Wenn wir die Ergebnisse der Kapitel 1 bis 7 resümieren, dann wird ein Zusammenhang deutlich: Den Menschen geht es dort besser, wo mehr wirtschaftliche Freiheit herrscht. In Südkorea geht es ihnen besser als in Nordkorea, in der Bundesrepublik Deutschland besser, als es ihnen in der DDR ging, in Chile besser als in Venezuela. Und die Ausweitung der wirtschaftlichen Freiheit durch marktwirtschaftliche Reformen – in China unter Deng Xiaoping, in Großbritannien unter Margaret Thatcher und in den USA durch Ronald Reagan – vergrößerte den wirtschaftlichen Wohlstand für die Mehrheit der Bürger dieser Länder.
Der Antwort auf die Frage, ob mehr Staat oder mehr Markt den Wohlstand der Menschen fördert, kann man auf zweierlei Weise finden: Man kann theoretisch über die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Wirtschaftssysteme diskutieren. Oder man kann in der Praxis beobachten, welches besser funktioniert. Auf der ganzen Welt finden ständig gesellschaftliche Experimente statt und in diesem Buch werden viele dieser Experimente beschrieben. Das stets gleiche Ergebnis: Planwirtschaft und ein Übermaß an staatlicher Einmischung in die Wirtschaft führen zu schlechteren Ergebnissen als die Marktwirtschaft. Das gilt nicht nur für die in diesem Buch beschriebenen Länder, sondern ganz generell. Dies wird belegt durch den »Index of Economic Freedom«, der seit dem Jahr 1995 jährlich von der amerikanischen Heritage Foundation ermittelt wird.
Der Index misst die wirtschaftliche Freiheit von 180 Ländern, die für das Jahr 2017 erfasst wurden. Man kann diesen Index auch als »Kapitalismusskala« bezeichnen, so der Soziologe Erich Weede.531 Schon ein erster Blick auf den Index zeigt den Zusammenhang von Kapitalismus und Wohlstand.
Die wirtschaftliche Freiheit ist nicht einfach mit zwei oder drei Indikatoren zu beschreiben. Beispielsweise findet sich Schweden auf Platz 19, obwohl es eines der Länder mit der höchsten Steuerquote der Welt ist. Dafür gibt es in dem Ranking schlechte Punktzahlen, und wäre dies das einzige Kriterium für wirtschaftliche Freiheit, dann wäre Schweden statt auf Platz 19 auf dem vorletzten Platz (179) und würde als eines der unfreiesten Länder der Welt gelten. Dafür liegt das Land jedoch in anderen Bereichen ganz weit vorne, so etwa bei der unternehmerischen Freiheit (»Business Freedom«) auf Platz acht und bei der Garantie der Eigentumsrechte (»Property Rights«) auf Platz sieben.532
Der Grad der wirtschaftlichen Freiheit wird in dem Index anhand von zwölf Kriterien gemessen, die alle gleich gewichtet sind:
2017 gab es auf der Welt nur fünf Länder, die als wirtschaftlich frei gelten, 29 gelten als überwiegend frei. Dazu gehören auch die in diesem Buch dargestellten Länder Chile, USA, Schweden, Großbritannien und Deutschland (Platz 26). 58 Länder gelten als gemäßigt frei und 65 als überwiegend unfrei. 23 Länder sind unfrei, darunter Nordkorea und Venezuela. Die Wirtschaftskraft ist in den freieren Ländern stets größer als in den unfreien.
Der Unterschied wird in Asien sehr deutlich, wo in den fünf freiesten Ländern ein Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von 54.460 Dollar erzielt wird und in den fünf unfreiesten Ländern nur eines von 8.319 Dollar. Auf dem amerikanischen Kontinent wird in den fünf freiesten Ländern ein BIP pro Kopf von über 32.000 Dollar erzielt, in den fünf unfreiesten nur eines von 12.655 Dollar. Auch in Europa und Afrika sind die Unterschiede deutlich.537 Nimmt man das Viertel der wirtschaftlich freiesten Länder der Welt, so erzielten diese im Schnitt ein BIP pro Kopf von 43.342 Dollar, während es bei dem Viertel der unfreiesten Länder nur 7.217 Dollar waren.538
Nachgewiesen ist außerdem, dass eine Vergrößerung der wirtschaftlichen Freiheit zu mehr Wirtschaftswachstum führt. Das haben wir am Beispiel von China, Schweden, Großbritannien, den USA und Chile in diesem Buch gesehen. Das gilt jedoch auch, wenn man weltweit untersucht, wie sich eine Ausweitung der wirtschaftlichen Freiheit auf das Wirtschaftswachstum auswirkt.539 Hierzu einige Beispiele:540
Wirtschaftliche Freiheit nützt fast allen. Wissenschaftliche Untersuchungen haben belegt: Je mehr wirtschaftliche Freiheit es gibt, desto wohlhabender sind die Volkswirtschaften, desto wahrscheinlicher erreichen sie ein hohes Wirtschaftswachstum, desto höher ist sogar das Einkommen der ärmsten zehn Prozent der Bevölkerung.541 Eines der wichtigsten Argumente für den Kapitalismus ist, dass die wirtschaftlich freien Länder geringere Armutsraten haben und eine schnellere Armutsreduktion erreichen. Die Weltbank veröffentlicht regelmäßig Daten zur weltweiten Armutsentwicklung. Diese werden nur für Entwicklungsländer berechnet, nicht jedoch für die industrialisierten Länder mit hohem Einkommen. Eine Untersuchung belegt, dass die Rate extremer Armut in den am wenigsten freien Ländern bei 41,5 Prozent lag, jedoch nur bei 2,7 Prozent unter den freiesten Volkswirtschaften. Die Rate der »moderaten Armut« lag bei dem Quartil der wirtschaftlich unfreiesten Länder bei 57,4 Prozent, im Quartil der wirtschaftlich freiesten Länder dagegen bei 3,6 Prozent.542
Damit hängt zusammen, dass die Lebenserwartung in Ländern mit größerer wirtschaftlicher Freiheit deutlich höher ist als in Ländern mit geringer wirtschaftlicher Freiheit. In dem Quartil der Länder mit der geringsten wirtschaftlichen Freiheit lag die Lebenserwartung bei 60,7 Jahren, im Quartil der wirtschaftlich freiesten Länder dagegen bei 79,4 Jahren.543 Die Lebenserwartung ist also in wirtschaftlich freieren Ländern fast 20 Jahre höher als in wirtschaftlich unfreien Ländern.
Ein Indikator für den wirtschaftlichen Wohlstand ist der Prozentanteil der allgemeinen Konsumausgaben der Menschen eines Landes für Essen. In den USA entfallen heute rund sechs Prozent der Konsumausgaben auf Lebensmittel, und dies, obwohl etliche Amerikaner bekanntlich eher zu viel essen. Vor 100 Jahren betrugen die Konsumausgaben in den USA noch 40 Prozent, so viel wie heute in vielen Entwicklungsländern. Eine Untersuchung aus dem Jahr 2017 zeigt, dass die Menschen am wenigsten für Essen in den USA, Singapur, Großbritannien, der Schweiz, Kanada, Irland, Österreich, Australien, Deutschland und Dänemark ausgeben – alles Länder, die wirtschaftlich (überwiegend) frei sind. Die Tabellenschlusslichter sind ausschließlich wirtschaftlich unfreie Länder. Dort geben die Menschen im Durchschnitt oftmals 40 Prozent, in der Spitze sogar bis zu 59 Prozent ihrer Konsumausgaben für Nahrungsmittel aus.544
Nachgewiesen ist auch: Je mehr wirtschaftliche Freiheit herrscht, desto seltener kommt es zu Bürgerkriegen, desto höher ist die politische Stabilität, desto seltener werden Morde und Menschenrechtsverletzungen begangen, desto niedriger ist der Militarisierungsgrad von Gesellschaften und desto sicherer fühlen sich die Menschen.545 Für Wissenschaftler wäre es eine interessante Aufgabe, den Zusammenhang von weltweiten Fluchtbewegungen und wirtschaftlicher Freiheit zu analysieren. Für Flucht gibt es viele Ursachen: politische Unterdrückung, wirtschaftliche Not, Kriege und Bürgerkriege. Wenn wir den Index der wirtschaftlichen Freiheit anschauen und die ersten 20 mit den letzten 20 Ländern vergleichen, dann wird eines auf den ersten Blick deutlich: Niemand flieht aus Ländern wie Neuseeland, Großbritannien, Holland oder Schweden. Im Gegenteil: Die meisten Länder, die als »überwiegend frei« gelten, waren die Zielländer der Fluchtbewegungen, so etwa Deutschland, Österreich oder Schweden.
Nehmen wir die 20 unfreiesten Länder in den Blick, dann wird deutlich, dass aus unterschiedlichen Gründen Menschen aus vielen dieser Länder flohen, sofern sie nicht – wie etwa in Nordkorea – mit Gewalt daran gehindert wurden. Das trifft nicht nur für Länder wie den Sudan zu, in denen Bürgerkrieg herrscht, sondern auch für ein Land wie Venezuela, das mehr als eine Million Menschen wegen der katastrophalen Auswirkungen der sozialistischen Politik verließen.
Trotz aller Fortschritte sind im Afrika südlich der Sahara immer noch die meisten der 48 Länder wirtschaftlich unfrei. Nur zwei dieser Länder sind überwiegend frei, sieben sind »moderat frei«, 27 sind überwiegend unfrei und elf gehören zu den unfreiesten Ländern der Welt. Daher wird verständlich, warum die meisten Flüchtlinge aus Afrika kommen: Hier herrscht immer noch die größte wirtschaftliche Unfreiheit und daher ist auch die Not am höchsten. Zwar hat die Not in vielen Ländern Afrikas in den vergangenen Jahrzehnten abgenommen, wie wir in Kapitel 2 gesehen haben. Leider heißt dies nicht, dass dann weniger Menschen fliehen, wie es uns Politiker weismachen wollen, die davon reden, man müsse die »Fluchtursachen beseitigen«. Die Ärmsten der Armen können ohnehin keine Schlepper bezahlen, die oft mehrere Tausend Dollar kosten. Vielmehr kommen oft diejenigen, denen es dank der verbesserten wirtschaftlichen Lage ein wenig besser geht und die genug Geld für Schlepperdienste haben.
Es gibt zahlreiche weitere Indizes und Länder-Rankings, z.B. solche, die Aussagen über die Lebensqualität in Ländern treffen sollen. Besonders bekannt ist der »Human Development Index« (HDI), den die UN seit 1990 veröffentlicht. Der von dem pakistanischen Ökonomen Mahbub ul Haq entwickelte Index soll ein umfassender »Wohlstandsindikator« sein, umfassender als traditionelle Kennzahlen in der Wirtschaftswissenschaft. Die Berechnungsmethode dieses Index hat sich über die Jahre immer wieder geändert, aber neben dem Bruttoinlandseinkommen pro Kopf spielen dort Kriterien wie die Schulbildung und die Lebenserwartung eine wichtige Rolle.
Grundsätzlich ist der Gedanke, neben dem Bruttoinlandseinkommen pro Kopf weitere Indikatoren einzubeziehen, sinnvoll. Das BIP, das den Gesamtwert der im Inland produzierten Güter und Dienstleistungen innerhalb eines Jahres beschreibt, ist schon allein deshalb als alleiniger Maßstab für die Wohlstandsmessung ungeeignet, weil es sich um eine Einkommensgröße handelt und dieser Indikator die Höhe des Vermögens nicht abbildet. Natürlich ist es sinnvoll, darüber hinaus Merkmale wie etwa die Lebenserwartung der Menschen zu berücksichtigen, wenn Aussagen über die Höhe des Wohlstandes getroffen werden sollen. Aber die Methoden und die Ergebnisse, zu denen der »Human Development Report« führt, erscheinen in mancher Hinsicht fragwürdig. So belegten 2016 Kuba und Venezuela mit Platz 68 bzw. 71 von insgesamt 105 einen vergleichsweise hohen Rang, deutlich vor Mexiko (77) oder Brasilien (79).546
Trotz solcher Merkwürdigkeiten in der Wohlstandsmessung ist ein Zusammenhang zwischen dem Ranking des HDI und dem Index der wirtschaftlichen Freiheit festzustellen. Von 20 Ländern mit dem höchsten Ranking im HDI-Index547 sind fast alle zugleich in der Gruppe der Top 30 der wirtschaftlich freiesten Länder der Welt (mit Ausnahme von Macau, Israel und Japan, die aber auf Platz 32, 36 und 40 im Ranking der wirtschaftlichen Freiheit dichtauf folgen). Umgekehrt ist unter den 20 Schlusslichtern im HDI-Index (Länder wie Usbekistan, Malediven, Samoa u.a.) kein einziges Land, das als »wirtschaftlich frei« oder »überwiegend wirtschaftlich frei« nach dem Index der Heritage Foundation gilt.