Einleitung

Beziehungsorientierung ist das aktuelle Thema in der Frühpädagogik. Tragfähige und verlässliche Beziehungserfahrungen sind für kleine Kinder hochbedeutsam: Sie haben eine langfristige sowie im besten Fall schützende Wirkung für die weitere sozio-emotionale und kognitive Entwicklung. Ein bindungsbezogenes Bild vom Kind integriert, dass ein Kind Bindung zum Überleben braucht und ebenso nach Autonomie strebt. Was auf den ersten Blick wie ein Widerspruch aussehen mag – Autonomie und Bindung –, ermöglicht eine ganzheitliche Betrachtungsweise von Kindheit, in der das Verhalten von Kleinkindern als Wechselspiel von Bindungs- und Autonomieverhalten anerkannt wird.

Beziehungsorientiert begleiten & beraten

Da sich heute viele Kinder bereits ab dem Säuglings- und frühen Kleinkindalter in pädagogischen Einrichtungen aufhalten und dort oftmals viele Stunden pro Tag verbringen, gilt es mehr denn je, beziehungsorientierte Kindertagesstätten zu etablieren sowie Eltern auf ihrem Weg einer bindungssicheren Elternschaft zu begleiten und zu beraten.

Wie Sie als pädagogische Fachkraft Ihre Beobachtungskompetenz stärken und Ihre Expertise in Elterngespräche beziehungsbezogen einbringen können, ist das zentrale Thema dieses Buches.

Mit Familien zu arbeiten, bedeutet Abschied zu nehmen von traditionellen Rollen sowie perfekten Idealen, die rein gar nichts mit der Realität des Eltern- und Familienlebens zu tun haben. Eltern sollen der sichere Hafen für ihre Kinder sein. Also brauchen sie selbst einen sicheren Hafen, wo sie von Zeit zu Zeit einkehren dürfen, ihr Gepäck abladen und von den Beschwerlichkeiten ihrer Elternreise berichten dürfen.

Wertschätzend und ressourcenorientiert arbeiten

Das Buch rückt zunächst Ihre Arbeit als Fachkraft in der Kita in den Mittelpunkt. Merkmale, Ziele und Herausforderungen der Erziehungspartnerschaft werden diskutiert und die Bedeutung der Elterngespräche und Ihrer Rolle als Fachkraft aufgezeigt. Die Tatsache, dass Sie nicht mit dem Familiensystem in verwandtschaftlicher Verbindung stehen, macht es Ihnen möglich, neutral, wertschätzend und ressourcenorientiert von außen auf die sich entwickelnde Familiendynamik zu blicken. Auf diese Weise kann es hervorragend gelingen, den Eltern wertvolle Impulse für die weitere familiäre Entwicklung mitzugeben, die sich nachhaltig und langfristig auf das Elternverhalten und somit in der Beziehungsgestaltung mit den Kindern auswirken. Natürlich nimmt dies wiederum Einfluss auf das Kind und seine Entwicklung. Bestenfalls entsteht ein gelingender Kreislauf, in dem die Erwachsenen gemeinsam Verantwortung für das Kindeswohl übernehmen und dadurch gute Entwicklungsbedingungen möglich machen.

Freude und Leichtigkeit im Kontakt mit Eltern erleben

Entscheidend für das Gelingen der Beziehung zwischen Eltern und Fachkräften sind auch klare Ziele sowie ein Bewusstsein für mögliche Grenzen. Letztere ergeben sich immer, wenn Menschen aufeinandertreffen. Je klarer Sie für sich als Fachkraft definiert haben, was Sie im Austausch mit den Eltern bewirken möchten, wofür sie zuständig sind und wo Sie gerne auch Verantwortung an andere abgeben dürfen – an die Eltern oder andere Berufsprofessionen –, desto mehr Freude und Leichtigkeit werden Sie im Kontakt mit den Familien erleben dürfen. Zu einem professionellen Berufsverständnis bedarf es außerdem einer weiteren Zutat, die mit der Haltung der Offenheit sowie Neugier beschrieben wird (› Kapitel 1.2).

Fachkräfte kommen mit sehr unterschiedlichen familialen Lebensformen sowie Elternpersönlichkeiten in Kontakt, was herausfordernd erlebt werden darf. Im Idealfall wächst jedoch das persönliche Wissen der Fachkraft im Lauf ihrer Berufsjahre stetig an. Sie gewinnt an Ruhe und Sicherheit, basierend auf der Erkenntnis, dass menschliches Zusammenleben am besten gelingt, wenn Vielfalt als Wert verstanden wird.

Im Gespräch bleiben - lösungsorientiert und mutig

Einen ganz wesentlichen Teil dieses Buches nehmen Fallbeispiele aus dem Kita-Alltag ein, die Ihnen Impulse geben für den Verlauf von Elterngesprächen im Rahmen einer beziehungsorientierten Erziehungspartnerschaft (› Kapitel 2). Eingewöhnung (› 2.1), Herausforderungen (› 2.2) und Übergänge (› 2.3) sind die großen Themen, nach denen die Beispiele geordnet sind, allesamt Ihnen wohlvertraute Themen in der täglichen Arbeit mit den Familien. Es geht auch um Missverständnisse, die sich in der Kommunikation mit Eltern ergeben können. Um persönliche Themen, die Eltern und Kinder einbringen und wo vielleicht das eigentliche Anliegen dahinter nicht immer sofort verstehbar ist. Die Fallbeispiele geben ganz konkrete Impulse, wie Sie als Fachkraft einfühlsam, engagiert, lösungsorientiert und mutig mit den Eltern ins Gespräch kommen können – und im Gespräch bleiben. Das kann durchaus herausfordernd sein. Die Fallbeispiele zeigen vor allem auch die Chancen, die sich aus gelingenden Elterngesprächen für das Wohl des Kindes ergeben können.

Dieses Buch ist ein Plädoyer für eine beziehungsorientierte Begleitung von Kindern und Familien, für eine Kindheit ohne Strafen. Frei von Machtmissbrauch, ängstigendem Verhalten und lieblosen Zurückweisungen. Frei davon, zu hohe Erwartungen an Kinder zu stellen, die sie sozio-emotional und kognitiv überfordern. Es ist eine Empfehlung, gütig mit den Kleinsten in unserer Gesellschaft zu sein, die so viel Lebenszeit vor sich haben und somit Raum und Zeit für sich beanspruchen dürfen, unsere komplexe Welt verstehen zu lernen. Es will zeigen, wie Sie als Fachkraft Kinder und Eltern auf diesem Weg begleiten können.

Die Entscheidung, nur gelingende Fallverläufe zu dokumentieren, ist bewusst erfolgt. Das Lernen an positiven Fällen wird mit positiven Emotionen verknüpft, was die kognitive Auseinandersetzung hierbei erleichtern kann. Dies wiederum bedeutet keinesfalls, dass Fachkräfte, die sich den Inhalten dieses Buchs widmen, im Anschluss daran nur Erfolge für sich verzeichnen werden. Ebenso wenig dürfen die Fallbeispiele als konkrete Handlungsanweisungen verstanden werden. Sie sind vielmehr als Handlungsimpulse zu verstehen, die Ihnen zeigen, wie Sie als pädagogische Fachkraft Eltern unterstützten können, kindliches Verhalten zu verstehen sowie den Wunsch nach Bindung und Autonomie feinfühlig und altersentsprechend zu begleiten.

Wissen vertiefen

Das letzte Kapitel des Buchs (› Kapitel 3) befasst sich mit theoretischem Basiswissen. Zentrale Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie in den Bereichen Kognition, Bindungsentwicklung sowie der sozio-emotionalen Entwicklung werden besprochen. Das Verhalten der Fachkräfte in den Praxisbeispielen erhält dadurch eine wissenschaftliche Fundierung. Jenes ist am Wohl des Kindes orientiert: Der kindliche Entwicklungsstand wird stets gesehen und berücksichtigt. Die beständige Orientierung daran, was überhaupt von Kindern in einem bestimmten Entwicklungsalter erwartet werden kann und was eben auch nicht, sollte der primäre Antrieb von Bindungs- und Bezugspersonen sein. Dies gilt für die Arbeit in der Kindertagesstätte und ebenso für die familiäre Betreuung in einem Familiensystem. Sehr entscheidend für einen verständnisvollen, angemessen Umgang mit Kindern sind Kenntnisse im Bereich der sozialen Entwicklung. Zentrale Erkenntnisse können Sie in diesem Kapitel nachlesen, ein Register am Ende des Buchs erleichtert den schnellen, zielgerichteten Zugriff.