Kapitel 27

Zehn wichtige Probleme aus dem Strafrecht Allgemeiner Teil

IN DIESEM KAPITEL

  • Strafrechtliche Probleme, die Ihnen immer mal wieder begegnen werden
  • Tipps, wie Sie dann nicht in typische Fehlerfallen tappen

Wenn es auf die Auslegung des Gesetzes ankommt – die Wortlautgrenze

Sie erinnern sich bestimmt an Kapitel 2: Keine Strafe ohne Gesetz (nulla poena sine lege). Ein Verhalten ist nur dann strafbar, wenn es der Beschreibung des Tatbestandes entspricht. Zuweilen werden Sie in Klausuren auf die Probe gestellt, ob Sie einen Tatbestand richtig auslegen und anwenden können. Ist das Wegschleppen eines Schneemanns ein Diebstahl (§ 242 StGB), das Anspucken eines Menschen eine Körperverletzung (§ 223 StGB) oder ein aufgedrängter Kuss im Karneval eine sexuelle Nötigung (§ 177 StGB)?

In Kapitel 5 finden Sie die Leitlinien der Auslegung: Orientieren Sie sich genau am Wortlaut des Gesetzes (Wortlautgrenze). Sie können sich zuweilen an Definitionen eines Begriffs in anderen gesetzlichen Regelungen orientieren (systematische Auslegung). Es ist verboten, Analogien zu ziehen (= X entspricht zwar nicht der tatbestandlichen Definition, ist aber genauso schlimm). Ihre Aufgabe besteht nicht darin, den Tatbestand möglichst weit auszudehnen, sondern dem Strafrecht Grenzen zu ziehen.

Wenn es auf den Ursachen-Wirkungs-Zusammenhang ankommt – Kausalität und objektive Zurechnung

In den Kapiteln 6 und 7 bespreche ich eine wesentliche Funktion des objektiven Tatbestandes: Ein Verhalten kann einem Täter nur dann strafrechtlich zugerechnet werden, wenn die Folgen des Verhaltens sein Werk sind. Nach der Kausalitätsformel conditio sine qua non (= eine Bedingung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele) werden geradezu uferlos Bedingungen mit einbezogen. Wenn Sie einen Menschen bei heraufziehendem Gewitter hinausschicken und dieser Mensch vom Blitz getroffen wird, gibt es natürlich einen Zusammenhang zwischen Ihrem Verhalten und dieser Folge. Kein Mensch kann jedoch Naturkräfte gezielt einsetzen.

Mit der Lehre von der objektiven Zurechnung sollen solche Fälle ausgeschlossen werden, bei denen eine Verknüpfung von Verhalten und Erfolg nicht gerecht erscheint. Die Grundformel der objektiven Zurechnung lautet demnach, dass dem Täter ein Erfolg zugerechnet werden kann, wenn er durch seine Handlung ein rechtlich missbilligtes Risiko geschaffen beziehungsweise erhöht hat (Überschreiten des erlaubten Risikos) und sich gerade dieses Risiko in einem tatbestandsmäßigen Erfolg realisiert hat (Risikozusammenhang).

Wann ein Täter die Tat mit Eventualvorsatz begeht

Besonders bei Rohheitsdelikten sind Sie häufig mit dem Problem konfrontiert, dass ein Täter objektiv lebensgefährlich handelt, sich aber von den tödlichen Folgen distanziert. So tritt zum Beispiel ein Täter mehrfach mit dem Stiefel gegen den Kopf des auf dem Boden liegenden Opfers, das daran stirbt, und erklärt dann, das habe er aber nicht gewollt. Dies wirft die Frage auf, ob Sie gleichwohl von einer vorsätzlichen Tötung sprechen können. Das Problem wird unter der Überschrift Eventualvorsatz diskutiert und kommt sehr häufig in Anfängerklausuren vor. Die Frage nach den Kriterien für das Vorliegen eines Eventualvorsatzes zählt zu den schwierigsten und umstrittensten Fragen des Strafrechts. Die verschiedenen hierzu vertretenen Theorien stelle ich Ihnen in Kapitel 10 vor. Sie sollten diese Theorien kennen, kommen aber in der Regel auch gut bei der Lösung voran, wenn Sie die Billigungsformel der Rechtsprechung kennen. Eventualvorsatz liegt nach der Billigungstheorie dann vor, wenn ein Täter die als möglich angenommene Tatbestandsverwirklichung (Wissenselement) zustimmend beziehungsweise billigend in Kauf genommen hat (Willenselement).

Wann Unachtsamkeit zur Bestrafung wegen Fahrlässigkeit führt

Es werden deutlich mehr Menschen durch die Unachtsamkeit ihrer Mitmenschen verletzt und getötet als durch vorsätzliche Angriffe auf Leib und Leben. Denken Sie etwa nur an die zahlreichen Opfer im Straßenverkehr. Jedoch führt nicht jede Unachtsamkeit eines Verkehrsteilnehmers zu strafrechtlichen Folgen wegen fahrlässiger Körperverletzung oder Tötung. In Kapitel 11 erkläre ich Ihnen die allgemeinen Voraussetzungen: Für die Folgen eines »Unfalls« haftet der Verursacher strafrechtlich nur dann, wenn er Sorgfaltspflichten verletzt hat; wenn voraussehbar war, dass dies schlimme Folgen haben kann; wenn diese Folgen bei entsprechender ihm möglicher Sorgfalt vermeidbar gewesen wären. Einzelheiten hierzu aus den typischen Beispielfeldern Behandlungsfehler in der Medizin und Fehlverhalten im Straßenverkehr finden Sie in Kapitel 12.

Wann man berechtigt ist, sich gegen einen Angriff zu wehren

Ein sehr häufiges Problem in Anfängerklausuren ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen sich ein Mensch gegen einen Angriff zur Wehr setzen darf und berechtigt ist, den Angreifer zu verletzen oder sogar zu töten. Die Grundregel hierfür finden Sie in § 32 StGB (Notwehr). Das Gesetz bezeichnet in § 32 Abs. 2 StGB die Notwehr als »erforderliche Verteidigung« gegen einen »gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff«. Ich behandele in Kapitel 14 diese Voraussetzungen ausführlich, weil in jedem der Begriffe eine Fülle von Problemen steckt: Wenn das Gesetz von einem gegenwärtigen Angriff spricht, stellt sich die Frage, wann ein Angriff beginnt und wann er endet. Das Wort erforderliche Verteidigung verweist darauf, dass es Verteidigungshandlungen geben kann, die außerhalb der Grenzen des Erforderlichen liegen. Diese Einschränkungen des Notwehrrechts müssen Sie kennen.

Zudem müssen Sie wissen, wie das Problem zu behandeln ist, dass es in einer turbulenten Notwehrsituation zu allen möglichen Irrtümern kommen kann: So kann sich eine Person überhaupt irrtümlich angegriffen fühlen (Erlaubnistatbestandsirrtum) oder sich gegenüber einem tatsächlichen Angriff irrtümlich zu einer völlig überzogenen Reaktion berechtigt fühlen (Erlaubnisgrenzirrtum). Alles Wichtige hierzu finden Sie in Kapitel 17.

Wann der Versuch einer Straftat beginnt

Manche Straftaten werden auf der Stelle aus einem Impuls begangen, andere Straftaten dagegen durchlaufen mehrere Phasen von der Idee über die Vorbereitung und den Versuch bis hin zur Vollendung. Eine wichtige Frage ist, ab welcher Phase ein Täter für seine geplante Straftat bestraft werden kann. Die Idee zu einer Straftat ist nicht strafbar. Vorbereitungshandlungen sind in aller Regel straflos. Der Versuch einer Straftat ist dagegen häufig strafbar; für Verbrechen gilt dies stets. Eine wichtige Frage lautet, wann denn nun der Versuch beginnt. Das Gesetz gibt dazu in § 22 StGB eine Antwort: Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.

Was genauer darunter zu verstehen ist, variiert nach dem jeweiligen Tatbestand und es wird viel darüber diskutiert, wann denn genau von einem unmittelbaren Ansetzen gesprochen werden kann. Einzelheiten zu dieser Debatte finden Sie in Kapitel 24. Jedenfalls sollten Sie sich folgenden Leitsatz der Rechtsprechung merken: Das Versuchsstadium erstreckt sich auf Handlungen, die im ungestörten Fortgang unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen sollen oder die im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen. Dies ist dann der Fall, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum »Jetzt geht es los« überschreitet und objektiv zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung ansetzt, sodass sein Tun ohne Zwischenakte in die Tatbestandserfüllung übergeht.

Wann und wie man von dem Versuch einer Straftat zurücktreten kann

Unter bestimmten Voraussetzungen wird derjenige, der den Versuch einer Straftat aufgibt oder deren Vollendung verhindert, nicht bestraft. Eine populäre Begründung für die Regelung des § 24 StGB ist, dass dem Täter eine goldene Brücke zurück in die Rechtschaffenheit gebaut werden soll, indem man ihm Straffreiheit für die Umkehr anbietet. Als Strafaufhebungsgrund ist der Rücktritt erst nach Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld und wegen seiner persönlichen Natur für jeden Beteiligten einzeln zu prüfen.

Der Rücktritt vom Versuch enthält eine große Zahl von Problemen, die ich Ihnen in Kapitel 25 vorgestellt habe. Der Rücktritt vom Versuch ist in der ganzen Bandbreite der Probleme ein häufiges Klausurthema. Sie müssen auf jeden Fall die Unterscheidung von fehlgeschlagenem, unbeendetem und beendetem Versuch und die sich daraus ergebenden Folgen kennen. Sie müssen wissen, wie unterschiedlich der Rücktritt bei einem mehraktigen Geschehen beurteilt werden kann, je nachdem, ob man der Einzelaktstheorie oder der Gesamtbetrachtungslehre folgt. Und Sie müssen die Besonderheiten zum Rücktritt kennen, wenn mehrere Personen an einer Straftat beteiligt sind.

Wann man Täter und wann man Teilnehmer einer Straftat ist

Wird eine Straftat unter der Mitwirkung von mehreren Personen begangen, dann ist es von großer Bedeutung, diesen Menschen genau die unterschiedlichen Rollen zuzuweisen, die das StGB für Täter oder Beteiligte an einer Straftat kennt, vor allen Dingen aus dem Grund, weil sich die drohende Strafe danach bestimmt – so droht dem Gehilfen einer Straftat eine geringere Strafe als dem Täter.

Bei der Rollenbestimmung konkurrieren zwei wesentliche Theorielager, die Sie unbedingt kennen müssen. Die subjektive Theorie möchte die Rolle danach bestimmen, wie die betreffende Person ihre Rolle im Geschehen sieht. Die Tatherrschaftslehre fragt nach der Struktur des Geschehens und ordnet Zentralfiguren die Rolle des Täters und Randfiguren die Rolle des Gehilfen zu. Diese Grundstruktur des Problems und weitere wichtige Facetten stelle ich Ihnen in Kapitel 19 vor.

Wann und wie man als mittelbarer Täter einen anderen Menschen zu seinem Werkzeug machen kann

Der mittelbare Täter setzt einen anderen Menschen als sein »Werkzeug« ein, bedient sich »fremder Hände« zur Tatbegehung, »zieht die Fäden der Tat«, während er selbst im Hintergrund steht. Mit einem schönen Bild kann man sagen, dass der mittelbare Täter ein Marionettenspieler ist. Man kann einen anderen Menschen aus einer Reihe von Gründen und mit einer Reihe von Methoden in sein Werkzeug verwandeln. Die Lehre von der mittelbaren Täterschaft ist komplex und wird deswegen gerne geprüft. Da die entsprechenden Fallkonstellationen nicht nur intellektuell anspruchsvoll sind, sondern auch tragisch-komische Konstellationen betreffen, sollten Sie sich für die Prüfungsvorbereitung unbedingt noch einmal Kapitel 20 ansehen.

Wann man keine Schuld an einer Straftat hat

Nach dem Grundsatz »Keine Strafe ohne Schuld« reagiert unsere Rechtskultur auf die Rechtsverletzung durch einen Menschen nur dann mit Strafe, wenn ihm sein tatbestandsmäßiges und rechtswidriges Verhalten vorwerfbar ist. Der Kern dieses Vorwurfs lautet: »Du hättest anders handeln können.« Dass einem Menschen dieser Vorwurf deswegen nicht gemacht werden kann, weil er wegen psychischer Defizite, Erkrankungen oder berauschender Substanzen nicht zurechnungsfähig war, kommt in der Praxis gelegentlich vor. In der Prüfung müssen Sie aber mit solchen Fällen nicht rechnen, weil es hierzu oft psychiatrischer Gutachten bedarf.

Womit Sie rechnen müssen, sind Fälle, in denen sich der Täter in einer übermächtigen Lage der Bedrängnis befand und nach dem Motto »Hier stehe ich nun und kann nicht anders« gehandelt hat. Dies können Fälle des entschuldigenden Notstands (§ 35 StGB) und des übergesetzlichen Notstands sein. Weiterhin kann es sein, dass sich der Täter darauf beruft, dass er nicht wusste, dass er etwas Verbotenes tut (§ 17 StGB – Verbotsirrtum). Unter welchen Voraussetzungen eine Notstandslage oder ein Verbotsirrtum zu einer Entschuldigung des Täters führen, können Sie in Kapitel 18 nachlesen.