Kapitel 9
Grundlagen der Technischen Analyse
Charles Dow hat bereits vor über 100 Jahren die Grundannahmen der Technischen Analyse in der westlichen Welt skizziert. Das ist zwar nun auch schon einige Tage her, hat aber an Aktualität nichts eingebüßt.
Was haben Technische Analyse und Wettervorhersage gemeinsam?
Der Technische Analyst erhofft sich, mit einem Blick auf den Chart die zukünftige Kursentwicklung mit einer hohen Wahrscheinlichkeit prognostizieren zu können. Nicht mehr und nicht weniger. Doch die Zukunft vorherzusagen ist ein schwieriges Unterfangen – das ist auch einer der Kritikpunkte an der Technischen Analyse. Allerdings: Die Wettervorhersage funktioniert genauso. Die Meteorologen versuchen aus historischen Datenreihen und dem aktuellen Zustand der Atmosphäre unter Anwendung bekannter physikalischer Regeln das Wetter für die nächsten Tage zu prognostizieren. Das klappt bei einer stabilen Wetterlage für die nächsten 24 Stunden mit einer Treffergenauigkeit von 90 Prozent, bei einer instabilen Wetterlage aber kann die Prognosegüte deutlich unter 70 Prozent fallen. Beides – das Wettergeschehen und die Börse – sind höchst dynamische, nicht lineare Systeme, die natürlich einen chaotischen und damit nicht vorhersehbaren Anteil beinhalten.
Und dieser chaotische Anteil macht dem Meteorologen und dem Technischen Analysten das Leben schwer. Hierfür zwei Beispiele:
Das Randtief Lothar wurde vom Deutschen Wetterdienst unterschätzt. Der Jahrhundertsturm, der am 26.12.1999 über West- und Mitteleuropa hinweg zog, richtete immense Schäden an. Der Orkan wütete praktisch schon in Deutschland, als der Deutsche Wetterdienst die ungeheure Wucht von Lothar erkannte und die Unwetterwarnung herausgab.
Ein paar Monate vor Lothar, und zwar am 12.3.1999, schoss der DAX zur Eröffnung um über 5 Prozent nach oben. Am Abend zuvor gab Finanzminister Oskar Lafontaine (damals noch SPD) seinen Rücktritt bekannt. Die Finanzwelt jubelte und drückte dies in einem deutlich steigenden DAX aus.
Halten wir fest: In einem stabilen Börsenumfeld kann der Technische Analyst Prognosen mit hoher Treffergenauigkeit erstellen. Bei unvorhersehbaren Ereignissen kann eine Analyse nicht mehr das Papier wert sein, auf dem sie geschrieben wurde.
Bevor Sie nun tiefer in die Technische Analyse einsteigen, eine kurze Definition, was »Technische Analyse« überhaupt ist:
Ein Bild sagt mehr als tausend Worte
Schauen Sie sich Abbildung 9.1 an: Würden Sie die Aktie vom rechten Chart oder vom linken Chart kaufen?
Abbildung 9.1: Zwei Aktien aus dem DAX, links im Abwärtstrend, rechts im Aufwärtstrend, Tageschart, Chart erstellt mit ProRealTime
Zugegeben, das ist ein einfaches Beispiel. Aber es verdeutlicht, dass sich jeder Investor Charts anschauen sollte – so wie Sie vor einem Spaziergang gen Himmel schauen und dann entscheiden, ob Sie einen Regenschirm mitnehmen oder nicht.
Ziele der Technischen Analyse
Die Technische Analyse verfolgt zwei Ziele:
den aktuellen Trend erkennen und
die Trendumkehr rechtzeitig erkennen.
Was heißt das konkret beziehungsweise was genau ist ein Chart, ein Trend und eine Trendumkehr?
Chartarten
In der Technischen Analyse spielen Charts eine große Rolle; aus diesem Grund stelle ich Ihnen als Erstes einige Chartarten vor und erkläre die wichtigsten Begriffe.
Was ist überhaupt ein Chart? Das ist die grafische Darstellung von Preis und Zeit in einem zweidimensionalen Diagramm. Dabei wird die Zeit auf der x-Achse und der Preis auf der y-Achse abgetragen.
Klassischer Chart: Hier schreitet die Zeit in einem fest definierten Zeitintervall voran. Das Zeitintervall kann von Minuten bis Jahre gewählt werden, die Preisachse kann arithmetisch oder logarithmisch skaliert werden.
Nicht klassischer Chart: Hier gibt es einige Chartvarianten, bei denen die Zeit nur eine untergeordnete Rolle spielt. Die Zeit wird zwar auch auf der horizontalen Achse dargestellt, allerdings gibt es hier kein fest vorgegebenes Intervall, zu dem dies geschieht, sondern erst, wenn das entsprechende Preiskriterium erfüllt ist, wird sie abgetragen. Ein Beispiel für diese Variante von Charts sind Range Bars. Diese werden detailliert in Kapitel 11 besprochen.
Wichtige Chartbegriffe
Damit Sie die wichtigsten Chartbegriffe kennen und mit so schönen Begriffen wie Körper, Docht oder Lunte etwas anfangen können, habe ich Ihnen in Abbildung 9.2 auf der linken Seite einen Balken (Bar) und eine Kerze (Candle) für steigende Kurse gezeichnet, und auf der rechten Seite für fallende Kurse. Die Erläuterungen finden Sie hier (in alphabetischer Reihenfolge):
Docht: der Preisbereich zwischen Schlusskurs und Höchstkurs (bei steigenden Kursen) beziehungsweise Eröffnungskurs und Höchstkurs (bei fallenden Kursen) der gewählten Periode
Eröffnungskurs: der erste Preis für den Beginn der Periode. Im Tageschart ist es der erste festgestellte Preis des Tages.
Handelsspanne: der gesamte Preisbereich zwischen dem Hoch und dem Tief der gewählten Periode
Höchstkurs: der in der gewählten Periode festgestellte höchste Preis
Körper: der Preisbereich zwischen Eröffnungskurs und Schlusskurs
Lunte: der Preisbereich zwischen Schlusskurs und Tiefstkurs (bei fallenden Kursen) beziehungsweise Eröffnungskurs und Tiefstkurs (bei steigenden Kursen) der gewählten Periode
Schlusskurs: der letzte Preis der gewählten Periode. Beim Tageschart ist es der Tagesschlusskurs – der nach Dow wichtigste Kurs des Tages.
Tiefstkurs: der in der gewählten Periode festgestellte tiefste Preis
Abbildung 9.2: Bar und Candle bei steigenden Kursen (links) und fallenden Kursen (rechts) mit Fachbegriffen
Skalierung
Charts können entweder mit einer linearen (arithmetischen) oder einer logarithmischen Kursskala konstruiert werden (siehe Abbildung 9.3). Speziell für längerfristige Analysen bringt die logarithmische Darstellung einige Vorteile.
Arithmetische Skalierung: Die Skala wird gleichmäßig eingeteilt. Der Abstand zwischen zwei Punkten ist absolut betrachtet immer gleich, obwohl es von 1 nach 2 ein Zuwachs von 100 Prozent ist, zwischen 9 und 10 aber nur ein Zuwachs von 11 Prozent.
Logarithmische Skalierung: In dieser Skalierung sind die prozentualen Abstände immer gleich groß. Der Verdoppler zwischen 1 und 2 hat also den gleichen Abstand in der Skala wie der Verdoppler zwischen 5 und 10.
Zunächst stelle ich Ihnen kurz die gebräuchlichsten Charttypen vor:
Kerzenchart (= Candlestickchart)
Abbildung 9.3: Rechts logarithmische und links arithmetische Skalierung
Linienchart
In Liniencharts wird nur der Schlusskurs für jede aufeinanderfolgende Periode eingezeichnet. Bei einem Tageschart zum Beispiel werden immer die Tagesschlusskurse aneinandergereiht, bei einem Stundenchart sind es die Stundenschlusskurse. In Abbildung 9.4 ist der DAX im Linienchart dargestellt.
Abbildung 9.4: Linienchart, DAX, Juli 2017 bis Januar 2018, Tageschart, Chart erstellt mit ProRealTime
Balkenchart
Im Balkenchart wird die Handelsspanne eines jeden Tages durch einen senkrechten Balken dargestellt. Der Schlusskurs wird mit einem kleinen waagrechten Strich rechts des Balkens visualisiert und der Eröffnungskurs als kleiner waagrechter Strich links des Balkens. In Abbildung 9.5 ist der gleiche Zeitabschnitt des DAX wie beim Linienchart dargestellt.
Abbildung 9.5: Balkenchart, DAX, Juli 2017 bis Januar 2018, Tageschart, Chart erstellt mit ProRealTime
Candlestickchart
Der Candlestickchart und auch die Analysetechnik werden in Japan bereits seit Jahrhunderten eingesetzt, bei uns erst seit wenigen Jahrzehnten. Es werden die gleichen Daten der gewählten Zeitperiode wie bei den Balkencharts verwendet:
Eröffnungskurs (= open)
Höchstkurs (= high)
Tiefstkurs (= low)
Schlusskurs (= close)
Bei einem Tageschart stellt eine Kerze die Handelsaktivitäten eines Tages dar, bei einem 5-Minuten-Chart von eben fünf Minuten. Helle Kerzen bilden steigende Kurse ab, dunkle Kerzen fallende Kurse. In Abbildung 9.6 ist nochmals der DAX des gleichen Zeitabschnitts wie beim Linien- und Balkenchart abgebildet. Obwohl man bei dieser Methode auf die gleichen Daten zurückgreift wie beim Balkenchart, sind Candlesticks visuell viel ansprechender. Die abgebildeten Informationen können in einem Candlestickchart viel einfacher interpretiert und analysiert werden.
Abbildung 9.6: Candlestickchart, DAX, Juli 2017 bis Januar 2018, Tageschart, Chart erstellt mit ProRealTime
In einem Candlestickchart werden nicht nur Trendlinien eingezeichnet und Widerstands- und Unterstützungszonen definiert, es werden auch die Formationen analysiert. Das sind entweder markante Einzelkerzen wie zum Beispiel eine Doji – das ist eine Kerze, bei der der Eröffnungs- und der Schlusskurs nahezu identisch sind (zum Beispiel Kerze 9, 11, 13, 21 in Abbildung 9.13) oder Kombinationen aus bis zu fünf Kerzen. Die Formationen spiegeln die Psychologie des Marktes (= der Marktteilnehmer und damit Menschen) wider und erlauben eine Prognose für den weiteren Kursverlauf. Die Namen der einzelnen Formationen ermöglichen bereits einen Rückschluss darauf, ob die Kurse steigen oder fallen werden. Die drei Kerzen 22, 23 und 24 in Abbildung 9.13 bilden einen Evening Star aus – den Abendstern. Das ist eine obere Umkehrformation, die mit einer hohen Wahrscheinlichkeit darauf schließen lässt, dass die Kurse fallen werden.
Bevor Sie die über 100 Formationen analysieren können, müssen Sie allerdings die Erkennungsmerkmale der Formationen auswendig lernen, sie erkennen und korrekt analysieren. Außerdem sollten Sie sich mit den Trefferquoten der einzelnen Formationen beschäftigen. Manche populären Formationen liefern eine Trefferquote von um die 50 Prozent ab – das entspricht dem Münzwurf und damit Zufall! Thomas N. Bulkowski hat sich in seinem Buch Enzyklopädie der Candlesticks ausführlich mit den Erkennungsmerkmalen von über 100 Formationen auseinandergesetzt und die Trefferquoten statistisch ausgewertet.
Grundannahmen der Technischen Analyse
Die Technische Analyse basiert auf drei Grundannahmen:
1.Die Marktbewegung diskontiert alles.
2.Kurse bewegen sich in Trends.
3.Die Geschichte wiederholt sich selbst.
Die Marktbewegung diskontiert alles
Diese Kernaussage war von Charles Dow auf die von ihm entwickelten Indizes, den Dow Jones Industrial Average und den Dow Jones Railroad Average, gemünzt. Hier in Deutschland betrachten wir den DAX, den Deutschen Aktienindex. Dieser beinhaltet die 30 größten börsennotierten Aktiengesellschaften Deutschlands.
Sein Auf und Ab repräsentiert den Zustand der deutschen Wirtschaft. Alle Informationen und Nachrichten, die Angebot und Nachfrage der 30 Einzelwerte beeinflussen können, sind im Marktpreis enthalten. Seien es gestiegene Rohstoffpreise, Währungsschwankungen, eine Naturkatastrophe oder der Rücktritt eines Finanzministers – alles wird vom Markt sofort, sobald die Information zur Verfügung steht, eingepreist.
Der »Markt« – das sind Menschen: Trader, Spekulanten oder Investoren, die auf die verfügbaren Informationen und Nachrichten reagieren und so mit ihren Orders Angebot und Nachfrage verändern. Alle Informationen sind im Preis enthalten, sie sind in der Marktbewegung diskontiert.
Den Technischen Analysten interessiert nicht der Grund, warum eine Aktie, ein Index oder ein Währungspaar fällt oder steigt. Er schaut sich den Chart an und stellt fest, dass sich das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage verändert hat.
Obwohl ich bekennende Technische Analystin bin, kommt jetzt ein Aber. Schauen Sie sich einmal das in Abbildung 9.7 dargestellte drastische Beispiel an.
Abbildung 9.7: Altana-Aktie 2007 (Xetra), Tageschart, Ausschüttung einer Bardividende in Höhe von 34,80 Euro zum 4.5.2007, Chart erstellt mit Tai-Pan
Die Aktie der Altana AG hat es am 4.5.2007 regelrecht zerlegt. Der Aktienkurs ist von heute auf morgen von circa 55 Euro auf 20 Euro gefallen. Was war passiert? Die Hauptaktionärin hat Teile des Unternehmens verkauft und der Verkaufserlös wurde als Bardividende in Höhe von 34,80 Euro an die Aktionäre ausgeschüttet. Damit notierte die Aktie zur Eröffnung am 4.5.2007 »ex Div« und folglich deutlich tiefer als der Vortagesschluss.
In diesem Fall lag dem Kursverfall also nicht ein dramatisches Überangebot an Altana-Aktien zugrunde, sondern die Auszahlung einer Sonderdividende.
Das Trendkonzept – Kurse bewegen sich in Trends
Das Trendkonzept ist für das Verständnis der Technischen Analyse absolut unentbehrlich. Wer diese Prämisse nicht akzeptiert, braucht sich nicht weiter mit Technischer Analyse zu beschäftigen und kann zum nächsten Teil übergehen.
Der Technische Analyst stellt den Kursverlauf in einem Chart dar, er identifiziert den Trend in einer frühen Phase und handelt dann in Richtung dieses Trends. Da die meisten Handelsansätze trendfolgend sind, ist diese Vorgehensweise üblich. Die Position hält er dann so lange, bis es eindeutige Signale für eine Trendumkehr gibt. Das hört sich ganz einfach an – ist es aber leider nicht immer. Doch dazu später.
Das Trendkonzept besteht aus mehreren Elementen:
den drei Trendrichtungen,
der Trendumkehr,
den drei Kategorien eines Trends,
den drei Phasen eines Trends und
dem Umsatzverhalten.
Ein Trend wird als solcher identifiziert, um danach zu traden, denn die meisten Strategien sind trendfolgend.
Die drei Trendrichtungen
Es gibt drei prinzipielle Trendrichtungen: aufwärts, abwärts, seitwärts. Eigentlich logisch, oder?
Aufwärtstrend
Ein Aufwärtstrend weist ein Muster von höheren Hochs (= higher High, HH) und höheren Tiefs (= higher Low, HL) auf. Abbildung 9.8 zeigt das anhand der Beiersdorf AG, einer Aktie aus dem DAX.
Sobald zwei ansteigende Tiefs ausgebildet wurden, können Sie die Aufwärtstrendlinie einzeichnen:
1.Verbinden Sie einfach die beiden Tiefs und führen Sie die Linie in die Zukunft weiter.
2.Um nun den Trendkanal zu konstruieren, kopieren Sie die Aufwärtstrendlinie und legen sie am Hoch zwischen den beiden Tiefs an.
Der Kurs kehrt an diese Linie zurück. Und die höheren Tiefs bilden sich häufig an der Aufwärtstrendlinie aus.
Solange höhere Hochs und höhere Tiefs ausgebildet werden, ist der Aufwärtstrend intakt. Wird jedoch ein tieferes Hoch und ein tieferes Tief ausgebildet und auch noch die Trendlinie gebrochen, dann ist Gefahr im Verzug. Sie sollten den Stop auf jeden Fall enger nachziehen, eventuell sogar über das Schließen der Position nachdenken.
Abbildung 9.8: Aufwärtstrend der Beiersdorf AG im Zeitraum Oktober 2016 bis August 2017 im Candlestick-Wochenchart, Chart erstellt mit ProRealTime
Abwärtstrend
Ein Abwärtstrend weist tiefere Hochs (= lower Highs, LH) und tiefere Tiefs (= lower Lows, LL) auf. In Abbildung 9.9 sehen Sie einen Abwärtstrend am Beispiel der Munich RE Aktie. Die Abwärtstrendlinie zeichnen Sie an den Hochs ein. Sobald ein tieferes Hoch ausgebildet wurde, können Sie die beiden Hochs miteinander verbinden. Die Abwärtstrendlinie wird dann in die Zukunft weitergezeichnet. Wird diese Trendlinie kopiert und an das Tief zwischen den beiden Hochs angelegt, ist der Trendkanal eingezeichnet. Die untere Linie ist die Rückkehrlinie. Und schon haben Sie einen Trendkanal konstruiert, diesmal geht der Trend nach unten.
Wie analysieren Sie nun die Situation?
Wird ein höheres Tief ausgebildet, ist das ein erstes Warnsignal, dass der Abwärtstrend gestört ist. Gesellt sich dann noch ein höheres Hoch dazu und wird die Abwärtstrendlinie gebrochen, sollte die Position geschlossen werden. Zumindest aber der Stop nachgezogen werden.
Abbildung 9.9: Abwärtstrend der Munich RE-Aktie im Zeitraum 12.10.2017 bis 12.1.2018 im Candlestick-Tageschart, Chart erstellt mit ProRealTime
Seitwärtstrend oder Konsolidierung
Im Seitwärtstrend geht es ein paar Punkte rauf und wieder runter und wieder rauf … Eine Seitwärtsbewegung zeige ich Ihnen in Abbildung 9.10 am Beispiel der Fresenius Medical Care-Aktie. Beim Seitwärtstrend gibt es zwei Begrenzungen:
Widerstand (= resistance): die obere Begrenzung und
Unterstützung (= support): die untere Begrenzung der Seitwärtsbewegung
Das klappt zwar nicht immer Punkt- beziehungsweise Cent-genau, aber die eingezeichneten Linien geben einen guten Anhaltspunkt für den Trendbruch.
Seitwärtsbewegungen treten häufig nach starken Marktbewegungen auf, aufwärts wie abwärts. Dann »konsolidiert« der Kurs, er »stabilisiert« sich im übersetzten Sinn des Wortes. Aus diesem Grund gelten Konsolidierungsphasen, die eigentlich aussehen wie ein Rechteck, als trendbestätigende Formationen. Im gezeigten Beispiel bei der Sanofi-Aktie stieg der Kurs in wenigen Tagen stark an, konsolidierte, um dann nochmals in wenigen Tagen kräftig zu steigen. Damit wurde der erste Kursanstieg nach der Seitwärtsphase bestätigt.
Abbildung 9.10: Seitwärtsbewegung am Beispiel der Fresenius Medical Care AG & Co. KGaA-Aktie im Zeitraum 21.11.2017–9.1.2018 im Candlestick-Tageschart, Chart erstellt mit ProRealTime
Ein Trend besteht so lange, bis es definitive Signale gibt, dass er sich umgekehrt hat. Das impliziert, dass erst einmal ein Trend bestehen muss, bevor sich etwas umkehren kann. Das hört sich eigentlich ganz einfach an. Gehen wir zurück zur Trenddefinition:
Angenommen, der Markt befindet sich in einem intakten Aufwärtstrend und dann wird auf einmal das letzte Hoch nicht überboten, das letzte Tief wird unterschritten und es werden fallende Hochs und fallende Tiefs ausgebildet, dann hat der Markt gedreht und befindet sich in einem Abwärtstrend.
In Abbildung 9.11 der Chart der Fresenius SE & Co. KGaA vom 20.11.2013 bis zum 7.3.2014.
Es werden laufend höhere Hochs und höhere Tiefs ausgebildet – der Aufwärtstrend ist absolut intakt. Dann wird das Hoch 1 nicht von Hoch 3 überboten! Das ist ein erstes Warnsignal, dass der Aufwärtstrend möglicherweise gestört ist. Im Anschluss kommt es bei 4 zu einem Trendbruch auf Schlusskursbasis: Der Schlusskurs liegt unter dem Tief bei 2. Der Trend gilt als gebrochen.
In diesem Chart sehen Sie, dass im echten Leben ein Chart viel mehr Facetten aufweist als eine idealisierte Grafik! Sie sehen, was passiert: Der Trend wurde zwar regelkonform gebrochen, der Kurs berappelt sich aber wieder und versucht einen Re-Test der Trendlinie. Das 1er-Hoch wird allerdings nicht auf Schlusskursbasis (ich weiß, ich wiederhole ständig die Schlusskursbasis, das ist aber wichtig!) getoppt – es bleibt beim Re-Test. Der Kurs verläuft noch ein paar Tage seitwärts, bis er dann mit einem großen Gap nach unten durch das 4er-Tief rauscht und damit die Trendumkehr und den neuen Abwärtstrend bestätigt.
Abbildung 9.11: Trendumkehr der Fresenius SE & Co. KGaA im Zeitraum 20.11.2013 bis 7.3.2014 im Candlestick-Tageschart, Chart erstellt mit ProRealTime
Der Re-Test einer Trendlinie wird relativ häufig ausgebildet.
Wie sieht nun die Trendumkehr in einer Abwärtsbewegung aus? In Abbildung 9.12 wird das am Beispiel der Linde-Aktie gezeigt.
Abbildung 9.12: Trendumkehr der Linde-Aktie im Zeitraum 26.4.2012 bis 21.9.2012 im Candlestick-Tageschart, Chart erstellt mit ProRealTime
Der Abwärtstrend ist intakt, denn es werden tiefere Tiefs und tiefere Hochs ausgebildet. Als bei 2 ein höheres Hoch über der Abwärtstrendlinie ausgebildet wird, sieht es bereits nach einer erfolgreichen Trendumkehr aus. Aber der Kurs fällt wieder unter die Abwärtstrendlinie. Das nennt sich false Breakout (falscher Ausbruch) und führt einen in die Irre. Das dann folgende 3er-Tief liegt allerdings über dem 1er-Tief. Das ist dann ein weiteres Warnsignal, dass es mit der Abwärtsbewegung zu Ende gehen könnte. Hoch 2 fungiert einige Tage erfolgreich als Widerstand, bevor es dann mit viel Momentum über diese Widerstandlinie geht. Das Tief der 4er-Kerze und das der vorherigen Kerze haben die Abwärtstrendlinie re-getestet. Nach einer weiteren, zähen Seitwärtsbewegung, bei der es aber nicht unter das 2er-Hoch ging, wurde die Trendumkehr mit höheren Hochs und höheren Tiefs bestätigt.
In Abbildung 9.13 sehen Sie das Währungspaar EUR/USD im Tageschart, hier wechseln die Trends regelmäßig. Die einzelnen Kerzen sind zum besseren Verständnis durchnummeriert.
Von Kerze 1 bis 8 werden nicht nur höhere Hochs und höhere Tiefs ausgebildet, die Schlusskurse liegen auch über dem Hoch der vorangegangenen Kerze. Per Definition ist das ein Aufwärtstrend. Die eingezeichnete Trendlinie bestätigt das auch. Ein kleiner Ausrutscher ist Kerze 4, sie befindet sich innerhalb der Handelsspanne von Kerze 3. Auf Neudeutsch heißt diese Kerze Inside-Day. Kerze 9 bildet zwar ein höheres Hoch aus, aber der Schlusskurs liegt im Körper der vorangegangenen Kerze 8.
Die beiden Kerzen 8 und 9 haben eine Distributionslunte ausgebildet – da wurde das Hoch abverkauft. Der Aufwärtstrend ist zumindest »gestört«. Kerze 10 bildet zwar ein tieferes Tief, ein tieferes Hoch und einen tieferen Schlusskurs aus, sie befindet sich aber noch oberhalb der Trendlinie. Zum Trendbruch kommt es bei Kerze 11 – es wurde aber kein Schlusskurs unter dem letzten Tief (= Kerze 8) ausgebildet. Mit dem Schlusskurs von Kerze 12 wurde der Trendwechsel dann bestätigt, denn der Schlusskurs liegt unter dem Tief von Kerze 8. Der Abwärtstrend etabliert sich, obwohl sich nicht jede Kerze exakt an die Trenddefinition hält. Kerze 13 bildet kein tieferes Tief aus, Kerze 17 ein höheres Hoch und einen höheren Schlusskurs, Kerze 18 ein höheres Hoch und ein höheres Tief. Kerze 17 umfasst mit ihrer gesamten Handelsspanne Kerze 16 – ein Outside-Day. Auch nach dem Trendbruch nach Kerze 19 geht es nicht eindeutig weiter. Diese Kerze hat eine Akkumulationslunte ausgebildet, da wurde also beim Tief wieder gekauft. Kerze 21 bildet ein tieferes Tief und ein tieferes Hoch aus. Da wir den weiteren Kursverlauf sehen können, wissen wir, dass es nur eine Pause in einem – wenn auch kurzen – Aufwärtstrend ist.
Abbildung 9.13: Trendumkehr am Beispiel von EUR/USD vom 5.9.2012 bis zum 11.11.2012 im Tageschart, Chart erstellt mit ProRealTime
Es ist einfach, einen Chart im Nachhinein zu analysieren, aber die Gretchenfrage ist und bleibt: Wie geht es weiter? Was kommt nach Kerze 27? Eine weitere Trendumkehr? Oder geht es weiter abwärts?
Sie sehen selbst: Die schwierigste Aufgabe von Trendfolgern ist es, die Trendumkehrsignale zu erkennen und zu deuten.
Ein Trend besteht so lange, bis es definitive Signale gibt, dass er sich umgekehrt hat. Kerze 27 wurde in einem bestätigten Abwärtstrend ausgebildet. Eindeutige Signale für eine Umkehr gibt es also nicht – auch wenn der Schlusskurs über dem Hoch von Kerze 26 liegt.
Es ist ein Outside-Day und damit können klare Handelsregeln aufgestellt werden: long, sobald das Hoch überschritten wird, und short, sobald das Tief unterschritten wird.
●Flat: Wer noch nicht investiert ist, ist flat. Da aufgrund der Analyse nicht klar ist, wie es weitergeht, können beide Seiten gespielt werden: long oder short. Je nachdem, in welche Richtung der Kurs läuft, wird die entsprechende Order ausgeführt und der dazugehörige Stop wird als »if done« aufgegeben. Die entgegengesetzte Order inklusive Stop-Order wird automatisch gelöscht, weil sie als »one cancels other« verknüpft wurden.
●Long: Mit einer Stop-Buy-Order können Sie sich long einstoppen lassen, sobald das Hoch von Kerze 27 überschritten wird. Der Stop-Loss wird knapp unter das Tief der Kerze 27 gelegt. Die Orders werden als »if done« verknüpft. Wird die Stop-Buy-Order getriggert, wird die Stop-Loss-Order automatisch in den Markt gelegt.
●Short: Für die Short-Position wird am Tief der Kerze 27 eine Stop-Sell-Order aufgegeben. Die dazugehörige Stop-Loss-Order wird limitiert mit dem Hoch dieser Kerze und verknüpft als »if done«.
Genaueres zu den Ordervarianten können Sie in Kapitel 3 nachlesen.
Der Umsatz geht mit dem Trend
Wenn Sie einen Chart analysieren, ist das Wichtigste die Preisaktion. An zweiter Stelle steht dann das Volumen. Für Charles Dow war das Volumen zwar ein sekundärer, aber wichtiger Faktor für die Bestätigung von Kauf- oder Verkaufssignalen. Hohes Volumen impliziert, dass viele Marktteilnehmer auf das Kauf- oder Verkaufssignal reagiert haben. Doch auch bei einem laufenden Trend zeigt das Volumen an, ob dieser intakt ist. Volume goes with the trend bedeutet: Der Umsatz sollte in Richtung des vorherrschenden Trends ansteigen:
In einem Aufwärtstrend sollte das Volumen bei steigenden Kursen ansteigen: Immer mehr Käufer steigen bei steigenden Kursen ein und treiben die Preise nach oben. Kommt es zu einer kleinen Korrektur in einem Aufwärtstrend, also zu fallenden Kursen, sollte sich das Volumen in diesem untergeordneten Abwärtstrend auch verringern. Nur einige Käufer nehmen ihre Gewinne mit, die Masse der Anleger bleibt drin.
In einem Abwärtstrend sollte das Volumen bei fallenden Kursen ansteigen, denn immer mehr Anleger verkaufen die Papiere bei fallenden Kursen und sorgen so für weiter fallende Preise. Kommt es zu einer aufwärtsgerichteten Korrektur, nimmt das gehandelte Volumen ab, da der Verkaufsdruck kurzfristig nachlässt.
Drei Kategorien eines Trends
Aus zeitlicher Sicht betrachtet gibt es drei Trends:
Primärer Trend = langfristiger Trend = Major Trend: Dieser Trend umfasst ein bis mehrere Jahre. Der langfristige Trend ist in der Regel für Preisbewegungen – rauf oder runter – von mindestens 20 Prozent verantwortlich. Er wird unterbrochen vom mittelfristigen Trend, der den langfristigen Trend korrigiert, wenn dieser überstrapaziert ist.
Sekundärer Trend = mittelfristiger Trend: Das sind die Korrekturen in einem primären Trend. Der mittelfristige Trend verläuft in entgegengesetzter Richtung des langfristigen Trends. Er dauert in der Regel mindestens drei Wochen bis mehrere Monate. Eine laufende Korrektur zu erkennen ist nicht immer einfach. Oft wird ein Drittel der vorangegangenen Bewegung korrigiert, es kann aber auch die komplette vorangegangene Bewegung korrigiert werden (100 Prozent). Es sind aber selten mehr als die Hälfte bis zwei Drittel der vorangegangenen Bewegung.
Tertiärer Trend = kurzfristiger oder untergeordneter Trend = Minor Trend: Dieser Trend dauert nur wenige Tage und besteht im Prinzip aus den täglichen Schwankungen. Für die Dow-Theorie hat der untergeordnete Trend keinerlei Relevanz.
Diese drei Kategorien hat Charles Dow vor weit über 100 Jahren definiert. Den Vorläufer des Dow Jones Industrial Average hat er 1884 entwickelt, also vor über 130 Jahren. Selbst beim DAX, geboren 1988 und im Vergleich dazu ein Youngster, brennen in den Zwischenzeit 30 Kerzen auf seiner Geburtstagstorte. Ein »nur« mehrere Jahre umfassender primärer Trend reicht bei weitem nicht aus, um eine so richtig langfristige Bewegung zu beschreiben. Dem wurde Abhilfe geschaffen mit dem:
säkularen Trend = ganz langfristiger Trend: Dieser Trend dauert über sehr viele Jahre bis Jahrzehnte. Von den bedeutenden Volkswirtschaften weltweit befinden sich fast alle Aktienindizes in einem säkularen Aufwärtstrend. Mit einer großen Ausnahme: Dem Nikkei 225, dem japanischen Index (Abbildung 9.14). Dessen Allzeithoch bei knappen 38.957 Punkten stammt noch aus dem Jahr 1989. In der Zwischenzeit hat sich der Index zwar erholt und den säkularen Abwärtstrend gebrochen, aber bis zum ATH muss der Index noch über 60% zulegen!
Abbildung 9.14: Säkularer Abwärtstrend beim Nikkei 225 im Candlestick-Monatschart von 1988 bis 2018, Chart erstellt mit ProRealTime
In Abbildung 9.15 sind die drei Kategorien eines Trends am Beispiel der Nokia-Aktie dargestellt. Im abgebildeten Zeitraum von November 2015 bis Januar 2018 befindet sich die Aktie in einem primären Abwärtstrend. Dieser wurde durch eine aufwärts gerichtete Korrektur von November 2016 bis Juni 2017 unterbrochen, einem sekundären Aufwärtstrend. Innerhalb von diesem sekundären Trend gab es zwei abwärts gerichtete tertiäre Korrekturen. Ganz übergeordnet betrachtet befindet sich die Nokia-Aktie seit der Ausbildung des Allzeithochs bei 65,30 Euro im Jahr 2000 in einem säkularen Abwärtstrend, der bis heute (Januar 2018) andauert.
Abbildung 9.15: Die drei Kategorien eines Trends am Beispiel der Nokia-Aktie im Candlestick-Wochenchart von November 2015 bis Januar 2018, Chart erstellt mit ProRealTime
Drei Phasen eines Trends
Langfristige, also primäre Trends lassen sich häufig in drei markante Phasen unterteilen. Die Phasen sind nicht eindeutig identifizierbar, sie überlappen sich mehr oder weniger. Bei einem primären Aufwärtstrend sieht das so aus wie in Abbildung 9.16: am Beispiel der Deutschen Telekom:
Akkumulationsphase: In der ersten Phase sammeln gut informierte und scharfsinnige Investoren zu günstigen Preisen die Aktien ein. Die Nachfrage steigt langsam an und die Preise steigen moderat.
Öffentliche Beteiligung: Es gibt »gute Presse« über das Unternehmen, die Trendfolger werden auf das Unternehmen aufmerksam und kaufen. Die anziehende Nachfrage trifft auf dünnes Angebot und lässt den Aktienkurs kräftig steigen.
Distributionsphase: Diese Spätphase der Aufwärtsbewegung wird auch als Hausfrauenhausse bezeichnet. Vor allem wenig informierte Kleinanleger kaufen in dieser Phase und es wird eine Spekulationsblase gebildet. Verkauft werden die Aktien von den gut informierten Investoren – sie finden den »Greater Fool«, um für hohe Preise die Aktien zu verkaufen. Bald gibt es keine Anschlusskäufe mehr und die ausbleibende Nachfrage trifft auf ein steigendes Angebot. Die Preise rauschen in den Keller.
Abbildung 9.16: Die drei Phasen eines primären Aufwärtstrends am Beispiel der Aktie der Deutschen Telekom von 1996 bis 2004, Chart erstellt mit ProRealTime
Beim Lesen von Analysen stoßen Sie häufiger auf die Begriffe akkumulieren und distributieren. Damit ist gemeint, dass Aktien eingesammelt = gekauft werden (= akkumulieren) beziehungsweise abgestoßen = verkauft werden (distributieren).
Auch ein primärer Bärenmarkt lässt sich in drei markante Phasen unterteilen:
Distributionsphase: In der Distributionsphase beginnen die gut informierten und schlauen Investoren ihre Long-Positionen abzubauen. Die Kurse fallen zuerst langsam, aber kontinuierlich.
Erholungsphase: In einem aufwärtsgerichteten Sekundärtrend kaufen Schnäppchenjäger, die darauf hoffen, dass die Abwärtsbewegung beendet ist.
Selling Climax: Ist die Abwärtsbewegung nicht beendet, kommt zu einem Selling Climax. In dieser Phase verkaufen die Schnäppchenjäger der Erholungsphase und auch die Anleger, die der Aktie zu lange die Treue gehalten haben und in Panik ausbrechen. Am Ende des Selling Climax wird zu diesen ausgebombten Preisen wieder gekauft. In der Regel werden Umkehrtage ausgebildet.
In Abbildung 9.17 sind die Phasen einer Abwärtsbewegung am Beispiel der Aktie der Bank of America dargestellt. Zuerst ist die Abwärtsbewegung schwach, es kommt noch einmal zu einer Erholungsphase, bei der Schnäppchenjäger einsteigen und auf weiter steigende Kurse hoffen. Doch es kommt anders, der Kurs fällt erneut – aber die Schnäppchenjäger geben nicht auf und akkumulieren erneut. Erfolglos. Es wird wieder kräftig distributiert, dann kommt sogar Panik auf und in einem »Selling Climax« wollen die restlichen entnervten Anleger nur noch eins: raus aus der Aktie. Der Preis rauscht in den Keller. Und schon wieder treten die Schnäppchenjäger in Aktion. Es wird eine Umkehrkerze ausgebildet. Diese ist gekennzeichnet durch eine Akkumulationslunte. Es wird in den nachfolgenden Wochen kein tieferes Tief ausgebildet, aber dafür wieder höhere Hochs. Die Trendumkehr hat geklappt.
Abbildung 9.17: Die drei Phasen eines primären Abwärtstrends am Beispiel der Aktie der Bank of America im Wochenchart von August 2007 bis Mai 2009, Chart erstellt mit ProRealTime
Preisbewegungen haben nichts mit Zufall zu tun. Sie sind das Resultat von Angebot und Nachfrage, die sich kontinuierlich ändern. Die Marktteilnehmer haben auch ein gut funktionierendes Gedächtnis. An bestimmten Marken werden die Gewinne mitgenommen und Long-Positionen in Short-Positionen gedreht – da liegen viele Verkaufsorders, die dann ausgeführt werden – und an anderen Marken steigen die Marktteilnehmer wieder verstärkt ein und schließen ihre Short-Positionen – das heißt, auch da liegen viele Kauforders. Aus diesem Grund gibt es in jedem Chart Preisbereiche, an denen der Kurs immer wieder abprallt – das sind die Unterstützungs- und Widerstandszonen (neudeutsch Support & Resistance).
Zur optischen Veranschaulichung habe ich Gold (in US-Dollar) im Stundenchart in Abbildung 9.18 rausgesucht. Gold verharrte stundenlang unter dem Widerstand bei 1.260 US-Dollar. Mit einer Power Candle ging es dann 26.05.2017 über den Widerstand. Der Widerstand wurde so zur Unterstützung. Am 30.05.2017 dann wurde die Unterstützung erfolgreich getestet, ebenso am 31.05.2017 und am 02.06.2017.
Abbildung 9.18: Widerstand und Unterstützung am Beispiel von Gold in US-Dollar im Stundenchart vom 24.05.2017 bis 02.06.2017, Chart erstellt mit ProRealTime
Sie werden jetzt einwenden, dass das kein Wunder ist, weil es sich hier nur um wenige Tage handelt. Aber das gilt auch für größere Zeiträume. Am 18.09.2015 nahm die VW-Abgasaffäre ihren Lauf. An diesem Tag wollten viele Aktionäre nur noch raus aus der Aktie. Wenige Tage zuvor, am 24.08.2015 bildete die Aktie bei 154,00 Euro ein Swing-Low aus. Diese 154,00 Euro haben sich viele Monate später, Ende Januar 2017 als unüberwindbarer Widerstand herausgestellt. Nochmals viele Monate später, am 30.10.2017, wurde der Widerstand überwunden. Dann am 13. und 15.11.2017 erneut getestet – und für tragfähig befunden.
Abbildung 9.19: Widerstand und Unterstützung am Beispiel der Volkswagen Vorzugsaktie im Wochenchart von März 2015 bis Januar 2018, Chart erstellt mit ProRealTime
Es gibt nicht nur waagrechte Linien in einem Chart, sondern auch schräge. Eine klassische Trendlinie ist eine solche schräge Linie. Oder auch die Begrenzungslinien von Dreiecken, Flaggen oder Wimpeln. Allesamt Formationen, die in der Technischen Analyse Anwendung finden. Je mehr Auflagepunkte eine Trend- oder Begrenzungslinie hat, desto wichtiger wird sie und desto relevanter werden Ausbrüche.
Lassen Sie sich nicht durch den Spruch »Schräge Linien sind für schräge Vögel!« ins Bockshorn jagen. Auch eine schräge Trendlinie hat ihre Berechtigung und wird vom Markt beachtet.
Abbildung 9.20: »Schräge Linie« = Abwärtstrendlinie beim DAX im Tageschart von Juni 2017 bis Oktober 2017, Chart erstellt mit ProRealTime
In Abbildung 9.20 sehen Sie eine schräge Linie am Beispiel vom DAX. Die Abwärtstrendlinie wurde an den Hochs 1 und 2 angelegt. Im weiteren Verlauf wurde diese Abwärtstrendlinie mehrfach mit Tageshochs an den mit den Pfeilen markierten Tagen getestet. Nach einem Doji (dem Zeichen für Unentschlossenheit der Marktteilnehmer) wurde eine lange, weiße Kerze ausgebildet – einer sogenannten Power Candle – mit der der Ausbruch über die Abwärtstrendlinie erfolgte.
In echten Charts gibt es – egal ob waagrechte oder schräge Linie – in der Regel gewisse Unschärfen. Mal schaut eine Lunte drunter und mal ein Docht drüber. Nur in idealisierten Grafiken passen die eingezeichneten Linien exakt.
Die Geschichte wiederholt sich selbst
Der »Markt« – das sind Menschen. Menschen, die Kauf- und Verkaufsaufträge aufgeben oder Handelssysteme programmieren. Und Menschen agieren in ähnlichen Situationen vergleichbar. Diese Kursmuster offenbaren die Psychologie des Marktes, sprich der Marktteilnehmer. Und weil die Kursmuster in der Vergangenheit funktioniert haben, so die Überlegung, funktionieren sie auch in der Zukunft.
Sie erinnern sich an die Wettervorhersage? Auch da werden Muster aus der Vergangenheit für die Prognose herangezogen. Zum Beispiel das Azorenhoch oder das Islandtief. Kommt der Wetterfrosch darauf zu sprechen, wissen wir, wie das Wetter die nächsten Tage voraussichtlich (immer den chaotischen Anteil des Systems respektieren!) wird.
Kritikpunkte an der Technischen Analyse
Was Kritiker der Technischen Analyse vorwerfen, möchte ich Ihnen nicht vorenthalten.
Random-Walk-Theorie (Gang eines Betrunkenen): Der Vorwurf lautet, Kursbewegungen seien zufällig und in keiner Weise vorhersagbar. Kurstrends gibt es nicht. Aber: Technische Analyse ist Würfeln mit Gedächtnis!
Wären Kursbewegungen zufällig, würde das einem Münzwurf entsprechen: Kopf oder Zahl, per Zufall, ohne Gedächtnis. An der Börse agieren aber Menschen und die haben ein Gedächtnis. Die wissen, dass die Daimler-Aktie 2012 mehrfach bei circa 42 Euro auf dem Weg nach oben gescheitert ist. Also beobachten sie ganz genau die Preisaktion an diesem Level – und handeln danach. Nicht per Zufall, sondern mit Gedächtnis.
Mit Charts kann man die Zukunft nicht vorhersagen. Na ja, die Wettervorhersage funktioniert genauso!
Selffulfilling Prophecy (sich selbst erfüllende Prophezeiung): Wenn mir die Erfahrung gezeigt hat, dass eine Aktie steigt, wenn der Preis den gleitenden 200er-Durchschnitt von unten nach oben gekreuzt hat, ich diese Aktie dann kaufe, mich der Masse der Anleger anschließe und Gewinne mache: Was ist daran verwerflich? Charttechnik ist subjektiv. Der eine Anleger ist spekulativer, der andere konservativer.
Ihre ersten Schritte in der Technischen Analyse
In Teil II, in dem es um die Fundamentalanalyse geht, haben Sie sich drei deutsche Autobauer und ihre Geschäftszahlen angeschaut. Das Ergebnis war nicht so eindeutig – alle drei sind gut aufgestellt. In diesem Praxiskapitel zur Technischen Analyse werfen Sie nun einen Blick auf die Charts von Daimler, BMW und VW.
Angenommen, Sie wollen von einem bestimmten Wert eine technische Analyse erstellen. Wie gehen Sie da am besten systematisch vor? Wie setzen Sie die beiden Konzepte – Trendkonzept und Support & Resistance (Unterstützung und Widerstand) – in die Praxis um?
1.Damit Sie sich einen ersten und groben Überblick über den Kursverlauf des Underlyings verschaffen können, beginnen Sie mit einem langfristigen Chart, der so weit zurückgeht, wie es Ihre Chartsoftware und die zur Verfügung stehenden Daten erlauben.
2.Verwenden Sie am besten einen klassischen Linienchart in der Monatsansicht. Sie brauchen auch keinerlei Indikatoren dazu. Damit lassen sich in der Regel das Allzeithoch und das Allzeittief identifizieren, ebenso wie die aktuelle, langfristige Trendrichtung und die wichtigsten Trendwendemarken. Bedenken Sie, dass Sie in einem Linienchart nicht das intraday gehandelte Hoch oder Tief angezeigt bekommen, sondern immer nur den höchsten und tiefsten Schlusskurs.
3.Zeichnen Sie Trendlinien, Unterstützungs- und Widerstandszonen und Formationen ein – sofern vorhanden.
4.Suchen Sie sich im Chart den Zeitraum aus, der für die aktuelle Analyse am aussagekräftigsten ist. Das können vielleicht nur die letzten Monate sein oder auch die letzten paar Jahre. Je nachdem, wie lang dieser Zeitraum ist, verwenden Sie hierfür einen Wochen- oder einen Tageschart. Auch in diesen Chart zeichnen Sie Trendlinien, Trendwendepunkte, Unterstützungs- und Widerstandszonen und Formationen ein – sofern vorhanden.
5.Wenn Sie sich jetzt die letzten Wochen bis Monate im Tageschart anschauen, verwenden Sie dazu am besten Candlesticks. In dieser Chartvariante sehen Sie nicht nur den Schlusskurs, sondern die gesamte Preisaktion mit Eröffnung, Schluss, Hoch und Tief des Tages. Das ist wichtig, um die signifikanten Unterstützungs- und Widerstandszonen der näheren Vergangenheit zu identifizieren.
Und jetzt können Sie den gleitenden 200-Tage-Durchschnitt verwenden.
Wie sehen nun Ihre ersten Schritte als Technischer Analyst konkret aus?
Bewaffnen Sie sich als Erstes mit einem Charttool.
Es gibt jede Menge leistungsstarke Charttools »für lau« im World Wide Web, Sie müssen sich also für den Anfang nichts kaufen. Bei diesen Tools sind normalerweise nur End of Day (EoD) Daten inkludiert, eventuell auch zeitverzögerte Intraday-Daten.
Suchen Sie sich ein »Objekt der Begierde« (= Underlying) aus.
Das kann eine Aktie oder einen Index oder ein Währungspaar sein, die Sie analysieren möchten. Wie Sie die drei Schritte in die Praxis umsetzen, zeige ich Ihnen nun als Erstes anhand der Daimler-Aktie.
Beispiel Daimler-Aktie
In Abbildung 9.21 ist der Chart der Daimler-Aktie als Langfristchart abgebildet. Auf der Homepage der comdirect Bank können Sie sich diesen Chart unkompliziert erstellen.
»Max« geht bei der Daimler-Aktie zurück bis ins Jahr 1991. Das All-Time-High (ATH) aus dem Jahr 1998 liegt bei 102,26 Euro, das All-Time-Low (ATL) aus dem Jahr 2009 notiert bei 17,44 Euro. Am 19.01.2018 liegt der Kurs bei 75,01 Euro.
Abbildung 9.21: Langfristiger Linienchart der Daimler-Aktie ab 1991, Chart erstellt mit www.comdirect.de
Rufen Sie sich nochmal kurz in Erinnerung, wie ein Trend definiert wird:
Aufwärtstrend: eine Abfolge höhere Hochs und höherer Tief
Abwärtstrend: eine Abfolge tieferer Hochs und tieferer Tiefs
Die Trendumkehr von einem Aufwärtstrend in einen Abwärtstrend: Nach einem Hoch wird ein Tief – tieferes Hoch – tieferes Tief ausgebildet.
Die Trendumkehr von einem Abwärtstrend in einen Abwärtstrend: Nach einem Tief wird ein Hoch – höheres Tief – höheres Hoch ausgebildet.
Die vier Trends werden bezogen auf ihre Dauer folgendermaßen definiert:
1.säkularer Trend: viele Jahre bis Jahrzehnte
2.primärer Trend: ein bis mehrere Jahre
3.sekundärer Trend: einige Wochen bis mehrere Monate
4.tertiärer Trend: Tage bis Wochen
Selten ist nur eine Trendvariante in einem Chart ausgebildet – weder bezogen auf die Richtung, noch auf die Dauer. In der Regel überlappen sich die Trends und sind verschachtelt. Beim Chart der Daimler-Aktie lässt sich das geballte, theoretische Wissen sehr gut in die Praxis umsetzen. Da gibt es viel zu erklären und zu üben:
Der 27 Jahre umfassende Chart in Abbildung 9.21 wird von zwei säkularen Trends beherrscht:
einem säkularen Abwärtstrend ausgehend vom ATH 1998 (gestrichelte Linie) und
einem säkularen Aufwärtstrend ab dem Tief 2009 (durchgezogene Linie).
Der Blick auf die reine Preisaktion offenbart, dass die Aktie ihren säkularen Abwärtstrend nun verlassen hat. Seit dem Tief 2009 werden höhere Hochs und – bis auf eine Ausnahme – höhere Tiefs ausgebildet. Der steile Aufwärtstrend ab dem Tief 2009 wurde 2016 gebrochen und mit dem tieferen Tief auch bestätigt. Allerdings hat die Daimler-Aktie nach diesem tieferen Tief 2016 gleich wieder ein höheres Tief ausgebildet. Aktuell gilt dieser noch relativ junge Aufwärtstrend ab Mitte 2016. Jung ist hier wirklich relativ zu sehen, denn laut Definition ist das bereits ein primärer Aufwärtstrend.
Der für eine aktuelle Analyse wichtige Bereich beginnt 2014 mit dem Tief 1 bei ca. 55 Euro. Dafür habe ich Ihnen einen Wochenchart mit tradesignalonline.de erstellt (siehe Abbildung 9.22). Bei einem Wochenchart bildet eine Kerze den Zeitraum von einer Woche (Montag bis Freitag) ab. Die Hochs und Tiefs wurden durchnummeriert und die Trendlinien sind beschriftet, dadurch ist der erste Übungschart »übervoll«. Aber versprochen – die nächsten Charts sind »light«.
Was können Sie dem Chart entnehmen?
Der säkulare Abwärtstrend (gestrichelt) ab dem Allzeithoch von 1998 wurde vielfach berührt = getestet und scheint beendet zu sein.
Der säkulare Aufwärtstrend (gepunktet) ab dem Tief 2009 wurde nach einigem Gezicke bei Hoch 3 im April 2016 gebrochen.
Mit dem Tief 2 im Juli 2016 wurde der Trendbruch bestätigt, denn dieses Tief 2 notiert unter dem Tief 1 vom Oktober 2014.
Mit Hoch 4 wurde dann ein höheres Hoch – bezogen auf Hoch 3 – ausgebildet. Dieses Hoch 4 liegt auf der primären Abwärtstrendline, die an den Hochs 1 und 2 angelegt wurde. Der Kurs mäanderte von Januar bis Juli 2017 um die Abwärtstrendlinie, bevor es dann im August 2017 zwar deutlich unter die Abwärtstrendlinie ging, aber nur wenige Wochen später wurde die Abwärtstrendlinie wieder nach oben gebrochen.
Mit Tief 3 wurde ein höheres Tief – bezogen auf Tief 2 – ausgebildet, damit fehlte nur noch ein höheres Hoch über Hoch 4 um den Abwärtstrend zu beenden und den neuen Aufwärtstrend zu bestätigen.
Das höhere Hoch 5 wurde im November 2017 ausgebildet, es kam zu einer kleinen Gegenreaktion und im Januar 2018 wurde das Hoch 5 herausgenommen.
Wenn Sie vom aktuellen Kurs aus nach links schauen, finden Sie die nächste Unterstützungszone bei ca. 70/71 Euro, diese ist in grau eingezeichnet. An diesen Bereich stoßen viele Lunten an.
Das alles können Sie aus der reinen Preisaktion erkennen, ohne irgendeinen Indikator. Sie müssen immer links im Chart schauen, wo signifikante Hochs und Tiefs ausgebildet wurden. Die Marktteilnehmer werden sich dran erinnern.
Abbildung 9.22: Candlestick-Wochenchart der Daimler-Aktie vom Januar 2014 bis Januar 2018, Chart erstellt mit www.tradesignalonline.de
Abbildung 9.23: Tageschart der Daimler-Aktie 2012 von Juni 2016 bis Januar 2018, Chart erstellt mit www.tradesignalonline.de
Im letzten Chart (siehe Abbildung 9.23) gehe ich noch eine Zeitebene tiefer, in den Tageschart. Erst in diesen Chart füge ich einen Indikator ein: einen gleitenden 200er-Durchschnitt. »SMA« steht für »Simple Moving Average« – was das genau ist und wieso ich diesen verwende, erkläre ich Ihnen in Kapitel 11. Die Beschriftung ist vom Wochenchart Abbildung 9.22 übernommen.
Der 200er SMA dient als Filter: Befindet sich der Kurs über dem 200er SMA, sind Long-Positionen okay. Sobald der Kurs unter den 200er SMA fällt, sollte über den Verkauf der Long-Position nachgedacht werden. Analog dazu gilt: Befindet sich der Kurs unter dem 200er SMA, können Short-Positionen eröffnet werden. Steigt der Kurs über den 200er SMA, sollten Sie über eine Positionsschließung nachdenken.
Die Analyse des Tagescharts zeigt, dass sich die Daimler-Aktie in einem intakten, primären Aufwärtstrend befindet.
Eine wichtige Unterstützungszone liegt aktuell im Bereich um die 73/73,50 Euro. Diese wird gebildet durch das Hoch 4 von Januar 2017 und dem Hoch 5 von November 2017. Ende März 2017 wurde dieser Bereich noch von einer langen Lunte berührt. Die Aktie scheint sich jetzt von dieser Zone nach oben zu lösen.
Die Unterstützungen darunter liegen bei den letzten Tiefs: 69,33 Euro vom 02.01.2018 und die 67,85 Euro vom 01.12.2017.
Der Aufwärtstrend ist intakt, die letzte Widerstandzone wurde überwunden: Wo liegen die nächsten Kursziele?
Werfen Sie einen Blick zurück in den Wochenchart von Abbildung 9.22: Hoch 2 vom 01.12.2015 liegt bei 85,50 Euro.
Fassen wir zusammen: Übergeordnet befindet sich die Daimler-Aktie in einem intakten, primären Aufwärtstrend. Eine wichtige Unterstützungszone liegt bei ca. 73/73,50 Euro. Der 200er SMA notiert deutlich unter dem Kurs und steigt wieder an. Nächstes Kursziel ist das Hoch vom 01.12.2015 bei 85,50 Euro.
Wie Sie sehen, benötigen Sie für eine Analyse nur ein (kostenloses) Charttool mit Daten, die weit zurückreichen.
Die Trends erkennen Sie, indem Sie die fallenden Hochs für einen Abwärtstrend und die steigenden Tiefs für einen Aufwärtstrend verbinden.
Je nachdem, wie lange diese Trends andauern, können Sie sie als säkulare, primäre, sekundäre oder tertiäre Trends einordnen.
Neben den schrägen Linien sind auch die waagrechten Unterstützungs- und Widerstandslinien wichtig. Diese werden durch signifikante Hochs und Tiefs oder auch Gaps gebildet. Insbesondere die Marken, die in der Vergangenheit häufig getestet wurden, sind relevant. Always look left! Schauen Sie immer nach links im Chart.
Die Wirkung runder Marken wie zum Beispiel 50 Euro oder 100 Euro oder 10.000 Punkte sollten Sie nicht unterschätzen.
Auch ein All-Time-High oder All-Time-Low oder ein noch offenes Gap übt eine gewisse Anziehungskraft aus.
An all diesen Marken liegt eine große Anzahl von Kauf- und Verkaufsorders, die dann den Kurs bewegen.
Auf Indikatoren können Sie bei einer ersten Analyse verzichten. Einzig den 200er SMA können Sie im Tageschart verwenden.
Das ist kein Hexenwerk. Im Prinzip müssen Sie nur zwei Konzepte anwenden: Das Trendkonzept und das von Unterstützung und Widerstand. Sie müssen sich nicht mit komplizierten Indikatoren auseinandersetzen.
So ein Buch zu schreiben braucht ein paar Tage Zeit. Diese Analyse wurde Mitte Januar 2018 geschrieben. Wie steht die Aktie Ende März 2018? Aus fundamentaler Sicht hinzugekommen sind die möglichen Dieselfahrverbote und der Einstieg eines neuen Großaktionärs. Das Ergebnis sehen Sie in Abbildung 9.24.
Abbildung 9.24: Tageschart der Daimler-Aktie Juni 2016 bis März 2018, Chart erstellt mit www.tradesignalonline.de
1.Der Ausbruch über die Widerstandszone bei 73/73,50 Euro, gebildet von Hoch 4 und 5, hat sich im Nachhinein als false breakout herausgestellt, das höhere Hoch 6 wurde ausgebildet.
2.Anschließend ging es wieder abwärts. Das Tief vom 01.12.2017 bei 67,85 Euro hat erst einmal gehalten – aber wenige Tage später ging es dann unter diese Unterstützung und auch unter den 200er SMA.
3.Diese Abwärtsbewegung ab Hoch 6 wird in einem Trendkanal ausgebildet. Dieser kann noch als bullische Flagge interpretiert werden.
4.Noch ist der primäre Aufwärtstrend intakt, aber es muss damit gerechnet werden, dass die Daimler-Aktie das Tief 3 vom 31.07.2017 bei 59,01 Euro zumindest testet.
Was sehen Sie mit diesem Beispiel? Technische Analyse funktioniert – aber um Handelsentscheidungen zu treffen, reicht es nicht aus, eine Aktie alle paar Monate mal zu analysieren. Sie sollten mindestens einmal in der Woche den Chart kontrollieren und Ihre Analyse und gegebenenfalls auch Ihre Orders anpassen. Machen Sie sich Notizen, so können Sie Ihre Ergebnisse schwarz auf weiß überprüfen. Wichtig ist es auch, dass Sie Nachrichten lesen und bewerten. Die Daimler-Aktie »leidet« nicht nur unter den möglichen Dieselfahrverboten, auch der vom amerikanischen Präsidenten angezettelte Handelskrieg kann Spuren in der Bilanz und auch dem Chart hinterlassen. Und noch weiß niemand so richtig, was der neue Großaktionär vorhat.
Beispiel BMW-Stammaktien
Springen Sie zum größten Konkurrenten von Daimler: BMW. In den Abbildungen Abbildung 9.25, Abbildung 9.26 und Abbildung 9.27 sehen Sie drei Charts der BMW-Stammaktien: langfristig von 1992 bis Januar 2018, der Wochenchart von 2013 bis Januar 2018 und der Tageschart von Dezember 2016 bis Januar 2018.
Abbildung 9.25: Langfristiger Linienchart der BMW-Stämme ab 1992, Chart erstellt mit www.comdirect.de
Dieser Chart (Abbildung 9.25) sieht jetzt »komisch« aus, denn die Preisachse ist logarithmisch dargestellt. Sie können sehr gut erkennen, dass ein Verdoppler im Preis immer den gleichen Abstand auf der Preisachse hat. Von 5 Euro auf 10 Euro ist der gleiche Abstand in cm wie von 10 Euro auf 20 Euro.
Abbildung 9.26: Candlestick-Wochenchart der BMW-Stämme von 2013 bis Januar 2018, Chart erstellt mit www.tradesignalonline.de
Abbildung 9.27: Candlestick-Tageschart der BMW-Stämme ab Dezember 2016 bis Januar 2018, Chart erstellt mit www.tradesignalonline.de
Die Analyse der BMW-Stämme – nicht in epischer Tiefe:
Die BMW-Stammaktie befindet sich in einem intakten, säkularen Aufwärtstrend. Der letzte Auflagepunkt stammt von August 2017. Der 200er SMA steigt wieder an und stützt den Kurs von unten. Das Allzeithoch wurde am 17.03.2015 bei 123,75 Euro erreicht. Ein massiver Widerstand notiert um die 91 Euro. Dieser wurde 2017 mehrfach getestet und konnte nicht überwunden werden. Am 16.01.2018 gings dann mit einer Power Candle drüber. Aus dem Widerstand ist nun eine Unterstützung geworden. Das nächste Long-Kursziel liegt beim Hoch vom 01.12.2015 bei 104,85 Euro, gefolgt vom ATH.
Beispiel Volkswagen-Vorzugsaktie
Und noch die drei Charts der Volkswagen-Vorzugsaktie: langfristig von 1997 bis Januar 2018, der Wochenchart von 2015 bis Januar 2018 und der Tageschart von Januar 2017 bis Januar 2018 (siehe Abbildungen 9.28 bis 9.30).
Abbildung 9.28: Langfristiger Chart der VW-Vorzüge ab 1997, Chart erstellt mit www.comdirect.de
Abbildung 9.29: Wochenchart der VW-Vorzüge von Januar 2016 bis Januar 2018, Chart erstellt mit www.tradesignalonline.de
Abbildung 9.30: Tageschart der VW-Vorzüge von Januar 2017 bis Januar 2018, Chart erstellt mit www.tradesignalonline.de
Und auch für die VW-Vorzüge eine kurze Analyse:
Auch die VW-Vorzüge befinden sich fraglos in einem intakten, säkularen Aufwärtstrend. Die Abgas-Affäre hat die Abwärtsbewegung ab dem ATH so richtig beschleunigt. Das Gap, das ausgebildet wurde, wurde erst über zwei Jahre später zugemacht. Der 200er SMA steigt an. An den runden 200 Euro muss mit Widerstand gerechnet werden, aber dann sollte es – mit Korrekturen – Richtung ATH gehen.
Wer gewartet hat bis zum Dieselgate – der hat je Aktie nochmals locker 100 Euro verloren, bevor das Tief dann unter 90 Euro erreicht wurde.
Die VW-Aktie ist nicht erst mit der Abgas-Affäre unter Druck gekommen. Bis dahin hat sie bereits knappe 40 Prozent verloren. Bis zum Tief 2015 waren es dann um die 70 Prozent.
Welcher Autobauer darf’s denn nun sein?
Tabelle 9.1 zeigt die in Kapitel 8 im Rahmen der fundamentalen Analyse erstellte Tabelle inklusive der Erkenntnisse aus der Technischen Analyse.
Kennzahl (2016) |
BMW |
Daimler |
Volkswagen |
Bruttogewinnspanne |
19,9% |
20,9% |
18,9% |
EBIT-Marge |
10% |
8,2% |
3,3% |
Eigenkapitalquote |
25,1% |
22,9% |
22,7% |
KGV (22.01.2018) |
9,1 |
9,5 |
18,2 |
KBV (22.01.2018) |
1,32 |
1,40 |
1,01 |
KCV (22.01.2018 |
19,7 |
21,8 |
10 |
Umsatzrendite |
7,3% |
5,5% |
2,3% |
Dividendenrendite |
4,0% |
4,6% |
1,2% |
Ausschüttungsquote |
33,5% |
40,8% |
20,1% |
Technische Analyse |
BMW-Stämme |
Daimler |
Volkswagen-Vorzüge |
Langfristiger Trend |
aufwärts |
aufwärts |
aufwärts |
Mittelfristiger Trend |
aufwärts |
aufwärts |
aufwärts |
Kurzfristiger Trend |
aufwärts |
aufwärts |
aufwärts |
200er SMA |
steigend |
steigend |
steigend |
Kurs über/unter 200er SMA |
über |
über |
über |
Wie viel Abstand zum 200er SMA? |
11,2% |
10,7% |
22,5% |
Wie viel Abstand zum ATH? |
30% |
47,9% |
39,4% |
Besonderheit |
Fundamental bester der drei betrachteten Autobauer |
höchste Dividendenrendite der drei betrachteten Autobauer |
Der Aktienkurs hat Dieselgate überwunden. Größter Autobauer der Welt. |
Tabelle 9.1: Fundamentale Kennzahlen der drei Autobauer für das Geschäftsjahr 2016, ergänzt um die Ergebnisse der Technischen Analyse (Stand Januar 2018)
Aus Sicht der technischen Analyse sind alle drei betrachteten Autobauer ein Kauf. Die Daimler-Aktie hat bis zum ATH noch den größten Nachholbedarf. Bezogen auf die fundamentalen Kennzahlen steht BMW auf dem Siegertreppchen, flankiert von Daimler auf Platz 2 und VW auf Platz 3. Dividendenjäger sind derzeit besser mit der Daimler-Aktie bedient.
Die Entscheidung für den einen oder anderen Autobauer ist nicht einfach – es gilt Wer die Wahl hat, hat die Qual. Liegt Ihre Priorität bei Dividendenerträgen? Dann ist die Daimler-Aktie die beste Wahl. Bei den anderen fundamentalen Kennzahlen liegt die BMW-Aktie vorne. Das heißt aber im Umkehrschluss, dass die VW Aktie noch großes Potential hat.
Grundsätzlich sollten Sie bedenken, dass an der Börse die Zukunft gehandelt wird. Werfen Sie bitte nochmal einen Blick auf die Wochencharts (Abbildung 9.22, Abbildung 9.26 und Abbildung 9.29). Als hätten es die Marktteilnehmer gewusst, dass da was im Busch ist … alle drei Werte befanden sich bereits in einer kräftigen Abwärtsbewegung, es wurden Kursgewinne mitgenommen, weit bevor VW am 18.09.2015 die Manipulationen öffentlich machte beziehungsweise öffentlich machen musste.
Die Zukunft der deutschen Autobauer ist steinig: Abgasaffäre, Dieselfahrverbote, E-Mobilität und Handelshemmnisse. Wer hier die Nase vorn hat, macht seine Aktionäre glücklich.