1.5 Mythen und Vorurteile
In diesem Abschnitt versuche ich, gängige Kritikpunkte bzw. Vorurteile rund um den Einsatz von Wärmepumpen möglichst sachlich darzustellen.
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Wärmepumpen sind nur für Neubauten bzw. Niedrigenergiehäuser geeignet. Das ist schlichtweg falsch. Richtig ist, dass Wärmepumpen umso besser funktionieren, je niedriger die Vorlauftemperatur des Heizungswassers ist. Deswegen läuft die Wärmepumpe bei einem gut gedämmten Haus mit Fußbodenheizung mit einer höheren Leistungszahl als bei einem schlecht gedämmten Haus mit herkömmlichen Heizkörpern. Dementsprechend wird empfohlen, bei der Sanierung von Altbauten mit der Dämmung zu beginnen.
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Es gibt zu wenig Wärmepumpen bzw. Handwerker. Das trifft aktuell zu. Andererseits werden ja nicht alle für die Energiewende notwendigen Wärmepumpen sofort installiert. Die Produktionskapazitäten für Wärmepumpen werden gerade massiv gesteigert, in Deutschland und anderswo. Es ist abzusehen, dass es bald genug Wärmepumpen geben wird und dass der Preis von Wärmepumpen tendenziell sinken wird. Schwieriger zu lösen ist das Personalproblem der Fachbetriebe, das unumstritten ist.
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Wärmepumpen sind zu teuer, das lohnt sich nie! Die Investitionskosten für eine neue Heizung mit Wärmepumpe sind in der Tat deutlich höher als bei einer Gasheizung. Die laufenden Kosten sind aber niedriger, zumal zu erwarten ist, dass der Strompreis in den nächsten Jahren sinkt, der Gaspreis aber (auch aus steuerlichen Gründen, CO₂-Bepreisung) stark steigen wird. Längerfristig sparen Sie mit einer Wärmepumpe Geld!
In vielen Ländern gibt es Förderprogramme für den Austausch fossiler Heizungen durch Wärmepumpen. In Deutschland werden die schon vorhandenen Förderungen ab 2024 sehr großzügig erweitert. Dann übernimmt der Staat in manchen Fällen mehr als 50 Prozent der Kosten – ein Angebot, dass Sie sich nicht entgehen lassen sollten. (Die genauen Förderregularien variieren je nach Land/Bundesland stark. Werfen Sie einen Blick in Kapitel 7.)
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Die Wärmepumpe fliegt mir um die Ohren. Das ist maßlos übertrieben. Tatsächlich hat es Fälle gegeben, bei denen das in jeder Wärmepumpe enthaltene Kältemittel (es handelt sich bei alten Modellen um wenige Kilogramm, bei neuen Modellen um noch deutlich kleinere Mengen) aufgrund eines technischen Defekts entwichen und verpufft ist. Die Gefahr, die von jeder Gasheizung ausgeht, ist um ein Vielfaches höher.
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Es gibt zu wenig Strom. Diese Aussage trifft aktuell zu – aber parallel mit der Errichtung von Wärmepumpen wird ja auch die regenerative Stromerzeugung ausgebaut. Zur Abschätzung der Energiemengen habe ich hier eine Überschlagsrechnung angestellt.
2022 wurden in Deutschland ca. 570 Milliarden Kilowattstunden (kWh) Strom produziert. Es gibt in Deutschland aktuell ca. 41 Millionen »Wohnungen«, wobei dieser Begriff auch Einfamilienhäuser bzw. Doppelhaushälften inkludiert. Aktuell werden etwa 80 % fossil beheizt. Wenn es gelingt, davon wieder 80 % mit Wärmepumpen auszustatten, wären das ca. 26 Millionen Wohnungen. (Wir brauchen übrigens nicht 26 Millionen Wärmepumpen! Viele Wohnungen befinden sich in Mehrparteienheizung, wo eine zentrale Gas- oder Ölheizung durch eine ebenso zentrale Wärmepumpe ersetzt werden kann. Um noch eine Zahl zu nennen: Es gibt in Deutschland knapp 19 Millionen Wohngebäude, wobei ein Gebäude oft mehrere Wohnungen enthält. Abermals 80 % fossil, davon 80 % umstellen ergibt ca. 12 Millionen Wärmepumpen unterschiedlicher Größe.)
Nun veranschlagen wir den Wärmebedarf pro Haus/Wohnung auf ca. 20.000 kWh pro Jahr. Das ist sehr hoch angesetzt – eine kleine Wohnung oder ein gut gedämmtes Haus haben einen viel kleineren Wärmebedarf. Um so viel Wärme zu erzeugen, braucht eine Wärmepumpe ca. 5700 kWh Strom. Multipliziert mit 26 Millionen Wohnungen ergibt sich ein jährlicher Strombedarf von 150 Milliarden kWh. Die produzierte Strommenge müsste also um ein Viertel gesteigert werden.
Das ist zweifelsohne ein ambitioniertes Ziel, aber kein unmögliches. Tatsächlich wird die Umstellung auf Wärmepumpen nicht von heute auf morgen passieren – selbiges gilt auch für den Ausbau der Stromversorgung. Die Rechnung ist konservativ, tatsächlich reicht vermutlich ein deutlich kleinerer Ausbau. Andererseits: Auch Elektroautos brauchen zunehmend mehr Strom. Und dann ist noch das Problem, dass sich der Strombedarf der Wärmepumpen nicht gleichmäßig über das Jahr verteilt, sondern vor allem im Winter auftritt.
Kurz und gut, wir brauchen tatsächlich mehr Strom, als wir aktuell produzieren. Und aus der Klimasicht sind Wärmepumpen nur dann zweckmäßig, wenn der Großteil dieses Stroms regenerativ erzeugt wird.
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OK, die Stromversorgung kann meistens gewährleistet werden, aber in einer Dunkelflaute wird es kalt. Die Erzeugung regenerativen Stroms ist besonders schwierig, wenn über mehrere Tage keine Sonne scheint und kein Wind bläst. Deutschland hat auch gleich ein Wort gefunden, um diesen Wetterzustand zu beschreiben – die »Dunkelflaute«. Dieses Wort ist offenbar so eingängig, dass es (wie Kindergarten oder Gemütlichkeit) sogar im Englischen verwendet wird. Die Steigerungsform lautet »kalte Dunkelflaute« und wird von den Skeptikern der erneuerbaren Energie gerne als Kampfbegriff verwendet.
Tatsächlich tritt dieses Wetterphänomen sehr selten auf, also ein, zwei Mal pro Jahr für einige Tage. Der Plan ist, für diese wenigen Tage Gaskraftwerke in Reserve zu belassen, die die Stromlücke schließen. Gaskraftwerke sind für diese Aufgabe gut geeignet, weil sie sich relativ schnell regeln lassen. Aus Ökosicht ist das vielleicht nicht ganz perfekt, aber es ist eine pragmatische Lösung für ein paar Tage im Jahr. Im Übrigen gibt es ein europaweites Stromnetz. Auch wenn in Deutschland Dunkelflaute ist, scheint vielleicht in Spanien die Sonne.
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Nun gut, wir haben vielleicht den Strom, aber es gibt zu wenig Leitungen. In der Tat sind in Deutschland zusätzliche Stromleitungen erforderlich, um Strom aus Windkraftwerken (Betrieb offshore oder an der Küste) in andere Landesteile zu übertragen. Besonders wichtig ist das im Winter, wenn der Anteil der Photovoltaik gering ist.
Während die Sinnhaftigkeit zusätzlicher Leitungen leicht einzusehen ist, will natürlich keiner eine neue Überlandleitung vor der Nase haben. Die Planung und Errichtung neuer Leitungen ist deswegen ein umstrittener Gegenstand der politischen Diskussion. (Die alternative Verlegung von Hochspannungsleitungen unter der Erde ist zwar theoretisch möglich, wird in der Praxis aber aus technischen und finanziellen Gründen vermieden. Die Verlegung ist sehr aufwendig, außerdem ist es extrem schwierig, eine ausreichende Isolation und Kühlung der Leitungen zu gewährleisten.)
Gleichzeitig läuft aktuell deutlich unauffälliger auch ein kleinräumiger Netzausbau, damit Strom aus örtlichen PV-Anlagen besser in das Netz eingespeist werden kann. Dabei geht es vor allem um die Verbesserung schon vorhandener Leitungen und den Austausch alter Transformatoren.
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Energieversorgungsunternehmer dürfen mir stundenweise einfach den Strom abdrehen, dann wird es kalt. Tatsächlich haben Energieversorger die Möglichkeit, den Strom bei großem Bedarf für einige Stunden am Tag zu drosseln. Diese sogenannten »Sperrzeiten« betreffen nur die großen Verbraucher in Ihrem Haushalt, also z. B. Wärmepumpen, Elektroboiler oder das Laden von Elektroautos – und auch das nur, wenn es dafür eigene Stromkreise gibt, Ihre elektrische Anlage also darauf vorbereitet ist. Die »gewöhnliche« Stromversorgung für Licht, Küche und Computer bleibt natürlich immer aufrecht.
Fast alle gängigen Wärmepumpen sind Smart-Grid-Ready, können also Signale des Energieversorgers verarbeiten (siehe auch Abschnitt 2.10, »Betriebsweise von Wärmepumpen«). Wenn gerade viel Strom zur Verfügung steht, kann die Wärmepumpe das Warmwasser aufwärmen. Und wenn der Strom gerade knapp ist, muss die Wärmepumpe eben eine Pause machen.
In Deutschland wurden Sperrzeiten bisher nur in einem relativ geringen Ausmaß angewendet. In anderen Ländern wie Frankreich wird diese Möglichkeit dagegen häufig genutzt – und das, ohne dass die Stromkunden spürbare Einschränkungen bemerkt haben. Es wird natürlich nicht kalt in Ihrem Haus, nur weil die Wärmepumpe zwei Stunden Pause macht! Das Funktionsprinzip einer Heizung mit Wärmepumpe besteht darin, die Wärme kontinuierlich zu verteilen. Ihr Haus bzw. Ihre Wohnung ist ein riesiger, viele Tonnen schwerer Wärmepuffer. Ihr Haus kann nicht in wenigen Stunden erwärmt werden, aber ebenso wenig kühlt es in wenigen Stunden aus.
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Wärmepumpen sind vielleicht sinnvoll, aber zuerst sollen einmal andere Länder etwas tun. Das ist schon passiert. Deutschland ist bei den Wärmepumpen keineswegs ein Vorreiter (siehe Abbildung 1.6).
In welchen Ländern sind die meisten Wärmepumpen installiert? Laut einer Publikation der European Heat Pump Association (EHPA) brillieren die skandinavischen Länder. (Stand der Daten: 2018; aktuellere, öffentlich vorliegende Zahlen habe ich leider nicht gefunden.)
In welchen Ländern wurden 2022 die meisten Wärmepumpen verkauft? Neuerlich liegen die skandinavischen Länder an der Spitze. Österreich und die Schweiz liegen mit 12 bzw. 11 Wärmepumpen im unteren Mittelfeld, Deutschland ist abgeschlagen.
Nun heißt es: Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast. Ich kenne die Grundlagen der EHPA-Daten nicht im Detail. Es wäre nämlich zu hinterfragen, um welche Wärmepumpen es sich handelt. Es gibt ja auch winzige Geräte, die nur einen Raum wärmen/kühlen und die gerade in den südlichen Ländern populär sind. Solche Geräte lassen sich nicht sinnvollerweise mit einer Wärmepumpe vergleichen, die ein ganzes Haus heizt.
Aber vollkommen losgelöst von dieser Frage zeigen die zitierten Zahlen, dass der Wärmepumpen-Boom, der in Deutschland ein relativ neues Phänomen ist, in anderen Ländern schon viel früher begonnen hat.
Abbildung 1.6 Links: Installierte Wärmepumpen pro 1000 Einwohner in ausgewählten europäischen Ländern (Stand 2018). Rechts: verkaufte Wärmepumpen pro 1000 Einwohner (2022) (Quelle: jeweils die European Heat Pump Association)
Cui bono? Wem zum Vorteil?
Die fossile Industrie, von Erdölunternehmen bis hin zu Herstellern von Gasheizungen, hat ein großes Interesse daran, dass sich nichts ändert. Wenn Sie Kritik an der Energiewende, an Elektroautos, an Wärmepumpen hören, hinterfragen Sie die Motivation der Quelle. Die fossile Industrie betreibt einflussreiche Lobbying-Organisationen, die mit mehr oder weniger fadenscheinigen Argumenten jede Änderung so lange wie möglich hinauszuzögern versucht. Es ist wie mit der Tabakindustrie, die lange Zeit bestritten hat, dass Rauchen Krebs verursachen kann – auch dann noch, als die medizinischen Daten schon vollkommen eindeutig waren.
Bis heute ist die Förderung von Öl und Gas mit unglaublichen Umweltschäden verbunden. Der Kampf um Öl und Gas hat unzählige Kriege ausgelöst. Die Verbrennung fossiler Rohstoffe hat die jetzige Klimakrise verursacht. Mit jeder bezahlten Gas- oder Öl-Rechnung transferieren wir Geld in Länder, deren Politik wir häufig nicht unterstützen.
Es gibt wirklich keinen Grund, dem fossilen Zeitalter hinterherzutrauern!