8 Karriere machen: So zeigen Sie Biss im Beruf

In diesem Kapitel erfahren Sie …

warum Bescheidenheit der größte Karrierekiller der Welt ist,

warum Titel viel wichtiger sind, als nette Menschen sie nehmen,

was Sie tun können, wenn Ihnen jemand eine Idee klaut und

in welchen sieben Job-Situationen Sie Ihre Nettigkeit ablegen und klare Kante zeigen sollten.

Warum Bescheidenheit Ihren Erfolg verbaut

Was passiert, wenn Studierende nach einer Klausur vor die Gruppe treten und ihre Note einschätzen sollen: Fallen die Prognosen realistisch aus? Werden die Noten schöngeredet? Oder zu schlecht eingeschätzt?

Und nun stellen Sie sich weiter vor, dass die Studierenden neben der öffentlichen Schätzung eine geheime Prognose auf einem Zettel abgeben. Glauben Sie, die notierte Note stimmt mit der öffentlichen Schätzung überein? Oder weicht sie ab? Wenn ja, in welche Richtung: nach oben oder nach unten?

Dieses wissenschaftliche Experiment ergab: Auffallend viele männliche Studenten gaben öffentlich eine schmeichelhafte Prognose ab, zum Beispiel sagten sie sich die Note Zwei voraus. Dagegen schrieben sie auf den Zettel eine Drei. Umgekehrt die meisten Frauen: Sie schätzten sich öffentlich schlechter ein. Wer meinte, eine Eins geschrieben zu haben, sagte sich vor der Gruppe zum Beispiel nur eine Zwei voraus. 80

Dass jemand seine Leistung für die Öffentlichkeit frisiert, leuchtet ein: Er möchte der Gruppe imponieren und sich keine Blöße geben. Aber warum wertet jemand seine Leistung ab?

Die Erklärung hat mit dem Nettsein in der Muttermilch zu tun, das Mädchen in noch größerer Dosis als Jungs verabreicht wird, und lautet etwa so: »Ich wollte verhindern, dass diejenigen, die ihre Prüfung verhauen haben, sich schlecht fühlen. Außerdem hätte eine gute Prognose als Prahlerei rüberkommen können. Und was, wenn mein Ergebnis am Ende schlechter ausgefallen wäre? Dann hätten sich einige ins Fäustchen gelacht.«

In dieser Begründung finden Sie zwei Risiken, die netten Menschen, auch Männern, den beruflichen Erfolg erschweren:

1. Unsymmetrische Empathie

Wer Rücksicht auf andere nimmt, ohne dass die Rücksicht auf ihn nehmen, verliert an Boden. Während die Studentinnen aus Feingefühl ihre guten Noten schlechtreden, reden ihre Kommilitonen aus Geltungsbedürfnis ihre schlechten Noten gut. Das führt zu einer doppelten Verzerrung. Eine Studentin, die ihre erwartete 2,0 um eine Note senkt, wird von der Gruppe mit 3,0 wahrgenommen. Ein Student, der seine erwartete 3,5 um eine Note aufrundet, präsentiert sich mit 2,5. Plötzlich liegt der Student nicht mehr 1,5 Notenpunkte zurück – sondern um 0,5 Notenpunkte vorne.

Dieses Verhalten hat auch mit den Geschlechterrollen zu tun: Noch immer werden Söhne von ihren Eltern stärker ermutigt, für ihre Interessen zu kämpfen und Farbe zu bekennen. Mädchen dagegen werden eher erzogen zu einem damenhaften Verhalten, zu Bescheidenheit und Schüchternheit. 81

Bei dieser Prüfung kamen die Untertreiberinnen glimpflich davon: Ihre Klausuren wurden von Professoren bewertet, nach objektiven Kriterien. Aber nach welchen Maßstäben wird Erfolg in der Arbeitswelt beurteilt? Zum Beispiel:

Nach welchen Kriterien bemisst sich der Wert einer Idee, die jemand beim Meeting vorbringt?

Mit welchen objektiven Maßstäben lässt sich kontrollieren, ob ein Bewerber für einen Job wirklich geeignet ist (oder nur so tut, als ob)?

Welche Parameter verraten, ob ein Projekt wirklich ein Erfolg war?

Nach welchem neutralen Punktesystem lässt sich beurteilen, ob jemand eine Gehaltserhöhung verdient hat oder nicht?

Wie lässt sich die Qualität eines Kundengespräches bis hinters Komma benoten?

Die Wahrheit ist: Beruflicher Erfolg basiert nicht auf Fakten, sondern auf subjektiven Eindrücken. Entscheidend ist, was im Wahrnehmungs-Filter Ihres Chefs hängenbleibt – im Zweifel das, was am besten zu seinem Bild von Ihnen passt. 82 Beruflicher Erfolg speist sich nicht aus der erbrachten, sondern aus der präsentierten Leistung, aus dem Bild, das Sie erzeugen. Die eigentliche Leistung macht nur einen Bruchteil aus – alles andere hängt davon ab, wie gut Sie sich verkaufen und wie gut Ihre Kontakte zu den Entscheidern sind. 83

Selbst-PR schlägt Fleiß, Vitamin B kommt vor Qualifikation. Falls Sie sich immer schon gefragt haben, wie einige Schaumschläger in Ihrer Firma aufgestiegen sind – jetzt wissen Sie’s!

Viele Führungskräfte sind im Alltag so eingespannt, dass sie ihren Mitarbeitern nur selten über die Schulter schauen. Die meisten Arbeitsergebnisse kennen sie nur vom Hörensagen – umso mehr, je größer eine Firma ist. Ob jemand als Leistungsträger gilt, hängt davon ab, wie er über seine Arbeit spricht. Erfolgsmeldungen erzeugen Erfolge. Als hätten die Professoren gesagt: »Wozu die Klausuren noch durchsehen? Wir richten uns nach der Selbsteinschätzung der Studierenden!«

Deshalb bleiben nette Menschen im Karriererennen so oft auf der Strecke: weil sie sich zurücknehmen, weil sie ihre Leistung untertreiben, weil sie niemanden einschüchtern wollen.

Gerade neulich hat mir die Projektmitarbeiterin Anett Belchen (34) berichtet, sie habe sich in einer großen Sitzungsrunde über einen schlecht vorbereiteten Kollegen aufgeregt: »Der hat reihenweise mit falschen Zahlen operiert. Aber korrigiert habe ich ihn nicht. Das hätte ihn ja öffentlich bloßgestellt.« Sie ließ die Chance, mit ihrer Expertise zu glänzen, ungenutzt verstreichen. Sie schonte einen Kollegen, der es aufgrund seiner schlechten Vorbereitung nicht verdient hatte – und der sie im umgekehrten Fall wohl lauthals korrigiert und sich auf ihre Kosten profiliert hätte.

Wieder eine doppelte Verzerrung: Der Kollege stand unverdient gut da. Und Anett Belchen unverdient schlecht, denn sie glänzte nicht durch eine fachkundige Korrektur, sondern machte sich durch ihr Schweigen unsichtbar. Raten Sie mal, welches Verhalten bei Vorgesetzten eher Pluspunkte bringt.

2. Bescheidenheit aus Selbstzweifel

Können Sie nachempfinden, wie unangenehm es den Studentinnen gewesen wäre, sich eine 1,5 vorherzusagen, dann aber nur eine 2,0 zu bekommen? Neigen auch Sie zu übertrieben vorsichtigen Prognosen, um niemanden zu enttäuschen? Im Berufsleben kann das bedeuten:

Sie sagen den Abschluss eines Projektes »bis Ende der Woche« zu – auch wenn Sie guter Dinge sind, es schon bis Mittwoch zu schaffen.

Sie geben Ihre Umsatzprognose auf dem Niveau des Vorjahres ab – auch wenn Sie sich zutrauen, eine Steigerung um fünf Prozent zu schaffen.

Sie weisen Ihren Chef, wenn Sie eine Arbeit abgeben, auf mögliche Mängel hin (»Es ist wirklich noch nicht perfekt!«) – auch wenn Sie Ihre Leistung für recht ordentlich halten.

Dieser unrealistische Pessimismus soll den Erwartungsdruck mindern. Wenn der Chef mit dem Projekt bis Mittwoch kalkuliert, aber es wird erst Donnerstag fertig, könnte ihn das verärgern. Nette Menschen wollen niemanden enttäuschen. Sie legen die Latte niedrig, um sie deutlicher zu überspringen.

Dabei bremsen sie sich oft selber aus. Wenn ihre positive innere Stimme sagt: »Du schaffst das Projekt bis Mittwoch«, antwortet der Mauli sofort: »Träum weiter! Es tauchen doch jedes Mal unvorhergesehene Schwierigkeiten auf. Und dann bist du mit deiner Großmaul-Prognose erledigt.«

Und nette Menschen wollen niemandem auf die Füße treten. Zum Beispiel denkt der Vertriebsmitarbeiter: »Ich kann doch kein Umsatzplus von zehn Prozent ankündigen, damit setze ich meine Kollegen unter Zugzwang.« Oder die Projektleiterin denkt: »Mein Kollege hat für ein ähnliches Projekt fünf Tage gebraucht. Wenn ich es jetzt in drei Tagen hinbekomme, stelle ich ihn bloß.«

Aber wie verhalten sich Karriere-Konkurrenten, die nicht so nett und bescheiden sind? Sie kündigen an, das Projekt bis Dienstag zu schaffen (auch wenn es Donnerstag wird). Sie sagen voraus, den Umsatz um 15 Prozent zu steigern (auch wenn er schließlich stagniert). Und sie überreichen ihrem Chef die eigene Arbeit mit den Worten: »In aller Bescheidenheit: Das ist wirklich gut gelungen, viel Spaß beim Lesen!« Die positive Selbsteinschätzung überstrahlt das dürftige Ergebnis.

Falls Sie bescheiden sind, bedeutet das: Je mehr die anderen auf den Putz hauen, desto mehr fällt Ihre Leistung ab. Und diejenigen, auf die Sie Rücksicht nehmen, nehmen keinerlei Rücksicht auf Sie. Das schadet Ihnen, aber auch Ihrer Firma – denn die Falschen werden belohnt, befördert, nach oben gespült.

Was können Sie dagegen tun? Sagen Sie zu, was Sie sich zutrauen, nicht weniger. Rücken Sie sich ins rechte Licht, stehen Sie zu Ihrer Leistung. Zeigen Sie, was Sie auf dem Kasten haben, indem Sie Ihre Ergebnisse bei Meetings präsentieren. Seien Sie stolz auf Ihre Erfolge und lassen Sie es Ihre Führungskraft wissen. Erst wenn alles auf der Waagschale sichtbar wird, was Sie zu bieten haben, kann Ihre Firma fair antworten – zum Beispiel durch eine Gehaltserhöhung oder eine Beförderung.

Der Zweck heiligt die Titel

Wenn sich zwei Firmenvertreter begegnen, verhalten sie sich wie Westernhelden. Nur ziehen sie nicht den Colt, sondern ihre Visitenkarten. Nicht »Verkäufer« steht dort, sondern »Sales Manager«; nicht »Grafiker«, sondern »Art Director«; nicht »Kundenbetreuer«, sondern »Account Executive«; nicht »Berater«, sondern »Senior Consultant«. Das klingt enorm wichtig. Und so soll es klingen.

Nette Menschen hassen solche Statusspiele. »Ich definiere mich nicht über meine Visitenkarte«, sagte Adrian Horvat (29) in der Beratung. Sein Chef hatte ihm den Titel »Key Account Manager« angeboten, er jedoch abgelehnt. »Was hätte ich davon? Ich mache nach wie vor denselben Job, das wäre Aufschneiderei.«

Ich fragte: »All Ihre Kollegen nennen sich auch ›Kundenbetreuer‹, keiner ist ›Key Account Manager‹?«

»Doch, doch – es gibt ein paar Oberwichtige, die unserem Chef diesen Titel aus den Rippen geleiert haben. Nur deshalb hat er ihn mir angeboten, vermutlich aus Gründen der Gleichbehandlung. Aber ich habe das nicht nötig.«

»Was stört Sie eigentlich an der Bezeichnung ›Key Account Manager‹?«

»Alles! Ich betreue nach wie vor auch kleine Kunden. Und ich bin ihr Ansprechpartner für ganz alltäglichen Kram – also weit entfernt von der Bezeichnung ›Manager‹.«

»Und Ihre Kollegen? Verdienen die den Manager-Titel denn eher?«

Er schüttelte ungehalten den Kopf. »Die machen den gleichen Job wie ich.«

»Ich stelle mir gerade vor, dass Sie bei einer Sitzung neue Kunden treffen. Und jetzt überreichen einige Kollegen ihre ›Manager‹-Visitenkarten. Und dann Sie Ihre als ›Kundenbetreuer‹. Käme Ihnen das nicht merkwürdig vor?«

Er verzog sein Gesicht. »Soll ich jetzt zum Hochstapler werden, nur weil die anderen es sind?«

»Nein, aber Sie könnten sich fragen: ›Welche Signalwirkung hat mein Titel? Warum reagiere ich auf das Wort Manager so allergisch? Und inwieweit verbaut mir meine Bescheidenheit den Weg?‹«

Es dauerte eine knappe Stunde, bis wir herausgefunden hatten, was Adrian Horvat am meisten bremste: die Vorstellung, zu hohe Erwartungen auf sich zu ziehen. Zum Beispiel malte er sich aus, dass Kunden von ihm Rabatte und Vorteile erwarteten, die er als Kundenbetreuer gar nicht gewähren konnte. Und der Gedanke, im Freundeskreis als »Key Account Manager« zu gelten, war ihm extrem peinlich: »Die meisten meiner Freunde sind Handwerker. Die würden sagen: ›Manager ‹ nennt er sich jetzt? Will er uns denn sagen, dass er es zu mehr gebracht hat als wir?«

Viele nette Menschen kämpfen mit diesem Problem, es hat sogar einen wissenschaftlichen Namen: Hochstapler-Syndrom. 84 Sie steigen auf in eine wichtige Position oder verkehren mit bedeutenden Leuten, aber ihr Mauli flüstert ihnen: »Die merken schon noch, dass du der Sache nicht gewachsen bist! Du gehörst nicht in diese Position, nicht in diese Kreise!«

Dann sitzen sie in einer wichtigen Position, ohne sie auszufüllen. Dann haben sie neue Rechte, etwa Arbeit zu delegieren, aber bleiben im alten Verhalten hängen und machen alles selber. Dann spielen sie Führungskraft, ohne es innerlich zu sein.

Andere Nette beugen diesem Problem vor, indem sie bewusst darauf verzichten, sich auf exponierte Positionen zu bewerben. Sie heben nie den Finger, wenn ein spannendes Projekt zu vergeben ist. Sie lehnen Titel und Beförderungen ab, weil sie unbedingt in der zweiten Reihe bleiben wollen. Und die Rednereinladung zum Kongress geben sie an eine Kollegin weiter, die sich nicht mit Bescheidenheit aufhält.

Ich kenne sogar promovierte Mitarbeiterinnen – meist sind es Frauen! –, die ihren Doktortitel in der Signatur verschweigen oder bei der Selbstpräsentation allenfalls flüstern. Als wäre die Promotion kein offizieller Bestandteil des Namens, sondern ein arrogantes Winken vom hohen Ross, das alle titellosen Mitmenschen provoziert.

Nette Menschen fühlen sich oft von anderen überschätzt. Und warum? Weil sie sich selbst unterschätzen. Und diese Selbstzweifel projizieren sie nach außen. Weil Adrian Horvat selbst meinte, der Manager-Titel sei für ihn eine Nummer zu groß, fürchtete er, Kunden und Freunde könnten ins selbe Horn stoßen.

Wie kann es gelingen, die eigenen Qualitäten mit mehr Distanz zu sehen? Adrian Horvat lud ich zu folgender Übung ein: Ich stellte mehrere Stühle in den Raum, auf jeden durfte er ein Pappschild mit dem Namen eines Kollegen, Vorgesetzten oder Freundes kleben. Dann nahm er auf den einzelnen Stühlen Platz, fand sich in die jeweilige Rolle ein und wurde von mir zu sich, dem Kollegen, Mitarbeiter oder Freund Adrian Horvat, interviewt. Zum Beispiel fragte ich ihn, als er die Rolle seines Chefs bekleidete:

Warum ist es für Herrn Horvat wichtig, dass er den Titel ›Key Account Manager‹ annimmt?

Welche Signalwirkung hat dieser Titel, intern und extern?

Welche Management-Elemente sind in seiner heutigen Arbeit schon enthalten?

Inwiefern hebt er sich positiv von seinen Kollegen ab?

Welche seiner Qualitäten schätzen Sie am meisten?

Aus der Perspektive der anderen legte Horvat seine übertriebene Bescheidenheit ab. Es gelang ihm, den Titel in einem neuen Licht zu sehen. Er räumte ein, dass ein Verzicht schlecht für seinen Rang in der Gruppe und gegenüber den Kunden wäre. Zugleich half ihm die Rolle des Chefs, seine Arbeitsleistung mehr zu würdigen. Überrascht fiel ihm auf, wie viele Management-Tätigkeiten seine Aufgabe bereits enthielt. So koordinierte er die Zusammenarbeit mit der Produktentwicklung und nahm wichtige organisatorische Aufgaben wahr.

Erst als er sich und seine Arbeit mehrfach durch die Brille anderer gesehen hatte, fiel das Hochstapler-Syndrom von ihm ab: Er war nun überzeugt davon, diesen Titel wirklich zu verdienen. Und nahm ihn endlich an.

Die Frau, die kein Chefbüro wollte

In der Geschäftswelt spielen Titel und Statussymbole eine entscheidende Rolle. Fragen Sie sich selbst:

Warum sitzen Chefs beim Meeting meist am Kopfende des Tisches?

Warum residiert der Abteilungsleiter in einem größeren Büro als seine Mitarbeiter?

Warum reisen gehobene Angestellte fast immer erster Klasse?

Warum lassen Direktoren ihre Termine vom Sekretariat vereinbaren?

Warum macht die Vertriebschefin ihre Notizen nicht mit einem Werbekugelschreiber, sondern mit einem »Montblanc«?

Warum muss jeder Gast eines gehobenen Managers ein Vorzimmer durchqueren, ehe er ins Himmelreich des Chefbüros vorgelassen wird?

Ebenso können Sie fragen: Warum sind beim Militär die Schulterklappen der Offiziere breiter als die der Unteroffiziere? Es geht darum, den eigenen Rang nach außen zu dokumentieren. Wer das falsche Abzeichen trägt, wird falsch eingeschätzt. So ist das auch im Business.

Dennoch höre ich von netten Klienten oft: »Ich muss in der Bahn nicht erster Klasse fahren, nur weil ich das jetzt darf.« Oder: »Ich brauche keine Sekretärin, ich kann meinen Schriftkram selbst erledigen.« Wenn dieses Verhalten in einem Unternehmen üblich ist, etwa bei einem Start-up oder einem unprätentiösen Mittelständler: nur zu! Aber wenn traditionelle Spielregeln gelten, zum Beispiel in einem Konzern, steht man als Nett-Bescheidener schnell im Abseits.

Was signalisieren Sie zum Beispiel, wenn Sie sich bei einer Dienstreise von Ihren Kollegen am Bahnsteig verabschieden müssen, weil die erster Klasse reisen, Sie aber nur zweiter? Sie kämen als Arbeitskraft zweiter Klasse rüber! Oder: Was signalisieren Sie, wenn Ihre Kollegin sich die Akten von ihrem Assistenten raussuchen lässt – Sie aber zur gleichen Zeit als Akten-Wühlmaus selbst aktiv werden? Im schlimmsten Fall bittet sie Sie: »Wenn du schon dabei bist – kannst du für mich vielleicht noch Folgendes raussuchen ...?«

Ich gebe es zu: Die Status-Spielregeln sind irrational und nicht gerade sympathisch – sie riechen nach Machtgehabe und Profilierungssucht. Aber wer als netter Mensch darauf verzichtet, zahlt einen hohen Preis und macht sich das Leben schwer.

So ging es meiner Klientin Anne Häuser (38), frisch ernannte Abteilungsleiterin in einem süddeutschen Autokonzern: Aus Bescheidenheit verzichtete sie nach ihrer Beförderung auf ein Einzelbüro und blieb bei ihren alten Kollegen im Großraum sitzen. Die Büros ihrer Abteilungsleiter-Kollegen lagen auf einer anderen Etage direkt nebeneinander, deshalb war sie vom informellen Informationsfluss abgeschnitten. Die Kollegen hatten sie kaum auf dem Schirm, öfter mal wurde sie »versehentlich« zu einer Führungsrunde nicht eingeladen. Und auch ihre Mitarbeiter gaben sich bockig. Manchmal wurden knifflige Aufgaben zu ihr zurückdelegiert: »Mach es bitte selber!«

Die Schwierigkeiten hatten eine einzige Ursache: Anne Häuser war zur Offizierin befördert worden (Schulterklappe: Einzelbüro), lief aber nach wie vor als Unteroffizierin durch die Firma (Schulterklappe: Großraumbüro). Deshalb wurde sie, vielleicht unbewusst, in der neuen Führungsrolle nicht akzeptiert, von ihren Chefkollegen ebenso wenig wie von ihren Mitarbeitern.

Erst nach langen inneren Kämpfen – sie wollte ihren Mitarbeitern nicht den Eindruck vermitteln, etwas Besseres zu sein – rang sie sich dazu durch, das Großraumbüro zu verlassen. Schon nach kurzer Zeit im Einzelbüro verbesserte sich ihre Situation entscheidend: »Es ist, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Plötzlich werde ich von allen als Abteilungsleiterin wahrgenommen.« Sie grübelte und fügte hinzu: »Vielleicht liegt das auch an meinem Auftreten. Mein Einzelbüro erinnert mich jeden Morgen daran, dass ich jetzt Chefin bin. Deshalb traue ich mich, anderen etwas fordernder und selbstbewusster zu begegnen.«

Das ist besonders interessant: Wenn sich nette Menschen jene Titel und Statussymbole erlauben, die ihnen zustehen, beeinflusst das ihr Auftreten. Gut möglich, dass Adrian Horvat als »Key Account Manager« selbstbewusster in seine Kundengespräche geht, als es ihm vorher als »Betreuer« gelang.

Sieben Situationen, in denen Sie nicht nett sein dürfen

Es sind nur wenige Augenblicke, die im Laufe einer Woche darüber entscheiden, wie ernst Sie im Job genommen werden – Augenblicke, in denen Sie Ihre Nettigkeit kontrollieren und anderen Grenzen setzen sollten. Solche Momente wiederholen sich, Sie können sich von langer Hand darauf vorbereiten.

Fragen Sie sich: In welchen Situationen finde ich mich zu nett? Wann gebe ich nach und bereue es später? Wann komme ich mit meiner Leistung nicht so zur Geltung, wie ich es verdient hätte? Machen Sie sich gern Notizen, was Ihnen dazu einfällt.

Im Folgenden stelle ich Ihnen sieben Beispiele aus der Praxis vor und biete Lösungen an – vieles davon sollte sich auf Sie übertragen lassen:

Situation 1: Angriff im Meeting

Mein Klient Rolf Kargus (32), Informatiker und eine Seele von einem Menschen, wird in einer Teamsitzung von einem Kollegen angegangen: »Wenn alle so lange wie du für ihre Konzepte brauchen, sind wir in 100 Jahren noch nicht fertig.« Der Angriff kommt für ihn völlig überraschend und scheint ihm inhaltlich verfehlt – die Konzepte der anderen waren oberflächlicher, er hat sich die nötige Zeit genommen. Doch Kargus schafft es nicht, sich zu verteidigen. »Ich hab da so eine Art Beißhemmung«, sagte er zu mir. »Ich kann niemanden öffentlich angehen. Außerdem ist mir keine gute Antwort eingefallen. Oder hätte ich auf dasselbe Niveau sinken sollen?«

Stellen Sie sich vor, Sie wären in seiner Situation. Welche der drei folgenden Reaktionen hielten Sie für die beste (danach bekommen Sie eine Erläuterung von mir):

»Ich verstehe natürlich, dass du verärgert bist. Dennoch fände ich es schön, wenn du einen freundlichen Ton anschlagen könntest. Ich tu das dir gegenüber doch auch.«

»Du ärgerst dich darüber, dass ich für mein Konzept zwei Tage länger gebraucht habe als du. Diese Zeit habe ich benötigt, um gründlich zu arbeiten. Ich spüre, dass mich deine Äußerung wurmt, zumal der Verweis aufs nächste Jahrhundert stark übertrieben ist. Gern kann ich erläutern, warum es sich lohnt, mehr Zeit in die Konzepte zu investieren. Und ich erwarte von dir mehr Sachlichkeit in unserer Diskussion.«

»Wenn du damit sagen willst, dass ich gründlich arbeite und Fehler vermeide, liegst du genau richtig. Und dieselbe Arbeitsweise erwarte ich auch von allen anderen im Team.«

Welche Antwort finden Sie die beste?

Meine Einschätzung: Die erste Antwort finde ich zu windelweich. Wenn ein anderer Sie unsachlich angreift, sollten Sie kein Verständnis für seinen Ärger einräumen – sonst gießen Sie Öl ins Feuer. Und die Konjunktive (»fände«, »könntest«) drücken Unsicherheit aus.

Bei der zweiten Reaktion schildern Sie neutral Ihre Beobachtung (»Du ärgerst dich«), sprechen über Ihr Gefühl (»Ich spüre, dass mich deine Äußerung wurmt«), benennen Ihr Bedürfnis (»Diese Zeit habe ich benötigt«) und leiten daraus eine Forderung ab (»Ich erwarte von dir mehr Sachlichkeit«). Dass Sie zu sich selber stehen und mit offenen Karten spielen, macht Ihre Argumentation schlagkräftig.

Die dritte Antwort setzt die Aikido-Technik ein: Sie deuten den Angriff positiv um, leiten aus dem Vorwurf »Du bist langsam« das Kompliment »Ich bin gründlich« ab. Eine solche Reaktion irritiert den Angreifer; offenbar lassen Sie sich nicht ins Bockshorn jagen. Zugleich vermitteln Sie indirekt die Botschaft, dass Sie auf diesem Niveau nicht diskutieren wollen. Das sorgt dafür, dass der Punkt an Sie geht.

Übung: In welchen Situationen wollen Sie auf rhetorische Angriffe anders als bislang reagieren? Bitte wählen Sie eines der obigen Antwort-Muster aus, um es auf eine wiederkehrende Situation zu übertragen. Malen Sie sich genau aus, was Sie sagen werden. Und probieren Sie es bei nächster Gelegenheit am Arbeitsplatz aus. Achten Sie auf die Wirkung: Inwieweit gewinnt der Angreifer mehr Respekt vor Ihnen?

Situation 2: Arbeitsesel der Kollegin

Die Zahnmedizinische Fachangestellte Leyla Zaidan (55) schmeißt mit ihrer jungen Kollegin Luisa die Praxis ihres Chefs. Allerdings fällt ihr auf, dass Luisa schwierige Vorgänge immer wieder auf ihren Tisch schiebt und sagt: »Das kriegst du mit deiner Erfahrung besser hin« oder »Ich bin damit überfordert«. Gewissenhaft nimmt sich Zaidan dieser Aufgaben an. Doch in letzter Zeit fühlt sie sich durch die zunehmende Arbeitsmenge überlastet. Und obwohl sie der Kollegin eigentlich gern hilft, verspürt sie »einen leichten Groll« über deren Verhalten.

Stellen Sie sich vor, Sie wären in einer vergleichbaren Situation. Welche der folgenden drei Reaktionen erschiene Ihnen am klügsten? Bitte entscheiden Sie sich für eine:

Ich sage zu der Kollegin: »Das ist schön, dass du meine Erfahrung schätzt. Nur sind wir hier ein Team auf Augenhöhe. Alles, was ich kann, musst auch du können. Und du lernst das nicht, indem du es auf meinen Tisch schiebst – sondern indem du es selber tust. Zumal ich mit meiner anderen Arbeit schon mehr als genug eingespannt bin.«

Ich reagiere einfach nicht, wenn sie mich wegen solcher Vorgänge anspricht. Sollte dennoch etwas auf meinem Tisch landen, schiebe ich es wortlos zu ihr rüber. Ich bin sicher, sie wird meine Botschaft verstehen.

Ich nehme ihr jede Woche eine Aufgabe weniger ab. Dann fühlt sie sich von der neuen Verantwortung nicht überfordert. Und ich schaffe es auf elegante Weise, dass sie selbständiger wird und mich dadurch entlastet.

Für welche Reaktion haben Sie sich entschieden?

Meine Einschätzung: Der zweite Vorschlag, dass Sie einfach nicht reagieren und die Arbeit stillschweigend auf den Tisch der Kollegin zurückschieben, lässt Sie schwach erscheinen – als hätten Sie nicht den Mumm, das Thema anzusprechen. Solche Psychospielchen schaden allen Beteiligten.

Der dritte Vorschlag, dass Sie Ihrer Kollegin in ganz langsamen Schritten weitere Aufgaben überantworten, scheint mir allzu empathisch. Das wäre zwar großzügig ihr gegenüber – aber wenn Sie jetzt schon frustriert und überlastet sind, brauchen Sie eine schnelle und klare Lösung, die Ihre Interessen in den Mittelpunkt stellt.

Am besten gefällt mir die erste Lösung. Hier verbinden Sie eine empathische Grundhaltung (»Du lernst es nicht, indem du es auf meinen Tisch schiebst«) mit der klaren Ich-Botschaft, dass Sie »durch andere Arbeiten schon mehr als genug eingespannt« sind. Eine solche Reaktion verändert die Situation rasch und wird Ihre Autorität in den Augen der Kollegin wachsen lassen.

Übung: Bitte überlegen Sie, in welchen Situationen Sie von anderen übermäßig eingespannt oder von Ihrer Führungskraft überfordert werden. Entwerfen Sie ein Mini-Drehbuch, wie Sie künftig eine klare Grenze setzen. Spielen Sie dieses Verhalten mehrfach laut durch, damit es Ihnen in der realen Situation leichterfällt.

Situation 3: Mehr Gehalt – aber wie?

Die kaufmännische Mitarbeiterin Emilia Steinke (45) beklagt sich in der Beratung, dass ihr Gehalt seit vier Jahren auf der Stelle tritt – obwohl die Zahl ihrer Aufgaben gewachsen ist und sie Wichtiges für die Firma leistet. Bislang hat sie die Initiative bei ihrem Vorgesetzten gesehen. Doch nun nimmt sie sich vor, ihren Chef auf eine Gehaltserhöhung anzusprechen.

Stellen Sie sich vor, es ginge um Ihr Gehalt. Mit welchen Worten würden Sie das Gespräch mit Ihrer Führungskraft suchen?

»Ich möchte Sie fragen, ob wir vielleicht mal eine Gehaltsverhandlung außer der Reihe führen können. Denn seit vier Jahren hat sich mein Gehalt ja nicht mehr so richtig von der Stelle bewegt.«

»Ich möchte mit Ihnen über meine Perspektiven in der Firma sprechen, auch in finanzieller Hinsicht. Ich habe in den letzten Jahren meine Leistung ausgebaut und mehr Verantwortung übernommen. Gern werde ich Ihnen Beispiele geben und aufzeigen, was ich in Zukunft noch alles für Sie bewirken kann. Jetzt sehe ich die Firma am Zug, meine Vorleistung durch eine angemessene Gehaltsanpassung zu erwidern.«

»Ich weiß, dass die Etatlage nicht die beste ist. Und dennoch möchte ich mich mit Ihnen über meine Vergütung unterhalten, denn meine Leistung in den letzten Jahren war nicht gerade schlecht. Ich bin der Meinung, dass sich mein Gehalt langsam mal vom Fleck bewegen muss.«

Mit welcher Argumentation würden Sie sich den größten Respekt und die besten Gehaltsaussichten verschaffen?

Meine Einschätzung: Die erste und die dritte Variante leiden unter demselben Mangel: Sie treten nicht als Verhandlungspartner auf Augenhöhe in den Ring, sondern als Bittsteller. Wenn Sie »vielleicht mal« eine Gehaltsverhandlung »außer der Reihe« führen wollen, klingt das hasenfüßig. Diese sprachlichen Weichmacher sabotieren Ihr Anliegen. Und die dritte Argumentation ist allzu empathisch: Sie stellen die schlechte Etatlage in den Mittelpunkt, als müssten Sie sich für Ihre Forderung entschuldigen. Zugleich schimmert Ihre Unsicherheit durch Negationen durch, indem Sie Ihre gute Leistung als »nicht gerade schlecht« bezeichnen oder sagen, Ihr Gehalt habe sich »ja nicht mehr so richtig von der Stelle bewegt«. Negative Formulierungen schwächen Sie.

Dagegen wirkt die zweite Argumentation selbstbewusst. Hier betten Sie die Verhandlung in einen größeren Kontext ein: Ihre Zukunft in der Firma. Sie wirken entschlossen, weil Sie eine klare Forderung stellen und ankündigen, Ihre Leistung durch Beispiele zu untermauern. Auf dieser Basis stehen die Chancen gut, dass Sie eine nennenswerte Gehaltserhöhung durchsetzen.

Übung: Wann haben Sie Ihr Gehalt zuletzt verhandelt? Falls es schon lange her ist: Wandeln Sie die zweite Argumentation so ab, dass sie zu Ihnen passt. Üben Sie das Gehaltsgespräch im Rollenspiel mit einem Freund. Und dann: Packen Sie den Stier bei den Hörnern – gehen Sie auf Ihre Führungskraft zu.

Situation 4: Das Zögern beim Traumjob

Die Ingenieurin Elvira Schrunk (29) taucht in der Karriereberatung mit einer Stellenausschreibung auf, die sie elektrisiert: Für ein Auslieferungs-Zentrum ihres Konzerns wird eine neue Leiterin gesucht. Doch während sie davon schwärmt, wie gut die Stelle zu ihr passen würde, fällt sie sich immer wieder ins Wort: »Ich weiß ja, ich habe noch nicht die nötige Erfahrung. Ich bin zu jung für den Posten. Ich würde als größenwahnsinnig gelten und mich überheben.«

Im Gespräch kommen wir einem ihrer ältesten Glaubenssätze auf die Spur: »Lehn dich nicht zu weit aus dem Fenster!«, haben ihr die Eltern immer wieder gesagt, wenn sie als Kind ein Risiko eingehen wollte. Dieser Satz hält sie bis heute davon ab, ihr ganzes Potenzial auszuschöpfen.

Stellen Sie sich vor, Sie wären in derselben Situation: Welchen neuen Glaubenssatz hielten Sie für den besten, um die Fesseln der Vergangenheit zu sprengen?

  1. Nur wer sich weit genug aus dem Fenster lehnt, bekommt einen Überblick – ich habe viel zu gewinnen, aber nichts zu verlieren, wenn ich die Bewerbung jetzt wage.
  2. Wenn ich einen Versuchsballon steigen lassen kann, dann tu ich es – und die Bewerbung ist zunächst ja völlig unverbindlich.
  3. Wenn ich spüre, dass mich eine Herausforderung reizt, verfüge ich auch über die Kraft, diese Herausforderung zu bewältigen – indem ich handele, kann ich diese Kraft aktivieren.

Welcher Glaubenssatz spricht Sie am meisten an?

Meine Einschätzung: Der zweite Glaubenssatz, mit dem Wort »Versuchsballon«, zeugt von Halbherzigkeit, er klingt wie: »Ich glaube nicht daran, aber versuche es dennoch.«

Der erste Glaubenssatz greift das vertraute Sprachbild mit dem Fenster auf, gibt ihm aber eine völlig neue Wendung: Plötzlich ist es kein Risiko mehr, sich weit aus dem Fenster zu lehnen, sondern eine Chance, weil Sie Überblick gewinnen. Das ist der Königsweg, wenn Sie Glaubenssätze erneuern: in der vertrauten Metapher zu bleiben, doch ihr einen neuen Sinn zu verleihen. So wird das Bild, das Bremser war, plötzlich zum Anschieber.

Der dritte Glaubenssatz kann ebenfalls sehr nützlich sein, denn in der Tat ziehen uns vor allem Herausforderungen an, für die wir das nötige Potenzial mitbringen. Oft weiß unsere Intuition das früher als der zweifelnde Verstand. Dieser Glaubenssatz sorgt für Mut und Tatkraft.

Übung: Denken Sie an ein Ziel, das Sie aus tiefstem Herzen erreichen wollen, sich aber bislang nicht zutrauen. Welcher Glaubenssatz hält Sie davon ab (siehe auch hier )? Und wie können Sie ihn wenden oder neu formulieren, um es doch noch anzugehen? Tun Sie’s!

Situation 5: Die freundliche Diffamierung

Die Erzieherin Josephine Ems (22) arbeitet in einer Kindertagesstätte und sieht für ihr Alter recht jung aus. Sie kommt mit den Kindern gut klar, macht ihren Job gewissenhaft und geht keiner Arbeit aus dem Weg. Nur von ihrer Chefin, der Kita-Leiterin, fühlt sie sich nicht respektiert. Denn die ruft sie nicht bei ihrem Vornamen, sondern nennt sie immer »Kleine«. Sie tut das freundlich, dennoch schmerzt es. Bislang hat sich Josephine Ems gescheut, ihre Gefühle anzusprechen. Wäre das nicht kleinkariert? Ihre Chefin meint es ja nicht wirklich böse.

Stellen Sie sich vor, Sie wären in dieser Situation. Welche der drei folgenden Verhaltensweisen hielten Sie für die beste?

Ich spiegele das Verhalten der Chefin, indem ich sie nur noch als »Große« anspreche. Dann wird ihr schnell bewusst, wie unpassend ihre Anrede ist. Und die Chancen stehen gut, dass sie mich wieder bei meinem korrekten Namen anspricht – im Gegenzug nenne ich sie dann auch nicht mehr »Große«.

Ich reagiere einfach nicht mehr, wenn sie »Kleine« ruft – als wäre jemand anders gemeint. Und wenn sie mich dann mit meinem richtigen Namen anspricht, sage ich: »Genau so heiße ich. Und ich erwarte von dir, dass du diesen Namen verwendest. Denn ›Kleine‹ fühlt sich für mich wie eine Herabsetzung an.«

Ich spreche sie direkt an: »Mir fällt auf, dass du mich ›Kleine‹ nennst. Bestimmt meinst du das nicht böse. Und ich will dich jetzt auch nicht dafür kritisieren. Ich fühle mich dadurch aber verniedlicht und nicht ganz ernst genommen. Deshalb bitte ich dich, künftig meinen richtigen Namen zu verwenden.«

Welche dieser Möglichkeiten scheint Ihnen die beste? Bitte entscheiden Sie sich für eine.

Meine Einschätzung: Die ersten beiden Varianten gefallen mir, weil Sie durch ihr klares Handeln ein Zeichen setzen – wobei ich vorschlage, nicht nur Taten, sondern auch erläuternde Worte sprechen zu lassen (wie in der zweiten Variante). Dann bekennen Sie Farbe, das Stoppschild ist klarer gesetzt, und Ihre Chefin weiß, woran sie ist.

Die dritte Variante spricht den Vorgang direkt an, eigentlich eine gute Idee. Nur wird die Botschaft hier durch zwei entschuldigende Sätze verwässert: »Bestimmt meinst du das nicht böse. Und ich will dich jetzt auch nicht dafür kritisieren.« Dadurch entsteht eine ungünstige Doppelbotschaft: »Ich kritisiere dich zwar, bin aber nicht sicher, ob ich das überhaupt darf.« Diese Weichmacher weglassen – dann kommt die Botschaft wirksamer an.

Übung: In welchen Situationen wird Ihnen der nötige Respekt verweigert? Bitte überlegen Sie sich eine klare Botschaft, dass Sie dieses Verhalten nicht mehr dulden. Und setzen Sie dieses Stoppschild bei nächster Gelegenheit.

Situation 6: Der Dieb im Team

Laurenz Holzer (49) arbeitet als Designer für einen Fachverlag. Zusammen mit drei Kollegen bekommt er den Auftrag, ein neues Stillayout für ein Handbuch zu entwickeln. Seine Ideen kommen bei den Teamkollegen gut an und prägen den Gruppenvorschlag, der dem Redaktionsleiter schließlich unterbreitet wird. Allerdings führt eine forsche Kollegin das Wort und betont immer wieder, was sie zu der Idee beigetragen hat. Laurenz Holzers großer Anteil bleibt unerwähnt.

Stellen Sie sich vor, Sie wären in dieser Situation. Wie würden Sie während der Präsentation vor dem Chef reagieren?

Gar nicht! Eine öffentliche Präsentation ist nicht der richtige Rahmen, um Kritik zu äußern – schließlich möchte ich die Kollegin, die für uns alle spricht, nicht bloßstellen. Deshalb werde ich ihr unter vier Augen sagen, dass sie meinen Anteil mehr hätte betonen können.

Ich trete einen Schritt nach vorne, schalte mich in die Präsentation ein und spreche darüber, was ich zu dem Projekt beigetragen habe. Gleichzeitig erwähne ich die Anteile der Kollegen.

Ich sage zu der Kollegin: »Gerade hast du deinen Anteil am Projekt beschrieben. Bitte führe jetzt auch aus, was ich und die Kollegen geleistet haben. Oder sollen wir das tun?«

Welche Variante finden Sie am stimmigsten?

Meine Einschätzung: Viele nette Menschen neigen zur ersten Möglichkeit, weil sie den Konflikt nicht öffentlich austragen möchten. Das bedeutet aber: Der falsche Eindruck, dass die Kollegin das Projekt fast im Alleingang gestemmt hat, bleibt im Kopf des Chefs hängen. Deshalb halte ich ein Eingreifen in der Situation für nötig.

Die zweite Variante, selbst das Wort zu ergreifen, erfordert Mut und Selbstvertrauen, ist aber sehr wirksam. Oft, wenn ein dreister Mensch zu viel Raum einnimmt, heißt das: Ein Nett-Bescheidener beansprucht zu wenig Raum. Durch einen Schritt nach vorne können Sie dieses Präsenz-Vakuum schließen.

Die dritte Variante ist ein Zwischenweg: Sie bitten die Kollegin, auch Ihren Anteil und den der anderen zu erwähnen. Ein solcher Einwurf erfordert Mut und Selbstsicherheit. Und falls die Kollegin sich nicht ausreichend »erinnert«, steht es Ihnen frei, das Wort selbst zu ergreifen.

Übung: Denken Sie an eine Situation, in der Sie sich von anderen die Schau stehlen lassen. Bitte überlegen Sie, wie es Ihnen künftig gelingen kann, die eigene Leistung sichtbarer zu machen und genug Raum für sich einzunehmen. Setzen Sie diesen Plan in der Praxis um.

Situation 7: Der brüllende Chef

Der Kraftfahrer Reno Ott (42) erzählt in der Beratung: »Für meinen Chef bin ich der Prügelknabe des Teams. Schon mehrfach hat er mich vor der versammelten Runde in Grund und Boden geschrien. Ich habe nichts falsch gemacht, er lässt seine schlechte Laune an mir aus. Und die Kollegen machen ihm das allmählich nach.« Mir fällt auf, dass Ott beim Sprechen kaum Blickkontakt sucht und auch sonst zurückhaltend wirkt. Kann es sein, dass ihn diese Unsicherheit zum Blitzableiter seines Chefs prädestiniert?

Stellen Sie sich vor, Sie wären in seiner Lage. Wie würden Sie sich gegenüber dem Chef verhalten?

  1. Ich würde sofort zurückbrüllen – so laut und aggressiv wie er. Dadurch zeige ich meinem Chef, dass ich mir dieses Verhalten nicht länger gefallen lasse.
  2. Ich würde ihn durch Freundlichkeit entwaffnen, indem ich sage: »Können wir uns vielleicht auf eine etwas geringere Lautstärke einigen? Und ein zivilisierterer Umgang wäre auch nicht schlecht.«
  3. Ich sage ihm, dass ich mir diesen Ton verbitte. Und dass ich, wenn er ihn nicht sofort ändert, den Raum verlasse. Später, wenn er sich beruhigt hat, suche ich ein Vier-Augen-Gespräch und erkläre ihm, dass mich sein Brüllen verletzt – und dass ich einen zivilisierteren Umgang erwarte.

Für welche Möglichkeit haben Sie sich entschieden?

Meine Einschätzung: Die erste Variante, das Zurückbrüllen, ist riskant – im Kampf mit einem geübten Brüllaffen zieht man als netter Mensch fast immer den Kürzeren. Die zweite Möglichkeit, die entwaffnende Freundlichkeit, kommt sehr zögernd daher (»Können wir uns vielleicht … einigen«). Damit wirken Sie schwach, wie ein bekennendes Opfer, und der starke Angreifer fühlt sich zu weiteren Schlägen eingeladen.

Die dritte Möglichkeit sehe ich als eine gelungene Abgrenzung: Sie halten bereits in der Situation das Stoppschild hoch, drohen eine Konsequenz an – und gehen danach, mutig und klar, in ein Vier-Augen-Gespräch.

Übung: Wann haben Sie das Gefühl, dass sich andere Ihnen gegenüber im Ton vergreifen? Bitte denken Sie sich eine Reaktion aus, mit der Sie den anderen in seine Grenzen weisen – und jenen Ton einfordern, den Sie für eine Zusammenarbeit brauchen. Probieren Sie dieses Verhalten beim nächsten Angriff gegen Sie aus.

Nettigkeits-ABC: Das rettet Sie!

Worauf sollten Sie als netter Mensch im Beruf achten? Dieses kleine Abgrenzungs- und Ermutigungs-Alphabet gibt Ihnen einen raschen Überblick:

A ushelfen: Immer mehr Arbeit prasselt heute auf immer weniger Köpfe nieder, sodass der Einzelne sein Pensum kaum mehr schafft. Nette helfen anderen gern aus. Doch in »Aushelfen« steckt: »Aushilfe«. Wenn Sie anderen dauernd unter die Arme greifen, ohne Gegenleistung, sinkt Ihr sozialer Status. Sie gelten als Mädchen für alles. Derweil bleibt Ihre eigene Arbeit liegen. Doch nur an ihr werden Sie gemessen.

B eförderung: Wer nett ist, gilt oft als wenig durchsetzungsfähig – das bremst Ihre Beförderungs-Chancen. Zeigen Sie auf, dass Sie in der Lage sind, sich durchzusetzen: »Gerade weil ich gut mit Menschen kann, gelingt es mir, andere für meinen Kurs zu gewinnen. Zugleich bin ich in der Lage, mich gegen Widerstände durchzusetzen und unangenehme Botschaften zu verkünden. Als Führungskraft muss ich nicht von allen gemocht, aber von allen respektiert werden.«

C hef-Aufträge: Arbeit fließt dorthin, wo sie klaglos erledigt wird. Aber welcher Eindruck entsteht, wenn Sie zu jeder Zeit jede Arbeit Ihres Chefs annehmen? Dass Sie mit Ihren anderen Aufgaben nicht ausgelastet sind. Nehmen Sie nicht alle Chef-Aufträge an. Weisen Sie öfter mal darauf hin, dass Sie bereits voll eingespannt sind. Dann halten Sie Ihr Arbeitspensum auf einem vernünftigen Niveau. Und Ihr Vorgesetzter nimmt Ihre Leistung bewusster wahr.

D elegieren: Ist es Ihnen unangenehm, Ihre Arbeitskollegen um Unterstützung zu bitten? Erledigen Sie kleine Aufgaben lieber selbst – auch wenn diese eigentlich in die Zuständigkeit eines anderen fallen? Das sollten Sie besser lassen. Es schadet Ihrer Karriere. Denn es kostet Zeit. Und es beschädigt Ihren Status. Wer Arbeit delegiert, gilt als Bestimmer – wer alles selber macht, nur als sein eigener Diener. Also nicht als Beförderungs-Kandidat.

E nttäuschen: Ist es ein schlechtes Zeichen, wenn Sie andere im Job enttäuschen? Nicht unbedingt. Oft werden Dinge von Ihnen erwartet, die Sie nicht leisten wollen oder können. Dann ist ein »Nein« Ihre Rettung. »Enttäuschung« heißt dann: Die Täuschung, dass Sie alles mit sich machen lassen, wurde aufgehoben – gut so!

F ührungs-Fallen: Die drei größten Führungs-Fallen für nette Menschen: Sie schieben unangenehme Entscheidungen auf. Sie fordern und kritisieren zu diplomatisch. Und sie setzen zu spät Grenzen. Darum: Erledigen Sie Unangenehmes so rasch wie möglich, oft ist das sogar sozial. Zum Beispiel ist eine Entlassung in der Probezeit für beide Seiten besser, als jemanden nach einem Jahr vor die Tür zu setzen.

G ehalt: Gehälter werden oft nach Verhandlungsleistung vergeben. Nur wer fordert, wird gefördert. Darum ist es wichtig, dass Sie die Initiative ergreifen und in der Verhandlung für Ihre Interessen eintreten, klar und konsequent.

H öflichkeit: Es ist gut, wenn Sie den Knigge beherrschen. Doch zu viel Höflichkeit wird häufig als Unterwürfigkeit wahrgenommen. Wer sich für Nichtigkeiten mehrfach bedankt oder dreimal »bitte« sagt, wirkt schwach. Achten Sie darauf, dass Sie Ihre Höflichkeit mit Selbstsicherheit kombinieren.

I nitiative: Nette Menschen übernehmen meist ungern die Initiative, weil es sich für sie aufdringlich anfühlt. Aber Initiative zeugt von Entschlossenheit. Erfolg im Beruf stellt sich ein, wenn Sie pro-aktiv handeln. Holen Sie sich, was Sie brauchen – statt nur zu reagieren oder auf Einladungen zu warten.

J a-Sagen: Alle wollen etwas von Ihnen: der Chef, die Kollegen, die Kunden. Wenn Sie immer Ja sagen, unterschreiben Sie Ihr eigenes Burnout-Urteil. Achten Sie darauf, dass Sie nie automatisch Ja sagen, wenn Ihnen eine Aufgabe angetragen wird. Wägen Sie jedes Mal ab: Welche Entscheidung ist für mich die beste (und nicht nur für den anderen!)?

K ritik: Zieht Ihnen Kritik im Job den Boden unter den Füßen weg? Warum eigentlich? Es gibt zwei Arten von Kritik: berechtigte, aus ihr können Sie lernen – und unberechtigte, die können Sie zurückweisen. Tun Sie beides und denken Sie daran: Kritik sagt mehr über den Kritiker als über Sie aus. Nicht jeder muss gut finden, was Sie tun.

L ob: Je öfter Sie einen Menschen loben, desto weniger ist Ihr Lob wert. Loben Sie nur, wenn es jemand wirklich verdient hat, sonst entsteht eine Inflation. Und seien Sie vorsichtig, wenn Sie selbst gelobt werden, etwa durch Ihre Chefin. Manchmal soll Lob Sie manipulieren (siehe hier ).

M einung: Fällt es Ihnen schwer, Ihre eigene Meinung zu sagen, weil andere sich auf den Schlips getreten fühlen könnten? Dann bedenken Sie, was in dem Wort »Meinung« steckt: »mein«. Eine Meinung kann nicht falsch sein, es ist Ihre Sicht. Stehen Sie zu sich und zu Ihrer Meinung – dann fällt es Ihnen leichter, andere zu überzeugen.

N ein-Sagen: Vielleicht haben Sie das Gefühl, sich durch ein Nein im Job unbeliebt zu machen. Dabei ist Nein ein Respekt-Bringer. Jedes Mal, wenn Sie etwas ablehnen, gewinnen Sie Profil. Jedes Mal definieren Sie Ihre Grenzen und Ihren Standpunkt. Gleichzeitig steigt der Wert Ihres Jas, weil es nicht mehr selbstverständlich ist. Je höher einer in der Hierarchie steht, desto öfter muss er Nein sagen. »Ja« ist eine Diener-Vokabel.

O pportunismus: Wer immer tut, was die anderen erwarten, ohne dabei auf seine eigenen Bedürfnisse zu achten, kann in den Opportunismus abrutschen. Dann verliert er seine Werte und wird zur Marionette. Ein solches Verhalten verwischt die eigene Identität. Darum ist die Frage so wichtig: Was will ich eigentlich selbst, was ist gut für mich?

P ersönlichkeit: »Er ist eine Persönlichkeit!« Dieser Satz heißt im Business so viel wie: Er hat den Mut, etwas gegen den Strich zu bürsten und seinen eigenen Weg zu gehen. Die Herausforderung für nette Menschen besteht darin, ihre Persönlichkeit deutlich zu zeigen. Das erfordert den Mut, auch mal anzuecken, gegen den Strom zu schwimmen und sich aus der Deckung zu wagen.

Q uälende Gedanken: Keine andere Überlegung treibt nette Mitarbeiter so sehr um: »Was denkt der Chef über mich? Und was die Kollegen?« Gegenfrage: »Wie denken Sie selbst über sich?« Es ist wichtig, dass Sie Ihren Selbstwert nicht aus dem Urteil anderer beziehen. Wenn Sie zu sich selber stehen, werden Sie unabhängiger. Selbstakzeptanz sorgt dafür, dass auch andere Sie respektieren.

R isiko: Im Coaching ermutige ich nette Menschen, mehr zu riskieren. Bewerben Sie sich auf ambitionierte Stellen. Werfen Sie Ihren Hut für Führungspositionen in den Ring. Und ziehen Sie hoch aufgehängte Projekte auf Ihren Tisch. An Risiken können Sie wachsen und Ihre Grenzen erweitern. Zugleich gewinnen Sie Ansehen.

S tress: Er entsteht durch Stressgedanken, wie etwa: »Wenn ich jetzt widerspreche, ist mein Chef sauer!« Unter Stress neigen nette Menschen zu Fluchtreaktionen. Statt einen Disput auszutragen, geben Sie nach. Das ist ein Fehler, der sich durch neue Glaubenssätze korrigieren lässt: »Ich bin es meinem Chef schuldig, ihm meine Meinung zu sagen. Es liegt dann an ihm, ob er sie bei seiner Entscheidung berücksichtigt oder nicht.«

T eamgeist: Oft wird der »Teamgeist« in den höchsten Tönen gepriesen – von denen, die als Vorgesetzte bereits über den Teams stehen. Wer als Netter darauf reinfällt und als graue Team-Maus unter Team-Mäusen agiert, an dem gehen Gehaltserhöhungen, Beförderungen und sonstige Anerkennungen zuverlässig vorbei. Heben Sie sich ab, machen Sie Ihren Anteil der Leistung deutlich, zeigen Sie Profil (siehe hier )!

Ü berstunden: Mehrarbeit bleibt oft an den netten Kollegen hängen – während diejenigen, die mehr auf ihre eigenen Interessen achten, früh nach Hause gehen. Es spricht nichts dagegen, in schwierigen Situationen mal länger zu arbeiten. Nur darf diese Ausnahme nicht zur Regel werden. Hier hilft eine bessere Abgrenzung, zum Beispiel durch einen Selbstvertrag. 85

V erletzlichkeit: Nette Menschen empfinden Zurückweisungen oft als verletzend. Wie wäre es, wenn Sie Zurückweisungen im Job anders interpretieren würden – als Zeichen, dass Sie den Mut hatten, an eine Grenze zu gehen? Auch sollten Sie ein Nein der Gegenseite immer als Einladung zur Verhandlung verstehen. Wenn Ihr Chef Nein zu Ihrem Gehaltswunsch sagt, heißt das übersetzt: »Nicht ohne Weiteres! Wer etwas rausholen will, braucht gute Argumente.«

W echsel: Je mehr sich ein Mensch seinen Kollegen verbunden fühlt, wie bei Netten oft der Fall, desto seltener wechselt er den Arbeitgeber. Aus Karrieresicht ein großer Fehler. Denn beim Wechsel sind die größten Gehaltssprünge drin: 15 bis 25 Prozent. Und gleichzeitig lässt sich so oft eine neue Sprosse auf der Karriereleiter erklimmen. Machen Sie sich bewusst, dass Sie als sozial kompetenter Mensch auch im neuen Umfeld schnell Anschluss finden.

XY -Theorie: Sie stammt vom US-Psychologen Douglas McGregor. Theorie X besagt: Arbeit ist für Mitarbeiter unnatürlich, sie müssen gezwungen und kontrolliert werden. Theorie Y besagt: Mitarbeiter packen gern an, wenn man sie herausfordert und ihnen Verantwortung überträgt. Die Gefahr bei netten Menschen ist selten mangelnde Motivation (Theorie X), sondern dass sie sich nicht nur herausfordern lassen (Theorie Y), sondern überfordern.

Z usage: Wer als Bewerber eine Zusage für einen Job möchte, muss seinem künftigen Arbeitgeber auf Augenhöhe begegnen und darf keinesfalls wie ein Bittsteller wirken. Manchen netten Menschen hilft das Gedankenspiel, dass sie ihre Arbeitskraft wie ein nützliches Produkt anbieten, von dem die Firma profitiert. Diese innere Distanz beschert ihnen einen selbstbewussteren Auftritt.

Meine Nettigkeits-Prüfung

»Leihst du mir Geld fürs Essen?«

Die Situation:

Ich bin Mitte 20 und Redakteur. Mein Kollege Henry ist bekannt dafür, dass er sich bei allen möglichen Leuten Geld leiht. Jedes Mal sagt er, er habe sein Portemonnaie vergessen. Doch seine Gläubiger bekommen Probleme: Er zahlt nur zurück, wenn man ihn wochenlang bedrängt. Es ist jedes Mal peinlich. Dreimal ist mir das schon passiert.

Nun, bei einer Dienstreise, spricht Henry mich im Lokal an: »Martin, ich hab kein Geld dabei. Kannst du mir fürs Mittagessen was auslegen?«

Ich will ihn nicht hungern lassen, aber auch nicht in die alte Falle tappen. Was tun?

Übung: Wie hätten Sie an meiner Stelle reagiert?

Meine Reaktion : Ich antworte ihm: »Die letzten Male habe ich es bereut, dass ich dir Geld geliehen habe. Jedes Mal musste ich dir hinterherlaufen. Versprichst du mir, dass du deine Schulden diesmal direkt und unaufgefordert zurückzahlst?« Er entschuldigt sich wortreich und willigt ein. Ergebnis: Er begleicht seine Schulden wieder nicht freiwillig, ich muss mein Geld eintreiben. Und bin sauer auf mich selbst.

Bewertung aus heutiger Sicht: Ich verhalte mich inkonsequent. Einerseits rüge ich ihn für sein Zahlungsverhalten. Und andererseits bekommt er doch eine Belohnung dafür: eine erneute Leihgabe. Weil ich mich genauso verhalte wie immer – ihm erneut Geld leihe –, verhält auch er sich wie immer und zahlt es nicht zurück. Ich hätte zu ihm sagen sollen: »Henry, ich habe dir schon dreimal Geld geliehen. Jedes Mal musste ich kämpfen, um es zurückzubekommen, und habe mich dabei schlecht gefühlt. Darum leihe ich dir nichts mehr.«

Kommentar: Diese Variante macht Henry klar, dass sein bewährtes Verhaltensmuster bei mir nicht mehr funktioniert. Die Aussage ist so eindeutig, dass sie keinen Raum fürs Nachbohren lässt.

Die Nettigkeits-Falle: Nette Menschen wollen niemanden leiden lassen. Die Vorstellung, dass ich esse und er Hunger schiebt, war für mich unerträglich. Ich hätte mir bewusst machen sollen: Für ihn ist es ja auch kein Problem, mich leiden zu sehen, wenn er mir die Rückzahlung verweigert. Nur durch diese radikale Veränderung meines Verhaltens hätte die Chance bestanden, dass er sein Verhalten ebenfalls radikal verändert.

Meine Lehre: Wenn du Nein sagst, denk zuerst an die positiven Konsequenzen für dich – und nicht an die (vermeintlich) negativen Konsequenzen für den anderen.