Leo X. und der neue päpstliche Hof
Als Kardinal Giovanni den Papstthron bestieg, war der Name Medici bereits seit einem Jahrhundert in ganz Europa in Verbindung mit Literatur und Kunst gefeiert worden. Cosimo, der „Vater seines Landes“, verstand, dass, wenn ein einfacher Bürger danach strebte, eine so illustre Stadt zu regieren, er sich an die Spitze der intellektuellen Bewegung stellen musste, die im Begriff war, aus Florenz das Athen Italiens zu machen. Dreißig Jahre lang glich sein Einfluss dem eines Königs. Er gründete mit seinem Vermögen eine Akademie, ließ Paläste bauen, die er mit Fresken dekorieren ließ und gründete ein Museum für die Antike, das seinesgleichen suchte. Sein Name ist unlöslich mit denen Brunelleschis, Donatellos, Michelozzos, Filippo Lippis, Niccolò Niccolis, Traversaris und Ficinos verbunden, kurz, mit all den florentinischen Anführern der Renaissance. Er unterstützte die Kunst nicht nur energisch bei ihrer weiteren Entwicklung, sondern stellte den Künstlern auch die vollendetsten bestehenden Modelle der klassischen Antike zur Verfügung. Seine Sammlung, die unter der Aufsicht Donatellos stand, beinhaltete einen unerreichten Vorrat an Marmor, Bronze, Juwelen und Edelmetallen. Florenz übernahm nun die Rolle Roms. Sein Sohn Pietro trat in seine Fußstapfen, doch beide, Vater und Sohn, waren nur Vorläufer des großartigsten der Medici, Lorenzo der Prächtige, Vater Leos X.
In einem solchen Umfeld geboren und aufgewachsen, Schüler Polizianos, Mirandolas und Ficinos, vertraut mit all den illustren Personen aus Wissenschaft, Kunst und Literatur in Florenz, war es nur natürlich, dass Giovanni, Lorenzos bevorzugter Sohn, von Kindheit an in alle intellektuellen Freuden eingeführt wurde. Nachdem Giovanni im Alter von gerade einmal fünfzehn Jahren die Kardinalskutte erhalten hatte, schrieb ihm Lorenzo, der, wenn man den Zeitgenossen Glauben schenken darf, diesen Vorgang mit einer Summe von über 200 000 Dukaten unterstützt hatte, einen lehrreichen Brief, in dem er ihm neben anderen Dingen empfahl, die wahre Antike den reichsten Verzierungen, Juwelen und Ausschmückungen vorzuziehen. „Seide und Juwelen“, schreibt er, „werden nur selten ein Prälat. Richte dein Interesse eher auf Literatur und Relikte der Antike.“ Aber das Glück wandte den Medici schon bald den Rücken zu. Ihre Vertreibung aus Florenz, die Plünderung ihrer Schätze, die Zerstreuung ihrer Sammlungen hätten auch den Stärksten schwer getroffen. Kardinal Giovanni verzweifelte nicht. In Rom arbeitete er weiter an der Unterstützung der schönen Künste und der Literatur. Der von Raffael geleitete Wiederaufbau der Kirche Santa Maria alla Navicella, deren Kardinal Giovanni war, machte ihn zu einem der wichtigsten Kunstmäzene Roms. Es verwundert nicht, dass Giovanni bei Besteigung des Papstthrons maßlos verschuldet war. Gerne nutzte er die Schätze Julius II., um seiner Liebe für Herrlichkeit voll und ganz nachzukommen. Seine Wahl löste in Rom und ganz Italien unbeschreibliche Freude aus. Die Menschen waren des strengen und kriegerischen Wesens Julius II. überdrüssig, und sein Nachfolger war schon lange für seine Güte und Großzügigkeit bekannt.
Die Verschwendung Leos X. hatte eine intellektuelle Genusssucht zum Gegenstück, wie sie Italien noch nie zuvor gesehen hatte. Jede Disziplin der Wissenschaft und der Kunst, jeder Zweig der Literatur wurde vom Papst gefördert, allerdings ohne ihn die Interessen der Kirche oder, noch wichtiger, die der Medici vergessen zu lassen.
Er verkörperte die Renaissance nicht in seiner reinsten, dafür aber in seiner großartigsten Form. So groß die Macht Nikolaus‘ V. und Sixtus‘ IV. auch gewesen war, so hatten diese Päpste doch nie eine Gruppe solch illustrer Männer um sich versammelt. Mit dem Herrschaftsantritt Leos wurde der Papsthof zu einem politischen und künstlerischen Zentrum. Zum einen fand man Gelehrte und Schriftsteller wie Ariosto, Bembo, Bibbiena, Sadoleto, Inghirami, Castiglione, Beroaldus, Beazzano, Tebaldeo, Navagero, Colocci, Acciajuoli, Aleandro, Andrea Fulvio, Raphael Maffei da Volterra, Paolo Giovio, Giovanni Lascaris und Aretino. Zum anderen Männer wie Bramante, Michelangelo und Raffael, umringt von einer Phalanx an Schülern, die schon bald selbst ihre Meisterschaft erreichen würden; zudem Baldassare Peruzzi, die beiden Sansovinos, Giuliano und Antonio da Sangallo, Fra Bartolommeo, Sodoma, Signorelli, Sebastiano, Fra Giocondo, Marcillat, Giovanni Barile und Caradosso. Es kam eher einem Treffen von Göttern als einer Versammlung Sterblicher gleich. Der große Leonardo gesellte sich zu der Gruppe, umgeben von seinen Schülern Beltraffio, Melzi, Salai, Lorenzo und Fanfaia. Die Herrschaft jedes Papstes wird mit einer Krönungszeremonie und einer Prozession gefeiert. Die Prozession Leos X. war die großartigste der in der Geschichte verzeichneten. Raffael trug zweifelsohne persönlich seinen Teil dazu bei. Noch nie zuvor hatte Rom ein solch grandioses Spektakel gesehen.
Die Krönung und Prozession waren nur der Auftakt zu anderen Feierlichkeiten, von denen die vielleicht einzigartigste unter all den von Leo X. organisierten diejenige war, in der Baraballo da Gaeta, der am wenigsten gewissenhafte Dichter der Zeit, die Hauptrolle spielte. Diese groteske Person sah sich selbst als zweiten Petrarca und sein Streben sollte auf dem Kapitol gekrönt werden. Der Papst nahm die Idee mit Freude auf, und man wählte das Fest der heiligen Cosma und des heiligen Damians als Tag für die Zeremonie.
Es wurde entschieden, dass Baraballo als triumphierender römischer General verkleidet sein sollte, auf einem Elefanten reitend, der dem Papst vom König von Portugal geschenkt worden war. Vergeblich versuchte die Familie des Poeten, die in Gaeta einen hervorragenden Ruf innehatte, ihn davon abzuhalten, sein lächerliches Schauspiel durchzuführen. Baraballo warf ihnen vor, nur eifersüchtig zu sein. Als der Tag kam, ritt er, in ein goldbesticktes, purpurfarbenes Gewand gehüllt, auf seinem Elefanten unter den Rufen der Leute und dem Klang der Trompeten und Tamburine durch die Straßen. An der Engelsbrücke weigerte sich der Elefant, weiter an der öffentlichen Unterhaltung teilzunehmen, und Barbarallo war gezwungen abzusteigen. Leo wünschte, das Ereignis möge von Raffael festgehalten werden, dessen Entwurf schließlich von Giovanni Barile in einem Mosaik, das noch immer über der Tür der Stanza della Segnatura existiert, verwirklicht wurde. Darauf wird der Dichter auf seinem von einem Elefanten getragenen Thron sitzend dargestellt; die dazugehörige Inschrift: POETA BARRABAL.
Baraballo verschwand hiernach, aber der Elefant spielte weiterhin eine auffallende Rolle am Hof des Papstes. Er starb 1516 und Leo veranlasste Raffael, ihn, um die Trauer des Volkes zu lindern, in kolossalen Ausmaßen auf einen hohen Turm am Eingang des Vatikans zu malen; darunter die Inschrift:
JO. BAPTISTA BRACONIVS AQVILANVS A CVBICVLO
ET ELEPHANTIS CYRÆ PRÆFECTVS
POSVIT
MDXVI. 8 JVNII
LEONIS X. PONT. ANNO QVARTO
RAPHAEL VRBINAS QVOD NATURA
ABSTVLERAT
ARTE RESTITVIT.
Heilige Familie mit Palme, Datum unbekannt. Öl und Gold auf Holz, auf Leinwand übertragen, Durchmesser: 101,5 cm. Scottish National Gallery, Edinburgh.
Andrea Mantegna, Triumphzug des Caesar VI: Beute- und Trophäenträger, um 1500-1506. Tempera auf Leinwand, 268 x 278 cm. Royal Collection, Hampton Court Palace, Hampton Court.
Man möchte denken, dass die Annahme eines solchen Auftrags sowohl die Würde Raffaels als auch die seiner Kunst verringert hätte. Allerdings hatte sich der Camerlengo, Giovanni Battista dell‘ Aquila, persönlich um den Elefanten gekümmert, daher verwundert es nicht, dass der Maler des Papstes dessen Abbild malte.
Der Vatikan und manchmal auch die Engelsburg waren auch der Ort weiterer Festivitäten. Leo X. liebte die Komödie und lehnte es nicht ab, eine Rolle in der Calandra des Bibbiena und den Suppositi des Ariosto zu übernehmen. Die Malerei spielte eine Hauptrolle in diesen Darstellungen. Raffael übernahm das Bühnenbild für die Suppositi. Hatte nicht Mantegna 1501 die Entwürfe für den Triumph des Caesar und den Triumph des Petrarca am Theater von Mantua gemalt? Hatte nicht 1513 Baldassare Peruzzi, als zu Ehren Giulianos de’ Medici Plautus‘ Poenulus gegeben wurde, das Bühnenbild für das Theater auf dem Kapitol und wenig später die Bühnenbilder für die Calandra gemalt? Die Zeiträume zwischen den Festlichkeiten und den Theateraufführungen wurden mit glanzvollen Banketten gefüllt. Der Papst gab für seine Tafel monatlich 8 000 Dukaten aus. Dennoch beschreiben sie all seine Biografen als von einfachstem Charakter, da er seinen Gästen weder teure Weine noch leckere Fleischgerichte reichte. Die Bankette, die Agostini Chigi zu Ehren Leos X. veranstaltete, waren von einem dem Römischen Reich ähnlichen Prunk. Das Festessen, das er 1518 dem Papst, vierzehn Kardinälen und zahlreichen Botschaftern gab, verdient besondere Erwähnung.
Es fand in dem berühmten, gerade von Raffael vollendeten Marstall statt, bevor die rechtmäßigen vierbeinigen Besitzer einzogen. An den Wänden hingen feinste Tapisserien aus goldenem Stoff, die die Futtertröge und Zuführgestelle verdeckten. Auf dem Boden war ein prächtiger Seidenteppich aus Flandern verlegt worden. Das Mahl kostete 2 000 Golddukaten, und Leo X., verblüfft ob all der Pracht, sagte zu seinem Gastgeber: „Agostino, Euer Bankett lässt mich Euch fürchten.“ „Lasst Euch in Euren Gefühlen nicht irren, Heiliger Vater,“ antwortete der Bankier, „dieser Ort ist bescheidener als Ihr glaubt,“ und zeigte Ihrer Heiligkeit, die Wandvorhänge lüftend, dass der Festsaal nur ein Stall war, woraufhin Leo gutgelaunt lachte und versprach, wiederzukommen. Bei selbigem Anlass bewies Chigi seine Gewandtheit. Als elf massive Silberteller verschwanden – höchstwahrscheinlich von jemandem aus dem päpstlichen Gefolge gestohlen – ordnete Chigi an, den Vorfall geheim zu halten, um Unannehmlichkeiten seines Gastes zu vermeiden. Sobald das Fest vorüber war, bezogen über einhundert Pferde den Marstall.
Bei einem zweiten für den Papst ein paar Monate später gegebenen Bankett, zeigte Chigi, dass er sowohl Witz als auch Herrlichkeitsliebe besaß. Die Feier wurde in einem Pavillon an den Ufern des Tibers gehalten, und jeder glanzvolle Teller wurde, sobald er leer war, von Dienern in den Tiber geworfen, was soviel heißen sollte, dass Chigi so reich an Silbertellern war und er sich neue Teller für jeden Gang leisten konnte. Die Verwunderung der Gäste war groß. Sie wussten nicht, dass ihr spaßender Gastgeber Netze unterhalb der gelben Wasseroberfläche hatte spannen lassen, und dass seine Diener nach der Feierlichkeit nach Silber angeln würden. Bei einem dritten Festessen wurden dem Papst, zwölf Kardinälen und einer Gruppe an Prälaten Silberteller präsentiert, auf denen sie jeweils ihre eigenen Waffen serviert bekamen.
Raffael und Werkstatt (zugeschrieben), Porträt des Giuliano de’ Medici (1479-1516), Herzog von Nemours, 1515. Öl auf Leinwand, 83,2 x 66 cm. The Metropolitan Museum of Art, New York.
Frauenporträt, genannt La Donna Velata, um 1512-1516. Öl auf Leinwand, 85 x 64 cm. Palazzo Pitti, Florenz.
Angesichts dieser dem Alten Rom würdigen Exzesse wandten Moralisten ihren Anblick ab und sprachen finstere Warnungen aus. Besonders Fremde überhäuften den römischen Hof mit Vorwürfen. Einer der edelsten und mitfühlendsten unter ihnen, Ulrich von Hutten, der Rom im Jahr 1516 besuchte, war so empört über die Frivolität und den Luxus, den er zu allen Seiten sah, dass er eine lange Serie von sarkastischen Epigrammen schrieb und noch im gleichen Jahr sein berühmtes Epistolce obscurorum virorum veröffentlichte – jener Donnerschlag, der die Reformation voraussagte. Tatsächlich schien dem päpstlichen Hof kein Vergnügen zu weltlich. Strengere Historiker gehen soweit, Leo X. und denen, die ihn umgaben, des Heidentums anzuklagen.
Ein paar Zahlen sollen veranschaulichen, inwieweit die Künstler von der Freigiebigkeit des Papstes profitierten. Eine Zeit lang widmete er die jährliche Summe von 60 000 Golddukaten dem Bau des Petersdoms. Die Fertigstellung der Loggia, der Bau der Kirchen San Giovanni Fiorentino und San Lorenzo in Florenz, der Villa Magliana und der in Loretto, und viele andere Arbeiten erforderten enorme Opfer. Dazu kam der Kauf wertvoller Stoffe, edler Möbelstücke und kostbarer Juwelen. Wandteppiche allein verschlangen mindestens 50 000 Dukaten: 16 000 für die Szenen aus der Apostelgeschichte des Lukas; 20 000 für die aus dem Leben Christi – ohne Einbezug der Entwürfe, etc.; während Unsummen für Raritäten ausgegeben wurden – 1 000 Dukaten für eine Uhr und einige Musikintrumente aus der Hand Conrad Trompas aus Nürnberg; 1 500 Dukaten für das Horn eines Narwals. Die Ausschmückung des Vatikans war das am wenigsten teure seiner Unterfangen, da Raffael für jeden Raum nur 1 200 Dukaten erhielt. Musikanten wurden gleichermaßen gut behandelt. Der berühmte Improvisatore Bernardo Accolti, genannt Unico Aretino, den man bereits am Hofe Guidobaldos angetroffen hatte, erhielt vom Papst eine derart gute Bezahlung, dass er sich den Titel Herzog von Nepi kaufte. Ein jüdischer Lautenspieler, Giammaria, bekam nicht nur ein Schloss, sondern auch den Titel eines Grafen. Der Sänger Gabriel Merino wurde mit einer noch größeren Auszeichnung bedacht, als Leo ihn zum Erzbischof von Bari machte. Angesichts all dessen fällt es schwer, Vasaris Behauptung, Raffael habe gehofft, zum Kardinal ernannt zu werden, noch als Fabel abzutun.
Erster unter denen, die sich durch Geburtsrecht oder Talent hervortaten war der jüngere Bruder Leos X., Giuliano de‘ Medici, dessen vornehmes Gemüt und großmütiger Charakter ihn zu einem wahrlich großartigen Mann machten. Seine letzte Tat stand im Zeichen dieses edlen Lebens. Zwei Tage vor seinem Tod rief er den Papst, seinen Bruder, zu sich und flehte ihn an, seine Pläne gegen Urbino aufzugeben, indem er ihn an die vielen Wohltaten erinnerte, die seine Familie von der Herzog Guidobaldos empfangen hatte. Der Papst antwortete schlicht, „Giuliano, denk an deine Gesundheit; es ist nicht die Zeit, über solche Dinge zu sprechen,“ und ungeachtet des Flehens seines sterbenden Bruders lehnte er es ab, irgendwelche Versprechungen zu machen.
Sowohl die Malerei als auch die Bildhauerei haben Giulianos Züge verewigt. Kurz vor seinem Tod malte Raffael, dem er seit ihrer Begegnung in Urbino eng verbunden war,[9] ein Porträt von ihm. Eine unglücklicherweise stark beschädigte Kopie dieses Gemäldes befand sich für gewisse Zeit im Besitz der Großfürstin Maria von Russland.
Raffael und Mitarbeiter, Porträt eines Knaben, um 1518-1519. Öl auf Holz, 43,8 x 29 cm. Museo Thyssen-Bornemisza, Madrid.
Ganz im Gegensatz dazu stand Lorenzo, sowohl der Neffe Leos als auch Giulianos und der ehrenwerte Vater Caterinas de‘ Medici. Der Botschafter Venedigs für den Heiligen Stuhl beschrieb ihn als einen zweiten Cesare Borgia, allerdings ohne die Energie und Verwegenheit, die dem Sohn Alexanders VI. eine Art epische Größe verliehen hatten. Er war es, der, den eigenen Nutzen im Auge habend, seinen Onkel dazu brachte, den abscheulichen Feldzug gegen Urbinon zu führen: Ein Verbrechen, das seine Herrschaft entwürdigte, seine Finanzen ausreizte und Italien in neue Unruhen stürzte, noch bevor es sich von den Aufruhren Julius II. erholt hatte. Lorenzo lebte nicht lange genug, um die Früchte seines Handelns zu ernten. Er starb 1519 im Alter von fünfundzwanzig Jahren. Michelangelos Pensieroso geht auf Lorenzo de‘ Medici zurück. Raffael skizzierte sein Porträt für eine Medaille, die zu seinen Ehren angefertigt wurde, und malte Die große Heilige Familie Franz‘ I. (Bd. 2, S. 186) und den Heiligen Michael für ihn. Auch der Cousin des Papstes, Kardinal Giulio de‘ Medici, der zukünftige Clemens VII., übte großen Einfluss auf Leo aus. Der Auftrag zur Verklärung Christi (Bd. 2, S. 190) und für den Bau der Villa Madama sicherten ihm die Dankbarkeit der Nachwelt. Er als einziger der Medici bewahrte ein Gleichgewicht zwischen den beiden Rivalen, die zu dieser Zeit um die Vorherrschaft in der Kunst stritten, denn ohne aufzuhören, Raffael zu bewundern, schätzte er auch Michelangelo. Unter seinem Patronat fand der künstlerische Wettkampf zwischen Raffael auf der einen und dem Freund Buonarottis, Sebastiano del Piombo, auf der anderen Seite statt. Unter den vielen Bekannten und Freunden Leo X. müssen auch sein Schwager Franceschetto Cibo und sein Sohn Innocenzio, den er zum Kardinal ernannt hatte, erwähnt werden; dazu ein weiterer Neffe, Lodovico Rossi, den Raffael in seinen berühmten Porträt im Palazzo Pitti an der Seite des Papstes stehend gemalt hat. Diese zeichneten sich allesamt für ihre Liebe zur Darstellung aus. Unter den Freunden und Förderern des Malers muss auch Kardinal Lorenzo Pucci genannt werden. Er war es, der den Auftrag zur Heiligen Cäcilia erteilt, und dessen Porträt Raffael gemalt hatte.
Giannozzo Pandolfini, Bischof von Troia, war ein weiterer Freund und Mäzen Raffaels. Sein Bildnis wurde in die Krönung Karls des Großen integriert und für ihn entwarf Raffael den berühmten Palast in der Via Sangallo in Florenz. Für Giovanni Battista Branconio dell’Aquila schuf Raffael den wunderbaren Palazzo del Borgo und malte Die Heimsuchung, die sich heute im Madrider Museo Nacional del Prado befindet. Branconio war einer der Nachlassverwalter Raffaels. Zu den Freunden des Malers muss auch einer der Ärzte des Papstes gezählt werden, für den er einen Palast entwarf, der noch heute im Vatikan bewundert werden kann. Unter den zahlreichen Dichtern und Gelehrten, die alle Teil dieses Zirkels waren, befanden sich auch Andrea Navagero, Agostino Beazzano, der ein vertrauensvoller Beauftragter des Vatikans war, Antonio Tebaldeo, dessen Porträt Raffael malte und Giacomo Sannazaro, der Autor des berühmten Gedichts De partu Virginis. Ein Brief Bembos gibt einen Einblick in die fröhliche Gruppe bei einem Ausflug nach Tivoli. „Morgen“, schreibt der apostolische Sekretär, „werde ich mit Navagero, Beazzano, Castiglione und Raffael nach siebenundzwanzig Jahren Tivoli wiedersehen; wir wollen alles sehen, das Alte und Neue, und wir gehen zur Freude Andreas (Navagero) dorthin, der morgen nach dem Sakrament nach Venedig zurückkehren wird.“
Doppelporträt (Porträt Andrea Navageros und Agostino Beazzanos?), um 1516. Öl auf Leinwand, 77 x 111 cm. Galleria Doria Pamphilj, Rom.
Es war Leo X., der Marco Fabio Calvo, welcher großen Einfluss auf Raffael ausübte, nach Rom gebracht hatte. In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts in Ravenna in die Adelsfamilie der Guiccioli geboren, verschrieb sich Calvo bereits in jungen Jahren dem Latein- und Griechischstudium. Leo X. machte ihn erst zu einem Prior und danach zum Hohepriester von San Piero in Trento; nebenbei ließ er ihm noch andere Ehren und eine Pension zuteil werden, die es ihm gestattete, seine ganze Zeit dem Studium zu widmen. Er machte sich nichts aus Geld, ernährte sich nur von Gemüse und teilte die ihm vom Papst jährlich zugewiesene Summe mit seinen Freunden und Verwandten. Ungeachtet seines Alters und seiner Altersschwäche, studierte er mit dem Elan eines Jugendlichen. Raffael, der sich zu dieser Zeit selbst mit der imaginären Restaurierung des antiken Roms vergnügte und hoffte, dabei von Calvos Kenntnissen über die Antike unterstützt zu werden, lud ihn ein, bei ihm zu leben und kümmerte sich mit der Hingabe eines Sohnes um ihn. Calvo beglich seine Schuld, indem er Vitruv für ihn übersetzte. 1525 veröffentlichte er seine Übersetzung des Hippokrates. Während des Sacco di Roma 1527 gefangen genommen und seines gesamten Besitzes beraubt, war er nicht in der Lage, die enorme von ihm verlangte Lösegeldsumme zu bezahlen, sodass ihn seine Peiniger überall mit hinnahmen, bis er schließlich an Hunger und Erschöpfung in einem Krankenhaus nahe Rom starb. Eine Zusammenkunft an zuvor unbekannten Künstlern verstärkte unter Leo X. den Glanz des päpstlichen Hofes. Bramante, Fra Giocondo und Giuliano da Sangallo waren nun alt, aber der Papst hielt sie noch immer in Ehren. Es war eine neue Generation Künstler, die hauptsächlich aus Schülern Bramantes bestand; darunter Antonio da Sangallo, Giovanni Francesco da Sangallo, Aristotele da Sangallo, Baldassare Peruzzi und die zahlreichen Architekten, die am Bau des Petersdoms beteiligt waren.
Auch die Malerei war gut vertreten, denn es ist neben Raffael auch die Rede von Leonardo da Vinci, der Ende 1513 oder Anfang 1514 zwei Bilder für Baldassare Turini malte; des Weiteren von Fra Bartolommeo, der im Frühjahr 1514 Petrus und Paulus malte, die sich noch immer im Quirinalspalast befinden; zudem von Sodoma, der dem Papst das Bild Der Tod der Lucretia vorzeigte und dafür im Gegenzug den Ritterschlag erhielt. Etwa zur gleichen Zeit versuchte Luca Signorelli erneut sein Glück in Rom. Auch Timoteo Viti, Raffaels Freund, erschien zu Beginn Leos Herrschaft und unterstützte die Arbeit an den Vier Sibyllen von Santa Maria della Pace; zudem arbeitete der aus Urbino stammende Girolamo Genga als Gehilfe Raffaels. Was Benvenuto Tisio, den großen Meister der Schule von Ferrara, besser bekannt als Garofalo, betrifft, scheint er zwischen 1510 und 1512 nur einen kurzen Besuch abgestattet zu haben.
Die hervorragendste Rolle unter all diesen Malern muss dem Venezianer Sebastiano Luciani zugedacht werden, der bereits Anzeichen seines von Neid geprägten Gemüts gezeigt hatte, das seine gesamte Existenz vergiftete. Raffaels Schüler begannen nun zu einer Heerschar zu werden, von denen Marc Antonio, Giulio Romano und Giovanni da Udine zu den vielversprechendsten gehörten. Die Bildhauerei wurde von dem großen Michelangelo, Raffaels illustrem Rivalen, vertreten, den Leo X., der der Bildhauerei niemals große Unterstützung zukommen ließ, da sie für seinen Geschmack zu streng war, mit der Fertigstellung San Lorenzos in Florenz, der Familienkirche der Medici, beauftragte. Unter Leo X. erweiterte sich die Zahl der Künstler, die sich den dekorativen Künsten widmeten. Giovanni Barile folgte auf Giovanni Giocondo und war unter Raffael damit betraut, Türen oder anderen Zierrat für die Vatikan-Stanzen zu schnitzen. Unter den Gold- und Silberschmieden war laut Benvenuto Cellini Antonio da San-Marino der beste seiner Zeit; nur Caradasso konnte mit ihm konkurrieren. Antonio, der aufgrund seiner Nähe zu Raffael von Interesse ist, verband das Goldschmiedehandwerk mit der Würde des Botschafteramtes, das er als Repräsentant seiner Heimat, der Republik San Marino, während der nicht sehr beschwerlichen Verhandlungen mit dem Heiligen Stuhl innehatte. 1509 tritt er als einer der Gründer der Bruderschaft des heiligen Aloysius auf, und 1513 stellte er für seine herrlichen Dekorationen bei der Amtseinführung Leos X. vor seinem Geschäft eine schöne antike Statue der Venus auf einem Sockel stehend aus, auf den er in Goldlettern in Latein den folgenden Vers geschrieben hatte, der auf Chigis berühmtes Zitat „Olim habuit Cypris sua tempora“ Bezug zu nehmen scheint:
Mars fuit, est Pallas: Cypria semper ero.[10]
(Mars war, Pallas ist; Ich, Cypris, werde immer sein.)
Antonio machte schon bald die Bekanntschaft Raffaels, der ihm ein Bild schenkte, dessen Motiv unglücklicherweise nicht überliefert ist und das Castiglione später zu erwerben versuchte.[11] In seinem Testament bittet Chigi seine beiden Freunde, die Fertigstellung seiner Kapelle Santa Maria del Popolo zu überwachen. Raffaels Zuneigung für Antonio war derart groß, dass er ihm einen großen Teil seiner Ländereien, die er neben der Kirche zu Sankt Blasius erworben hatte, vermachte.
Il Sodoma (Giovanni Antonio Bazzi), Der Tod der Lucretia, um 1530-1535. Öl auf Holz, 71 x 61 cm. Szépmu’’vészeti Múzeum, Budapest.
Die Kreuztragung, 1515-1516. Öl auf Holz, auf Leinwand übertragen, 318 x 229 cm. Museo Nacional del Prado, Madrid.
Die Malerei im Vatikan unter Leo X.
Für einen Moment fürchtete Raffael, dass auf den Tod Julius II. ein der Kunst weniger günstig Gesinnter auf dem Papstthron folgen würde. Anzeichen dessen finden sich in einem Antwortschreiben an den Erzieher des jugendlichen Federico II. Gonzaga vom 19. Februar 1513, dem Tag nach dem Tod Julius II. Der Erzieher berichtet dem jungen Herrscher: „Messire Raffael aus Urbino hat mir die Kleider von Messire Federico zurückgeschickt, die er für sein Porträt erfragt hatte; er bittet Eure Hoheit ihm zu vergeben, da es ihm im Moment nicht möglich ist, seinen Geist auf die Weiterarbeit an dem Bild zu richten.“ Der Antritt Leos X. beruhigte ihn. Seine Wahl führte zur Erhebung der meisten Freunde Raffaels in höchste Würden. Giuliano de‘ Medici war ein römischer Patrizier und später Kapitän-General der Kirche; Bibienna wurde Kardinal; Bembo apostolischer Sekretär. Was den Herzog von Urbino, Castiglione, Inghirami, Chigi und andere betrifft, so waren sie bereit, ihm, wie auch zur Zeit Julius II., zumindest für einige Jahre zu helfen. Selbst wenn Raffael nicht so viele mächtige und ergebene Freunde gehabt hätte, so hätte er doch bald die Gunst des neuen Papstes erhalten. Er war nicht nur zum gefeiertsten Maler, sondern zum vollendetsten Höfling seiner Zeit geworden. Schon als Junge sich selbst überlassen, spürte der junge Maler aus Urbino die Notwendigkeit, seine diplomatischen Qualitäten weiter zu entwickeln, mit denen die Natur ihn so reichlich ausgestattet hatte und lernte, durch Freundlichkeit und Höflichkeit zu überzeugen.
Während seiner Zeit in Perugia hatten sich seine Manieren dank seiner Verbindungen zu Geistlichen und Leuten, die sich nicht um den täglichen Broterwerb sorgen mussten, noch vor seiner Rückkehr nach Urbino ausgebildet.
In Florenz lernte er all die Ränkespiele innerhalb der Welt der Kunst und in Rom erhielt er von Bramante wiederum einen Einblick in die des päpstlichen Hofes. Vier Jahre im Dienste eines Despoten wie Julius II. hatten ihn gelehrt, je nach Situation nachzugeben, Hindernissen auszuweichen und stets das Beste aus den eigenen sozialen Qualitäten zu machen. Es kostete ihn wenig, beschwichtigend und gefällig zu sein. Uneigennützigkeit und Liebenswürdigkeit waren ihm angeboren; nichtsdestotrotz wusste er sich gelegentlich Respekt zu verschaffen, ohne jedoch auf andere Waffen als seine Gewitztheit zurückgreifen zu müssen.
Seine schlagfertigen Anworten waren sowohl munter als auch spitz und ließen mehr als nur einen großen Adligen verstummen. Eines Tages kamen zwei Kardinäle in seine Werkstatt, um sich über Mängel in zwei seiner Gemälde von Petrus und Paulus zu amüsieren. Die beiden fanden die Gesichter der beiden Apostel als zu rot. „Lasst Euch dadurch nicht überraschen, Eure Eminenzen“, antwortete Raffael, „ich habe sie absichtlich so gemalt; sollten wir nicht denken, dass die beiden im Himmel erröten könnten, falls sie sähen, dass ihre Kirche von Männern wie Euch regiert wird?“. Seine Antwort auf die sarkastische Bemerkung Michelangelos, „Du läufst mit einem Gefolge herum wie ein General“, lautete: „Und du alleine wie ein Henker.“
Die Eigenschaften, derer ein erfolgreicher Umgang mit einem Papst wie Leo X. bedurfte, waren Gefälligkeit und Schnelligkeit. Leo belud Raffael mit Arbeiten aller Art. An einem Tag sollte er aus dem Stegreif die Kulisse eines Bühnenstücks schaffen, am nächsten Tag das Bildnis eines Elefanten malen oder die Entwürfe für ein Gebäude oder eine Medaille entwerfen. Was hätte Michelangelo zu solchen Anforderungen gesagt?
Der Tod Bramantes kurz nach der Amtseinführung des neuen Papstes stellte für Raffael ein großes Unglück dar. Er verlor nicht nur einen guten Freund, sondern auch einen erfahrenen und taktvollen Ratgeber. Zudem war er nun alleine für die Neuerrichtung des Petersdoms verantwortlich. Doch damit nicht genug.
Die Heilige Familie trifft auf den heiligen Johannes als Kind oder Madonna del Passeggio, um 1516. Öl und Gold auf Tafel, 90 x 63,3 cm. Scottish National Gallery, Edinburgh.
Die Heilige Familie mit dem heiligen Johannes oder Madonna mit der Rose, um 1516. Öl auf Holz, auf Leinwand übertragen, 103 x 84 cm. Museo Nacional del Prado, Madrid.
Jakobs Traum, 1512-1514. Deckenfresko, Basislänge: 340 cm. Stanza di Eliodoro, Palazzi Pontifici, Vatikanstadt.
Raffael folgte auch auf Bramante als General-Superintendent für die bildenden Künste. Zur selben Zeit musste er nun Pinsel und Kompass handhaben, Feste organisieren und Ausgrabungen beaufsichtigen. Voll von jugendlicher Zuversicht und Leichtigkeit nahm er die zahllosen ihm aufgetragenen Aufgaben an. Seine Gefühle zu dieser Zeit werden in einem an seinen Onkel Simone verfassten Brief deutlich:
An meinen geliebten Onkel Simone, Sohn des Battista di Ciarla aus Urbino, in Urbino.
Ihr, der Ihr mir so wert seid, wie ein Vater,
Ich habe Euren Brief erhalten; ich habe mich sehr darüber gefreut, da er mir zeigte, dass Ihr mir nicht böse seid, auch wenn Ihr allen Grund dazu hättet; aber Ihr dürft nicht vergessen, wie schwierig es ist zu schreiben, wenn man nichts zu sagen hat. Heute habe ich Ihnen viele Dinge mitzuteilen. Was eine Frau angeht, muss ich Euch sagen, dass ich täglich dankbar dafür bin, dass ich nicht die von Ihnen bestimmte zur Frau genommen habe, oder irgendeine andere. Diesbezüglich habe ich mich weiser verhalten als Ihr, der Ihr wünschtet, ich möge meinen Stand ändern; und ich bin mir sicher, dass Ihr nun sehen müsst, dass es mir damit besser geht. In Rom verfüge ich über ein Kapital von über 3 000 Dukaten und ein sicheres Einkommen von weiteren 50. Seine Heiligkeit gewährt mir ein Gehalt von 300 Dukaten für die Aufsicht über den Bau des Petersdoms, was mir, solange ich lebe, nicht misslingen wird, und ich bin mir sicher, dass ich in naher Zukunft noch mehr daran verdienen werde. Daneben gibt man mir alles, was ich für meine Arbeit brauche. Ich habe die Ausgestaltung einer großen Halle Seiner Heiligkeit begonnen, wofür ich 1 200 Goldmünzen erhalten werde. So seht Ihr, mein geliebter Onkel, dass ich meiner Familie und meinem Land Ehre erweise. Ich trage Euch noch immer in tiefer Erinnerung und wenn ich Euren Namen höre, klingt er für mich wie der eines Vaters. Beschwert Euch nicht darüber, dass ich Euch nicht schreibe. Es fällt mir schwerer als Euch, der Ihr, obwohl stets die Feder in der Hand haltend, sechs Monate zwischen Euren Briefen verstreichen lasst. Dennoch wird mich das nicht wütend auf Euch machen, so wie Ihr es ungerechterweise einmal auf mich wart. Nachdem ich voreifrig das Thema der Ehe verlassen habe, muss ich nun für einen Moment darauf zurückkommen, um Euch zu sagen, (der Kardinal von) Santa Maria in Portico wünscht, dass ich eine Verwandte von ihm heirate, was ich zu tun versprach, falls ich die Zustimmung von Euch, meinem ehrwürdigen Onkel erhalten würde. Da ich dies versprochen habe, darf ich nun mein Wort nicht brechen. Die Angelegenheit wird schon bald auf die eine oder andere Weise geklärt sein. Sollte sie mit meiner Hochzeit enden, müsst Ihr mir vergeben; wenn nicht, so soll ich zu Euren Diensten stehen. Ihr müsst wissen, dass, wenn Francesca Buffa eine gute Partie machen kann, so kann ich dies auch. In Rom gibt es eine junge Dame mit einer Mitgift von 3 000 Golddukaten (und 100 Dukaten sind in Urbino mehr als doppelt so viel wert wie hier), aus guter Familie und von ausgezeichnetem Ruf, die bereit ist, mich zu heiraten. Nun zu meinem Leben in Rom und dem Bau des Petersdoms, den ich in der Nachfolge Bramantes überwache. Ich kann mir nicht helfen, aber gibt es einen besseren Ort als Rom? Könnte irgendein Unternehmen edler sein als der Bau des Petersdoms, der ersten Kirche der Welt? Es wird das größte jemals gesehene Gebäude sein und mehr als eine Million in Gold kosten. Der Papst hat entschieden, ihm jährlich 60 000 Dukaten zukommen zu lassen und denkt an nichts anderes. Er hat mir einen sehr erfahrenen Mönch zur Seite gestellt, der über achtzig Jahre alt ist und dessen Ruf großartig ist. Wissend, dass er nicht mehr lange zu leben hat, machte ihn der Papst mit der Absicht zu meinem Mitarbeiter, dass er mir die Geheimnisse der Architektur lehren und mein künstlerisches Schaffen perfektionieren würde; sein Name ist Fra Giocondo. Der Papst schickt täglich nach uns und nimmt an langen Diskussionen über die Arbeit teil. Ich bitte Euch, zu dem Herzog und der Herzogin zu gehen und Ihnen all das zu erzählen, was ich Euch erzählt habe, da ich weiß, dass es sie freuen wird, dass sich einer ihrer Untertanen durch Erfolg auszeichnet. Empfehlt mich Ihren Hoheiten, wie ich mich selbst Euch unablässlich empfehle. Grüßt all meine Verwandten und Freunde, besonders Ridolfo, der mich mit soviel Zuneigung betrachtet.
Euer Raffael,
Maler in Rom.
1. Juli 1514.
Die von Raffael während der Herrschaft Leos X. durchgeführten Arbeiten waren so zahlreich, dass es unmöglich wird, sie Schritt für Schritt nachzuzeichnen. Daher sollen sie thematisch und nicht chronolgisch behandelt werden. Die erste von seinem neuen Förderer übertragene Aufgabe war sicherlich die Fertigstellung der Bilder für die Stanzen. Die zweite Stanze, die des Heliodor, wurde 1514 beendet. Um die Mitte desselben Jahres erhielt Raffael den Auftrag für den dritten Raum, der als Stanza dell‘Incendio di Borgo bekannt ist. Wenig später, im Jahr 1515, schickte er Albrecht Dürer die berühmte Studie für eine der Gruppen aus der Schlacht von Ostia (Bd. 2, S. 105) – eines der vier besagten Fresken. Erst 1517 fand Raffael die Zeit, um dieses großartige Werk fertigzustellen, wenngleich er nur einen kleinen Teil davon selbst ausführte. Das Datum 1517 findet man auf einer Inschrift in der Halle; zudem geht es aus einem auf den 6. Juni desselben Jahres datierten Brief des aus Ferrara stammenden Geschäftsträgers hervor, in dem es heißt, dass Raffael in zwei Tagen die Stanzen für den Papst vollenden würde. Ein Brief Bembos an Bibbiena, geschrieben am 19. Juni 1517, zeugt von der Gunst, mit der die neuen Fresken am päpstlichen Hof aufgenommen wurden. „Die von Raffael gemalten Stanzen sind äußerst schön, nicht nur bezüglich des bei der Ausführung gezeigten Geschicks, sondern auch bezüglich der großen Anzahl Geistlicher, deren Bildnisse er mit eingefügt hat.“ Dennoch erweckten sie nicht einstimmig Bewunderung. Über die kurz zuvor fertiggestellten Fresken in der Villa Chigi schreibt der Sattler Leonardo an Michelangelo, dass diese die der letzten Kammer des Vatikans – der Stanza dell‘Incendio di Borgo – überträfen. „Peggio che l’ultima stanza di palazzo assai.“ (Brief vom 1. Januar 1518)
Sowohl der Papst als auch der Künstler ahnten ihren frühen Tod voraus und beide wurden von einer starken Sehnsucht angetrieben: der Papst wollte die Zeugnisse seiner Herrlichkeit vervielfachen; der Maler die Zeugnisse seines Schöpfergeistes. Die Ausschmückung des Vatikans und die Leitung der Arbeiten am Petersdom waren genug, um die Aufmerksamkeit des unermüdlichsten Künstler aufzusaugen, aber Leo X., dessen Forderungen mit dem Tempo wuchsen, wie Raffael ihnen nachkam, befahl ihm, auch die Ausgestaltung seiner bevorzugten Villa – der Villa Magliana nahe Rom – zu beaufsichtigen. Dieses Gebäude, das eine so wichtige Rolle im Leben Leos X. spielte, stammt aus der Zeit Innozenz‘ VIII. (1484-1492); allerdings ließ es Julius II. derart erweitern, dass man es auch als seine Schöpfung betrachten könnte. Die Fresken in der Kapelle, die so oft Raffael zugeschrieben wurden, wurden zwischen 1513 und 1520 ausgeführt; das sind das Martyrium der heiligen Cäcilia – auch bekannt als Martyrium der heiligen Felicita – und Gottvater segnet die Welt. Ersteres wurde 1830 von dem Barbaren Vitelli zerstört. Da dieser bei der Messe nicht mit seinen Dienern vermengt werden wollte, baute er eine eigene Empore für sich und schnitt einen Zugang mitten durch Die heilige Cäcilia. Glücklicherweise kann man den Entwurf Raffaels im Stich des Marc Antonio bestaunen. Das zweite der beiden Fresken hatte mehr Glück. Nach sehr unbeständigen Zeiten fand es 1873 einen endgültigen Platz im Louvre. Niemand hat jemals daran gezweifelt, dass der Entwurf aus der Hand Raffaels stammt; dass er selbst nie an dem Fresko gearbeitet hat, sind einige bereit einzuräumen.
Raffael (Entwurf) und Schule des Raffael (Ausführung), Comitas oder Mäßigung, um 1517-1524. Fresko. Sala di Costantino, Palazzi Pontifici, Vatikanstadt.
Die Anzahl der in Raffaels Werkstatt nach der Inthronisation Leos X. geschaffenen religiösen Bilder war derart hoch, dass es schwierig würde, einen kompletten Katalog darüber aufzustellen. Es bleibt festzuhalten, dass, wenn das Genie des Meisters auch in der Schönheit der Kompositionen auszumachen ist, diese doch oft von der Hand eines Schülers ausgeführt wurden. Unter diesen Bildern sind die Madonna dell‘Impannata, die für Bindo Altoviti gemalt wurde und sich heute im Palazzo Pitti befindet, die Madonna della Tenda in der Alten Pinakothek in München, die Heilige Familie mit Eiche im Museo Nacional del Prado in Madrid, die Madonna mit der Rose in derselben Sammlung, die Madonna mit dem Kandelaber im Walters Art Museum in Baltimore und die kleine Heilige Familie im Louvre, auch bekannt als die Jungfrau mit der Wiege.
Die von Raffael zu dieser Zeit gemalten Motive zeigen einen tief greifenden Wechsel. Entweder freiwillig oder auf Geheiß seiner Förderer wandte sich der Künstler fast vollständig von der Einfachheit der Komposition, die ihm bis dahin so wichtig war, ab.
Die beiden traditionellen Figuren der Mutter und des Sohnes genügten nicht mehr. Tatsächlich kämpfte er mit ihnen in der Madonna Bridgewater und in der Madonna mit dem Kandelaber, fügte in vielen anderen aber den jungen Johannes hinzu. Selbst diese Hinzufügung schien ihn später nicht mehr zufriedenzustellen, woraufhin er die Jungfrau im Kreise der Heiligen Familie oder als Madonna in der Glorie darstellte.
In Rom malte Raffael nicht weniger als ein Dutzend Heilige Familien, beinahe alle von monumentalem Ausmaß. Das übernatürliche Element, auf das er in den Kompositionen während seiner Zeit in Florenz fast komplett verzichtete, findet seinen Weg zurück in die religiösen Bilder der Jahre 1513 bis 1520.
Nach 1513 wird die Szene seiner wichtigsten Werke in die himmlischen, von den Gesegneten bevölkerten Regionen verlegt. Der Ezechiel (Bd. 2, S. 174), die Sixtinische Madonna (Bd. 2, S. 126), der Heilige Michael, die Heilige Cäcilia, die Heilige Margarethe, die Fünf Heiligen und Die Verklärung Christi sind allesamt Visionen. Raffael stand nun im Zenit seines Ruhms. Er hatte eine mächtige Schule gegründet; Schüler aus jedem Land akzeptierten seinen Rat dem eines Orakels gleich; Herrscher kämpften um die kleinsten Erzeugnisse aus seiner Hand. Dennoch findet man ihn so bedachtsam wie immer bei seinen Entwürfen. Seine Studien für Die große Heilige Familie Franz’ I. sind ein Beweis dafür.
Die Vorgehensweise allerdings hat sich verändert: Zuerst wurden die zaghaften und vorläufigen Skizzen in Silberstift ausgeführt, danach kam die Phase der exakten und kräftigen Tuschfederzeichnungen, darunter die Studien für Die Schöne Gärtnerin, die Grablegung und so viele andere unnachahmliche Werke, die noch immer erhalten sind.
Nach seiner Ankunft in Rom erachtete er diese Methode als zu langsam und benutzte Rötel, der es ihm ermöglichte, seine führenden Linien auf Kosten von Details zur Geltung zu bringen. Von da an bevorzugte er diese Technik für Studien einzelner Figuren, während er für Gruppen auf Farblavierungen zurückgriff. Manchmal, wie in dem zarten Porträt Timoteo Vitis, bediente er sich noch italienischer Kreide.
Raffael und Werkstatt, Rat der Götter, 1518. Deckenfresko der Loggia der Psyche, Villa Farnesina, Rom.
Raffael und Agostini Chigi
Neben dem Papst war Agostini Chigi Raffaels größter Bewunderer, und die Aufträge, die er Santi erteilte sind so zahlreich wie wichtig, sodass sie einer genaueren Untersuchung bedürfen. Chigis Hauptunterfangen, der Bau seiner Villa im Trastevere, wurde kurz nach Raffaels Ankunft in Rom begonnen, aber die Fertigstellung des Projekts sollte mehrere Jahre in Anspruch nehmen, und erst 1511-1512 wurde die Villa vor den Augen der Römer eingeweiht. Ihre Ausschmückung war ein Wunder. Agostinis Nachkomme, Fabio Chigi (Alexander VII.) erwähnt unter anderem ein mit Gold, Silber, Elfenbein und Edelsteinen verziertes Bett, und Chaguni schätzt die Kosten für das Mobiliar der prunkvollen Wohnung auf nicht weniger als 1 592 Dukaten. Teure Wandteppiche alternierten mit Vasen und Silberbrunnen. Das Zaumzeug der einhundert Pferde, die den berühmten Stalle Chigiane füllten, war aus Gold und Silber und ihre Behausung aus Seide. Chigi liebte alles, das helfen konnte, seine Existenz auszuschmücken oder seinen Ruf zu steigern; Dichter, Musiker, Architekten, Maler, Bildhauer fanden in ihm einen begeisterten Schutzherrn, und was zeitgenössische Kunst anging, lernte er schnell, die wirklich bedeutenden Meister von der mittelmäßigen Masse, die den Palast belagerte, zu unterscheiden. Er ergriff nach Ausbruch der ersten Feindseligkeiten Partei für Raffael gegen Michelangelo, und ließ weder ihm noch seinem Protegé Sebastiano Luciani, besser bekannt als Sebastiano del Piombo, je einen Auftrag jeglicher Art zukommen.
Raffael und Werkstatt, Hochzeit von Amor und Psyche, 1518. Fresko der Loggia der Psyche, Villa Farnesina, Rom.
Agostino Chigi übte großen Einfluss auf die Entwicklung der Kunst in Rom aus. Sein Name ist unlöslich mit dem Raffaels verbunden. Auch die Schüler des Meisters, Giulio Romano, Il Fattore, Giovanni da Udine, Lorenzetto zählten zu seinen Freunden. Raffaels Verbindung zu Chigi begann kurz nach der Ankunft des Künstlers in Rom. Im Jahr 1510 fertigte er die Entwürfe für zwei Teller an, die der Goldschmied Cesarino di Francesco aus Perugia in Bronze gießen sollte. Aber das erste wichtige Werk, das er durchführte, war die Galatea, die als Fresko in einem der Empfangsräume der neuen Villa des Bankiers gemalt wurde. Sein annäherndes Datum ergibt sich aus dem berühmten Brief, den der Maler kurz nach seiner Ernennung zum leitenden Architekten des Petersdoms oder um die Mitte des Jahres 1514 an Baldassare Castiglione adressierte. Raffael dankt dem Freund für dessen Lobpreisungen, mit denen dieser sein Werk überschüttet hatte:
Was die Galatea betrifft [schreibt er], sollte ich mich selbst als großen Meister betrachten, wenn sie halb so viele Qualitäten enthielte, wie Ihr in ihr entdeckt habt. Aber Eure Worte werden von der Zuneigung, die Ihr mir entgegenbringt, diktiert. Ich möchte hinzufügen, dass man, um eine schöne Frau zu malen, einige gesehen haben muss und dazu über eine Urteilskraft wie die Eurige verfügen muss, um sagen zu können, welche die perfekteste ist. Aber wenn man sieht, wie selten sowohl gute Richter als auch schöne Frauen sind, wende ich mich einem Ideal zu, das ich fähig bin, mit meiner Vorstellungskraft zu erschaffen. Ob dieses Ideal vom künstlerischen Standpunkt aus über eine Wertigkeit verfügt oder nicht, ist, was ich noch nicht weiß, auch wenn ich gezwungen bin, es zu benutzen.
Die Wortwahl dieses Briefs zeigen, dass das zur Frage stehende Werk nicht lange bevor der Brief verfasst wurde, beendet worden sein kann. Es mag in den letzten Monaten des Jahres 1513 oder im ersten Monat des Jahres 1514 abgeschlossen worden sein. Chigi war so entzückt von der Renaissance, dass er wünschte, dass Erinnerungen an die klassische Antike sogar mit Arbeiten verbunden werden sollten, die den Zweck hatten, seine Hingabe zu bezeugen. In Santa Maria della Pace ließ er die Sibyllen zusammen mit den Propheten malen, wovon nur erstere von Raffael sind; die Ausführung der Propheten wurde Timoteo Viti anvertraut. In Santa Maria del Popolo nutzte man die Gelegenheit, mit der Darstellung der Planeten die Götter des Olymps zu feiern. Chigi war der einzige unter den Freunden und Förderern Raffaels, der damit prahlen konnte, in allen drei künstlerischen Disziplinen – Architektur, Malerei, Bildhauerei – vom Genie Raffaels zu profitieren. Raffael zeichnete die Entwürfe für die Kapelle, in der Chigi später in Santa Maria del Popolo beigesetzt wurde, und leitete außerdem die Bauarbeiten. Das geschah vermutlich zu Beginn der Herrschaft Julius II. Danach fertigte er die Skizzen für die Mosaike in der Kuppel an und entwarf schließlich die Statue des Jona, die sein Schüler Lorenzetto in Marmor ausführte. Beeinflusst von der epischen Größe der Malereien Buonarottis in der Sixtinischen Kapelle, scheint auch Raffael den Wunsch gehegt zu haben, der Kapelle in Santa Maria del Popolo einen Dekor zu verleihen, der im Stande war, erhabene Gedanken in den Betrachtern zu erwecken. Ausgehend von den nach seinem Tod ausgeführten Arbeiten und wahrscheinlich dem von ihm und Chigi entwickelten Schema folgend, wählte er die Figur Gottvaters, um die Spitze der Kuppeldecke auszufüllen, für die tiefer liegenden Segmente die Schaffung der Planeten, darunter die großartigen Ereignisse von der Schöpfungsgeschichte bis zum Sündenfall und schließlich auf den unteren Wänden Geburt, Tod und Auferstehung Christi, sprich die Erfüllung der alttestamentarischen Prophezeiungen. Nur Gottvater und die acht Bilder der Schaffung der Planeten wurden vollendet. Raffaeles Kompositionen wurden von Luigi oder Aloisio di Pace als Mosaik ausgeführt. Chigi hatte ihn nach Florenz, das Zentrum dieser Technik, bringen lassen. Im Jahr 1500 veröffentlichte Beroaldus der Jüngere eine Übersetzung der Metamorphosen des Apuleius, mit der er die Aufmerksamkeit vieler Gelehrter auf den wunderbaren Mythos im Werk des lateinischen Autors lenkte, und es gibt keinen Zweifel daran, dass Raffael aus dieser Übersetzung die Motive für sein riesiges gemaltes Gedicht bezog, mit dem er die Loggia der Villa Chigis ausschmückte. Nur eines der zehn Fresken, für das er die Motive ausgesucht hatte, lässt die Hand Raffaels erkennen.