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Impressum

Playlist

Triggerwarnung

Vorwort

Gabriel

Alveros

Gabriel

Gabriel

Gabriel

Gabriel

Gabriel

Gabriel

Gabriel

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Alveros

Gabriel

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Alveros

Gabriel

Alveros

Gabriel

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Alveros

Gabriel

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Alveros

Gabriel

Alveros

Gabriel

Gabriel

Gabriel

Alveros

Alveros

Gabriel

Gabriel

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Alveros

Gabriel

Alveros

Gabriel

Epilog

Omegaverse Begriffserklärung

Danksagung

Über Jessica Graves

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Impressum

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die

Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über dnb.dnb.de abrufbar.

 

IMPRESSUM:

1. Auflage von August 2021

Copyright © Jessica Graves

 

Jessica Graves

c/o WirFinden.Es

Naß und Hellie GbR

Kirchgasse 19

65817 Eppstein

 

Alle Rechte vorbehalten.

Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer tung ist ohne Zustimmung der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für die ele ktronische und sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung, wozu auch die Verbreitung über »Tauschbörsen« zählt.

 

Buchsatz unter Verwendung von Shutterstock.de: 31450876 @sonia.eps

Covergestaltung: Catrin Sommer – rausch-gold.com

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macrovector - de.freepik.com

 

 

Playlist

 

Bad – Royal Deluxe

Wolf in Sheep’s Clothing – Set it Off, William Beckett

Despicable – grandson

Love Is a Bitch – Two Feet

Killer – Valerie Broussard

Flames (with ZAYN ) – ZAYN, R3HAB, Jungleboi

The Devil is a Gentleman – Merci Raines

Wonder – Shawn Mendes

Durch die Nacht – Mike Singer

Kiss of Fire – Hugh Laurie

Into the Shadows – VOLK, Greg Lehrmann, Ivan Howard

Run Devil Run – Girls' Generation

American Money – BORNS

Do Not Disturb – Halestorm

Fear & Delight – The Correspondents

hate u love u – Olivia O’brien

Ticking Bomb – Aloe Blacc

Give Me The Night – Joe Ghost

Put It On Me – Matt Maeson

I Fell In Love With The Devil – Avril Lavigne

I Think I Smell A Rat – The White Stripes

12345SEX – UPSAHL

Call You Mine – David Puentez feat. Nina Chuba

Go Fuck Yourself – Two Feet

Sacrifice – Black Atlass feat. Jessie Reyez

Save Tonight – Tom Speight, Lydia Clowes

ULTRAVIOLENT [andrenochrome] – Crywolf

The Kill – Thirty Seconds To Mars

Another One Bites The Dust – Hidden Citizens, JAXSON GAMBLE

 

Triggerwarnung

 

Liebe Leser,

»New York Devil« ist Gay Dark Mafia Romance im Omegaverse. Wie im Dark Romance Bereich üblich, werden Themen aufgegriffen, die den einen oder anderen Leser triggern könnten.

Bevor Sie zur nächsten Seite blättern, beachten Sie deshalb bitte die folgenden Themen:

· Beleidigung, Erniedrigung, Nötigung und Erpressung

· Explizite Beschreibung von körperlicher Gewalt
· Waffengebrauch und Verstümmelung

· Mord und Beschreibung von Leichen

· Panikattacken

· Drogenmissbrauch

· Freiwillige Prostitution, aber auch Menschenhandel und Versklavung

· Erwähnung von Glücksspiel

· Expliziter Sex (vorrangig gleichgeschlechtlich)

Lesen auf eigene Gefahr. Darüber hinaus ist das Buch für ein reifes Publikum ab 18 bestimmt. Von einem Verleihen, Verschenken oder Verkauf an Minderjährige rät die Autorin ausdrücklich ab.

Eine Erklärung des Omegaverse sowie der einzelnen Begriffe findet sich im Glossar am Ende des Buches.

 

Vorwort

 

Die Erde, fast so wie wir sie kennen

Nach einer erfolgreichen, friedlichen Revolution wird die Erde vom Präsidenten der Freien Neuen Welt und seinem getreuen Minister für internationale Sicherheit regiert, beides mächtige und einflussreiche Alphas, die eine langjährige Freundschaft verbindet. Dem Präsidenten unterstehen die Regierungschefs der einzelnen Länder, allesamt Alphas. Alphas regieren die Länder, Alphas führen Unternehmen, Alphas treffen Entscheidungen. Den Betas werden Aufgaben im mittleren Management zugetraut, während Omegas nach wie vor als schwaches Geschlecht angesehen werden. Von ihnen wird erwartet, die Kinder zu gebären und aufzuziehen.

Jene Omegas, die ihrer Natur entfliehen und nicht von Alphas auf ihre häuslichen und familiären Pflichten reduziert werden wollen, unterdrücken ihre Pheromone und die Hitzephasen mit Omega-Blockern. Sie werden von der Gesellschaft als Sonderlinge gesehen, denn es ist in den Köpfen der Menschen verankert, dass sie ihre ihnen zugewiesene Rolle glücklich und zufrieden erfüllen sollten.

Wenngleich die Revolution nicht vollkommen konfliktfrei geschah, setzt sich der Präsident doch für eine neue Gleichberechtigung ein, die diese Rollenbilder nach und nach auflöst. In weiten Teilen der Welt ist diese neue Vorstellung noch nicht angekommen. Vor allem in jenen Schichten, die sich den Gesetzen gern entziehen: Den gefährlichen Mafia-Clans, den Untergrundorganisationen und den Fürsten der organisierten Kriminalität. Menschenhandel und Prostitution stehen an der Tagesordnung. Omegas werden als Ware betrachtet.

Bis zu einer gleichberechtigten Welt ist es noch ein langer Weg.

 

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Gabriel

 

Die diesjährige Politikertagung der Freien Neuen Welt neigte sich dem Ende zu. Sie war ein voller Erfolg gewesen. Gabriel sah zu, wie sich der riesige Veranstaltungssaal leerte, und machte pflichtbewusst Notizen zu allem, was die Nachzügler mit dem Präsidenten besprachen. Ein ganzer Haufen war zurückgeblieben, um die Chance zu bekommen, mit dem Anführer ihrer Welt unter vier Augen zu sprechen.

»Entschuldigen Sie, dass ich Sie hier unterbrechen muss«, gebot ihnen Alaric Campbell in seiner charmanten, britischen Art Einhalt, die ihm letztlich die Wählerstimmen gesichert hatte. »Leider ist mein Terminplan heute sehr straff. Bitte klären Sie alles Weitere mit meinem Assistenten Fleming. Er wird Ihnen Ihre Fragen beantworten können.«

Die Alphas nickten und schauten ihm nach, während der Weltpräsident zum Ausgang des Saales ging. Eine Handvoll Sicherheitsleute schwirrte um ihn herum.

Tapfer sah Gabriel von seinem Klemmbrett auf, in die ungeduldigen Mienen der Alphas. Er straffte die Schultern, zauberte ein höfliches Lächeln auf sein Gesicht und nickte dem zu, der ihm am nächsten stand. Ein Politiker, der ihm vage vertraut vorkam und der ihn gleich mit Fragen zur künftigen Richtung in der Landwirtschaft löcherte. Gabriel gab Auskunft, so gut er konnte, versprach bei allem anderen, eine Rückmeldung vom Präsidenten einzuholen, und wandte sich dann dem Nächsten zu.

Gute zwanzig Minuten später war die Gruppe merklich geschrumpft. Nur drei weitere Männer waren noch mit ihm im Raum. Das machte Gabriel eigentlich nichts aus. Er war die Arbeit mit Alphas gewohnt und ließ sich davon nicht mehr so leicht verunsichern. Und doch kam er nicht umhin, zu bemerken, dass sich einer der Männer ein wenig abseits gegen einen Tisch gelehnt hatte und ihn während all der Zeit aufmerksam beobachtete. Gabriel ignorierte die Nervosität, die ihm im Nacken kribbelte, wann immer er einen unauffälligen Blick zu dem Fremden hinwarf und von dunklen Augen begrüßt wurde, die ihn unverwandt fixierten.

Schließlich gab sich auch der letzte Lobbyist mit seinen Antworten zufrieden und verschwand aus dem Raum - nur um Gabriel mit dem unbekannten Alpha allein zu lassen, der ihn noch immer musterte, als wollte er ihm bis auf den Grund seiner Seele sehen. Er war eine stattliche, respekteinflößende Erscheinung. Groß, breitschultrig und, soweit sein teurer, maßgeschneiderter Anzug die Vermutung zuließ, muskulös. Schwarzes Haar, braune Augen und geschwungene Lippen, die sich jetzt zu einem anrüchigen Schmunzeln verzogen. Gabriel schätzte ihn auf Mitte dreißig.

»Ein Jammer, dass Campbell so früh schon aufbrechen musste«, säuselte er mit unverkennbarem New Yorker Dialekt, stieß sich von der Tischkante ab und kam, die Hände in den Hosentaschen, auf Gabriel zu. Lauernd.

Tapfer widerstand Gabriel dem Drang, zurückzuweichen, und schenkte dem Amerikaner ein unverbindliches Lächeln. »Leider. Wenn Sie mit mir vorliebnehmen wollen?«

Das Grinsen des Fremden wurde noch teuflischer. Sein Blick wanderte unangemessen Gabriels Körper bis zu den Füßen hinab und dann wieder hinauf in sein Gesicht.

»Oh, ich nehme sehr gern mit Ihnen vorlieb.«

Gabriel schluckte gegen seine Nervosität an. Er fühlte sich wie auf dem Präsentierteller. Und er ahnte, was den ausschlaggebenden Punkt für diese plumpe Anmache bot: Das Gerücht, das seit einigen Wochen über ihn im Umlauf war. Campbell hatte ihm verboten, dem zu widersprechen.

Tapfer hielt er die professionelle Fassade aufrecht und sagte: »Wie kann ich Ihnen behilflich sein, Mr. …?«

»Greystone«, stellte sich der Alpha vor und in seinen Augen erschien ein Funkeln. »Alveros Greystone.«

Gabriel erschauderte ungewollt . Der Alveros Greystone? Berüchtigter Mafiaboss und zwielichtiger Geschäftsmann? Ihm gehörte ein Großteil der schmutzigeren Etablissements New Yorks.

Gabriel hatte nicht gewusst, dass er zu den Tagungen eingeladen worden war. Oder hatte er den Namen überlesen?

Während er sich noch räusperte und versuchte, sich nicht einschüchtern zu lassen, schlenderte Greystone näher.

»Mich beschäftigen schon seit Monaten einige Fragen«, schnurrte er in einem falschen nachdenklichen Ton, den ihm Gabriel nicht abkaufte, und lehnte sich gegen das Pult. »Ich hatte gehofft, dass man sie mir hier beantworten würde. Können Sie das? Sind Sie kompetent genug, mir Auskunft zu geben?« Er besah sich seine Fingernägel. »Denn sonst, fürchte ich, ist meine Zeit zu kostbar.«

Gabriels erster Schock flaute ab. Da war sie ja: die chronische Selbstüberschätzung der Alphas. Sie hielten sich alle für ach so wichtig. Am Ende des Tages mochte dieser Mann in seinem eigenen Umfeld Angst und Schrecken verbreiten, doch Gabriel arbeitete für den Präsidenten der Freien Neuen Welt persönlich und stand unter dessen Schutz. Er musste ihn nicht fürchten.

Ungerührt von der Machtdemonstration sah er den Mafioso an. »Wenn Sie mir erklären, um was es geht, werde ich es versuchen, Mr. Greystone«, sagte er sachlich. »Sollte Ihnen das nicht zusagen, hinterlassen Sie gern Ihre Kontaktdaten und ich werde ein Meeting mit Mr. Campbell arrangieren, sobald es sein Terminkalender zulässt.«

Was so viel bedeutete wie: in einigen Monaten. Vielleicht. Wenn Greystone Glück hatte.

Der Mann schenkte Gabriel ein falsches Lächeln. »Nun, es wird wohl so gehen«, sagte er gedehnt und setzte dann zu seiner ersten Frage an: »Nachdem dieser schreckliche Terroranschlag vor einigen Wochen einen Großteil meiner Immobilien zerstört hat, erwarte ich von der Regierung eine gewisse Entschädigung. Das verstehen Sie sicher. Schließlich dienen meine Geschäfte sowohl dem gemeinen Volk, das von ihnen unterhalten wird, als auch dem Staat. Sind solche Subventionen geplant?«

»Die Schäden werden von Versicherungen gedeckt, wenn ich mich nicht täusche«, antwortete Gabriel konzentriert. »Ihre Etablissements fallen, soweit mir bekannt, nicht unter die gemeinnützigen Organisationen. Sie stehen deshalb nicht auf dem geplanten Subventionierungsprogramm.«

Mr. Greystone hob amüsiert eine Augenbraue. Gut hörbar murmelte er: »Hübsch aber naiv.«

Kühl erwiderte Gabriel seinen Blick. Dieser Mann war nicht der erste Alpha, der versuchte, ihn mit einer versteckten Beleidigung herabzuwürdigen. Davon ließ er sich nicht provozieren. Genauso wenig davon, dass Mr. Greystone nun deutlich zu nah an ihn herantrat, sodass Gabriel zu ihm aufsehen musste, wenn er nicht direkt auf die breite Brust starren wollte. Den Kopf in den Nacken gelegt, bemerkte er an der Miene des Alphas, dass dieser sein flirtendes Gehabe gegen offene Arroganz eingetauscht hatte.

»Ich spreche nicht von den Gebäuden an sich«, sagte er schneidend, »sondern von der Rufschädigung. Einer der Anschläge ereignete sich in einem Viertel, in dem die meisten meiner Casinos stehen. Nach der Sache hatte ich kaum noch Gäste, weil sie den Ort meiden. Dass es nicht nur mir so geht, sondern es den gesamten Unterhaltungsbereich in New York betrifft, muss ich nicht betonen.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das Geld fehlt über kurz oder lang auch dem Staat. Und Sie wollen mir ernsthaft weismachen, dass eine Versicherung, die die Bauschäden erstattet, ausreicht, damit die Unternehmen nicht bankrottgehen und der Wirtschaftszweig einbricht.« Unwirsch wies er mit dem Kopf auf den Notizblock, den Gabriel in der Hand hielt. »Schreiben Sie es auf die Liste. Ich möchte dazu eine Stellungnahme des Präsidenten, wie er meint, damit umgehen zu wollen.«

Gabriel trat einen Schritt zurück und wagte es endlich, den Blick auf sein Klemmbrett zu senken. Er machte sich die Notiz. Seine Schultern waren angespannt. Schon lange hatte er sich nicht mehr so dermaßen in der Nähe eines Alphas unwohl gefühlt wie in diesem Augenblick mit Mr. Greystone. Das lag nur teilweise an seinem Ruf als berüchtigter Gangsterboss. Der andere Teil war eindeutig dem herablassenden Gebaren geschuldet. Er wollte das hier endlich hinter sich bringen.

»Ihre nächste Frage, Sir?« Gabriel sah auf. Als er bemerkte, dass Greystone abermals seinen Körper betrachtete, lief ihm ein unwohler Schauer über den Rücken.

Lässig verschränkte der Alpha die Arme vor der Brust und als seine Augen wieder bei Gabriels Gesicht ankamen, lächelte er kühl. »Ich hatte gehofft, mit dem Präsidenten ein Wort über den Handel von Omegas wechseln zu können. Wie Sie wissen, floriert der Schwarzmarkt. Ich habe mich gefragt, ob man sich meine Hilfe wünscht, um entsprechenden Handel zu unterbinden. Oder, was ich ebenfalls nachvollziehen könnte …« Er grinste dreckig. »… um ihn weiterzutreiben. Immerhin bezahlen eine Menge Leute viel Geld dafür. Es ist ein lukratives Geschäft, das sicher vielmehr in Mr. Grunewalds Zuständigkeitsbereich fällt und dennoch …« Sein widerwärtiges Lächeln wurde noch eine Spur verschlagender. »… wüsste ich gern eine Richtung, in der ich damit verfahren soll. Und was dabei für mich herausspringt.«

Gabriel starrte ihn an. Er war nicht so naiv, wie Greystone gern glauben wollte. Ihm war vollkommen klar – und Greystone ohne Frage ebenso – dass solche Themen nicht mit den Assistenten besprochen wurden. Schon gar nicht so direkt und plump. Dafür gab es im Zweifel noch immer einen Stabschef. Gabriel war nicht befugt, über so etwas zu reden.

Dass sich der Amerikaner darüber hinwegsetzte, konnte nur bedeuten, dass er auf etwas Bestimmtes abzielte. Er wollte ihn aufs Glatteis führen. Gabriel hatte gehofft, er würde endlich lockerlassen.

Eilig besann er sich eines verschlossenen Gesichtsausdrucks, notierte den Punkt scheinbar ungerührt auf seinem Notizblock und sagte: »Dazu kann ich Ihnen keine Auskunft geben. Ich werde Mr. Campbell das Thema vorlegen.« Er schaute zu dem Alpha auf. »Noch etwas?«

Greystone gab ein schnurrendes Brummen von sich, bei dem sich Gabriels Nackenhaare aufstellten.

»In der Tat.« In seinen Augen flammte wieder das Funkeln vom Anfang auf. Er trat an ihn heran, so nah, dass sich Gabriel zwingen musste, nicht zurückzuweichen. »Sie finden sicher bei solchen Tagungen wenig Zeit, sich die Städte anzusehen, in denen Sie sind. Hier in der Nähe gibt es ein Restaurant, das Ihnen sicher gefallen würde. Ich lade Sie ein.«

Gabriel wich seinem Blick aus. Eine Konfliktvermeidungstechnik, der sich sowohl Betas als auch Omegas bedienten, wenn ihnen ein Alpha gefährlich zu werden drohte.

»Ich weiß das Angebot zu schätzen, Sir«, log er höflich, um den Verbrecherfürsten nicht unnötig zu reizen. »Allerdings werde ich dafür keine Zeit finden. Die Planung der Tagung ist sehr zeitintensiv.« Zögernd schaute Gabriel auf, um die Reaktion des Alphas zu beobachten.

Dessen Blick versenkte sich so eindringlich in ihm, dass ihm der Atem stockte.

»Wie bedauerlich«, raunte er ihm zu, trat noch näher und beugte sich vor. »Dann vielleicht ein andermal?« Schmunzelnd sah er zu Gabriel herunter, der sich auf die Zunge biss.

Mr. Greystone verhielt sich unangemessen, ganz gleich, was er glaubte, was Gabriel war. Es bestand kein Zweifel mehr daran, dass er ihn für ein Omega hielt. Gabriel hätte es gern abgestritten. Hätte gern erklärt, dass dieses Gerücht aus Gründen in die Welt gesetzt worden war, die nichts mit ihm direkt zu tun hatten. Dass Campbell nicht wirklich ein Omega beschäftigte. Doch der Präsident hatte ihm verboten, es richtigzustellen und seinen öffentlichen Ruf reinzuwaschen. Es hatte einen Skandal gegeben, als man erfahren hatte, dass ein Omega die rechte Hand des Weltpräsidenten war. Aber das war im Vergleich zu den Informationen, die davon verschleiert worden waren, das kleinere Übel gewesen. Und Gabriel war zu loyal und wurde zu gut bezahlt, um sich darüber zu beklagen, dass das Gerücht sein Image schädigte.

Im Moment war es egal, ob er ein Omega oder ein Beta war. Denn eine Tatsache war unumstößlich: Mr. Greystone war unhöflich und Gabriel in der glücklichen Position, dass er sich solche Aufdringlichkeiten nicht gefallen lassen musste. Nicht einmal von einem berüchtigten Untergrundboss.

Also räusperte er sich und trat demonstrativ einen Schritt zurück. »Ich würde Sie bitten, unser Verhältnis professionell zu belassen, Mr. Greystone.«

Die Mundwinkel des Mannes zuckten. »Da ist kein weiteres Wort nötig.« Er ließ die verruchte Masche fallen, als würde er sich geschlagen geben.

Gabriel traute der gesamten Scharade nicht. Argwöhnisch behielt er ihn im Auge.

Doch Greystone neigte den Kopf, sagte: »Ich erwarte dann die Antworten in Kürze. Überbringen Sie Campbell meine Grüße«, und wandte sich zum Gehen.

Überrumpelt starrte ihm Gabriel hinterher. Fast war er positiv überrascht, dass sich Greystone zurückzog. Er hatte schon befürchtet, der Alpha mache sich rein gar nichts aus Anstandsregeln gegenüber Betas oder Omegas.

»Das werde ich«, behauptete er, den Blick auf das breite Kreuz des Mannes geheftet, der den Saal mit selbstsicherem, entspanntem Gang durchquerte, als gehörte ihm die Welt.

Gabriel atmete auf, als sich die Tür hinter dem Alpha schloss.

 

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Alveros

 

Wenn sich Alveros Greystone mit drei Worten selbst beschreiben sollte, dann wären es zweifellos die folgenden: ehrgeizig, gierig, skrupellos.

Er hatte es weit gebracht. Aber es ging immer noch weiter. Seit Campbell und Grunewald die Macht ergriffen hatten, florierten seine Geschäfte. Im Allgemeinen könnte er sich nicht beklagen.

Und doch gab es eine Sache, die er nicht hatte: einen nennenswerten Einfluss ganz oben. Das war ein Umstand, den er zeitnah zu ändern gedachte. Er wollte sich in einigen Bereichen die Unterstützung des Präsidenten sichern. In anderen konnte er selbst dienlich sein. Schließlich kontrollierte Alveros die größte Bande New Yorks und unterhielt gute Kontakte zu den schwächeren Untergrundclans. Das könnte Grunewald zugutekommen. Eine Hand wusch die andere.

Nur wie sollte er sein Anliegen vorbringen, wenn es schier unmöglich war, einen von beiden unter vier Augen abzupassen? Das war der einzige Grund gewesen, aus dem Alveros die Einladung zu den politischen Tagungen angenommen hatte, und bisher war er leer ausgegangen.

Während er in das neue Regierungsgebäude im Herzen New Yorks eintrat, knirschte er mit den Zähnen. Dass ihm am Nachmittag der Assistent vorgesetzt worden war und sich Campbell aus dem Staub gemacht hatte, stieß ihm noch immer sauer auf. Mit gleichgültiger Miene durchquerte er die pompöse Eingangshalle mit den großen Marmorsäulen und dem riesigen Banner, von dem der Präsident umringt von seinem Kabinett auf ihn herunter sah, und rief den Lift, der ihn zum Festsaal bringen würde. Alveros war sich noch nicht sicher, wie er sich Gabriel Fleming zunutze machen wollte. Sein Wunsch, ihn zu brechen, konkurrierte mit dem, ihn so lang zu bezirzen, bis er sich ihm freiwillig hingab.

Er wusste, dass viele Alphas nach einem gewissen Kodex lebten, nach dem sie sich gegenüber den schwächeren Geschlechtern höflich und respektvoll verhielten. Alveros’ Meinung nach war das töricht. Schließlich gab es Alphas nicht ohne Grund. Es hatte einen Sinn, dass die Natur dafür gesorgt hat, dass sie den Ton angaben. Er wüsste nicht, warum er gegen seine wahre Natur gehen sollte.

Der Omega-Assistent würde sich nicht wehren können, wenn Alveros etwas versuchte, das wusste er. Das Einzige, was ihn davon abhielt, sich vollends aufzudrängen, war das Wissen darum, dass ein anderer Alpha schützend hinter ihm stand, metaphorisch gesprochen. Und wenn er auch nicht an ihn gebunden war – zumindest gab es darübe r keine Gerüchte – war es doch mit Vorsicht zu genießen.

Für Alveros bestand kein Zweifel daran, dass Fleming ein Omega war. Er hatte während ihres Gespräches nicht gemerkt, dass ihn Alveros ganz bewusst provoziert hatte. Das, was ihm die Körpersprache des Assistenten verraten hatte, war eindeutiger gewesen, als jedes wahre oder erlogene Gerücht werden konnte.

Als sich die Türen des Lifts wieder öffneten, wurde Alveros von gedämpfter Musik und Stimmengewirr empfangen, das darauf hindeutete, dass die abendliche Abschlussfeier bereits in vollem Gange war. Sie war der letzte Punkt auf einer langen Agenda verschiedener Tagungsveranstaltungen, wovon Alveros den meisten beigewohnt hatte. Würde er nicht seine letzte Chance auf ein Gespräch mit dem Präsidenten wittern, hätte er den Abend für Zeitverschwendung gehalten.

So nahm er beim Eintreten ein Glas Champagner von einem Silbertablett und trat in den Festsaal ein, der angemessen hergerichtet worden war. Edle aber zurückhaltende Dekoration, Häppchen auf langen Tischen, eine Live Band in einer der Ecken. Es wurde getanzt, geredet und Kontakte wurden geknüpft. Das hier war das wahre politische Parkett.

Suchend ging sein Blick durch die Menge. Er konnte den Präsidenten nirgends entdecken. Natürlich nicht. Sicher war er mit jemandem in ein wichtiges Gespräch vertieft. Alveros seufzte, nickte einigen vertrauten Gesichtern zu und drehte eine kleine Runde. Er fand die Bar und stellte den halbleeren Champagner dort ab, um sich einen Ardor-Met zu bestellen. Ein Getränk, das sich in den letzten Monaten einer stetig wachsenden Begeisterung erfreut hat. Es würde ihm heute Abend ohne Zweifel gute Dienste leisten.

Wachsamen Auges nahm Alveros seinen Weg durch die Menge wieder auf.

Endlich machte er Campbells hochgewachsene, elegante Gestalt aus, in einen maßgeschneiderten, purpurfarbenen Anzug gehüllt, mit dem allein er schon aus der Masse hervorstach. Er war im Gespräch mit einem Senator. Unangenehm berührt verzog Alveros den Mund. Der Senator war einer von denen, die ihn nicht sonderlich mochten. Sich jetzt dazu zu stellen, wäre schlechtes Timing. Während er an seinem Drink nippte, blieb sein Blick an der zierlichen, schwarzhaarigen und bebrillten Gestalt von Gabriel Fleming hängen, der in einiger Entfernung am Rand des Saales stand und eben mit einem von Campbells Stabschefs die Köpfe zusammensteckte.

Schmunzelnd beschloss Alveros, seine Aufwartung zu machen. Er ging in langsamen, gemessenen Schritten auf sie zu, beobachtete, wie sich der Stabschef abwandte, und überwand noch die letzten Meter. Dann blieb er neben Fleming stehen, ebenfalls mit dem Rücken zur Wand und sich den Anschein gebend, das Geschehen interessiert zu verfolgen.

»Gibt es auch Zeiten, in denen Sie nicht arbeiten?«, fragte er amüsiert.

Der Assistent straffte die Schultern. »Ab und an gibt es die. Guten Abend, Mr. Greystone.«

»Guten Abend«, sagte Alveros und warf ihm einen Seitenblick zu. Er schenkte Fleming ein charmantes Lächeln, als er bemerkte, dass dieser ihn ansah, und setzte mit samtiger Stimme hinzu: »Gabriel.«

Zufrieden beobachtete er, wie die höfliche Miene des Assistenten verrutschte, als er versuchte, seine Abneigung zu verstecken. Alveros war vermessen und er wusste es.

»Ich hoffe, Sie genießen die Veranstaltung?«, fragte Fleming verkniffen und rückte seine Brille zurecht.

»Sicher.« Alveros trank einen Schluck seines Mets. Er spähte durch die Menge und schaute dann zu ihm zurück, einen reuevollen Ausdruck im Gesicht. »Ich weiß, dass mein erster Eindruck nicht gerade für mich sprach. Ehrlicherweise muss ich gestehen, dass ich frustriert darüber war, nicht mit Mr. Campbell persönlich sprechen zu können. Das hat mich… meinen Anstand vergessen lassen. Dafür möchte ich mich entschuldigen.«

Professionell, wie Fleming war, schüttelte er eilig den Kopf. »Es gibt nichts zu entschuldigen, Mr. Greystone.«

Alveros lachte wohlwollend. »Sie sind sehr höflich. Aber ich fürchte, ich kann mich heute nicht guten Gewissens schlafen legen, wenn ich nicht wenigstens eine Geste der Wiedergutmachung gezeigt habe. Lassen Sie mich Ihnen einen Drink bringen.« Er wies zur Bar. »Sie leisten hier großartige Arbeit, da haben Sie sich eine kleine Stärkung verdient.«

Der junge Assistent zögerte sichtlich.

Alveros schenkte ihm ein reuevolles Lächeln. »Bitte lehnen Sie nicht ab. Mir würde es viel bedeuten.«

Das genügte als Köder.

»Ein Drink wäre wohl machbar«, lenkte Fleming ein.

Alveros legte dankbare Erleichterung in seine Miene. »Wunderbar«, sagte er freundlich und hielt sein Glas hoch. »Ich bringe Ihnen einen meiner Lieblingsdrinks.«

Damit drehte er sich um, ging zur Bar, bestellte einen weiteren Ardor-Met und reichte ihn bei seiner Rückkehr an Fleming weiter. Dieses Mal achtete er darauf, angemessenen Abstand zu wahren. Und nachdem sich Flemings Finger darum geschlossen hatten, hielt ihm Alveros sein eigenes Glas entgegen.

»Auf einen angenehmen Abend.«

Der Assistent stieß mit ihm an. »Auf einen angenehmen Abend.« Er nippte an dem Drink.

Alveros neigte in der Andeutung einer Verbeugung den Kopf, wandte sich auf dem Absatz um und entfernte sich. Es war kein weiteres Wort nötig. Manche Dinge mussten erst eine Weile ziehen. Wie Tee.

Er war gerade ein paar Schritte in den Saal hinein gegangen, an Würdenträgern, Politikern, Lobbyisten und anderen Persönlichkeiten mit Rang und Namen vorbei, als sich ihm ein stämmiger Mann in den Weg stellte.

»Greystone!«, rief er und sein massiger Körper, an dem die Knöpfe seiner Weste gefährlich spannten, setzte sich in seine Richtung in Bewegung.

»Clark«, grüßte ihn Alveros und stieß an, als ihm der Mittfünfziger sein Glas entgegenhielt. Er war einer der kleineren Fische im großen Teich der amerikanischen Unternehmer. Ihm gehörte eine Restaurantkette, die über das ganze Land verteilt war.

»Ardor-Met?« Mit einem wissenden Blick und breitem Grinsen schüttelte Clark den Kopf. »Greystone, Greystone, was hecken Sie nur wieder aus?«

Anstatt darauf einzugehen, nippte Alveros an dem blutroten Getränk und fragte: »Wie läuft das Geschäft?«

»Sie kennen das. Man hat immer zu tun.« Clark winkte ab. »Und selbst?«

»Kann nicht klagen.« Alveros ließ den Blick durch die Menge schweifen.

»Ich bin in Ihrem Hotel an der Upper East Side untergekommen«, drang Clarks voluminöse Stimme erneut an sein Ohr, als wollte er sich Alveros’ Aufmerksamkeit sichern. »Eine entzückende kleine Absteige.«

Alveros schenkte ihm ein gefährliches Grinsen, das seine Eckzähne entblößte. »Von welchem meiner Fünf-Sterne-Hotels sprechen Sie?«

Davon ließ sich Clark nicht einschüchtern. Er hob sich gern nach oben, indem er andere hinunterdrückte. Nun reagierte er auf Alveros’ offensichtliche Drohgebärde mit durchgestreckter Brust und sagte mit einem liebenswürdigen Lächeln, das die Geringschätzigkeit nicht aus seiner Stimme vertreiben konnte: »Das Luxuria. Eines der älteren, zweifelsohne. Der Putz ist schon ein wenig bröckelig und ich könnte schwören, dass ich Schimmel im Bad gesehen habe.« Er machte ein bedauerndes Gesicht. »Ein Jammer, dass man immer in Renovierungen investieren muss, nicht wahr? Die Instandhaltung frisst einem die Haare vom Kopf.«

Das falsche Wohlwollen, mit dem er lachte, führte dazu, dass Alveros sein Glas fester fasste. Scheinbar ungerührt nippte er an seinem Getränk. »Sie haben eine der Suiten, nehme ich an?«

»Nun.« Clark rümpfte die Nase. »Nennen wir es eine Suite.«

Seine offenkundige Despektierlichkeit stieß Alveros sauer auf, doch er mahnte sich zur Beherrschung. Clark war kein Gegner für ihn. Er gab sich weltgewandt und versuchte ständig, bei den großen Jungs mitzuspielen, ohne dass es ihm je gelungen wäre.

»Dennoch ein nettes Hotel«, sagte er eben. »Sie haben nicht zufällig Interesse daran, es zu verkaufen? Ein Freund von mir denkt darüber nach, seine Hotelkette zu erweitern. Sicher würde er Ihnen einen fairen Preis für …«

»Ich verkaufe nicht«, unterbrach ihn Alveros schneidend. Jetzt begriff er, wieso es der Mann darauf abgesehen hatte, den Wert mit seinen Worten zu schmälern. Eine stümperhafte List.

Clark lachte bellend. »Ich bitte Sie!« Er klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. »Von Hotels allein kann man nicht leben!«

Das ließ Alveros innehalten. Er fixierte ihn über den Rand seines Glases hinweg. Von Alphas, denen er nicht vertraute, ließ er sich nicht berühren. Schon gar nicht auf eine herabwürdigende Art, die ihn kleinhalten sollte. Das war eine versteckte Herausforderung. In jedem Fall war Alveros bereit, es für eine zu halten.

»Nehmen Sie Ihre fettigen Finger von mir«, zischte er eisig, »oder ich sorge dafür, dass Sie bald keine mehr haben.«

Clarks Hand ließ ihn los, als hätte er sich verbrannt. Sein nächstes Lachen klang beschämt. Interessiert sah ihm Alveros beim Schwitzen zu. Es war schwer zu sagen, ob es an ihrer Unterhaltung lag, da Clarks Gesicht von zu viel Fast Food, Alkohol und anderen Lastern ohnehin rot und aufgedunsen war.

»M-Mr. Greystone, so war das doch nicht gemeint«, ruderte er zurück. Er schnappte sichtlich nach Luft. »Ich weiß natürlich, dass Sie noch weitere … also … weitere Einrichtungen …«

»Fahren Sie fort.« Alveros’ Blick nagelte den Geschäftsmann fest, der sich vor ihm wand. »Ich biete meinen Gästen alle möglichen Formen von Annehmlichkeiten. Wollten Sie das sagen?«

Clark nickte eilig und trank einen großen Schluck. »Richtig, richtig.« Auf seiner Stirn hatten sich Schweißperlen gebildet.

Geringschätzig fragte sich Alveros, ob Clark tatsächlich vergessen hatte, mit wem er sprach. »Ich verkaufe nicht«, wiederholte er und setzte dann in einem tiefen Knurren hinzu: »Niemals.«

Clark schluckte schwer und nickte. Er lachte beschämt. »Fragen kostet nichts.«

In falscher Liebenswürdigkeit lächelte ihn Alveros an. Dabei starrte er Clark so lang an, bis dieser den Blick senkte. Das war Alveros nicht genug. In sanftem Ton wechselte er das Thema: »Wie geht es Ihrer Frau und den Kindern?«

Es gab keinen Grund, Clark zu drohen. Aber Alveros schätzte es nicht, wenn jemand respektlos von seinem Besitz sprach.

Als wollte er ihn lockern, zog Clark mit einem Finger an seinem Kragen.

Es bereitete Alveros ein kriminelles Vergnügen, ihn in eine Ecke zu treiben. »Wie alt ist Ihre bezaubernde Omega-Tochter noch gleich? Vierzehn, wenn ich mich recht entsinne?«

Clarks Augen weiteten sich.

Als würden sie über ein belangloses Thema wie das Wetter sprechen, betrachtete Alveros seine Fingernägel. »Alt genug, um sich ihren Unterhalt selbst zu verdienen, nicht wahr?« Als er wieder aufsah, tat er es mit bösen, vielsagenden Grinsen. »Ich bin sicher, dass sie sich sehr wohlfühlen würde in einem meiner … Etablissements.«

Clarks rotes Gesicht wurde auf einen Schlag aschfahl. »Das … das wagen Sie nicht!«, keuchte er und sah sich hilfesuchend nach links und rechts um. Doch niemand lauschte ihrem Gespräch. Sie waren alle mit ihren eigenen kleinen Unterhaltungen beschäftigt.

Alveros trat an Clark heran. Nah genug, dass er beinahe den geblähten Bauch berührte. »Benehmen Sie sich, mein lieber Wilfried«, schnarrte er leise, »dann tue ich es auch. Sie wollen mich nicht zum Feind haben.«

»N-nein.« Clark schüttelte eilig den Kopf. »Nein, das … Sie müssen verstehen, Mr Greystone, ich …«

Alveros wandte sich ab. Er hatte kein Interesse daran, seine Zeit mit weiterem Gestammel zu vergeuden. »Genießen Sie Ihren Aufenthalt in meiner kleinen Absteige

Clarks Blick folgte ihm durch die Menge, das wusste er. Doch es kümmerte ihn nicht. Alveros war nicht für seine Gutmütigkeit bekannt. Nun, da sich Clark die Finger an ihm verbrannt hatte, würde er es sich zweimal überlegen, ob er ihn in Zukunft herausforderte. Anders als der mäßig erfolgreiche Geschäftsmann hatte er keine Schwächen, die ihn angreifbar machten. Clark würde immer den Kürzeren ziehen.

Alveros gesellte sich zu zwei Senatorinnen, die ihn, als sie ihn entdeckten, bereits näher winkten. Geschäftspartnerinnen im weitesten Sinne. Er schmierte die beiden Alpha-Damen regelmäßig und schickte ihnen gelegentlich den einen oder anderen hübschen Omega vorbei, der in ihr Beuteschema passte. Dafür sprachen sie sich bei relevanten Themen in seinem Interesse aus. Der Smalltalk mit ihnen war weit angenehmer als jener mit dem fischigen, fettigen Mr. Clark.

Alveros nutzte solche Events gern, um seine Beziehungen aufrecht zu erhalten. Trotzdem hatte er sein eigentliches Ziel nicht aus den Augen verloren: Campbell. Der war offensichtlich schrecklich gefragt.

Auch bei einigen weiteren Anläufen gelang es Alveros nicht, ihn zu sprechen. Stets war der Präsident von einem Schwarm Speichellecker und Arschkriecher umgeben, von denen einige zu sehr mit Alveros auf Kriegsfuß standen, als dass er sich näher heranwagte. Sein erster direkter Eindruck bei Campbell sollte nicht durch Rufmord und Anfeindungen geschwächt werden. Er wollte ihm so positiv wie möglich im Gedächtnis bleiben. Aber solange sie alle um den Mann herumschwänzelten, hatte er keine Chance.

Allmählich frustrierte ihn der Umstand. Alveros musste einsehen, dass er einem Gespräch mit dem Präsidenten innerhalb der letzten Tage am nächsten gekommen war, als er den Kontakt zu seinem Assistenten gesucht hatte. Die Stabschefs waren kaum zu fassen zu bekommen und Campbell selbst zu erwischen, war unmöglich. Dass ihm dermaßen die Hände gebunden waren, war Alveros nicht gewohnt.

Zähneknirschend stellte er sich an die Bar, bestellte noch einmal zwei Ardor-Met und ging dann dorthin zurück, wo er Gabriel Fleming vor gut einer Stunde zurückgelassen hatte.

Der junge Mann machte sich beflissen Notizen auf seinem Klemmbrett, während er parallel durch sein Smartphone scrollte. Ein Multitasking-Talent. Bemerkenswert und wie zu erwarten von demjenigen, der für den Terminkalender des Präsidenten zuständig war.

Alveros hielt ihm ein Glas Ardor-Met unter die Nase. »Sie arbeiten hart und gewissenhaft«, stellte er in aufrichtiger Anerkennung fest. So etwas wusste er zu würdigen. »Das ist selten.«

Sein Lob entlockte Fleming das erste echte Lächeln. »Wie es sich für einen Assistenten des Präsidenten gehört.« Er nahm das Glas an.

»In der Tat«, sagte Alveros ernst, ehe er an seinem eigenen Drink nippte. »Er tat gut daran, Sie in seine Dienste zu stellen. Loyalität und Eifer sind so weit oben Gold wert.«

Noch immer achtete er darauf, nicht zu nah an Fleming heranzutreten, blieb zwei Meter von ihm entfernt stehen, schaute in die Gästeschar und seufzte schwer.

»Sie hatten bisher kein Glück?«, fragte der Assistent in, wie es schien, aufrichtigem Interesse.

Alveros verbarg seinen Frust hinter einer Fassade der Distanz. »Wenn ich bereits mit ihm gesprochen hätte, wüssten Sie es zuerst.« Er sah zu Fleming zurück und sein nächstes Lächeln wurde eine Spur spöttisch. »Ich bin sicher, er hat seine Gründe dafür, mir so offensichtlich aus dem Weg zu gehen.« Mittlerweile konnte er es nicht mehr leugnen. Es kratzte an seinem Ego. Nicht nur weil er ein erfolgreicher Geschäftsmann war. Darüber hinaus war es aus seiner Sicht recht unvorsichtig, den Untergrund zu ignorieren. Und wenn es um New York ging, eine der am dichtesten besiedelten Städte Amerikas, dann war ER der Untergrund.

Die Unterstellung stieß auf Überraschung.

»Ich bin sicher, dass Mr. Campbell Sie nicht absichtlich meidet, Mr. Greystone.« Fleming klang aufrichtig.

Alveros nickte nur. Er trank seinen Met und spähte zu dem Glas des Assistenten, das sich ebenso rasch leerte. »Wenigstens habe ich Sie für einen neuen Drink begeistern können.« Schmunzelnd wies er mit dem Kopf zur Bar, ehe er sein eigenes leeres Glas höher hielt. »Wollen Sie auch noch einen?«

Abwehrend hob Fleming die Hand. »Ich denke, ich hatte genug.«

Mit enttäuschter Miene sagte Alveros: »Wie schade. Allerdings kann ich nicht von Ihnen erwarten, dass Sie mich den ganzen Abend unterhalten. Verzeihen Sie, ich halte Sie von der Arbeit ab.« Er schenkte ihm ein entschuldigendes Lächeln. »Sollten Sie es sich anders überlegen: Der Drink heißt Ardor-Met . «

Und mit dieser Information drehte er dem Assistenten den Rücken zu, ging zur Bar, bestellte sich einen Whiskey und schlenderte dann den Saal entlang. Gemächlich, als wäre er in Gedanken versunken. An einem Punkt, von dem er wusste, dass Fleming ihn noch sehen würde, blieb er am Rand stehen und spähte gedankenverloren in die Menge. Wenn Campbells Assistent tatsächlich ein Omega war, würde seine Aufmerksamkeit ihm folgen. Allein schon aus dem natürlichen Instinkt heraus, Alphas im Auge zu behalten, die früher oder später ihr Interesse bekundet hatten.

Alveros nahm sich Zeit. Plauderte mit einer Dame, die er flüchtig kannte – eine Bordellinhaberin, die offiziell eine Massagestudio-Kette betrieb und unter seinem Schutz stand – und schlenderte dann zum Balkon hinaus.

Ein eisiger Wind empfing ihn hier, so hoch über New York. Das kam ihm gerade recht. Alveros konnte zwar von sich behaupten, einiges zu vertragen, dennoch war ihm im Festsaal allmählich warm geworden. Er nippte an seinem Whiskey. Der süße Geschmack des Ardor-Mets war für ihn auf Dauer nicht auszuhalten gewesen. Er hatte ihn viel zu lang hinnehmen müssen, um an sein Ziel zu gelangen. Das letzte Eisen in seinem sorgsam gelegten Feuer. Nun sah er auf seine Rolex. Zehn Minuten, schätzte er, maximal fünfzehn.

 

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Gabriel

 

Gabriel beobachtete Mr. Greystone verstohlen dabei, wie dieser auf der anderen Seite des Saales mit jemandem plauderte. Jedes Mal, nachdem er ihm ein Getränk gebracht hatte, ignorierte er Gabriel im Anschluss. Das irritierte ihn.

Heute Nachmittag war er sich sicher gewesen, dass der Alpha auf die eine oder andere Art Interesse an ihm gehabt hatte. Doch das wollte nicht zu seinem jetzigen Verhalten passen. Dieses Annähern, nur um sich dann wieder zurückzuziehen, als hätte er es sich anders überlegt. War er tatsächlich nur höflich und voll Reue? Gabriel traute ihm mehr zu als das. Der Mafiaboss war berüchtigt und nichts an dem, was er sagte oder tat, durfte für bare Münze genommen werden.

Aber da war etwas an ihm. Etwas daran, wie er Gabriel am Nachmittag angesehen hatte. Wie er mit ihm gesprochen und ihn behandelt hatte. Es war schon eine Weile her, dass sich Gabriel das letzte Mal der Aufmerksamkeit eines Alphas sicher gewesen war, auf mehr als nur der professionellen Ebene. So unerwünscht es auch gewesen war, er musste zugeben, dass Mr. Greystone Eindruck hinterlassen hatte.

Ihm zuzusehen, wie er zum Balkon schritt und damit immer mehr Abstand zwischen sie brachte, löste ein Ziehen in Gabriels Brust aus, von dem er sich wünschte, es ignorieren zu können. Es reizte ihn, den fremden Alpha näher kennen zu lernen.

Das war gefährlich. Greystone war nicht irgendein Alpha. Er beherrschte den New Yorker Untergrund – mit eiserner Hand, wenn man den Gerüchten glauben durfte. An seiner Weste klebte so viel Blut, dass sie sich nicht mehr reinwaschen ließ. Alles an ihm schrie Gefahr und Risiko. Das war das Gegenteil von dem, was Gabriel wollte.

Besser wäre es, er käme ihm nicht zu nahe.

Keine fünfzehn Minuten später öffnete Gabriel die Tür zum Balkon und trat hinaus. Er hatte sich auf dem Weg hierher seinen dritten Ardor-Met bestellt. Der Alkohol trug vermutlich eine Mitschuld daran, dass er der Versuchung nachgegeben hatte. Er nippte an dem Drink, dessen süßlicher Geschmack ihm besser gefiel, als er anfangs zugegeben hätte, und trat in höflichem Abstand an die Balustrade heran, neben den Alpha, der den Blick über die Stadt schweifen ließ. Greystone zeigte mit keiner Geste, dass er Gabriels Erscheinen wahrgenommen hatte. Er nippte an einem goldgelben Getränk, in dem ein Eiswürfel schwamm. Gabriel vermutete Whiskey.

»Genug von Ihrem Lieblingsdrink?«

Der Mafiaboss beehrte ihn mit einem Seitenblick. Seine Augen wanderten zu dem Glas in Gabriels Hand. Auf seinen Lippen erschien ein Lächeln, während er sich von der Aussicht abwandte, sich zu ihm umdrehte und sich mit dem Rücken gegen das Geländer lehnte.

Die Bewegung brachte sein Kreuz so gekonnt zur Geltung, dass Gabriel nicht verhindern konnte, dass seine Aufmerksamkeit eine Spur länger an den breiten Schultern hängenblieb.

Mit seiner Antwort ließ sich Greystone sichtlich Zeit. Bedächtig musterte er ihn, wie er es heute Nachmittag schon getan hatte.

Ein Kribbeln durchlief Gabriels Körper.

»Ardor-Met war nie meine erste Wahl«, schnurrte Greystone. Sein Lächeln war diebisch geworden. Er hielt die Nase in den Wind und atmete tief ein. Dann seufzte er genießend. Das Grinsen wurde breiter. »Aber es hilft ungemein dabei, pikante Geheimnisse aufzudecken.« Er zwinkerte Gabriel zu, der ungläubig die Augenbrauen hob.

»So?«, fragte er skeptisch. »Welche Art von Geheimnissen?«

Das brachte ihm ein samtiges Lachen des Alphas ein. Der stieß sich vom Geländer ab und trat langsam an ihn heran, pirschte sich an, wie auf der Lauer. Gabriels Augen weiteten sich, als der Mafioso erneut die höfliche Distanz überschritt und sich zu seinem Ohr herunterbeugte.

»Die süßesten, unschuldigsten und verführerischsten«, säuselte er in tiefer, buttriger Tonlage.

Gabriels Nackenhaare stellten sich auf. Er bekam eine Gänsehaut. Zugleich stieg ihm der Duft des Alphas in die Nase, deutlicher als noch heute Nachmittag. Er war nicht unangenehm, im Gegenteil. Da, wo ihm andere Alpha-Gerüche sauer aufstießen und Gabriel zwangen, Abstand zu suchen, wollte ihn der betörende Duft des Verbrecherfürsten einlullen. Ihm den Verstand benebeln. Instinktiv hielt Gabriel den Atem an.

»Dafür, Ihnen solche Geheimnisse zu verraten, habe ich leider noch nicht genug intus, Mr. Greystone«, sagte er und gab sich Mühe, unbeeindruckt zu klingen. Die wachsende Nervosität hatte seine Stimme beben lassen. Er trat einen Schritt zurück.

Der Mann lachte nur. Rau und tief, wie die Glut eines Holzscheites. Nicht so heiß, dass man sich direkt daran verbrannte, aber mit dem Versprechen, dass es über kurz oder lang so weit käme, wenn man keinen Abstand suchte. Die angenehme Wärme, mit der es lockte, war trügerisch. Eine Farce.

»Du hast sie mir schon verraten, Gabriel«, erwiderte er samtig, lehnte sich wieder gegen das Geländer und nippte an seinem Drink. »Du hast mir alles verraten, was ich wissen muss.« Mr. Greystone ließ ihn nicht aus den Augen. Sein Blick brannte sich förmlich in ihn.

Erneut spürte Gabriel dieses Ziehen in seiner Brust, jetzt noch deutlicher als zuvor. Etwas wollte ihn näherlocken, hin zu der gefährlichen Versuchung. Vielleicht war es die Vertrautheit, mit der Mr. Greystone seinen Namen aussprach. Der Ausdruck in seinen Augen, während er ihn fixierte.

Gabriels Alarmglocken schrillten lauter, als er der Verlockung nachgeben wollte. Also trat er stattdessen zurück. Hin zur Tür, die in den Festsaal führte.

»Ich sollte wieder reingehen«, verkündete er und legte alle Entspannung in seine Worte, die er aufbringen konnte. »Bevor man mich sucht.«

Langsam und bedacht machte er einen weiteren Schritt darauf zu. Unter keinen Umständen durfte es so wirken, als wollte er flüchten. Eine hastige Bewegung konnte den Jagdinstinkt eines Alphas auslösen.

»An deiner Stelle würde ich da jetzt nicht rein gehen«, warnte ihn der Mafiaboss schmunzelnd. »Deine Omega-Blocker haben den Geist aufgegeben. Du sendest Pheromone aus. Und neunzig Prozent der anwesenden Gäste sind Alphas. Willst du wirklich geradewegs ins Haifischbecken laufen?« Er legte den Kopf schief. »Oder stimmen die Gerüchte und du bist Campbells Omega? In dem Fall wirst du wohl direkt zu ihm eilen, nicht wahr?«

Gabriel verharrte, wo er war, und starrte ihn an. Das konnte nicht sein. Seine Blocker waren sehr zuverlässig. Sicher bluffte Greystone nur. Andererseits würde das die wachsende Anziehung erklären, die dieser Mann auf ihn hatte. Besonders jene, die seine Stimme und der Duft auf ihn ausübten.

Gabriel schluckte. Ihm schwante Übles. Er starrte auf sein halbleeres Glas herunter. Greystone hatte gesagt, er hätte Ardor-Met genutzt. Das versetzte ihm einen herben Schlag in die Magengrube.

Fassungslos sah er den Alpha an. »Was haben Sie mir untergemischt?«

In einer Geste der Unschuld hob Greystone die Augenbrauen und die Hände. »Ich habe nichts reingetan«, versicherte er, hielt die Miene einen Moment aufrecht und konnte dann doch nicht anders, als teuflisch zu grinsen. »Aber Ardor-Met besteht aus Honigwein, Cranberrysaft und einem ordentlichen Schuss Kornelkirsch-Essenz. Ungefährlich für den menschlichen Körper, allerdings enthält die Essenz einen Stoff, der die Wirkung von Omega-Blockern außer Kraft setzt.« Er schlenderte in langsamen, geschmeidigen Schritten näher. Raubtierhaft.

Gabriel wich weiter zurück.

»Ich kann dir helfen«, bot ihm Greystone freundlich an. Es konnte das lauernde Funkeln in seinen Augen nicht verschleiern. »Für ein kleines Entgegenkommen deinerseits.«

Verdammter Mistkerl !, war das Erste, was Gabriel durch den Kopf schoss. Er vermutete, dass ihm weder die Hilfe , noch das kleine Entgegenkommen sonderlich gefallen würden.

»Und wie sieht Ihre großzügige Hilfe aus?«, fragte er pikiert. In Gedanken sah er sich bereits die Flucht ergreifen.

»Ich überdecke deinen Geruch mit meinem eigenen«, bot der Alpha an, so gleichmütig, als würde er über das Wetter sprechen. Er trank noch einen Schluck Whiskey. »So kannst du zur Veranstaltung zurückkehren, ohne dass jemand von deiner wahren Natur erfährt.«

Gabriel biss die Zähne zusammen. Sein innerer Omega schnurrte bei der Vorstellung wohlig, aber die Seite an ihm, die seit Jahren dafür kämpfte, von angeborenen Trieben und Instinkten unabhängig zu sein, erschauderte. Er war wütend, dass ihn der Alpha in diese Lage gebracht hatte. Entrüstet darüber, wie sein Körper auf den Geruch des Mannes reagierte. Am liebsten wollte er Gift und Galle spucken. So freundlich Greystone auch im Moment zu ihm sprach, wusste Gabriel doch, dass er im Falle eines offenen Konflikts den Kürzeren ziehen würde. Bei jedem Alpha. Und vor allem bei einem ausgewachsenen Raubtier wie dem gefürchteten Boss des New Yorker Untergrunds.

Mit einem wütenden Blick, der Gabriels Furcht im Angesicht der List, der er erlegen war, überspielen sollte, fragte er: »Und das Entgegenkommen?«

Der lauernde Ausdruck, mit dem ihn Greystone beobachtet hatte, wurde von einer abgeklärten Miene abgelöst. »Du verschaffst mir einen Termin mit dem Präsidenten. Hier in New York, diesen Monat, in einem meiner Etablissements.«

Gabriel schnaubte ungläubig. »Ich bin Assistent, kein Zauberer«, sagte er abweisend. »Wenn sein Terminkalender das nicht hergibt, kann ich daran nicht rütteln.«

Seinen Worten folgte Stille. Der dunkle Blick des Alphas bohrte sich in ihn. Unangenehm berührt wich ihm Gabriel aus und senkte den Kopf.

»Weißt du …«, hob Greystone bedächtig an, kam noch einen Schritt näher und lief dann an Gabriel vorbei. Langsam umrundete er ihn.

Gabriel stellten sich die Nackenhaare auf, als er ihn hinter sich fühlte.

»Als ich vor einigen Wochen das Gerücht hörte, dass der Beta-Assistent des Präsidenten mitten im Meeting mit den Ministern in eine Hitzephase gekommen war und damit sein Geheimnis, dass er ein Omega ist, aufgeflogen war … da war ich darüber verwundert, wie schnell das alles doch wieder vertuscht wurde.«

Gabriel lief ein Schauer über den Rücken, als er plötzlich den warmen Atem an seinem Hals spürte.

»Es erschien mir nicht echt«, säuselte Greystone nah an seinem Ohr. »Zumal du danach weiterhin bei ihm beschäftigt warst. Campbell ist ein rechtschaffener Mann. Er würde ein Omega nicht länger der Gefahr aussetzen, so nah am Rampenlicht zu stehen, nachdem es enthüllt worden war. Also …« Der Alpha kam wieder vor ihm an und schaute zu Gabriel herunter. »… muss es eine Finte gewesen sein. Du solltest das Ablenkungsmanöver für etwas anderes geben. Etwas Bedeutenderes, das vertuscht werden sollte. Nur leider hast du den Leuten nichts vorgespielt, nicht wahr, Gabriel? Du bist, ganz unverkennbar, ein Omega.«

Gabriels Magen verkrampfte sich. Greystone blätterte die Wahrheit vor ihm auf, als sei er ein offenes Buch. Das gefiel ihm nicht. Ganz und gar nicht. Vor allem deshalb, weil die Aufmerksamkeit, die der Mann diesem Thema schenkte, nicht nur ihm selbst gefährlich werden konnte. Wenn herauskäme, wem die Täuschung wirklich gedient hatte, dann … Gabriel würde es unversehens melden müssen, dass die Lüge aufgeflogen war.

Entspannt, als hätte er alle Zeit der Welt, trank Greystone noch einen Schluck Whiskey. Die Kunstpause, die er ließ, erdrückte Gabriel geradezu.

»Du bist nicht an den Präsidenten gebunden, obwohl du tagtäglich mit ihm zu tun hast. Oder an sonst jemanden. Deshalb schließe ich daraus, dass Campbell selbst nichts von deiner wahren Natur weiß. Und die Zeitungen ebenso wenig.« Er lachte leise, während er das Glas in seiner Hand schwenkte. »Ich frage mich, was wohl geschehen würde, wenn ich mit dieser Information an die Öffentlichkeit ginge? Ich sehe förmlich die Schlagzeilen vor mir: › Omega-Assistent des Präsidenten löst die weltlichen Probleme auf seine Weise.‹ « Er schmunzelte dreckig. »Ich denke, du verstehst, worauf ich hinauswill.«

Mit jedem Wort, das dieser manipulative Mistkerl sprach, schwand Gabriels Selbstsicherheit mehr und mehr. Wenn Campbell herausfände, dass er tatsächlich ein Omega war, würde das das Ende seiner Anstellung bedeuten. Und würde Greystone seine Drohung wahrmachen, hätte das darüber hinaus einen massiven Image-Schaden des Präsidenten zur Folge.

Das alles konnte umgangen werden, wenn Gabriel einlenkte. Er sollte schließlich nur ein kleines Treffen organisieren. Was wäre schon dabei? Es war zu verschmerzen und würde niemandem wehtun.

Mit einem schweren Seufzer nickte Gabriel. »Gut«, murmelte er. »Ich verschaffe Ihnen einen Termin.«

Er wagte es nicht, aufzusehen. Mr. Greystones selbstgefälliges Grinsen konnte er sich auch so überdeutlich vorstellen.

»Diesen Monat«, erinnerte ihn der Alpha, der ihn nicht so schnell vom Haken lassen wollte. »Ich bin kein sehr geduldiger Mann. Solltest du dir zu viel Zeit lassen, kann es sein, dass ich mich gegenüber einem Journalisten vielleicht aus Versehen verplappere.«

Gabriel biss die Zähne zusammen. »Ich bin weder taub noch blöd«, fauchte er. Wozu ihm weiter drohen, nun, da er zugestimmt hatte?

Als Mr. Greystone missbilligend mit der Zunge schnalzte und einen forschen Schritt auf ihn zutrat, schreckte Gabriel dennoch zurück. Er stieß mit dem Rücken gegen das Geländer. Fahrig hob er den Kopf, während er fürchtete, dass er zu frech geworden war.

Die Augen des Alphas hatten jede Wärme verloren. Erbarmungslos und kalt starrte er Gabriel nieder, der ahnte, dass er ihn unabsichtlich herausgefordert hatte. Und dem jetzt in aller Deutlichkeit bewusst wurde, mit wem er es hier zu tun hatte. Als der Geruch des Mannes zunahm und sich eine dominante, ehrfurchtgebietende Note hineinmischte, die Gabriel in die Schranken wies und ihn dazu bringen wollte, sich vor dem Alpha in den Staub zu werfen, biss er sich hart auf die Zunge, um nicht zu wimmern. Er wich dem Blick aus, zog die Schultern an und machte sich kleiner.

»Leg deinen Kopf in den Nacken«, befahl Greystone in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.

Gabriel durchlief ein unwohles Schaudern. Er wollte den Alpha nicht an diese empfindliche Stelle lassen.

»Weder taub noch blöd, hm?«, grollte Greystone, dessen Ton jede künstliche Freundlichkeit verloren hatte. Stattdessen wurde er seiner Aussage von vorhin gerecht: Er war nicht geduldig. Und er war es gewohnt, dass seine Anweisungen befolgt wurden.

Gabriel erkannte, dass er keine andere Wahl hatte. Tapfer schluckte er die Zweifel runter und präsentierte widerstrebend seine Kehle.

Nun, da der Verbrecherfürst bekam, was er wollte, hielt er sich nicht mit weiteren Spielchen auf. Statt kostbare Zeit zu verlieren, beugte er sich runter, öffnete den Mund und fuhr mit seiner flachen Zunge über Gabriels Duftpunkte, an denen der Geruch am stärksten war.

Gabriel zwang sich, nicht allzu offensichtlich zusammenzuzucken. Er war den engen Kontakt zu einem Alpha nicht gewohnt. Die feuchte Zunge, die ihm über den Hals leckte, war das Intimste, was er je erlebt hatte. Ein feines Kribbeln wanderte durch seinen Körper. Greystones Geruch berauschte seine Sinne und löste ungewohnte Gefühle aus, die ihn verwirrten.

Die heiße Zunge ließ von seinem Duftpunkt ab, nur um sich dem auf seiner anderen Seite zuzuwenden. Es kitzelte und jagte Gabriel Schauer über den Rücken.

Als der Alpha schließlich zurücktrat, war Gabriel ganz benebelt. Er konnte nicht einmal darauf reagieren, dass Greystone sagte: »Ich erwarte zeitnah die Nachricht mit dem Termin. Du lässt dir damit besser nicht zu viel Zeit.«

Erleichtert verfolgte er, wie sich der Mann abwandte, den Balkon verließ und die Tür hinter sich schloss. Gabriel blieb zurück, schwer atmend und mit rasendem Puls, während er nicht fassen konnte, was da gerade geschehen war. Er war dankbar dafür, dass er einen Moment hatte, um sich zu sammeln.

Als er sich nach einigen Minuten klarer im Kopf fühlte, ging er zurück in den Saal. Eine leichte Paranoia begleitete ihn hinein. Er fürchtete, dass jemand etwas merken könnte. Dass ihm der Alpha drin erneut auflauern oder nur darauf warteten würde, ihn vor aller Augen bloßzustellen.

Doch nachdem er einige verstohlene Blicke umhergeworfen hatte, beruhigte er sich allmählich. Keine ungewollte Aufmerksamkeit lag auf ihm. Weder wegen seines eigenen Geruchs noch weil er einen so fremden und zugleich markanten Duft am Hals trug.

Die Marke des Alphas war so intensiv, dass sie ihn selbst rastlos machte. Er konnte sich für den Rest des Abends kaum entspannen und war heilfroh darüber, dass Mr. Greystone wie vom Erdboden verschwunden schien. Und dass der Präsident ihm nicht so nah kam, dass er etwas Auffälliges bemerken konnte.

Als er endlich in seinem Hotelzimmer ankam, stieg Gabriel sofort unter die Dusche. Er musste die Spuren des Alphas von sich waschen, damit sein aufgewühltes Gemüt endlich Ruhe gab. Diese Form des Markierens war sonst nur Paaren vorbehalten. Maximal Freundschaften mit gewissen Vorzügen. Dass es seinen Körper, der nicht länger durch Blocker gehemmt war, in Aufruhr versetzte, war unvermeidbar, aber alles andere als willkommen. Gabriel wusch sich gründlich, bis er Greystones Geruch nicht mehr an sich wahrnahm. Dann erst konnte er aufatmen. Vor solchen Alphas würde er sich zukünftig noch mehr in Acht nehmen. Gabriel hatte gewusst, dass der Mafiaboss gefährlich war. Die Anziehung, die Gabriel schwachgemacht hatte, war vom Ardor-Met ausgegangen. So leicht würde er einem Alpha nicht mehr auf den Leim gehen.

 

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Gabriel

 

»Und im Anschluss haben Sie das Meeting mit dem kanadischen Diplomaten, Sir.«

Campbell nickte. »Ach, Richtig. Thomas Wilkens.« Konzentriert warf er einen Blick aus dem Fenster. Ihre Maschine befand sich im Landeanflug. Neben ihm las Grunewald einige Berichte zu Unruhen in Afrika.

»Wann ist das Gespräch im Pearls geplant?«

»Morgen, am frühen Nachmittag«, antwortete Gabriel gewissenhaft, der ihnen gegenübersaß und mit dem Präsidenten den Terminkalender ihres Amerika-Aufenthaltes durchging.

Seit ihrem letzten Besuch waren drei Wochen vergangen. Es war ihm gelungen, den versprochenen Termin mit dem Mafiaboss in ihrer nächsten Reise unterzubringen. Dafür hatte er jemand anderen vertrösten müssen. Das würde Campbell hoffentlich nie erfahren.

Er selbst war nicht sonderlich erpicht darauf, den Verbrecherfürsten wiederzusehen. Einerseits war ihm die falsche, hinterlistige Art unsympathisch. Andererseits fürchtete er, dass Greystone seinen Teil der Abmachung vergessen und ihn vor dem Präsidenten bloßstellen würde. Aber solange ihm keine plausible Ausrede einfiel, weshalb er Campbell nicht begleiten konnte, würde er dabeisein müssen. Darüber hinaus verboten ihm seine Loyalität und sein Pflichtgefühl, sich wegen eigener Befindlichkeiten einer Aufgabe zu entziehen. Er musste einfach hoffen, dass es gutging.

»Möchtest du mir Gesellschaft leisten?«, fragte Campbell an seinen Sitznachbarn gewandt. »Wie ich hörte, ist sein Einfluss in New York nicht von der Hand zu weisen.«

Grunewald sah nicht einmal von den Berichten auf. Er schüttelte den Kopf. »Ein andermal. Morgen Nachmittag treffe ich Roger Kent.«

»Ah, den Minister für nationale Sicherheit«, sagte Campbell nickend. Er lehnte sich im edlen Sessel zurück.

Als sie am darauffolgenden Nachmittag mit der Limousine vorfuhren, schlug Gabriel das Herz bis zum Hals, obwohl sie nicht allein waren. Wie immer wurde Campbell von einer Handvoll Security-Alphas begleitet.

Trotzdem schwante Gabriel Übles, als sie ausstiegen. Das Pearls war, ganz ohne Zweifel, eine Table-Dance-Bar, wie die Reklame-Tafeln links und rechts vom Eingang verkündeten. Er rechnete im Inneren mit zwielichtigen Ecken, einem schmuddeligen, schäbigen Gesamteindruck und dem daraus resultierenden Bedürfnis, sich zu waschen.

Die Bar lag im Herzen New Yorks, nicht weit vom Regierungsgebäude entfernt, und genau in dem Viertel, in dem es vor einigen Monaten diesen schrecklichen Terroranschlag mit mehreren Bomben gegeben hatte. Zweifelsohne eine strategisch gut gewählte Location. Damit konnte Greystone seine Subventionierungswünsche unterstreichen. Auch wenn die Fassade des Hauses nicht erahnen ließ, ob es direkt betroffen gewesen war.

Gabriel atmete noch einmal tief durch, als der Präsident die Limousine hinter seinen Sicherheitsleuten verließ, und folgte ihm dann auf den Bürgersteig.

Vor dem Etablissement erwartete Greystone sie bereits, flankiert von zwei seiner eigenen Alphas, die groß und bullig waren und fies aussahen. Viel mehr testosterongeladene Schlägertypen als die gut organisierte Elite, aus der Campbells Security bestand. Das überraschte Gabriel nicht.

Er nahm zur Kenntnis, dass Greystone den Präsidenten mit formvollendeter Höflichkeit begrüßte, seinen Assistenten jedoch keines Blickes würdigte. Ein gewöhnliches Verhalten von Alphas gegenüber rangniedrigen Betas. Gabriel folgte ihnen hinein und hielt seine Miene dabei neutral und professionell, obwohl er sehr schnell merkte, dass er sich hier nicht wohlfühlte.

In dem großen Raum, in dem sich das Hauptspektakel abspielen würde, waren sie fast allein. Hinter der Bar stand eine unscheinbare junge Frau, die sich auf den abendlichen Besuch vorbereitete. An der Stange auf der kleinen Bühne unterhielten sich zwei hübsche Damen in Jogginghosen und weiten T-Shirts über ihre Techniken und Bewegungsabläufe.

Gabriel wandte den Blick ab, ein Gefühl unangenehmer Beklemmung in der Magengegend. Wenn andere Omegas einer solchen Beschäftigung nachgehen wollten, konnte er es ihnen nicht verübeln. Doch sich vorzustellen, selbst einmal in so eine Rolle zu schlüpfen, löste in ihm Unbehagen aus.

»Meiner Meinung nach funktioniert diese Branche nur, wenn man jedem die Aufgaben gibt, die er auch bewältigen kann, und sie alle entschieden voneinander trennt«, sagte Greystone gerade und wies in einer weitschweifenden Geste durch den Raum. »Ich weiß, dass Gleichberechtigung schwer in Mode ist, aber in meiner Welt funktionieren die Dinge ein wenig anders. Und wenn ich nicht darauf achten würde, dass ich beispielsweise ausschließlich Betas als Bedienung einsetze, dann erschaffe ich Probleme in die eine oder andere Richtung. Die Tänzer sind Omegas. Hallo, Honey.« Er nickte einer vorbeitänzelnden Omega zu.

Sie schmunzelte, als sie seine Aufmerksamkeit bekam.

»Selbstverständlich beschäftige ich einige sehr loyale Alphas, die gebunden sind und deshalb kein Risiko für die Tänzer darstellen. Sie arbeiten hier als Türsteher und Security.«

Gabriel rieb sich verstohlen über die Unterarme. Dort hatte sich eine Gänsehaut gebildet. Die Worte des Mannes hatten das unangenehme Gefühl, das ihm im Nacken saß, verstärkt. Diese Welt , in der Greystone verkehrte, bediente ihm zu viele Klischees und altmodischen Stereotypen. Solche Regeln assoziierte er automatisch mit dem Recht des Stärkeren. Mit Unterdrückung von Omegas und Betas durch kräftige Alphas. Das gefiel ihm nicht.

Weil ihre kleine Prozession durch den Raum wanderte, folgte ihnen Gabriel eilig. Auf der anderen Seite, umrahmt von der kleinen Bühne links und einigen Sitznischen rechts, führte eine Tür tiefer ins Gebäude. Ein breiter Sicherheitsalpha stand davor. Er trat beiseite, als sie ihn erreichten, öffnete und Greystone wies einladend hinein.

»Bitte«, sagte er an Campbell gewandt, der der Aufforderung folgte und durch die Tür schritt.

Dann lief er ihm hinterher und führte die Gruppe einen Gang entlang, von dem mehrere Türen abgingen. Am Ende des Korridors lag ein offiziell aussehender Meetingraum, dessen Tür geöffnet war.

Sie traten ein. Der Raum war ebenso in schwerem, dunklem Rot gehalten, wie der Rest dieser Bar.

Greystone ließ sich, nachdem Campbell sich in einen Sessel gesetzt hatte, in einem gleichen ihm gegenüber nieder. Mucksmäuschenstill setzte sich Gabriel in den dritten, neben den Präsidenten.

Während die Hälfte von Campbells Security vor der Tür Stellung bezog, verteilte sich die andere Hälfte an strategischen Punkten im Raum. Greystone schien von den Alphas unbeeindruckt. Er gab seinen eigenen Sicherheitsleuten ein Zeichen und sie verschwanden. Nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatten, entspannte sich Gabriel spürbar. Campbell und seine Leute waren in der Überzahl. Dieser ungehobelte Alpha würde ihm nichts anhaben können.

»Nun, gehe ich richtig in der Annahme, dass Ihnen die Themen unseres Treffens bekannt sind?«, fragte Greystone höflich. Der Präsident nickte.

Was folgte, waren neunzig zähe Minuten, in denen Greystone ein Thema nach dem anderen vorbrachte und mit dem Präsidenten darüber verhandelte, inwieweit sie sich entgegenkommen konnten. Er sprach über das Image New Yorks in der Welt, den Einfluss der Unterhaltungsbranche auf den Tourismus, die Gangs und Clans, die das Viertel sauber hielten, und schließlich über das Thema, mit dem er Gabriel in ihrem ersten Gespräch bewusst provoziert hatte: den Menschenhandel auf dem Schwarzmarkt.

Wie vermutet, war Campbell ausdrücklich dagegen, Omegas gegen Wert zu verkaufen, ganz gleich, wie dieser Wert aussähe. Er riet Greystone dringend, sich aus diesen Geschäften zurückzuziehen, und verkündete, dass in Kürze ein neues Gesetz in Kraft treten würde, das dieses Vergehen schärfer ahnde. Ihr Gastgeber nickte einsichtig.

Gabriel kaufte es ihm keine Sekunde lang ab. Trotzdem musste er ihm anrechnen, dass er es verstand, sich in ein positives Licht zu rücken. Er gab sich zuvorkommend, höflich, charmant ohne schmierig zu wirken, und beteuerte sowohl seine Loyalität als auch seinen Willen zur Rechtschaffenheit im Rahmen seiner Möglichkeiten. Gabriel ahnte, dass das bei Campbell gut ankam. Es war zugegebenermaßen sehr geschickt. Auf diese Weise sorgte Greystone dafür, nicht als Störfaktor betrachtet zu werden, selbst wenn er sich in Zukunft vielleicht die eine oder andere Verfehlung erlaubte.

Als er sich am Ende des Gesprächs bei Campbell für seine Zeit bedankte, war sich Gabriel sicher, schon lange nicht mehr Zeuge davon geworden zu sein, wie jemandem so massiv und zugleich so geschickt Honig um den Bart geschmiert wurde.

Sie erhoben sich, verließen den Raum und gingen durch den Korridor zurück zum großen Saal. Gabriel war froh, dass ihm der Mafiaboss gänzlich die kalte Schulter gezeigt hatte. Doch ein wenig irritiert war er dennoch. Er verstand nicht, wieso. An Greystones Verhalten war nichts auszusetzen gewesen. Hatte etwa ein kleiner Teil tief in ihm gehofft, dass das, was auf dem Balkon des Regierungsgebäudes vor einigen Wochen vorgefallen war, einen Einfluss auf den Alpha gehabt hatte? Dass es ihm ebenso im Gedächtnis geblieben war und ihn in mancher schlaflosen Nacht beschäftigt hatte, so wie es das bei Gabriel getan hatte?

Weil er sich unbeobachtet wähnte, schüttelte er energisch den Kopf. Greystone benahm sich ganz normal. Gabriel war es, der sonderbaren Vorstellungen nachhing. Dass seine Omega-Blocker an jenem Abend versagt hatten, hatte anscheinend Auswirkungen auf seine Psyche gehabt. In Verbindung mit Hormonen blieben einem einige Dinge anders in Erinnerung, als wenn man sie nüchtern analysierte. Das musste es sein.

Trotzdem beruhigte sich Gabriels Gemüt nicht, nun, da er den Gedanken nachgegangen war. Im Gegenteil, er bemerkte, dass er schon seit ihrer Ankunft verstohlen Blicke in Greystones Richtung riskiert hatte. Hin zu seinen breiten Schultern, den starken Armen, dem stolzen, aufrechten Gang. Gabriel biss sich hart auf die Zunge, damit ihn der Schmerz aus seinen Betrachtungen riss. Er mahnte sich zu Konzentration.

Vor ihm waren Campbell und Greystone eben ein paar Schritte vom Haupteingang entfernt stehengeblieben und tauschten Abschiedsfloskeln aus.

»Sie sind jederzeit willkommen, Mr. President.« Greystone deutete eine Verbeugung an, woraufhin ihm Campbell ein huldvolles Lächeln schenkte.

»Ich werde darauf zurückkommen.«

»Bitte tun Sie das. Es wäre mir eine Ehre.« Noch eine kleine Verbeugung.

Gabriel rollte mit den Augen und wandte sich ab. Diese Katzbuckelei war kaum auszuhalten.

Er spähte zu den beiden Damen hinüber, die unverändert an der Stange auf der Bühne standen und sich unterhielten. Eine von ihnen ging eben sehr beeindruckend in einen Spagat, während sie sprachen. Ob sie sich für die Show aufwärmten?

Aus den Augenwinkeln sah er eine Bewegung, die ihn davon ablenkte: Ein Omega tänzelte an der Bühne vorbei direkt auf sie zu. Er war hübsch. Unverschämt hübsch. Gabriel schätzte ihn auf Mitte zwanzig und erahnte ostasiatische Vorfahren. Der junge Mann war zierlich, trug das schwarze, wellige Haar in einem Longbob und hatte dunkle, mandelförmige Augen. Sein schlanker Körper war in seidige Haremshosen und ein bauchfreies, türkisfarbenes Top gekleidet. Beides durchsichtig genug, damit ein aufmerksamer Betrachter zwangsläufig erröten musste. Unzählige Ketten und Ringe hingen um seinen Hals und seine Hand- und Fußgelenke. Anscheinend hatte er sich bereits für eine Show zurechtgemacht.

»Al!«, rief er und als der Mafiaboss aufsah, schenkte ihm der Omega ein offenes Lächeln.

Zu Gabriels Verwirrung reagierte der Mann, den er bisher Schwächeren gegenüber ausschließlich als kaltherzig, manipulativ oder schmierig kokettierend erlebt hatte, mit einem ebenso liebevollen Schmunzeln.

»Hallo, mein Stern«, schnurrte er samten, nahm die Hand, die ihm der junge Fremde elegant hinhielt, und deutete einen Handkuss an, ohne die Lippen tatsächlich auf die Haut des Omegas zu setzen.

»Du hast Besuch?«, fragte der Tänzer und fuhr sich in einer kokettierenden Geste durchs schwarze Haar. »Wer sind deine Gäste?«

Missmutig blickte ihm Gabriel entgegen. Er mochte ihn nicht, entschied er. Und als der fremde Omega Campbell erkannte und ihm die Gesichtszüge entglitten, spürte Gabriel tiefe Genugtuung.

»Oh, en-entschuldigen Sie«, stieß der Omega überwältigt aus. »Ich wollte Sie nicht …« Jetzt war es ihm peinlich, dass er sie unterbrochen hatte.

»Darf ich vorstellen?«, fragte Greystone an den Präsidenten gerichtet, der das Schauspiel höflich lächelnd beobachtet hatte. »Dieser junge Mann ist der Star unserer Show, Curiosity . Mein Stern, ich denke, du weißt, um wen es sich bei unserem Besuch handelt.«

Curiosity nickte eilig. Er schien noch immer sprachlos zu sein.

Greystone lachte leise. Erneut hob er die Hand an seine Lippen, ohne sie zu berühren, und ließ sie dann los. »Ich komme gleich zu dir.«

Der Omega errötete. »Ist gut.« Nach einem kleinen, eleganten Knicks wandte er sich um und verließ sie.

Greystone richtete das Wort wieder an den Präsidenten. »Entschuldigen Sie die Unterbrechung. Wir haben ab der kommenden Woche eine neue Show im Programm. Sowas bewirkt immer ein wenig Aufregung und Nervosität unter den Mitarbeitern.« Er wies zur Tür. »Darf ich Sie noch hinausgeleiten?«

Nachdem Campbell zugestimmt hatte, folgte ihnen Gabriel hinaus. Er kam sich sonderbar taub vor, als hätte jemand seinen Kopf in Eiswasser getaucht. Dieser respektvolle Umgang zwischen dem übermächtigen Alpha und seinem untergebenen Omega wollte einfach nicht in das Bild passen, das er von Greystone hatte. Es hatte echt gewirkt. Tatsächlich echt. Wieso fühlte sich Gabriel damit so verraten? So, als wäre Greystone bei ihrer letzten Begegnung absichtlich unverschämt gewesen und er müsste das persönlich nehmen? Womit hatte er so eine Behandlung verdient?

Während die Tür des Pearls hinter ihm zufiel, stutzte Gabriel über seine Gedanken. Er fragte sich, was er denn von Greystone erwartet hatte. Was war es, was er von ihm einfordern wollte, wenn er könnte?

Die Antwort kam in Form von Herzklopfen zu ihm, beschleunigter Atmung und einem Zusammenzucken, als ihn Greystones Blick für den Bruchteil einer Sekunde streifte. Gabriel schluckte tapfer gegen den inneren Aufruhr an. Offensichtlich hatte dieser Ardor-Met seinen Hormonhaushalt doch mehr durcheinandergebracht, als er angenommen hatte. Sicher würde sich das in den nächsten Wochen wieder einpendeln, wenn er seine Blocker weiter regelmäßig nahm.

 

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Gabriel

 

»Gabriel«, schnurrte eine samtene Stimme in sein Ohr. Große, kräftige Hände packten seine Handgelenke. Zogen sie über seinen Kopf, während er die Hitze einer Zunge an seinem Hals spürte. Eine Welle der Erregung rollte über seine nackte Gestalt hinweg. Er wollte mehr. So viel mehr! Eine Hand knetete seinen Hintern, wanderte zur Mitte hin, berührte ihn an seiner intimsten Stelle. Hypnotisiert hielt Gabriel den Blick in die schokoladenbraunen Augen, die ihn verschlingen wollten. Nackte Haut schmiegte sich an seine. Reizte ihn zusätzlich. Gabriel stöhnte auf …

… und schrak heftig zusammen, als sein Bewusstsein zurück in die Realität geschleudert wurde. Hinein in seinen bekleideten Körper, der ihn schwer und mit dem Puls eines aufgeschreckten Kaninchens empfing. Fahrig blinzelnd versuchte Gabriel, sich zu orientieren. Seine Brille war ihm halb vom Gesicht gerutscht. Im Schlaf musste er draufgefasst haben. Sie war fleckig und Fingerabdrücke erschwerten ihm die Sicht.

»Schlecht geträumt?«, fragte Fabarius, der ihm gegenübersaß und eine Tageszeitung las.

Siedeheiß fiel Gabriel wieder ein, wer seinen Traum dominiert hatte. Er schluckte gegen sein Schamgefühl an, während er betete, dass er nicht gestöhnt hatte. Mit hochrotem Kopf nickte er.

Fabarius schob die Hand in seine Hosentasche und zog ein kleines Mikrofasertuch hervor. Den schlanken, geradem Nasenrücken des Mannes zierte ebenfalls ein schmales, edles Brillengestell. Sie waren gewissermaßen Leidensgenossen. Beide hatten eine Sehschwäche. Beide waren Angestellte im engeren Beschäftigtenkreis des Präsidenten. Beide Betas. Zumindest wenn es danach ging, was Gabriel alle Welt glauben ließ.

Dankend nahm er das Putztuch an. »Ja«, murmelte er zur Bekräftigung. »Ein ziemlicher Albtraum.«

Fabarius nickte nur. Seine kurzen, blonden Locken wippten bei der Bewegung. Gabriel mochte ihn. Der Arzt war diskret, mischte sich nicht in Angelegenheiten ein, die ihn nichts angingen, und hielt sich aus Klatsch und Tratsch raus. Darüber hinaus vermutete Gabriel, dass einige der Geheimnisse, die sie für Campbell hüteten, die gleichen waren. Auch wenn sie selbstverständlich nie darüber sprachen.

Fabarius, der mit Vornamen Cyril hieß, war der Leibarzt des Präsidenten und leitete das Präsidiale Ärzteteam, das ihn unterstützte, sollte etwas Ernsteres anstehen. Als solcher war er oft dabei, wenn sie sich, so wie jetzt, auf eine mehrtägige Reise ins Ausland begaben.

Ihr neues Ziel war China. Gabriel war noch nie dort gewesen. Die vielen Reisen waren einer der Gründe, weshalb er seinen Job so mochte. Auf diese Weise floh er am liebsten vor seinem privaten Umfeld. Allen voran seiner Ma, die ihm damit in den Ohren lag, dass er das Karriere-Spielen endlich aufgeben und sesshaft werden sollte.

Gedankenverloren putzte Gabriel seine Brille und setzte sie dann wieder auf die Nase. Er freute sich auf China. Sein Blick wanderte von der Wolkendecke, über die sie flogen, zurück zu Fabarius, der noch immer Zeitung las. Sie saßen oft zusammen, wenn sie gerade nicht gebraucht wurden. Wenn Campbell reiste, bildeten sich von ganz allein Grüppchen in seinem Hofstaat. Die Security-Alphas blieben auf der einen Seite der Maschine, die Betas auf der anderen. Und dazwischen, in den luxuriösesten, weichsten Sesseln, saßen für gewöhnlich Campbell und Grunewald zusammen. Ab und an in der Gesellschaft einer der Stabschefs, die Campbell berieten.

Doch die Sessel waren leer.

»Wo ist der Präsident?«

»Er hat es ebenfalls vorgezogen, zu schlafen«, sagte Fabarius, ohne aufzusehen.

Gabriel nickte verstehend. Das war vernünftig. Sobald sie in China ankämen, erwartete sie ein straffer Zeitplan. Die Maschine wartete mit einem großen Schlafzimmer auf, in das sich Campbell zurückziehen konnte. Im Raum daneben gab es einige Liegen für die anderen. Hätte Gabriel gewusst, dass er einschlafen würde, hätte er sich dorthin zurückgezogen.

Sein Traum kam ihm wieder in den Sinn. Röte kroch ihm die Wangen hinauf. Großer Gott, was hatte er da nur geträumt? Wie sehnsüchtig er gewesen war! Nie im Leben würde er sich jemandem so willig und erregt anbieten. Schon gar nicht einem unverschämten, selbstverliebten, schmierigen Mafiaboss!

Gabriel holte tief Luft, um sich zu beruhigen. War sein Geist etwa noch von den Eindrücken im Pearls vernebelt? Irgendeinen Grund musste es ja haben, dass seine Fantasie so mit ihm durchgegangen war. Dabei war der Besuch schon eine Woche her. Seither hatte Gabriel keinen Kontakt mehr zu Greystone gehabt und er wüsste es, wenn der Präsident es hätte.

Verstohlen sah er zu der leeren Sitzecke hin. Wieder eine Sache, die er lieber für sich behielt: Dass er dem Verbrecherfürsten, dem Campbell augenscheinlich etwas abgewinnen konnte, nicht über den Weg traute.

Mit einem schweren Seufzen lehnte Gabriel den Kopf gegen die Sessellehne.

Fabarius faltete die Zeitung einmal zusammen und legte sie zwischen ihnen auf den schmalen Tisch.

»Wollen wir das Kreuzworträtsel lösen?«

Warum eigentlich nicht? Ablenkung konnte er definitiv gebrauchen.

Gabriel nickte.

China war, wie zu erwarten, aufregend gewesen. Natürlich hatte es die Zeit nicht zugelassen, sich Land und Leute anzusehen. Sie waren von einem Meeting zum nächsten gereist und Gabriel hatte alle Hände voll zu tun gehabt.

Als sie nach London zurückkehrten, war er zu ausgebrannt, um noch einen einzigen Gedanken an unliebsame Begegnungen auf der anderen Seite des Großen Teichs zu verschwenden oder sich länger darüber aufzuregen. Gabriel beantragte ein paar Tage Urlaub, nutzte diese, um sich zu erholen, und war nicht überrascht, als ihn seine Ma zum Essen einlud, kaum, dass sie erfuhr, dass er zu Hause und verfügbar war. Sie war eine Omega aus einer vielköpfigen indischen Familie. Wenn sie sich mit allen Familienmitgliedern versammeln konnte, war das für sie das Größte.

»Du bist so selten im Land, seit du diesen Job hast«, beklagte sie sich am Telefon. »Komm wenigstens am Sonntag zu uns.«

»Sonntag muss ich schon nach Prag«, seufzte Gabriel in seine In-Ear-Kopfhörer, während er kochte. »Ich habe keine Zeit, vorher erst zu euch rauszufahren.«

»Dann komm Samstag«, vernahm er die angenehme, voluminöse Stimme seiner Alpha-Mum. Offensichtlich war das Handy auf Laut gestellt.

Gabriel schmunzelte. »Samstag geht.«

»Aber Cora und Frank sind am Sonntag da«, widersprach Ma und Gabriel war sich nicht sicher, an wen der Ausruf adressiert war, an ihn oder an seine Mum.

»Dann sehe ich sie eben ein andermal.«

»Das geht nicht!«, echauffierte sich Ma. »Sie haben doch jetzt Benjamin bekommen. Du bist sein Onkel und hast ihn noch nicht einmal gesehen. Ständig bist du auf Reisen.«

»Fiona«, brummte seine Mum. »Wenn der Junge am Sonntag in einem Flieger nach Prag sitzt, dann sitzt er in einem Flieger nach Prag.«

»Ich könnte Cora fragen, ob sie stattdessen auch am Samstag kommen wollen.«

»Ist schon in Ordnung, Mama. Wirklich.« Gabriel ahnte, wie es werden würde, wenn seine große Schwester mit ihrem Beta-Ehemann und ihrem Sohn zum Essen käme. Man würde Gabriel das Baby in die Arme drücken, in der Hoffnung, dass es in ihm den Wunsch weckte, selbst eine Familie zu gründen. Bei dem Gedanken schüttelte er sich. Gabriel mochte Kinder. Das bedeutete aber nicht, dass er bereit war, seine Karriere dafür aufzugeben.

»Ich frage sie, ob sie es noch verschieben können«, sagte seine Ma.

Seufzend gab sich Gabriel geschlagen. »Tu das.« Das Wasser in seinem Topf begann zu kochen. »Ich muss auflegen, Mama. Sonst brennt mein Essen an.« Das war eine halbe Lüge, doch wenn sie in dieser Stimmung war, wollte er die Gespräche lieber kurz halten. »Ich hab euch lieb.«

»Ich dich auch, Gabbie.«

Im Hintergrund hörte er seine Mum rufen: »Ich dich auch!«

Gabriel musste grinsen. »Bis Samstag.« Dann legte er auf und gab die Nudeln ins kochende Wasser.

Während er über das Telefonat nachdachte, lief ihm ein unwohler Schauer über den Rücken. Er liebte seine Ma, aber sie war die typische Omega. Sicherheitsliebend und familienorientiert. Gabriel hatte zwei ältere Schwestern, Coraline und Kristen, die beide bereits verheiratet waren und Kinder in die Welt gesetzt hatten. Nun hatte sich seine Glucke von einer Ma vorgenommen, auch das Nesthäkchen unter die Haube zu bringen. Wann immer er zum Essen kam, legte sie ihm neue Profile vor oder erzählte davon, wie gern er doch früher mit dem Nachbarsjungen gespielt hätte, der noch immer ledig sei.

Gabriel war froh, dass seine Alpha-Mum sie ab und an zurückpfiff und ihm den Rücken stärkte. Als eines von drei Omegas aufzuwachsen, war nicht immer leicht gewesen. Am ehesten verstand ihn seine Mum. Sie war auch die Einzige gewesen, die ihn darin unterstützt hatte, die Blocker zu nehmen. War sogar mit ihm zum Omegalogen gegangen, weil er damals noch nicht mündig gewesen war. Wäre sie nicht so verständnisvoll gewesen, dann hätte er nie das Abenteuer gewagt, sich als Assistent des Präsidenten zu bewerben. Nun konnte er sich kein aufregenderes Leben vorstellen.

In weiser Voraussicht nahm er sich vor, sich für das Essen bei seinen Eltern mental zu wappnen.

Als er zwei Tage später mit seiner Familie am Esstisch saß, erkannte er, dass die Zeit nicht ausgereicht hatte, um ausreichend vorbereitet zu sein. Wenn er ehrlich war, war er das nie.

Ben strampelte in seinen Armen und quäkte unzufrieden und Gabriel konnte es nachfühlen. Ihm war auch nicht sehr viel wohler.

»Er ist seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten«, behauptete er höflich und reichte das kleine rothaarige und sommersprossige Bündel an seine Schwester zurück. Sie platzte beinahe vor Stolz und auch Frank strahlte bei den Worten.

»Ja, nicht wahr?« Schwärmend sah Cora zwischen ihrem Mann und ihrem Sohn hin und her. »Sie haben die gleichen Sommersprossen.«

»Die Nase hat er von dir«, sagte Frank und als sie kicherte, küsste er ihr die Wange.

Gabriel wandte sich ab. Er beobachtete seine Ma, die nicht aufhören konnte, die beiden anzulächeln. Als er bemerkte, dass ihn seine Mum musterte, rollte er mit den Augen.

Ihre Mundwinkel zuckten. »Und?«, fragte sie. »Ist China so, wie man es sich vorstellt?«

Gabriel war mehr als dankbar für den Themenwechsel. Er hatte nicht nur ihren hellen Teint geerbt (das blonde Haar hatte sie für sich behalten), auch ihre hohe Auffassungsgabe und ihren Pragmatismus.

»Ich denke schon.« Er schmunzelte. »Ich habe nicht viel davon zu sehen bekommen, leider.«

»Du arbeitest viel zu viel«, schaltete sich seine Ma ein. Sie schürzte die Lippen und schüttelte den Kopf. »Der Präsident sollte seine Angestellten nicht so ackern lassen.«

Gabriel hatte den Drang, Campbell zu verteidigen. »Es macht mir nichts aus. Ich arbeite gern.«

»So viel Stress ist nicht gesund für Omegas«, beharrte Ma. »Kann er dir denn nicht mehr Urlaubstage geben, wegen deiner besonderen Situation?«

»Er weiß nicht, dass ich ein Omega bin«, erinnerte Gabriel sie geduldig. Er wich ihrem Blick aus und stocherte in seinem Gemüse herum. Wenn sie so sehr an dem Leben herumkrittelte, das ihm selbst so gut gefiel, verging ihm jedes Mal der Appetit.

Seine Ma holte Luft, als wollte sie noch etwas hinzufügen, doch zu Gabriels Erleichterung legte ihr seine Mum eine beschwichtigende Hand auf den Arm. »Gab kommt zurecht.« Obwohl sie die Stimme nicht hob, bestand kein Zweifel daran, dass sie ein Machtwort sprach. Es war die Art, wie sie es sagte, als sei es eine unumstößliche Tatsache.

Gabriel warf ihr einen dankbaren Blick zu.

Sie tätschelte seine Schulter. »Du hast schon so viel erreicht, Gabriel«, lobte sie ihn warm. »Mehr als die meisten zustandebringen würden. Wir sind sehr stolz auf dich.«

Gabriels Brust wurde warm. »Danke.«

Seine Mum war eine geduldige, sanftmütige Alpha. Ausgeglichen und ruhig genug, um Ma zu besänftigen. Gabriel bewunderte die beiden für ihre Ehe, die auf so viel Vertrauen und Zuneigung gründete. Er träumte davon, eines Tages mit jemandem zusammenkommen, der ihn so zärtlich behandelte, wie seine Mum ihre Omega-Partnerin. Ihm ebenso viele Freiheiten ließ, selbst wenn er nicht die gewöhnlichen Pfade beschritt.

»Alfric ist übrigens auch dieses Wochenende bei seinen Eltern zu Besuch«, riss ihn Ma aus seinen Gedanken. »Er ist immer noch Single.«

Und schon waren sie wieder dahin, die entspannten Sekunden.

Gabriel entschied, es nicht an sich ranzulassen. »Wie schön für ihn.«

 

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Gabriel

 

Gabriel stolperte durch das nächtliche Prag. Unmöglich! An dieser Straße war er doch vorhin schon vorbei gekommen. Und er war so weit vom Stadtzentrum entfernt, dass er nicht wusste, wo die nächste Straßenbahn, der Bus oder eine U-Bahn fuhr. Sein Handy hatte den Geist aufgegeben, weil er nicht besser aufgepasst hatte und das Ladekabel noch in London lag. Am liebsten wollte er sich selbst in den Hintern treten.

Er blieb unter einer Straßenlaterne stehen und sah sich um. Versuchte, sich daran zu erinnern, wie es ausgesehen hatte, als er hier angekommen war. Die Limousine hatte ihn vor dem Hotel abgesetzt, in dem er den Diplomaten getroffen hatte, dem er die vertraulichen Akten hatte übergeben sollen. Aber der Präsident war zu einem weiteren Termin gefahren und Gabriel hatte ihm versichert, dass er allein zurückfinden würde. Da hatte er auch noch angenommen, dass ihm eine wegweisende App helfen konnte.

Nun, zwei Stunden nachdem er den Meetingraum des Hotels wieder verlassen hatte, sah er ein, dass er sich geirrt hatte. Verdammt.

Sein Blick wanderte zu den Plattenbauten hin, die in der Ferne aufragten. Verhungern und verdursten würde er sicher nicht. Irgendjemand würde ihm helfen, er musste sie nur aus den Betten klingeln und hoffen, dass sie ein paar Brocken Englisch sprachen. Das würde peinlich werden. Doch ein wenig länger konnte er noch darauf verzichten. Vielleicht war Gabriel in den letzten Stunden in die falsche Richtung gelaufen und gut möglich, dass er außerdem im Kreis gegangen war. Aber noch gab er nicht auf.

Tapfer setzte er sich wieder in Bewegung und versuchte, das Beste daraus zu machen. Die kühle Nachtluft war angenehm. Und war er vorher nicht wehmütig gewesen, weil er nie Zeit hatte, sich ein Land genauer anzusehen? Am Ende dieses Abends würde er Prag definitiv besser kennen.

Auch wenn ihm eine Besichtigung bei Tageslicht weitaus lieber gewesen wäre. Er roch vielleicht nicht wie ein Omega und über die letzten Jahre hatte er seine Bewegungen perfektioniert, sodass sein Gang der eines Betas war, aber seine Gedanken waren die des schwächsten Geschlechts. Eisern drängte er sie von sich.

Ich bin ein Beta , redete er sich tapfer ein. Trotzdem warf er einen verstohlenen Blick über die Schulter, als er Schritte hinter sich hörte.

Zwei Alphas, die Kapuzen tief in die Gesichter gezogen, liefen hinter ihm die dunkle Straße entlang.

Einfach weitergehen . Sie würden sich nicht um einen Beta scheren.

Trotzdem stellten sich ihm die Nackenhaare auf, als er sie näherkommen hörte. Gabriel bemühte sich, nicht schneller zu werden. Stattdessen bog er spontan in eine Straße ein, als wüsste er, wo er hinwollte.

Das war keine gute Entscheidung gewesen.

Nicht nur, dass Gabriel auch jetzt noch die Schritte hörte, weil die beiden Alphas hinter ihm eingebogen waren. Nein, keine zwanzig Meter vor ihm endete die Straße in einer Sackgasse. Die steinerne Rückseite eines Hauses starrte ihn an. Gabriel starrte zurück.

Hinter sich hörte er ein leises, dreckiges Lachen.

» Ztratil ses, chlapče? «, fragte einer der Alphas.

Tief atmete Gabriel durch und drängte seine aufkommende Panik zurück. Jetzt nur keine hastigen Bewegungen. Langsam drehte er sich um.

Die Alphas kamen näher. Gemächlich, als hätten sie alle Zeit der Welt. Das Funkeln in ihren Augen gefiel ihm nicht. Es war gierig.

» Ztratil jsi jazyk? «

»Tut mir leid«, antwortete Gabriel mit einem Lächeln, von dem er hoffte, dass es selbstsicher wirkte. »Ich spreche kein Tschechisch.«

Der, der gesprochen hatte, ließ geringschätzig den Blick über ihn wandern. »Du dich hast verlaufen«, sagte er in hartem Akzent.

Es nützte nichts, das zu leugnen. Er stand in einer verdammten Sackgasse.

Also nickte Gabriel und hielt tapfer den Blickkontakt. »Sieht ganz danach aus.« Eisern widerstand er dem Drang, die Hände zu Fäusten zu ballen und eine Flucht zu wagen. Seine Omega-Instinkte schrillten warnend, aber er durfte nicht auf sie hören. Solange ihn die Alphas für einen Beta hielten, würden sie ihn maximal ausrauben. Das konnte er noch verschmerzen.

Die Kerle lachten.

»Heute dein Glückstag. Wir dir helfen aus deiner Lage. Gegen angemessene Belohnung, natürlich.«

Die beiden schlichen näher.

Gabriel zwang sich, nicht zurückzuweichen. Fieberhaft überlegte er, wie er aus dieser Misere wieder herauskäme. Er war sich nicht sicher, ob sie ihn in Frieden lassen würden, wenn er sich auf Campbells Schutz berief.

»I-ich …«, stammelte er, weil seine Nervosität allmählich überhandnahm. »Natürlich werde ich mich erkenntlich zeigen.« Eilig kramte er sein Portemonnaie aus der Manteltasche, öffnete es und zog die wenigen Scheine heraus, die er bei sich führte. »Hier. Das ist alles, was ich habe.«

Die beiden Kerle stutzten. Dann brüllten sie auf vor Lachen, nahmen die Scheine an sich und hielten sie ins Licht der Straßenlaterne, als wollten sie ihre Echtheit überprüfen.

»Dreißig Pfund?«, fragte der Alpha, der offensichtlich für die beiden das Reden übernahm. Er schob sich die Scheine in die Jackentasche und schnalzte mit der Zunge. »Du mehr wert bist als das.«

Grob packte er Gabriel am Kinn und zwang seinen Kopf in den Nacken. Sein Grinsen wurde böse.

»Wir ein paar Interessenten haben, die bezahlen würden eine hübsche Stange Geld für einen Beta«, schnarrte er und leckte sich ekelerregend über die Lippen. »Weil ihr euch nicht von Pheromonen den Verstand lasst vernebeln wie nuttige, kleine Omegas.« Er lachte schmierig und sein Kumpan fiel in das Lachen ein. »Genug alte Säcke es gibt, die darauf stehen, wenn wehrt man sich.«

Gabriels Augen weiteten sich. Als ihm klar wurde, dass sie ihn nicht selbst misshandeln und dann in einer Straßenecke liegenlassen würden, sondern dass er Menschenhändlern in die Arme gelaufen war, blieb ihm beinahe das Herz stehen.

»D-das dürft ihr nicht!«, echauffierte er sich schwach und versuchte, sein Gesicht aus dem festen Griff des Alphas zu befreien. »Artikel 17a des neuen Gleichbehandlungsgesetzes sieht unmissverständlich vor, dass …«

»Schnauze, Beta.« Die Hand, die eben noch sein Kinn gehalten hatte, verpasste ihm eine so saftige Ohrfeige, dass sein Kopf zur Seite flog. Gabriel fuhr der Schmerz durch die Wange und Tränen schossen ihm in die Augen. Der metallische Geschmack von Blut legte sich auf seine Zunge. Die Ohrfeige hatte seine Lippe aufgerissen.

»Auch noch Klugscheißer, he?«, knurrte der Alpha und packte ihn so grob am Hals, dass Gabriel einen Moment die Luft wegblieb. »Egal. Wir schon jemanden werden finden, der ordentlich dir das Maul stopfen.« Das böse Lächeln kehrte zu dem Mann zurück.

Als er Gabriels Kehle losließ und stattdessen seinen Oberarm packte, erfasste Gabriel pure Panik. Er zerrte an dem Arm, um ihn freizubekommen, doch der zweite Alpha griff den anderen und zwängte ihm überdies einen schmutzigen, nach Schweiß stinkenden Stoffballen in den Mund, um seine Schreie zu dämpfen.

Als sie ihn aus dem Wagen zerrten, stolperte Gabriel in ihrem festen Griff. Er hatte keine Vorstellung davon, wie lang sie gefahren waren. Oder wohin. Man hatte ihm ein löchriges Tuch um die Augen gebunden, so straff, dass sich der Bügel seiner Brille in seinen Nasenrücken geschnitten hatte. Das und sein rasender Puls hatten dazu geführt, dass er jegliches Zeitgefühl verloren hatte. Gedanklich war er alle Möglichkeiten durchgegangen, die ihm geblieben waren. Das waren nicht viele gewesen. Sie hatten ihm sein Geld abgenommen und sein Handy steckte mit totem Akku in der Manteltasche. Damit würde man ihn nicht einmal orten können.

Die beiden Alphas sprachen in gedämpftem Tschechisch miteinander, während sie ihn auf den Bordstein zerrten. Dann rief einer der beiden einem Dritten etwas zu, der grimmig antwortete. Sie schoben Gabriel vorwärts, der nach einigen Schritten bemerkte, dass seine Füße nun über Teppich liefen. Hinter ihnen fiel hörbar eine Tür ins Schloss und dämpfte den Straßenlärm.

Widerwillig ließ sich Gabriel von den Alphas halb ziehend, halb schubsend vorantreiben und hörte, wie eine weitere Tür geöffnet wurde.

Der schmierige Alpha sprach jetzt in ehrfürchtigem Ton und noch immer auf Tschechisch. Von drinnen antwortete eine schwerfällige Stimme. Gabriel wurde vorgestoßen und als er strauchelte, riss man ihn am Arm hoch, zog ihn ein paar Schritte hinein und gab ihm dann einen kräftigen Stoß, der ihn das Gleichgewicht vollends verlieren und stürzen ließ. Hart knallten seine Knie und Handflächen auf den Teppichboden. Während ihn noch der dumpfe Schmerz des Aufpralls durchfuhr, wurde ihm die straffe Augenbinde abgenommen und man zog ihm den Stoffballen aus dem Mund, der seine Zunge über die letzten Minuten immer weiter ausgetrocknet hatte. Der ekelerregend muffige, schwitzige Geschmack blieb zurück. Gabriel wollte würgen. Er blinzelte gegen das dämmrige Licht an und spähte durch die Rauchschwaden, die die Luft schwängerten und ihm im Hals kratzten, zu dem Sofa auf, vor das er gestoßen worden war.

Ihm saßen vier Menschen gegenüber und schauten mehr oder minder interessiert auf ihn herab.

Ein kräftiger, deutlich in die Jahre gekommener Alpha war wohl die auffälligste Erscheinung darauf. Er trug einen Mantel aus dickem, bunt besticktem Brokat und eine ebenso farbenfrohe Kappe auf dem Kopf. Während eine seiner Hände eine Zigarre hielt, stützte die andere den zierlichen, porzellanweißen, blonden Omega auf seinem Schoß, der sich halbnackt auf ihm räkelte und von dem Gabriel vermutete, dass er noch nicht volljährig war. Um seinen Hals lag ein Halsband, von dem eine dicke, goldene Kette abging. Seine Handgelenke waren in ebenso goldene Spangen gefasst, von denen große Ösen abstanden, die vermutlich für perfide Fesseln gedacht waren.

Unweigerlich fragte sich Gabriel, ob dieses arme Ding freiwillig hier war – oder ob Drogen und Schmerz ihn so gefügig gemacht hatten, wie man es zweifelsohne auch mit Gabriel vorhätte, wenn er wirklich als Ware für den Schwarzmarkt enden sollte. Sein Magen verkrampfte sich. Sich auszumalen, dort zu hocken, wo dieser Omega saß, machte die Gefahr ungleich realer. Eilig nahm er den Blick fort und ließ ihn zu dem anderen Pärchen wandern.

Neben dem extravagant gekleideten Alpha saß jemand, der Gabriel erschreckend bekannt vorkam. Seine Augen weiteten sich vor Unglauben und zugleich Erleichterung. Kein Zweifel. Das war Alveros Greystone, eine Opiumpfeife in der Hand, deren süßlicher Geruch sich mit dem der Zigarre zu einem ekligen Duftbrei vermischt hatte, und ebenfalls ein Omega auf dem Schoß. Nur dass die Dame aussah, als würde sie sonst in einem seiner Etablissements arbeiten. Ihre langen, nackten Beine lagen auf seinem Schoß, ihre Kurven wurden von einem knappen, goldenen Paillettenkleid verhüllt und das weinrot gefärbte Haar floss ihr in sanften Wellen über die kupferbraunen Schultern. Sie trug keine sichtbaren Fesseln. Aber das musste nichts heißen.

»Na sieh mal einer an«, sagte der fremde Alpha mit kehliger, schwerfälliger Stimme und unverkennbarem tschechischen Akzent. »Wen haben wir denn da aufgegabelt?« Er warf Greystone ein schmieriges Grinsen zu. »Was hältst du von ihm, Freund? Material für eins deiner Bordelle? Mach mir ein Angebot und ich überlasse ihn dir.«

Greystones Blick lag auf Gabriel, der betete, dass er ihm hier raus helfen würde. Schließlich wollte er es sich sicher nicht mit dem Präsidenten verscherzen, wo er doch so hart dafür gearbeitet hatte, ein gutes Verhältnis zu ihm aufzubauen.

Greystones Miene zeigte weder Erkennen noch Gnade. Er hob eine Augenbraue. »Wohl kaum.«

Der alte Mann lachte. »Zu prüde für deinen Stil?«, neckte er und sah unverhohlen gierig zu der Omega, die auf Greystones Schoß saß. Sie senkte den Kopf, schmiegte sich stärker an ihn und legte ihm eine Hand auf die Brust, als wollte sie sich festhalten.

Davon blieb der Amerikaner unberührt. Sein Blick durchbohrte Gabriel, der sich mit einem Mal nicht mehr so sicher war, dass er ihm helfen würde.

»Bitte, Mr. Greystone«, stieß er hastig hervor, »Sie wissen, dass ich …«

»Schweig, Omega«, fuhr ihn Greystone an.

Der Befehl hatte nicht die gleiche Wirkung wie bei einem Partner, an den man sich gebunden hatte. Trotzdem zuckte Gabriel zurück, als hätte man ihn geschlagen. Seine Zunge klebte sich förmlich am Gaumen fest. Flehend schaute er zu dem Mafioso auf, wagte es aber nicht mehr, das Wort zu erheben – mehr aus Furcht denn wegen eines erzwungenen Rufs.

»Omega?«, fragte der fremde Alpha verblüfft. Er lachte auf und wies mit der Zigarre zu Gabriel hin. »Das soll ein Omega sein?«

Greystone nickte finster.

Während ihm das Herz bis zum Hals schlug, fragte sich Gabriel, was er als Nächstes enthüllte. Dass er der Assistent des Präsidenten war? Schon sah er die Beiden Lösegeldforderungen stellen. Er würde sicher einiges einbringen – vorausgesetzt, Campbell würde zahlen. Natürlich würde er das, oder? Er würde seinen treuen Mitarbeiter nicht diesen Verbrechern überlassen.

Sein beginnendes Gedankenkarussell machte Gabriel schwindelig.

»Er gehört zu mir«, brummte Greystone.

Das Gedankenkarussell kippte.

Gabriel starrte ihn an. Wie war das?

In seiner Verwirrung war er nicht der Einzige. Nicht nur die beiden Omegas warfen Gabriel und Greystone irritierte Blicke zu. Auch der fremde Alpha schien perplex.

»Der?« Er lachte rasselnd, ehe er hustete. »Hast du ihn hinterhergeschmissen gekriegt? Er sieht nicht aus, als würde er viel einbringen.«

Gabriel presste die Lippen aufeinander und starrte auf den Boden.

»Er hat andere Aufgaben«, erwiderte Greystone kühl und sagte dann autoritär: »Sieh mich an, Gabriel.«

Folgsam hob Gabriel den Kopf.

Als sich ihre Blicke trafen, verengten sich Greystones Augen. »Wer hat dich so zugerichtet?« Er sah an ihm vorbei, an eine Stelle irgendwo hinter ihm. Dorthin, wo die Häscher stehen mussten. »Raus mit der Sprache«, verlangte er barsch.

Angespanntes Schweigen erfüllte den Raum. Gabriel wagte nicht zu antworten. Und auch sonst schien es keiner zu wollen.

Ein warnendes Grollen bildete sich in Greystones Kehle, das, als es anschwoll, Gabriels Nackenhaare zu Berge stehen ließ. Es wollte ihn dazu bringen, sich vor dem Alpha tiefer in den Staub zu drücken.

»Er frech geworden«, rechtfertigte sich schließlich der schmierige Schlägertyp, der auch vorhin das Reden übernommen hatte.

»Ihr wagt es, Hand an einen meiner Omegas zu legen?«, schnarrte Greystone feindselig.

»Wir … wir nicht wussten, dass er gehört Ihnen.« Die Stimme wurde hörbar nervös. »Er es nicht gesagt. Hat dumm gestellt sich, als wir ihn haben gefragt.«

Gabriel knirschte mit den Zähnen. Als hätten sie ihm so eine Frage gestellt.

»Beruhige dich, Al«, brummte der auffällig gekleidete, ältere Alpha. »Ist doch nur ein Kratzer.«

»Emil«, knurrte Greystone sehr leise, »du weißt, dass ich es nicht ausstehen kann, wenn man mein Eigentum beschädigt.« Er legte seine Opiumpfeife ab. »Wenn du sie nicht zur Rechenschaft ziehen willst, erlaube mir, es zu tun.«

Der alte Alpha mit Namen Emil seufzte schwer. Er zog an seiner Zigarre und blies den Rauch aus.

»Alveros«, sagte er bedächtig. »Du bist wie ein Sohn für mich. Ich lade dich in mein Haus ein, gebe dir meinen Wein, mein Opium, mein Vertrauen, und du willst meine Gastfreundschaft mit Füßen treten für ein kleines Missverständnis?« Er begann ein freudloses Lachen, das sich in einen Hustenanfall steigerte. Es klang ungesund, blechern und kratzig. Als er sich wieder beruhigt hatte, setzte er mit gönnerhaftem Lächeln hinzu: »Ihr Amerikaner mit euren rauen Sitten und eurem explosiven Temperament.«

Verstohlen beobachtete Gabriel, wie sich Greystones Miene weiter verfinsterte. Seine Ausstrahlung wurde so mörderisch, dass er fürchtete, der Mafioso würde jeden Moment aus der Haut fahren und jemanden erdrosseln.

Stattdessen schloss er die Augen, atmete tief durch und sagte, deutlich beherrschter: »Lass mich einen Moment mit ihm allein.«

Emil machte eine auffordernde Geste zur Tür hin. Gabriel ahnte, dass er die beiden Alphas hinaus befahl. Dann schob er den Omega von seinem Schoß und erhob sich schwerfällig und unter großem Geächze. Er griff die goldene Kette und zog den Jüngling grob hinter sich her.

Die rothaarige Schönheit aber blieb, wo sie war, als wolle sie ihr Revier markieren, schmiegte sich deutlicher an Greystone und strich ihm liebevoll mit den Fingern durchs Haar, während sie Gabriel beäugte.

Er lenkte den Blick erneut zu Boden, leckte sich über seine aufgesprungene Lippe und wartete.

Die Tür klickte ins Schloss.

»Welch eine unerwartete Freude, dich hier zu sehen«, höhnte Greystone in buttrig-schmieriger Tonlage, in der er bereits in der Vergangenheit mit Gabriel gesprochen hatte. Hörbar zog er an seiner Pfeife. »Wieso treibst du dich ganz allein und ohne Schutz in zwielichtigen Ecken herum, Kleiner? Hattest du Sehnsucht nach der dunklen Seite?«

Gabriel presste die Lippen aufeinander. Er mahnte sich, ruhig zu bleiben. Greystone hatte ihn gerade vor diesem anderen Kriminellen und seinen Häschern gerettet. Im Moment war der Verbrecherfürst seine einzige Hoffnung, wohlbehalten ins Hotel zurückzukommen.

»Ich habe mich verlaufen«, murmelte er und sah verstohlen auf. »Diese Männer haben mich aufgegriffen. Danke für Ihre Hilfe, Sir.« Gabriel hätte nicht gedacht, dass er solche Worte jemals an Greystone richten würde. Jetzt waren sie ihm leicht über die Lippen gegangen.

»Oh, Gabriel«, säuselte der Alpha lachend und schüttelte langsam den Kopf. »Du musst noch so viel lernen.« Er legte die Pfeife ab und nutzte die freie Hand, um sie in den Nacken der Omega-Dame zu legen. »Komm her, Hübsche«, knurrte er und als sie so bereitwillig seiner Bitte folgte, küsste er sie intensiv und mit viel Zunge.

Gabriel ertrug dieses offene Zurschaustellen von sexuellem Verlangen nicht. Es schwächte die Omega in ihrem Wert und in ihm drängte sich die Frage auf, ob sie es freiwillig mitmachte. Doch ihr Kichern klang echt und der Blick, mit dem sie den manipulativen Mann bedachte, war so voll Zuneigung, dass Gabriel davon ganz schlecht wurde. War sie wirklich so verblendet?

Greystone löste den Kuss. »Und jetzt raus mit dir, Süße.« Er klapste ihren Po. Sie ließ von ihm ab, schwang sich elegant vom Sofa und tänzelte an Gabriel vorbei. Hinter ihr fiel die Tür ins Schloss.

»Nun, da du schon einmal hier bist«, hob Greystone mit einem Funkeln in den Augen an, stand auf und schloss einen Knopf seines Jacketts, »denke ich, es wäre unhöflich, wenn du sofort wieder gehen würdest, nicht wahr?«

Gabriel wurde mulmig zumute. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, auf etwas wie Güte zu hoffen. Das schien für Greystone ein Fremdwort zu sein. Nervös blieb er am Boden hocken, weil er einerseits keine Erlaubnis erhalten hatte, aufzustehen, und andererseits nicht sicher war, ob ihn seine schwachen Beine trugen. Der Rauch hatte ihm schrecklich den Kopf vernebelt und vor dem Alpha, der gebieterisch zu ihm herabschaute, fühlte er sich klein und wehrlos.

»Mr. Campbell wartet auf meinen Bericht«, gab er zu bedenken, um den Mafioso daran zu erinnern, dass er einen starken Beschützer hatte.

Greystone schmunzelte amüsiert. »Oh, ich bin sicher, dass er das tut.« Langsam ging er um ihn herum. Lauernd wie eine große Raubkatze. Instinktiv hob Gabriel die Schultern, als könnte ihn das schützen.

»Aber ich wüsste nicht, wieso mich das interessieren sollte«, raunte ihm Greystone zu.

Gabriel lief ein unwohler Schauer über den Rücken. Er unterdrückte ein Zittern. Der Rauch machte seinen sonst so klaren Verstand duselig und Greystones Verhalten behagte ihm ganz und gar nicht.

»Ich wäre Ihnen dankbar, wenn ich gehen dürfte«, sagte Gabriel tapfer und mit so viel Selbstbewusstsein, wie er aufbringen konnte. Er vermutete, dass sie im Hinterzimmer eines Bordells oder Casinos waren. Von hier aus würde er sicher schnell den Weg zum Hotel zurückfinden.

»Alles zu seiner Zeit«, flüsterte Greystone so nah an seinem Nacken, dass Gabriel den Atem über seine Haut streichen spürte. Es bereitete ihm eine unwohle Gänsehaut.

Endlich trat der Alpha wieder um ihn herum. Er ließ sich auf dem Sofa nieder, stellte die Beine breit auf und legte die Arme über die Sofalehne. Hoheitsvoll schaute er auf Gabriel herab, ein verruchtes Lächeln im Gesicht.

»Für dich habe ich vor einem geschätzten Geschäftspartner gelogen. Es wäre nur höflich von dir, wenn du dich entsprechend erkenntlich zeigen würdest, Omega.«

Gabriels Eingeweide verhärteten sich zu einem kalten Knoten. »Wie bitte?« Greystone konnte unmöglich meinen, was er dachte.

»Spiel nicht den Ahnungslosen, Gabriel«, tadelte dieser schmunzelnd. »Solche Dinge ziehen bei mir nicht. Du hast mich sehr gut verstanden.« Er beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf die Knie und sah ihn durchdringend an. »Ich habe etwas gut bei dir. Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich dir helfe, ohne eine Gegenleistung dafür zu bekommen?« Er hob die Augenbraue, als wollte er sagen: › So naiv kannst du nicht sein .‹

Eine winzige Sekunde lang war Gabriel von dem dunklen Blick wie hypnotisiert. Ein Reh im Angesicht eines überaus attraktiven Wolfes. Wenn ihn Greystone mit diesem Ausdruck in den Augen ansah, wurde etwas in ihm ganz schwach.

Bei dem Gedanken sog Gabriel scharf die Luft ein, blinzelte und lehnte sich zurück, um den Abstand zwischen ihnen zu vergrößern. Der süßliche Opiumgeruch musste ihn heftiger berauscht haben, als er angenommen hatte.

Um sich weniger unterlegen zu fühlen, kam er auf die Füße. »Ich schicke Ihnen Ihre Omega auf dem Weg nach draußen gern wieder rein«, sagte er in aller Kühle, die er aufbringen konnte.

»Und wie soll das deine Schuld begleichen?«, fragte Greystone geringschätzig und nickte dann zum Teppich hin. »Setz dich.«

Gabriel biss die Zähne zusammen. »Danke, ich stehe lieber.« Seine Stimme bebte so hörbar, dass sie seine tapfere Fassade Lügen strafte.

Greystone musterte ihn. Lange und so eindringlich, dass der Blick Gabriel durch Mark und Bein ging.

Er schluckte gegen den Kloß an, der sich in seinem Hals gebildet hatte. Seine Omega-Natur flehte ihn an, sich dem Wunsch des Alphas zu beugen, um Schlimmerem zu entgegen.

Störrisch blieb er stehen – und konnte dann nicht schnell genug zurückspringen, als Greystone plötzlich vorschoss, ihn am Handgelenk griff, schwungvoll zu sich zog und ihn, noch während Gabriel auf ihn fiel, so schob, dass er bäuchlings auf seinem Schoß landete, das Gesicht in eines der reichbestickten Kissen gedrückt und den Arm auf den Rücken gedreht. Ein panischer Ruck, mit dem er sich befreien wollte, wurde augenblicklich mit Schmerz bestraft, der ihm durchs Schulterblatt schoss. Unter seinem Bauch spürte er die Oberschenkel des Alphas. Flach atmend hielt Gabriel still, während er die aufkommende Panik von sich drängte. So nah war er noch nie einem Alpha gekommen. Schon gar nicht einem gefährlichen.

Über ihm räusperte sich Greystone. »Ein Jammer, dass es soweit kommen musste«, sagte er mit falschem Bedauern in der Stimme. »Hat man dir nicht beigebracht, Menschen in höheren Positionen mit dem nötigen Respekt zu begegnen?«

Als Greystone den angewinkelten Arm höher schob und Gabriel erneut Schmerz durchfuhr, keuchte er auf und ein jämmerlicher Laut entwich ihm. Er biss sich auf die Zunge, um keinen giftigen Kommentar abzugeben, der ihm vollends das Genick brechen konnte.

»Doch lernfähig, hm?« Die Stimme des Mafiabosses war kühl. Hörbar zog er an seiner Pfeife. Neuer, süßer Rauch schwängerte die Luft. Gabriel konnte das Kratzen im Hals nicht länger ignorieren. Er hustete. Ihm tränten die Augen vom beißenden Qualm.

»Zurück zum Geschäft«, sagte Greystone ungerührt. »Ich biete dir an, dich wohlbehalten bei Campbell abzusetzen. Aber ich verlange eine Gegenleistung. Auch dafür, dass ich dir eben den Hintern gerettet habe.« Wie aufs Stichwort legte sich seine freie Hand auf Gabriels Po.

Gabriel zuckte zusammen. Er biss sich auf die Unterlippe, um sich nicht zu vergessen. Die unerwünschte Berührung erfüllte ihn mit Scham. Zugleich brachte sie sein Blut zum Kochen. Was erlaubte sich dieser unverschämte, aufgeblasene, arrogante Arsch von einem Alpha eigentlich?

»Schlag besser etwas von Wert vor«, fuhr dieser gedehnt fort. »Wir wollen doch nicht, dass du auf dem Weg zum Hotel verloren gehst, nicht wahr?«

Um Beherrschung bemüht, schluckte Gabriel seine Entrüstung runter. Greystone spielte mit ihm wie eine Katze mit einer Maus. Doch so unangenehm das auch war, zweifelte er nicht daran, dass der Mann seine Drohung wahrmachen würde. Diese Erniedrigung war leichter zu ertragen, als tatsächlich von ihm zurück in die Gosse geworfen zu werden, wo sich der Prager Clan auf ihn stürzen würde, um ihn an den Höchstbietenden zu verkaufen.

Aber selbst wenn er kooperieren wollte: Was hatte er schon für Möglichkeiten?

»Es gibt nichts, das ich Ihnen bieten kann«, sagte er tonlos, während er auf das Sofapolster vor sich starrte. Er sah es durch die Tränen, die inzwischen auf seine Brillengläser gefallen waren, nur verschwommen. Dieser Rauch strengte seine Augen an. »Sie haben den Termin mit dem Präsidenten bekommen. Was wollen Sie noch?«

Greystone gluckste. »Hast du gar keine Idee?«, schnurrte er anzüglich und kniff ihm in den Hintern.

Vor Scham wurden Gabriels Wangen ganz heiß. Die Entrüstung kehrte mit gewaltiger Intensität zurück. »Ich bin keine Ihrer Huren«, fauchte er.

Stille folgte seinen Worten.

Dann verließ ihn die Hand.

Gabriel wollte bereits erleichtert aufatmen, da traf sie seinen Allerwertesten scharf und schmerzhaft. Die Kraft wanderte durch den Körper. Erschrocken japste er auf und verschluckte sich beim Einatmen an der Luft. Geschockt starrte Gabriel auf Sofapolster. Er versuchte, zu begreifen, dass er gerade geschlagen worden war.

Der Alpha gab ein warnendes Knurren von sich. »Untersteh dich, meine Omegas noch einmal als Huren zu bezeichnen.«

Weitere Tränen lösten sich aus Gabriels Augen. Dieses Mal hatten sie nichts mit dem Qualm zu tun, der ihm Kopfschmerzen bereitete. Der Schreck saß ihm in den Knochen, nachdem ihn der Mafioso so grob gezüchtigt hatte.

»I-Ich bin auch keins Ihrer Omegas«, setzte er schwach hinzu. Seine Stimme zitterte.

Ein erneutes missbilligendes Grollen. Dann grub sich eine Hand in Gabriels Haar und riss seinen Kopf grob in den Nacken. Um weitere leidende Laute im Keim zu ersticken, presste er die Lippen zusammen.

»Hör mir gut zu, Gabriel«, zischte ihm die tiefe Stimme unheilvoll ins Ohr. »Ich weiß nicht, was in deinem verwirrten, kleinen Geist vorgeht, aber eins kann ich dir versprechen: Es interessiert mich einen Scheiß.« Greystone schnalzte abwertend mit der Zunge. »Wenn du allerdings glaubst, dass ich auch nur annähernd bereit wäre, dir die gleiche Ehre zuteilwerden zu lassen wie meinen Günstlingen, kann ich dich beruhigen. Du wärst der letzte Omega, den ich jemals dafür in Betracht ziehen würde.«

Gabriel spürte den Stich. Ihm war in so kurzer Zeit von so vielen Seiten deutlich gezeigt worden, dass er nicht das war, was man sich unter einem Omega vorstellte. Wieso hatte er das Gefühl, dass es dieses Mal mehr schmerzte als bei den anderen? Er schluckte es runter. Es war einfach ein langer Tag gewesen.

Der Mafiaboss ließ seinen Kopf los. »Ich handle mit Informationen«, sagte er kühl. »Das solltest du inzwischen wissen. Wenn du also möchtest, dass ich unser Treffen positiv enden lasse, wirst du mit Informationen zahlen.«

Gabriel schwieg. Sein Herz trommelte ihm noch immer in der Brust. Greystone war so schwer einzuschätzen. Im einen Moment triefte seine Stimme von falscher Freundlichkeit, im nächsten wurde er grob und unbeherrscht. Die Zeit des Katz-und-Maus-Spiels war offensichtlich vorbei. Nun zeigte er seinen wahren, hartherzigen Charakter, der keinen Hehl daraus machte, dass er Gabriel nicht mochte. Seine mächtige Aura und dominante Präsenz waren einschüchternd. Jede Unterhaltung mit ihm war ein solches Auf und Ab, dass Gabriel spürte, wie seine Selbstsicherheit schwand. Er zitterte. Seine Alarmglocken schrillten und flehten darum, dass er Abstand zwischen sich und diesen gefährlichen Mann brachte. Doch er war gezwungen, zu bleiben. Und was noch schlimmer war: Er konnte ihm keinen angemessenen Gegenwert bieten. Gabriel konnte unmöglich Staatsgeheimnisse ausplaudern. Das würde ihn vielleicht jetzt retten, aber dann könnte er morgen seinen Job an den Nagel hängen. Ganz abgesehen davon, dass er das nicht mit seinem Gewissen vereinbaren konnte.

»Was für Informationen?«, fragte er leise.

»Du bist ein Omega«, sagte Greystone und als sich Gabriel schon wundern wollte, was das mit dem Angebot zu tun hatte, setzte er hinzu: »Wieso versteckst du es?«

Gabriel stutzte. Greystone wollte private Informationen? Was hatte er davon, außer eine Gelegenheit, in Wunden zu bohren?

Gabriel wog seine Möglichkeiten gegeneinander ab. Er bemerkte schnell, dass er die höchsten Überlebenschancen hatte, wenn er mitspielte.

Also murmelte er zögernd: »Ich hätte nicht die gleichen beruflichen Chancen, wenn man es wüsste.«

Gabriel rechnete mit Spott. Mit einem abfälligen Kommentar. Doch Greystone schwieg.

Weil er sein Glück nicht überstrapazieren wollte, setzte Gabriel hinzu: »Außerdem lebt es sich als Beta ruhiger. Weniger … Aufmerksamkeit.«

Die Hand, der seinen Arm schmerzhaft auf den Rücken gedreht hatte, lockerte den Griff.

»Chancen wie die, der Sekretär des Präsidenten zu werden?«

Gabriel nickte. »Ich wusste, dass ich gut darin wäre.«

»Und was hast du dir davon erhofft? Willst du Einfluss? Ansehen? Ein Vermögen, das dich unabhängig macht?« Greystone klang so ehrlich interessiert, dass es Gabriel überforderte.

»Ja«, gestand er. Es war eine lukrative, begehrte Stelle. Noch dazu gab es ihm die Möglichkeit, sich zu beweisen, dass er einem Beta, wenn es ums Berufliche ging, in nichts nachstand. Er hatte die höchste Position inne, die man in dieser Welt erreichen konnte, wenn man kein Alpha war. Das allein machte all die Anstrengungen wieder wett.

»Was davon?«, hakte der Greystone nach. »Geld? Ruhm? Das Wissen, dass dein Handeln Auswirkungen auf die Welt hat?« Den Arm hatte er inzwischen losgelassen.

Vorsichtig zog ihn Gabriel nach vorn. Er fühlte sich wie in einem sonderbaren Bewerbungsgespräch. So aufmerksam hatte sich seit seiner ersten Unterhaltung mit Campbell niemand mehr für seine beruflichen Ziele interessiert.

Doch er war sich nicht sicher, was er darauf antworten sollte. Alles, was Greystone genannt hatte, hatte einen gewissen Reiz für ihn. Einen Moment musste er in sich gehen.

Dann gestand er: »Anerkennung.«

Der Verbrecherfürst brummte verstehend. »Du arbeitest seit fast einem Jahr für Präsident Campbell.«

Gabriel kam sich seltsam damit vor, dass Greystone das so genau wusste. Er war erschreckend gut über die Details informiert. Obwohl er nicht begriff, worauf der Alpha hinauswollte, nickte Gabriel.

»Wie lang willst du den Job noch machen? Er ist sicher sehr fordernd. Die wenigsten Menschen wären einem so breit gefächerten Aufgabenprofil und der erwarteten Erreichbarkeit rund um die Uhr gewachsen.«

Da war es schon wieder. Zum zweiten Mal an diesem Abend hielt es Greystone allgemein. Sagte › Menschen ‹, statt in Geschlechter-Schubladen zu denken. Diese Formulierungen kannte Gabriel sonst nur von seiner Mum. Bei ihr fühlte er sich gesehen und angenommen, wenn sie es tat. Bei Greystone löste es dagegen gemischte Gefühle aus, die er auf die Schnelle gar nicht benennen konnte. Es passte nicht so recht zu der Politik des Alphas, in der er seine Angestellten strikt nach Geschlecht voneinander trennte.

Aber Gabriel wollte Greystone keinen Anlass für weitere Strafen geben, also hielt er sich nicht mit grüblerischem Schweigen auf. »Es macht mir Spaß«, gestand er. »Ich arbeite gern für den Präsidenten und solange er mich dabeihaben will, möchte ich weitermachen.«

»Beeindruckende Loyalität.«

Obwohl er so sachlich klang, schlug Gabriels Herz schneller, als hätte er ihn gelobt. Vielleicht, weil es so aufrichtig wirkte und er das nicht von Greystone gewohnt war?

»Ich bin sicher, Campbell ist mit deiner Arbeit sehr zufrieden.«

Gabriel schluckte. »Das hoffe ich.«

Als sich eine Hand auf seinen Hinterkopf legte, zuckte er zusammen. Doch zu seiner Verblüffung strich sie fast schon sanft über sein schwarzes Haar und zog sich dann zurück.

»Steh auf«, forderte ihn der Alpha auf. »Zeit, dich nach Hause zu bringen.«

Gabriel konnte sein Glück kaum fassen. Eilig kam er auf die Füße, nahm seine beschlagene, feuchte Brille von der Nase, faltete sie zusammen und schob sie in eine Innentasche seines Jacketts, ehe er an seinem Anzug herumzupfte, um Greystone nicht ansehen zu müssen, der sich ebenfalls erhob.

Als er die Stille zwischen ihnen nicht länger ertrug, wagte er einen verstohlenen Blick hinauf.

Greystones Lippen verzogen sich zu einem Schmunzeln. »Ich helfe gern, solltest du je wieder in Schwierigkeiten stecken.« Er zwinkerte ihm zu und sein Lächeln wurde teuflisch. »Aber dann solltest du besser vorbereitet sein. Heute war ich nachsichtig mit dir. Das nächste Mal werde ich einen höheren Preis verlangen.«

Gabriels Wangen wurden warm. Er würde darauf achten, nie wieder in eine solche Lage zu geraten.

Bevor er antworten konnte, ging Greystone an ihm vorbei zur Tür und öffnete sie.

»George«, sagte er und winkte jemanden heran. »Komm her.«

Er zog die Tür weiter auf. Ein muskelbepackter, glatzköpfiger Alpha trat ein. Jeder sichtbare Zentimeter hellbraune Haut war tätowiert. Sogar sein Kopf – mit Ausnahme des Gesichts. Er sah zum Fürchten aus. Die grimmige Miene und die große, krumme Nase, die er vielleicht einem Straßenkampf zu verdanken hatte, machten das nicht gerade besser.

Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend trat Gabriel einen Schritt zurück. Als sich ihre Blicke begegneten, hatte er nicht mehr die Kraft, ihn zu halten. Er senkte den Kopf.

»Bring ihn hier raus«, raunte Greystone dem anderen Alpha zu. »Emil denkt, er arbeitet für mich, also wirst du ihn wie einen Kollegen behandeln, verstanden?«

Aus den Augenwinkeln sah Gabriel George nicken.

»Keine Umwege und keine Unachtsamkeiten«, warnte ihn Greystone ernst. »Du fährst ihn direkt zum Hotel. Er ist einer von Campbells Leuten. Und ich werde es mir mit dem Präsidenten nicht verscherzen, solltest du dir einen Fehler erlauben. Habe ich mich klar ausgedrückt?«

Der bullige Mann nickte erneut. »Klar und deutlich, Boss.«

Gabriel sehnte sich danach, endlich in seinem Hotelzimmer anzukommen. Aber als er spürte, dass sich der abwartende Blick der beiden auf ihn legte, fiel es ihm schwer, den Kopf zu heben und zu ihnen hinüber zu gehen. Er hatte für heute genug von Alphas. Von Kriminellen. Von allem, was ihm widerfahren war, seit er sich in den Prager Straßen verlaufen hatte.

»Also dann.« Gemächlich schritt Greystone auf Gabriel zu und deutete eine leichte, spöttische Verbeugung an. »Richte dem Präsidenten meine Grüße aus.«

Gabriel schluckte. »Mach ich«, log er.

Als sich der Mafiaboss wieder aufrichtete, wies sein Schläger von einem Alpha zur Tür. »Gehen wir.«

Gabriel folgte ihm zögernd. Er betete, dass Greystone sein Wort hielt und ihn der Mann tatsächlich zu Campbell zurückbringen würde.

George stellte sich als überraschend umgänglich heraus. Beinahe freundlich. Er war bisher von allen, die Gabriel in diesem Umfeld kennengelernt hatte, der höflichste. Vielleicht weil er nicht sprach, ihn keines Blickes würdigte und einfach das tat, was ihm aufgetragen worden war. Das schien in dem Milieu schon mehr zu sein, als man erwarten durfte.

Während Gabriel aus dem Fenster des gepanzerten Wagens auf die dunklen Prager Straßen schaute, wollte er Greystone für den Service einer sicheren Rückfahrt fast dankbar sein – bis ihm wieder einfiel, wie dreist und unverschämt der Mann erneut gewesen war.

Und doch ging ihm das Gespräch nicht aus dem Kopf. Greystone war so genau über seine Anstellung informiert gewesen. Jetzt, da Gabriel darüber nachdachte, fiel ihm auf, dass er auch über das Gerücht zu seiner Omega-Natur viele Details gewusst hatte.

›Ich handle mit Informationen‹ , hatte er gesagt.

Wieso hatte sich dieses Gespräch dann fast schon angenehm angefühlt? Für einen kurzen Moment hatte es keine höhnischen Kommentare gegeben, keine Drohungen, keine schneidende Kühle oder hitziges Bedrängen.

Gabriel blinzelte und schüttelte eilig den Kopf. Der selbstgerechte Alpha hatte seine körperliche Überlegenheit ausgenutzt und ihn übers Knie gelegt. Er hatte ihn angefasst und ihn sogar geschlagen! Nichts daran war angenehm gewesen. Nur weil er während seiner Befragung so aufmerksam gewesen war, machte ihn das nicht sympathischer! Außerdem hatte er es sicher nicht ohne Hintergedanken getan. Gabriel war nicht naiv. Inzwischen hatte er begriffen, dass ihn der Mafiaboss als einen direkten Zugang zum Präsidenten betrachtete. Ein schwaches Glied, das man brechen konnte, um zu bekommen, was man wollte. Gabriel musste in Zukunft noch vorsichtiger sein.

Der Wagen hielt vor dem Hotel. Das zog ihn aus seinen Gedanken. Er schaute hinaus, um sich zu vergewissern, dass er hier richtig war, und war dann so erleichtert, wie lange nicht mehr. Es hätte böse enden können. Irgendwo hatte er wohl einen Schutzengel.

»Danke«, sagte er an George gewandt, der nur nickte und dann dabei zusah, wie Gabriel ausstieg.

Der Wagen brauste davon.

Gabriel forderte sein Glück nicht weiter heraus, ging schnurstracks ins Hotel und stieg in den Lift.

Es war spät. Später, als er eigentlich hatte zurücksein wollen. Er würde diese Nacht nicht viel Schlaf bekommen.

Als er die Tür zu seinem Hotelzimmer öffnete, erwartete ihn dort eine Überraschung: Auf dem kleinen Sessel neben dem Fenster, einen Weißwein in der einen Hand und sein Tablet in der anderen, saß der Präsident persönlich.

Gabriel schloss die Tür und trat näher. Er fragte sich, wie er wohl aussehen musste. Wirkte er so mitgenommen, wie er sich fühlte?

Alaric Campbell schaute vom Tablet auf und schenkte ihm ein kleines Lächeln. »Du bist spät.«

Gabriel befiel ein schlechtes Gewissen. Hatte der Präsident die ganze Zeit auf seine Rückkehr gewartet? Gab es etwas Wichtiges zu besprechen? Permanente Erreichbarkeit stand quasi in seiner Jobbeschreibung.

»Entschuldigen Sie, Sir«, sagte er und straffte die Schultern. »Mein Handy hat den Geist aufgegeben und ich habe mich verlaufen.«

Campbell nickte. »Ich war schon drauf und dran, einen Suchtrupp loszuschicken«, sagte er beiläufig und nippte an seinem Wein.

Gabriel schmunzelte. »Das wäre nicht nötig gewesen, Sir.« Respektvoll neigte er den Kopf. »Es wird nicht wieder vorkommen.«

Als er näher herantrat, um seine schmutzige Brille und sein totes Handy auf den Tisch zu legen, rümpfte der Präsident die Nase.

»Wo, um alles in der Welt, bist du gewesen?«, fragte er, vielmehr sorgenvoll denn anklagend. »Du riechst nach Zigarren und Opium. Und ist das eine Schramme an deiner Lippe?«

Ertappt trat Gabriel einen Schritt zurück. »Verzeihung. Ich werde sofort duschen gehen.«

Erhaben winkte Campbell ab. »Mach dir keine Umstände.« Er fasste ihn stärker ins Auge. »Geht es dir gut? Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glauben, du hast dich zum Pokerabend getroffen.«

Gabriel versteckte sich hinter einem kleinen Lachen. »So etwas in der Art«, sagte er ausweichend.

Der Präsident lachte nicht. Sein Blick wurde prüfend. »Hand aufs Herz, Gabriel. Was ist passiert?«

Sie hatten ein gutes Verhältnis. Er würde es beinahe als vertrauensvoll bezeichnen. In ihren Positionen war das entscheidend. Doch Campbell wusste bei Weitem nicht alles über ihn. Und so, wie der Abend gelaufen war, hatte er kein Bedürfnis, ihn einzuweihen. Die Omega-Thematik hatte im Vordergrund gestanden, seit die Tschechen ihn aufgegriffen hatten. Er wollte den Präsidenten nicht auf diese Wahrheit stoßen, die er bisher so sorgsam vor ihm verborgen hatte.

»Es ist nichts passiert«, spielte er es also herunter. »Ich habe mich verirrt. Mr. Greystone hat mich gefunden und mich nach Hause fahren lassen.«

Campbell horchte auf. »Greystone?«

Gabriel nickte.

»Er ist in Prag?«, hakte der Präsident nach und nippte an seinem Wein.

»Ja. Geschäftlich, wie es scheint.«

»Was für ein Zufall«, murmelte Campbell und Gabriel war sich nicht sicher, ob es an ihn gerichtet war oder ob der Präsident nur vor sich hin sann. »Dass er ausgerechnet jetzt hier ist, da wir uns ebenfalls in der Stadt aufhalten.«

Jetzt begriff Gabriel, was er andeuten wollte. So hatte er das noch gar nicht betrachtet.

Campbell sah wieder zu ihm auf. »Was hältst du von ihm?«

Unangenehm berührt verzog Gabriel den Mund und zuckte dann mit den Schultern. »Ich kann ihn nicht einschätzen, Sir.«

Der Präsident brummte zustimmend. »Geht mir ähnlich.«

 

Ein Bild, das Text, Geschirr enthält.

Automatisch generierte Beschreibung

Gabriel

 

Als gut einen Monat später Einladungen zur Tausendundeine-Nacht-Aufführung ins präsidiale Büro flatterten, hoffte Gabriel schon darauf, dass er sie wortlos in den Papierkorb werfen durfte.

Doch Campbell hatte andere Pläne und aus strategischer Sicht konnte Gabriel sie nachvollziehen. Es war einer der Leitsätze, die den Präsidenten so weit gebracht hatten: › Halte deine Freunde nah bei dir und deine Feinde noch näher.‹

Greystone war ein einflussreicher Mann, bei dem sich erst noch herausstellen musste, welches von beidem er war. Und so trug Campbell seinem Assistenten auf, in ihrer kommenden Amerika-Reise ein abendliches Zeitfenster zu schaffen, in dem sie sich die Vorstellung ansehen würden.

Sie quartierten sich in dem Hotel ein, das sie auch während ihrer letzten Aufenthalte belegt hatten, und als der Abend näher rückte, hoffte Gabriel fast, dass man ihm freigeben würde und Campbell allein ging.

Aber das war eine Illusion, an der er nicht lang festhalten konnte. Wie jeder erfolgreiche Politiker liebte der Präsident eine gut organisierte Veranstaltung, auf der er Beziehungen knüpfen konnte. Die Abmachungen, die er auf Events traf, mündeten oft in entscheidende Gesetze und gewinnbringende Handelsbeziehungen. Selbstverständlich konnte er dabei nicht auf seinen Assistenten verzichten, der alles Wichtige notieren und später in die Wege leiten würde.

Als sie beim Pearls vorfuhren, zwei Stunden vor Beginn der Aufführung, stieg Gabriel hinter Campbell und Grunewald aus der Limousine und machte sich auf ein Wiedersehen gefasst.

Wie schon bei ihrem letzten Besuch begrüßte Greystone, der sie bereits erwartet hatte, zwar überschwänglich den Präsidenten und seinen Minister für internationale Sicherheit, ignorierte Gabriel aber vollkommen.

Das war diesem nur recht. Seit ihrem unverhofften Zusammentreffen in Prag fühlte er sich unwohl, wann immer er an Greystone dachte. Nicht, dass er das oft getan hatte. Kaum mehr als einmal täglich. Zweimal maximal, wenn er nicht aufgepasst hatte. Zu wissen, dass ihn der Geschäftsmann nun auf peinliche Weise besser kannte als sein Boss, gab Gabriel das Gefühl, in der Nähe des Alphas sehr angreifbar zu sein. Seiner Willkür ausgeliefert. Ein Wort von ihm und Gabriels gesamte Karriere läge in Scherben.

Um Greystone nicht daran zu erinnern, wie viele pikante Details er über Gabriel wusste, hielt sich dieser im Hintergrund, lief mit ihnen durch den großen Saal und begleitete sie zur VIP Loge, die man für Campbell hergerichtet hatte. Ein Beta wartete bereits mit Erfrischungen davor. Greystone hatte die ganze Zeit über geredet. Hatte die Vorzüge seiner strikten Trennung betont. Alphas waren für die Sicherheit zuständig, Betas für den Service, Omegas sorgten für die Unterhaltung. Gabriel hatte es ihm ebenso wenig abgekauft wie beim ersten Mal. Vielleicht nach ihrer letzten Begegnung sogar noch weniger. Aber seine Einschätzung war nicht gefragt gewesen, also hatte er geschwiegen.

Der Mafiaboss konnte sicher gütig und sanft sein, wenn man sich ihm unterwarf und seinen Launen nachkam. Doch das machte ihn weder sympathisch noch ungefährlich.

Als sich zwischen ihnen schließlich der Vorhang schloss und Gabriel mit dem Präsidenten, dem Minister und zwei Sicherheitsalphas allein in der Loge war, atmete er auf. Sie setzten sich auf die weichen Sessel und die Show begann.

Es war sogar eine recht angenehme Vorführung. Sicher, die Omegas zeigten viel nackte Haut, doch sie wahrten überraschend gut ein geschmackvolles Niveau, statt ins Vulgäre abzurutschen. Von einer Tabledance-Bar hatte Gabriel Schlimmeres erwartet als eine fast schon ästhetische Vorstellung auf einer kleinen Bühne, bei der die Stangen kaum genutzt wurden. Ein verstohlener Blick zu seinen Begleitern sagte ihm, dass sie ebenso angetan waren. Er konnte es ihnen nicht verübeln.

Curiosity, der das Omega-Ensemble anführte, war ein begnadeter Tänzer. Elegant, aufreizend, ohne billig zu wirken, verführerisch und zugleich stilvoll.

Die Show endete unter tosendem Applaus und einigen auf die Bühne geworfenen Rosen und Kärtchen, auf denen Gabriel Telefonnummern vermutete. Den Omegas wurden Geldscheine zugeworfen, kleine Plüschtiere, Unterwäsche. Alles von schmeichelhaft bis hin zu aufdringlich war vertreten. Doch sie mussten sich offensichtlich nicht um ihre Sicherheit sorgen. Die Security, die vor der Bühne stand, schüchterte jeden glühenden Verehrer ausreichend ein, um sich nicht näher heranzuwagen als erlaubt.

Gabriel beobachtete, wie Curiosity mit den anderen von der Bühne tänzelte, und kam auf die Füße, als sich Campbell und Grunewald erhoben.

Es überraschte ihn nicht, dass Greystone vor dem Vorhang auf sie wartete.

Während das Publikum entweder aus dem Pearls hinausströmte oder sich noch für einen Drink an die Bar setzte, führte er seine Gäste hinunter ins Erdgeschoss und dann hinter die Bühne. Er öffnete eine Tür, auf der in eindrucksvollen Lettern › Garderobe‹ stand.

Inständig hoffte Gabriel, dass sie keine entblößten Omegas konfrontieren würden.

Er war zu gleichen Teilen erleichtert und überrascht, als er sie im großen Raum ausmachte. Niemand war nackt. Einige saßen an den Schminktischen an den Wänden, andere unterhielten sich oder packten ihre Sachen. Auf der gegenüberliegenden Seite gab es Kabinen, die beim Umziehen die Privatsphäre sichern würden. Hier drin standen sogar zwei gemütlich aussehende Sofas und in einer Ecke gab es eine Kaffeemaschine und einen Wasserspender. Üppig gefüllte Obstschalen standen auf einigen der Tische.

Nach dem, was er in Prag erlebt hatte und nachdem er sich eingeschärft hatte, von Greystone nur das Schlimmste zu erwarten, war das hier eine positive Überraschung.

Doch die Verblüffung währte nicht lang, denn Greystone winkte Curiosity heran und Gabriel wurden zwei Dinge klar.

Erstens: Er konnte den jungen Omega nicht ausstehen. Ja, er war hübsch und talentiert. Sein Lächeln wirkte aufrichtig und alles andere als gezwungen. Trotzdem erkannte Gabriel mit absoluter Sicherheit, dass sie niemals Freunde werden würden. Er ertrug diese kokettierende, gezierte Art nicht.

Und zweitens: Das alles hier war noch Teil der Show. Wären Campbell und Grunewald nicht hier, hätte Greystone nicht einmal einen Grund, auch nur einen Fuß in diese Räume zu setzen. Aber er wusste, dass der Präsident demnächst weitere Klauseln im Gesetz zur Gleichbehandlung von Omegas verabschieden würde und Campbell und Grunewald beobachteten Geschäftsmänner, die Menschenhandel betrieben. Es war eine Farce. Eine von vielen. Gabriel würde Wetten darauf abschließen, dass für die Omegas nicht immer so eitel Sonnenschein herrschte. Dass sie vermutlich heute das erste Mal in ihrem Leben Obst gestellt bekommen hatten.

Sicher wird die Kaffeemaschine morgen wieder abgebaut, dachte er giftig, genau wie der Wasserspender. Es war alles eine riesige Lüge, um sich vor dem Präsidenten ins rechte Licht zu rücken.

»Komm zu uns, mein Stern«, sagte Greystone gerade, als Curiosity nah genug herangetänzelt war. Er nahm ihn bei der Hand und führte ihn zu Campbell und Grunewald. »Du warst großartig. Die Herren sind sehr beeindruckt von dir und der Show.«

Curiosity errötete und schenkte ihnen ein Lächeln, ehe er elegant knickste. »Vielen Dank.«

Von dem perfekten Bild, das die beiden abgaben, wurde Gabriel schlecht. Wen wollten sie täuschen? Campbell durchschaute sowas doch sofort.

»Es stört Sie sicher nicht, wenn wir uns auch mit den anderen unterhalten?«, fragte der Präsident in einem höflichen Ton, der deutlich machte, dass er nicht um Erlaubnis bat.

»Natürlich nicht.« Einladend wies Greystone zu den Tänzern. »Bitte.«

Begleitet von Grunewald trat Campbell tiefer in den Raum hinein. Gabriel blieb am Rand stehen, ging sogar noch einen Schritt zurück und fühlte sich ein wenig besser, als er die Wand im Rücken spürte. Es war ihm früher schon schwergefallen, Kontakt zu anderen Omegas zu knüpfen. Er konnte ihrem Verhalten nichts abgewinnen. Wie sie sich gaben, wie sie dufteten, wie sie sich bewegten, wie sie sich anbiederten, wenn ein lediger Alpha in der Nähe war. Das Kichern und Augenaufschlagen. Gabriel hätte auch so sein können und sicher hatten das einige Freunde und Verwandte erwartet, aber es hatte ihm nie wirklich zugesagt. Ihn interessierten nicht die gleichen Dinge wie andere Omegas. Lieber unterhielt er sich mit Betas. Sie waren meist ähnlich ehrgeizig wie er, ohne unangenehm dominant zu sein. Das zog er den endlosen Gesprächen über Kinder, Hochzeiten und ein Leben in Abhängigkeit vor.

Missmutig beobachtete er den Mafiaboss dabei, wie dieser Curiosity einen Kuss auf die Fingerspitzen hauchte und sagte: »Ich komme nachher noch einmal zu dir.«

Curiosity schenkte ihm ein Lächeln und klimperte mit den Wimpern. »Ist gut.« Dann tänzelte er zurück zu den anderen.

Gabriel schnaubte abfällig.

Im Geschnatter der Omegas hatte er geglaubt, dass es niemand hören würde, doch Greystone schaute auf. Als die dunklen Augen Gabriel fanden, setzte sein Herz einen Moment aus.

Fahrig tat Gabriel so, als würde er die Notizen in seinem Smartphone durchgehen. Das konnte ihn nicht davon ablenken, dass der Alpha näherkam und sich neben ihm mit dem Rücken gegen die Wand lehnte.

»Ich bin neugierig«, sagte er laut genug, damit ihn Gabriel hörte, aber so leise, dass es im allgemeinen Geräuschpegel unterging. »Hast du dir eine gewisse, beeindruckende Persönlichkeit zum Vorbild genommen? Oder woher kommt deine Entschlossenheit, dich über die dir angeborenen Grenzen hinwegzusetzen und es der Welt beweisen zu wollen?«

Irritiert sah Gabriel von seinem Smartphone auf. »Wie bitte?«

»Also nicht?« Greystone warf ihm einen Seitenblick zu. Dann nickte er. »Interessant. Ich hätte fast meine Hand dafür ins Feuer gelegt, dass dich seine Geschichte ermutigt hat, nach Höherem zu streben.«

Gabriel starrte ihn an. Er hätte gern behauptet, dass der Alpha in Rätseln sprach, doch das, was er andeutete, war erschreckend präzise.

»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen«, sagte er und fragte sich zugleich, ob das nur ein Bluff war. Ein Glückstreffer, der sich erst bewahrheiten würde, wenn Gabriel zustimmte. Also stellte er sich dumm. »Was für eine Geschichte?«

Greystone schaute ihn so durchdringend an, dass Gabriel den Atem anhielt. Er mochte diesen Blick nicht. Damit fühlte er sich von dem Alpha noch deutlicher berührt, als wenn er Hand an ihn gelegt hätte.

»Diskretion ist Gold wert, besonders bei einem so sensiblen Thema.« Greystone stieß sich von der Wand ab und nickte ihm zu. »Ich möchte keinen Sturm provozieren und ich will mir keine größeren Feinde machen, als ich schlagen kann. Also sei so gut und erwähne es nicht weiter.«

Mit offenem Mund starrte ihn Gabriel an. Das war vollkommen unmöglich. Der Mafioso konnte nicht wirklich das größte Geheimnis aufgedeckt haben, das er hütete.

»Da die Herren noch mit der Befragung der Omegas beschäftigt sind, schätze ich, meine Person wird aktuell nicht verlangt«, sagte Greystone in die entstandene Stille hinein, halb zu Gabriel und halb zu sich selbst. »Ich werde sie gern verabschieden, sobald sie genug von all dem Trubel hatten.« Er wandte sich zum Gehen.

Sprachlos und von der neuen Erkenntnis vollkommen überrumpelt, schaffte es Gabriel gerade noch, seinen Mund zu schließen, doch antworten konnte er nicht.

Greystone schmunzelte. »Entspann dich, Gabriel. Immerhin kann dich hier mehr als ein Alpha vor mir beschützen.« Er zwinkerte ihm neckend zu, dann verließ er den Raum.

Auch nachdem sich die Tür bereits lange geschlossen hatte, starrte Gabriel sie noch an. Als seine Augen trocken wurden, blinzelte er. Frust stieg in ihm auf. Nicht genug, dass Greystone ungefragt mit Enthüllungen um sich warf, als wären sie Bonbons, während sie andere Menschen, deren Jobs und Leben daran hingen, lieber gut versteckt hielten. Nein, er hatte schon wieder diese sonderbare Anwandlung gehabt, Gabriel etwas Persönliches zu fragen. Zuvorkommend. Aufmerksam. Und gar nicht so unverschämt und dreist, wie er sich sonst so gern zeigte. Nur um zu verschwinden, bevor Gabriel die Gelegenheit bekommen hatte, ihm zu antworten. Es fing an, ihm auf die Nerven zu gehen. Wieso konnte sich der Alpha nicht einfach entscheiden, was er wollte? Seine ständig umschlagenden Stimmungen waren irritierend.

Gabriel atmete tief durch und zwang sich zur Ruhe. Es ging ihn alles nichts an, mahnte er sich. Das betraf ihn nicht persönlich. Was scherte es ihn, was der Mafiaboss für eine seltsame Persönlichkeitsstörung hatte? Oder warum er gern Menschen an der Nase herumführte, ehrliches Interesse vortäuschte und sie anschließend aufs Glatteis schubste?

Es konnte Gabriel egal sein! Vollkommen egal! Noch ein paar Stunden, dann wäre er hier wieder raus und mit etwas Glück würden sie sich danach sehr lange nicht mehr sehen. Oder vielleicht nie wieder.

Gabriel straffte die Schultern, atmete tief durch und beobachtete Grunewald und Campbell dabei, wie sie sich mit zwei Omegas unterhielten.

Lange ertrug er die Warterei nicht. Das Gekicher und der Geruch der anderen Omegas strengten ihn an. Seine Entrüstung über Greystones seltsames Verhalten hielt sich nicht so leicht im Zaum, wie er gehofft hatte. Er sehnte sich nach Ruhe, nach einem Ort, an dem er das alles für einen Moment vergessen konnte. Zwar sollte er das Pearls ohne den Präsidenten nicht verlassen, aber niemand sagte, dass er sich nicht im Gebäude umsehen durfte. Vielleicht fand er mit ein wenig Glück eine ruhige Ecke, die es ihm gestattete, durchzuatmen.

Also verließ Gabriel die Garderobe und schlenderte durch den großen Saal, der inzwischen recht leer war. Er ahnte, dass sie das weitere abendliche Programm, die laute Musik und die Tabledance-Einlagen für heute abgesagt hatten, damit sich Greystone ganz auf den Präsidenten konzentrieren konnte. Gedimmtes Licht, dröhnender Bass und geile Alphas, die Omegas Scheine ins Höschen steckten, waren sachlichen Geschäftsgesprächen nicht sehr zuträglich. Obwohl Gabriel naserümpfend bei sich dachte, dass es sicher Greystones liebste Art war, Geschäfte zu machen. Umringt von willigen Omegas, die sein Ego streichelten und ihm bestätigten, was für ein geiler Hengst er war. Widerwärtig.

Eisern verdrängte Gabriel die Vorstellung davon, wie weiche Hände über die breite Brust des Mafiabosses strichen. Er konnte nicht verhindern, sich auszumalen, wie warm und hart sich die eindrucksvollen Muskeln unter den Fingern anfühlen mussten. Ihn durchlief ein Schaudern, von dem sich Gabriel sicher war, dass es ein unwohles war.

Als er dem Blick eines massigen Alphas begegnete, der an der Tür postiert war und den Saal im Auge behielt, fühlte sich Gabriel sonderbar ausgeliefert. Er schaute zu dem Beta, der hinter der Bar stand und saubere Gläser einräumte, und zu dem Alpha, der am zweiten Eingang Aufstellung bezogen hatte und ihn ebenfalls ansah.

Hier würde er definitiv keine Ruhe haben, es sei denn, er gab den Beta und unterhielt sich unter einem Vorwand mit dem Barkeeper. Dafür hatte er heute keine Kraft mehr. Die Woche war anstrengend gewesen und wenngleich er selten mit Jetlag zu kämpfen hatte, zehrten die Langstreckenflüge doch auf Dauer an seinen Nerven.

Gabriel tat, als wüsste er ganz genau, wo er hinwollte, bog neben der Bühne in den kleinen Gang ab, der dahinter führen würde, und wartete förmlich darauf, dass ihm jemand hinterherrief, dass er dort nichts zu suchen hätte.

Niemand hielt ihn auf.

Gabriel lief den schmalen, dunklen Gang entlang, dessen eine Seite mit langen Vorhängen verkleidet war. Hinter den dicken Stoffbahnen erahnte er das Rückengerüst der Bühne. Als sie endeten, schloss sich ein wackeliges, großes Regal an, in dem allerlei Kleinkram lag, von dem Gabriel vermutete, dass es Requisiten waren. Er besah sich eine mobile Kleiderstange, an der schillernde und glitzernde Kostüme hingen.

Stimmen drangen an seine Ohren.

Gabriel wurde hellhörig. Sie kamen von weiter hinten.

Im Allgemeinen hielt er sich nicht für jemanden, der herumschlich und andere Leute belauschte. Doch eine der Stimmen hatte einen samtigen, tiefen Bass. Etwas daran zog ihn näher.

Gabriel lief das hohe Regal entlang und spähte zwischen den einzelnen Fächern hindurch auf die andere Seite. Hinter der Bühne befand sich ein ausladender Raum, der mit mannshohen Requisiten vollgestellt war. Pappmaché-Figuren, Kleidungsstücke, lange Stangen und verschiedene Möbel. Darunter auch ein altes Vintage-Sofa mit rotem Samtbezug und goldenem Rahmen.

Darauf saßen unverkennbar zwei Personen, eine rittlings auf der anderen.

Gabriel lugte zwischen den Requisiten im Regal hindurch, bis es für ihn keinen Zweifel mehr gab: Das waren Greystone und sein Stern , Curiosity.

Er verkniff sich ein abfälliges Schnauben. Das sah dem Alpha ähnlich, die erstbeste Gelegenheit zu nutzen, sich mit einem Omega zu vergnügen. Es passte haargenau zu dem Bild, das Gabriel von ihm hatte.

Eigentlich wollte er sich umdrehen und gehen. Doch obwohl er weit genug entfernt stand, konnte er die beiden klar und deutlich verstehen. Und das, was sie sagten, ließ ihn innehalten.

»Odil, Darling«, sprach Greystone, der überraschend sanft klang. »Lass uns das auf später verschieben.«

Odil? War das Curiositys echter Name?

»Du sagtest, du würdest zu mir kommen«, säuselte der Omega, »und jetzt bist du hier. Willst du mich nicht für meinen Einsatz belohnen?«

»Natürlich will ich das, mein Sternchen«, brachte Greystone schwer atmend hervor. Gabriel ahnte, dass seine Atemlosigkeit mit den Händen zu tun hatte, die Odil zwischen ihnen nach unten geschoben hatte. Seine Eingeweide verknoteten sich.

»Worauf wartest du dann noch, Alpha?«, schnurrte Odil Greystone ins Ohr und drängte sich näher.

Der knurrte warnend. »Spiel nicht diese Karte aus. Ich bin nicht dein Alpha.«

»Doch du könntest es sein«, flötete Odil und rieb sein Becken über Greystones Schritt.

Dem Alpha entwich ein Stöhnen.

»Du willst es«, sagte Odil, der ziemlich von sich überzeugt schien. »Beiß mich. Dann gehöre ich für immer dir.«

Greystone lachte leise. »Verlockendes Angebot, Liebes. Aber du kennst meine Grundsätze. Kein Markieren, kein Knoten.«

Gabriel blinzelte. Also hatte er nicht nur sehr strikte Prinzipien, was das Geschäftliche betraf, auch im privaten Bereich? Die Erkenntnis, dass er seinen Omegas gegenüber so rücksichtsvoll und transparent war, brachte Gabriel durcheinander. Der unverschämte Verbrecherfürst wirkte wie ausgewechselt. Beinahe handzahm. Und wie es schien, führten sie diese Beziehung sogar im gegenseitigen Einvernehmen. Nach ihrem Zusammentreffen in Prag war sich Gabriel gar nicht so sicher gewesen, ob ihm die Omegas freiwillig nah waren.

Nun fühlte er, wie Wut in ihm aufstieg. Wut auf Greystone, der vorgab, jemand anderes zu sein. Der andere Omegas anständig behandelte, Gabriels Würde zugleich mit Füßen trat und ihn zum Zeitvertreib an der Nase herumführte.

Daran konnte auch der verhaltene Respekt nichts ändern, der sich in ihm einnisten wollte, weil Greystone gegenüber seinen Sexualpartnern mit offenen Karten spielte, anstatt ihnen große Liebe vorzugaukeln. Das war ja schon fast fair.

Aber das machte die Art, wie er mit Gabriel umsprang, nur ungerechter. Was hatte Gabriel getan, um eine solche Behandlung zu verdienen? Und wieso interessierte es ihn überhaupt? Es konnte ihm vollkommen egal sein, wie Greystone sein Leben lebte. Wie er mit Omegas umging. Dass eine seiner Regeln war, dass er nicht markierte.

Während Gabriel zwischen dem Wunsch, weiter zuzuhören, um mehr von dem gefährlichen Mann zu erfahren, und dem Drang, schnellstmöglich Abstand zwischen sie zu bringen, hin- und hergerissen war, strich Odil dem Alpha sanft über die breite Brust.

»Du könntest bei mir eine Ausnahme machen«, säuselte er und begann, Greystones Hemd aufzuknöpfen. »Ich bin das Beste, das dir je passiert ist. Sagst du das nicht immer?«

Die Hände wurden fortgeschoben.

»Genug, mein Stern. Zwing mich nicht, mich zu wiederholen.«

Einen Moment hielt Odil inne.

Dann rieb er erneut über den Schritt des Mafiosos. »Lass mich dir wenigstens den Abend versüßen.«

Greystone schmunzelte. »Wie könnte ich da widerstehen? Aber beeil dich. Wir haben Gäste.«

Gabriel hatte genug gesehen. Vor allem genug von Odil, den er von Anfang an nicht hatte leiden können. Die Abneigung gegen den Omega wuchs massiv, als er dabei zusah, wie dieser die Hose des Alphas öffnete und die Hände hineinschob.

Während es Greystone › den Abend versüßte‹ , stieß es Gabriels eigene Laune nur tiefer in den Keller. Seine Wut wurde größer, weil es ihn aufregte, dass es ihn aufregte. Mit zusammengebissenen Zähnen und geballten Fäusten wandte er sich von dem Anblick ab. Je eher er hier verschwand, desto besser.

Er tat zwei Schritte in den dunklen Korridor neben dem Regal und stieß mit dem Fuß gegen einen leeren Metalleimer, der laut scheppernd zu Boden fiel und herumrollte.

Erschrocken fuhr Gabriel zusammen, ehe er zum Ende des Ganges hastete. Er konnte darauf verzichten, von den beiden entdeckt zu werden.

 

Ein Bild, das Text, Geschirr enthält.

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Gabriel

 

Ein paar Minuten später fand sich Gabriel auf einem Balkon im Obergeschoss des Pearls wieder.

Eigentlich hatte er nur frische Luft schnappen wollen, um sich zu erden. Er wollte den Präsidenten nicht warten lassen. Doch aus dem kurzen Moment war fast eine halbe Stunde geworden und weil er noch immer vollkommen durch den Wind war, konnte er nicht zurück. Nicht nur, dass Campbell erkennen würde, dass ihn etwas beschäftigte. Er konnte auch gut darauf verzichten, Greystone in die Arme zu laufen. Das Pearls war Mafiarevier und Gabriel fühlte sich wie von Feinden umzingelt. Hier auf dem Balkon hatte er wenigstens seine Ruhe.

Als hinter ihm hörbar die Balkontür zur Seite glitt und eine samtene Stimme sprach: »Hier bist du ja«, biss sich Gabriel kräftig auf die Zunge.

Wieso musste ihn von allen Menschen, die im Pearls waren, ausgerechnet Greystone finden?

Er versteifte sich, als sich der Alpha neben ihm ans Geländer stellte. Es beschwor Erinnerungen herauf, die er lieber von sich schieben wollte. Das letzte Mal, das er allein mit Greystone auf einem Balkon gestanden hatte, war für ihn nicht gut ausgegangen. Wenn er darüber nachdachte, hatte keiner ihrer Momente in trauter Zweisamkeit sonderlich gut geendet. Zumindest nicht für Gabriel.

Er war müde vom emotionalen Auf und Ab, über das er bisher keine Kontrolle hatte erlangen können. Hatte zu viel Energie verloren, um jetzt mehr als Resignation aufzubringen.

»So gern ich dir auch meine Gastfreundschaft anbiete«, brummte Greystone neben ihm, den Blick auf die Stadt gerichtet, »bin ich doch überrascht, dass du sie auf diese Weise nutzt.«

»Weil?«

»Weil die meisten meiner Gäste«, sagte der Alpha bedächtig und Gabriel spürte überdeutlich, wie sein Blick zu ihm wanderte, »wenigstens den Anstand haben, die Privatsphäre zu wahren.«

Ertappt presste Gabriel die Lippen zusammen. Also hatte ihn Greystone vorhin bemerkt. Aber er ließ es ja geradezu so klingen, als hätte Gabriel sie absichtlich beobachtet.

Entrüstet sah er zu ihm auf. »Dann sollten Sie Ihre privaten Dinge hinter verschlossenen Türen erledigen«, sagte er schnippisch.

Als der Mafiaboss daraufhin forsch auf ihn zuschritt, sprang Gabriel erschrocken zurück.

Der Alpha baute sich in all seiner Schrecklichkeit vor ihm auf und funkelte ihn zornig an. »Hüte deine Zunge«, knurrte er, »und vergiss nicht, wer ich bin. Solche Frechheiten stehen dir nicht zu.«

Vor Schreck hörte Gabriel auf zu atmen. Das Gefühlschaos, das in den letzten Minuten ein wenig leiser geworden war, stieg nun heftiger in ihm auf.

Der wütende Ausdruck in Greystones Gesicht wich einem bösen Lächeln, das so breit war, dass es seine Eckzähne entblößte. Der Anblick stellte Gabriel die Nackenhaare auf.

»Oder hat es dir gefallen, dass ich dich übers Knie gelegt habe?«

Sein geringschätziger Ton steigerte Gabriels Wut. Er biss sich auf die Zunge, bevor er mit dem nächsten falschen Wort den Zorn des Alphas weiter anfachen konnte, und tat das Einzige, das ihm blieb: Flucht. Stumm wandte er sich ab, senkte den Kopf und eilte zur Tür.

Doch er hatte sie kaum einen Spalt weit aufgeschoben, da knallte neben ihm eine Hand gegen das Glas und ließ ihn so sehr zusammenfahren, dass ihm fast das Herz stehenblieb. Es tat einen kräftigen, schmerzhaften Schlag gegen seine Rippen, als er den warmen, muskulösen Körper des Alphas spürte, der sich an ihn drängte und ihn zwischen seinen Armen gefangen nahm.

»Und wieder bist du unhöflich«, grollte er so nah an Gabriels Ohr, dass dieser ein Aufkeuchen nicht verhindern konnte und eingeschüchtert erschauderte. »Hast du nicht genügend Schneid, um für deine Verfehlungen geradezustehen? Ich frage mich, wie es Campbell so lange mit dir aushält.«

Der verbale Schlag traf tief. Wieso musste er den Präsidenten da mit reinziehen? Gabriel konnte sich nicht dazu aufraffen, etwas zu erwidern. Dafür war seine Woche zu lang gewesen und dieser Abend zu aufwühlend. Es war alles Greystones Schuld! Egal wie sehr Gabriel auch versuchte, eine professionelle Distanz zwischen ihnen zu wahren, der Alpha warf ihn jedes Mal wieder aus der Bahn. Gabriel war an einem Punkt angelangt, an dem er nicht mehr wusste, wie er sich verhalten sollte. Es überforderte ihn. Und es brachte ihn dazu, an sich und seinen Fähigkeiten zu zweifeln.

»Lassen Sie mich einfach gehen«, flüsterte er gegen die Scheibe. »Bitte.«

Der Mafioso kam dem Wunsch nicht nach. Er drückte sich noch immer an ihn, sodass Gabriel seinen Körper überdeutlich im Rücken spürte, und antwortete nicht.

Als er es dann tat, war seine Stimme ruhiger, fast schon sachlich. »Wieso fliehst du in die hinterste Ecke des Gebäudes, wo dich niemand finden kann? Inzwischen sollte es dich nicht mehr schockieren, wie die Dinge in meiner Welt laufen.«

Gabriel biss sich auf die Unterlippe. Dieser Mann hatte das unangenehme Talent, genau die richtigen Fragen zu stellen. Er würde den Teufel tun, ihm darauf ehrlich zu antworten.

Als er den warmen Atem wieder an seiner Ohrmuschel fühlte, zuckte Gabriel zusammen. Greystone hatte sich nähergebeugt.

»Bist du etwa aus Eifersucht geflüchtet, Gabriel?«, schnurrte er verführerisch.

»Ganz sicher nicht!«, fauchte Gabriel mit aller Empörung, die er heraufbeschwören konnte. Eifersucht? Das war lachhaft! Was hatte es schon mit Eifersucht zu tun, dass er einen Omega nicht leiden konnte, der sich willig dem mächtigsten Alpha-Junggesellen New Yorks an den Hals schmiss? Nein, er war wütend auf Odil. Und auf Greystone, der ihn, wann immer sie sich sahen, ganz bewusst verunsicherte. Dessen überzogenes, dreistes, inakzeptables Verhalten ihm noch den letzten Nerv raubte!

»Wie beruhigend«, raunte ihm Greystone amüsiert ins Ohr. »Ich hatte schon befürchtet, dass das unsere Zusammenarbeit erheblich erschweren könnte.« Zu Gabriels Überraschung ließ er von ihm ab, trat einen Schritt zurück und schob mit der ausgestreckten Hand die Tür weiter auf. »Du solltest gehen. Man wartet bereits auf dich.«

Gabriel hätte froh sein sollen, dass ihn Greystone laufenließ. Er hätte erleichtert verschwinden, sich beim Präsidenten für seine Abwesenheit entschuldigen und mit ihm diesen Ort verlassen sollen.

Doch dieses sprunghafte Verhalten machte ihn ganz krank. Der Alpha war ein permanenter Finger in seiner Wunde. Manchmal auch das Salz.

Es wühlte Gabriel so sehr auf, dass er sich flachatmend zu ihm umdrehte und hervorstieß: »Warum tun Sie das?«

Greystone sah ihn von oben herab an. Er hob eine Augenbraue. »Was genau?«

Mit zusammengebissenen Zähnen und geballten Fäusten funkelte ihn Gabriel an. Es nahm ihn so sehr mit, dass er sogar zitterte. Er hatte es satt! Dieses verwirrende Hin und Her und die ständigen Provokationen.

»All das!«, rief er anklagend. »Sie wissen, dass Sie Grenzen überschreiten und tun es trotzdem. Sie sind unhöflich und anmaßend, stellen mir komische Fragen und wenn ich Ihnen antworten will, dann … dann … verschwinden Sie einfach und ich … ich fühle mich links liegengelassen und …« Seine Worte verloren sich. Er starrte zu Boden, mit glühenden Wangen und noch immer heftig atmend. Gott, er wusste nicht einmal, warum es ihn überhaupt so aufwühlte! Es sollte ihm egal sein. Er sollte erleichtert sein, dass ihn Greystone nur neckte und ihm nie wirklich gefährlich wurde, auf die eine oder andere Art. Dass er ihn jedes Mal wieder gehen ließ.

Als der Mafiaboss nach einiger Zeit noch immer schwieg, warf ihm Gabriel einen verstohlenen Blick zu. Greystones Lippen hatten sich zu einem wölfischen Grinsen verzogen.

»Du möchtest also meine Aufmerksamkeit, kleiner Omega?«, fragte er mit einem besorgniserregend lauernden Unterton. Wieder trat er näher. So nah, dass Gabriel abermals das Glas im Rücken fühlte und Greystones Körperwärme an seiner Brust spürte. Ihm stockte der Atem.

Der Verbrecherfürst sah ihn mit einem gefährlich verführerischen Ausdruck in den Augen an. »Hast du dir das denn verdient?«

»H-hören Sie auf mit mir zu spielen«, keuchte Gabriel atemlos. Der Geruch des Alphas stieg ihm in die Nase. Seine Knie wurden schwach.

»Aber ich spiele so gern mit dir, Gabriel«, schnurrte Greystone. Seine Stimme triefte vor Sex. Die Art, wie er den Namen sagte, kam einem orgiastischen Stöhnen gleich.

Hart biss sich Gabriel auf die Zunge, um sich davon nicht um den Finger wickeln zu lassen. Man sollte ihm nicht anmerken, dass es eine Wirkung auf ihn hatte. Greystone war darauf spezialisiert, Schwachstellen zu finden, die er mit Freuden für sich nutzte.

Mit aller Selbstbeherrschung, die er aufbringen konnte, legte Gabriel seine Hände auf die breite Brust, um ihn von sich zu schieben.

Seine Versuche blieben ohne Erfolg. Greystone rührte sich keinen Millimeter.

»Du willst nicht, dass ich mich nähere«, raunte er Gabriel mit dieser unverschämt verruchten, dunklen Stimme ins Ohr, »und du willst nicht, dass ich gehe. Also was ist dir lieber? Nähe oder Distanz?«

Während Gabriel entschieden dem intensiven Blick des Alphas auswich, suchte er nach einer diplomatischen Antwort, die seine Würde bewahren würde. Er wollte nicht zu Greystones Spielball werden. »Als ob es irgendeinen Unterschied macht, was mir lieber ist«, murmelte er resigniert. Er begann, den Tag zu verteufeln, an dem das Gerücht auf die Welt losgelassen worden war. Seit Greystone davon erfahren und eins und eins zusammengezählt hatte, brachte er Gabriels Leben durcheinander. Das strengte ihn an.

An seinem Ohr hörte er den Ursprung seines Gedankenchaos leise lachen.

»Du hast vollkommen recht«, säuselte Greystone. »Es macht keinen Unterschied.«

Bevor er wusste, wie ihm geschah, hatte der Alpha eine Hand unter sein Jackett geschoben und strich über das dünne Hemd. Überrascht keuchte Gabriel auf. Bisher hatte ihn Greystone nie derart unsittlich berührt. Das Äußerste war die Hand auf seinem Hintern gewesen, als er ihn › übers Knie gelegt‹ hatte. Doch ehe er reagieren konnte, stahlen sich die Finger bereits unter den Stoff.

»Wieso sollte ich das Bild, das du von mir hast, zerstören, wenn es so viel mehr Spaß macht, deinem Vorurteil zu entsprechen?«, knurrte Greystone, so nah an seinem Hals, dass er den heißen Atem des Alphas fühlen konnte.

Gabriels Nackenhaare stellten sich auf. War das jetzt also der Moment, in dem der Verbrecherfürst sein wahres Gesicht zeigte und sich einfach nahm, wonach ihm war?

»W-was Sie tun, ist Belästigung«, sagte er atemlos.

Unerwartet legte sich eine zweite Hand in seinen Schritt und rieb über die offensichtliche Beule. Gabriel zwang sich, keine Reaktion zu zeigen. Doch ein Schaudern konnte er nicht verheimlichen.

Greystone lachte leise. »Ich reagiere lediglich auf die Zeichen, die dein Körper aussendet, Gabriel. Damit tue ich dir einen Gefallen.«

Seine andere Hand war unter dem Hemd höher gewandert. Als sie ihm in die Brustwarzen kniff, entlockte sie Gabriel einen überwältigten Laut.

»Es gibt keine Zeichen!«, beharrte er tapfer und unternahm neue Anstrengungen, Greystone von sich zu schieben.

»Ach, nein?«, schnurrte dieser, öffnete seine Hose und schob die Hand hinein. Als die großen Finger sein Glied trafen, keuchte Gabriel auf. Scheiße.

»N-nicht!«

»Hmm, das gefällt dir«, stellte Greystone hörbar amüsiert fest. Er klang ekelerregend selbstzufrieden. »Ist dein letztes Mal etwa so lang her?«

Das war ein wunder Punkt, über den Gabriel garantiert nicht sprechen wollte. Er stemmte sich halbherzig gegen Greystone, doch mit jeder weiteren Reizung fiel es ihm immer schwerer, den Kampf aufrecht zu erhalten.

»F-fahren Sie zur Hölle«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Seine Knie waren ganz weich geworden. Er stützte sich gegen die Glastür und betete, dass ihn seine Beine noch lang genug tragen würden, um bei der nächsten Gelegenheit zu fliehen. Es machte ihm Sorgen, wohin das hier führte.

Greystone schnalzte mit der Zunge. »Na, na, Gabriel, Wortwahl«, sagte er spöttisch. »Man beißt nicht die Hand, die einem einen runterholt.« Sein Daumen kreiste über die empfindliche Spitze.

Der Wärme des Alpha, seinem Geruch und seinen Berührungen hilflos ausgeliefert, entwich Gabriel ein flehendes Wimmern. Sein Kopf sank in den Nacken, als die andere Hand seine Brustwarze zwirbelte und ihm feine Blitze durch die Nervenbahnen schossen.

Dann ließ sie von seinem Nippel ab und Gabriel ertappte sich dabei, dass er sich wünschte, sie würde weitermachen. Hatte er vorhin aus Versehen Drogen zu sich genommen, ohne es zu merken, oder wieso fühlte er sich auf einmal so berauscht?

Als sich die Hand in seinen Rücken und gleich darauf in seine Hose stahl, verspannte er sich – und fuhr zusammen, als er einen Finger spürte, der sich zwischen seine Pobacken schob.

»Du bist ganz nass«, säuselte Greystone. »Ist das normal für dich? Die Omegas, die ich kenne, werden nur feucht, wenn sie bei jemandem sind, von dem sie gefickt werden wollen. In anderen Worten: Bei mir.«

Gabriel wünschte, er würde endlich aufhören, alles so genau auszusprechen. Es verstärkte nur die Scham und die Hitze in seinen Wangen. Ihm war schon schwindelig von all den Eindrücken.

Als Greystone süffisant lachte, packte er das Jackett fester. Diese blasierte, selbstverliebte Art regte Gabriel so unglaublich auf.

»S-Sie … hah … Sie verdammter …« Der Finger traf auf seinen Muskelring und drückte dagegen. Gabriel entfuhr ein flehender Laut, während er zugleich scharf die Luft einsaugen wollte. Er verschluckte sich daran. »Bastard«, beendete er keuchend und erschauderte.

Greystone schnalzte mit der Zunge. »Vorsicht, Gabriel, achte auf dein schmutziges Mundwerk«, sagte er genüsslich und massierte sein Glied fester. »Du willst mich doch nicht wütend machen.«

»Sie … nhg … Sie sind das Letzte!«, stieß Gabriel aufgewühlt hervor. Inzwischen zitterte sein ganzer Körper. Er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Dennoch reizte ihn der Alpha ohne Gnade weiter, pumpte sein Glied und rieb über seinen feuchten Eingang, bis die Muskeln zu zucken begannen, weil sie sich um etwas schlingen wollten.

»Ich werde Sie … Sie dem Präsidenten… fuck!« Sterne flammten vor Gabriels Augen auf, als Greystone einen Finger in ihn stieß und zielsicher seine Prostata traf. Die Luft wich ihm aus den Lungen.

»… melden?«, flötete der Mafioso honigsüß und ließ den Finger kreisen. Während sich Gabriel mit einem Wimmern an ihm festkrallte, um nicht endgültig den Halt zu verlieren, raunte er ihm ins Ohr: »Das wirst du nicht. Denn sobald du unser kleines Treffen erwähnst, werde ich überall herumerzählen, dass du ein Omega bist. Das wird dich deinen Job kosten.«

Seine Worte erfüllten Gabriel mit Grauen. Doch dann schob der Alpha einen zweiten Finger in ihn und sein Bewusstsein wurde immer benebelter. Seine Muskeln flatterten um den Eindringling. Es machte ihn schwach. Ein Teil von ihm wollte mehr und er hasste sich dafür.

»Möchtest du dieses Risiko wirklich eingehen?«, knurrte ihm Greystone ins Ohr.

Gabriel biss sich auf die Unterlippe. Die ungewollte Reizung gefiel seinem Körper viel besser, als er zugeben wollte. Gleichzeitig verdeutlichten die Worte, dass ihn der Mafioso erpresste. Damit zündete er ein solches Gefühlsgemisch, dass Gabriel gar nicht mehr wusste, was er denken sollte. Und das Schlimmste daran war, dass er spürte, dass es nicht mehr lang dauern konnte.

»Sie … hah … Sie sind ein Monster«, keuchte er, die Hände in Greystones Schultern gekrallt und den Körper halb gegen die Glastür abgestützt, während er versuchte, seine flache Atmung zu beruhigen. Die langen Finger machten ihn wahnsinnig. Sie gönnten ihm keine Pause, erregten ihn unaufhörlich weiter und er riss sich zusammen, um nicht laut zu stöhnen. Schlimm genug, dass Greystone bemerkte, dass es seinem Körper viel zu gut gefiel. Gabriel spürte eine Gier in sich erwachen, die nach mehr verlangte. Mehr von den Fingern in sich, mehr von der Hand an seinem Schwanz. Er wollte es intensiver und schneller und Gott, Greystone sollte ihm mehr geben!

Er war so kurz davor. So kurz davor!

»Ich habe nie behauptet, etwas anderes zu sein«, grollte ihm der Alpha ins Ohr. Sein heißer Atem streifte Gabriels Hals und als wäre das der letzte Reiz, der ihm noch gefehlt hatte, trieb es Gabriel über die Klippe. Er schluchzte erstickt auf, krallte sich fester, während sich alles in ihm zusammenzog, und ergoss sich in Greystones Hand.

Erniedrigt, weil es den Sündenfürsten nicht einmal fünf Minuten gekostet hatte, ihn um den Verstand zu bringen, ließ Gabriel den Kopf hängen. Seine Wangen brannten vor Scham. Er nahm die Hände von Greystones Schultern und fühlte, wie dieser die Finger aus ihm zog.

Dann richtete sich der Alpha auf.

Verschwitzt, auf schwachen Beinen und nach Atem ringend schaute Gabriel zu ihm auf – und seine Augen weiteten sich, als Greystones seine Nässe von den Fingerspitzen leckte und ihm einen verruchten Blick zuwarf.

»Das ging schnell.«

Gabriel starrte ihn an. Sah das spöttische Grinsen. Seine Eingeweide verkrampften sich. Er wirbelte herum, riss die Tür auf, sprang hindurch und floh.

Wenige Sekunden später fand er sich in einer verriegelten Kabine der Gästetoilette im Obergeschoss wieder, schwer atmend und nach Fassung ringend. Gabriel saß mit geschlossener Hose auf der Klobrille, hatte den Kopf in die Hände gestützt und starrte hinunter auf die Fliesen, während seine Tränen hinabtropften und dunkle Flecken auf dem Stein hinterließen. Die Brille hatte er abgenommen und seinen Schritt behelfsmäßig von den gröbsten Spuren gereinigt. Das alles war automatisch geschehen. Nachdenken konnte er nicht. Wollte er nicht! Wenn er die Augen schloss, spürte er große Hände, die ihn an Stellen berührten, an denen sie ihn nicht berühren sollten. Hart biss er sich auf die Unterlippe, atmete heftig durch die bebenden Nasenflügel und versuchte, sich zu beruhigen. Zumindest genug, um dem Präsidenten entgegenzutreten.

Das war im Moment undenkbar. Dafür war er zu aufgewühlt. Es hatte sich so gut und zugleich so falsch und ungewollt angefühlt. Greystone hatte ihn damit verhöhnt. Es hatte nichts Romantisches gehabt. Das war nur ein weiteres seiner perversen Spiele gewesen. Stand der Mann auf Powerspielchen? Wie armselig musste er sein, dass er sowas brauchte, um sich Omegas überlegen zu fühlen. Ging ihm dabei einer ab? Oder steckte ein politischerer Grund dahinter? Der Mafioso war manipulativ. Was, wenn seine Aktion einzig dem Zweck diente, den Präsidenten zu schwächen? Das konnte sich Gabriel nur schwer vorstellen. Und es half alles nichts. Ewig konnte er sich hier nicht verkriechen.

Also atmete er tief durch, erhob sich und putzte die Brille behelfsmäßig mit einem Stück Toilettenpapier. Dass er Greystone erneut begegnen würde, sobald er die Toilette hinter sich ließ, war ihm bewusst. Er hatte keine Wahl. Campbell und Grunewald warteten auf ihn.

Tapfer wusch sich Gabriel das Gesicht, setzte sich die Brille auf die Nase, überprüfte mit einem letzten Blick in den Spiegel über den Waschbecken, dass er nicht allzu sehr durch den Wind aussah, und verließ die Gästetoiletten.

Er nahm die Treppe ins Erdgeschoss. Im Pearls war es noch ruhiger als vorhin. Kein Geschnatter aufgeregter Omegas, das von den Garderoben herüber hallte. Sie waren vermutlich bereits nach Hause gefahren.

An der Bar machte er Campbell und Grunewald aus. Und Greystone.

Kurz spielte Gabriel mit dem Gedanken, auf dem Absatz kehrtzumachen und die Bar lieber durch ein Fenster zu verlassen.

Doch Campbell hatte ihn gesehen.

Also ging Gabriel auf sie zu, mahnte sich zu Ruhe und sprach sich gut zu. Solange er beim Präsidenten war, drohte ihm keine Gefahr. Er musste Greystone einfach nur ignorieren, so wie dieser ihn ignorierte, wenn die Alphas zugegen waren.

Es war nicht leicht, aber er schaffte es.

Und als sie sich endlich von dem zwielichtigen, schamlosen Mafioso verabschiedeten und in die Limousine stiegen, fiel Gabriel ein großer Stein vom Herzen. Es verlangte ihn nach einer Dusche und Schlaf. Das, was auch immer auf dem Balkon geschehen war, würde er ab sofort konsequent verdrängen.

 

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Gabriel

 

Der Präsident hatte ihn an jenem Abend nicht gefragt, wo er sich herumgetrieben hatte. Und das, obwohl Gabriel wusste war, wie lang er sich verschanzt hatte. Er war froh, dass Campbell ganz andere Dinge im Kopf hatte. Auf dem Rückweg ins Hotel hatten Grunewald und er sich darüber unterhalten, was für einen guten Eindruck das Pearls gemacht hatte. Wie fair die Arbeitsbedingungen ausgesehen hatten.

Gabriel hätte ihm die Wahrheit liebend gern ins Gesicht geschrien. Doch er erinnerte sich überdeutlich an Greystones Drohung. Wenn er den Mafioso auslieferte, würde der ihn mit in den Abgrund reißen. Also schwieg er auch in den kommenden Tagen eisern, biss sich auf die Unterlippe und versuchte, das Gefühl fremder Hände, die ihn berührten, aus seinen Erinnerungen zu verbannen.

Sie verfolgten ihn in seinen Träumen und jagten ihm über den Großen Teich nach, stahlen ihm nachts seinen Schlaf und hielten ihn tagsüber in einem Zustand lästiger Unkonzentriertheit. Er hatte Mühe, seine Arbeit zu schaffen. Hoffentlich wäre diese Phase bald vorbei, sonst musste er sich ernsthafte Sorgen über seine Leistungen machen.

Jemand knallte eine Akte vor ihm auf den Tisch.

»Mr. Fleming?«

Erschrocken fuhr Gabriel zusammen und sah in Campbells Gesicht. Der saß ihm gegenüber auf der anderen Seite des breiten Tisches und verschränkte gerade die Arme vor der Brust.

»Kann ich heute noch mit Ihrer Mitarbeit rechnen?«, fragte der Präsident spitz. Er wirkte unzufrieden.

Wie oft hatte man ihn schon gerufen, bevor Gabriel aus seinem Tagtraum erwacht war? Eilig straffte er die Schultern, während er verstohlen durch den Raum spähte. Die übrigen Meeting-Teilnehmer, engere Vertraute des Präsidenten, sahen ihn an – mehr oder minder anklagend. Er wusste, dass einige von ihnen gern seine Position hätten. Nur ein weiterer Grund, sich Vorwürfe zu machen.

»Entschuldigen Sie, Sir. Ich bin ganz bei Ihnen.«

Campbell bedachte ihn mit einem mahnenden Blick. »Gut.« Seine Stimme hatte einen warnenden Ton angenommen. Gabriel wusste, dass er sich jetzt besser keine Verfehlungen mehr leistete.

Er hielt das Meeting durch. Es war das letzte am heutigen Nachmittag. Noch ein paar Stunden würde er Dokumente vorbereiten und Protokolle verschicken, dann könnte er gehen.

Als sich die anderen vom Tisch erhoben, um ihren Aufgaben nachzugehen, bat Gabriel den Präsidenten um eine Minute unter vier Augen.

»Ich entschuldige mich, Mr. President«, sagte er eilig, weil er wusste, dass Campbell nicht viel Zeit hatte. »Das wird nicht wieder vorkommen, ich verspreche es.«

»Das hoffe ich, Gabriel.« Er klang distanzierter, als es zwischen ihnen üblich war. Gabriel nahm es nicht persönlich. Im Moment war es stressig.

»Wenn ich morgen vielleicht freibekommen könnte?«, fragte er verstohlen. »Ich habe in letzter Zeit schlecht geschlafen. Ein Tag Ruhe würde mir schon helfen. Danach bin ich wieder vollkommen einsatzfähig.«

Nachdenklich legte Campbell den Kopf schief. »Morgen ist das Treffen mit der Bildungsministerin.«

Gabriel nickte. »Ja, Sir.« Jeden Tag standen wichtige Themen an. Das morgige wäre vorrangig ein Herzensthema des Präsidenten. Gabriel hätte ihn dabei gern unterstützt, aber er war am Ende. Er sehnte sich danach, sich einen Tag lang im Bett zu verkriechen und so zu tun, als könne er alles vergessen, was in New York geschehen war.

»Na schön«, sagte Campbell langsam. Seine Miene war besorgt geworden. Er legte Gabriel eine Hand auf die Schulter und drückte sie. »Nutze deinen Tag«, mahnte er. »Ich zähle auf dich.«

Damit wandte er sich zum Gehen.

Erleichtert nickte Gabriel. »Ich weiß, Sir. Danke, Sir.« Er deutete eine Verbeugung an, während der Präsident hinaus rauschte.

Gabriel war sich nicht ganz sicher, wie seine Ma davon erfahren hatte, dass er morgen einen freien Tag hatte. Vielleicht war es mütterlicher Instinkt. In jedem Fall hatte sie sich mit der Einladung zum Abendessen nicht viel Zeit gelassen. Und Gabriel, der wusste, dass er in den nächsten Wochen kaum im Land sein würde, hatte es nicht über sich bringen können, abzulehnen.

So saß er also nach zehn Stunden harter Büroarbeit bei seinen Eltern zum Essen und lauschte seiner Ma, die ihm von ihren letzten Tagen erzählte. Die ganz gewöhnlichen Familien- und Nachbarschaftsthemen. Seine Ma lebte für den Klatsch und sie liebte es, vernetzt zu sein.

Obwohl sich Gabriel kaum auf ihre Erzählungen konzentrieren konnte, tat er so, als würde er zuhören. Er bewunderte seine Mum, die schweigend neben ihr saß, sanft lächelte und das Wild-Pie aß, das Ma gekocht hatte. Gabriel war über die Salatbeilage dankbar. Er stocherte im Brokkoli herum, zwang sich zum Essen und nickte, wann immer es angebracht schien.

Nach dem Abendessen ging er ihr zur Hand und räumte den Tisch ab.

»Willst du nicht über Nacht bleiben?«, fragte sie. »Ich kann dein altes Bett beziehen.«

Gabriel schüttelte den Kopf. »Das ist wirklich nicht nötig. Ich nehme einfach den letzten Bus.«

»Unsinn!«, sagte Ma und tätschelte ihm die Wange. »Wir können morgen ganz gemütlich frühstücken, nur wir zwei, was meinst du? Kuchen zum Frühstück?«

Er schenkte ihr ein kleines Lächeln, weil er wusste, dass es sie glücklich machen würde. Sie war die reinste Klischee-Omega, mit ihrer Vorliebe für Süßkram, ihre Aufopferung für die Familie und ihrer Bereitwilligkeit, sich in ihre Rolle zu fügen. Sich unterzuordnen, tat sie gern. Mama brauchte die Führung, wünschte sie sich. Und Mum erfüllte dieses Bedürfnis auf eine sehr einfühlsame, geduldige Art. Es war bewundernswert. Nur nicht das, was Gabriel für sich wollte.

»Ich weiß nicht«, murmelte er.

»Oh, mein süßer Junge.« Sie küsste ihm die Wange. »Dein Job hat dich so verkrampft. Du musst ab und zu auch mal genießen, Gabbie! Es gibt noch ein Leben neben der Arbeit. Eines, das du eines Tages mit einem anständigen Alpha teilen wirst.« Gabriel öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch sie kam ihm zuvor: »Wusstest du, dass sich Alfrics Schwester Andrea von ihrem Mann getrennt hat?« Sie sagte es im Plauderton, aber Gabriel ahnte, was sie andeuten wollte. Wenn er sich schon nicht für den Nachbarsjungen begeistern konnte, dann vielleicht für seine Alpha-Schwester?

»Aha.« Gabriel stellte Teller in den Geschirrspüler.

»Ich meine, ein Alpha muss sich ohnehin erst mal die Hörner abstoßen«, plauderte Ma weiter. »Nach ihren ersten Eskapaden sind sie sich viel sicherer, was sie wollen und wissen auch besser, wie man jemanden ordentlich behandelt, deshalb …«

»Gab«, wurde sie von Mum unterbrochen, die den Kopf durch die Tür gesteckt hatte. »Kommst du mal eben? Es gibt da etwas, das ich dir zeigen möchte.« Sie zwinkerte ihm zu.

Gabriel sandte einen stummen Dank gen Himmel. Er war sich nicht sicher gewesen, wie lang er noch auf Durchzug hätte schalten können. Augenblicklich ließ er von den Essensresten ab, die er eben in eine Plastikdose geschaufelt hatte.

»Natürlich.«

Er folgte Mum aus der Küche, durchs Esszimmer und ins Wohnzimmer. Sie blieb vor der Minibar stehen und zog eine Flasche hervor. Rum.

Mit einem verschwörerischen Schmunzeln sagte sie: »Er ist neu. Ich wollte ihn mit dir zusammen probieren.«

Gabriel grinste. Gemeinsam teuren Alkohol zu verkosten, war eines der Dinge, die ihn mit seiner Mum verbanden. Die anderen in der Familie konnten diesem Hobby wenig abgewinnen. Dabei entstanden die besten Gespräche dann, wenn er gemütlich mit ihr auf dem Sofa saß, ins Kaminfeuer schaute und an einem guten Drink nippte.

Seine Mum hatte das Feuer bereits angefacht. Nun goss sie zwei Fingerbreit Rum in zwei Gläser und reichte eines an Gabriel weiter.

»Schlaf heute hier«, bat sie, als er sie fragend ansah. »So musst du nicht nachts in einem Bus sitzen. Und ich mach mir weniger Sorgen.«

Gabriel schmunzelte, ließ sich auf dem vertrauten Sofa nieder und wartete darauf, dass seine Mum neben ihm ins Polster sank, um mit ihr anzustoßen.

»Ich weiß nicht, ob ich das ganze Glas schaffe«, gab er zu bedenken. Für gewöhnlich schenkte sie ihm nicht so viel ein.

Seine Mum lachte kehlig und nippte an dem bernsteinfarbenen Getränk. »Du siehst aus, als könntest du es gebrauchen.«

Sie kannte ihn erschreckend gut. Wo sich Ma in ihrer Wiedersehensfreude verrannte und ihre Liebe damit zum Ausdruck brachte, ihn an allen Einzelheiten ihres Lebens teilhaben zu lassen, beobachtete Mum aufmerksam und schaute genauer hin.

Gabriel antwortete nicht. Sie ahnte ja nicht, wie recht sie hatte. Eilig trank er einen Schluck Rum, um seinem Schweigen eine Begründung zu geben. Dann nickte er anerkennend, den forschenden Blick, mit dem ihn seine Mum musterte, bewusst ignorierend.

»Der Rum ist gut.«

Sie sah in die Flammen. »Willst du darüber reden?«

Gabriel biss sich auf die Unterlippe und schüttelte den Kopf. »Es ist nichts. Nicht der Rede wert.«

»Stress bei der Arbeit?«

»Sozusagen.«

Seine Mum brummte verständnisvoll. Während sie die Beine überschlug und einen Arm auf der Lehne ablegte, fragte sie: »Macht dir jemand Probleme?«

»Ja«, murmelte Gabriel, »ich meine, nein, es …« Er seufzte schwer. »Es ist kompliziert.«

Mit einem Seitenblick zu ihm sagte seine Mum: »Ich bin sicher, dass ich folgen kann.«

Daran hatte er keinen Zweifel. Aber er wollte das Thema nicht ansprechen. Es würde ihm nur verdeutlichen, wie wenig er loslassen konnte. Dabei wünschte er sich so sehnlichst, dass es ihm egal wäre.

»Wirklich, es ist nichts«, beharrte er.

»Ganz sicher?«

Gabriel nickte knapp. »Ganz sicher.«

»Also gibt es da keinen Alpha, Beta oder Omega, der dich so sehr durcheinanderbringt, dass du deshalb durch den Wind bist?«

Mit großen Augen schaute er zu seiner Mum auf. »W-woher weißt du …?«

Sie schmunzelte. »Ich war auch mal jung«, erinnerte sie ihn und nippte lässig an ihrem Rum. »Und in dieser Sache sind wir doch alle gleich, oder nicht?«

Um ihrem eindringlichen Blick zu entgehen, senkte Gabriel den Kopf und sah in sein Glas, das er zwischen den Händen hin und her schob.

»Erzählst du mir von ihm oder ihr?«, bat seine Mum sanft.

Gabriel schnaubte. Es geriet abfällig, weil er die Bitterkeit in sich aufsteigen spürte, sobald er sich zu sehr auf Greystone konzentrierte. »Da gibt es nichts zu erzählen«, beharrte er und fuhr verächtlich fort: »Er ist ein narzisstischer, berechnender Kotzbrocken. Sadistisch, selbstverliebt und unverschämt charmant, wenn er etwas will. Hält sich Omegas zur Bespaßung, die ihm hinterherhecheln. Er lügt und betrügt und erpresst mit jeder noch so kleinen Information, die man ihm gibt.«

Als er mit seiner Schimpftirade fertig war, trank Gabriel einen großen Schluck Rum. Seine Mum hatte recht: Er konnte den Alkohol gerade wirklich gebrauchen.

»Klingt nicht sehr angenehm«, kommentierte sie seine Worte teilnahmsvoll.

»Ist er auch nicht«, sagte Gabriel entschieden. »Und das Schlimmste daran, das Schlimmste ist …«

Er holte zitternd Luft. Darüber zu sprechen, hatte ihn schon wieder so aufgewühlt, dass er emotional wurde.

»Hmm?«, fragte seine Mum, als wollte sie ihn zum Weiterreden animieren.

Gabriel spürte jetzt, da er einmal zu erzählen angefangen hatte, wie gut es tat, das alles loszuwerden. »Das Schlimmste ist, dass er die Leute so gern an der Nase herumführt, ihnen falsche Tatsachen vorgaukelt, bis sie ganz verwirrt sind und er sie in der Hand hat«, schimpfte er weiter. »Seine Geschäfte sind schmutzig, ich wette, an seinen Händen klebt Blut, und wenn ich nur an ihn denke, will ich so viel Abstand zwischen uns bringen, wie nur möglich. Er ist gefährlich«, setzte Gabriel mit Nachdruck hinzu und leerte sein Glas. So schnell trank er für gewöhnlich nicht. Aber die Gedanken an Greystone hatten ihn wütend gemacht und er wollte den inneren Aufruhr betäuben, bevor er wirklich aus der Haut fahren konnte.

»Er scheint dich ziemlich zu beschäftigen«, stellte seine Mum fest. Ihre Stimme war unverändert ruhig.

»Weil er …« Gabriel schnappte nach Luft und suchte nach den richtigen Worten. »Irgendwie hat er herausgefunden, was ich bin. Nun stochert er jedes Mal, wenn wir uns sehen, in dieser Wunde herum, verwendet meine Schwachstelle gegen mich. Dabei geht er zu weit! Er kennt keine Grenzen.« Hart biss er sich auf die Zunge, um den Zorn im Zaum zu halten. Das leere Glas stellte er auf den kleinen Wohnzimmertisch.

»Was hat er getan?«, fragte seine Mum einfühlsam.

Gabriel zog den Kopf zwischen die Schultern, als er daran dachte. Das wollte er wirklich nicht sagen.

»Spielt keine Rolle.«

Die Miene seiner Mum verdüsterte sich. »Muss ich mir Sorgen um dich machen?« Ein leichtes, raues Grollen wanderte in ihre sonst so ruhige Stimme.

Eilig schüttelte Gabriel den Kopf. Er wollte keinen Konflikt. Sie konnte ihn nicht vor Greystone beschützen und sollte sich nicht sorgen, weil er weiterhin arbeitete.

»Nein«, beteuerte er. »Er ist ein entfernter Geschäftskontakt und ich … ich war unvorsichtig. Ich bleibe ab sofort in der Nähe des Präsidenten.«

Das besänftigte seine Mum. »Campbell scheint anständig mit seinen Mitarbeitern umzugehen.«

Gabriel nickte erleichtert. »Das tut er. Er ist sehr fair. Und sehr freundlich. Ich arbeite gern für ihn.«

Als Gabriel am nächsten Tag nach dem Frühstück nach Hause fuhr, zehrte das Erlebte noch immer an seinen Nerven, aber er versank nicht länger vor Scham im Boden. Darüber gesprochen zu haben, hatte es nicht ungeschehen gemacht, doch es hatte ihm geholfen, es zu verarbeiten. Es hinter sich zu lassen.

Voll Zuversicht, dass es von hier an nur einfacher werden konnte, verbrachte Gabriel den Tag sogar sinnvoller, als er ursprünglich geplant hatte. Er erledigte all die kleinen Dinge, für die sonst keine Zeit blieb, bezahlte Rechnungen, rief Ärzte an, um Routinetermine zu vereinbaren, und überprüfte seinen finanziellen Stand und seinen Versicherungsstatus. Das alles war schnell geklärt und den Rest des Tages brachte er mit Frühjahrsputz zu, räumte seine Schränke auf und packte seinen Koffer für die nächste Reise.

Als er am Abend mit Sushi vor dem Fernseher saß und die Nachrichten sah, hatte er das befriedigende Gefühl, Ordnung in sein Leben gebracht zu haben. Er hatte alles unter Kontrolle.

 

Ein Bild, das Text, Geschirr enthält.

Automatisch generierte Beschreibung

Gabriel

 

Es regnete in Strömen. Gabriel rann das Wasser durchs schwarze Haar, über seine Brillengläser und in die Kleidung. Er war nass bis auf die Knochen. Eine Gänsehaut überzog seine Haut. Schwer atmend lehnte er gegen die kalte Backsteinwand in der Seitengasse.

Nur ein paar Meter weiter hielt der New Yorker Verkehr die Stadt am Leben, mit seinen pulsierenden, grellen Lichtern, dem lauten Hupen und dem tiefen Dröhnen der U-Bahn, das aus der Erde zu ihm herauf drang wie das warnende Grollen eines monströsen Untiers.

Seine Lippen waren vor Kälte blau angelaufen, doch es kümmerte ihn nicht. Denn die Hand, die sich in seine Hose gestohlen hatte, heizte ihm ein. Sie massierte ihn so fähig, so verführerisch. Und als sie ihn endlich so weit hatte, dass er mit einem atemlosen Stöhnen abspritzte, ertönte neben seinem Ohr ein dunkles Lachen und dann drückte man ihn herunter, bis seine Knie auf den Asphalt aufschlugen.

Den Schmerz, der ihm durch die Kniescheiben schoss, bemerkte er kaum. Er wusste, was er tun musste, und er hatte schon viel zu lange darauf gewartet. Mit nassen, tauben Fingern öffnete er den Hosenbund, zog das beeindruckende Glied des Alphas heraus und legte die Lippen darum.

Die Hand, die ihn eben noch schwach gemacht hatte, packte seinen Hinterkopf, ehe die Hüfte vorschnellte und sich der große Schwanz brutal in seine Kehle drängte.

Erschrocken wollte Gabriel aufkeuchen, wollte husten, doch er konnte nicht. Mit festem Griff hielt man ihn entschieden dort, wo er hingehörte, und er schloss die Augen und ergab sich dieser Führung, während er die seidige Hitze und den maskulinen Geruch genoss. Die kalten Hände in die Hosenbeine des Mannes gekrallt, legte er den Kopf in den Nacken und nahm alles, was man ihm gab. Zu wissen, dass er es war, der ausgewählt worden war, unter allen Omegas, ließ sein Herz höherschlagen.

Er hatte noch nie einen Alpha getroffen, der dem Begriff Alpha deutlicher gerecht geworden wäre. Der so maskulin, so dominant, so potent war wie er. Das war all das hier wert. Wenn Gabriel ehrlich war, liebte er das sogar. Die Art, wie sich der Mann an ihm verging, ihm seinen mächtigen Schwanz bis zum Anschlag in den Rachen rammte, ihn in Position hielt, sodass Gabriel nichts anderes tun konnte, als es anzunehmen. Seine Tränen vermischten sich mit dem Regen. Vom Sauerstoffentzug wurde ihm schwindelig. Heißes Alphasperma schoss seine Kehle hinab. Gabriel schluckte alles. Die Hand an seinem Hinterkopf, die ihn ein letztes Mal herangezogen hatte, legte sich jetzt auf seine Wange.

Er sah zu Greystone, der ihm ein verruchtes Lächeln schenkte.

»Hure«, schnarrte er abfällig.

Es schleuderte Gabriel aus dem Traum. Aufgeschreckt und heftig atmend saß er kerzengerade im Bett, verschwitzt und mit rasendem Herzen. Einen Moment lang musste er begreifen, dass er in seinem dunklen Schlafzimmer in London war. Dann stürzte sein Traum in pikanten Erinnerungsfetzen auf ihn ein.

Mit einem leidenden Stöhnen ließ sich Gabriel wieder ins Kissen fallen, während sich sein Puls beruhigte. Er atmete tief durch. Das konnte doch alles nicht wahr sein!

Inzwischen war jener Abend auf dem Balkon des Pearls einen Monat her. Seitdem hatte er den Mafioso nicht mehr gesehen oder etwas von ihm gehört. Wie kam es also, dass er beinahe jede Nacht in seinen Träumen auftauchte und Gabriel den Kopf verdrehte? Heute war es besonders heftig gewesen. In guten Nächten begnügten sich seine Träume mit Erinnerungen, die sich immer wieder abspielten. Harmlose Momente, in denen er Greystone gesehen hatte. Das gerade war dagegen auf so viele Weisen verstörend gewesen. Das Schlimmste daran war ohne Frage die deutliche Feuchte, die Gabriel fühlte – und die Latte. Von Albträumen wurde man nicht geil!

Seufzend fuhr er sich über die schweißnasse Stirn, kniff die Augen zusammen und riss sie gleich darauf wieder auf, weil er für eine Sekunde geglaubt hatte, das Glied abermals in seiner Kehle zu spüren. Den teuflischen Blick des Mafiabosses zu sehen, der sich in seine Seele brennen wollte. Gabriel schluckte gegen die Leere an und schlug die Decke zurück.

Sein Wecker sagte ihm, dass er noch gut zwei Stunden von der kurzen Nacht übrig hätte.

Unter anderen Umständen hätte er sie mit Freuden für Schlaf genutzt. Sein Job war in den letzten Wochen nicht entspannter geworden. Aber mit diesen Gedanken war das undenkbar. Er wollte nicht riskieren, erneut Opfer einer so verstörenden Fantasie zu werden. Sein Unterbewusstsein wollte ihn foltern. Anders konnte er es sich nicht erklären.

Gabriel quälte sich aus dem Bett, ging ins Bad und stieg unter die Dusche. Er musste auf andere Gedanken kommen. Dringend!

Doch als er mit voller Absicht das kalte Wasser aufdrehte, blitzte vor seinem inneren Auge wieder ein Traumfetzen vom Regen auf, der ihm die Kleidung durchnässte. Eilig drehte er das Wasser warm, schüttelte über sich selbst dem Kopf und begann, sich zu waschen. Ganz bewusst lenkte er seine Aufmerksamkeit auf die Aufgaben, die heute anstanden.

Es war wohl kein Wunder, dass sein Nervenkostüm so angespannt war, dass es sich in Träumen abreagieren musste. Sein Arbeitstag würde nicht am frühen Abend enden. Campbell hatte ein Bankett organisiert, für internationale Würdenträger, Politiker, Lobbyisten und andere einflussreiche Persönlichkeiten. Gestern erst war Gabriel die Liste noch einmal durchgegangen. Ihm waren fast die Augen aus dem Kopf gefallen, als er unter den Gästen Greystones Namen erspäht hatte. Es sollte ihn nicht überraschen, dass das seine Träume befeuert hatte.

Trotzdem wünschte er sich, dass es nicht passiert wäre. Der Tag würde wichtig werden. Nichts durfte schiefgehen. Und überhaupt: Hatte sein Omegaloge nicht behauptet, die Blocker würden seine Libido drosseln? Das war einer der gewünschten Nebeneffekte. Wieso war sein Körper dann so in Aufruhr, obwohl kein Alpha in der Nähe war?

Im Geiste machte er sich eine Notiz, seinen Arzt beim nächsten Termin darauf anzusprechen, stieg aus der Dusche und trocknete sich ab.

Die Zeit, die er zu früh aufgestanden war, nutzte Gabriel für ein entspanntes Frühstück. Das war eine Seltenheit. Als er eine Stunde später im Londoner Sitz der Weltregierung eintraf, arbeitete er vor. Es gab immer etwas zu tun, besonders an einem so wichtigen Tag wie heute.

Der Traum zehrte den Tag über noch an seinen Nerven. Nicht nur der Traum. Gabriel musste sich eingestehen, dass er in den letzten Wochen auch im Wachzustand unerhört oft an Greystone gedacht hatte. Daran, wie respektlos ihn der Alpha behandelt hatte. Daran, wie er mit seinem Stern umging. Und wie es wohl wäre, wenn der Mafioso seine Machtdemonstrationen ihm gegenüber sein lassen würde. Ihn ansehen würde, wie er Curiosity ansah.

Die Gedanken erschreckten Gabriel. Er begriff nicht, woher diese Wünsche kamen. Dass Träume verwirrend sein konnten, konnte er in Kauf nehmen. Aber hatten sie ihn wirklich so sehr betört, dass er all das, was ihm dieser ungehobelte Alpha bisher angetan hatte, schönzeichnen wollte? Was war denn nur los mit ihm? War er von allen guten Geistern verlassen?

Seine Nerven flatterten am Abend, als das Bankett immer näher rückte. Er war dankbar dafür, dass er selbst so eingespannt war. Wenn er sich mit Campbell absprach und die Vorstellungen des Präsidenten an das Servicepersonal vom Catering, der Dekoration und der musikalischen Untermalung weitergab, vergaß er Greystone. Und als die ersten Gäste eintrudelten, war er schon so in seinem Element, dass er zuversichtlich war, diesen Abend würdevoll überstehen zu können. Es wäre ein offizielles Bankett mit vielen wichtigen Leuten. Greystone würde sich keine Verfehlungen erlauben. Da er von Gabriel nichts zu gewinnen hatte, hätte er auch keinen Grund, sich ihm zu nähern. Nun, da er den direkten Kontakt zum Präsidenten hatte, brauchte er die Brücke nicht mehr. Gabriel würde darauf achten, ihm nicht über den Weg zu laufen.

Gerade war er ins Gespräch mit einem der Kellner vertieft, der den eintretenden Gästen ein Glas Champagner anbieten sollte, als er aus den Augenwinkeln ein blaues Glitzern ausmachte, das seine Aufmerksamkeit auf sich zog.

Abgelenkt sah Gabriel zum Eingang, durch den just in dem Moment Odil schwebte, in einem atemberaubenden, mitternachtsblauen Meerjungfrauen-Kleid mit eingestickten Kristallen, die es wie den nächtlichen Himmel funkeln ließen. Der Stern des Pearls stand augenblicklich im Mittelpunkt, doch Gabriel konnte sich dennoch nicht zurückhalten, zu dem Alpha neben ihm zu sehen: Greystone, der ihm die starke Schulter bot und ihn wohl als seine Begleitung für den Abend auserkoren hatte. Welch Überraschung.

Giftige Galle stieg in Gabriel auf. Eilig wandte er sich ab, bevor er noch verstohlen Greystones taillierten Anzug und seine breiten Schultern bewundern konnte. Er wedelte den Kellner davon und stahl sich in den hinteren Teil des Saales, um Abstand zwischen den Mafiaboss und sich zu bringen.

An der Bar tat er so, als würde er die Getränkeauswahl inspizieren. Dabei warf er heimliche Blicke in Greystones Richtung.

Der stellte seinen Stern gerade jemandem vor. Odil strahlte, als die Alpha, die ihnen gegenüberstand, eine Verbeugung und einen Handkuss andeutete. Gabriel ahnte, wieso er hier war – neben dem offensichtlichen Grund, dass Greystone und ihn mehr verband. Das hier war seine Einführung in die höheren Gesellschaftskreise. Greystone nutzte seine Beziehungen, um seinen bevorzugten Omega bekannt zu machen.

Voll Missgunst wandte sich Gabriel ab, erinnerte sich daran, dass er einen Job zu erledigen hatte, und zwang sich, sich auf Wichtigeres zu konzentrieren.

Trotzdem kam er ein paar Minuten später nicht umhin, Zeuge davon zu werden, wie Greystone Odil an den Tisch geleitete, an dem sie neben anderen einflussreichen Persönlichkeiten aus der Wirtschaft sitzen würden, und ihm wie ein wahrer Gentleman den Stuhl zurückzog. Odils geschmeicheltes Lächeln bereitete Gabriel Übelkeit. Es wühlte ihn auf, dass er dort bei Greystone saß und glücklich Pläne schmiedete, wie er den Alpha am besten festnagelte. Und vor allem machte es ihn wütend, dass sich Odil in seinen Gefühlen so sicher war. Der junge Omega schien sich nichts sehnlicher zu wünschen, als endlich an den furchteinflößenden Verbrecherfürsten gebunden zu werden. Währenddessen stand Gabriel in sicherer Entfernung und regte sich darüber auf, dass sich etwas in ihm die gleiche Aufmerksamkeit wünschte.

Gabriel hatte noch höflich Campbells Eröffnungsrede abgewartet und hatte für die ersten zwei Gänge am Tisch der Betas gesessen, die für die Regierung arbeiteten. Die Veranstaltung war nett gewesen. Angenehme Musik, gutes Essen, freundliche Tischnachbarn. Fabarius hatte zu seiner Linken platzgenommen und dass der Leibarzt des Präsidenten nicht der Gesprächigste war, hatte Gabriel genauso wenig gestört wie sonst. Das war ihm weitaus lieber als jemand, der sich gezwungen fühlte, jede Pause mit peinlichem Small Talk zu füllen.

Doch dass Gabriel nicht hatte aufhören können, Greystone und Odil verstohlen dabei zu beobachten, wie sie sich während des Essens Dinge ins Ohr geflüstert hatten, hatte all die positiven Aspekte dieses Abends verblassen lassen.

Spätestens als Odil dazu übergegangen war, Greystone hin und wieder die Gabel vor die Lippen zu halten, um ihn zu füttern, hatte Gabriel endgültig genug. Er wartete einen günstigen Moment ab, erhob sich und verschwand auf den großen Balkon, auf dem ihn niemand stören würde.

Sein Dessert hatte er mitgenommen. Hier draußen würde er es unbehelligt genießen können, fernab von einem gewissen Pärchen, dessen bloße Anwesenheit ihn schon so sehr aufwühlte, dass er seinen sonst so kühlen Kopf zu verlieren drohte.

Während er einen Löffel Lavakuchen aß, ließ er den Blick über die Aussicht schweifen. Der Ausblick vom Gebäude war zu jeder Tages- und Nachtzeit etwas Besonderes. Man konnte von hier aus die Themse und den Tower sehen. Nun, da sich die Nacht über die Stadt gelegt hatte, leuchteten abertausende Lichter zu ihm herauf und wurden funkelnd vom Fluss reflektiert. Eine leichte Frühlingsbrise wehte.

Gabriel atmete tief durch. Sein Kopf wurde klarer und sein Herz beruhigte sich.

Er kostete den Obstsalat und stellte fest, dass sich das Catering dieses Mal selbst übertroffen hatte. Die Obstsorten waren perfekt aufeinander abgestimmt. Es hatte eine ungewöhnliche Note. War das Zimt? Neugierig nahm Gabriel noch eine Gabel davon, ließ sie über die Zunge wandern und bemerkte das ungewöhnliche Kribbeln. Hatten sie Alkohol untergemischt? Oder stammte das Prickeln vom Zitronensaft?

Gabriels Puls beschleunigte sich. Er dachte sich nichts dabei, aß den Obstsalat auf und widmete sich wieder seinem kleinen Lavakuchen.

Doch noch während er die Gabel hineinstach, begann es, in seinem Magen zu rumoren. Seine Mitte krampfte sich zusammen. Übelkeit stieg in ihm auf. Echte Übelkeit. Als er plötzlich das Gefühl hatte, jemand hätte ihm in den Bauch getreten, keuchte Gabriel auf. Mit zitternden Fingern stellte er den Teller auf der Balustrade ab und wollte Luft holen. Es gelang ihm nicht. Sein Zwerchfell war zu verkrampft. Kalter Angstschweiß schoss ihm aus den Poren, während sich ein Rauschen in seine Ohren legte. Sein Herz schlug schneller und kräftiger gegen seinen Brustkorb, als würde es einen Todeskampf fechten. Der Boden bebte unter Gabriels Füßen. Im nächsten Moment fand er sich auf allen vieren wieder. Seine Beine mussten nachgegeben haben. Ihm war schwindelig. Ein hoher Ton schrillte in seinen Ohren und vor seinen Augen flackerten die Lichter, die aus dem Saal hinaus schienen.

Scheiße. Er musste rein. Musste auf sich aufmerksam machen, damit ihm jemand helfen konnte.

Gabriel kämpfte sich nach vorn und kroch auf die Glastür zu.

Mit einem heftigen Zusammenkrampfen verkündete sein Magen neue Übelkeit. Gabriel konnte es nicht zurückhalten. Er erbrach sich direkt auf dem Marmorboden.

Im Licht des Saals sah er die roten Schlieren in seinem Mageninhalt. War das Blut?

Seine Panik wurde größer. Er streckte einen Arm aus, stützte sich vor, um der Tür näher zu kommen, doch dann versagte sein Körper ihm den Dienst. Er brach zusammen. Noch bevor sein Kopf auf dem Boden aufkam, wurde es schwarz um ihn.

Gabriels Träume waren anders als sonst. Dunkler, schwerer, als hätte er zu viel getrunken. Sie schlangen sich um seinen Geist und zogen ihn dorthin, wo er das Licht nicht mehr sehen konnte. Krochen ihm in die Lunge und sperrten die Luft aus. Sein Herz wurde von ihnen zerquetscht, sein Magen stülpte sich um und es dröhnte ohrenbetäubend in seinem Kopf.

Plötzlich waren da Stimmen, die nach ihm riefen. Hände, die nach ihm griffen. Etwas drang in ihn ein wie ein scharfer Blitz. Er winselte kraftlos. Ein erdiger Geruch nach Feuerholz und Karamell flutete seine Nase. Ihm war so schrecklich schlecht. Schwerelos schwebte er im Nichts, bis der übelkeitserregende Druck nachließ und sich Raum und Zeit neu um ihn formten.

Es dauerte lange, bis er erkannte, dass er nicht mehr auf kaltem Boden, sondern auf einer weichen Liege lag. Ihm war schwindelig. Gabriel öffnete die Augen, aber die Zimmerdecke drehte sich und eilig schloss er sie wieder, bevor ihn die Übelkeit erneut übermannen konnte. Sein Magen brannte, als hätte er Säure getrunken. Schmerzerfüllt zuckte er zusammen, keuchte und wimmerte auf.

Eine Hand strich ihm über die Stirn. Wischte den kalten Schweiß von seiner Haut. Linderte seine Angst. Gab ihm etwas wie Halt. Nicht allein zu sein, entzündete einen Funken Hoffnung. Sein Puls war unerträglich schnell, doch Gabriel fiel auf, dass wenigstens der Tinnitus abgeklungen war.

»Alles wieder gut«, sagte eine samtene, tiefe Stimme neben ihm. »Du bist über den Berg.«

Gabriels Gehirn war langsam, als würde es auf Sparflamme laufen. Er wusste, dass er die Stimme kennen sollte. Ihm fiel nicht ein, woher. Überhaupt war seine Reaktionszeit verzögert. Er bemerkte erst, als er das Klicken mit der Tür assoziieren konnte, dass man ihn allein gelassen hatte.

Er versuchte, zu atmen. Seine Lunge fühlte sich unsicher an und sein Zwerchfell krampfte, aber mit jedem Zug wurde es leichter. Als seine Gedanken allmählich Geschwindigkeit aufnahmen, hörte er auch das leise Piepen im Hintergrund. Dann stellte er fest, dass etwas in seiner Hand steckte.

Gabriel blinzelte. Der Schwindel hatte nachgelassen. Offensichtlich hatte man ihn an einen Tropf gehängt. Teilnahmslos folgte sein Blick dem kleinen Schlauch von der Nadel in seinem Handrücken bis zu dem Beutel, der neben ihm an einer Stange hing. Der Raum, in dem er lag, war beengt. Er kannte ihn. Eines der Krankenzimmer im Regierungsgebäude. Spärlich ausgestattet, aber es hatte alles, was man in einem Notfall brauchte.

Gabriel erinnerte sich an den Moment, als ihn die Übelkeit übermannt hatte. Die Todesangst, das Erbrechen, der Schwindel, die Ohnmacht. Irgendjemand musste ihn gefunden haben. Hatte man ihn vergiftet? Hatte es einen Anschlag auf den Präsidenten gegeben?

Als es an der Tür klopfte, brauchte er einige Zeit, um zu reagieren.

Er hatte noch nichts gesagt, da öffnete sich die Tür und Campbell trat ein. Er war wohlauf. Erleichterung erfüllte Gabriel.

Mit einem sanften Lächeln zog sich der Präsident den kleinen Stuhl neben dem Bett zurück.

»Wie fühlst du dich?«, fragte er, während er sich setzte.

Gabriel starrte ihn an. Sein Gehirn brauchte länger als üblich. Er ahnte, dass er sich mit seiner Antwort Zeit ließ, als Campbell die Stirn runzelte und einen Blick auf das Gerät warf, das neben ihm piepste.

»Gut«, sagte Gabriel schließlich. Seine Stimme klang grässlich. Nun bemerkte er auch, dass seine Kehle brannte, als hätte er sie sich verätzt.

Campbell musste es gehört haben. Er erhob sich, ging zum Wasserspender in der Ecke, füllte einen kleinen Becher mit Wasser und lief zu Gabriel zurück.

Mit zitternden Fingern nahm Gabriel den Becher an. Der erste Schluck, der seinen Mundraum befeuchtete, half bereits.

»Danke.«

Campbell nickte nur und setzte sich wieder.

»Was ist mit mir passiert? Wurde ich vergiftet?«

Das konnte unmöglich sein. Es wurden unglaublich strenge Sicherheitsmaßnahmen getroffen, um solchen Giftanschlägen vorzubeugen.

Kopfschüttelnd lehnte sich der Präsident zurück. »Nicht absichtlich, wie es scheint.«

Nicht absichtlich ‹? Also war es ein Unfall gewesen?

Angestrengt setzte sich Gabriel auf. Er brauchte seine Zeit, aber es gelang und der leichte Schwindel war auszuhalten.

Als er saß, fragte er: »Geht es den anderen Gästen …?«

»Sie sind alle wohlauf.« Als wollte er ihn beruhigen, wedelte Campbell mit der Hand.

Trotzdem. Gabriel warf einen Blick auf die Uhr über der Tür. Es war noch nicht einmal Mitternacht. Wenn es nur ihn getroffen hatte, wieso war der Präsident dann hier?

»Was ist mit dem Bankett?«

Campbell seufzte und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich hielt es für das Beste, es abzusagen.«

Gabriels Augen weiteten sich. »Meinetwegen?«

»Nein.« Campbell runzelte die Stirn. »Du bist nicht der Einzige, den es getroffen hat. Die Ärzte werden dir gleich die Einzelheiten erzählen.«

Gabriel nickte. Er war froh, dass nicht nur Fabarius anwesend gewesen war, sondern auch das Ärzteteam, das für den Präsidenten immer auf Abruf bereitstand. Vielleicht hatten sie ihn gefunden und sicher war einer von ihnen im Raum gewesen, als Gabriel zu sich gekommen war. Obwohl er sich inzwischen gar nicht mehr so sicher war, ob er sich die Stimme und die Berührung nicht nur eingebildet hatte. Sein Bewusstsein war vorhin noch nicht ganz in der Realität angekommen. Gut möglich, dass sie seinen wirren Träumen entsprungen war.

»Gabriel, wir müssen reden«, riss ihn Campbell aus seinen Gedanken. Er schenkte ihm ein entschuldigendes Lächeln. »Verzeih mir, dass ich dir das aufbürden muss, während du dich erholst. Ich würde andere, angenehmere Umstände vorziehen. Aber ich fürchte, es duldet keinen Aufschub.«

Gabriel nickte langsam. Er war es gewohnt, zu jeder Zeit zu arbeiten oder an die Arbeit zu denken. Das hier jedoch fühlte sich anders an. Ihn beschlich eine Ahnung, dass Campbell nicht über den Job reden wollte. Die Art, wie der Präsident ihn ansah, strengte seinen geschundenen Magen an.

»W-was … was ist los?«, fragte er nervös.

Campbell seufzte schwer. Er schien mit den Worten zu hadern, die er im Begriff war, zu sagen.

»Du weißt besser als jeder andere, dass ich keine Vorurteile hege«, sprach er unerträglich sanft. »Doch ich fürchte, so wie die Dinge stehen, kann ich es nicht länger verantworten.«

Das verstärkte das ungute Gefühl, das Gabriel beschlichen hatte. Als sich ihre Blicke begegneten, hielt er den Atem an.

Und dann sagte Campbell die Worte, die ihm abermals den Boden unter den Füßen fortrissen: »Du bist mit sofortiger Wirkung entlassen.«

Der Schwindel kehrte mit beeindruckender Stärke zurück.