Venezianische Profanbauten
Der Dogenpalast:
prunkvoll bis ins Detail
In der Profanarchitektur Venedigs lassen sich verschiedene Gebäudetypen voneinander unterscheiden. Absolute Singularität in puncto Größe und repräsentativer Pracht genießt dabei der Dogenpalast (Palazzo Ducale → S. 110), in dem die Wohn- und Amtsräume des Dogen sowie die Sitzungssäle sämtlicher Regierungsorgane untergebracht waren. Der typische venezianische Palazzo war durch alle Stilepochen hindurch in der Regel ein zweckmäßiger Bau, der der Kaufmannsfamilie gleichermaßen als Wohnhaus und Warenlager diente. Die repräsentative, reich geschmückte Schaufront der Palazzi war immer dem Wasser zugewandt. Dort befand sich auch der Hauptzugang, in der Regel ein weites Bogentor, das von bunt bemalten Pfosten (Paline) markiert war. Mit Barken und Gondeln gelangte man in die breite Halle (Androne) des Wassergeschosses, an deren anderem Ende sich der landseitige, schlichtere Eingang befand. Die angrenzenden Räume, links und rechts der Halle, dienten als Magazin- und Wirtschaftsräume. Eine Treppe führte vom Androne in das Zwischengeschoss (Mezza), in dem sich zumeist die Büros befanden. Im eleganten Obergeschoss (Piano nobile) mündete das Treppenhaus direkt in den festlichen Salon (Sala bzw. Portego), in dem neben Banketten auch Hauskonzerte und Theateraufführungen veranstaltet wurden. Zur Wasserseite hin hatte das Obergeschoss häufig einen Balkon bzw. eine Loggia. Die angrenzenden Räume sowie das obere Stockwerk dienten den Familienmitgliedern als Privatgemächer, während die Bediensteten im Dachgeschoss untergebracht waren, wo sich oftmals auch die Küche befand.
Il Pozzo veneziano
Die Versorgung mit Trinkwasser war eines der größten Probleme im alten Venedig. In Ermangelung natürlicher Quellen musste das Regenwasser systematisch gesammelt werden. Dazu wurden auf allen Plätzen und in allen Innenhöfen der Stadt öffentliche und private Brunnen (Pozzo) errichtet, von denen es einst an die 7.000 gab. Zunächst musste der ca. 5 m tiefe Brunnenschacht vollständig in eine breite Schicht aus Sand gebettet werden, die als Filter diente. An der gepflasterten Oberfläche sorgten mehrere Abflüsse (Tombini) dafür, dass das Regenwasser in diesen Sandfilter geleitet wurde, um dann von unten den Brunnen zu füllen. Den krönenden Abschluss bildeten zumeist üppig verzierte Brunneneinfassungen aus Kalkstein oder Marmor, die in der Frühzeit Venedigs nicht selten aus den wuchtigen Kapitellen antiker Säulen gefertigt wurden. Ungefähr 2.000 dieser markanten Brunneneinfassungen (Vera da pozzo) gibt es heute noch im Stadtgebiet, und manchmal verschwindet eine ,,Vera’’ auf mysteriöse Weise über Nacht, denn es handelt sich um beliebte Sammlerstücke auf dem internationalen Kunstmarkt. Längst sind die Pozzi veneziani trocken und verschlossen, da das Trinkwasser seit über einem Jahrhundert in bester Qualität per Pipeline aus den Dolomiten nach Venedig gelangt.
Den Abschluss bildete die hölzerne Dachterrasse (Altana), auf der, so spottete das Volk, sich die Signora des Hauses die Haare in der Sonne bleichen ließ. Ein markanter, konisch geformter Schornstein (Camino) schmückte das rote Ziegeldach. Die Innenhöfe (Corte bzw. Cortile) der venezianischen Palazzi, die man über den Landeingang erreichte, waren überwiegend klein, besaßen aber immer einen aufwändig gestalteten Brunnen (Pozzo) und einen kleinen Garten.
Früher durfte ein venezianischer Palazzo nicht als solcher bezeichnet werden, man nannte ihn schlicht Casa (Haus) oder kurz Ca’, weil die Bezeichnung Palazzo nur einem Bau, nämlich dem Dogenpalast, vorbehalten war. Im Lauf der Zeit wurde die Angelegenheit nicht mehr so streng genommen und beide Bezeichnungen waren gebräuchlich. Noch heute heißen einige der prunkvollsten Palazzi bescheiden Casa (Ca’ d’Oro → S. 131) oder tragen gar beide Bezeichnungen (Palazzo Corner della Ca’ Grande → S. 123). Ein weiteres, typisch venezianisches Gebäude war der Fondaco (Kontor). Die Bezeichnung stammt vom arabischen Wort Funduk (Warenbörse). Ein solcher wuchtiger Gebäudekomplex verfügte über ein Wassergeschoss, drei obere Stockwerke und einen geräumigen Innenhof, und wurde den ausländischen Kaufleuten als Magazin, Handelsplatz und Gasthaus zur Verfügung gestellt. Das älteste erhaltene Handelshaus ist der Fondaco dei Turchi (→ S. 132). Ein charakteristisches Architekturmerkmal des Fondaco ist die offene Arkadenhalle an der Wasserseite, die zum Ein- und Ausladen der Waren diente. Reihenhäuser aus dem 18. Jh.
Die Scuole, die Gebäude der venezianischen Bruderschaften, gehören ebenfalls zu den typischen Profanbauten der Stadt. Sechs große und weit über hundert kleine Bruderschaften (Scuole Grandi bzw. Scuole Minori) gab es während der Glanzzeit Venedigs im 15./16. Jh. Die Bruderschaften verstanden sich als Interessensvertretungen verschiedener Berufe, ethnischer Gruppen sowie Bet-, Zweck- und Schicksalsgemeinschaften; so bildeten z. B. Blinde die Scuola degli Orbi. Es handelte sich um reine Bürgervereinigungen, die aufgrund ihrer karitativen Leistungen eine wichtige Rolle im öffentlichen Leben spielten, und deren Versammlungshäuser deutliche architektonische Akzente im Stadtbild setzten. Vor allem die sechs vermögenden Scuole Grandi gestalteten ihre riesigen Bruderschaftshäuser sehr aufwändig mit prunkvollen Eingangsportalen und Treppenhäusern sowie kunstvollen Wand- und Deckendekorationen, angefertigt von den namhaftesten Künstlern der Zeit. Heute sind einige dieser Scuole als Museen zugänglich.
Einen weniger beachteten, aber noch sehr verbreiteten Gebäudetyp stellt das venezianische Reihenhaus dar, in dem das einfache Volk zur Miete wohnte. Im Gegensatz zu den Palazzi waren die Wohnungen natürlich bescheiden, aber dafür sehr preisgünstig. Vor allem die Bruderschaften, die auch eine rege Bautätigkeit betrieben, boten diesen subventionierten, z. T. sogar für Mitglieder kostenlosen Wohnraum an. In allen historischen Stadtvierteln findet man noch zahlreiche Varianten des venezianischen Reihenhauses. Es handelte sich in der Regel um dreigeschossige Häuserzeilen, deren einzelne Wohnungen aus einer Küche sowie einem kombinierten Wohn- und Schlafraum bestanden. Daneben gab es Gemeinschaftsräume für Vorräte, Feuerholz und Bootszubehör.