor allem, wenn Geschwister die Versicherung brauchten, dass die Liebe der Mutter zu ihnen durch das Baby nicht geschmälert wird. Glückliche Mütter sind geduldigere, entspanntere Mütter.
Nun wird von Kritikern eines bezahlten Elternurlaubs oder der gesellschaftlichen Verantwortung für junge Mütter oft vorgebracht, dass Frauen, die eine Veränderung in der Familienpolitik fordern, zu weich und sogar pflichtvergessen sind. Warum sollten Wöchnerinnen in den USA (oder anderswo) Privilegien erhalten, wenn es in unterentwickelten Ländern viele Frauen gibt, die nach der Geburt ihrer Babys gleich wieder in den Reis- oder Getreidefeldern stehen? Auch wenn diese Situation wohl kaum als Ideal zu bezeichnen ist und auch in keinem Land die Regel, so gibt es sie tatsächlich.
Als ich in der südafrikanischen Wüste mit meinem dritten Kind schwanger war, hatten wir Rachina angestellt, eine junge Frau, die mir im Haushalt half. Sie war ebenfalls schwanger und wohnte in einem kleinen Haus auf unserem Anwesen. Als sie kurz vor mir ihr Baby bekam, half ich ihr bei der Geburt. Danach ging ich zurück in unser Haus und dachte, sie würde sich ausruhen. Doch schon eine Stunde später erschien sie in meiner Küche, das Baby auf dem Rücken gebunden. Ich war schockiert und wollte sie zurückschicken, woraufhin sie antwortete: »Sie erwarten ein Baby, also lassen Sie mich meine Arbeit tun.«
In jeder Kultur haben sich Traditionen und Rituale herausgebildet, um Mütter und ihre Neugeborenen zu schützen und ihnen Zeit zu geben, eine Bindung zueinander herzustellen. Sogar im kolonialen Amerika waren Mütter nach der Geburt drei oder vier Wochen von ihren täglichen Aufgaben und der Versorgung ihrer übrigen Kinder befreit, um sich zu erholen.34 Andere Frauen übernahmen ihre Arbeit, und selbstverständlich wurde erwartet, dass diese Gefälligkeit erwidert wurde, wenn diese selbst ein Kind bekamen. Aber in Gesellschaften, die von der Hand in den Mund leben, gibt es diese Ruheperiode nicht. Allerdings leben die Menschen dieser Gesellschaften, vor allem der nomadischen, in Gruppen. Auch wenn es dort Tradition ist, dass die Frauen den Lagerplatz verlassen, um allein zu gebären, wissen sie doch, dass sie bei ihrer Rückkehr mit dem Neugeborenen auf die Hilfe ihrer Mutter und ihrer Schwestern zählen können. Die Mutter eines Neugeborenen ist hier niemals allein. Das ganze Dorf – Mütter, Brüder, Stammesälteste – betrachten es als ihre Verantwortung, dem neuen Erdenbürger und seiner Mutter zu helfen.
Meine Haushaltshilfe Rachina aber war allein. Sie gehörte einem Nomadenstamm an, daher war es für sie ganz normal, nach der Geburt so schnell wie möglich wieder auf den Beinen zu sein und sich zu bewegen. In der Wüste sind Mütter und ihre Neugeborenen eine leichte Beute für Raubtiere; je länger man ruhig auf der Erde liegt oder von der Familie isoliert ist, desto eher wird man zum Ziel. Meine Familie stellte Rachina zwar ein kleines Haus und regelmäßige Mahlzeiten zur Verfügung, aber da sie ohne ihre Familie war, bedeutete Arbeit für sie Überleben. Sie war jedoch nicht in ihrer natürlichen Umgebung. Ich bin sicher, dass sie jede Hilfe und Ruhepause angenommen hätte, wenn sie bei ihrem Stamm gewesen wäre.
Es ist nicht so, dass Frauen in der entwickelten Welt nach einer Geburt schwach und unfähig wären; Mütter können alles schaffen, was nötig ist, solange sie sich sicher fühlen und gut planen können. So sehr ich mich auch für eine tatsächlichen Ruhepause für Wöchnerinnen ausspreche, ich selbst konnte sie mir nach der Geburt meines vierten Kindes nicht gönnen. Nur Stunden, nachdem mein zu früh geborenes Baby mit einem Beatmungsgerät auf die Intensivstation für Neugeborene gebracht worden war, schockte ich meinen Geburtshelfer mit einem Anruf um sechs Uhr morgens, in dem ich ihn bat, aus dem Krankenhaus entlassen zu werden. Mein Sohn hatte sich für seine Geburt den Tag vor der Vorprüfung meines Medizinstudiums ausgesucht; ich musste diese Prüfung ablegen. Mein Arzt hielt mich für verrückt, aber ich wusste zu diesem Zeitpunkt bereits, dass ich mit meinem Baby Monate auf der Intensivstation verbringen würde. Wenn ich die Prüfung nicht jetzt ablegen würde, müsste ich mich später erneut vorbereiten, und dann mit einem Frühgeborenen. Mein Baby war in der Kinderklinik gut versorgt, also ging ich zur Hochschule, legte meine Prüfung ab und war ein paar Stunden später wieder auf der Intensivstation, wo schon mein Ehemann mit unserem winzigen Baby saß. Einer der Stressfaktoren, die ich kontrollieren konnte, war beseitigt.
Es gibt noch einen Grund, warum ältere Kulturen die Tradition entwickelt haben, dass Mutter und Neugeborenem eine Ruhephase zugestanden wird: Die Überlebenschancen des Babys erhöhen sich, wenn es gestillt wird und dadurch besser vor Keimen geschützt ist. Auch in den USA war es bis vor Kurzem üblich, dass bei der Verlegung eines Babys auf die Neugeborenen-Intensivstation die Mutter die ganze Zeit über bei ihm blieb. Aber in unserem Land sterben gesunde Babys nicht mehr, nur weil sie nicht gestillt werden. Es gibt Muttermilchersatz, der auch Armen von einem speziellen staatlichen Ernährungsprogramm für Mütter, Säuglinge und Kinder zur Verfügung gestellt wird. Brauchen Mütter mit Neugeborenen also tatsächlich eine längere Ruhepause?
Sie sollten sie bekommen, wenn sie sie wollen. Manche Frauen brauchen diese Pause nicht. Marissa Mayer, Vorstandsvorsitzende von Yahoo, nahm nach der Geburt ihres Sohnes nur 14 Tage frei. Dann ließ sie direkt neben ihrem Büro ein Kinderzimmer einrichten, sodass sie in der Nähe ihres Babys sein konnte. Drei Jahre später kündigte sie an, dass sie nach der Geburt ihrer Zwillinge nur kurze Zeit nicht im Büro sei und während ihrer Abwesenheit weiterarbeiten würde. Die meisten Frauen würden jedoch emotional, psychisch und körperlich profitieren, wenn sie nicht nur den Mutterschutzurlaub bezahlt, sondern auch eine längere Ruhepause als die kulturell bewilligten ein oder zwei Wochen bekämen, die wir uns im Allgemeinen erlauben. Wenn wir eine Erwartungshaltung aufbauen könnten, dass Mütter nach der Geburt Hilfe erhalten sollten – ob nun bezahlt oder von Seiten der Partner, Familien und Freunde – und dass sie von der Hausarbeit, vom Saubermachen, vom Kochen und jeglicher anstrengender Betreuung älterer Kinder befreit werden sollten, dann könnten wir Müttern zu einer ruhigeren, zuversichtlicheren Rückkehr in den Alltag verhelfen. Jede Frau verdient die beste Erfahrung mit ihrem Neugeborenen. Davon profitieren alle Familienmitglieder.
Ich möchte betonen, dass nach der Geburt eines Kindes nicht nur für die arbeitenden Mütter besser gesorgt werden sollte, sondern für alle Mütter. Eine souveräne Mutter zu werden ist kein Prozess, der über Nacht stattfindet; dafür braucht es mehr Zeit und Geduld, als unsere Gesellschaft uns zugesteht. Aber wenn mehr Eltern die folgenden Schritte unternähmen, um die unterstützenden Methoden früherer Generationen zu beleben, dann könnten sie schneller und mit weniger Angst, Sorgen und Müdigkeit stabile Familienverhältnisse aufbauen. Davon würde langfristig die ganze Gesellschaft profitieren.
WAS ALSO TUN?
Sorgen Sie selbst für eine Ruhephase
Wir Amerikaner lieben Babys, und sobald eins geboren wird, können wir kaum erwarten, es zu sehen. In China dagegen bekommt in den ersten vier, manchmal sogar sechs Wochen nach der Geburt niemand außerhalb der engsten Familie das Baby zu Gesicht. Die Wochen nach der Geburt sollen so ruhig wie möglich verlaufen, was nicht geht, wenn die Mutter sich jeden Tag auf Besuche einstellen muss. Viele Mütter haben mir erzählt, wie ermüdend und stressig es ist, Freunde und Gratulanten zu Gast zu haben, die das Baby halten und knuddeln wollen. Der Instinkt sagt ihnen, dass ihr Neugeborenes beschützt werden sollte, aber unsere Gesellschaft besteht darauf, dass ein Baby praktisch öffentliches Eigentum ist. Mein Rat: Halten Sie sich alle Besucher vom Leib und schieben Sie es auf Ihre Kinderärztin. Ich sage meinen Patientinnen immer, dass sich die Kleinen durch Besuche leicht eine Infektion holen, dass die zu bestimmten Jahreszeiten durch Viren hervorgerufene Atemwegserkrankungen eine ernstzunehmende Gefahr darstellen und dass es daher für Mutter und Kind am besten ist, neben den direkten Familienmitgliedern mit so wenig anderen Menschen wie möglich in Kontakt zu sein. Die meisten Mütter, die ich betreut habe, waren glücklich, dass sie mir die Verantwortung dafür zuschieben konnten, in den ersten Wochen keinen Besuch zu wollen. Und ich bin sicher, dass die meisten anderen Kinderärzte das genauso sehen.
Mir fällt zu Hause die Decke auf den Kopf! Kann ich tagsüber ein bisschen mit meinem Baby rausgehen?
Sie können hingehen, wohin Sie wollen. Spannen Sie dabei einfach eine Mullwindel oder ein sehr leichtes Tuch über die Öffnung des Kinderwagens (nur locker, damit die Belüftung nicht eingeschränkt ist), um die Leute davon abzuhalten, sich über es zu beugen und es zu berühren.
Nehmen Sie sich so viel Zeit wie möglich
Während in vielen anderen Ländern Wöchnerinnen mehr als einen Monat rundum bedient werden und die Krankenkassen oft die Kosten für den täglichen Besuch einer Hebamme übernehmen, kann eine Frau in den USA realistisch gesehen darauf hoffen, dass sie zu Hause ungefähr zwei Wochen lang Hilfe von der Familie bekommt. Ein Grund dafür könnte sein, dass viele Großmütter selbst noch arbeiten und nur zwei Wochen freinehmen können, um wegen eines neuen Enkelkindes auszuhelfen. Aber auch wenn die Großeltern oder andere hilfsbereite Familienmitglieder nicht zur Arbeit müssen, herrscht oftmals die Meinung vor, dass eine anständige Mutter wohl kaum länger als zwei Wochen Hilfe erwarten wird. Und doch reicht diese Zeit oft nicht aus, um sich körperlich von den Anstrengungen der Geburt zu erholen. So kann es zum Beispiel vier Wochen dauern, bis ein Dammschnitt oder ein mittelschwerer Dammriss heilt, und manche Frauen haben noch Monate nach der Geburt Schmerzen in diesem Bereich.
Sie können nicht wissen, wie Sie sich fühlen werden, wenn Sie das Krankenhaus verlassen, daher ist es das Beste, wenn Sie und Ihr Partner sich auf eine lange Erholungsphase einstellen. Dann sind Sie positiv überrascht, wenn Sie schnell wieder fit und auf den Beinen sind. Junge Eltern müssen den Mut haben, um die Hilfe zu bitten, die sie brauchen, und diese Hilfe auch so lange anzunehmen, wie sie sie benötigen – nicht nur für den Zeitraum, den die Gesellschaft ihnen zugesteht. Nehmen Sie jede Hilfe an, die Sie bekommen können – von allen Familienmitgliedern und Freunden, die Ihnen Unterstützung anbieten. Fragen Sie zunächst Ihre Favoriten – Ihre Mutter, Schwiegermutter und all jene, die Sie gerne haben und denen Sie vertrauen –, ob Sie bei Ihnen sein können. Bitten Sie sie, sich abzuwechseln, um den Zeitraum auszudehnen, in dem Ihnen zu Hause geholfen wird.
Natürlich kann es sich für einige Frauen auch wie ein Albtraum anhören, zwei Wochen unter ständiger Beobachtung ihrer Mutter oder Schwiegermutter zu verbringen. Und viele Frauen müssen früher wieder arbeiten, als sie möchten. Tatsächlich sind manche in der Lage, schon zwei Wochen nach der Geburt die Verantwortung im Job und in der Familie zu schultern. Auch das ist in Ordnung. Das Wichtige ist, dass Sie so viel Zeit für sich gewinnen, wie Sie können. Je mehr Sie von den häuslichen Pflichten befreit sind, desto flexibler können Sie die gewonnene Zeit nutzen. Lassen Sie sich nicht von gesellschaftlichen Erwartungen oder Druck von außen davon abhalten, das zu tun, was sich für Sie richtig anfühlt. Sich von anderen unter Druck setzen zu lassen, gefährdet Ihre Erholung und schmälert das Gefühl von Kompetenz und Ruhe, das gerade jetzt so wichtig ist. Auch wenn Sie keine drei Monate freinehmen können, scharen Sie alle Hilfstruppen um sich, die Sie versammeln können, und nehmen Sie alle Hilfsangebote an, um sich das Leben zu erleichtern und die erste Zeit mit Ihrem Neugeborenen so stressfrei und schön wie möglich zu gestalten.
Lassen Sie sich helfen
Wenn jemand zum Helfen zu Ihnen kommt, lassen Sie ihn auch helfen. Spielen Sie nicht die Gastgeberin. Wenn Ihre Schwester zum ersten Mal in der Stadt ist, entwerfen Sie keinen Sightseeingplan für sie und versprechen Sie auch nicht, ihr die Stadt zu zeigen. Konzentrieren Sie sich auf sich selbst, Ihren Partner, Ihre anderen Kinder und Ihr Baby und lassen Sie sich von nichts anderem aus der Ruhe bringen. Wenn es sein muss, erklären Sie Ihren Hilfsassistenten, wie Sie Ihren Haushalt normalerweise organisieren, aber machen Sie sich nichts daraus, wenn die Wäsche nicht genauso wie bei Ihnen in die Schränke geräumt wird. Das ist nicht das Ende der Welt. Sie können alles wieder dorthin zurücklegen, wo Sie es haben wollen, wenn Sie bereit sind, sich wieder der alltäglichen Welt zuzuwenden. Im Moment ist Ihre Familie Ihre Welt. Sie haben noch das ganze Leben Zeit, um die Wäsche auf Ihre Art und Weise zu ordnen.
Wenn Sie sich entschließen oder verpflichtet sind, schon bald wieder zu arbeiten, lassen Sie sich den Übergang von Familie und Freunden so leicht wie möglich machen. Auch wenn Sie Ihr Baby in die Tagespflege geben, können Ihre Familienmitglieder Ihr Zuhause sauber halten und für Sie einkaufen. Lassen Sie sie kochen, sodass weder Sie noch Ihr Partner sich Gedanken übers Einkaufen und die Zubereitung des Essens machen müssen. Auf diese Weise können Sie einfach nur Ihr Zusammensein genießen, sobald Sie nach Hause kommen. Wenn jemand sagt »Gib Bescheid, wenn du etwas brauchst«, reagieren Sie nicht nur mit einem Lächeln und einem Nicken – sagen Sie, was Sie brauchen! Sagen Sie, dass Sie es toll fänden, wenn jemand online einen Kalender einrichten würde, in dem Freunde, Nachbarn und Kollegen eintragen, wann sie Zeit fürs Kochen, für Kinderbetreuung, Fahrgemeinschaften oder Erledigungen haben. Nehmen Sie alles an, was Druck wegnimmt, während Sie sich erholen und sich auf die Bedürfnisse Ihrer neuen Familie einstellen.
Geben Sie die Nachtdienste ab
Wenn Familienmitglieder ihre Hilfe anbieten, gehen sie meist davon aus, tagsüber bei Ihnen zu Hause auszuhelfen oder auch Besorgungen zu machen. Wenige würden darauf kommen, Ihnen Ihr Baby nachts abzunehmen. Aber das sollten Ihre Helfer, und Sie sollten in Betracht ziehen, ein solches Angebot anzunehmen. Was jungen Eltern wirklich die Laune verderben und die ersten Tage mit einem Neugeborenen schwer machen kann, ist die Erschöpfung. Allerdings reagiert die Gesellschaft im Allgemeinen instinktiv ablehnend auf die Vorstellung, dass irgendjemand anders als die jungen Eltern – und vor allem die Mutter – nachts aufsteht, um das Baby zu füttern. 2014 rief ein in der Washington Post erschienener Artikel große Empörung hervor, in dem es um ein Paar ging, das sich an eine Agentur für Säuglingsschwestern gewandt hatte, um eine Hilfe für die Betreuung ihrer zu früh geborenen Zwillinge zu engagieren.35 Der Artikel erhielt bei Weitem mehr negative Kommentare als der gleichzeitig erschienene Bericht über ein junges Mädchen, das seine Jungfräulichkeit übers Internet verkaufte.
Eine solche Art von Empörung ist … empörend! Eine Nacht ruhig schlafen zu können, ist das Allerbeste für eine übermüdete, wunde und blutende Mutter. Ihr Baby bekommt den ganzen Tag lang Ihre volle Aufmerksamkeit, wäre es also nicht sinnvoll, eine enge Freundin oder Verwandte darum zu bitten, eine der nächtlichen Mahlzeiten zu übernehmen und Ihr Kleines zu füttern (mit Ihrer abgepumpten Milch, wenn Sie das möchten), damit Sie sechs Stunden durchschlafen können und am nächsten Tag erfrischt, entspannt und voller neuer Energie sind? Natürlich ist das sinnvoll! Das Problem ist, dass solch ein Akt der Selbsterhaltung voraussetzt, dass Mütter ihr Neugeborenes von jemand anderem mit einer Flasche füttern lassen. Und leider haben viele Mütter die von militanten Stillbefürwortern verbreitete Botschaft verinnerlicht, dass es ihre Verbindung mit dem Baby oder dessen Fähigkeiten zum Trinken an der Brust schwächt, wenn sie es von jemand anderem füttern lassen. Zudem befürchten sie, als egoistisch angesehen zu werden. Im sechsten Kapitel werde ich eingehend erläutern, warum es höchst unwahrscheinlich ist, dass Ersteres passiert. Und was den Vorwurf des Egoismus angeht: Wenn wir alle aufhören könnten, Frauen und insbesondere Mütter zu verurteilen und ihnen stattdessen mit Hilfsbereitschaft, Freundlichkeit und Mitgefühl zur Seite stünden, würden wir ihnen allein dadurch die Möglichkeit geben, bessere Entscheidungen für sich und ihre Familien zu treffen.
Holen Sie den Papa mit ins Boot
Auch wenn Sie nicht möchten, dass Familienmitglieder Ihr Baby nachts füttern, empfehle ich Müttern im Wochenbett dringend, sich von Ihren Partnern wenigstens eine Mahlzeit abnehmen zu lassen, am besten die letzte vor Mitternacht. Wenn ein ausschließlich gestilltes Baby schreit, hat der Vater keine andere Möglichkeit, als es der Mutter zu übergeben. Das kann dazu führen, dass er sich nutzlos und ausgeschlossen fühlt. Außerdem steht die Mutter sonst da, als sei sie als Einzige in der Lage, dem Baby Nahrung und Trost zu spenden, und das kann im Laufe der Jahre zu einer nur allzu bekannten Situation führen: Die Mutter organisiert alles – von der Essensvorbereitung über die Anmeldung im Ferienlager bis zu den Arztterminen; dem Vater bleibt eine Menge Freizeit und Flexibilität, die Mutter hat von beidem kaum noch etwas. Potenzieller Stress im Familienleben lässt sich zu einem Großteil vermeiden, wenn man schon frühzeitig darauf achtet, dass Vater und Mutter gleichmäßig einbezogen sind.
Viele Untersuchungen haben gezeigt, dass Väter, die ihre Babys füttern, schneller eine Bindung zu ihnen aufbauen, und dass diese Bindung stärker ist als bei Vätern, deren Partnerinnen sich allein darum kümmern. Und noch besser: Väter, die beim Füttern mit einbezogen werden, beteiligen sich auch aktiver am Haushalt. Das Ergebnis? Glücklichere, ausgeruhtere Mütter, fähigere, verlässlichere Väter und ein Baby, das weiß, dass es sicher und gut umsorgt ist, egal welches Elternteil es gerade betreut. Ein solches Zusammenspiel ist die ideale, stressfreie Ausgangsbasis jeder jungen Familie. Ob Sie lieber Milch abpumpen oder auf Muttermilchersatz zurückgreifen wollen, bleibt ganz Ihnen überlassen. Wichtig ist nur, dass Sie auch Ihrem Partner die Chance geben, dieses besondere Gefühl inniger Zweisamkeit mit seinem Kind zu erleben. Im Gegenzug erhält Ihr Baby die Möglichkeit, eine tiefe Verbindung zu ihm oder ihr herzustellen. Eine solche Regelung ist das Beste für Mütter, Väter, Kinder und Ehen.
Sie sind keine egoistische Mutter!
Vielleicht befürchten Sie, zu anspruchsvoll zu sein oder als verwöhnt zu gelten, wenn Sie die erste Zeit nach der Geburt Ihres Babys so einrichten, wie es in diesem Kapitel als wünschenswert beschrieben ist. Sie sind weder das eine noch das andere. Und – wenn Ihnen der Gedanke daran hilft – schließlich können Sie alle empfangenen Freundlichkeiten zurückgeben. Das sollten Sie sogar. Wenn Ihre Schwestern oder Freundinnen ein Kind bekommen, ermutigen Sie sie, ebenfalls um Hilfe zu bitten, und bieten Sie so viel wie möglich davon an. Je mehr Frauen es wagen, um die Hilfe zu bitten, die sie brauchen, anstatt nur das zu akzeptieren, was die Gesellschaft ihnen zugesteht, desto mehr werden Familien und Kinder in den kommenden Generationen davon profitieren.
Dafür zu sorgen, dass alle Familien mit Neugeborenen höhere Erwartungen haben dürfen, ist der erste vielversprechende Schritt, um die Familienkultur in unserem Land in die richtige Richtung zu lenken.
* Das heißt, solange man weder arm noch ohne Versicherung ist. In den meisten Fällen hängt die beunruhigende Kindersterblichkeitsrate in unserem Land mit Armut und geringer Bildung zusammen und beruht nicht auf der Anzahl der Babys, die die Geburt im Krankenhaus überleben, sondern auf der Anzahl der Babys, die ein paar Wochen nach ihrer Entlassung sterben.
** Befürworter einer Hausgeburt werden Statistiken zitieren, die zeigen, dass eine Entbindung zu Hause mit einer Hebamme genauso sicher, wenn nicht sicherer ist, als sein Baby im Krankenhaus zu bekommen. Das stimmt aber so einfach nicht. Wenn alles perfekt verläuft, ja, dann ist eine Hausgeburt eine großartige Möglichkeit, sein Baby zur Welt zu bringen. Aber ich habe zu viele vermeidbare Tragödien erlebt, die durch unerwartete Komplikationen bei einer Hausgeburt ausgelöst wurden. Manchmal ist die Tatsache, ob eine Geburt einen glücklichen oder einen tragischen Ausgang nimmt, abhängig von der Zeit, die man für die Fahrt ins Krankenhaus benötigt.