I Sestieri di San Polo e Santa Croce - Die Viertel San Polo und Santa Croce
Von der oberen Schleife des Canal Grande umschlungen, gehören die beiden ineinander übergehenden Stadtteile San Polo und Santa Croce zum historischen Stadtgebiet. Das kleine, quirlige Rialtoviertel nordwestlich der gleichnamigen Brücke gilt sogar als die Keimzelle Venedigs, denn hier begannen die Lagunenbewohner mit der Erschließung des „tiefen Flusses“ (Rivus Altus), den sie erst viel später „großer Kanal“ nannten. Sakrale und profane Fassadenpracht
Beide Stadtviertel sind ganz auf den Canal Grande ausgerichtet, so wird das Kanalufer von herrschaftlichen Wohnbauten gesäumt, während im Innern von San Polo und Santa Croce eher die bescheideneren Quartiere entstanden sind. Unter dem architektonischen Aspekt ist es ratsam, sich zunächst die attraktive Wasserseite vom Canal Grande aus zu erschließen (→ S. 120) und erst dann im Kerngebiet auf Entdeckungsreise zu gehen, einem labyrinthischen Gewirr aus engen Gassen, schmalen Brücken und aufgeschütteten Kanälen. Venedigs „Bauch“, das lebendige Rialtoviertel, das gleich an der Rialtobrücke beginnt, wird fast vollständig vom quirligen Markttreiben beherrscht und erinnert damit an das mittelalterliche Venedig, das sein Markt- und Handelszentrum an eben dieser Stelle hatte. Noch heute spürt man auf dem Rialtomarkt die sprichwörtlich gewordene venezianische Geschäftstüchtigkeit und Händlermentalität. Und als sei die Zeit stehen geblieben, werden an den Ladekais unentwegt Waren jeglicher Art angeliefert und auf die einzelnen Marktplätze, Hallen, Stände und Geschäfte verteilt. Gab es früher noch penibel vorgeschriebene Ladezonen, etwa für Wein (Riva del Vin) und Öl (Riva dell’Olio), so herrscht heute eher Anarchie im Lieferverkehr. Und das Warenangebot im Rialtoviertel ist natürlich vielfältiger und touristischer geworden, abgesehen vom Obst- und Gemüsemarkt (Erberia) oder vom Fischmarkt (Pescheria), wo die kehligen Stimmen der Händler am lautesten um Kundschaft werben. Vor allem hier hört man diesen seltsamen venezianischen Dialekt, den selbst Italiener aus anderen Regionen kaum verstehen. Auch in den Seitengassen pulsiert das Leben nach wie vor im Rhythmus des Warenverkehrs, und die Straßennamen verraten, welche Gewerbe hier einst blühten. Um den Campo delle Beccarie herum hatten die Metzger ihr Revier, eine Gasse weiter betrieben die Botteri (Fassbinder) ihr Handwerk, und in der Calle dell’Ostaria wurde deftiges Essen und offener Wein serviert. Etwas feiner ging es hingegen in den Geschäften der Juweliere, Goldschmiede und Tuchhändler zu. Und wo die venezianischen Dukaten derart reichlich zirkulierten, da waren natürlich auch die Geldverleiher und Bankhäuser nicht weit - ebenso wie die Steuerbehörde mit dem angeschlossenen Schuldnergefängnis. Ein gezielter Bummel durch San Polo und Santa Croce führt vom Rialtoviertel zu den Highlights dieses insgesamt eher bescheidenen Stadtgebiets, der monumentalen Basilica dei Frari und der Scuola Grande di San Rocco, die beide mit grandiosen Kunstschätzen ausgestattet sind. Wer seine Bekanntschaft mit Tizian und Tintoretto vertiefen möchte, darf diese beiden erstklassigen Kunsttempel auf keinen Fall links liegen lassen. Wer sich unter Urlaub in Venedig eher Müßiggang vorstellt, der findet auf den weitläufigen Campi von San Polo und Santa Croce das geeignete Revier dazu.