Edinburgh verstehen

Das Antlitz der Stadt

Edinburgh zieht Touristen wie ein Magnet an. Aufgrund ihrer einzigartigen Lage und der bewundernswerten Architektur wurden große Teile der Altstadt und Neustadt (hierzu gehören etwa 4500 denkmalgeschützte Gebäude) 1995 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt.

Edinburgh verdankt seine Existenz nicht zuletzt seiner vorteilhaften Lage. Vor etlichen Millionen Jahren entstanden auf dem Areal der heutigen Stadt verschiedene Vulkane, die eine Reihe natürlicher Barrieren bildeten. Auf einem dieser so entstandenen sieben Hügel, dem Castlehill, wurde das Edinburgher Schloss errichtet. Der Hügel war ideal zur Verteidigung geeignet, da er nur von einer Seite zugänglich war (während die anderen drei Seiten als uneinnehmbar galten) und weil er einen guten Ausblick auf das Umland ermöglicht.

Der schottische Nationaldichter Sir Walter Scott nannte Edinburgh mine own romantic town – „meine eigene romantische Stadt“ – denn die Stadt ist umgeben von einer beeindruckenden natürlichen Kulisse. Im Süden sieht man die grünen Erhebungen der Lowlands, die die Stadt einrahmen. Im Norden glitzern die Wasser des Firth of Forth, der hier in die Nordsee mündet. Das Wetter lässt die Szenerie noch dramatischer erscheinen – es beleuchtet die Kulisse mit strahlendem Sonnenschein oder hüllt sie in Wolkenformationen und Nebel.

Der Hausberg Arthur’s Seat bildet die höchste Erhebung, aber auch an anderen Orten in Edinburgh erschließen sich dem Besucher immer wieder neue Panoramen: von mittelalterlichen Gässchen über griechische Säulen bis hin zu origineller moderner Architektur. Quer durch die westliche Stadt fließt der Fluss Water of Leith und im Westen beginnt auch der lange Union Canal, der bei Glasgow in den Clyde mündet und die beiden Städte auch heute noch als Wasserweg verbindet.

Edinburghs zweiter Beiname, Auld Reekie, ist weniger romantisch. Er bedeutet so viel wie „Alte Rauchige“ oder „Alte Verräucherte“. Laut Schriftsteller Robert Louis Stevenson geht der Name auf die viktorianische Zeit zurück. Damals hüllten die Rauchschwaden aus Kohleöfen und Fabrikschloten Edinburgh in eine Dunstglocke ein, sodass man aus der Ferne nur den Schlossberg und Arthur’s Seat herausragen sah.

Erst im 18. Jahrhundert brach man aus den mittelalterlichen Stadtgrenzen heraus. Die klassizistische Neustadt verdiente sich aufgrund ihrer griechisch inspirierten Architektur den Beinamen „Athen des Nordens“. Das neue Gebiet war in erster Linie als Wohnviertel für die wohlhabenden Bürger der Stadt gedacht. Die weniger begüterten Edinburgher mussten noch fast eineinhalb Jahrhunderte warten, bis das Konzept der Sozialwohnungen entwickelt wurde und ihnen in den Vorstädten neue, günstige Unterkünfte zur Verfügung standen. Besonders im Westen, auf den Ausfallstraßen in Richtung Flughafen, reihen sich daher eher charakterlose Vororte aneinander und hierher hat man auch die großen Einkaufszentren und wenige Industrie der Stadt verbannt. Die Gebiete am Ufer des Firth of Forth, die ein großes touristisches Potenzial haben könnten wie zum Beispiel der Stadtteil Portobello, der sogar über einen Badestrand verfügt, hat man lange vernachlässigt.

Nun werden diese Problemgebiete saniert. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Stadtteil Leith. Aus den unansehnlichen Lagerhäusern wurden begehrte Lofts und es haben sich Künstler und feine Gastronomie angesiedelt.

Einer der ehrgeizigsten Pläne Edinburghs, der Bau einer neuen Straßenbahnlinie im Stadtzentrum, kam aufgrund von Unstimmigkeiten zwischen der Managementfirma und den Konstrukteuren immer wieder zum Stillstand. Im Mai 2014 wurde die Edinburgh Tram schließlich mit drei Jahren Verspätung und fast 231 Mio. £ Extrakosten in Betrieb genommen. Statt der geplanten Strecke vom Flughafen bis zum Ocean Terminal in Leith ist die Strecke nur 14 km lang und endet am York Place in der Neustadt. Für eine Verlängerung der Strecke fehlen in den nächsten Jahren die Mittel, daher sind die Baupläne erst einmal auf Eis gelegt. Mit umfangreichen Baumaßnahmen ist in den Folgejahren auf der Princes Street {20} und am St. James Shopping Centre sowie rund um die Scottish National Gallery {21} und die Royal Scottish Academy {22} in den Princes Street Gardens zu rechnen.

Die Neustadt ist das kommerzielle Zentrum der Stadt mit Firmensitzen, Geschäften, Restaurants, Bars, Hotels und Nachtklubs. Die Hauptschlagader ist die Princes Street, mit den angrenzenden Straßen George Street und Queen Street. Nur sehr wohlhabende Menschen können es sich heutzutage leisten, hier zu wohnen. Es gibt wahre Kämpfe um freiwerdende Wohnungen und hierüber sind sogar Fernsehkrimis gedreht worden. Um eine Wohnung in den georgianischen Häusern der Neustadt zu ergattern, sei es zur Miete oder zum Kauf, braucht man außer viel Geld vor allem gute Beziehungen. In den an die Neustadt angrenzenden Stadtteilen wie Stockbridge und Dean, die ebenfalls die begehrte klassizistische Architektur aufweisen, haben Yuppies inzwischen die Studenten und weniger betuchten Einwohner vertrieben.

Alt- und Neustadt werden optisch und räumlich durch die Princes Street Gardens getrennt und durch die North Bridge wieder miteinander vereint. Die North Bridge schlägt eine Achse in die südliche Altstadt, wo sich die renommierte Edinburgher Universität {12} befindet. Von hier aus ging im 18. Jahrhundert das Gedankengut der schottischen Aufklärung nach ganz Europa. Edinburgh war von jeher ein Platz für die „feinere Gesellschaft“ wie Anwälte oder Ärzte. Dies ist auch heute noch so, denn Edinburgh ist das schottische Zentrum des Rechtswesens und hat die größte Anzahl an Anwaltskanzleien im Lande. Die angrenzenden Vororte im Süden – wie das elegante Morningside, Marchmont und Bruntsfield – werden noch heute von der betuchten intellektuellen Elite bevölkert.

Kurz und knapp: Die Stadt in Zahlen

> Gegründet: 1128

> Einwohner: 492.680

> Einwohner/km²: 1844

> Fläche: 264 km²

> Höhe ü. M.: 45–135 m

065ed-kw_DSC02706.tif

Vom Schloss {1} eröffnet sich ein weiter Blick über die Neustadt bis zum Firth of Forth (065ed Abb.: kw)

Von den Anfängen bis zur Gegenwart

Edinburgh hat 492.680 Einwohner und ist die zweitgrößte Stadt Schottlands. Noch bis ins 18. Jh. hinein war sie die größte Stadt in Schottland und Sitz der Monarchen. Bereits um 8500 v. Chr. siedelten Menschen in den Flussebenen am Firth of Forth, im 2. Jh. n. Chr. errichteten die Römer ein Fort im heutigen Stadtteil Crammond. Unter dem keltischen Stamm der Gododdin entstand im 6. Jh. das Fort „Din Eidyn“ auf dem Castle Hill, das 638 von den nach Norden vordringenden Angelsachsen erobert wurde. Daraus wurde später das Edinburgher Schloss.

Stadtgeschichte in Zahlen

1018 Unter Malcolm II. gelangte die von den Angeln beherrschte Region Lothian in schottische Hand.

1128–1130 Der Sohn von Malcolm III., König David I., lässt die Holyrood Abbey errichten und verleiht Edinburgh die Stadtrechte. Der Legende nach war David bei der Jagd im Holyrood Park von einem Hirsch angegriffen worden und konnte sich nur retten, indem er dem Tier ein Kruzifix entgegenhielt. Als Dank für seine Rettung nannte er die Abtei „Holy Rood“, „Heiliges Kreuz“. Im Laufe der Jahre bildete sich um die Abtei herum die Ansiedlung Canongate, das heutige Viertel im Osten der Royal Mile.

1325 Robert the Bruce begründet die schottische Dynastie der Stuarts. Er gibt der Stadt 1327 Nutzungsrechte für den Hafen in Leith.

1437 Edinburgh wird offiziell zur schottischen Hauptstadt. Die Stadtmauer wird errichtet.

1498 James IV. lässt in Holyrood einen zweiten Königspalast ausbauen, den Palace of Holyroodhouse. Dieser diente den Königen und Königinnen der Schotten fortan als Residenz, denn er war moderner und komfortabler als das zugige mittelalterliche Schloss. Die heutige Queen Elizabeth II. residiert zu Beginn des Sommers jeweils eine Woche in Holyrood, um dort Gartenpartys und offizielle Zeremonien abzuhalten.

1560 John Knox erzielt das Reformation Settlement mit Elizabeth I. und Schottland wird protestantisch. Knox begründete die presbyterianische Konfession der Church of Scotland, im schottischen auch „The Kirk“ genannt, die vom Calvinismus beeinflusst war. Dies führte zu einem Konflikt mit der Monarchie der Stuarts, die traditionell katholisch und eng mit dem Königshaus in Frankreich verbunden war.

1561 Mary Stuart, oder auch Mary, Queen of Scots (1542–1587, –>), wird Königin von Frankreich und Schottland. Im Jahr 1561 kehrt sie aus Frankreich nach Schottland zurück und setzt sich mit John Knox über Glaubensfragen auseinander. Sie wird 1567 zur Abdankung gezwungen.

1603 James VI., Marys Sohn, vereint die Kronen Englands und Schottlands. Schottland hat jedoch weiterhin ein selbstständiges Parlament. In Fragen der Religion, Justiz und Bildung war Schottland unabhängig von England, und dies ist bis heute so.

1637 Revolte in der St. Giles Church gegen das von Charles I. eingeführte anglikanische Gebetsbuch. Im Jahr 1638 unterzeichnen schottische Gläubige in der Greyfriars Kirche einen Covenant (Vertrag), der sie direkt mit Gott verbindet und jegliche Autorität von außen ablehnt. Das Gebetsbuch von Charles I. wird als illegal verurteilt.

1642 Der Bürgerkrieg bricht aus. Die Edinburgher Covenanter kämpfen auf der Seite der englischen Rebellen und verhelfen den Revolutionären 1646 zum Sieg.

1689 Die Advocates Library wird gegründet, die den Grundstein für die spätere schottische Nationalbibliothek bildet.

1698 Eine schottische Expedition nach Darien (Panama) scheitert kläglich. In dieses Unterfangen haben auch Edinburgher Kaufleute Unmengen an Geld investiert, da man sich große Gewinne von einer dortigen Kolonie versprach. Die Investoren büßen etwa 500.000 £ ein, was die schottische Wirtschaft fast in den Bankrott treibt.

1701 Durch den Act of Settlement geht die britische Thronfolge auf das Haus Hannover über, da kein Katholik mehr den Thron besteigen darf. Der katholische James III. (The Old Pretender) erklärt sich daraufhin eigenmächtig zum schottischen Thronnachfolger und die Rebellengruppe der Jakobiter entsteht.

1707 Der Act of Union vereint die beiden Parlamente Englands und Schottlands. Dies führt zu politischer Stabilität und wirtschaftlichem Aufschwung. Das schottische Parlament wird aufgelöst und Schottland entsendet Abgeordnete nach London. Erst 1999 erhält Schottland im Rahmen der Politik der Devolution wieder ein eigenes Parlament.

1715 Erster Jakobiteraufstand (The Fifteen). Der Act of Union findet nicht überall Zustimmung. Es kommt zu zwei Aufständen, 1715 unter James III. und 1745 (The Fortyfive) unter Charles Edward Stuart („Bonnie Prince Charlie“, The Young Pretender). In der Schlacht bei Culloden 1746 werden die Jakobiter jedoch endgültig besiegt und die Gefahr ist gebannt. Es kommt zu den Highland Clearances, bei denen die Highlandclans, die die Jakobiter unterstützt hatten, brutal von ihrem Land vertrieben werden. Die traditionelle Kleidung der Highlander (Tartan und Kilt) wird verboten.

1736 Porteous Riots. Ein Lynchmob tötet den Kapitän der Edinburgher Stadtgarde, Porteous. Seit Jahren haben die Schotten viele Waren am Zoll vorbeigeschmuggelt und Steuern einfach nicht gezahlt. In den Jahren 1724/25 führt Premierminister Walpole die Malt Tax ein, die den Bierpreis erheblich in die Höhe treibt. Daraufhin werden Zollbeamte in mehreren Großstädten tätlich angegriffen. Nachdem Porteous öffentlich einige Schmuggler auf dem Grassmarket hinrichten lässt, kommt es zu einer gewalttätigen Revolte. Hierfür wird Porteous im Tolbooth Gefängnis inhaftiert. Allerdings kommt es nicht zu einer Verhandlung, denn er wird von einem Lynchmob aus dem Gefängnis geholt und gehängt.

1767 Der Plan für die Gestaltung der Edinburgher Neustadt, wird von James Craig entworfen. Die zwei Architekten, die das Gesicht der Stadt besonders prägen, sind die britischen Stararchitekten der klassizistischen Periode Robert Adam (1728–1792) und William Henry Playfair (1790–1857). Robert Adams Version des klassizistischen Stils, der italienische, griechische und byzantinische Einflüsse vermischt, wird schnell bei wohlhabenden Briten beliebt. Playfair zeichnet verantwortlich für viele griechisch inspirierte Fassaden wie z. B. das National Monument auf Calton Hill. Die Neustadt wird in verschiedenen Stufen von 1765 bis 1850 fertiggestellt. Um 1820 entsteht – aufgrund der klassizistischen Architektur – der Begriff von Edinburgh als Athen des Nordens.

1772 Die Royal Bank of Scotland wird gegründet. 1728 führt sie die ersten Überziehungskredite der Welt ein.

1820 Typhusepidemien grassieren in den unhygienischen Behausungen in der Edinburgher Altstadt zwischen 1820 und 1839.

1822 George IV. ist der erste britische Monarch seit dem Jahr 1651, der Edinburgh besucht. Sir Walter Scott ist an der Organisation des Besuchs beteiligt und lebt seine keltischen Fantasien aus. Bei den Begrüßungsfeierlichkeiten trägt der Monarch als Zeichen der Versöhnung mit den Schotten einen Kilt.

1829 Der Serienmörder William Burke wird gehängt.

1871 Das erste internationale Rugbymatch wird zwischen England und Schottland am Raeburn Place in Edinburgh ausgetragen.

1890 Die Forth Rail Bridge wird nach sechs Jahren Bauzeit eröffnet.

1913 Der Edinburgher Zoo wird eröffnet.

1914–1918 Im ersten Weltkrieg sterben etwa 150.000 Schotten. 1929 wird zum Andenken an die Gefallenen das Scottish National War Memorial im Edinburgher Schloss eingerichtet.

1919 Der Housing und Town Planning Act führt zur Sanierung der Slums in der Altstadt, beginnend mit der „Ausräumung“ der Altbauten. Die Bewohner werden in Neubauwohnungen in den Randbezirken der Stadt untergebracht und die Altstadt wird unter Denkmalschutz gestellt.

1920 Auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen emigrieren Hunderttausende von Schotten ab Mitte des 19. Jhs. in die Kolonien des britischen Empire, insbesondere nach Kanada.

1934 Die Scottish National Party wird gegründet.

1939 Am 16. Oktober 1939 greift die deutsche Luftwaffe Schiffe der Royal Navy auf dem Firth of Forth an.

1947 Das Edinburgh International Festival (EIF) wird ins Leben gerufen.

1960 Die erste Nierentransplantation in Großbritannien wird erfolgreich in Edinburgh durchgeführt.

1970 Die britischen Commonwealth Games werden in Edinburgh abgehalten.

1980 Die Katakomben Edinburghs werden entdeckt und geöffnet. Zunächst werden sie für Punk- und Rockkonzerte genutzt, später zu einer Besucherattraktion ausgebaut.

1996 Der Stone of Destiny (Krönungsstein) wird von den Engländern an die Edinburgher zurückgegeben.

1997 Das erste geklonte Säugetier, Schaf „Dolly“, wird in Roslin bei Edinburgh „erzeugt“.

1999 292 Jahre nachdem das letzte schottische Parlament aufgelöst wurde, tritt zum ersten Mal wieder ein schottisches Parlament in Edinburgh zusammen. Im Jahr 1997 erfüllt damit die Labour Partei unter Tony Blair das Versprechen, Verantwortungsbereiche der Westminsterregierung wieder an die einzelnen Nationen in Großbritannien zurückzugeben. Edinburgh wird Sitz für die neue schottische Nationalversammlung Scottish Assembly.

2004 Das umstrittene Parlamentsgebäude in Holyrood wird fertiggestellt.

2011 Bei den Parlamentswahlen erlebt die SNP einen Erdrutschsieg und regiert seitdem mit einer absoluten Mehrheit. Auch auf lokaler Ebene ist sie die größte Partei Schottlands.

2014 Im Mai wird die neue Straßenbahn, Edinburgh Tram, mit drei Jahren Verspätung in Betrieb genommen. Die SNP treibt ein Referendum über die schottische Unabhängigkeit voran. Am 18. Sept. entscheidet sich die Mehrheit der Schotten (55 %) dafür, im Verbund des Vereinigten Königreichs zu verbleiben.

2015 Die Forth Rail Bridge wird zum UNESCO-Weltkulturerbe.

2016 Am 23. Juni stimmen 51,9 % der Briten beim Brexit-Referendum für einen Austritt aus der EU, aber 62 % der Schotten möchten in der EU bleiben.

2017 Viele kulturelle Institutionen der Stadt müssen drastische Kürzungen hinnehmen, so z. B. das Edinburgh Fringe Festival, die Festival Theater der Stadt und der Edinburgh UNESCO City of Literature Trust.

Gardez l’eau

In der mittelalterlichen Altstadt von Edinburgh gab es kein Abwassersystem. Die Altbauten hatten alle mehrere Stockwerke und die Menschen, die in den oberen Stockwerken wohnten, schütteten ihre Fäkalien direkt auf die Straße. Wer abends durch Edinburgh wanderte, musste daher oft mit einer nassen Überraschung rechnen. Wer von oben einen solchen Nachttopf ausleerte, rief üblicherweise „Gardyloo“, abgeleitet aus dem Französischen „Gardez l’eau“ – „Achtung Wasser“, sodass wer immer unten unterwegs war, Gelegenheit hatte, sich davonzumachen. Morgens wurden die Fäkalien von städtischen Beamten in den Nor Loch, in den Princes Gardens, hinuntergespült – allerdings nicht samstags, da man den Sabbat streng einhielt.

Leben in der Stadt

Edinburgh, schon früh Sitz der Monarchen und ab 1437 schottische Hauptstadt, war bis ins 18. Jahrhundert hinein die größte Stadt Schottlands. Nach der Vereinigung der Nationen England und Schottland im Jahr 1707 verlor sie jedoch an Bedeutung. Edinburgh blieb zwar das Zentrum der Justiz und der Verwaltung, allerdings ohne wirkliche politische Macht, denn man unterstand der Zentralverwaltung in London. Im Jahr 1999 trat nach mehr als 200 Jahren zum ersten Mal wieder ein schottisches Parlament in Edinburgh zusammen, sodass man den Titel „Hauptstadt“ wieder zu Recht tragen durfte. Heute gehört Edinburgh zu den herausragenden europäischen Metropolen. Die Einwohner sind wohlhabend, die hier ansässigen Berufszweige und Industrien sind modern, die Stadt lebt zwar von, aber nicht nur für die Touristen. Man schaut nach Süden, nach London, dessen Modell einer kosmopolitischen, jungen, weltoffenen und multikulturellen Stadt man gerne nachahmen möchte.

Die Rückgabe des Rechtes zur Selbstverwaltung an Schottland durch die britische Regierung erfüllte für viele Schotten ein jahrhundertelanges Sehnen nach größerer Unabhängigkeit von der Union.

Die völlige Autonomie Schottlands gehört zu den erklärten Zielen der regierenden Scottish National Party (SNP). Im Einvernehmen mit London initiierte die Partei für den 18.9.2014 eine Volksbefragung über den Austritt aus dem Vereinigten Königreich. Befürworter („Yes“ Campaign) und Gegner („No“ Campaign) kämpften fast ein Jahr lang erbittert um Wähler. Schließlich entschieden sich 55 % der Schotten gegen den Austritt. Nach der Bekanntgabe des Ergebnisses trat der First Minister Alex Salmond zurück, seine Nachfolgerin wurde Nicola Sturgeon, die jetzige Vorsitzende der SNP. Zu den Gründen für die Entscheidung gehörten sicher offene Fragen über die wirtschaftliche Zukunft Schottlands. Momentan sieht sich das Land mit einem Haushaltsdefizit von 15 Mrd. £ konfrontiert. 2014/2015 waren die Ausgaben pro Person, z. B. für Sozialleistungen, höher als die Einnahmen, etwa durch Steuern. Gleichzeitig befindet sich die wichtigste Einnahmequelle Schottlands, die Ölindustrie in der Nordsee, aufgrund des starken Verfalls des Ölpreises im Niedergang. Die Einkünfte gingen 2014/2015 um 54 % zurück und niemand weiß, ob Nordseeöl überhaupt eine Zukunft hat. Die Regierung in Westminster kündigte 2014 zwar an, dass Schottland noch größere Autonomierechte erhalten soll. Inzwischen hat jedoch das Referendum zum Brexit, dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU, neue Fakten geschaffen. Da die Schotten mehrheitlich für den Verbleib in der EU stimmten, hat Nicola Sturgeon die Diskussion über ein neues schottisches Unabhängigkeitsreferendum angefacht. Nach dem Austritt gehen alle Zuständigkeiten, die momentan auf EU-Ebene geregelt werden, auf die Regierung in Westminster zurück. Die Schotten befürchten dadurch eine Beschneidung ihrer Autonomie.

Mit ca. 500.000 Einwohnern ist Edinburgh nach Glasgow die zweitgrößte Stadt Schottlands. Im 19. und 20. Jahrhundert fanden zwar die wichtigsten Veränderungen und das größte wirtschaftliche Wachstum in der Nachbarstadt Glasgow statt. Mit dem Niedergang der traditionellen Industrien wie Schiffsbau und Stahlverarbeitung gegen Mitte und Ende des 20. Jahrhunderts geriet Glasgow jedoch auf das Abstellgleis, während die Sektoren der Dienstleistungsbranchen in Edinburgh große Erfolge verbuchen konnten. Etwa 12 % aller Beschäftigten in Edinburgh arbeiten in und für die Tourismusindustrie und die Branche erwirtschaftet etwa 2 Milliarden Pfund pro Jahr für die Stadt. Obwohl Edinburgh nur etwa 18 % des schottischen Bruttosozialproduktes erarbeitet (Glasgow etwa 33 %), geht es den Edinburghern heute (trotz Krise) wirtschaftlich besser als den Glasgower Nachbarn.

Eine grundlegende Rivalität mit Glasgow, das nur ca. 80 km weiter im Westen liegt, bleibt bestehen und beide Städte definieren sich gerne als Gegensatz zueinander. Edinburgh hat die klassizistische Architektur, Glasgow hat den Jugendstil. Museen, Galerien und kulturelles Leben gibt es in beiden Städten und das Glasgower Nachtleben ist von jeher schillernd und vielfältig. So befinden sich beide Städte ständig im Wettstreit darum, wer innerhalb Schottlands und auf internationaler Ebene das größere Gewicht hat. Edinburgher sehen den Nachbarn Glasgow als einen Ort der religiös gefärbten Konflikte, der Engstirnigkeit der alten Arbeiterklasse und als Synonym für die schlechte Ernährungsweise, die man den Schotten nachsagt. Ein Bewohner Glasgows hingegen sieht den Edinburgher als Snob, reserviert und hochmütig, der sich selbst viel zu ernst nimmt.

Der „City Worker“, ein sogenannter Suit („Anzug“), der in der Neustadt arbeitet, relativ wohlhabend ist und seine Wochenenden in den eleganten Bars und Restaurants der Stadt verbringt, wird dem Vorurteil des „Edinburgher Snobs“ scheinbar gerecht. Allerdings gibt es nicht nur wohlhabende Edinburgher, die in einem der angesagten Vororte wie Stockbridge oder dem eleganten Morningside wohnen. Wie jede Großstadt hat auch Edinburgh Schattenseiten. Nicht erst seit dem Erfolg der Romane von Irvine Welsh und Ian Rankin, die in der Drogenszene und der delinquenten Unterwelt von Edinburgh spielen, wird ein Aspekt der Stadt wahrgenommen, den man lieber verleugnen möchte: Auch hier gibt es Kriminalität, Drogen, Armut und Fremdenhass.

Die Spannungen zwischen Alt und Neu, Arm und Reich in Edinburgh offenbaren sich erst, wenn man tiefer in das Wesen der Stadt eintaucht und auch weniger betuchte Vororte wie Craigmillar und Muirhouse erkundet. Neben glitzernden, trendigen Bars, die sich mit denen in London messen können, gibt es auf der anderen Seite altmodische Pubs und Etablissements, die sich weigern, sich der jungen modernen Klientel anzupassen.

Nicht zuletzt wird Edinburgh von den Studenten der vier Universitäten – University of Edinburgh, Napier University, Heriott Watt University und Queen Margaret University – geprägt. Sie kommen zum großen Teil aus dem Ausland. Auch während des Festivals kommen Besucher aus aller Herren Länder nach Edinburgh und Gastronomie, Nachtleben und Kultur strahlen ganzjährig kosmopolitisches Flair aus. Im Vergleich zu London oder Birmingham gibt es jedoch nur eine kleine Anzahl an Einwohnern ethnischer Minderheiten. Die Einwanderung aus Asien, Nordamerika und Afrika ist rückläufig. Dafür stammten 2016 von 35.500 Einwanderern 71 % aus europäischen Ländern, meist aus Spanien, Polen, Italien, Deutschland, Frankreich, Rumänien und Griechenland. Dies mag zum Teil damit zu tun haben, dass zwar viele Besucher, Studenten und Saisonarbeiter die Demografie der Stadt kurzzeitig verändern, sich jedoch nicht dauerhaft niederlassen. Viele Saisonarbeiter bleiben nur kurz Zeit, um in der Gastronomie und Hotelindustrie zu arbeiten.

Unbestritten ist das Edinburgher Festival eines der größten Kulturereignisse der Welt, zieht Hunderttausende von Besuchern an und ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Es wächst jedes Jahr und droht, die Stadt zur Festivalsaison aus allen Nähten platzen zu lassen.

Edinburgh ist jedoch das ganze Jahr auf Touristen eingestellt und neben London die meistbesuchte Stadt Großbritanniens. Amerikaner gehen hier auf die Suche nach ihren schottischen Ahnen. Bei den Briten ist Edinburgh vor allem ein beliebtes Ziel für einen Kurztrip. 40 Millionen Tagesreisen werden alleine von Gästen aus Schottland und England jährlich hierhin unternommen. 67 % aller Touristen kommen jedoch aus dem Ausland, allen voran aus Deutschland, den USA und Frankreich. In Edinburgh kauft man ein, besucht eine kulturelle Veranstaltung oder geht schick aus. Außerdem findet hier jedes Jahr der größte Wettbewerb des Rugbysports in Europa, das Six Nations Championship, im Murrayfield Stadium (–>) statt. Aufgrund des permanenten Touristenstroms (jährlich ca. 4,01 Mio.) können Unterkünfte knapp werden. Obwohl es zahlreiche Hotelbetten, B&Bs, Pensionen und Mietwohnungen gibt, haben die meisten davon Auslastungsraten von 80 % über das Jahr hinweg.

Die Touristen haben natürlich auch Auswirkungen auf das Leben in der Stadt, insbesondere auf die Hauptattraktion Royal Mile. Hier regiert das Schottenkaro und es wird keine Gelegenheit versäumt, die Touristen mit immer neuen „schottischen“ Geschenkideen anzulocken. Die Royal Mile ähnelt fast einem Themenpark, in dem Gestalten in „waschechten“ Kilts Dudelsack spielen und wo man sehen kann, wie „Braveheart“ sein Schwert schwingt. Viele junge Edinburgher lehnen sich gegen die Verniedlichung der Stadt durch die schottische Mythologie auf und betonen, dass Edinburgh eine moderne, kultivierte und schicke Stadt ist, die mit beiden Beinen im 21. Jahrhundert steht. Allerdings hat man auch erkannt, dass das touristische Treiben für das wirtschaftliche Wohl der Stadt unabdingbar ist. Stadtteile wie Leith, Stockbridge oder Bruntsfield gehören eher zu den touristenfreien Zonen.

Rugby – der Six Nations Cup, Murrayfield Stadion

Der Six Nations Cup besteht aus einer Abfolge von Rugbyspielen, die zwischen den sechs Nationen England, Schottland, Frankreich, Wales, Irland und Italien ausgetragen werden. Die Spiele der schottischen Mannschaft finden im Edinburgher Murrayfield Stadion statt.

„Rugby Football“ hatte seinen Ursprung in der Mitte des 19. Jahrhunderts in den Privatschulen Englands und breitete sich von dort aus schnell auf Wales und Schottland aus. Im Jahr 1854 machten die zwei Studenten Francis und Alexander Crombie das Spiel in Schottland populär. Sie gründeten das erste Rugbyteam der Edinburgher Universität. Bis 1873 entstanden noch weitere Mannschaften an anderen Universitäten, sodass man eine Liga beginnen konnte. Die Scottish Rugby Union wurde gegründet, die sich fortan um die Organisation der Spiele kümmerte.

Bald darauf hatte Schottland eine Nationalmannschaft, die es mit England aufnehmen konnte, und die erste Begegnung war bei den ersten sogenannten „Internationals“ (Internationale Spiele) im Jahr 1879 am Raeburn Place in Edinburgh. Dieses Turnier gilt als der älteste Rugbywettkampf und wird immer noch jedes Jahr zwischen England und Schottland ausgetragen. Der Gewinner bekommt den „Calcutta Cup“. Im Jahr 1883 kamen Wales, Irland, Schottland und England in einer Reihe von Spielen zusammen, die man das Home Nations Championship nannte. Im Jahr 1910 stieß Frankreich hinzu und der Wettkampf wurde unter den Five Nations ausgefochten. Schließlich komplettierte Italien den Bund und man sprach fortan von den Six Nations.

Genau genommen gehören Wales und Schottland in den Bund mit Großbritannien und sind zumindest verwaltungstechnisch keine eigenständigen Nationen. Im Sport allerdings stellt jedes Land sein eigenes Team.

Zwischen Februar und März finden zahlreiche Spiele zwischen den Nationen statt. Wenn eines der Länder England, Schottland, Wales oder Irland alle anderen britischen Länder (Home Nations) besiegt, gewinnt es die „Triple Crown“ (dreifache Krone). Wenn zusätzlich eines der anderen beiden Teams, d. h. Frankreich oder Italien, geschlagen wird, gewinnt das jeweilige Siegerteam den Grand Slam.

Das Murrayfield Stadion wurde am 21. März 1925 eröffnet und hat eine Kapazität von 67.500 Zuschauern. Es ist nach dem Stadtteil benannt, in dem es liegt – nicht weit vom Zoo (–>). Im Stadion finden außer Rugby auch andere Veranstaltungen sowie Rock- und Popkonzerte statt. An veranstaltungsfreien Tagen werden Führungen angeboten.

An Spieltagen während des Six Nations Cup im Februar und März kann es in der Stadt sehr voll werden. Wer keine Eintrittskarten ergattern kann, kann sich die Spiele in einem der vielen Pubs der Stadt anschauen, die die Veranstaltungen auf großen Bildschirmen übertragen. Es ist ein beliebter Freizeitsport, in einem Pub zusammenzukommen, der die richtige Atmosphäre für den „Männersport“ hat.

<118> Murrayfield Stadium, Roseburn Street, EH12 5PJ, Tel. 0131 3465160, www.scottishrugby.org/bt-murrayfield-stadium, Anreise: Bus Nr. 12, 26 und 31 von Princes St., Führungen: Mo.–Sa. 11 Uhr, Erw. 10 £, erm. 7 £, Kinder 5 £

> Six Nations Cup, www.rbs6nations.com

Edinburgh – die Festivalstadt

Jedes Jahr im August verwandelt sich Edinburgh in eine riesige Bühne. Das Edinburgh Festival hat sich über die Jahre hinweg zu einem der größten Kulturfestivals in der Welt entwickelt und etwa vier Millionen Besucher kommen jährlich zu den Veranstaltungen, die hier stattfinden. Dann fällt die ganze Stadt in einen Festivaltaumel und Ströme von Besuchern ziehen durch die Straßen.

Von Ende Juli bis Anfang September finden sieben verschiedene Veranstaltungen mehr oder weniger parallel statt: das Edinburgh International Festival (EIF), Edinburgh Military Tattoo, Edinburgh Festival Fringe (Fringe), Edinburgh International Book Festival, Edinburgh Mela, Edinburgh Jazz and Blues Festival und das Edinburgh Film Festival. In jüngerer Zeit gesellte sich noch das Edinburgh Art Festival hinzu.

Mit am bekanntesten und schillerndsten ist das Fringe Festival, das jedes Jahr die meisten Touristen in die Stadt lockt. Im Rahmen dieser Veranstaltung findet Theater nicht nur in den dafür vorgesehenen Veranstaltungsorten statt, sondern auch auf der Straße. In und um die Royal Mile zeigen Künstler Ausschnitte aus ihren Produktionen, um damit Publikum für die Vorstellungen anzulocken. Wer möchte, kann auf diese Art den ganzen Tag auf der Royal Mile verbringen und sich mit Flugblättern oder kostenlosen gimmicks (kleinen Geschenken oder Freikarten) eindecken und die besondere Atmosphäre aufsaugen.

Immer wieder wird man auch zu kostenlosen Comedyvorstellungen eingeladen. Darbietungen finden den ganzen Tag und an den unterschiedlichsten Orten statt. Die große Nachfrage von Künstlern nach Auftrittsmöglichkeiten hat dazu geführt, dass Bartheken, Versammlungsräume in Kirchen oder private Garagen zu Bühnen umgewandelt werden, ja angeblich wurden sogar öffentliche Telefonzellen und Kofferräume von Bussen schon als improvisierte Theaterkulisse benutzt. Der Radius, in dem sich das Festival abspielt, reicht inzwischen bis weit über die City hinaus.

Die Veranstaltungsorte (Fringe Venues) sind alle nummeriert, ihre Nummer ist üblicherweise außen am Eingang angebracht. Meist treten mehrere Künstler hintereinander in denselben Räumen auf, weshalb sich der Weg auch zu entlegeneren Veranstaltungen lohnt, da man gleich mehrere Darbietungen sehen kann. Fast jedes Jahr werden neue Veranstaltungsrekorde aufgestellt. Im Jahr 2017 wurden 3398 unterschiedliche Shows mit insgesamt 53.232 Auftritten an 320 Veranstaltungsorten aufgeführt. Comedyveranstaltungen haben den größten Anteil, dicht gefolgt von Theaterstücken. Außerdem finden Musikaufführungen, Tanz, Kindertheater und Ausstellungen ebenso wie Workshops und andere Events statt.

Alles begann mit dem Edinburgh International Festival (EIF), das im Jahr 1947 ins Leben gerufen wurde. Das Ziel des International Festival war es, den kulturellen Austausch zwischen den europäischen Ländern zu fördern. Der Schwerpunkt des EIF lag und liegt auf Darbietungen klassischer Kunst wie Konzerten, Oper, Ballett und Sprechtheater. Sehr schnell zog das Festival renommierte Künstler an. Unter anderem traten bereits in den ersten Jahren des Festivals die New Yorker Philharmoniker (1951), Yehudi Menuhin (1954) und die Berliner Philharmoniker unter Herbert von Karajan (1961) hier auf. 2017 standen z. B. Inszenierungen von Wagners „Walküre“ (Royal Scottish National Orchestra), Mozarts „Don Giovanni“ (Budapest Festival Orchestra), Monteverdis „Orfeo“ (English Baroque Soloists) auf dem Programm. Das EIF hat seinen Sitz im Festivalbüro The Hub {5} auf der Royal Mile. Hier erhält man einen Überblick über alle verfügbaren Tickets, auch für das Edinburgh Jazz & Blues Festival sowie Edinburgh Mela.

In den ersten Jahren des Festivals gab es ein wachsendes Interesse von schottischen Theatergruppen und Musikern, die nicht in den Rahmen des klassischen Festivals passten und eine Plattform suchten, aber wenig Geld und keine Sponsoren hatten. Sie folgten dem Ruf des Festivals in die Stadt und so entstand ein Randfestival, das sogenannte Fringe, das über die Jahre hinweg ein Eigenleben und seine eigene Organisation entwickelte. Ein provisorisches Büro für das Fringe wurde damals in der Edinburgher Universität eingerichtet. Hier wurden preiswerte Unterkünfte vermittelt und warme Mahlzeiten angeboten. Ab 1955 gab es eine offizielle Verkaufsstelle für Fringe-Tickets und ein Festival-Café. 1958 entstand die Fringe Society, die zum ersten Mal Programme veröffentlichte. Das Credo der Fringe Society ist die künstlerische Freiheit, d. h. die Gesellschaft übt keine Auswahl nach Qualität oder Quantität von Künstlern aus. Jeder der auftreten will und einen Veranstaltungsort finden kann, darf es probieren. Die Gesellschaft, die inzwischen Wohltätigkeitsstatus erlangt hat, fungiert lediglich als Vermittler von Veranstaltungsorten, organisiert den Ticketverkauf und stellt ein Programmheft her. Man baut vor allem auf den Enthusiasmus der darstellenden Künstler, denn noch heute erhält kaum ein Fringekünstler ein Honorar. Von den eingenommenen Eintrittsgeldern versucht man die Unkosten für den Aufenthalt, die Produktion der eigenen Kunst und die Anmietung des Veranstaltungsraumes so gut wie möglich zu decken. Amateurgruppen oder Neulinge der Szene finanzieren nicht nur die Produktionen, sondern auch ihre Anreise, Unterkunft und Verpflegung selbst. Einige lassen ihre normale Berufstätigkeit für vier Wochen ruhen, nehmen ihren Jahresurlaub und verprassen auf diese Weise ihr mühsam Gespartes. Ob einem die Darbietungen gefallen oder nicht, man muss den Künstlern schon alleine hierfür einen gewissen Respekt zollen. Nur wenige werden mit dem ganz großen Erfolg belohnt, finden Erwähnung in den Medien oder werden von Produzenten entdeckt und unter Vertrag genommen.

Die fehlende Qualitätskontrolle führt dazu, dass die Spanne von interessanten und bahnbrechenden Neuproduktionen leider auch zu quasi unerträglichen Amateurproduktionen reicht. Allerdings gibt es auch Vorteile: Innovatives und experimentelles Theater findet hier eine Plattform und ein Publikum, zu dem es in der herkömmlichen Theaterlandschaft keinen Zugang hätte. Das Fringe hat eine kreative Atmosphäre, die so auf der Welt einzigartig ist (obwohl vielfach versucht wurde, das Konzept zu imitieren, z. B. in den USA und Australien). Das Fringe ist vor allem für Comedykünstler ein Einstieg. So traten z. B. bereits John Cleese und Graham Chapman, die Mitglieder der Monty Python Truppe, auf. Aber auch Größen der Theaterlandschaft wie z. B. der Regisseur Trevor Nunn fanden hier ihren Einstieg in die Karriere. 1969 wurde Tom Stoppards „Rosencrantz and Guildenstern are Dead“ hier uraufgeführt und auch einige andere Produktionen schafften es von Edinburgh direkt bis auf die Bühnen des Londoner Westends. Die wichtigsten Adressen für zeitgenössisches Theater sind das Traverse Theatre (–>) und die Usher Hall (–>).

Mindestens ebenso wichtig wie die Teilnahme ist das Sehen und Gesehen werden, und die Chance, wichtige Kontakte zu knüpfen. Was in der britischen Comedywelt Rang und Namen hat, lässt es sich daher nicht nehmen, hier jedes Jahr wieder aufzutreten. Comedy sieht man vor allem in den Veranstaltungsorten Gilded Balloon/Udderbelly, Pleasance Courtyard und Assembly Rooms. Alle diese Orte haben gleich mehrere Bühnen sowie Bars und Cafés – der Gilded Balloon kann sogar einen Nachtklub vorweisen, wo man den ein oder anderen Prominenten sichten kann.

Wer seinen Besuch gut organisieren und die Festivalzeit optimal nutzen will, der kann bereits ab Mai auf der Website des Fringe Festivalbüros (www.edfringe.com) nähere Infos finden. Das endgültige Programm wird meist Anfang/Mitte Juni veröffentlicht (auch online zum Download) und dann beginnt auch der Kartenvorverkauf. Die Eintrittspreise reichen von 7 bis 22 £, preiswerte Tickets erhält man z. B. am Eröffnungswochenende oder durch die Künstler selbst, die mit Freikarten Zuschauer anwerben. Man sollte so früh wie möglich buchen, da die Tickets sehr begehrt sind und man sonst nur noch auf eine Warteliste kommt. Allerdings zeichnen sich teilweise auch erst während des Festivals bestimmte Publikumsrenner ab. Das Fringe Festivalbüro veröffentlicht einen Daily Guide, aus dem ersichtlich ist, für welche Vorstellungen noch Karten erhältlich sind. Kritiken und Kommentare zu den Vorstellungen findet man in den großen Tageszeitungen wie z. B. The Scotsman, Edinburgh Evening News, The Herald oder ihren Onlineausgaben.

Der Fringe Sunday, der jeweils am zweiten Sonntag nach Beginn des Festivals open air in den Meadowsstattfindet, ist ein riesiges Volksfest mit vielen Darbietungen wie Akrobatik und Kindertheater.

Fast jedes der Festivals vergibt einen oder mehrere Preise (Awards). So wird der Fringe First Award von der Zeitung The Scotsman für neue Theaterstücke vergeben. Während des Filmfestivals wird eine Reihe von Filmpreisen vergeben, die vom UK Film Council gefördert sind. Einer der renommiertesten und bekanntesten Preise ist sicher der ehemalige Perrier Award, heute der Edinburgh Comedy Award oder kurz Eddies (sozusagen der „Edinburgher Oscar“). Dieser Preis wird seit 1981 für den besten Newcomer der Comedyszene in den drei Kategorien Kensington Prize, Gloucester Prize und Brompton Prize vergeben.

> Infos zu allen Festivals: www.edinburghfestivalcity.com

{5} [F8] The Hub. Verwaltungsbüro für das International Festival, www.thehub-edinburgh.com/hub-tickets, www.eif.co.uk

<119> [F8] Edinburgh Festival Fringe, 180 High Street, EH1 1QS, Tel. 0131 2260000/2260026, www.edfringe.com. Verwaltungsbüro und Theaterkasse für das Fringe Festival.

Wichtige Veranstaltungsorte

<120> [E8] Assembly Roxy, 2 Roxburgh Place, Edinburgh EH8 9SU, Tel. 0131 6233030 oder 3000, www.assemblyroxy.com, Theaterkasse: August tägl. Mo.–Fr. 10–16 Uhr, Vorstellungen von 9 bis 22 Uhr. Vorwiegend Comedyveranstaltungen.

<121> [G7] Gilded Balloon, 25 Greenside Place, Edinburgh EH1 3AA, Tel. 0131 6226555, www.gildedballoon.co.uk, Theaterkasse: August: Mo.–Fr. 10–16 Uhr, Vorstellungen von 9 bis 22 Uhr täglich. Einer der Hauptveranstaltungsorte für Comedy mit verschiedenen Bühnen und Bars.

<122> [G9] Pleasance Courtyard Edinburgh (nur August), 60 Pleasance, EH8 9TJ, www.pleasance.co.uk, Tel. 0131 5566550 oder 5561513. Theaterkasse: tägl. 10–24 Uhr. Das Pleasance Theatre residiert in London im Stadtteil Islington und verlagert im August seinen Sitz nach Edinburgh. Es ist einer der wichtigsten Comedyveranstalter des Festivals. Im Pleasance Courtyard befinden sich mehrere Bühnen sowie ein Informationsbüro.

<123> [F9] Udderbelly, Cowgate, Bristo Square, südl. Altstadt, EH1 1JR, Tel. 0844 5458282, www.udderbelly.co.uk, Theaterkasse: Aug. tägl. 10–1 Uhr. Udderbelly ist ein aufblasbares Zelt in Form einer umgedrehten lila Kuh. Während des Festivals wird es normalerweise auf dem Platz direkt vor dem Gilded Balloon aufgebaut. Hier gibt es Comedyvorstellungen und abends Disco. Weiterer Veranstaltungsort in den George Square Gardens.