»Am Anfang habe ich mir vorgestellt, für ein Stadion voller Klone von mir selbst zu schreiben. Das machte es einfach, denn ich wusste genau, was für Themen sie interessieren, welchen Schreibstil sie mochten und worüber sie lachen konnten.«
TIM URBAN
TW/FB: @waitbutwhy
waitbutwhy.com
TIM URBAN ist Autor des Blogs Wait But Why und gehört mittlerweile zu den populärsten Onlineautoren. Laut Fast Company hat Tim »ein begeistertes Publikum, um das ihn selbst die großen Nachrichtenmedien beneiden.« Heute verbucht Wait But Why über 1,5 Millionen Besucher im Monat und hat mehr als 550.000 E-Mail-Abonnenten. Tim konnte auch etliche prominente Leser für sich gewinnen, wie die Autoren Sam Harris (Seite 388 ) und Susan Cain (Seite 33 ), Twitter-Mitgründer Evan Williams (Seite 424 ), TED-Kurator Chris Anderson (Seite 430 ) und Maria Popova von Brain Pickings . Tims Beitragsreihe nach seinem Gespräch mit Elon Musk wurde von David Roberts (Vox ) als die »inhaltsreichsten, faszinierendsten und erfreulichsten Posts, die ich seit langer Zeit gelesen habe« bezeichnet. Der erste war »Elon Musk: The World’s Raddest Man«. Tims TED Talk »Inside the Mind of a Master Procrastinator« wurde über 21 Millionen Mal aufgerufen.
Welches Buch (welche Bücher) verschenkst du am liebsten? Warum? Welche ein bis drei Bücher haben dein Leben am stärksten beeinflusst?
The Fountainhead von Ayn Rand – wegen der beiden Hauptfiguren des Buches, Howard Roark und Peter Keating. Beide ähneln keiner realen Person – dazu sind sie zu eindimensional und extrem. Doch in ihrer Kombination findet sich meines Erachtens einfach jeder wieder. Roark ist ein total eigenständiger Verstandesmensch. Er gründet seine Überlegungen auf ursprüngliche Prinzipien – fundamentale Fakten, die dem Leben zugrunde liegen, etwa die Grenzen der Physik und die Grenzen seiner eigenen Biologie – und verwendet diese Informationen lediglich als Bausteine für seine Logik, um zu Schlussfolgerungen und Entscheidungen zu gelangen und seinen Lebensweg daran zu orientieren. Ganz anders Keating: Er ist in seinem Denken vollkommen abhängig. Er richtet den Blick nach außen und nimmt die Werte seiner Zeit, soziale Akzeptanz und gängige Meinungen als zentrale Fakten wahr. Dann versucht er, das Spiel zu gewinnen, indem er sich nach diesen Regeln richtet. Seine Werte sind die der Gesellschaft, und sie diktieren seine Ziele. Wir alle sind manchmal wie Roark und manchmal wie Keating. Für mich liegt der Schlüssel zum Leben darin, herauszufinden, wann es sinnvoll ist, Geisteskraft zu sparen und wie Keating zu sein (ich bin beispielsweise bei der Auswahl meiner Kleidung ausgesprochen konformistisch, weil mir das nicht so wichtig ist), und wann es im Leben darauf ankommt, wie Roark zu sein und einen eigenen Kopf zu haben (bei der Berufswahl, der Wahl des Lebenspartners oder der Entscheidung, wie man seine Kinder erzieht etc.).
The Fountainhead hatte großen Einfluss auf meinen langen Blogbeitrag über die Gründe für Elon Musks großen Erfolg. Für mich ist er wie Roark – er beherrscht es meisterhaft, aus grundlegenden Prinzipien Schlussfolgerungen zu ziehen. In dem Post bezeichne ich solche Menschen als »Meisterköche« (die mit Zutaten experimentieren und neue Rezepte erfinden). Und Musk entspricht diesem Bild ungewöhnlich genau. Die meisten Menschen bringen ihr Leben als Keating zu – oder, wie ich es formuliere, als »Wald- und Wiesenkoch« (also jemand, der sich selbst keine Mühe macht und sich nach dem Rezept eines anderen richtet). Wir wären alle viel glücklicher und erfolgreicher, wenn wir lernen könnten, öfter mal Meisterkoch zu sein. Dazu muss man sich bewusst machen, wann man nur Wald- und Wiesenkoch ist. Und dass es gar nicht so schrecklich ist, unabhängig zu denken und danach zu handeln.
Anmerkung von Tim Ferriss: Ich bat Tim um ein paar amüsante Hintergrundinformationen dazu. Hier sind sie:
Anfang 2015 kam Elon auf mich zu und bat um ein Gespräch. Er hatte ein paar Wait But Why -Posts gelesen und wollte wissen, ob ich interessiert sei, über eine der Branchen zu schreiben, in denen er tätig war. Ich flog zu ihm nach Kalifornien, besichtigte die Tesla- und SpaceX-Fabrik und informierte mich beim Management beider Unternehmen genauer darüber, was dort gemacht wurde und warum. In den sechs Folgemonaten schrieb ich vier sehr lange Beiträge über Tesla und SpaceX und die Geschichte ihrer Branchen. (Die ganze Zeit über stand ich in regem telefonischem Kontakt mit Elon, um allen meinen Fragen auf den Grund zu gehen). In den ersten drei Posts versuchte ich die Frage zu beantworten: »Was treibt Elon an?« Im vierten und letzten Beitrag der Reihe nahm ich mir Elon selbst vor und versuchte, Folgendes herauszufinden: »Warum ist Elon so erfolgreich?« Das brachte mich darauf, mich mit all den Ideen rund um eine auf grundlegenden Prinzipien beruhende Logik zu beschäftigen (also dem »Meisterkoch«, der sich Rezepte ausdenkt) – im Gegensatz zur Logik durch Analogie (dem »Wald- und Wiesenkoch«, der nach fremden Rezepten kocht).
Welche Anschaffung von maximal 100 Dollar hat für dein Leben in den letzten sechs Monaten (oder in letzter Zeit) die größte positive Auswirkung gehabt?
Die Kreuzworträtsel-App der New York Times . Ich habe schon immer gern Kreuzworträtsel gelöst, war aber nie besonders gut. Seit ich die App habe, geht das immer besser (am Anfang habe ich meist nur von Montag bis Mittwoch gerätselt, doch jetzt löse ich jeden Tag eines). Das Kreuzworträtsel ist für mich ein tägliches Highlight. Ich mache gern gleich morgens nach dem Aufwachen das Kreuzworträtsel des Tages – im Bett, beim Frühstück, in der U-Bahn, in der Schlange im Coffeeshop. Aber ich muss aufpassen – je später in der Woche, desto länger brauche ich, und oft bringe ich nicht die nötige Disziplin auf, ein schwieriges Rätsel aus der Hand zu legen, bevor ich es ganz gelöst habe. Das würfelt meinen Tagesplan manchmal ziemlich durcheinander, und dann ärgere ich mich über mich selbst. Manchmal öffne ich die App, um fünf Minuten Pause zu machen – und daraus werden dann 82 Minuten. Und wieder muss ich mich über mich selber ärgern. Inzwischen versuche ich deshalb, nur noch abends Kreuzworträtsel zu machen.
Welcher (vermeintliche?) Misserfolg war die Voraussetzung für deinen späteren Erfolg? Hast du einen »Lieblingsmisserfolg«?
In meinem letzten Collegejahr beschloss ich, mich als Komponist für das jährliche Studenten-Musical zu bewerben – The Hasty Pudding . Ich ging zur Einweisung für die Bewerber um die Komposition und stellte fest, dass diese Veranstaltung vom Leiter des Programms und einem Kommilitonen geleitet wurde, der für das Programm tätig war und dem Leiter beim Vorspielen assistierte. Der Leiter erklärte uns, wie man sich bewerben musste, und der Student setzte sich ans Klavier und spielte ein paar Melodien vor – Beispiele für die Art Musik, die gefragt war. Ich verließ die Veranstaltung total aufgeregt – ich wollte nach dem College Komponist werden und deshalb unbedingt den Zuschlag bekommen.
Noch am selben Tag erhielten alle Bewerber per E-Mail den Spielplan, der festlegte, wer dem Programmleiter wann seine Probestücke vorspielen sollte. Auf dem Plan stand nicht nur der Namen desjenigen, der die Musik für das letztjährige Musical geschrieben hatte (und ich wusste, dass derselbe Komponist oft mehrere Jahre zum Zuge kam), sondern auch der Name des Studenten, der uns die Beispielstücke vorgespielt hatte! Vollkommen entmutigt beschloss ich, mich gar nicht erst zu bewerben. Bestimmt würde entweder der Komponist des Vorjahres (den der Programmleiter bereits kannte) oder die studentische Hilfskraft den Job bekommen.
Ein paar Monate später tauchten auf dem Campus die ersten Werbeplakate für das Musical auf – und der Komponist war … keiner von beiden. Ein anderer hatte das Rennen gemacht. Da bedauerte ich natürlich gewaltig, dass ich es gar nicht erst versucht hatte – und war entsprechend sauer auf mich. Aber das war mir eine wertvolle Lehre: Lass dich niemals von etwas abbringen, das dir wichtig ist – vor allem nicht durch potenziell haltlose Annahmen.
Wenn du an einem beliebigen Ort ein riesiges Plakat mit beliebigem Inhalt aufhängen könntest, was wäre das und warum?
Meine Plakatwand wäre eine Zauberwand, auf der für jeden, der sie anschaut, etwas anderes stünde. Sie könnte Gedanken lesen, herausfinden, welche Menschen der Betrachter besonders eindimensional beurteilt und im Kopf verteufelt und entmenschlicht. Das wären für den einen Trump-Wähler, für den anderen Muslime. Oder Schwarze, betuchte Weiße oder Sexualstraftäter. So oder so, der Betrachter würde einen Vertreter dieser Gruppe sehen, der etwas tut, was dem Zuschauer seine ganze dreidimensionale Menschlichkeit vor Augen führt – am Totenbett seiner Eltern sitzen, seinen Kindern bei den Hausaufgaben helfen oder ein albernes Hobby betreiben, das dem Betrachter ebenfalls Spaß macht.
Ich glaube, dass Menschen andere Menschen nur hassen können, wenn sie sie in ihrem Kopf entmenschlichen. Sobald jemand der Realität ausgesetzt und daran erinnert wird, dass der Gehasste ein richtiger Mensch ist, verpufft der Hass gewöhnlich, und Empathie setzt ein.
Was ist das beste oder lohnendste Investment, das du je getätigt hast (in Form von Geld, Zeit, Energie etc.)?
Im Jahr nach meinem Collegeabschluss gründete ich ein kleines Unternehmen, das Bewerber auf Tests vorbereitete (es bot Tutorenprogramme für SAT, ACT etc.). Ich widmete mich dann einen Großteil der nächsten neun Jahr dem Wachstum dieses Unternehmens. Mein Kompagnon und ich merkten schnell, dass es ein Vorteil war, dass wir beide alleinstehend, zwischen 20 und 30 waren und keine größeren finanziellen Verpflichtungen hatten. Auch als das Unternehmen größer wurde, behielten wir unseren Lebensstil ganz bewusst bei. Statt nach einem guten Jahr jedem 25.000 Dollar mehr zu genehmigen, beließen wir unsere Gehälter unverändert und stellten stattdessen für 50.000 US-Dollar einen Mitarbeiter ein. Lief es in einem Jahr besonders gut, verzichteten wir ebenfalls auf eine Gehaltserhöhung und stellten drei oder vier zusätzliche Kräfte ein.
Das ist vor allem meinem Mitgründer zu verdanken, denn er ist der Diszipliniertere von uns beiden. Eine gute Strategie war es auf jeden Fall. Als ich 30 wurde, hatte die Firma 20 Beschäftigte und warf vermutlich das Zehnfache dessen ab, was wir erwirtschaftet hätten, wenn wir uns jedes Jahr unsere eigenen Bezüge erhöht hätten. Für uns war der Deal, dass uns ein bescheidenerer Lebensstil in den 20ern weit mehr Freiheit ab 30 bescherte. Und weil ich diese Freiheit hatte, konnte ich Wait But Why ins Leben rufen und mich ganz dem Schreiben widmen.
Was ist eine deiner – gern auch absurden – Eigenheiten, auf die du nicht verzichten möchtest?
Ich habe zu Hause eine Spielzeugkiste. Das heißt, eigentlich habe ich eine Menge Spielzeug, aber meine Verlobte war es leid, dass mein Zeug überall herumlag, und deshalb besorgte sie eine Kiste, in der ich meine Spielsachen jetzt aufbewahren muss. Es handelt sich dabei ausschließlich um mechanische, haptische Spielutensilien, die eine gewisse Geschicklichkeit erfordern – im Grunde alles, was mir schon mit fünf Jahren Spaß gemacht hat. Ich habe verschiedene Magneten, eine ganze Knetgummisammlung, Fidget Spinners, Fidget Cubes, Flummis und dergleichen. Das ist aber nicht nur für das Kind in mir gedacht – nein, ich kann mich damit einfach besser konzentrieren. Ich bin ein kinetischer Denker – ein Mensch, der herumläuft, während er telefoniert. Und bei der Arbeit – beim Brainstorming, Recherchieren, Skizzieren und Schreiben – komme ich mit einem Spielzeug in der Hand viel besser voran. Sonst kaue ich an den Fingernägeln, bis sie bluten. Du merkst schon, ich bin nicht ganz einfach.
Welche Überzeugungen, Verhaltensweisen oder Gewohnheiten, die du dir in den letzten fünf Jahren angeeignet hast, haben dein Leben am meisten verbessert?
Wenn man ohne feste Arbeitszeiten schriftstellerisch tätig ist, erliegt man leicht der romantischen Vorstellung, dass gesellschaftliche Konventionen nur für andere gelten. Man sitzt zu Hause in der Unterwäsche am Schreibtisch, man ist nachts um drei am inspiriertesten, man stellt sich nie einen Wecker und so weiter. Ich war immer stolz darauf, unkonventionell zu sein, und außerdem bin ich von Natur aus faul. Deshalb kam mir das unkonventionelle Arbeitszeitmodell und -umfeld sehr entgegen.
Das Problem dabei war bloß, dass ich damit leider gar nicht gut zurechtkam. Ich erzielte Ergebnisse, wenn ein Termin drängte. Ansonsten war ich furchtbar unproduktiv. Außerdem war ich irgendwie ständig bei der Arbeit. Ich war zwar selten konzentriert bei der Sache, konnte aber auch kaum je richtig abschalten.
Es ist noch gar nicht so lange her, da wurde mir klar, dass so ein Achtstundentag im Büro durchaus seine Vorteile hat. Ich gewöhnte mir an, nicht mehr zu Hause zu arbeiten, sondern mich anzuziehen und in einem Coffeeshop zu schreiben. Ich ging zu einer christlicheren Zeit schlafen und stellte mir den Wecker. Und ich versuchte, klar zu trennen zwischen konzentrierter Arbeit bis zum Abend und komplett arbeitsfreier Zeit bis zum nächsten Morgen. Ich versuche, mir die Wochenenden (zumindest einen Tag) freizuhalten. Ich halte mich nicht immer strikt daran und habe ab und zu Rückfälle, aber wenn es mir gelingt, dann ist es für mich aus mehreren Gründen besser:
* Die meisten Menschen sind vormittags am produktivsten, und ich bin da keine Ausnahme.
* Wer abends lange arbeitet, hat kein Privatleben, denn das findet wochentags meist zwischen 19 und 23 Uhr und am Wochenende statt. Wer dann arbeitet, hat plötzlich keine Zeit mehr für Freunde – und das ist ausgesprochen kurzsichtig und unklug.
* Wie in meinem TED Talk geschildert, haben wir meiner Ansicht nach alle zwei Seelen in der Brust: einen rationalen Entscheider (den Erwachsenen) und einen auf sofortige Anerkennung gepolten Affen (das Kind, das sich keine Gedanken macht um die Folgen und nur den Augenblick möglichst intensiv genießen möchte). In mir ringen die beiden ständig miteinander, und meistens gewinnt der Affe. Ich habe aber Folgendes festgestellt: Wenn ich im Leben auf Yin und Yang achte – also »heute bis sechs arbeite und dann bis morgen frei habe« –, ist es viel leichter, den Affen in der Arbeitsphase unter Kontrolle zu halten. Wenn er weiß, dass er später noch Spaß haben darf, verhält er sich gleich viel kooperativer. Gegen mein früheres System hat er ständig rebelliert, weil er sich nie richtig ausleben konnte.
Welchen Rat würdest du einem intelligenten, motivierten Studenten für den Einstieg in die »echte Welt« geben? Welchen Rat sollte er ignorieren?
Alle Berufswege lassen sich im Grunde in zwei Hauptkategorien unterteilen – man wird selbst CEO oder man arbeitet für einen.
CEO wird man, wenn man ein Unternehmen gründet, sich in der Kunst einen Namen macht und Fans findet oder selbstständig tätig ist – wenn man also sein eigener Chef ist und freie Entscheidungen trifft.
Hat ein anderer das Sagen, dann ist er CEO und du arbeitest für ihn. Das gilt natürlich für alle Angestellten eines Unternehmens, aber auch für Berufsgruppen wie Ärzte oder Anwälte.
Die Gesellschaft verherrlicht gern die CEO-Karriere, sodass sich Menschen, die nicht ihr eigener Chef werden wollen, oft minderwertig fühlen. Dabei ist keiner dieser Berufswege als solcher besser oder schlechter als der andere. Das hängt ganz von der eigenen Persönlichkeit, den Zielen oder dem angestrebten Lebensstil ab. Es gibt superintelligente, fähige, besondere Menschen, die ihre Gaben am besten als CEO einsetzen können. Es gibt aber auch welche, die besser bedient sind, wenn ein anderer dafür sorgt, dass der Laden läuft, und sie den Kopf einziehen und in Ruhe ihre Arbeit machen können. Manche müssen CEO sein, um berufliche Erfüllung zu finden, für andere ist es eine Katastrophe, wenn sie von der Arbeit aufgefressen werden.
Manche Menschen haben ganz konkrete Bedürfnisse – etwa jemand, der unbedingt Liedermacher werden muss, um glücklich zu sein. Doch die meisten wissen nach der Schule nicht so richtig, was sie eigentlich werden wollen. All jenen empfehle ich, in jungen Jahren genau über die CEO-Geschichte nachzudenken und sich auszuprobieren, um zu erfahren, wie sich das eine und das andere anfühlt.
Welche schlechten Ratschläge kursieren in deinem beruflichen Umfeld oder Fachgebiet?
Ich bin ja Schriftsteller, und ich stelle fest, dass viele Ratschläge für junge Autoren – vor allem für solche, die sich online etablieren möchten – darauf abzielen, Leser zu überzeugen. Stellt man sich seine potenziellen Leser als Dübel vor, dann besagt dieser Rat, dass man zum richtigen Loch werden sollte – zu einem also, in das möglichst viele Leser passen oder das rasch eine Menge Leser aufnehmen kann –, eben als Mittel, die Schriftstellerkarriere in Gang zu bringen.
Meiner Ansicht nach sollte man sich lieber darüber Gedanken machen, wie man als Autor möglichst lustig, spannend und natürlich rüberkommt. Und genau das tun. Im Internet sind eine Menge Leute unterwegs, und sie alle können mit einem Tippen aufs Handy auf deine Texte zugreifen. Auch wenn also nur einer von tausend – 0,1 Prozent – zufällig ein Dübel ist, der genau in dein »Schreibloch« passt, dann sind das insgesamt eine Million Menschen, die ganz toll finden, was du machst.
Am Anfang habe ich mir vorgestellt, für ein Stadion voller Klone von mir selbst zu schreiben. Das machte es einfach, denn ich wusste genau, was für Themen sie interessieren, welchen Schreibstil sie mochten und worüber sie lachen konnten. Ich ignorierte die gängige Meinung, dass Onlineartikel kurz sein, häufig erscheinen und einheitlich gepostet werden sollten – schließlich wusste ich, dass das dem Stadion voller Tims schnuppe war –, und konzentrierte mich stattdessen ganz auf ein Thema. Und es klappte. Vier Jahre später haben eine Menge Menschen, die meine Schreibe mögen, zu mir gefunden.
Wenn du dich nach innen orientierst – also auf dich selbst als Autor – statt nach außen (auf das, was die Leser deiner Ansicht nach lesen wollen), dann produzierst du am Ende deine besten und einfallsreichsten Texte. Und der eine von tausend, dem du richtig gut gefällst, wird irgendwann den Weg zu dir finden.
Wozu kannst du heute leichter Nein sagen als vor fünf Jahren? Welche neuen Erkenntnisse und/oder Ansätze haben dir dabei geholfen?
Zum Erstellen meiner »Nein«-Liste habe ich bei meiner »Ja«-Liste angesetzt. Auf der »Ja«-Liste sollte alles stehen, was wichtig ist – doch wie lässt sich ein schwammiger Begriff wie »wichtig« genauer definieren? Ich verwende dafür ein paar einfache Lackmustests:
Bei der »Ja«-Liste für meine Arbeit ziehe ich einen Test heran, den man Grabstein-Test nennen könnte. Tut sich eine Chance auf, stelle ich mir die Frage, ob ich dieses Projekt gern auf meinem Grabstein stehen hätte. Wenn nicht, dann heißt das vermutlich, dass mir die Sache nicht so wichtig ist. Der Grabsteingedanke mag morbide sein, doch er bringt alles sehr schön auf den Punkt und zwingt mich, meine eigene Arbeit absolut distanziert zu betrachten. Dann erkennt man genau, was einem wirklich wichtig ist. Meine »Ja«-Liste erstelle ich also mit Hilfe des Grabstein-Tests. Auf Projekte, die ihn nicht bestehen, will ich meine Zeit nicht verschwenden. Sie landen auf der »Nein«-Liste. Der Grabstein-Test ist für mich gewöhnlich ein Fingerzeig, meine Zeit und Energie darauf zu konzentrieren, so gut, einfallsreich und kreativ wie möglich zu arbeiten.
Ein ganz ähnlicher Test, den ich für meine private »Ja«-Liste verwende, ist der Totenbett-Test. Wir haben alle schon mal von diesen Studien über Menschen gehört, die sich auf dem Totenbett überlegen, was sie am meisten bedauern. Dem Klischee zufolge bedauert niemand, dass er nicht mehr Zeit im Büro verbracht hat. Auf dem Totenbett gewinnen die Menschen eine absolute Klarheit, die wir im Alltag nur schwer erreichen. Und nur wenn uns diese Klarheit in der täglichen Hektik fehlt, kommen wir auf den Gedanken, dass es sinnvoll sein könnte, unsere wichtigsten persönlichen Beziehungen zu vernachlässigen. Der Totenbett-Test veranlasst mich zu den beiden folgenden Konsequenzen:
* Dafür zu sorgen, dass ich meine Zeit mit den richtigen Menschen verbringe. Dazu stelle ich mir die Frage: »Würde ich auf dem Totenbett an diesen Menschen denken?«
* Dafür zu sorgen, dass ich genügend »Quality Time« mit Menschen verbringe, die mir etwas bedeuten. Dazu stelle ich mir die Frage: »Wenn ich heute sterben müsste, wäre ich dann der Ansicht, ich hätte genug Zeit mit diesem Menschen verbracht?« Du kannst dir aber auch den anderen auf dem Totenbett vorstellen. »Wenn X heute sterben müsste, wäre ich dann der Ansicht, ich hätte genug Zeit mit ihm oder ihr verbracht?«
Die wichtigsten Menschen in deinem Leben konkurrieren ständig mit deiner Arbeit und anderen um deine Zeit. Der Totenbett-Test ist ein nützlicher Wink mit dem Zaunpfahl: Man kann nur dann genug Zeit mit den wichtigsten Menschen verbringen, wenn man zu vielen anderen Aktivitäten und Menschen »Nein« sagt.
Der Grabstein-Test und der Totenbett-Test machen Folgendes klar: Wenn wir sterben müssen und die Inschrift für unseren Grabstein entworfen wird, dann ist es zu spät, um Dinge zu ändern. Wir sollten also unser Möglichstes tun, um diese magische Lebensendklarheit zu gewinnen, bevor das Leben wirklich zu Ende geht.
Natürlich ist es nicht so einfach, sich auch tatsächlich an die »Nein«-Liste zu halten, aber ich arbeite daran – und ein paar gute Mechanismen, um festzulegen, was wirklich wichtig ist, helfen mir enorm dabei.