Rundfahrt auf dem Canal Grande
Inhaltsverzeichnis
Von San Marco zum Ponte dell’Accademia
Ca’ Dario
Besteigt man am Anleger San Marco Vallaresso einen Vaporetto (Linie 1 hält überall, Linie 2 nur an einigen Anlegern), erblickt man beim Ablegen die weithin sichtbare Turmspitze des Seezollamtes, auf deren vergoldeter Weltkugel die Glücksgöttin Fortuna balanciert. In dem spitz zulaufenden Zollgebäude befindet sich ein neues Museum für zeitgenössische Kunst (→ S. 202). Nach wenigen Metern Fahrt steht am rechten Kanalufer die prachtvolle Fassade des viergeschossigen Palazzo Giustinian. Dieser gotische Bau aus dem 15. Jh. beherbergte im 19. Jh. das Grandhotel Europa; heute residiert dort das Organisationskomitee der Kunst-Biennale di Venezia (→ S. 177). Schräg gegenüber bildet die Barockkirche Santa Maria della Salute (→ S. 202) den geradezu monumentalen Blickfang. Doch aufgepasst, am rechten Ufer schiebt sich bereits der schmale, um 1480 errichtete Palazzo Contarini Fasan ins Bild, mit seinen filigran gearbeiteten Marmorbrüstungen ein Kleinod der Spätgotik. Diesen Palazzo hat Shakespeare in seinem „Othello“ zum Haus der Desdemona gemacht. Schräg gegenüber fällt der Blick auf die kleine, mit farbigem Marmor verkleidete Ca’ Dario (→ „Der verfluchte Palazzo“, → S. 123). Dieser auf den ersten Blick eher unscheinbare Palazzo mit der leichten Schieflage ist ein ideales Studienobjekt, denn er verkörpert den typisch venezianischen Mischstil des späten 15. Jh., in dem orientalische Ornamentik, gotische Grundmuster und Renaissanceformen zu einer harmonischen Einheit verschmelzen. Daneben erkennt man den weißen Flachbau des Palazzo Venier dei Leoni (18. Jh.), in dem die Collezione Peggy Guggenheim (→ S. 201) untergebracht ist, eine außergewöhnlich repräsentative Sammlung der klassischen Moderne. Rechts, hinter dem Anleger Santa Maria del Giglio, erhebt sich der wuchtige Palazzo Corner, der wegen seiner überragenden Größe auch Ca’ Grande genannt wird. In diesem Vorzeigebau der Hochrenaissance von Jacopo Sansovino befindet sich heute der Sitz der Stadtpräfektur. Gleich daneben, hinter dem Garten, steht die kleine rote Casina delle Rose, dort wohnte der Dichter Gabriele d’Annunzio im Ersten Weltkrieg. Ebenfalls auf der rechten Uferseite, unmittelbar vor der hölzernen Accademia-Brücke (1932 errichtet), stehen die gotischen Palazzi Barbaro und Cavalli-Franchetti. 1815 erwarb eine Bostoner Familie den Barbaro-Palast, der alsbald zum beliebten Treffpunkt der internationalen Künstler- und Literatenszene avancierte. Gegenüber verdient der Palazzo Contarini-Polignac besondere Beachtung. In diesem Frührenaissancebau wohnen angeblich noch heute Nachfahren der Adelsfamilie Polignac.
Vom Ponte dell’Accademia zur Rialtobrücke
Ca’ Dario - der verfluchte Palazzo
Mittlerweile möchte niemand mehr diesen kleinen, windschiefen Marmorpalast am Canal Grande geschenkt haben, denn es liegt seit Jahrhunderten ein Fluch auf ihm, der sich auch in jüngerer Zeit noch bemerkbar macht.
Erbauer war im späten 15. Jh. ein hoher Staatsbeamter namens Giovanni Dario, dessen Tochter in die benachbarte Familie Barbaro einheiratete. Über Jahrhunderte bewohnten dann Nachfahren dieser Barbaros das geheimnisvolle Anwesen. Lang ist die Chronik der unheilvollen Ereignisse, die sich hier abgespielt haben sollen: Es ist die Rede von tragischen Selbstmorden, plötzlichen Erkrankungen, Meuchelmorden und Exzessen aller Art.
Unheilbeladen stand die Ca’ Dario im 19. Jh. jahrzehntelang leer, nicht einmal die Stadt wollte den Palazzo kaufen. Als sich endlich neue Besitzer fanden, nahm auch das Unglück wieder seinen Lauf: Der französische Dichter Henri Régnier (1864-1936) starb bald nach seinem Einzug. Ein anderer Besitzer wurde von seinem Diener erschlagen. In den 70er-Jahren des 20. Jh., als der Manager der Gruppe „The Who“ hier lebte, spielten sich Drogenorgien mit tödlichen Folgen ab. Ein italienischer Industrieller, belastet mit Korruptionsvorwürfen, beging hier Selbstmord. Danach wurden mehrere Prominente als potenzielle Käufer genannt, darunter auch Woody Allen, aber alle sprangen im letzten Moment ab, als sie vom Fluch der Ca’ Dario erfuhren. Der Kaufpreis soll zehn Millionen Dollar betragen haben. Als ich beim letzten Venedigbesuch mit dem Vaporetto vorbeifuhr, war der Palazzo komplett eingerüstet, und am Landeingang wundert man sich über den Namen „Gaussen“.
Am Bootsanleger Accademia befindet sich die Galleria dell’Accademia (→S. 199), diese berühmte Gemäldegalerie der venezianischen Malerei ist in einer säkularisierten Kirche sowie einem ehemaligen Konvents- und Bruderschaftsgebäude untergebracht. Auf der rechten Uferseite erblickt man den barocken Palazzo Giustinian Lolin, ein Frühwerk Baldassare Longhenas.
Daneben steht der kleine gotische Palazzo Falier mit seinen markanten Loggien. Aus dem hier ansässigen Adelsgeschlecht stammten drei Dogen, der letzte, Marino Falier, wurde 1355 wegen seiner unrepublikanischen Machtgelüste enthauptet. Schräg gegenüber, an der Einmündung des Rio San Trovaso in den Canal Grande, steht die kleine, von Carlo Scarpa renovierte Casa Mainella(mit der Terrasse auf der vorgelagerten Erdgeschosswohnung).
Am Anleger Ca’ Rezzonico befindet sich der gleichnamige Barockbau. Die Stadt hat in diesem wuchtigen Anwesen das Museo del Settecento Veneziano (s. u., „Sehenswertes“) untergebracht. Die Ca’ Rezzonico gehört damit zu den wenigen öffentlich zugänglichen Palazzi am Canal Grande. Unmittelbar gegenüber erhebt sich die Kirche San Samuele und daneben der vorbildlich restaurierte Palazzo Grassi (→ S. 140), ein klassizistischer Prachtbau par excellence. Hausherr des Grassi-Palazzo ist der französische Milliardär François Pinault, der ihn für wechselnde Kunst- und Kultur-Events nutzt.
Kurz vor dem Kanalknick erblickt man auf der linken Seite den viergeschossigen Palazzo Giustinian (15. Jh.), in dem Richard Wagner zwischen 1858 und 1859 wohnte und an seiner Oper „Tristan und Isolde“ arbeitete. Die benachbarte Ca’ Foscari (ebenfalls 15. Jh.) ist frisch restauriert und gehört heute zur Universität. Einst war sie der Wohnsitz des Dogen Francesco Foscari, der nach seiner fast 35-jährigen Amtszeit hier gestorben ist. Auf dem Reliefband über der mittleren Fenstergruppe ist das Familienwappen der Foscari zu erkennen.
Gegenüber dem Bootsanleger San Tomà erstrecken sich die Palazzi Mocenigo, ein Ensemble von vier Bauten aus dem 16. und 17. Jh., ehemals im Besitz der weit verzweigten Mocenigo-Familie, die insgesamt sieben Dogen stellte. Anfang des 19. Jh. war Lord Byron Untermieter und schrieb an seinem epischen Fragment „Don Juan“. Auf der linken Uferseite schiebt sich jetzt der bis ins Detail symmetrische Palazzo Pisani Moretta ins Bild. Dieser makellose gotische Prachtbau wird noch immer von Nachfahren der Pisani-Familie bewohnt.
Am Anleger Sant’Angelo sieht man dann einen der frühen Renaissancebauten, der um 1500 nach einem Entwurf von Mauro Coducci erbaut wurde. Dieser beispielhafte Palazzo Corner Spinelli beherbergt heute die Schauräume der noblen venezianischen Textilfirma Rubelli.
Die Paline, die bunt bemalten Pfosten, markieren das wasserseitige Bogentor
Im folgenden Abschnitt des Canal Grande gibt es einige der ältesten Palazzi aus der romanisch-byzantinischen Epoche zu bewundern. Da ist zunächst, links, die kleine Ca’ Donà della Madonetta aus dem 13. Jh. zu nennen. Trotz vieler Umbauten hat die Fassade ihre romanische Grundstruktur weitgehend bewahrt. Absolut einzigartig ist die Dachloggia der Ca’ Donà.
Vis-à-vis vom Anleger San Silvestro blickt man auf die beiden prächtigsten Kanalbauten des 13. Jh., den Palazzo Corner Loredan und den Palazzo Dandolo Farsetti. Diese benachbarten Gebäude besitzen noch ihre typisch romanischen Erd- und Obergeschossarkaden, während die obersten Stockwerke im 14. Jh. aufgesetzt und später umgestaltet wurden. Heute hat in den beiden Palästen das Rathaus von Venedig seinen Sitz. Ein Stück weiter rechts dann der Wohnsitz des letzten Dogen von Venedig, Lodovico Manin. Die bereits in Sichtweite befindliche Rialtobrücke (s. u., „Sehenswertes“) ist der zentrale Verkehrsknotenpunkt der historischen Innenstadt, sie halbiert den Canal Grande und war bis Mitte des 19. Jh. die einzige Fußgängerverbindung über den Kanal.
Von der Rialtobrücke zum Ponte Scalzi
Hinter der Rialtobrücke setzt sich die Reihe der prachtvollen Profanbauten fort. Neu hinzu kommt der Gebäudetyp des venezianischen Handelshauses, des „Fondaco“ (→ S. 45), denn im folgenden Abschnitt des Canal Grande befand sich das alte Handelszentrum der Serenissima. Gleich hinter der Brücke steht rechts der wuchtige Fondaco dei Tedeschi (s. u., „Sehenswertes“), in dem die deutschen Kaufleute bis 1812 ihren Sitz hatten. Dieser Handelsstützpunkt der Deutschen wurde 1505 nach einem Brand neu errichtet. Die schmucklose Fassade war einst mit Wandfresken von Giorgione und Tizian verziert. Das Wassergeschoss mit dem breiten Bogengang diente als Warenumschlagplatz und musste deshalb besonders funktional angelegt sein. Im 20. Jh. war hier die Hauptpost Venedigs untergebracht, z. Z. wird der Fondaco in ein Shoppingcenter der Luxusklasse umgebaut. Ein Stück weiter erkennt man die Fassade der Ca’ da Mosto. Dieses bereits Anfang des 13. Jh. errichtete Gebäude ist in den unteren beiden Stockwerken noch mit den alten Reliefbildern, Wandfriesen und Rundbögen im typisch romanisch-byzantinischen Stil geschmückt. Im 17. Jh. wurde die Ca’ da Mosto durch ein drittes Stockwerk erweitert, außerdem zog man ein Mezzaningeschoss ein. Es handelt sich um das Geburtshaus von Alvise da Mosto, dem Entdecker der Kanarischen und Kapverdischen Inseln. Gegenüber erstreckt sich das heute noch lebhafte Rialtoviertel (→ S. 146) mit den alten Verwaltungsgebäuden und Marktplätzen. Die mit langen Bogengängen versehenen Fabbriche Vecchie e Nuove entstanden im 16. Jh. Den hinteren Abschluss dieses verwinkelten Marktviertels bildet die 1907 im neogotischen Stil errichtete Fischmarkthalle, die Pescheria.
Am Bootsanleger Ca’ d’Oro stellt der gleichnamige Uferpalast einen absoluten Höhepunkt der gotischen Profanarchitektur Venedigs dar. Noch märchenhafter als heute muss die makellose Fassade der Ca’ d’Oro (s. u., „Sehenswertes“) ausgesehen haben, als ihre üppigen Verzierungen noch die blau-goldene Bemalung trugen. Die Ca’ d’Oro beherbergt die Galleria Franchetti und ist öffentlich zugänglich.
Schräg gegenüber erhebt sich die imposante Ca’ Corner della Regina. Es handelt sich um das letzte Bauvorhaben von Domenico Rossi. Dieser barocke Repräsentationsbau der steinreichen Familie Corner war seinerzeit als der höchste Palazzo am Kanal geplant. Die Ca’ Pesaro (s. u., „Sehenswertes“), zwei Häuser weiter, steht auf dem Baugrund von drei gotischen Vorgängerbauten. Der im Auftrag des Dogen Giovanni Pesaro erbaute monumentale Palast von Baldassare Longhena beherbergt heute die Galleria d’Arte Moderna und das Museo Orientale.
Am Anleger San Stae blickt man auf die klassizistische Fassade der Chiesa di San Stae (→ S. 154). Ein Stück weiter erfreut der verspielte Barockpalazzo Belloni Battagia das Auge, ebenfalls ein Werk Longhenas. Gleich nebenan steht der festungsähnliche Kornspeicher der Serenissima, das Deposito del Megio mit dem Relief des Markuslöwen. Gegenüber dann der herrliche Renaissancepalazzo Vendramin Calergi (s. u., „Sehenswertes“), den Mauro Coducci um 1500 entwarf. Hier starb Richard Wagner am 13. Februar 1883 an einem Schlaganfall. Dieser außen wie innen stilvolle Prachtbau beherbergt mittlerweile ganzjährig die Spielbank von Venedig sowie die musealen Richard-Wagner-Säle, die besichtigt werden können.
Gegenüber dem Bootsanleger San Marcuola steht der älteste erhaltene Großbau am Canal Grande. Der Fondaco dei Turchi (Handelshaus der Türken, s. u., „Sehenswertes“) hat trotz mehrfacher Besitzerwechsel und Umbauten seine romanisch-byzantinische Grundstruktur bewahrt. Heute, nach einer aufwendigen Restaurierung, beherbergt dieses monumentale Gebäude das Museo di Storia Naturale. Daneben, in der einstöckigen roten Casa del Boia, wohnte einst der Henker. Wendepunkt der Rundfahrt auf dem Canal Grande ist die Bahnhofs-Anlegestelle hinter der Barfüßerbrücke Ponte Scalzi von 1934.
Ca’ Rezzonico