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Es gibt in unserem Leben Augenblicke, in denen Dinge möglich werden, die selbst unsere kühnsten Träume übertreffen. Solche Augenblicke passieren nicht oft. Sie können unser persönliches Leben betreffen, das einer ganzen Nation oder gar weltweit eine Wende einleiten. Für viele ältere von uns war sicherlich der Fall der Berliner Mauer ein solch historisches Ereignis. Man spricht dann gerne von einer Revolution, einer Zäsur, einem historischen Moment, einem Zustand, der uns in Euphorie versetzt und natürlich auch immer die Gefahr birgt, dass die Protagonisten über das Ziel hinausschießen. Weltweit befinden sich zurzeit Biologen, Biotechnologen, Mediziner und Agrarwissenschaftler in so einem Zustand. Und dies Alles dank der molekularen Schere CRISPR/Cas. Das CRISPR/Cas‐System ist eine Genschere, die den Träger unserer genetischen Information präzise und effektiv schneiden kann und so die zielgerichtete Modifikation der Erbinformation erlaubt. Zum ersten Mal werden wir damit in der Lage sein, Kulturpflanzen so zu verändern, dass sie resistent gegen Krankheitserreger werden. Zum ersten Mal wird es möglich sein, die Ursache von Erbkrankheiten, den ursächlichen Gendefekt, im Erbgut von Patientenzellen direkt zu korrigieren. Und einmal mehr müssen wir uns die Frage stellen, wo wir die allbekannte rote Linie setzen. Nicht alles, was technologisch machbar ist, ist wissenschaftlich sinnvoll oder ethisch vertretbar. Beim Einsatz von CRISPR/Cas in der Humanmedizin ist der Grat zwischen einer Therapie nach Maß und einem Menschen nach Maß dünn und die Grenze zwischen therapieren und optimieren wirkt bei näherem Hinsehen verschwommen.
Wir beide arbeiten seit vielen Jahren mit molekularen Scheren wie CRISPR/Cas in menschlichen oder pflanzlichen Zellen und sind daher ganz besonders betroffen – aber auch vertraut mit der Technologie, die die Lebenswissenschaften zurzeit verändert, wie selten eine andere zuvor. Holger Puchta war weltweit der erste Wissenschaftler, der molekulare Scheren zur Genomveränderung in Pflanzenzellen einsetzte. In den letzten Jahren beschäftigte er sich intensiv mit der Anwendung des CRISPR/Cas‐Systems in der Pflanzenzüchtung. Toni Cathomen gehört zur ersten Generation von Wissenschaftlern, die vor 15 Jahren die ersten Genscheren für den Einsatz in menschlichen Zellen adaptierten. Mit einem Team aus Medizinern und Biologen entwickelt er gegenwärtig neuartige Therapien, um HIV‐ und Krebspatienten zu behandeln.
Das CRISPR/Cas‐System gehört zu einer großen Familie von molekularen Scheren, die Molekularbiologen zur Veränderung der Erbinformation von Lebewesen zur Verfügung stehen. Im Gegensatz zu anderen Genscheren, lassen sich CRISPR/Cas‐Scheren jedoch sehr einfach und sehr schnell erzeugen. Just diese unkomplizierte Herstellung und die Einfachheit des Systems führte dazu, dass CRISPR/Cas seit seiner Entdeckung im Jahre 2012 eine rasante Verbreitung und breite Anwendung gefunden hat. Diese begünstigenden Faktoren haben die angesprochene genetische Revolution erst ermöglicht, was sich in der Fülle der wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Patentanmeldungen sowie der investierten Finanzmittel wiederspiegelt.
Mit diesem Buch möchten wir eine breite, wissenschaftlich interessierte Öffentlichkeit im deutschsprachigen Raum, über diesen revolutionären Wandel in der Gentechnologie, informieren. Wir möchten aufzeigen, wie CRISPR/Cas unser aller Leben nachhaltig verändern kann und werden uns mit Fragestellungen auseinander setzten wie: Welche Lebensmittel stehen in Zukunft auf unserem Mittagstisch? Können Infektions‑ und Erbkrankheiten oder gar Krebs zukünftig nicht nur behandelt, sondern geheilt werden? Wir stellen hier die schier unglaublichen Möglichkeiten vor, die sich durch den Einsatz von CRISPR/Cas ergeben werden, möchten aber auch die Risiken und die gesellschaftlichen Herausforderungen aufzuzeigen, die durch diese neue Technologie auf uns zukommen.
Um Ihnen die Thematik näher zu bringen, haben wir eine Reihe von allgemeinverständlichen Artikeln zusammengestellt, die in den letzten Jahren in angesehenen wissenschaftlichen Zeitschriften oder Tageszeitungen zu diesem Thema veröffentlicht wurden. Das Buch gliedert sich in vier Teile. Der erste Teil macht Sie mit dem biologischen Hintergrundwissen zu dem aus Bakterien stammenden CRISPR/Cas‐System vertraut und erklärt, wie mit dieser molekularen Schere das Erbgut von Organismen verändert werden kann. Im zweiten Teil wird vermittelt, welche Veränderungen in der Landwirtschaft durch die Anwendungen von CRISPR/Cas möglich sind. Noch direkter betreffen uns die möglichen Anwendungen in der Medizin. Die aktuelle Forschung und die sich daraus ableitenden Therapieoptionen sind im dritten Teil des Buches zusammengefasst. Im letzten Teil geht es dann um grundsätzliche Fragen: Wo führt uns diese gentechnologische Revolution hin? Was ist ethisch vertretbar und wo setzen wir beim Einsatz am Menschen die Grenzen?
Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass wir im Laufe des nächsten Jahrzehnts als demokratische Gesellschaft wichtige Entscheidungen zur Anwendung der CRISPR/Cas‐Technologie getroffen werden müssen. Um dies auf einer fundierten Grundlage zu tun, versuchen wir als Wissenschaftler und Hochschullehrer die Chancen und die Risiken, die CRISPR/Cas uns bietet, zusammen mit dem entsprechenden Hintergrundwissen, einer interessierten Leserschaft zugänglich zu machen. Wir hoffen, dass es uns mit diesem Buch gelingt einen wichtigen Beitrag zur aktuellen Diskussion um CRISPR/Cas zu leisten. Außerdem möchten wir dem Springer Verlag für die Unterstützung danken, die entscheidend zum Gelingen dieses Buches beigetragen hat.