4. „Ganzheitlichkeit“ als Element der Verhältnismäßigkeit: Berücksichtigung der gesamten Person

Im bisherigen Untersuchungsgang der Arbeit wurde der Wandel moderner Medizin hin zu einer immer stärker naturwissenschaftlich und technisch geprägten Vorgehensweise auf der einen Seite und der Differenzierung in vielfältigen Optionen der Behandlung auf der anderen Seite reflektiert, innerhalb der Begriffsgeschichte aber die kontinuierliche und immer wichtiger werdende subjektive Dimension im Kriterium der Verhältnismäßigkeit medizinischer Versorgung in Bezug auf den Patienten rekonstruiert. In den folgenden Teilen der Arbeit wird es nun darum gehen, diese personale Dimension des Kriteriums (so wurde diese Charakteristik bezeichnet) in ihren Konturen näher zu beschreiben. Es geht darum deutlich zu machen, welche grundlegenden Merkmale dieser auf den Patienten und seine Situation bezogenen Ausrichtung einer Verhältnismäßigkeit bzw. Unverhältnismäßigkeit der Anwendung moderner Medizin eigentlich eignen und wie sie sich eingehender fassen lassen.

Und so wird in den nun folgenden Kapiteln deutlich werden, dass innerhalb der heutigen gesundheitlichen Sorge das Kriterium der Verhältnismäßigkeit gerade keine Abwägung von Lebensqualität im Blick hat, die objektive Beurteilungsmaßstäbe suggeriert und in einer ganz gefährlichen Weise Patienten diskriminieren würde, ja die Unterscheidung von werten und unwerten Leben zur Folge hätte. Sondern dass sie konsequent um das Wohl des Patienten im Sinne der Behandlungsqualität bemüht sein muss. Die subjektive Dimension wird gerade in diesem prozesshaften Charakter der Abwägung des Patienten selbst angesichts der Möglichkeiten moderner Medizin und einer sinnvollen Behandlung durch sie in ihrer ethischen Qualität deutlich. Die ethischen Maßstäbe liegen genau in der Beschreibung der moralischen Reife der notwendigen Entscheidung, die um den Weg der Therapie ringt.

Deshalb wird im vierten Kapitel zunächst ausgehend von dem Gedanken einer gegenüber bloß technischer und naturwissenschaftlicher Engführung angemessenen Ganzheitlichkeit medizinischer Therapie die Ausdeutung dieser Ganzheitlichkeit im Blick auf konkrete Belastungen des Patienten durch Schmerz, Angst, Entfremdung usw. bedacht. – Dies sind Belastungen, die auch schon in der vormodernen Diskussion des Kriteriums der Verhältnismäßigkeit immer wieder thematisiert worden sind und nun unter den Bedingungen moderner medizinischer Versorgung reflektiert werden. Es ist diese Betrachtung, die schließlich die plakative Beschreibung verantworteter heutiger Medizin „als verhältnismäßig“ im Kriterium der Behandlungsqualität gegenüber bloßer Lebensqualität deutlich werden lässt. Das fünfte Kapitel macht die damit gegebene bleibende Offenheit der ethischen Beurteilung einer verhältnismäßig bleibenden medizinischen Behandlung bewusst. Es geht um eine Offenheit, die notwendigerweise um Gesundheit aufgrund einer tiefen Bejahung des Lebens als Geschenk Gottes auf der einen Seite und aufgrund des Wissens um die Vorläufigkeit und Relativität von Gesundheit und Leben auf der anderen Seite ringen muss. Noch einmal wird die Abwägung selbst dabei als ein durch keine allgemeinen abstrakten Parameter beschreibbarer Prozess des Patienten – wohl in der Eingebundenheit in die Beziehung des gemeinsamen Weges mit dem Arzt, den Angehörigen und Pflegenden – deutlich. Und das sechste Kapitel umreißt den innersten Horizont eines solchen Ringens um Verhältnismäßigkeit moderner medizinischer Möglichkeiten im Sinne einer wirklich personal verarbeiteten und integrierten Haltung im Blick auf die letzte Kontingenz des Menschen selbst. D.h.: Möglichkeiten und Grenzen der Medizin stehen in ihrem Sinn und in ihrer Begrenztheit unter dem Vorzeichen der Sterblichkeit des Menschen und ihrer Annahme. Nur in einem solchen Horizont vermag eine wirklich unter menschlichem Maß stehende Anwendung moderner Medizin gelingen.

4.1. Zur Bedeutung von „Ganzheitlichkeit“

Durch eine naturwissenschaftlich vorgehende Medizin wurden Erfolge in der Behandlung von Patienten auch in Grenzsituationen möglich. Sollen jedoch der Patient und seine Situation im Blick gehalten werden, so kann es in der Entscheidungsfindung nicht allein um eine Pragmatik medizinischen Handelns unter allein naturwissenschaftlicher und technischer Kategorien gehen.276 Festzustellen ist folglich auch, dass die vielfältigen Behandlungserfolge in der modernen Medizin zugleich zu vielfältigen Entscheidungsmöglichkeiten geführt haben. Autoren aus den Bereichen Medizin und Ethik skizzieren zudem eine notwendige Überwindung von Technisierung und Objektivierung des Patienten in Entscheidungssituationen.

Zahlreiche Autoren aus Wissenschaft und Kirche des 20. Jahrhunderts verlangen daher eine stärkere Einbeziehung und Berücksichtigung der Situation des Patienten als Person im gesamten Behandlungsprozess. Das aber heißt: Das Selbstverständnis, den Patienten nicht nur in ethischer, anthropologischer, sondern auch medizinischer Perspektive in seiner Gesamtheit und als Subjekt wahrzunehmen, kulminiert in den Konzepten zur Ganzheitlichkeit.

Zunächst soll daher sondiert werden, was mit dem Begriff gemeint wird (4.1). In Ethik und Gesundheitswissenschaften bestehen zahlreiche verschiedene Definitionen von „Ganzheitlichkeit“, denen verschiedene Auffassungen von „Gesundheit“ und „Krankheit“ zu Grunde liegen und woraus entsprechend viele Auffassungen über die medizinische Behandlung, aber auch im Umgang mit Krankheit, Sterben und Tod bestehen.277 Gerade angesichts moderner Medizintechnik besteht die Frage, nach welchen Gesichtspunkten eine Entscheidung über eine Behandlung gefällt wird. Im Kontext der modernen, technischen Möglichkeiten in der Medizin wird die Frage nach einer „ganzheitlichen Zuwendung“ zum Patienten seit Beginn des 20. Jahrhunderts vermehrt gestellt.278

In einem zweiten Abschnitt soll daraufhin mit Hilfe der Begriffsgeschichte des Kriteriums herausgearbeitet werden, was Verhältnismäßigkeit bei einer Entscheidung über eine Behandlung angesichts des Desiderates Ganzheitlichkeit bedeuten kann (4.2). Hinsichtlich des Kriteriums der Verhältnismäßigkeit wird daher untersucht, auf welche Weise die Berücksichtigung ganzheitlicher Kategorien für eine Entscheidung über eine Behandlung als notwendig erscheint. Im Hintergrund dieser Auseinandersetzung steht dabei zudem die Kritik von Autoren, die eine fehlende Einbeziehung ganzheitlicher Kategorien im Kriterium der Verhältnismäßigkeit beklagen.279

Anschließend gilt es zu fragen, inwieweit Entscheidungen über Behandlungen ethische Aussagen über das Leben von Menschen darstellen. Das Kriterium der Verhältnismäßigkeit als eine Entscheidung in ganzheitlicher Perspektive soll dabei in einem ganz prinzipiellen Sinne als Frage nach der Behandlungsqualität skizziert werden (4.3). Darin kommt der subjektive Bezug des Kriteriums der Verhältnismäßigkeit gerade im Kontext moderner Medizin zu einer letzten Radikalität im Sinne seiner dynamischen und prozessorientierten Offenheit.

4.1.1. „Ganzheitlichkeit“ als eine grundlegende ethische, anthropologische und medizinische Kategorie

Eine Klärung des Begriffes „Ganzheitlichkeit“ ist im Rahmen dieser Untersuchung notwendig und unverzichtbar, da der Terminus in den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen unterschiedlich verwendet wird und dem Begriff eine vielschichtige Bedeutung zugeschrieben wird.280

Das Desiderat der Berücksichtigung der „Ganzheitlichkeit“ innerhalb medizinischer Behandlung ist eine grundlegende ethische und zugleich anthropologische Anfrage, da Entscheidungen durch Vorstellungen vom Menschen bestimmt werden, d. h. von dem, was der Mensch ist und sein soll, was „das Menschliche“ ist.281 Insbesondere ist in der Frage der Ganzheitlichkeit die Bezugnahme auf anthropologische Aussagen virulent. In diesem Sinne besitzt zum Beispiel das Faktum der Natürlichkeit des Menschen für die ethische Urteilsbildung eine Bedeutung, da mithilfe eines solchen Kriteriums in Bezug auf die Dimensionen einer Behandlung danach gefragt wird, „[…] in welcher positiven Beziehung sie zueinander stehen und welche hilfreichen Konkretisierungen ethischer Einsichten dadurch möglich werden“282. Vorstellungen vom Menschen und das Verständnis vom Sinn des Menschen prägen daher auch eine Entscheidung über eine Therapie. Eine solche Entscheidung über den Beginn oder die Weiterführung einer Behandlung besitzt folglich immer auch eine ethische Dimension, da hier handlungsleitende Normen angewendet und reflektiert werden.283

Ein solcher Zusammenhang stellt eigentlich innerhalb des medizinischen Alltags eine Selbstverständlichkeit dar. Aber er wird im Zusammenhang stark naturwissenschaftlich orientierter moderner Optionen immer wichtiger: Die Spezifik pflegerischen und medizinischen Handelns liegt schließlich in der Sorge um den kranken und/oder sterbenden Menschen. Dies erfordert auch eine ethische und anthropologische Reflexion. Mit Eibach ist dabei zu betonen: „Daß jedes medizinische Handeln und nicht erst die Ausarbeitung einer medizinischen Ethik zur Überschreitung empirischer Methodik zwingt, ist letztlich darin begründet, daß das Objekt der Medizin ein menschliches Subjekt, der Mensch als Person ist. Person ist ein Begriff, der eindeutig nicht empirischer Erkenntnis entspringt, obgleich Personsein in dieser Welt an biologisches Leben gebunden ist. Das therapeutische Bemühen der Medizin zielt auf den Menschen als Person und auf die Heilung der biologischen Existenz nur insofern, als personales Leben sich in ihr verwirklicht.“284 In Medizin und Pflege ist es daher ganz entscheidend zu wissen, was unter Menschenleben zu verstehen ist, worin seine Würde und sein Wert bestehen und begründet sind und welche Parameter in ethischer Hinsicht bei einer Entscheidung zu berücksichtigen sind.

Soll „Ganzheitlichkeit“ in diesem Sinn aber als ein Element des Kriteriums der Verhältnismäßigkeit beschrieben werden, so ist zunächst die Mehrdeutigkeit des Begriffes festzustellen. Der Begriff stellt in der Medizin des 20. und 21. Jahrhunderts eine vielschichtige Konzeption dar. Zahlreiche Disziplinen sowie unterschiedliche wissenschaftliche Strömungen und Ansätze widmen sich diesem Begriff, wobei laut Susanne Sandherr die theologische Klärung noch am Anfang stehe.285 Mit der Verwendung des Terminus „Ganzheitlichkeit“ verbinden sich daher auch widersprüchliche anthropologische Annahmen.

Den bedeutenden Anfangspunkt im 20. Jahrhundert stellt die so genannte anthropologische Medizin Viktor von Weizsäckers (1886–1957) dar.286 Wenngleich die Bedeutung von Weizsäckers insbesondere in der Untersuchung psychischer Vorgänge in ihrer Wirkung auf organische Krankheiten liegt, so steht hier der Aspekt der „Ganzheitlichkeit“ im Vordergrund, d. h. dass der Patient ganzheitlich als Subjekt und nicht als ein bloßes Behandlungsobjekt, so die Kritik von Weizsäckers, wahrgenommen wird. Für die Frage der Ganzheitlichkeit in der Medizin ist seine Forschung von Einfluss, da er den Zusammenhang der körperlichen und psychischen Aspekte herausgearbeitet hat.287 Von Weizsäcker verweist darauf, dass Krankheit und Sterben für einen Patienten existentiell besondere Lebenssituationen darstellen.288 Daher ist von einer ganzheitlichen Betrachtung von Körper und Psyche auszugehen. Er sieht in einem Dualismus von Körper und Psyche einen gefährlichen Reduktionismus, da der Patient dann allein hinsichtlich seiner physiologischen Abläufe wahrgenommen wird.289 Einer einseitig auf die physiologischen Prozesse abzielenden Medizin wird zum Vorwurf gemacht, dass der körperliche Aspekt gegenüber der Individualität des Patienten im Vordergrund stehe. Krankheit, so von Weizsäcker, hätte in diesem Verständnis die bloße Bedeutung einer Funktionsstörung, die behoben werden müsse.290

Der psychophysische Ansatz von Weizsäckers ist in Medizin und Psychologie zum Teil umstritten. Für das Verständnis des Begriffes der Ganzheitlichkeit ist an dieser Stelle von Bedeutung, dass der Patient als Subjekt in den Mittelpunkt des medizinischen und pflegerischen Handelns rückt.291 Neben dem Krankheitsbild soll der Patient nach von Weizsäcker als eine Persönlichkeit, als ein „[…] Ich, das mit all seinen Leiden, Erwartungen und Hoffnungen nicht als Körper an den Arzt herantritt, sondern eben als Mensch“292 wahrgenommen werden.

Die Untersuchungen von Weizsäckers stellen aber nicht nur in Medizin und Anthropologie, sondern auch in Theologie und Ethik die Grundlagen heutiger medizinethischer Annahmen dar. Zu fragen ist daher in dieser Untersuchung nach dem Verständnis von „Ganzheitlichkeit“ gerade auch aus theologisch-ethischer Perspektive.

4.1.2. „Ganzheitlichkeit“ als eine anthropologische Konstante in theologisch-ethischer Perspektive

Zentral im Sinne einer ganzheitlichen Kategorie ist innerhalb der moraltheologischen und kirchlichen Diskurse zum Behandlungsabbruch und -verzicht gerade unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit einer Behandlung – die Untersuchungen des voraufgehenden Kapitels haben es gezeigt – die Frage nach der Berücksichtigung der körperlichen und der seelisch-geistigen Seite des Menschen. Zu fragen ist dabei, in welchem anthropologischen Kontext die kirchlichen und theologischen Aussagen erfolgen, welche medizinischanthropologische Grundanschauungen aus theologisch-ethischer Perspektive diesen Aussagen zu Grunde liegen und welche Konsequenzen sich daraus für das christliche Menschenbild in der Frage über einen Behandlungsabbruch und -verzicht ergeben.293

So lassen sich medizinethisch relevante Aspekte des christlichen Konzeptes der „Ganzheitlichkeit“ für das Kriterium der Verhältnismäßigkeit aufzeigen. Es lässt sich darstellen, wie aus einem christlichen Menschenbild und einer ganzheitlichen Schau auf den Menschen heraus schließlich physische, psychische sowie soziale Dimensionen in einem Kriterium für einen Behandlungsabbruch/-verzicht ins Spiel kommen und nach diesem Verständnis in einer solchen Entscheidung auch berücksichtigt werden müssen.294

4.1.2.1. „Ganzheitlichkeit“ und die Würde des menschlichen Lebens

Der Begriff „Ganzheitlichkeit“ wird innerhalb der Theologie in diesem Sinne als ein Grenz- und Leitbegriff zur Orientierung an Einheit und Mannigfaltigkeit in der Beziehung des Menschen zu sich selbst, aber auch zur sozialen Umwelt verstanden.295 Die ganzheitliche Auffassung vom Menschen, die traditionell als Einheit von Leib und Geist beschrieben wird, stellt innerhalb der christlichen Ethik eine Konstante dar und entspricht der Erfahrung, dass der Mensch weder als ein abstraktes Vernunftwesen noch als ein rein sinnliches Wesen wahrgenommen wird.296 Für die christliche Ethik ist die Frage nach dem Leben folglich nicht nur eine Sache der Biologie, da sich Leben als ein vielschichtiges, komplexes und nicht zuletzt soziokulturelles „Gebilde“ erweist.297

Mit zu berücksichtigen ist, dass die endliche leibhaftige Existenz die Grundlage und den Horizont für den Freiheitsvollzug des Menschen darstellt. Wenn auch die leibhafte Existenz Basis und Begrenzung der menschlichen Freiheit ist, so wird diese gleichzeitig beständig transzendiert.298

Das christliche Verständnis vom Menschen in seinen vielfältigen Dimensionen wird im Horizont einer solchen Perspektive vor allem auf biblische Vorstellungen zurückgeführt, wenngleich diese keine wissenschaftlichen Reflexionen darstellen.299 Die Begriffe Leib und Seele bezeichnen im Kontext der Heiligen Schrift den ganzen Menschen seinem Leben und Handeln nach.

In biblischen, kirchlichen und theologischen Texten lassen sich zahlreiche Aussagen zu einer Hochachtung des menschlichen Lebens in seiner Ganzheit in diesem Sinne finden. In religiöser Hinsicht wird die Würde des Menschen mit Leib und Seele durch die Menschwerdung Gottes bezeugt. In der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus hat Gott selbst einen menschlichen Leib angenommen.300 Für Pius XII., der sich in zahlreichen Ansprachen vor Mitarbeitern aus den Bereichen Medizin und Pflege zu medizinethischen Themen äußerte, erhält der menschliche Leib zudem die Würde als Wohnung des Geistes und Tempel Gottes.301 So bestehe „[…] in einer für unseren Verstand schwer durchschaubaren Synthese die Welt des Geistes und die der Materie […], und dies nicht durch ein bloß äußeres Band, sondern in der Einheit der menschlichen Natur“302. Pius XII. weist dabei vor allem auf die innere Zuordnung und das Gleichgewicht zwischen den menschlichen Organen und der Psyche hin.303

Anhand dieser Aussagen zur Würde des menschlichen Leibes wird die Hochachtung auch der physischen Seite im Kontext einer ganzheitlichen Auffassung des Menschseins deutlich.304 Der Leib erfährt in den Stellungnahmen Pius’ XII. eine Hochachtung als integraler Bestandteil des menschlichen Lebens.

Die Leiblichkeit entspricht aber nach diesem Verständnis nur einer Dimension der menschlichen Existenz. Die Seele in ihrer psychischen und geistlichen Dimension stellt die Grundlage für die Kommunikation mit der Mitwelt dar, die freilich stets an den Körper gebunden ist.305 Grundlegend ist dabei eben das Verständnis, dass leibliche und psychische Aspekte des Menschen ineinander greifen.306 Mit Sailer ist daher darauf zu verweisen, dass wie im körperlichen Organismus mehr als die Summe seiner Glieder auch in der Seele als Ganzes mehr als die Summe der verschiedenen psychischen Funktionen und Fähigkeiten gesehen werden muss.307

4.1.2.2. Zur ganzheitlichen Erfahrung von Krankheit und Sterben

Es kann im Rahmen dieser Untersuchung nicht darum gehen, die philosophisch-theologischen Einzelheiten der damit verbundenen anthropologischen Detailfragen und Theoriebildung nachzuvollziehen, darzustellen und zu diskutieren. Das Augenmerk muss sich vielmehr im Sinne der Zielstellung dieser Arbeit auf die Bedeutung eines solchen Ausgangspunktes für die Entscheidungsfindung in Bezug auf das Maß von Behandlung im Kontext moderner Medizin richten. Als entscheidende Konsequenz für diese Bedeutung aber ergibt sich auch ein spezifisch ganzheitlicher Blick auf die Erfahrung von Krankheit und Sterben in einem christlichen hermeneutischen Horizont.

Krankheit und Sterben sind demnach sowohl körperlich als auch im weiteren Sinne seelisch erfahrbar. Sie stellen folglich für den Menschen zutiefst einschneidende Lebensphasen dar, die für ihn nicht selten belastend und herausfordernd sind. In naturwissenschaftlicher Perspektive handelt es sich bei Krankheit und Sterben um physisch-biologische Veränderungen, Pathologien oder Verfallserscheinungen. Für eine rein naturwissenschaftlich orientierte Medizin wären Krankheit, Sterben und Tod somit sinnlose prozessuale Geschehen, die allenfalls sekundär mit dem personalen Leben in Verbindung stehen.308 Die Begriffe Krankheit, Sterben und Tod sind aber im Sinne der theologischen Herangehensweise nicht nur von fundamentaler Bedeutung für die Medizin, sondern auch für das individuelle und das soziale Leben des Menschen überhaupt. Sie sind insofern auch von erheblicher ethischer Relevanz, da von der Klärung dieser Begriffe das Schicksal von Menschen abhängt und ethische und rechtliche Entscheidungen davon bestimmt werden.

Die theologische Auffassung von Ganzheitlichkeit lässt sich also im Sinne einer Mehrdimensionalität spezifisch charakterisieren. Von Bedeutung für die Definition von „Krankheit“ bzw. ihrer Behandlung ist danach gerade die Frage der Wechselbeziehung von Leib und Seele wesentlich, da beide Dimensionen des Menschen Einfluss aufeinander haben. Auch für den Umgang und die Gestaltung des Sterbens ist das Zueinander von Leib und Seele (im theologischen Sinne verstanden) relevant, da Sterben und Tod Prozesse sind, die den Menschen in seiner Ganzheit betreffen.

Ein solcher Ansatz geht über die Einsichten der anthropologischen Medizin noch einmal hinaus. Aufgrund der Einheit von Physischem und Geistigem wirken Behandlungen nicht allein auf den Körper ein, sondern besitzen auch Einfluss auf die psychische und die geistliche Dimension des Menschen.309 Zu betonen ist daher, dass Gesundheit und Krankheit nie einseitig somatisch oder psychisch wahrgenommen werden. Behandlungen haben vielmehr Auswirkungen auf den Menschen in seiner leiblichen, psychischen und geistigen, ja geistlichen Dimension.310 Im Katholischen Erwachsenen-Katechismus wird deshalb explizit die tiefgreifende und existentielle Bedeutung von Krankheit betont. So kann auf die ganzheitliche Dimension der Krankheit für den Patienten verwiesen werden: „Die Krankheit ist mehr als eine vorübergehende Störung der Gesundheit. Sie ist ein gesamtmenschliches, leib-seelisches Ereignis, das den Menschen innerlich zutiefst betrifft. In der Krankheit erfährt der Mensch seine Ohnmacht, Begrenztheit und Endlichkeit.“311

Die Theologie kann deshalb die Situation des Patienten in der Krankheit nicht nur in ihrer existenziellen Dramatik, sondern als eine letzte menschliche Grenzerfahrung beschreiben: Krankheit stellt sich für den Menschen als ein Einschnitt in die Lebensführung dar, in der sich Hilflosigkeit in ihrer Gänze zeigt. Menschen sind mitunter nicht nur auf die Hilfe ihrer Angehörigen, Pfleger und Ärzte angewiesen, sondern auch auf Medikamente, medizinische und technische Hilfsmittel. Krankheit bedeutet daher auch Einschränkung der Verfügungsgewalt der Person über ihren Körper oder Teile desselben und bringt auf diese Weise Einschränkungen ihrer Wirkungsmöglichkeiten in der Umwelt und damit eine Gefährdung oder Bedrohung der Person im Sinne ihrer innersten Intimität mit sich.312

4.1.2.3. Die soziale Dimension von Krankheit und Sterben

Es ist bezeichnend, dass für die theologische Ethik von dieser Erfahrung her auch die soziale Dimension von Krankheit und Sterben in den Blick kommt. Der Mensch lebt nie in einer abgeschlossenen Welt für sich. Diese Auffassung korrespondiert mit dem modernen umfassenden Verständnis von Gesundheit. Nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus dem Jahr 1947 bedeutet Gesundheit neben körperlichem, psychischem und geistigem auch soziales Wohlbefinden.313 Die WHO-Definition ist in der Hinsicht wertzuschätzen, da in ihr neben einer „optimalen Selbstentfaltung“ auch auf eine notwendige Berücksichtigung zwischenmenschlicher Beziehungen verwiesen wird.314 Die Gesundheitssorge des einzelnen Menschen ereignet sich dabei stets in einem bestimmten sozialen Umfeld, sei es beispielsweise hinsichtlich des Gesundheitswesens oder des familiären Kontextes.

Papst Pius XII. würdigt in einer Ansprache an die Mitglieder der WHO ausdrücklich die Tatsache, dass der Gesundheitsbegriff in einem solchen „ganzheitlichen“ Sinn verstanden und die soziale Dimension miteinbezogen wird. Die Gesundheit wird dabei, so Pius XII., positiv bestimmt und bedeutet damit letztlich „[…] das geistige und soziale Wohlsein der Menschheit […]“315.

Im Hintergrund dieser Aussagen stehen Grundprinzipien kirchlicher Lehre, wonach die soziale Eingebundenheit des Menschen ein wesentliches Merkmal seiner Personalität darstellt.316 Der Mensch ist demnach auf die Beziehung zum Du und zur Gemeinschaft angelegt, da er ohne Beziehung zum Mitmenschen weder leben, noch seine Anlagen zur Entfaltung bringen kann.317 Aus christlicher Perspektive ist Leben in Gemeinschaft mit den Mitmenschen daher ein grundlegendes Element des Lebens überhaupt.

Der Begriff „Ganzheitlichkeit“ wird im folgenden Abschnitt deshalb im Sinne dieser theologischen Analyse als ein Konzept aufgefasst, das in der Krankheitsgeschichte eines Patienten neben dem Krankheitsbild im engeren Sinn auch die psychische, seelische – einschließlich der geistlichen Dimension – und soziale Konstitution berücksichtigt.318

4.2. Verhältnismäßigkeit als ganzheitlicher Zugang zur Entscheidung über eine Behandlung

Nimmt man die bisherigen Überlegungen dieses Kapitels ernst, dann sind Gesundheit, Krankheit und Sterben notwendig unter ganzheitlichen Aspekten im Sinne solcher physischer, psychischer und seelischer/geistlicher Ganzheitlichkeit zu betrachten. Die Überlegungen zur Entscheidung über eine Behandlung setzen deshalb bei einer solchen ganzheitlich-personalen Perspektive an.319 Und nur im Rahmen eines solchen umfassenden hermeneutischen Horizonts wird sich auch die Frage einer Verhältnismäßigkeit oder Unverhältnismäßigkeit von Behandlung ethisch wirklich sachgerecht beantworten lassen. Diese Beobachtung ist ein erster Schritt zur Konkretisierung der in der Begriffsgeschichte herausgestellten subjektiven Dimension des Kriteriums der Verhältnismäßigkeit.

Im folgenden Abschnitt soll diese Sichtweise mithilfe der Begriffsgeschichte aber noch weiter konkretisiert und ganz detailliert untersucht werden, welche Impulse das Kriterium der Verhältnismäßigkeit für eine Entscheidung über eine Behandlung im Kontext der Ganzheitlichkeit bieten kann. Die Fragestellungen aus der Vergangenheit werden im Kontext heutiger, moderner Möglichkeiten aufgegriffen und neu reflektiert. So ergibt sich ein ganz konkretes hermeneutisches Feld für die Abwägung von Verhältnismäßigkeit unter den Bedingungen eines ganzheitlichen Zugangs zur Entscheidung über eine medizinische Behandlung heute.

Dieses Feld zeigt dabei noch einmal charakteristische Merkmale. Sie lassen sich mit einer grundsätzlichen Beobachtung fassen, welche die Auswirkungen der Entwicklung von der vormodernen zu modernen Medizin betrifft. Danach ist es nicht mehr nur die Krankheit selbst und die damit verbundenen Lasten, Risiken und Konflikte, welche für die Abwägung von Verhältnismäßigkeit und Unverhältnismäßigkeit einer Behandlung für den Patienten und seine Situation wichtig sind. Sondern darüber hinaus prägt auch die medizinische Behandlung, die eigentlich zur Überwindung der natürlichen Bedrohung durch die Krankheit gedacht ist, in ihrer eigenen Schwere und Massivität die Abwägungssituation der Verhältnismäßigkeit oder Unverhältnismäßigkeit noch einmal in einem eigenen Sinne. Und gerade aufgrund der Erfolge der modernen Medizin wird auch die Dauer der Krankheit- und Therapieverläufe zu einem Element, über das im Sinne von hilfreicher Erleichterung des Lebens oder zusätzlicher Erschwernis nachgedacht werden muss. Es sind diese neuartigen qualitativen Merkmale, welche das Kriterium der Verhältnismäßigkeit innerhalb einer modernen Situation der Abwägung für die subjektive Entscheidungsfindung des Patienten selbst in einer ganz spezifischen Weise verstehen lassen.

Die folgenden Überlegungen möchten diesen Zusammenhang an einzelnen Parametern (Schmerz, Anstrengung, Furcht usw.) entlang im Vergleich mit den traditionellen Texten darstellen und bis hin zur Unterscheidung der Frage nach der Behandlungsqualität im Gegensatz zum Begriff der Lebensqualität reflektieren.

4.2.1. Außerordentliche Schmerzen

Ein wesentliches Element, das von den moraltheologischen Autoren im Kontext der Verhältnismäßigkeit angeführt wird, ist der Schmerz (quidem cruciatus, ingens dolor) eines Patienten, der durch eine Krankheit und eine Behandlung verursacht werden kann.320 Nicht selten sind medikamentöse Behandlungen und medizinische Eingriffe, durch die der Patient geheilt werden soll, mit Schmerzen verbunden. Insbesondere Autoren vom 16. bis in das 19. Jahrhundert hinein erwähnen exemplarisch die Amputation von Gliedmaßen als ein Beispiel für eine unverhältnismäßige Belastung. Die Autoren sprechen von großen Schmerzen, die eine Behandlung für einen Patienten – hauptsächlich aufgrund einer fehlenden oder nicht effektiven Anästhesie – zu einer „heroischen Tat“ werden lassen kann.321 Auch Pius XII. weist darauf hin, dass Behandlungen, die eine schmerzhafte Belastung für den Patienten mit sich bringen, als „unüblich“ und „außerordentlich“ charakterisiert werden können.322 In kirchlichen Erklärungen wird sogar pointiert darauf verwiesen, dass keine „heroische Haltung“ seitens des Patienten gefordert sei: „Auch wenn jemand, der das Leiden aus freien Stücken annimmt, indem er auf schmerzlindernde Maßnahmen verzichtet, um seine volle Geistesklarheit zu bewahren und, wenn er gläubig ist, bewußt am Leiden des Herrn teilzuhaben, in der Tat des Lobes würdig ist, so kann diese ‚heroische’ Haltung doch nicht als für alle verpflichtend angenommen werden.“323

Die Medizin hat im Laufe der Zeit gerade im Blick auf die Schmerztherapie vielfältige Fortschritte erzielt.324 Narkotische und palliativmedizinische Behandlungen ermöglichen heutzutage schließlich die Ausschaltung von und den Schutz vor Schmerzen bei Therapien, in andauernden Krankheitsphasen sowie im Sterben.325 Wenn von Behandlungen die Rede ist, die für einen Patienten als belastend empfunden werden können, so ist zu berücksichtigen, dass eine medizinische Maßnahme, die in der Vergangenheit als belastend und sogar als nutzlos empfunden wurde, gegenwärtig zumeist in einer Weise durchgeführt werden kann, dass sie für einen Patienten erträglich ist.

In kirchlichen Dokumenten lassen sich in diesem Sinne auch zahlreiche Aussagen finden, in denen die positiven Wirkungen der Technik in der Medizin hervorgehoben werden, ohne die der heutige hohe Stand der Heilkunde völlig undenkbar wäre. In einer Ansprache vor Gastroenterologen würdigt Pius XII. die Bedeutung neuer Methoden und Verfahren für Diagnose und Therapie.326 Autoren merken an, dass die so genannte Apparatemedizin dabei jedoch eine Ambivalenz der Technik in sich birgt. Der physiologische Schmerz kann sich unter diesen Bedingungen in eine Form der Belastung verwandeln, die den Patienten in der Behandlung nur noch – im Gegensatz zur oben aufgezeigten Stellung als ausgezeichnetes Subjekt (!) – als Objekt wahrnehmen lässt.327

Es ist gerade die Vermeidung einer solchen neuen Form von belastender Entwürdigung, welche die Rahmenbedingungen moderner Therapie betrifft und die von der theologischen Ethik besonders aufmerksam thematisiert wird. Hinsichtlich der Anwendung der medizinischen Technik wird in kirchlichen Stellungnahmen die Verantwortung des Arztes betont, die ihm zur Verfügung stehenden technischen Hilfsmittel so einzusetzen, dass sie wirklich dem Patienten dienen, ihn aber nicht manipulieren, ihn zum bloßen Objekt machen oder die vertrauensvolle Arzt-Patient-Beziehung beeinträchtigen. Zu berücksichtigen sei, so der Mediziner Sailer, dass eine solche Störung der zwischenmenschlichen Beziehungen immer dann eintreten wird, wenn der Arzt die Technik überbewertet und vor lauter Apparaten und Laborwerten den Menschen aus den Augen verliert.328 Der verantwortungsvolle Umgang des Arztes mit der Technik stellt für Pius XII. dabei eine ethische Prämisse dar: „Handle es sich nun um den Körper oder um das menschliche Kompositum in seiner Einheit: immer wird sich der christliche Arzt vor der Verzauberung der Technik in acht nehmen müssen, vor der Versuchung, sein Wissen und seine Kunst für andere Zwecke zu verwenden als für die Betreuung der ihm anvertrauten Kranken.“329 Medizinische Eingriffe und Behandlungen haben daher nicht nur Konsequenzen auf der physischen Ebene, da ein Eingriff am menschlichen Leib nicht nur Gewebe, Organe und ihre Funktionen betrifft, sondern auch auf verschiedenen Ebenen – individuell wie sozial – mit der Person selbst zu tun hat.330 Entscheidungen in medizinischer und ethischer Hinsicht beziehen sich daher auf die menschliche Person in ihrer leib-geistigen Einheit.

Mit diesen Spannungen ist ein grundsätzlicher Wandel in der Abwägung der Verhältnismäßigkeit von Schmerzen gegenüber der vormodernen Medizin angesprochen. Mit der Zunahme an Technik in der modernen Medizin ist letztlich häufig der Umstand verbunden, dass an die Stelle der krankheitsbedingten Schmerzen nun die behandlungsbedingten oder sogar untersuchungsbedingten Schmerzen treten können.331 Auch angesichts der guten Versorgungsmöglichkeiten in der Medizin sind manche Behandlungen mit starken Schmerzen oder anderen Belastungen für den Patienten verbunden. Ob Behandlungen verhältnismäßig oder unverhältnismäßig sind, hängt deshalb nicht selten von dessen Disposition und Gesamtzustand ab. Dabei sind Unterschiede in den Empfindungen der Patienten zu berücksichtigen, da jeder Patient ein unterschiedliches Schmerzempfinden hat und Schmerzen verschieden wahrgenommen werden. Behandlungen können immer noch mit Schmerzen und Beschwerden verbunden sein und für den Patienten daher eine schwerwiegende Belastung darstellen. Dies mag für den Patienten folglich „unverhältnismäßig“ sein. Auch wenn durch die moderne Anästhesie der Schmerz während einer Behandlung und in der Rekonvaleszenz wesentlich verringert werden kann, so entbindet dies nicht von der Notwendigkeit, im Einzelfall über einen Behandlungsabbruch oder -verzicht zu entscheiden.

An dieser Stelle ist auf die ausdrückliche Einbeziehung ganzheitlicher Kategorien in die kirchliche Medizinethik des 20. Jahrhunderts hinsichtlich des Kriteriums der Verhältnismäßigkeit zu verweisen. Cahill merkt in ihrem Kommentar an, dass das Wohl der Person als Ganzer in die Überlegungen miteinbezogen wird: „Man läßt nun unverstellter die Erfahrung zu, daß ein hinausgezögertes oder heftiges Leiden häufig außerordentlich negative Folgen für das Wohl des Menschen hat.“332 Nicht allein die Frage des Behandlungserfolgs wird in den Blick genommen, sondern auch die Folgen einer Therapie für den Patienten.

4.2.2. Höchste Anstrengung und überaus harte Mittel

In diesem Sinne gilt gerade für die moderne Medizin in gleicher Weise: Jegliche Behandlungs- und Rehabilitationsmaßnahmen sind stets mit Mühen und Aufwendungen für den Patienten verbunden. Bereits in der Begriffsgeschichte des Kriteriums wurde jedoch deutlich, dass solche Aufwendungen für den Patienten auch ihre Grenzen haben und daher unter bestimmten Umständen auch als unverhältnismäßig gelten können. Hinsichtlich des Elements der Ganzheitlichkeit ist darauf hinzuweisen, dass einzelne moraltheologische Autoren Begrifflichkeiten wie größte Anstrengung (summus labor) oder überaus harte Mittel (media nimis dura) verwenden, wenn sie die Außergewöhnlichkeit von Behandlungen beschreiben. So betonte beispielsweise Vincent Patuzzi bereits im 18. Jahrhundert, dass Patienten keine außergewöhnlichen, d. h. „harten“ und „heftige“ Heilmittel zu nutzen bräuchten.333

Wie stellt sich dieser Aspekt heute dar? Ein wichtiger Hinweis besteht in der Deutung von Unverhältnismäßigkeit als eine übermäßige Anstrengung und Belastung für den Patienten. Die Unverhältnismäßigkeit einer Behandlung kann für einen Patienten folglich darin liegen, wenn die mit der Behandlung verbundenen Maßnahmen und mitverursachten Nebenwirkungen das angestrebte Ziel mindern oder gar verkehren.334 Dies gilt gerade auch angesichts moderner Technik in der Medizin.

Es können verschiedene Faktoren bestehen, die unter Umständen Behandlungen zu unverhältnismäßigen Anstrengungen werden lassen. Ein von den moraltheologischen Autoren häufig zitiertes Beispiel ist eine weite Reise in ein anderes Land oder eine andere klimatische Region.335 So betont z. B. Zalba, dass niemand daran gehalten sei, sich einer sehr gefährlichen Behandlung oder einer sehr anstrengenden Rekonvaleszenz zu unterziehen.336 Kelly verweist darauf, dass Reisen in früherer Zeit sehr beschwerlich und gefährlich für die Menschen sein konnten: „For people whose lives were, so to speak, rooted in the land, and whose native town or village was as dear as life itself, and for whom, moreover, travel was always difficult and often dangerous—for such people, moving to another country or climate was a truly great hardship, and more then God would demand as a ‚reasonable‘ means of preserving one’s health and life.“337Auch heute ist die Frage eines Ortswechsels für Patienten relevant, wenn angesichts lebensbedrohlicher Krankheiten Spezialkliniken im In- oder Ausland aufgesucht werden müssen. Verhältnismäßigkeit heißt hier ganz offensichtlich zu entscheiden, ob sich ein Patient zu großen Anstrengungen hinsichtlich eines Transports und einer weiteren Therapie auszusetzen in der Lage sieht.

Ein weiterer Aspekt von höchster Anstrengung und überaus harten Mitteln berührt die Frage der Nahrungsaufnahme im finalen Stadium eines Patienten. Bereits im 16. Jahrhundert wurde u. a. von Francisco de Vitoria die Frage der Nahrungsaufnahme zur Lebenserhaltung aufgenommen. Er argumentiert, dass ein schwerkranker Patient, der Abscheu vor der Aufnahme von Nahrung verspürt, diese auch verweigern könne. Diese Abscheu kann sich als Gefühl des Widerwillens im Appetit zeigen, sodass die Nahrungsaufnahme nur mit größter Mühe und in gewisser Weise mit einer Qual erfolgen könne.338 Sicherlich kann in diesem Zusammenhang hier nicht die komplizierte Frage der medizinischen und ethischen Rechtfertigung von künstlicher Ernährung bzw. ihrer Unterlassung/Beendigung diskutiert werden. Mit dem Hinweis auf Nahrungsaufnahme als möglicherweise schwere Belastung soll nur darauf hingewiesen werden, dass auch ein solcher Zusammenhang eine medizinische Entscheidung zur Behandlung bzw. Nichtbehandlung mit beeinflussen kann. Ja, dass er einen entscheidenden Aspekt für die Orientierung darstellt.

Insgesamt scheint aber – das wird am Beispiel der Entscheidungen im Blick auf die Nahrungsaufnahme implizit deutlich, denn sie stellt sich häufig als Problem dann, wenn sich Krankheits- und Sterbeprozesse in die Länge ziehen – vor allem die ausgeweitete Dauer der Behandlungen heute die Größe der Belastung für den Patienten sowohl durch die Krankheit als auch durch die Therapie eine neue Qualität und Dimension erhalten zu haben. Über den veränderten Rahmen hinaus, der heute aus dem krankheitsbedingten einen behandlungsbedingten Schmerz machen kann, sind es die oft zermürbende Langwierigkeit sowohl der Behandlung als auch infolge davon die lange Zeiträume umfassenden Auseinandersetzung mit einer Krankheit, welche eine Belastung als unverhältnismäßig erscheinen lassen können oder zumindest in die Abwägung von Verhältnismäßigkeit mit einbezogen werden müssen.

In der Begriffsgeschichte des Kriteriums lässt sich somit schon im Sinne der Berücksichtigung von Schmerz und Anstrengung – soviel soll hier ausdrücklich festgehalten werden – eine Kontinuität in der Berücksichtigung ganzheitlicher Kategorien konstatieren, die auch für die Abwägungssituationen innerhalb moderner Medizin von Belang sind. Zusammenfassend sei an dieser Stelle ein Zitat von Kelly angeführt, der ausdrücklich betont, dass nicht allein die Hoffnung auf den Erfolg einer Behandlung von Bedeutung ist, sondern auch die Unannehmlichkeit und die Belastung für einen Patienten auf dem Weg dorthin: „The old moralists realized this too; and they introduced this element of ‚hope of success’ into their concepts of ordinary and extraordinary means of preserving life. A means was considered extraordinary if it involved excessive inconvenience or if it offered no reasonable hope of benefit. A means was considered ordinary if it did not involve excessive inconvenience and it offered a reasonable hope of benefit.“339

4.2.3. Große Furcht

Ganzheitliche Aspekte, die von moraltheologischen Autoren im Kontext des Kriteriums der Verhältnismäßigkeit genannt werden, sind neben der Nennung von Gefühlen des Schmerzes und der Anstrengungen auch das Gefühl einer starken Furcht (vehemens horror).340 Belastungen können innerhalb einer (intensiv-)medizinischen Behandlung auf verschiedene Weise wahrgenommen werden. Auch psychische Aspekte zählen dazu. So kann der Einsatz medizinischer Technik in der Behandlung für den Patienten auch eine große psychische Belastung darstellen. Böckle formuliert dies folgendermaßen: Für manchen Menschen vermag schon das bloße Ahnen dessen, „[…] was im geheimnisvoll abgeschirmten Bereich der Intensivstation möglich ist […]“341, Ängste wecken. Wenngleich in die Apparatemedizin Vertrauen und Hoffnung gesetzt werden, so kann eine Möglichkeit der Abhängigkeit von den technischen Geräten eine große Angst hervorrufen. So ist mit Häring darauf zu verweisen, dass es auf modernen Intensivstationen nicht immer einfach ist, der Forderung nach einer ganzheitlichen Begleitung und Betrachtung des Patienten nachzukommen, „[…] denn dort richtet sich eine ungeheure Technologie und komplizierte Methodik so einseitig auf die Funktion einzelner Organe, daß es leicht geschehen kann, daß der Patient sich als Person vergessen fühlt“342. Die Ursachen der Abneigungen in Form der Furcht und Unsicherheit können auf Seiten des Patienten insbesondere aufgrund der Unpersönlichkeit der Geräte bestehen: „Angst, anonyme Angst entsteht aber vornehmlich aus dem Verlust personaler Beziehung. Kein noch so perfektes Meßgerät kann ersetzen, was für den Patienten das Abhören seiner Lunge und das Abtasten seines Leibes durch den Arzt bedeuten. Noch weniger ist die Orientierung an Meßdaten ein Ersatz für das Gespräch zwischen dem Arzt und seinem Patienten. Das Verblassen der persönlichen Beziehung und die immer stärker um sich greifende Sprachlosigkeit in der apparativen Medizin sind wohl der entscheidende Punkt; nicht der Einsatz der technischen Mittel als solcher. Wo die persönliche Beziehung fehlt, entfalten sich irrationale Gefühle. Sie sind es, die hinter dem Apparat bald eine Gefährdung, bald eine erzwungene Verkürzung des Lebens wittern.“343

Die Furcht des Patienten kann sich zudem auch auf die Behandlungsprozedur selbst beziehen und für ihn Angst, körperlichen und psychischen Stress bedeuten. Sie lässt sich auf zweierlei Weise beschreiben: als intensive Angst und Scheu vor einer Behandlung und ihren Folgen sowie als Abneigung und Widerwille.

Die Emotion der Furcht kann dabei aufgrund verschiedener Anlässe auftreten: (a) Als ein natürliches Gefühl der Angst, die beispielsweise aufkommt, wenn über eine Behandlungsfortführung entschieden werden soll, (b) wenn ein Patient die möglichen Schmerzen oder andere Belastungen, die mit einer Behandlung verbunden sind, bedenkt und als (c) eine so intensive Furcht, die den Patienten paralysiert und unfähig zu einer Entscheidung macht oder ihn einfach nur vor der Gefahr fliehen lässt.344 In bestimmten Fällen, in denen Entscheidungen über medizinische Behandlungen anstehen, kann die Furcht für den Patienten daher so bedrückend sein, dass eine Fortsetzung oder der Beginn einer Behandlung unmöglich erscheint.345

Die notwendige Fokussierung auf die Furcht eines Patienten vor Behandlungs- oder Rehabilitationsmaßnahmen verweist noch einmal eindrücklich auf die persönliche, existentielle Dimension des Themas. Für Patienten wie auch für Angehörige, Ärzte und Pflegekräfte mag dies ein Dilemma sein. An dieser Stelle sei noch einmal auf Böckles Rede von einer „Angst vor apparativer Medizin“ verwiesen.346 In bestimmten Fällen mag eine Furcht, die hinsichtlich der möglichen Gefahren und Schmerzen mit der Behandlung verbunden sind, für Außenstehende unbegründet erscheinen. Hier besteht die Herausforderung für die Angehörigen und das medizinische Personal, dem Patienten bei einer Entscheidung beizustehen und unter Umständen Ratschläge und Hinweise zu geben. Angehörige und Ärzte können vielleicht den Patienten in seiner Furcht beruhigen. Wenn die starke Furcht erhalten bleibt, sei sie begründet oder unbegründet, so kann eine geplante Behandlung für den Patienten unverhältnismäßig sein und ihn bzw. seinen Betreuer zu einem Behandlungsverzicht oder -abbruch bewegen.

Entsprechend einer ganzheitlichen Betrachtung des Menschen wird von kirchlicher Seite großer Wert darauf gelegt, dass der Arzt in der Behandlung stets auch psychische und geistliche Faktoren sowie die soziale Umwelt des Patienten berücksichtigt.347 So betont Pius XII., dass Ärzte und Pfleger nie vergessen sollen, dass der Kranke „[…] nicht nur einen Leib, sondern auch eine oft noch pflegebedürftige Seele besitzt“348. Zu verweisen ist darauf, dass die Ratschläge und Entscheidungen sich meist auf die Pflege des Leibes, seiner Glieder und Organe bezieht, trotzdem aber auch die Seele und die seelischen Fähigkeiten, die übernatürliche Bestimmung des Menschen und seine gesellschaftlichen Aufgaben in der Behandlung dazugehören.349 Nicht allein der Leib, sondern auch die psychische und seelische Konstitution macht den Patienten aus.350

Auch Abneigung und Widerwille gegenüber einer medizinischen Behandlung werden von den Autoren als mögliche Unverhältnismäßigkeit für den Patienten angeführt.351 Die Flexibilität des Kriteriums der Verhältnismäßigkeit hinsichtlich der Situation des Patienten wird gerade durch ein Beispiel aus der Begriffsgeschichte deutlich, das heute wohl nur selten im Blickfeld steht. Dies betrifft insbesondere Behandlungen, die Gefühle der Scham auf Seiten des Patienten hervorrufen können.352

Im Kriterium der Verhältnismäßigkeit wird von den Autoren gerade im Blick auf die sehr persönliche Erfahrung von Angst und Furcht somit der Fokus auf die je individuelle Situation des Patienten gerichtet. Auch wenn eine Behandlung für zahlreiche Menschen kaum mit Furcht oder Abneigung und Widerwille verbunden sein mag, kann die gleiche Behandlung für einen anderen Patienten mit einer starken Abneigung verbunden und somit unverhältnismäßig in der Lebenserhaltung sein.

4.2.4. Entfremdung

Es ist in diesem Sinne gerade der Komplexität moderner Medizin, die bezeichnenderweise mit ihrem Fortschritt zusammenhängt, zu verdanken, dass auch die Abwägung der Verhältnismäßigkeit immer deutlicher mit der subjektiven Bewertung durch den Patienten verbunden werden muss, auch wenn objektive Kriterien, welche durch die medizinische Indikation repräsentiert werden, nicht einfach irrelevant sind. Deutlich wird diese Tendenz auch an der Dimension der Entfremdung, welche Menschen innerhalb einer medizinischen Behandlung erfahren können und die in die Abwägung von Verhältnismäßigkeit oder Unverhältnismäßigkeit für den Patienten einfließen kann.

Eine besondere Bedeutung kommt der Betrachtung – das hat die theologisch-ethische Interpretation des Konzeptes der Ganzheitlichkeit angedeutet – der Beziehung von Leib und Seele zu. Durch den Leib steht der Mensch in der Gemeinschaft mit der übrigen Welt, den Geschöpfen und der Natur.353 Der Leib des Menschen ist dabei zugleich aber immer auch von Vergänglichkeit gezeichnet, die sich besonders in den Phasen von Krankheit und Sterben zeigt. Im und am Leib leidet der Mensch, hat er Schmerzen und erfährt seine Gebrechlichkeit. Am Leib vollzieht sich daher in schwerer Krankheit und im Sterben auch die zunehmende Desintegration der Person.

Der Leib ist deshalb der integrale Raum, gleichsam ein Schnittfeld von Natur und Geschichte. In christlicher Perspektive ist der Leib zudem das Ausdrucksfeld der Person und der „Ort“, in dem und durch den sich die Begegnung mit Gott als Vernehmen des Wortes Gottes und als Antwort auf das vernommene Wort ebenso vollzieht wie die Begegnung mit den Mitmenschen im Hören aufeinander und im helfenden Mit- und Füreinander.354

Krankheit kann daher konkret auch die Einschränkung der Verfügungsgewalt der Person über ihren Körper oder ihre Glieder und Einschränkung ihrer Wirkungsmöglichkeiten in der Umwelt bedeuten. Sie stellt somit eine besondere Situation für den Patienten dar.355 Schmerzen und andere Beeinträchtigungen, die vom Patienten durch die Krankheit und die Behandlung erfahren werden, treffen ihn in seiner ganzen Person.356

Das bereits angeführte Beispiel aus der Medizingeschichte ist in diesem Sinne auch für die gegenwärtige Frage des Behandlungsabbruchs/-verzichts von Bedeutung. Die Amputation von Gliedmaßen wurde von zahlreichen Autoren aufgrund der damals mit der Behandlung verbundenen Gefahren und intensiven Schmerzen als ein außergewöhnliches Mittel beschrieben.357 McCormick u. a. aber greifen dieses Beispiel auf, um daraus eine Bedeutung in der Gegenwart abzuleiten.358 Demnach könne auch eine Abneigung gegen eine solche Behandlung für einen Patienten eine große Belastung darstellen und als unverhältnismäßig gelten.359 Der Verlust von Gliedmaßen kann von einem solchen Gewicht sein, dass die damit verbundene Entfremdung in der Selbstwahrnehmung die therapeutische Hilfe konterkariert, die mit der Maßnahme der Amputation intendiert ist.

Im Hintergrund steht hier ein Prozess, der auch im Katholischen Erwachsenen-Katechismus in den Blick genommen wird: Krankheit und Sterben sind Vorgänge, die sich insbesondere auf die Identität und die Selbstwahrnehmung des Patienten auswirken.360 Besteht ein Gleichgewicht, so werden Leib und Ich als Identität wahrgenommen. Krankheit dagegen kann als Entfremdung zwischen dem Leib und dem Ich wahrgenommen werden. Die Möglichkeit für den Menschen, sich mit Hilfe seines Körpers zu verwirklichen, kann infolge der Krankheit wesentlich eingeschränkt sein. Diese Erfahrung kann als eine Nicht-Identität von Ich und Körper beschrieben werden.361 Der Patient erfährt dies zumeist als Schmerz oder sonstige Hemmungen und ist somit in der Ganzheit der Person betroffen. Dies äußert sich als Disharmonie zwischen dem Ich und dem Körper. Das Subjekt empfindet eine teilweise Nicht-Identität zwischen sich und seinem Körper, es kann sich nicht mehr ungehindert in seinem Leib verwirklichen. Der Mensch hat Leib, der dadurch, dass er mit dem Ich keine ungehinderte vorbewusste Einheit mehr bildet, zum Körper wird, der teilweise nicht mehr auf das Subjekt abgestimmt ist. Eine somatische Krankheit wird als Entfremdung zwischen dem Ich und seinem Körper erlebt, also als Missempfinden aufgrund der Störung des Lebensgeschehens. Die Auswirkungen auf den Patienten sind um so tiefer, je länger dieser Zustand anhält, je aufwendiger die Maßnahmen sind, um ihn zu beseitigen, und je weniger Aussicht darauf besteht.362 Krankheiten besitzen daher – noch einmal sei es auch an diesem Beispiel betont – nicht nur eine Bedeutung auf der organischen Ebene, sondern haben Einfluss auf das Wohlbefinden, die Psyche und die Seele des Patienten.363

Krankheit stellt sich für den Menschen auch als ein Einschnitt in die Lebensführung dar, in der sich Hilflosigkeit in ihrer Gänze zeigt.364 Menschen sind mitunter nicht nur auf die Hilfe ihrer Angehörigen, Pfleger und Ärzte angewiesen, sondern auch auf Medikamente, medizinische und technische Hilfsmittel. Krankheit bedeutet daher auch Einschränkung der Verfügungsgewalt der Person über ihren Körper oder Teile desselben und bringt so Einschränkungen ihrer Wirkungsmöglichkeiten in der Umwelt und im alltäglichen Handeln mit sich.365 Der Patient erfährt dies zumeist als Schmerz oder Hemmung und ist somit in der Ganzheit der Person betroffen.

Im Kontext der kompliziert gewordenen, technisch gestützten Medizin heute scheint die Erfahrung von Entfremdung schwerwiegender und belastender: Neben der schweren Erkrankung können auch die Behandlungsmaßnahmen selbst und die Verwendung medizinischer Geräte in großem Umfang zu einem Gefühl der Entfremdung führen.366 Es bedarf daher einer großen Kraftanstrengung des Patienten, um sich mit der eigenen Krankheit auseinanderzusetzen, da Krankheit immer auch eine Krise für den Menschen darstellt.367Im Patienten, aber auch im Verhältnis zu seiner sozialen Umwelt können dann Spannungen auftreten.368

Die Wahrnehmung der Auswirkungen der Krankheit und der mit ihr verbundenen Belastungen betreffen die individuelle Ebene. Die Toleranz eines Patienten gegenüber Schmerzen, medizinischen und pflegerischen Aufwendungen sowie der Substitution körperlicher Funktionen unterscheidet sich von Mensch zu Mensch. Faktoren sind hierbei der Schweregrad der Krankheit, der Vorgang im Sterbeprozess, aber auch die Möglichkeit intensiv- und palliativmedizinischer Betreuung oder die Unterbringung in einem Hospiz. Die Wirkung von Krankheiten auf den Patienten hängt von den Empfindungen des Patienten, der Stabilität seines Ichs, seinen Lebensanschauungen, den in der Gesellschaft vorherrschenden Vorstellungen vom gesunden, kranken und sterbenden Menschen und nicht zuletzt von den Hilfen ab, die Mitmenschen und Gesellschaft zur Bewältigung von Krankheiten anbieten.369

Hier wird die subjektive Dimension der Abwägung der Verhältnismäßigkeit sehr deutlich! Krankheit und Sterben können für den Patienten durch Schmerzen und medizinische Behandlungen immer auch Entfremdung vom eigenen Körper und der Lebensbiografie bedeuten. Beide Prozesse bedürfen unvermeidlich einer ethischen Auseinandersetzung und einer Verortung in der Lebensgeschichte des Patienten: Krankheit und Sterben sind nicht bloße Defizite menschlichen Lebens, sondern aus christlicher Perspektive Teil des Lebens. Daher ist nicht nur nach den pathogenen Ursachen auf der Ebene der naturwissenschaftlichen Kausalität zu fragen. Begleitung und Gespräche von Seiten der Angehörigen, der Ärzte und Pfleger können dem Patienten helfen, diese Phase des Lebens zu bewältigen oder auszuhalten. Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit einer Behandlung heißt hier, empfindsam auf die Auswirkungen von Krankheit und medizinischer Behandlung zu achten und auf diese Weise zu ergründen, wie weit der Patient die Behandlung mittragen kann und möchte.

4.2.5. Unmöglichkeiten

Das Beispiel der Notwendigkeit, den Schock einer Amputation verarbeiten zu müssen, macht das Gewicht der subjektiven Einschätzung der Verhältnismäßigkeit heute bis zu der Grenze deutlich, da aufgrund des persönlichen Erlebens der Patient an die Grenze seiner Möglichkeiten stößt. Neben Aspekten, die das physische Wohl des Patienten betreffen, können auch allgemeine Lebensumstände Einfluss auf die Entscheidung über eine Behandlung besitzen. Mit den Begriffen „Unmöglichkeiten“ und „Schwierigkeiten“ werden von Autoren verschiedene mögliche Situationen von Patienten angeführt.370 Ausgehend von der Frage nach Ganzheitlichkeit berührt dies auch die Frage nach der Technik selbst. Schon zu früheren Zeiten haben Moraltheologen medizinische Anwendungen, die mit „bestimmten Unmöglichkeiten“ (quaedam impossibilitas) für den Patienten verbunden waren, als unverhältnismäßig bezeichnet.371 Diese Unmöglichkeit kann physischer Natur sein, wenn z. B. Mittel zur Lebenserhaltung nicht erreichbar sind oder ein Patient nicht in der Lage ist, von bestimmten Mitteln Gebrauch zu machen.

Neben einer physischen Unmöglichkeit kann auch eine moralische Unmöglichkeit vorliegen. Dies wäre der Fall, wenn die Mittel zur Lebenserhaltung äußerst schwierig oder höchst unbequem zu erhalten oder anzuwenden sind.372 Autoren nutzen zur Beschreibung dieser Ausnahmen die Begriffe „verhältnismäßig schwere Unannehmlichkeit“ und „moralische Unmöglichkeit“. Dabei wird von den meisten Autoren die „moralische Unmöglichkeit“ als eine „verhältnismäßig schwere Belastung bzw. Unannehmlichkeit“ beschrieben, die vom moralischen Gebot der Selbsterhaltung entbindet.373 Für die Bestimmung des Begriffs „außergewöhnlich“ heißt dies, dass Mittel, die für den Patienten mit einer schweren Belastung verbunden sind, eine auch moralische Unmöglichkeit darstellen können.374

4.2.6. Belastungen in geistlicher Hinsicht

Wie sehr das Kriterium der Verhältnismäßigkeit in die Subjektivität der Abwägung verweist, wird an seiner ganz konkreten Verwendung durch die Theologie und das Lehramt an der Schwelle zur modernen Medizin deutlich. In der Auseinandersetzung mit der Frage der Wiederbelebung, warum unübliche Mittel und außergewöhnliche Belastungen den Patienten nicht zuzumuten seien, erfolgen Begründungen meist auf zweifache Weise: Ein erster Grund wird von Autoren mit als „zu schwer“ angegeben.375 In dieser Aussage wird angemerkt, dass manche Behandlungen eine große Belastung für den Patienten darstellen. Subjektive Belange des Patienten finden an dieser Stelle ihren Ausdruck.

Aber auch in spiritueller Hinsicht können Behandlungen für die Patienten als „zu schwer“ gelten. So erfolgt beispielsweise bei Pius XII. die zweite Begründung auf religiöser und geistlicher Ebene: „Eine strengere Verpflichtung […] würde die Erlangung wichtigerer höherer Güter zu sehr erschweren.“376 Mit der Formulierung „höhere Güter“ wird auf die geistliche Ebene des Menschen verwiesen. Richard McCormick greift diesen Aspekt in einem kommentierenden Aufsatz aus der Ansprache Pius’ XII. zu den moralischen Problemen der Wiederbelebung auf und vertieft diesen Gedanken in geistlicher Hinsicht. Er sieht in den geistigen Zielen und den höheren Gütern, welche Pius XII. erwähnt, die Liebe Gottes. Sie stellt in der jüdisch-christlichen Tradition das bedeutendste aller Lebensgüter dar und erfüllt sich in der Nächstenliebe: „The first question must be answered in terms of love of God and neighbor. This sums up briefly the meaning, substance, and consummation of life from a Judeo-Christian perspective. What is or can easily be missed is that these two loves are not separable. St. John wrote: ‚If any man says I love God and hates his brother, he is a liar. For he who loves not his brother, whom he sees, how can he love God whom he does not see?‘ (1 John 4:20–21). This means that our love of neighbor is in some very real sense our love of God.“377 Verhältnismäßigkeit heißt im Anschluss an McCormick, eine Behandlung abzubrechen oder auf sie zu verzichten, wenn Ziele geistlichen Lebens aufgrund des Gesundheitszustands und der zu erwartenden Ergebnisse der Behandlung nicht mehr verwirklicht werden können.

Solche Überlegungen lassen sich unter den Bedingungen des Optionenreichtums medizinischer Behandlungen heute unschwer auf die Frage nach dem Sinn etwa von schmerztherapeutischen Anwendungen übertragen, welche das Bewusstsein so sehr eintrüben, dass selbst geistliche Besinnung und Gebet dem Patienten nicht mehr möglich sind. Und auch hier spielt die Dauer der Belastung durch Krankheit und Therapie eine ganz wichtige Rolle!

4.2.7. Zwischenmenschliche Aspekte der Verhältnismäßigkeit

Nach dem Blick auf die Verhältnismäßigkeit einer Behandlung auf individueller Ebene folgt nun noch die zwischenmenschliche Ebene. Diese Ebene ist von zweifacher Bedeutung: Der Patient ist stets in einen sozialen Kontext eingebunden.378 Zum einen bedarf er in dieser existentiellen Situation zwischenmenschlicher Zuwendung. Zum anderen stellt auch für die Pflegenden und die Angehörigen die Begleitung eines schwer kranken und sterbenden Menschen eine existentielle Situation dar. Die Untersuchung des Begriffes Verhältnismäßigkeit in Bezug auf die Ganzheitlichkeit zielt daher auch auf die Beziehung zu den Mitmenschen ab.379

4.2.7.1. Sehnsucht nach menschlicher Zuwendung

Zahlreiche Fortschritte stellen insbesondere durch die Apparatemedizin bedeutende Erfolge in der Erhaltung menschlichen Lebens dar. Die Fortschritte in der medizinischen und technisch-apparativen Ausstattung stehen dabei in einer Spannung zur Behandlung des Patienten. Wenngleich erhebliche kontinuierliche Steigerungen der Ausgaben im Gesundheitssystem in Deutschland zu verzeichnen sind, so hat jedoch der Anteil von beschäftigten Personen im Gesundheitswesen nur sehr geringfügig zugenommen, wobei die Zahl der vollzeitbeschäftigten Personen sogar gesunken ist.380

Medizinethiker weisen auf die besondere Situation von Patienten in der modernen Medizin angesichts der technisch-apparativen Ausstattung hin: Viele Menschen, so kann mit Franz Böckle formuliert werden, fürchten eine Situation, in der das eigene Leben und Sterben durch Übertherapie und Aktionismus mit Hilfe der Apparatemedizin künstlich verlängert wird.381 Die technischen Möglichkeiten führen bei Schockenhoff zudem zur Frage der menschlichen Zuwendung: Das Unbehagen steht dabei nicht im Zusammenhang mit einer grundsätzlichen Technikkritik, sondern erwächst bei vielen Patienten und Angehörigen vor allem aus der Befürchtung, die ärztliche und pflegerische Erfahrung sowie die menschliche Zuwendung zum Kranken könnten von der Technik, einer „unbarmherzigen Apparatemedizin“ in den Hintergrund gedrängt werden.382 Wenngleich die Technik beim medizinischen Laien Gefühle der Unsicherheit und Furcht wecken können, so besteht mitunter auch eine Angst, die aus dem Verlust personaler Beziehung resultieren kann. Die persönliche Zuwendung durch die Angehörigen, die Pflegefachkräfte und die Ärzte bleibt unersetzlich, da diese durch kein technisches Gerät geleistet werden kann. Gerade wo die Orientierung an Messdaten an Bedeutung verliert und die Hoffnung auf einen Behandlungserfolg verloren geht, gewinnen das Gespräch und die menschliche Zuwendung an Bedeutung.383 Die Angst des Patienten vor dem Fehlen persönlicher Beziehungen von Seiten der Angehörigen, aber auch der Pflegekräfte und Mediziner kann daher zu Gefühlen führen, die im Patienten eine Furcht vor (intensiv-)medizinischer Behandlung und der Apparatemedizin aufkommen lassen können.

Gerade angesichts der Entscheidung über eine Behandlung ist auf den medizinethischen Grundsatz, die Gewährleistung palliativmedizinischer Versorgung, der Grundpflege sowie der mitmenschlichen Zuwendung von Seiten der Angehörigen und des pflegerischen und ärztlichen Personals, zu verweisen.384 Verhältnismäßigkeit in ganzheitlicher Perspektive bedeutet daher auch, dass neben der notwendigen medizinischen Versorgung auch der Sehnsucht nach menschlicher Beziehung des kranken und sterbenden Menschen Rechnung getragen wird. Todkranke und sterbende Menschen bedürfen bis zu ihrem Lebensende der besonderen Zuwendung und der persönlichen Betreuung.385 Auch wenn keine medizinische Indikation mehr besteht und die Behandlung abgebrochen wird, sind Beistand und mitmenschliche Zuwendung notwendig. Hier geht es um das Bemühen, eine angemessene räumliche und menschliche Umgebung für kranke und sterbende Menschen zu schaffen, die ein würdevolles Abschiednehmen ermöglicht.386 Für die Begleitung eines kranken oder sterbenden Menschen kann dies schließlich bedeuten, ihm auch in geistlicher Hinsicht Zuwendung und Geborgenheit zu schenken. Gebete, die gesprochen oder gehört werden, können Menschen in den schwierigen Zeiten des Lebens Trost und Halt finden lassen.387 Die Fortsetzung einer Behandlung kann unter Umständen auch dann von einem Patienten gewünscht werden, um Gebete, Andachten oder Feiern der Sakramente zu ermöglichen.388

Gleiches gilt für die palliativmedizinische Versorgung des Patienten. Neben einer Schmerz- und Symptomkontrolle ist es wichtig, den Patienten mit seinen Fragen und Ängsten nicht allein zu lassen, sondern wahrhaftig und offen mit ihm über das zu kommunizieren, was ihn bewegt.389 Nur auf diese Weise kann gewährleistet werden, dass er als Person und nicht nur seine Organe und deren Funktionen im Mittelpunkt medizinischen und pflegerischen Handelns stehen.

Verhältnismäßigkeit kann hier heißen, dem Patienten die gewohnte menschliche Zuwendung und unter Umständen die räumliche Umgebung zu ermöglichen. Auch die Vermeidung der Zerrüttung tragender zwischenmenschlicher Beziehungen durch eine notwendige Behandlung und der Verlust der seelischen Geborgenheit (z. B. Ortswechsel, Aufenthalt in einer Klinik) können dazu zählen.390 Das Verbleiben im Kreis der Angehörigen in den Tagen der Abschiednahme kann dabei für einen Patienten bedeutsamer sein als ein wiederholter Therapieversuch, der mit einem ungewissen Ausgang und zusätzlichen Belastungen für den Patienten verbunden ist.

Mit Auer ist auf einen weiteren Aspekt menschlicher Zuwendung zu verweisen: Die Frage nach der Sehnsucht nach menschlicher Zuwendung zielt zudem auf Entscheidungen über eine Behandlung selbst ab. Im ganzheitlichen Sinn kann nach Auer die Möglichkeit, als kranker oder sterbender Mensch überhaupt Zuwendung zu erfahren, von ausschlaggebender Bedeutung für die Entscheidung über eine Behandlung sein: „Es ist nicht einfach vom Prinzip der Unverfügbarkeit des Lebens auszugehen, von dem ja immer ethisch legitime Ausnahmen geltend gemacht worden sind; vielmehr ist bei einer ganzheitlich-menschlichen Betrachtung anzusetzen. Gesundheit und Leben sind keine absoluten Werte; sie sind den eigentlich menschlichen Werten, der Entfaltung personalen Daseins und mitmenschlicher Kommunikation zugeordnet: daß der Sterbende also noch wirklich er selbst sein und in seinem Leiden einen Sinn sehen, daß er noch einen wichtigen Dienst tun kann oder doch mitmenschlicher Kommunikation, in welch beschränkten Ausdrucksformen auch immer, fähig oder bedürftig ist.“391 Die Möglichkeit der Entfaltung menschlicher Beziehungen wird auch in der Begriffsbestimmung „gewöhnlicher Mittel“ von Cahill stark gemacht: „Zusammenfassend ist also zu sagen, daß diejenige Maßnahme der Lebenserhaltung eine ‚gewöhnliche‘ ist, die das Leben in einem Zustand erhält, der die Entfaltung von Beziehungen zulässt. Unter ‚außergewöhnlichen‘ Maßnahmen sind übermäßig schmerzhafte oder unangenehme Maßnahme zu verstehen, die ‚erdrückend‘ sind und damit in drastischer Weise einer genuin menschlichen Ausrichtung des Lebens – seiner inneren Mitte gleichsam – entgegenwirken.“392

Wenngleich die Fähigkeit, soziale Beziehungen wahrzunehmen kein Ausschlusskriterium für medizinische Maßnahmen darstellen kann, so wird in diesem Aspekt der Patient in ganzheitlicher Perspektive wahrgenommen: Solange körperliche Beeinträchtigungen behoben oder auf ein geringes Maß an Behinderung beschränkt werden können, besteht meist ein direkter Zusammenhang zwischen der Besserung des körperlichen und des psychosozialen Befindens der Person. Dies kann sich jedoch ändern, wenn das Leben nur um den Preis von schweren somatischen und psychosozialen Beeinträchtigungen erhalten oder verlängert werden kann oder wenn die Verbesserung der Gesamtsituation nur kurzfristig möglich ist und ein umso längeres Leiden die Folge ist.393

4.2.7.2. Sorge um das soziale Umfeld

Zum sozialen Kontext eines Patienten zählen insbesondere die Angehörigen. Häufig sind diese sowohl in die Begleitung als auch Betreuung und Pflege eines Kranken eingebunden. Die Behandlungseinheit der modernen Medizin stellt in vielen Fällen – insbesondere bei terminalen Erkrankungen – nicht der einzelne Patient dar, sondern die Familie, die Angehörigen und Freunde.394 Aus einer dialogischen Medizin (Arzt-Patienten-Beziehung) wird dann eine trialogische Medizin (Arzt-Patienten-Angehörigen-Beziehung), da in Krankheit und Sterben neben den Ärzten und Pflegekräften idealiter die Angehörigen eingebunden sind, um ihren Nächsten zu begleiten.

Moraltheologen sprechen im Kontext der Verhältnismäßigkeit schließlich auch von dem Maß der Belastung, die eine Behandlung für die Angehörigen mit sich bringt.395 So wird in der Enzyklika „Evangelium vitae“ die Sorge um das soziale Umfeld eines Patienten folgendermaßen formuliert: „Von ihr zu unterscheiden ist die Entscheidung, auf ‚therapeutischen Übereifer’ zu verzichten, das heißt auf bestimmte ärztliche Eingriffe, die der tatsächlichen Situation des Kranken nicht mehr angemessen sind, weil sie in keinem Verhältnis zu den erhofften Ergebnissen stehen, oder auch, weil sie für ihn und seine Familie zu beschwerlich sind.“396 Dabei ist in erster Linie nicht allein an finanzielle Leistungen zu denken, die in zahlreichen Ländern mit Hilfe eines solidarischen Gesundheitssystems von der Gesellschaft mitgetragen werden, sondern auch an persönliche, emotionale und psychische Belastungen. Mit Häring ist auf die große Bedeutung einer aufopferungs- und liebevollen Pflege von Kranken hinzuweisen: „Opferbereite und liebende Pflege von Kranken, solange dies sinnvoll und in Proportion zu anderen Pflichten getan werden kann, ist einer der größten Freiheitsgewinne der Menschheit.“397 Menschliche Zuwendung und Sorge um kranke und sterbende Menschen von Seiten des pflegerischen und medizinischen Personals sowie der Angehörigen konstituiert sich dabei nicht als bloße Dienstleistung, sondern im Füreinander. Differenziert werden kann zwischen einer „sozialen Dienstleistung“ im Sinne einer ökonomischen Rationalität und einem Füreinander, in dem sich die Sorge nicht allein auf den Patienten konzentriert, sondern auch die der Pflegekräfte und Angehörigen beachtet wird. Zu betonen ist daher, dass das menschliche Miteinander, soweit es vom Liebesgebot Jesu her verstanden wird, primär ein Füreinander, ein „Für-den-anderen-dasein“, in dem dem Nächsten Hilfe nach dem Maß seiner Bedürftigkeit gewährt wird und der Mensch nicht in erster Linie auf „das Seine“, das eigene Wohlergehen, sondern auf das des anderen (1 Kor 13,5; 1 Kor 10,24; Phil 2,4; Lk 10,36 f.) bedacht ist und auch eine schwere Belastung, die die Sorge um den anderen mit sich bringen kann, in Geduld und ohne zu „erbittern“ erträgt (1 Kor 13,5f.).398 In sozialer Hinsicht kann Verhältnismäßigkeit auch bedeuten, dass von den Pflegenden keine völlige Selbstaufopferung verlangt werden kann. Ein Behandlungsabbruch oder -verzicht wird schließlich auch von dem Maß der Belastung her gewertet, die er für den Patienten und seine Umgebung mit sich bringt. Der Anwendung außergewöhnlicher Mittel sind jedenfalls von daher Grenzen gezogen.399 Das Wohlergehen, das in der Pflege eines kranken und sterbenden Menschen von Seiten der pflegerischen und medizinischen Kräfte sowie der Angehörigen angestrebt wird, bezieht sich demnach auf alle beteiligten Personen.

Die Pflege dürfe, so Eibach, daher nicht in einer ungebührlichen Weise die Vernachlässigung der übrigen Familienmitglieder zur Folge haben. Nächstenliebe hat folglich auch ihre Grenzen: „Liebe auszuteilen um den Preis der Schädigung des notwendigen ‚Wohlergehens‘ anderer, liegt nicht im Sinne des Liebesgebotes, in dem immer das Wohl aller mir anvertrauten Menschen bedacht und die Gerechtigkeit und Unparteilichkeit das Maß der austeilenden Liebe und geforderten Hilfe ist. Der Selbstwert, um dessentwillen der leidende Nächste zu lieben und zu behandeln ist, kann ja nicht die Negation des Wertes des eigenen oder des Lebens dritter notwendig machen.“400 Auch eine Sorge um sich selbst gebührt den helfenden Personen, um den Beruf oder die Betreuung und Begleitung eines Angehörigen durchzuhalten.

Dennoch begründet das solidarische Liebesgebot keine „verrechnende“ oder „aufrechnende“ Gegenseitigkeit, denn Liebe und Zuwendung werden vielmehr geschenkt und empfangen.401 Da sich in zahlreichen Ländern mit einem solidarischen Gesundheitssystem wesentliche Verbesserungen in der medizinischen Versorgung ergeben haben, so ist mit Demmer auf eine notwendige Sicherstellung hinzuweisen, dass „[…] allein maßgebend das Wohl des Sterbenden ist; das Kriterium der psychischen oder gar ökonomischen Belastbarkeit der Angehörigen oder der Gesellschaft kann immer nur bedingt und sekundär in den Diskurs eintreten“402. So kann der hohe menschliche und finanzielle Aufwand der modernen Medizin gerechtfertigt werden, weil das physische Leben Bedingung der Möglichkeit für die Beziehungsfähigkeit und Kommunikation ist.403

4.3. Verhältnismäßigkeit: Entscheidung in ganzheitlicher Perspektive als Frage nach der Behandlungsqualität

So kulminiert der Durchgang durch die für die heutige moderne Medizin noch einmal reflektierten Erfahrungen subjektiver Belastungen des Patienten durch Krankheit und Medizin und ihrer Bedeutung für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit medizinischer Maßnahmen in der Frage nach der Behandlungsqualität. In ihr lassen sich bezeichnenderweise die alten Beispiele im heutigen Kontext wie in einem Brennglas würdigen.

Vielleicht lässt es sich so sagen: In der Literatur zum Behandlungsabbruch und -verzicht in ethischer Perspektive sind zahlreiche Ansätze zu finden, die eine Begrenzung von Behandlungen aufgrund anthropologischer Annahmen und Merkmale einfordern.404 Mit der Frage nach der Verhältnismäßigkeit lässt sich bei einer Entscheidung über eine Therapie auf eine notwendige Berücksichtigung ganzheitlicher Kriterien verweisen. Es ist dabei erforderlich zu zeigen, dass die Frage nach der Verhältnismäßigkeit nicht auf Persönlichkeitsmerkmale abzielt. Die Bezugnahme auf die Ganzheitlichkeit in der Frage nach der Verhältnismäßigkeit kann helfen, in ethischer Perspektive einen Behandlungsabbruch/-verzicht zu rechtfertigen, der jenseits von Ausschlusskriterien für bestimmte Patientengruppen liegt.

Die Beschreibung einer Therapie als verhältnismäßig für den Patienten liegt nicht – wie bereits gezeigt wurde – a priori fest. Die Differenzierung zwischen verhältnismäßig und unverhältnismäßig wird allein insofern konkret, solange eine medizinische Maßnahme nur in strikter Relation zum Wohl eines Patienten bestimmt wird.405 Grundkonsens ist, dass neben objektiven therapeutischen Kriterien dem Zustand des Kranken unter Berücksichtigung seiner körperlichen und seelischen Kräfte für eine Therapieentscheidung eine zentrale Bedeutung zukommen muss.406 Daher ist zu fragen, wie eine solche Entscheidung in ethischer Perspektive beschaffen sein soll.

Eine Entscheidung über einen Behandlungsabbruch oder -verzicht kann folglich nicht mittels einer „mathematischen Analyse“ gefällt werden, sondern sie ist nur durch ein menschliches Urteil möglich. Mit Kelly kann dieses Vorgehen folgendermaßen beschrieben werden: „In concrete cases it is not always easy to determine when a given procedure is an extraordinary means. It is not a computed according to a mathematical formula, but according to the reasonable judgment of prudent and conscientious men. Granted such a judgment, the patient himself is not generally obliged to use or to submit to the procedure.“407 Nicht durch eine bloße mathematische Gleichung, sondern allein durch ein spezifisches, von konkreten Situationen abhängiges Urteil kann bestimmt werden, was „verhältnismäßig“ ist.

In der medizinethischen Diskussion werden solche Sachverhalte unter dem Aspekt Lebensqualität erörtert.408 Den Verfahren zur Untersuchung und Prognose der „Lebensqualität“ kommt dabei eine bedeutende Rolle zu, wenngleich sie die Gewissensentscheidung des betroffenen Patienten, des Angehörigen und des Arztes nicht ersetzen können. Aufgrund des Risikos und der

Unsicherheit des gesamten Erkenntnis- und Entscheidungsprozesses sind daher laut McCormick Achtung und Sensibilität gefordert: „Risk of error means only that we must proceed with great humility, caution, and tentativeness. Concretely, it means that if err we must at times, it is better to err on the side of life–and therefore to tilt in that direction.“409 Im Zweifelsfall, so McCormick, sollte für den Lebenserhalt entschieden werden, da Leben Voraussetzung für jede weitere Lebensentfaltung ist. Doch wie sind Entscheidungen dann ethisch zu werten, wenn der Patient oder die Ärzte und die Angehörigen eine Behandlung als „unverhältnismäßig“ beurteilen?

Mit McCormick ist darauf hinzuweisen, dass die Bereitschaft, Menschen mit einer hoffnungslos schlechten „Lebensqualität“ sterben zu lassen, nicht die Einteilung menschlichen Lebens in „lebenswert und lebensunwert“ bedeutet: „[I]t must be emphasized that allowing some infants to die does not imply that ‚some lives are valuable, others not‘ or that ‚there is such a thing as a life not worth living‘. Every human being, regardless of age or condition, is of incalculable worth.“410 Mit Arntz ist daher angesichts der Problematik der Entscheidung über eine Therapiebegrenzung zu betonen: „Die Begrenzung des therapeutischen Einsatzes dürfe nicht die Folge einer Negation des Lebenswertes oder des Lebensrechtes sein.“411

Die im Kriterium der Verhältnismäßigkeit vorrangige Frage nach der Situation und dem Wohl des Patienten führt schließlich zu der Feststellung, dass es bei der Entscheidung über eine Therapie nicht um eine Bewertung eines Menschenlebens, sondern um eine Beurteilung von Behandlungen geht. Kirchliche und moraltheologische Autoren schreiben, dass es eine Hilfe für einen Patienten sein kann mit einer Behandlung aufzuhören, wenn diese nicht mehr zum Ziel führt.412 Der Abbruch oder der Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen ist dann keine Zurückweisung des Patienten und seines Lebens. Denn als Gegenstand der Entscheidung über die Verhältnismäßigkeit, eine Therapie zu beginnen oder fortzusetzen, ist nicht ein Urteil über das Leben des Patienten, sondern der Wert des medizinischen Eingriffs beim Patienten.413 Eine Entscheidung, eine Therapie nicht einzuleiten oder zu unterbrechen, wird dann für ethisch richtig erachtet, wenn diese sich als unwirksam oder unangemessen erweist, um das Leben zu erhalten oder die Gesundheit wiederherzustellen. Die Art und der Umfang des Einsatzes von Mitteln zur medizinischen Behandlung bemessen sich schließlich an der Situation des Patienten und am Grad der Wiederherstellbarkeit der Gesundheit. Damit werden nicht die Würde und der Wert der Person in Frage gestellt, die sich ja auf die integrierte Ganzheit des menschlichen Organismus beziehen und die unabhängig sind und bleiben von dem Grad der Realisation von Persönlichkeitsmerkmalen.414

Gedeckt wird im Kontext der christlichen Ethik der Schutz der Schwachen und Wehrlosen durch das Gottes- und Menschenbild. Daher kann mit McCormick hinsichtlich der Unverhältnismäßigkeit und des Behandlungsabbruchs gesagt werden: „This is not a question about the inherent value of the individual. It is a question about whether this worldly existence will offer such a valued individual any hope of sharing those values for which physical life is the fundamental condition. […] Any discussion of this problem would be incomplete if it did not repeatedly stress that it is the pride of Judeo-Christian tradition that the weak and defenseless, the powerless and unwanted, those whose grasp on the goods of life is most fragile–that is, those whose potential is real but reduced–are cherished and protected as our neighbour in greatest need.“415

Aus ethischer Perspektive sind alle Patienten daher gleich zu behandeln (Gleichheitsgebot). Eine Behandlung, so Häring, muss folglich zunächst bei entsprechender Indikation gewährleistet bleiben, unabhängig von der je individuellen Situation eines Patienten.416

4.4. Zusammenfassung: Von der Lebensqualität zur Behandlungsqualität

Was lässt sich nun zusammenfassend hinsichtlich der Ganzheitlichkeit als einem wesentlichen Aspekt des Kriteriums der Verhältnismäßigkeit in den Abwägungssituationen moderner Medizin sagen?

Neben einem objektivierenden Zugang zu den Phänomenen Krankheit, Sterben und Tod, der von empirisch erhebbaren, deskriptiv konstatierbaren auf die Funktionalität des Organismus bezogenen Parametern ausgeht, spielt in einem ganz erheblichen Maß auch das Moment subjektiver Bewertung durch den Kranken bzw. Sterbenden eine Rolle. Eine Entscheidung über eine Behandlung in ganzheitlicher Perspektive geht dabei über eine allein quantitative oder auch die höchstmögliche Integrität des Leibes hinaus.417 Es geht darum, den Patienten nicht allein als ein Objekt quantifizierender Messungen wahrzunehmen, sondern als ein Subjekt. Nicht die Bekämpfung eines „Defektes“ steht im Mittelpunkt, sondern die Frage nach dem Wohl und der Situation des Patienten insgesamt.

Mit Brantl ist daher auf die individuelle Wahrnehmung von Krankheit hinsichtlich der Bedeutung für die Entscheidung über eine Behandlung hinzuweisen: „Ja, indem der Mensch einem objektivierbaren pathologischen Befund beurteilend und auslegend, zulassend oder abwehrend, erleidend oder verleugnend gegenübertritt, zeichnet sich erst das eigentlich humane Element der Krankheit ab.“418 Gerade angesichts der vielfältigen Möglichkeiten in der modernen Medizin, Leben zu verlängern, ist mit dem Kriterium der Verhältnismäßigkeit darauf hinzuweisen, dass insbesondere die Fragen nach der physischen Konstitution und der persönlichen Kraft in die Entscheidung über eine Behandlung miteinbezogen werden.

Letztlich sind damit die Auswirkungen der Entwicklung von der vormodernen zu modernen Medizin Anlass einer neuen Bestimmung des Kriteriums der Verhältnismäßigkeit in den Entscheidungssituationen von Krankheit und Therapie heute. Es sind eben nicht mehr nur die Krankheit selbst und die damit verbundenen Lasten, Risiken und Konflikte, welche für die Abwägung von Verhältnismäßigkeit und Unverhältnismäßigkeit einer Behandlung für den Patienten und seine Situation wichtig sind. Sondern – das haben die Darstellungen dieses Kapitels gezeigt – darüber hinaus prägt gerade die medizinische Behandlung, die zur Überwindung der natürlichen Bedrohung durch die Krankheit gedacht ist, in ihrer eigenen Schwere und Massivität die Abwägungssituation der Verhältnismäßigkeit oder Unverhältnismäßigkeit noch einmal in einem eigenen Sinne. Und bezeichnenderweise aufgrund des Fortschritts moderner Medizin wird auch die Dauer der Krankheits- und Therapieverläufe zu einem Gegenstand, über den im Blick auf Erleichterung des Lebens oder zusätzlicher Erschwernis nachgedacht werden muss. Es sind diese neuartigen qualitativen Merkmale, welche das Kriterium der Verhältnismäßigkeit innerhalb einer modernen Situation der Abwägung für die subjektive Entscheidungsfindung des Patienten selbst in einer ganz spezifischen Weise verstehen lassen. Es hilft, im Blick auf einzelne Fragen, das Aushalten und Abwägen von Schmerz, Anstrengung, Furcht, eine Antwort zu suchen und zu finden. Dabei spielt die Unterscheidung der Frage nach der Behandlungsqualität im Gegensatz zum Begriff der Lebensqualität eine wesentliche Rolle, weil eben die medizinische Therapie selbst zur möglichen Quelle von Unverhältnismäßigkeit geworden ist.

276  Vgl. Honnefelder, L., Art. Medizinische Ethik. 2. Systematisch, 653.

277  Vgl. u. a. Kostka, U., Der Mensch in Krankheit, 269ff. Eibach, U., Gesundheit und Krankheit, 162–180. Sporken, P., Die Sorge um den kranken Menschen, 37–41. Zur normativen Dimension der Begriffe „Gesundheit“ und „Krankheit“ vgl. u. a. Körtner, Ulrich H. J., Unverfügbarkeit des Lebens? Grundfragen der Bioethik und der medizinischen Ethik. Neukirchen-Vluyn 2001, 37f. Engelhardt, Dietrich von, Art. Gesundheit, in: LBE 2. (Studienausgabe) Gütersloh 2000, 108–114, 109. Labisch, A.; Paul, N., Art. Medizin, 1. Zum Problemstand, 631ff.

278  Vgl. dazu in Kapitel 2 den ersten Abschnitt.

279  Eibach kritisiert eine fehlende Berücksichtigung ganzheitlicher Kategorien im Kriterium der Verhältnismäßigkeit. Vgl. Eibach, U., Medizin und Menschenwürde, 176; 398. Eibach, U., Recht auf Leben – Recht auf Sterben, 299ff.; 330ff.

280  Vgl. u. a. Sandherr, Susanne, Art. Ganzheitlichkeit, in: LThK 4. (Sonderausgabe) Freiburg [u. a.] 2006, 290.

281  Vgl. Eibach, U., Medizin und Menschenwürde, 53.

282  Eibach, U., Menschenwürde an den Grenzen des Lebens, 176f.

283  Vgl. u. a. Brantl, J., Entscheidung durch Unterscheidung, 12ff. Honnefelder, L., Art. Medizinische Ethik. 2. Systematisch, 652–661. Irrgang, B., Grundriß der medizinischen Ethik, 11ff. Reiter, J., Es geht um den Patienten, 435ff. Manz, Hans Georg von, Typen medizinischer Ethik, in: Eberhard Amelung (Hg.), Ethisches Denken in der Medizin. Ein Lehrbuch. Berlin [u. a.] 1992, 76–91. Rager, G., Medizin als praktische Wissenschaft, 75–85. Schmidt, Helmut, Art. Entscheidungsfindung, ärztliche. 2. Ethik, in: Albin Eser (Hg. u. a.), Lexikon Medizin, Ethik, Recht. Freiburg [u. a.] 1989, 303–314.

284  Eibach, U., Medizin und Menschenwürde, 54f.

285  Vgl. Sandherr, S., Art. Ganzheitlichkeit, 290. Hinsichtlich der Nähe zum Totalitäts-Begriff vgl. den Exkurs in Abschnitt 3.2.

286  Vgl. u. a. Kostka, U., Der Mensch in Krankheit, 223ff.; 277.

287  Vgl. u. a. Kostka, U., Der Mensch in Krankheit, 223ff.; 277. Bröer, Ralf, Art. Weizsäcker, Viktor von, in: Wolfgang U. Eckart; Christoph Gradmann (Hg.), Ärztelexikon. Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert. (bsr 1095) München 1995, 375–376. Jacob, Wolfgang, Art. Viktor von Weizsäcker, in: Dietrich v. Engelhardt; Fritz Hartmann (Hg.), Klassiker der Medizin, Bd. 2. Von Philippe Pinel bis Viktor von Weizsäcker. München 1991, 366–387.

288  Vgl. Weizsäcker, Viktor von, Der kranke Mensch. Stuttgart 1951. Zit. n. Weber, Leonhard M., Art. Krankheit, Krankenseelsorge, in: LThK 6. Freiburg [u. a.] 21961, 591–595, 593.

289  Vgl. Kostka, U., Der Mensch in Krankheit, 277. Jacob, W., Art. Viktor von Weizsäcker, 372ff. Eibach, U., Medizin und Menschenwürde, 61ff. Weizsäcker, Viktor von, Allgemeine Medizin, Grundfragen medizinischer Anthropologie. Gesammelte Schriften, Bd. 7. Hg. v. Peter Achilles. Frankfurt/M. 1987, 135.

290  Vgl. Kostka, U., Der Mensch in Krankheit, 277. Vgl. dazu Abschnitt 2.1 im zweiten Kapitel.

291  Vgl. Bröer, R., Art. Weizsäcker, Viktor von, 375. Vgl. zur Kritik von Weizsäckers an einer einseitig an physiologischen Prozessen orientierten Medizin Weizsäcker, V. v., Der Begriff der Allgemeinen Medizin (1947), GS 7, 135.

292  Meyer, Olaf, Leib-Seele-Problem und Medizin. Ein Beitrag anhand des frühen 20. Jahrhunderts. Würzburg 2005, 61.

293  Vgl. zur Ganzheitlichkeit in theologisch-medizinethischer Perspektive u. a. Kostka, U., Der Mensch in Krankheit, 277ff. Eibach, U., Medizin und Menschenwürde, 62. Böckle, F., Verantwortlich leben, 43f., 62f. Rahner, K., Bewährung in der Zeit der Krankheit, 265–272.

294  Vgl. Reiter, J., Es geht um den Patienten, 442. Auer, A., Art. Behandlungsabbruch/Behandlungsverzicht, 178f. Sailer, Martin, Medizin in christlicher Verantwortung. Sittliche Orientierungen in päpstlichen Verlautbarungen und Konzilsdokumenten. (Abhandlungen zur Sozialethik, 21) Paderborn [u. a.] 1982.

295  Vgl. Sandherr, S., Art. Ganzheitlichkeit, 290.

296  Vgl. Schrey, Heinz-Horst, Art. Leib/Leiblichkeit, in: TRE 20. Berlin [u. a.] 1990, 638–643, 642. Rahner, K., Bewährung in der Zeit der Krankheit, 265. Zum christlichen Menschenbild in Form eines ganzheitlichen Ansatzes in päpstlichen Dokumenten und Stellungnahmen vgl. Sailer, M., Medizin in christlicher Verantwortung, 53ff. In der Sprache des Glaubens wird mit den Begriffen Leib und Seele der Mensch als ganzheitliches Lebewesen beschrieben. Die Glieder der Formel sind folglich nicht komplementär oder polar zueinander zu verstehen, auch nicht bloß synonym je mit „Körper“, und „Geist“ bzw. „Psyche“. Vgl. Schulte, Raphael, Art. Leib u. Seele, II. Systematisch-theologisch, in: LThK 6. (Sonderausgabe) Freiburg [u. a.] 2006, 775–776.

297  Vgl. Laubach, Thomas, Humanes „Leben“, in: Konrad Hilpert; Dietmar Mieth (Hg.), Kriterien biomedizinischer Ethik. Theologische Beiträge zum gesellschaftlichen Diskurs. (QD 217) Freiburg [u. a.] 2006, 31–49, 37.

298  Vgl. Fraling, Bernhard, Leben und Freiheit vor dem Horizont der Endlichkeit, in: Konrad Hilpert; Dietmar Mieth (Hg.), Kriterien biomedizinischer Ethik. Theologische Beiträge zum gesellschaftlichen Diskurs. (QD 217) Freiburg [u. a.] 2006, 112–132, 112.

299  Vgl. Schulte, R., Art. Leib u. Seele, II. Systematisch-theologisch, 775–776.

300  Vgl. Schrey, H.-H., Art. Leib/Leiblichkeit, 642. Sailer, M., Medizin in christlicher Verantwortung, 55. Vgl. dazu im Neuen Testament u. a. die Zuwendung Gottes zum Menschen in Form der Inkarnation (Joh 1,14) und die johanneischen Berichte von den Krankenheilungen. Vgl. Häring, B., Frei in Christus, Bd. 3, 63–68. Vgl. dazu auch die Rede von der Gottebenbildlichkeit in Gen 1,28. Zur exegetischen Kontroverse u. a. Scharbert, Josef, Genesis 1 – 11. (NEB) Würzburg 1983, 48f. Worin die Gottebenbildlichkeit besteht, wird verschieden gedeutet. In theologisch-ethischer Hinsicht ist die Beziehung des Menschen zu seinem Schöpfer relevant. Vgl. Merks, Karl-Wilhelm, Art. Gottebenbildlichkeit, V. Theologisch-ethisch, in: LThK 4. (Sonderausgabe) Freiburg [u. a.] 2006, 876–877. Peters, Albrecht, Art. Bild Gottes, IV. Dogmatisch, in: TRE 6. Berlin [u. a.] 1980, 506–515. Schockenhoff betont den doppelten Aspekt der Schöpfung in Form der geschaffenen Welt und der daraus resultierenden Geschichte. Somit stellt Geschichte, in der sich der Mensch zum alleinigen „Herrn der Geschichte“ machen könnte, keinen Gegenbegriff zur Schöpfung dar. Vgl. Schockenhoff, E., Ethik des Lebens, 104–110. Vgl. auch Johannes XXIII., Enzyklika „Pacem in terris“ (11.4.1963), DH 3955–3997, DH 3955 (= AAS 55 [1963], 257–301).

301  Im Hintergrund stehen hier 1 Kor 3,16; 6,19.

302  Pius XII., Körperkultur und Christentum. Ansprache an die Teilnehmer am wissenschaftlichen Kongreß für Sport und Leibesübungen (8.11.1952), UG 2044–2067, UG 2051 (= AAS 44 [1952], 868–876).

303  Vgl. Pius XII., Der ärztliche, soziale und religiöse Dienst des Gemeindearztes. Ansprache an italienische Gemeindeärzte (4.10.1953), UG 2342–2349, UG 2345. Pius XII., Körperkultur und Christentum, UG 2050f.

304  Vgl. dazu auch die Aussagen in der Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils „Gaudium et spes“: „Das leibliche Leben darf also der Mensch nicht gering achten; er muß im Gegenteil seinen Leib als von Gott geschaffen und zur Auferweckung am Jüngsten Tag bestimmt für gut und der Ehre würdig halten.“ (GS 14).

305  Vgl. Schrey, H.-H., Art. Leib/Leiblichkeit, 642. Zu Leiblichkeit und Sterben vgl. u. a. Honnefelder, Ludger, Die Frage nach der Einheit des Menschen. Bioethik und Hylemorphismus, in: Konrad Hilpert; Dietmar Mieth (Hg.), Kriterien biomedizinischer Ethik. Theologische Beiträge zum gesellschaftlichen Diskurs. (QD 217) Freiburg [u. a.] 2006, 50–65, 53. Eibach, U., Medizin und Menschenwürde, 67–81. Zum Verständnis der Einheit von Leib und Seele vgl. Haeffner, Gerd, Philosophische Anthropologie. (Grundkurs Philosophie, 1) Stuttgart [u. a.] 32000, 200ff. Runggaldier, Edmund, Art. Leib u. Seele, II. Philosophisch-anthropologisch, in: LThK 6. (Sonderausgabe) Freiburg [u. a.] 2006, 773–775.

306  Bei den Stellungnahmen Pius’ XII. ist auf die Differenzierung zwischen der Psyche als psychische Funktionen und Fähigkeiten und der Seele als „Geistseele“ mit ihrer Ordnungsfunktion zu achten. Vgl. Sailer, M., Medizin in christlicher Verantwortung, 57. Pius XII., Die Einheit des Menschen als Grundlage der personalen Rechte gegenüber psychotherapeutischen Eingriffen. Ansprache an die Teilnehmer am fünften Internationalen Kongreß für Psychotherapie und klinische Psychologie (13.4.1953), UG 2287–2314, UG 2291 (= AAS 45 [1953], 278–286).

307  Vgl. Sailer, M., Medizin in christlicher Verantwortung, 57. Vgl. dazu auch Peschke, K.-H., Christliche Ethik, 267.

308  Vgl. Eibach, U., Gesundheit und Krankheit, 170f.

309  Vgl. Pius XII., Zur Frage der künstlichen Befruchtung. Ansprache an katholische Ärzte (29.9.1949), UG 1028–1044, UG 1030 (= AAS 49 [1949], 557–561). Vgl. auch Peschke, K.-H., Christliche Ethik, 267.

310  Vgl. Pius XII., Zur Frage der künstlichen Befruchtung, UG 1029.

311  Berliner Bischofskonferenz (Hg.), Katholischer Erwachsenen-Katechismus. Bd. 1: Das Glaubensbekenntnis der Kirche. Leipzig 1985, 328.

312  Vgl. Eibach, U., Gesundheit und Krankheit, 168.

313  Vgl. WHO, Basic documents. Genf 1976, 1. Zit. n. Engelhardt, D. v., Art. Gesundheit, 112. Zur Kritik an dieser Definition vgl. u. a. Körtner, U. H. J., Unverfügbarkeit des Lebens, 42. Engelhardt, D. v., Art. Gesundheit, 112. Jaspers, Karl, Der Arzt im technischen Zeitalter (1958), in: Karl Jaspers, Philosophische Aufsätze. Frankfurt/M. [u. a.] 1967, 121–137, 132.

314  Vgl. Sporken, P., Die Sorge um den kranken Menschen, 37.

315  Pius XII., Die soziale Bedeutung des öffentlichen Gesundheitswesens. Ansprache an die Mitglieder der Weltgesundheitsvereinigung (27.6.1949), UG 2206–2217, 2214ff.

316  Vgl. Pius XI., Enzyklika „Quadragesimo anno“. Über die gesellschaftliche Ordnung, ihre Wiederherstellung und ihre Vollendung nach dem Heilsplan der Frohbotschaft (15.5.1931) (= AAS 23 [1931], 177–228), Nr. 42. GS 23–32. Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und Frieden, Kompendium der Soziallehre der Kirche. Freiburg/Br. 22006, 121ff.

317  Vgl. Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils „Gaudium et spes“, Nr. 12. Pius XII., Grenzen der ärztlichen Forschungs- und Behandlungsmethoden, UG 2276.

318  Vgl. Auer Alfons, Art. Alter, 3. Ethisch, in: LBE 1. (Studienausgabe) Gütersloh 2000, 136–139, 136f.

319  Vgl. Reiter, J., Es geht um den Patienten, 442.

320  Vgl. u. a. Ligorio, A. M. de, Theologia Moralis, 1, 627 [= III, no. 372.]. Zalba, M., Theologiae Moralis Summa, II, 69f. Kelly, G., Medico-Moral Problems, 129. Vgl. dazu u. a. auch Häring, B., Heilender Dienst, 125.

321  Vgl. Kelly, G., Medico-Moral Problems, 132. Capellmann hält dagegen lebensgefährliche Operationen für möglich, weil sie an die Stelle des vorauszusehenden Todes die Wahrscheinlichkeit oder wenigstens die Möglichkeit der Lebenserhaltung setzen. Capellmann, C., Pastoralmedizin, 53f. Ähnlich Erklärung der Kongregation für die Glaubenslehre zur Euthanasie, 11.

322  Vgl. Pius XII., Über moralische Probleme der Wiederbelebung, 229.

323  Enzyklika „Evangelium vitae“, 80 (Nr. 65).

324  Vgl. hierzu Kapitel 2. Vgl. Schneck, P., Geschichte der Medizin systematisch, 192. Ackerknecht, E. H., Geschichte der Medizin, 103ff.

325  Vgl. u. a. Enzyklika „Evangelium vitae“, 80 (Nr. 65). Deutsche Bischofskonferenz (Hg.), Katholischer Erwachsenen-Katechismus. Bd. 2, 311. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben „Salvifici doloris“. Über den christlichen Sinn des menschlichen Leidens (11.02.1984). (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, 53) Bonn 1984, 9f. Pius XII., Drei religiöse und moralische Fragen bezüglich der Anästhesie, UG 5506–5537.

326  Vgl. Pius XII., Zusammenhänge zwischen der Vollkommenheit des geistlich-sittlichen Lebens und dem Gesundheitszustand des Menschen. Ansprache an die Teilnehmer des 3. Europäischen Kongresses der nationalen Vereinigungen für Gastroenterologie (26.4.1952). SLI Nr. 6, S. 6, KÄÖ Bd. II, S. 11f. Vgl. auch Gemeinsames Hirtenschreiben der Bischöfe von Freiburg, Strasbourg und Basel, „Die Herausforderung des Sterbens annehmen“, 2.

327  Vgl. Hahn, S., Art. Apparatemedizin, 86f. Eibach, U., Klinisches „Ethik-Komitee“, 22. Vgl. dazu Kapitel 2.

328  Vgl. Sailer, M., Medizin in christlicher Verantwortung, 111. Vgl. auch Gemeinsames Hirtenschreiben der Bischöfe von Freiburg, Strasbourg und Basel, „Die Herausforderung des Sterbens annehmen“, 5f.

329  Pius XII., Zur Frage der künstlichen Befruchtung, UG 1031.

330  Vgl. u. a. Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion „Donum vitae“. Über die Achtung vor dem beginnenden menschlichen Leben und die Würde der Fortpflanzung (10.03.1987). (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, 74) Bonn 1987, Nr. 3.

331  Vgl. dazu im zweiten Kapitel Abschnitt 2.1.3.

332  Cahill, L. S., Hochachtung vor dem Leben, 185. Cahill bezieht sich dabei auf Ausführungen von Richard McCormick, der sich zum Behandlungsabbruch und -verzicht bei neugeborenen Kindern mit schweren Krankheiten äußert. Vgl. McCormick, R. A., To Save or Let Die, 172176.

333  Vgl. Patuzzi, Vincent, Ethica Christiana sive Theologia Moralis. Bassani 1770 (Tom. III, Tract. V, Pars V, Cap. X, Consect. sept.). Vgl. u. a. auch Zalba, M., Theologiae Moralis Summa, II, 69f. Koch, A., Lehrbuch der Moraltheologie, 254f.

334  Zu verweisen ist an dieser Stelle auf Überschneidungen mit der Fragestellung nach „Lebensqualität“. Vgl. dazu u. a. Arntz, K., Unbegrenzte Lebensqualität?, 347ff. Peschke, K.-H., Christliche Ethik, 289. McCormick, R. A., To Save or Let Die, 172–176. McCormick, Richard, Life and its Preservation, in: TS 42 (1981), 100–110. Kritisch dazu Connery, John R., Quality of Life, in: Linacre Quarterly 53 (1986), 26–33. Dabei muss berücksichtigt werden, dass in den kirchenamtlichen Texten nicht explizit von Lebensqualität die Rede ist. Für Kuhse und Singer, Vertreter einer utilitaristischen Ethik, erfolgt die Unterscheidung zwischen ordentlichen und außerordentlichen Mitteln auf der Grundlage von Urteilen über die Lebensqualität. Vgl. Kuhse, Helga, A Report from Australia. Quality of Life and the Death of Baby „M.“, in: BioE 6 (1992), 233–250. Singer, Peter, Tony Bland & The Sanctity of Human Life, in: Peter Singer, Rethinking Life and Death. The Collapse of our traditional ethics. New York 1995, 57–80. Vgl. dazu in diesem Kapitel Abschnitt 4.3.

335  Vgl. Ligorio, A. M. de, Theologia Moralis, 1, 627 [= III, no. 372.]. Kelly, G., Medico-Moral Problems, 132.

336  Vgl. Zalba, M., Theologiae Moralis Summa, II, 69f.

337  Kelly, G., Medico-Moral Problems, 132.

338  Vgl. Cronin, D. A., The Moral Law, 34ff. Sayrus, G., Clavis Regia Casuum Conscientiae, Lib. VII, cap. IX, n. 28. Vitoria, F. a, Relectio de Temperantia, n. 1. Vgl. zur Diskussion u. a. Leher, S. [u. a.], Auf ein Wort. Sterben zulassen, 295–298. Auch die US-amerikanischen Bischöfe betonen in ihrer Direktive aus dem Jahr 2001, dass künstliche Ernährung nicht mehr geboten sei, wenn die Belastung für den Patienten überwiege: „There should be a presumption in favor of providing nutrition and hydration to all patients, including patients who require medically assisted nutrition and hydration, as long as this is of sufficient benefit to outweigh the burdens involved to the patient.“ United States Conference of Catholic Bishops, Ethical and Religious Directives, no. 58.Es bestehe die moralische Verpflichtung des Gebrauchs gewöhnlicher oder verhältnismäßiger Mittel (ordinary or propoartionate means) zur Rettung von Leben, wenn diese dem Patienten begründete Hoffnung auf Genesung bieten und keine übermäßige Belastung (excessive burden) darstellen. Vgl. United States Conference of Catholic Bishops, Ethical and Religious Directives for Catholic Health Care Services. 42001, no. 56. http://www.usccb.org/bishops/directives.shtml (18.07.2007). „A person has a moral obligation to use ordinary or proportionate means of preserving his or her life. Proportionate means are those that in the judgment of the patient offer a reasonable hope of benefit and do not entail an excessive burden or impose excessive expense on the family or the community.“ (No. 56). Verwiesen wird dabei auf die Declaration on Euthanasia, Part IV. „A person may forgo extraordinary or disproportionate means of preserving life. Disproportionate means are those that in the patient’s judgment do not offer a reasonable hope of benefit or entail an excessive burden, or impose excessive expense on the family or the community.“ (No. 57).

339  Kelly, G., Medico-Moral Problems, 133. Vgl. dazu auch Pius XII., Über moralische Probleme der Wiederbelebung, 229. Zalba, M., Theologiae Moralis Summa, II, 69f. Weber spricht dabei von möglicherweise „wenig erhebenden Situationen“ für intensivmedizinisch versorgte Patienten, die jemand für sich ablehnen könne. Vgl. Weber, H., Spezielle Moraltheologie, 228.

340  Vgl. u. a. Ligorio, A. M. de, Theologia Moralis, 1, 627 [= III, no. 372.].

341  Böckle, F., Verantwortlich leben, 43.

342  Häring, B., Frei in Christus, Bd. 3, 118.

343  Böckle, F., Verantwortlich leben, 44.

344  Vgl. Zimbardo, Philip G., Psychologie. Augsburg [u. a.] 61995, 615; 745. Cronin, D. A., The Moral Law, 110. Angst als ein komplexer emotionaler Zustand, der von Gefühlen der Furcht und des Schreckens begleitet werden kann, ist dabei von Angststörungen, sog. frei flottierender Angst, zu unterscheiden.

345  Vgl. u. a. Kelly, G., The Duty of Using Artifical Means, 206. Ligorio, A. M. de, Theologia Moralis, 1, 627 [= III, no. 372.].

346  Vgl. Böckle, F., Verantwortlich leben, 43.

347  Vgl. Sailer, M., Medizin in christlicher Verantwortung, 104.

348  Pius XII., Die Ordensfrau im Krankendienst. Ansprache an italienische Krankenschwestern verschiedener Orden (24.4.1957), UG 6030–6039, UG 6035 (= AAS 49 [1957], 291–296).

349  Vgl. Pius XII., Die Aufgabe des christlichen Arztes, UG 2220.

350  Vgl. Pius XII., Zur Frage der künstlichen Befruchtung, UG 1030.

351  Vgl. u. a. Ligorio, A. M. de, Theologia Moralis, 1, 627 [= III, no. 372.].

352  Aufgrund der Abneigung gegenüber einer Behandlung durch einen männlichen Arzt könne demnach eine Frau zu dem Entschluss kommen, eine Behandlung abzubrechen oder auf sie zu verzichten und dabei Schmerzen in Kauf zu nehmen. Eine solch schwerwiegende Abneigung einer Patientin wurde in der Vergangenheit als eine mögliche Unverhältnismäßigkeit angeführt. Ein u. a. von Busenbaum und Alfons M. v. Liguori genanntes Beispiel ist die Behandlung von Frauen durch einen männlichen Arzt, wenn davon ihre intimen Empfindungen betroffen sind. Schamgefühle können für die Patientin eine moralische Unmöglichkeit darstellen. Vgl. Ligorio, A. M. de, Theologia Moralis, 1, 627 [= III, no. 372.]. Versammlung des allerheiligsten Erlösers (Hg.), Alphons M. v. Liguori, Praktische Unterweisungen für Beichtväter (Homo apostolicus). Bd. 1. Regensburg 1854, 389. Cronin, D. A., The Moral Law, 111.

353  Vgl. im Folgenden Schrey, H.-H., Art. Leib/Leiblichkeit, 638ff.

354  Vgl. Eibach, U., Medizin und Menschenwürde, 165. Schrey, H.-H., Art. Leib/Leiblichkeit, 638ff. In biblischer Hinsicht vgl. Röm 12,1f.; 1 Kor 6,17ff.

355  Vgl. Eibach, Ulrich, Gesundheit und Krankheit, in: ZEE 22 (1978), 162–180, 168.

356  An dieser Stelle ist auch auf die Definition von Gesundheit durch die WHO aus dem Jahr 1948 als „[…] der Zustand vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur [als] das Freisein von Krankheit und Gebrechen […]“ zu verweisen. Zur Kritik an der Definition aufgrund ihrer Unbestimmtheit und mangelnden Praktikabilität vgl. u. a. Reiter, J., Es geht um den Patienten, 437. Eibach, U., Gesundheit und Krankheit, 163.

357  Vgl. u. a. Ligorio, A. M. de, Theologia Moralis, 1, 627 [= III, no. 372.].

358  Vgl. McCormick, R. A., To Save or Let Die, 174. Pius XII., Die sittlichen Grenzen, 73. Cronin, D. A., The Moral Law, 111.

359  Vgl. Eibach, U., Menschenwürde an den Grenzen des Lebens, 176f. McCormick, R. A., To Save or Let Die, 174.

360  Vgl. u. a. Berliner Bischofskonferenz (Hg.), Katholischer Erwachsenen-Katechismus. Bd. 1, 328.

361  Vgl. Eibach, U., Gesundheit und Krankheit, 168. Rahner, K., Bewährung in der Zeit der Krankheit, 265f.

362  Vgl. Eibach, U., Gesundheit und Krankheit, 168f.

363  Vgl. Eibach, Ulrich, Art. Krankheit, in: TRE 19. Berlin [u. a.] 1990, 705. Sporken, P., Menschlich sterben, 27.

364  So sind für Weber Mittel dann unverhältnismäßig, wenn etwa das Weiterleben nur mit einer erheblichen Reduzierung der personalen Möglichkeiten des Kranken verbunden wäre – z. B. ein Eingriff jede Fähigkeit zu bewusstem Handeln nehmen würde. Vgl. Weber, H., Spezielle Moraltheologie, 228. Vgl. dazu auch Häring, B., Heilender Dienst, 124f. Pius XII., Die sittlichen Grenzen, 73.

365  Vgl. Eibach, U., Gesundheit und Krankheit, 168.

366  Vgl. u. a. Böckle, F., Verantwortlich leben, 43f.

367  Vgl. Eibach, U., Gesundheit und Krankheit, 168. Intensive Behandlungsmaßnahmen können dabei einen „Therapiestress“ für den Patienten auslösen.

368  Vgl. Weber, L. M., Art. Krankheit, 593.

369  Vgl. Eibach, U., Gesundheit und Krankheit, 169.

370  Vgl. Roncaglia, Constantino, Theologia Moralis. Lucae 1730, Vol. I, Tract. XI, Cap. I, Q. III. Tournely, H., Theologia Moralis, Tom. III, Tract. de Decalogo, Cap. II, de Quinto Praec. Art. I, conc. 2.

371  Vgl. Cronin, D. A., The Moral Law, 99.

372  Grundlage für diese Aussage bildet das moraltheologische Axiom „Nemo ad impossibile tenetur“. In der naturrechtlichen Moraltheologie unterscheiden Theologen zwischen einem negativen und einem affirmativen Gebot des Naturrechts. Negative Gebote, wie bspw. das Verbot des Suizids binden immer, weil ihnen die moralische Bewertung des Schlechten zugeschrieben wird. Dagegen sind affirmative Gebote nicht strikt bindend, wenn eine moralische Unmöglichkeit vorliegt. Vgl. Cronin, D. A., The Moral Law, 99.

373  Vgl. Cronin, D. A., The Moral Law, 100. Zalba beschreibt dies als ein „[…] incommodum […] quod magnam difficultatem et improportionem implicat relate ad legem de qua est questio“. Regatillo, Eduardo Fernandez; Zalba, Marcellinus, Theologiae Moralis Summa II. Matriti 1954, n. 555.

374  Cronin reflektiert die bei den Autoren zum Teil synonyme Verwendung der Termini als scheinbar austauschbar: „The authors, when writing in regard to the extraordinary means of conserving life, seem to use interchangeably the terms moral impossibility and proportionately grave inconvenience. It is difficult to determine whether or not they consider them equivalent terms, or whether the expression proportionately grave inconvenience implies a difficulty of less magnitude then the moral impossibility.“ Cronin, D. A., The Moral Law, 101. Vgl. dazu auch Kelly, G., Medico-Moral Problems, 129f. Kelly, G., The Duty of Using Artifical Means, 204.

375  Vgl. u. a. Pius XII., Über moralische Probleme der Wiederbelebung, 229.

376  Pius XII., Über moralische Probleme der Wiederbelebung, 229. Vgl. dazu auch Erklärung der Kongregation für die Glaubenslehre zur Euthanasie, 11. So kommt für Koch auch die Vermeidung einer Sünde durch Zorn oder Gotteslästerung aufgrund großer körperlicher Schmerzen als Begründung für einen Behandlungsabbruch/-verzicht in Betracht. Koch, A., Lehrbuch der Moraltheologie, 254f.

377  McCormick, Richard A., To Save or Let Die. The Dilemma of Modern Medicine, in: JAMA 229 (1974), 172–176, 174. McCormick äußert sich in diesem Aufsatz zur Behandlung von schwerkranken Neugeborenen. Die in solchen Fällen ungemein angewachsenen Hilfsmöglichkeiten der Medizin nimmt er zum Anlass, die traditionelle Unterscheidung von „ungewöhnlichen“ Maßnahmen der Lebenserhaltung weiterzuentwickeln. Vgl. auch Sporken, P., Darf die Medizin was sie kann?, 49.

378  Vgl. Abschnitt 4.1.2.3.

379  Vgl. u. a. Pius XII., Über moralische Probleme der Wiederbelebung, 229. Kelly, G., Medico-Moral Problems, 129. Ligorio, A. M. de, Theologia Moralis, 1, 627 [= III, no. 372.].

380  Vgl. Brantl, J., Entscheidung durch Unterscheidung, 219. Betrugen die Ausgaben im deutschen Gesundheitswesen im Jahr 1992 163,1 Mrd. €, so waren es im Jahr 2001 225,9 Mrd. €, was einer Steigerungsrate von 38,5 % entspricht. Der Anteil von beschäftigten Personen im Gesundheitswesen hat nur sehr geringfügig zugenommen (von 1997 bis 2001 um 0,4 %). Die Zahl der vollzeitbeschäftigten Personen ist gesunken (von 1997 bis 2001 um 5,3 %). Vgl. Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung vom 24. April 2003. http://www.destatis.de (10.12.2009).

381  Vgl. Böckle, F., Verantwortlich leben, 43f.

382  Vgl. Schockenhoff, E., Ethik des Lebens, 248.

383  Vgl. Böckle, F., Verantwortlich leben, 44.

384  Vgl. u. a. Weber, H., Spezielle Moraltheologie, 230–233. Lutterotti, M. v., Art. Behandlungsabbruch/Behandlungsverzicht. 1. Medizin, 171.

385  Vgl. u. a. Enzyklika „Evangelium vitae“, 80 (Nr. 65). Entscheidungen für den Kranken in den letzten Stunden. Resolution der Chirurgen zur Sterbehilfe V, 1, in: FAZ v. 06.09.1979. Zit. n. Häring, B., Frei in Christus, Bd. 3, 118.

386  Vgl. u. a. Gemeinsames Hirtenschreiben der Bischöfe von Freiburg, Strasbourg und Basel, „Die Herausforderung des Sterbens annehmen“, 5.

387  Vgl. u. a. Fröschl, Monika, Gesundheitssorge und Spiritualität im Krankenhaus, in: StZ 233 (2015), 135–139. Walker, Andreas; Breitsameter, Christof, Über den Umgang mit Spiritualität in Hospizen, in: Spiritual Care 4 (2015), 18–27. Bausewein, Claudia, Sterbende begleiten. (Ignatianische Impulse, 10) Würzburg 2005, 52. Die Deutschen Bischöfe, Die Sorge der Kirche um die Kranken (20.04.1998). Hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. (Die Deutschen Bischöfe, 60) Bonn 1998, 11–16.

388  Vgl. u. a. Lessius, L., De Justitia et Jure. Lib. II, Cap. 9, dub. 14, n. 96.

389  Ebenso auf die psychischen, sozialen und spirituellen Bedürfnisse der Angehörigen einzugehen, ist genauso wichtig, da sie wie der Patient eine existentielle Lebensphase durchschreiten. Vgl. Virt, G., Leben bis zum Ende, 40.

390  Vgl. Peschke, K.-H., Christliche Ethik, 288. Auer, A., Art. Behandlungsabbruch/Behandlungsverzicht, 2. Ethik, 180. Kelly, G., Medico-Moral Problems, 129.

391  Auer, A., Art. Behandlungsabbruch/Behandlungsverzicht, 2. Ethik, 178. Vgl. Pius XII., Über moralische Probleme der Wiederbelebung, 229.

392  Cahill, L. S., Hochachtung vor dem Leben, 186.

393  Vgl. Eibach, U., Medizin und Menschenwürde, 167. Eibach, U., Recht auf Leben – Recht auf Sterben, 300ff., 312ff.

394  Vgl. Brantl, J., Entscheidung durch Unterscheidung, 222. Cahill, L. S., Hochachtung vor dem Leben, 185f.

395  Vgl. u. a. Virt, G., Leben bis zum Ende, 34. Eid, V., Das Sterben bestehen, 202. Auer, A., Art. Behandlungsabbruch/Behandlungsverzicht, 2. Ethik, 180. Pius XII., Über moralische Probleme der Wiederbelebung, 229.

396  Enzyklika „Evangelium vitae“, 80 (Nr. 65).

397  Häring, B., Heilender Dienst, 126.

398  Vgl. Eibach, U., Medizin und Menschenwürde, 170.

399  Vgl. Auer, A., Art. Behandlungsabbruch/Behandlungsverzicht, 2. Ethik, 180. Ähnlich Pius XII. in einer Stellungnahme zum Behandlungsabbruch und -verzicht: „Die Rechte und Pflichten der Angehörigen hängen gewöhnlich von dem anzunehmenden Willen des bewusstlosen Kranken ab, wenn er großjährig und ‚sui iuris‘ ist. Was die eigene und unabhängige Pflicht der Angehörigen betrifft, so sind sie gewöhnlich nur zur Anwendung der üblichen Mittel verpflichtet. Wenn es sich daher zeigt, daß der Versuch der Wiederbelebung in Wirklichkeit für die Angehörigen eine derartige Belastung darstellt, daß man ihn ihnen nicht mit gutem Gewissen zumuten kann, so können sie rechtmäßigerweise darauf bestehen, daß der Arzt seine Versuche abbricht. Der Arzt kann ihnen also erlaubterweise Folge leisten. In diesem Fall liegt keinerlei direkte Verfügung über das Leben des Patienten noch auch Euthanasie vor, die niemals erlaubt wäre. Selbst wenn die Unterbrechung des Wiederbelebungsversuchs den Stillstand des Blutkreislaufs nach sich zieht, so ist sie doch immer nur indirekte Ursache des Aufhörens des Lebens. In diesem Fall muß man den Grundsatz des doppelten Effekts und den ‚voluntariua in causa‘ anwenden.“ Pius XII., Rechtliche und sittliche Fragen der Wiederbelebung, UG 5549.

400  Eibach, U., Medizin und Menschenwürde, 172.

401  Vgl. dazu weiter Eibach, U., Medizin und Menschenwürde, 394ff.

402  Demmer, K., Leben in Menschenhand, 161. Vgl. auch Häring, B., Frei in Christus, Bd. 3, 124.

403  Arntz, K., Unbegrenzte Lebensqualität?, 349. McCormick, R., To Save or Let Die (1990), 30. McCormick, R., Life and its Preservation, 100–110.

404  Vgl. im Bereich des Utilitarismus u. a. Kuhse, Helga, Die „Heiligkeit des Lebens“ in der Medizin. Eine philosophische Kritik. Erlangen 1994. Singer, P., Praktische Ethik. Im Bereich der Moraltheologie vgl. dazu u. a. Auer, A., Die Unverfügbarkeit des Lebens und das Recht auf einen natürlichen Tod, 23. Pius XII., Die sittlichen Grenzen, 73. Vgl. dazu im dritten Kapitel den Exkurs.

405  Vgl. u. a. Häring, B., Frei in Christus, Bd. 3, 124. Erklärung der Kongregation für die Glaubenslehre zur Euthanasie, 11f. Pius XII., Über moralische Probleme der Wiederbelebung, 229. Vgl. dazu auch im dritten Kapitel Abschnitt 3.3.

406  Vgl. Erklärung der Kongregation für die Glaubenslehre zur Euthanasie, 11.

407  Kelly, G., Medico-Moral Problems, 135.

408  Vgl. u. a. Arntz, K., Unbegrenzte Lebensqualität?, 66ff.

409  McCormick, R. A., To Save or Let Die, 176.

410  McCormick, R. A., To Save or Let Die, 176.

411  Arntz, K., Unbegrenzte Lebensqualität?, 349. Vgl. dazu im dritten Kapitel auch Abschnitt 3.2.3.

412  Vgl. u. a. Häring, B., Frei in Christus, Bd. 3, 121ff. Die Deutschen Bischöfe, Das Lebensrecht des Menschen und die Euthanasie, 5.

413  Vgl. u. a. Johannes Paul II., Ansprache an die Teilnehmer der XIX. Internationalen Konferenz des Päpstlichen Rates für die Krankenpastoral am 12. November 2004, Nr. 4. http://www.vatican.va/holy_father/john_paul_ii/speeches/2004/november/documents/hf_jp-ii_spe_20041112_pc-hlthwork_ge.html (18.08.2007).

414  Vgl. Eibach, U., Medizin und Menschenwürde, 397.

415  McCormick, R. A., To Save or Let Die, 176. Im Hintergrund steht hierbei, dass sich McCormick innerhalb der theologischen Ethik um einen Vergleich der Position Pius’ XII. und des ethischen Konzepts der Lebensqualität bemüht. Angesichts der Erkenntnisse in der modernen Medizin war es sein Anliegen, die klassische Differenzierung von gewöhnlichen und außergewöhnlichen Mitteln mit den Konzepten der Lebensqualität zu verbinden. Dabei muss berücksichtigt werden, dass in den kirchenamtlichen Texten nicht explizit von Lebensqualität die Rede ist. Vgl. McCormick, R. A., To Save or Let Die, 172–176. McCormick, Richard, Life and its Preservation, in: TS 42 (1981), 100–110. Der Ansatz McCormicks ist jedoch nicht ohne Widerspruch geblieben. Vgl. Cahill, Lisa S., Sanctity of Life, Quality of Life, and Social Justice, in: TS 48 (1987), 105–123. Connery, J. R., Quality of Life, 26–33. Connery, John R., Quality of Means, Quality of Life and Euthanasia, in: Linacre Quarterly 59 (1992), 5–9. Arntz, K., Unbegrenzte Lebensqualität?, 351.

416  Vgl. Häring, B., Frei in Christus, Bd. 3, 124.

417  Vgl. u. a. Beckmann, J. P., Art. Behandlungsabbruch, 3. ethisch, 316ff.

418  Brantl, J., Entscheidung durch Unterscheidung, 220.