Ein Bücherreich für einen Kater
Am frühen Morgen des 18. Januar 1988 hören die Mitarbeiterinnen der Stadtbücherei von Spencer ein Geräusch aus dem Buchrückgabekasten. Ihr erster Gedanke, ein Tier könne sich in die eisig kalte Metallbox verirrt haben, bewahrheitet sich – aber anders, als sie es erwartet haben. Vicki Myron schaut nach und entdeckt statt des vermuteten Streifenhörnchens ein kleines Kätzchen. Es hockt verfroren in eine Ecke gedrängt und schaut traurig zu ihr auf. Jemand muss es in der Nacht in den Kasten geworfen haben.
Sie wärmt und badet das Tierchen, und zu ihrem Erstaunen kommt unter dem räudig grauen Fell ein schönes orangefarbenes Langhaarfell zum Vorschein. Trotz der schrecklichen Nacht in der Box ist das Kätzchen freundlich und zutraulich.
Vicki Myron, die als Leiterin in der Bibliothek arbeitet, setzt durch, dass der kleine Kater bleiben darf. Er wird auf den Namen »Dewey Readmorebooks« getauft. Ein Wortspiel aus der Dewey-Dezimalklassifikation (DDC), einer weltweit genutzten Methode zur inhaltlichen Erschließung von Bibliotheksbeständen, und der Aufforderung, mehr Bücher zu lesen – »Read more books«. Spricht man den Namen aus, klingt er zudem wie die Frage »Do you read more books?«.
Der Ort Spencer in Iowa ist, wie viele amerikanische Kleinstädte in dieser Zeit, tief von der Wirtschaftskrise getroffen. Den Menschen geht es schlecht, einen kleinen Trost finden sie in Form der freundlichen Bibliothekskatze. Schnell wird die Presse auf Dewey aufmerksam. Ist es zunächst nur die lokale Zeitung, zieht Deweys Bekanntheit immer weitere Kreise, bis schließlich 2003 ein japanisches Filmteam vor der Tür steht.
Vicki Myron schreibt ein Buch über Dewey, die Menschen in Spencer und ihr eigenes Leben. Es wird zum Bestseller. Dewey wohnt bis an sein Lebensende in der Bibliothek. Im November 2006 stirbt er im Alter von 19 Jahren. Ihm zu Ehren wurde in der Bibliothek eine Bronzeskulptur aufgestellt.