Kapitel 11

Die Big Five: K.R.A.F.T.-Quellen wirksamer (Selbst-)Führung

IN DIESEM KAPITEL

  • Die Kunst der Selbstführung
  • Führungskräfte nachhaltig stärken
  • Aufgetankt durch den beruflichen Alltag
  • Körpereigene Gegenspieler für Stressoren aktivieren

Grafik mit 5 Elementen: "KONTAKT & KOOPERATION", "REIZ & REGULATION", "ATEM & AUFMERKSAMKEIT", "FOKUS & FREUDE", "TEAM  & TRANSFORMATION". Verbunden mit zentralem Kreis "K.R.A.F.T.-QUELLEN".

Abbildung 11.1: K.R.A.F.T.-Quellen wirksamer (Selbst-)Führung

Die folgenden fünf K.R.A.F.T.-Quellen (siehe Abbildung 11.1) dienen der Stärkung und dem Erhalt Ihrer Selbstführungskräfte. Der Umgang mit Herausforderungen und die Fähigkeit, Stressauslösern wirksam zu begegnen, sind zentrale Merkmale einer gesunden Selbststeuerung und Selbstregulierung. Aus der eigenen Kraft heraus zu agieren, steigert den Selbstwert und in der Folge die Selbstwirksamkeit. Sind Ihre Akkus voll, können Sie kraftvoll andere führen.

Stellen Sie sich vor, Sie wollen eine Autoreise unternehmen. Neben all den Dingen, die Sie mitnehmen müssen, werden Sie vor allem Ihre Tankanzeige in den Blick nehmen. Mit vollem Tank reist es sich erst einmal unbeschwerter. Natürlich müssen Sie auch Rast machen und die verbrauchte Energie wieder nachfüllen, dennoch werden Sie Ihre Reise stets in Abgleich mit Ihrem Füllstand machen. Leuchtet die Reservelampe auf, werden Sie nicht mehr Vollgas fahren, sondern Ihr Fahrverhalten anpassen und bald die nächste Tankstelle anfahren. Übertragen auf Ihre persönlichen Energiereserven, passt das Bild ganz gut:

  • Wie voll sind Ihre aktuellen Reserven?
  • Wie schätzen Sie Ihre Route ein? Gibt es energieschonende Alternativrouten?
  • Ist Ihr Gepäck abgestimmt auf die Reise? Gibt es unnötigen Ballast?
  • Tanken Sie regelmäßig auf oder erst, wenn die Reservelampe leuchtet?
  • Was (wo) sind Ihre Tankstellen, woraus schöpfen Sie neue Kraft?
  • Wie oft machen Sie Rast? Wie gestalten Sie Ihre Pausen?

K.R.A.F.T.-Quellen wirksamer (Selbst-)Führung

Was können Sie tun, um Ihren Akku wieder aufzuladen und woraus schöpfen Sie Energie? Hier finden Sie fünf Kraft-Quellen. Manche nutzen Sie mit Sicherheit schon, andere verdienen vielleicht in Zukunft mehr Aufmerksamkeit.

K wie Kontakt und Kooperation

In dieser ersten K.R.A.F.T.-Quelle liegt der Schwerpunkt auf der Bedeutung sozialer Netzwerke für Ihre (Selbst-)Führungskräfte. Dazu geht es zum einen um Ihr Kontaktverhalten im privaten Umfeld und zum anderen darum, stärkende professionelle Verbindungen in Form eines Unterstützungsnetzwerks zu knüpfen.

Beantworten Sie die folgenden Fragen doch einmal als private Person und dann aus der Sicht der Lehrkraft. Worin unterscheiden sich Ihre Antworten?

  • Mit wem umgebe ich mich? Mit wem erfahre ich Kontakt als Ressource?
  • Auf welche sichere Bindung kann ich mich verlassen?
  • Welche Unterstützung erhalte ich in meinem sozialen Netzwerk?
  • Wie gestalte ich meine Kontakte? (Aktion, Austausch …)
  • Worüber spreche ich mit anderen?
  • In welchen Situationen gehe ich bewusst in Kontakt? Aus welchem Anlass?
  • In welchen Situationen bleibe ich für mich? Mit welchem Bedürfnis?
  • Wie gestalte ich den Kontakt zu mir selbst? Wie verbringe ich Zeit mit mir?

Als Lehrkraft stehen Sie ständig in Kontakt. Kaum betreten Sie das Schulgelände, sind Sie in Kontakt mit allen am Schulleben Beteiligten. Vermutlich gibt es wenig kontaktfreie Räume und Phasen, bis Sie das Gebäude nach dem Unterricht wieder verlassen. Im Austausch mit Kolleginnen und Kollegen entsteht eine gewisse Verbundenheit durch ähnliche Sichtweisen auf pädagogische Themen und auf Schüler und Eltern. Auch kontroverses Denken und Handeln kann Verbundenheit ermöglichen. Tendenziell umgeben wir uns jedoch mit Menschen, die unser Mindset bedienen.

Durch die vielfältigen und komplexen Anforderungen an Sie als Lehrkraft häuft sich im Laufe eines Vormittags und im Laufe einer Woche einiges an. Ein »Dampf-Ablassen« kann erste Hilfe verschaffen. Nur: Alles, was Sie aussenden und ausstrahlen, erzeugt eine Wirkung. Wem gegenüber lassen Sie Dampf ab? Welche Reaktionen gibt es daraufhin?

Auch in Ihrer Freizeit bleiben Sie im öffentlichen Leben für andere die Lehrkraft. Je nachdem, wie häufig Sie in Ihrem privaten Umfeld auf schulische Mitglieder (Schüler, Eltern, Kollegen) treffen, werden Sie dementsprechend auch in dieser Rolle angesprochen. Je nachdem, wie Sie innerlich dazu eingestellt sind, kann es sein, dass dadurch der Abstand zur Arbeit erschwert ist.

In meiner Zeit in der Lehrerausbildung habe ich viele Male von den Anwärterinnen und Anwärtern gehört, dass sie keine Zeit für ihr Privatleben hätten. Ein Rund-um-die-Uhr-Arbeiten wird schnell zur Realität des Vorbereitungsdienstes. Wer diesem Anspruch nicht nachkam, hatte teilweise sogar den Eindruck, mit ihm oder ihr stimme etwas nicht, man sei nicht fleißig genug. Der kollektive Glaubenssatz lautet also: Im Vorbereitungsdienst arbeitet man 24/7. Und das wirkt sich aus.

All die Anforderungen an Ihr professionelles Selbst wirken sich aus auf Ihr Sozialverhalten.

Für das Beziehungswesen Mensch ist Kontakt eine tragende Säule im Leben. Durch soziale Medien gewinnt man rasch den Eindruck von Verbundenheit. Die kommunikative Beschränktheit dieser Formate zeigt sich an der Häufigkeit von Missverständnissen. Es gibt kein Korrektiv an non- und paraverbaler Kommunikation, sodass unterschiedliche Decodierungen über Kurznachrichten nicht endgültig geklärt werden können. Der direkte Kontakt ist es, der Mensch und Beziehung nährt.

Sind Sie am Ende eines Arbeitstages noch gewillt, sich mit Freunden oder der Familie zu treffen? Oder empfinden Sie es eher als erschöpfend, noch weiteren Kontakten nachzugehen? Bleiben Sie lieber für sich? Mit wem umgeben Sie sich? Haben Sie auch Nicht-Lehrer im Freundeskreis?

Umgeben Sie sich bewusst mit Menschen, die Ihnen wirklich guttun. Achten Sie einmal darauf, welche Kontakte Sie in Ihrem Energieniveau halten oder dieses gar erhöhen und welche Kontakte Ihnen Kraft entziehen. Steigen Sie aus Verhaltensweisen aus, die Sie dauerhaft aus der Balance bringen. Dazu gehört auch, bewusst »schulfreie« Themen zu platzieren, Sie werden erstaunt sein, was Sie alles erfahren, wenn Sie mit Ihren Kollegen nicht mehr über Schule sprechen. Seien Sie selbst ein Mensch, mit dem man sich gerne umgibt. Seien Sie sprichwörtlich wohlwollend.

Kooperation kommt aus dem Lateinischen. Das Verb cooperari steht für zusammenarbeiten oder gemeinsam wirken. Die Zusammenarbeit dient dazu, gemeinsame Ziele zu erreichen oder gemeinsam Aufgaben zu erfüllen. Für diesen Prozess werden Ressourcen, Ideen, Fähigkeiten und Kenntnisse geteilt. Die Zusammenarbeit entlastet die Einzelnen und die Ergebnisse einer Gemeinschaft sind durch ihre Vielschichtigkeit und sinnhafte Nutzung von Ressourcen oft erfolgreicher. Kooperation fördert Synergien und die Entwicklung von Beziehungen zwischen den Beteiligten.

Welcher Satz stimmt für Sie: »Wir arbeiten zusammen« oder »Wir arbeiten zusammen (in derselben Schule)«? Je nach Betonung zeigt sich eine andere Wirklichkeit bezüglich der Kooperation. Wie kommt es, dass Tausende von Lehrkräften täglich ihre Schüler zur Zusammenarbeit mahnen und selbst alleine agieren? Sie stehen vor den gleichen Aufgaben und doch arbeitet, plant, entwickelt, konzipiert die Vielzahl davon für sich. Wenn das erfüllend wäre, gäbe es nicht so viele erschöpfte Lehrkräfte. Wo lassen sich also stimmige Ideen für Zusammenarbeit etablieren, die wirklich entlasten und nebenbei auch noch die Zugehörigkeit stärken? Wovon würden Sie selbst profitieren? Und wie ließe sich das Schritt für Schritt umsetzen?

Kooperation lässt sich im Kleinen kultivieren. Aus einem Samen wird bei entsprechender Pflege und den richtigen Wachstumsbedingungen eine eigenständige Pflanze. Die gemeinsame oder wechselseitige Unterrichtsplanung mit Parallelkollegen, der Austausch von Material, die Unterstützung beim Kopieren, das Verfassen eines Elternbriefs, Schilder fürs Klassenzimmer … es gibt so viele Möglichkeiten für Zusammenarbeit an gemeinsamen Zielen und Aufgaben. Und auch wenn es zeitaufwendiger scheint, sich mit anderen zu besprechen – durch die Kontaktpflege, die dadurch stattfindet, bildet sich ein Gemeinschaftsgefühl, das Ihnen auch bei der Umsetzung eines gemeinsamen Führungs- und Erziehungsverständnisses dient. Sie kultivieren somit auf mehreren Ebenen den Nährboden für ein erfüllte(re)s Lehrerleben. (Siehe dazu den Abschnitt Das Konzept »Neue Autorität« in Kapitel 6.)

Gelebte Kooperation kann sich auch auf die Organisation von Vertretungsmaterial beziehen. Krank sein als Lehrkraft geht oft einher mit der Planung und Vermittlung von Vertretungsmaterial an die Kolleginnen. Das ist anstrengend und oft ungut organisiert. Machen Sie dies doch einmal zum Thema einer Konferenz. Welche Regelung gilt diesbezüglich an Ihrer Schule? Welche Form ist für alle Beteiligten stimmig? Wie wäre die Option, Material zur Verfügung zu stellen, das jederzeit verfügbar ist und eingesetzt werden kann? Das ließe sich leicht im Klassenpult lagern. So hätte die erkrankte Lehrkraft den Kopf frei und vertretende Kolleginnen hätten eine klare Aufgabe in der jeweiligen Klasse. Und die Schüler eine sinnvolle Beschäftigung.

»Mein Unterstützungsnetz«

Die folgende Übung soll Ihnen Ihre Ressourcen in Form eines Unterstützungsnetzes bewusst machen (siehe Abbildung 11.2). In herausfordernden Situationen kann ein »Allein-Gefühl« entstehen. Dem wirkt das Unterstützungsnetz entgegen. Beginnen Sie mit einem Kreis.

  • Schritt 1:

    Gehen Sie Ihr bisheriges Leben vor Ihrem inneren Auge durch und spüren Sie Ihre Helfer auf. Ohne diese Personen wäre vielleicht manches anders gekommen. Am besten teilen Sie die Lebensszenen jeweils in ein »Jahrsiebt« (also 0–7 Jahre, 7–14 Jahre, 14–21 Jahre usw.). Welche Szenen sind präsent und wer spielt darin eine Rolle?

    Welche Personen stärken und unterstützen Sie? Tragen Sie diese außerhalb des Kreises ein.

  • Schritt 2:

    Stellen Sie sich folgende Fragen:

    Welches Gefühl verbinde ich mit der jeweiligen Person? Welche Empfindung taucht bei den einzelnen Namen auf?

    Welche Ermutigung spricht mir die Person zu?

    Was spricht die Person über mich aus?

    Formulieren Sie jeweils einen Bestärkungssatz, den die Personen Ihnen gegenüber aussprechen.

  • Schritt 3:

    Tragen Sie das entsprechende stärkende Gefühl oder den Bestärkungssatz aus Schritt 2 in das Netz ein.

Grafische Darstellung eines Unterstützungsnetzwerks um das zentrale "ICH", mit Sektionen für Freunde, Partner und mehr.

Abbildung 11.2: Ressourcen-Übung »Das Unterstützungsnetz«

Ihr Unterstützungsnetz können Sie gut sichtbar aufhängen, und wenn Sie wieder einmal herausgefordert sind, darauf zugreifen. Lassen Sie die einzelnen Sätze und Empfindungen auf sich wirken und nehmen Sie wahr, welche Stärken andere in Ihnen sehen und welche Ressourcen Sie durch Ihre Erfahrungen und Ihr Umfeld haben.

»Mein innerer Helfer«

Um eine aktuelle Herausforderung besser bewältigen zu können, hilft der Kontakt und Kooperation mit dem inneren Helfer. Führen Sie zunächst eine kurze Analyse der Situation und des eigenen Erlebens durch.

  • Was genau fordert mich an der Situation (Person) heraus?
  • Welche Fähigkeit oder Eigenschaft bräuchte ich, um diese Situation (den Kontakt) besser zu bewältigen?
  • Fällt mir dazu ein Symbol oder eine (Helden-)Figur ein, die für mich diese gewünschte Eigenschaft repräsentiert? Das kann eine reale Person oder auch eine fiktive Figur aus Literatur und Film sein.
  • Malen Sie sich in Ihrer Vorstellung aus, wie Sie diese Eigenschaften in Form eines inneren Helfers verinnerlichen.
  • Stellen Sie sich nun die aktuelle Herausforderung nochmals vor: Wie würde Ihr innerer Helfer die Situation wohl meistern? Malen Sie sich die Situation so bildlich wie möglich aus. Imaginieren Sie so, dass möglichst mehrere Sinne (visuell, auditiv, kinästhetisch, olfaktorisch, gustatorisch) mit wohltuenden und positiven Wahrnehmungen eingebunden werden: Was genau sehen Sie in der Szene? Welche Geräusche nehmen Sie wahr? Wie fühlt sich die Szene an? Wo und wie nehmen Sie körperliche Empfindungen wahr? Wie riecht es in der Szene? Vielleicht nehmen Sie auch einen Geschmack wahr?

Verinnerlichen Sie diesen inneren Helfer zum Beispiel als die bessere Version von sich selbst, so haben Sie stets einen Kooperationspartner an Bord.

R wie Reiz und Regulation

Das Wissen um eigene mentale und emotionale Reiz-Reaktions-Muster und deren Regulation ist ein wichtiger Aspekt von Selbstführung. Erweitern Sie Ihre konkreten Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit Herausforderungen, indem Sie Methoden und Techniken wirksamer Selbstregulierung anwenden. Dadurch stärken Sie die eigene Resilienz. Dies ist Schwerpunkt dieser K.R.A.F.T.-Quelle.

Mit der Regulierung einschränkender Denkweisen und Gefühle befasst sich die sogenannte Prozess- und Embodimentfokussierte Psychologie, kurz PEP. Michael Bohne (Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie) entwickelte 2008 PEP auf der Basis bestehender Klopftechniken weiter. Zudem integriert sein Ansatz hypno-systemische Elemente sowie, je nach Thema, unter anderem Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie (kognitive Umstrukturierung).

Methoden und Techniken wie PEP setzen auf die Kombination von Reizexposition bei gleichzeitigem Herstellen einer geteilten Aufmerksamkeit und multi-sensorischer Stimulation beispielsweise durch das Klopfen bestimmter Körperpunkte oder gezielte Augenbewegungen (Bohne, 2021; Pfeiffer, 2022). Ihr Wirkmechanismus fällt unter die bifokal-multisensorischen Interventionstechniken (BMSI). Weitere Techniken, die auf diesen Wirkmechanismus setzen, sind zum Beispiel EMDR (Eye Movement Desensitization Reprocessing), Brainspotting, die Hypnotherapie und unterschiedliche Klopftechniken. Durch den bifokal-multisensorischen Zugang im Verarbeitungsprozess werden einschränkende Gedanken und deren dazugehörige Gefühle desensibilisiert und im Gehirn neu verarbeitet. Dies ermöglicht eine Integration in bestimmte Hirnareale. Dadurch entsteht eine große Entlastung für den einzelnen, da Reizauslöser in Form eines Gedanken, eines Glaubenssatzes, einer Erinnerung oder Ähnlichem und Reaktion in Form von Gefühl und Verhalten quasi »entkoppelt« werden.

Bohnes Anliegen ist es, die Wirkmechanismen der Klopftechniken zu »entmystifizieren«, indem er die positiven Effekte bewusst in die wissenschaftliche Forschung bringt. Inzwischen zählt PEP zu den evidenzbasierten Verfahren zur Regulierung parafunktionaler Emotionen und Kognitionen (Pfeiffer, 2022).

Es lässt sich neurobiologisch erklären und begründen, weshalb das Klopfen so wirksam ist: Die gleichzeitige Wahrnehmung einschränkender oder belastender Gedanken und Gefühle mit der Verarbeitung sensorischer Reize am Körper aktiviert unterschiedliche Gehirnregionen und Stoffwechselprozesse im Körper, was das Potenzial einer (stress-)regulierenden Verarbeitung erhöht.

Im Gehirn findet durch die »Vergleichzeitigung« der Reize Irritation statt. Es muss sensorische Reize wahrnehmen und verarbeiten, Gedanken wahrnehmen und bewerten, Gefühle wahrnehmen und bewerten und bestimmte Aufgaben ausführen (rückwärtszählen, summen, Augenbewegungen). Dadurch ist das Gehirn weitreichend aktiviert. Netzwerke, die eigentlich nicht unmittelbar an der Verarbeitung beteiligt sind, werden in den Prozess einbezogen. Bislang musterhafte Reiz-Reaktions-Ketten werden aufgebrochen und entkoppelt im Gehirn abgelegt.

Grundsätzlich folgt jede Anwendung einem klaren Protokoll und ist in drei Teile untergliedert: Selbststärkung und Kurbeln, Klopfen mit Zwischenentspannung, abschließender Kraftsatz. Was am Anfang vielleicht etwas komplex erscheint, wird Ihnen in der Anwendung schnell geläufig.

Für die Selbstanwendung mit PEP stehen folgende Maßnahmen zur Verfügung:

  • Reaktivierung eines unangenehmen Themas und Einstufung der emotionalen Belastung auf einer Skala von 0 (= keine Belastung) bis 10 (= maximale Belastung).
  • Selbststärkung durch »Kurbeln« zur kognitiven Regulierung:

    Sprechen Sie Ihren einschränkenden Gedanken laut aus in Form einer Selbststärkungs-/Selbstakzeptenzaffirmation nach diesem Muster:

    • »Auch wenn ich Gedanken X denke / Thema X habe, schätze und akzeptiere ich mich, wie ich bin.« = Kernbedürfnis (Selbst-)Beziehung
    • »Auch wenn ich Gedanken X denke / Thema X habe, bleibe ich in Sicherheit.« = Kernbedürfnis Sicherheit
    • »Auch wenn ich Gedanken X denke / Thema X habe, treffe ich meine eigenen Entscheidungen (oder: gehe ich meinen eigenen Weg).« = Kernbedürfnis Autonomie

    Reiben Sie währenddessen kreisförmig (rechte Hand im Uhrzeigersinn, also nach außen kreisend) einen Punkt unterhalb Ihres Schlüsselbeins (siehe Abbildung 11.3). Sie treffen diesen Punkt ziemlich sicher, wenn Sie einfach Ihre Hand aufs Herz legen und an dieser Stelle verweilen, oder klopfen Sie währenddessen einfach Ihre Handkanten aneinander.

    Die jeweilige Endung des Satzes erspüren Sie beim Aussprechen, also bitte nicht zu lange darüber nachdenken. Jede Endung steht für ein Kernbedürfnis, das implizit beachtet und gestärkt wird (nach Gabriela von Witzleben). Sie werden merken, welcher Satz »durchgeht«, Ihnen Entlastung bringt oder sich gut anfühlt. Dies ist, neben dem eigentlichen Klopfen, ein Aspekt des Embodiments.

    Strichzeichnung einer Person, die Hand an Herz hält: Eine Illustration von dem Selbststärkungs-Punkt bei PEP.

    Abbildung 11.3: Der Selbststärkungs-Punkt bei PEP

    Manchmal reicht es schon, nur diese gedankliche Regulierung durchzuführen. Ich mache das regelmäßig beim Autofahren, wenn ich mich mal wieder über andere Autofahrer ärgere und meist muss ich dann direkt schmunzeln. Bleiben die zugehörigen Emotionen jedoch gleich stark oder verstärken sich, dann folgt das Klopfen.

  • »Klopfen« zur emotionalen Regulierung:

Während Sie in Kontakt mit Ihrem belastenden Gefühl sind, klopfen Sie nun die Körperpunkte (siehe Abbildung 11.4). Dabei reichen ein leichter Druckimpuls und eine dynamische Taktung von etwa 3–5 Klopfern pro Sekunde. Bleiben Sie neugierig, was passiert, und achten Sie einmal darauf, ob Sie einen Lieblingspunkt haben. Meiner ist zum Beispiel der unter dem Auge.

Zeichnung einer Hand mit Nummern 1-6, die die ersten 6 Klopfpunkte bei PEP zeigt und Zeichnung einer Hand mit Nummern 7-16, die die nächsten Klopfpunkte bei PEP zeigt.

Abbildung 11.4: Die 16 Klopfpunkte bei PEP

Nach der ersten Klopfrunde erfolgt eine Zwischenentspannung:

In der Zwischenentspannung aktivieren Sie durch Augenbewegungen, Zählen und Summen unterschiedliche Areale im Gehirn, die mit dem eigentlichen Thema nichts zu tun haben. Sie schalten quasi das Licht an unterschiedlichen Stellen im Gehirn an und »erhellen« damit die Verarbeitung durch Neuvernetzung.

  • Schließen Sie die Augen kurz und öffnen Sie diese dann wieder.
  • Schauen Sie (bei gerader Kopfhaltung) zuerst nach unten rechts, dann nach unten links.
  • Kreisen Sie Ihre Augen einmal um 360 Grad im Uhrzeigersinn (rechtsherum) und anschließend 360 Grad in die andere Richtung (linksherum).
  • Zählen Sie laut rückwärts von 7 bis 1.
  • Summen Sie ein paar Takte Ihres Lieblingskinderlieds (oder eine andere Melodie, die Sie schnell erinnern).
  • Zählen Sie nochmals laut von 7 bis 1.

Dann erfolgt die zweite Klopfrunde (siehe Abbildung 11.4) mit den 16 Körperpunkten und abschließend skalieren Sie den Grad der Belastung neu und überprüfen, was sich verändert hat.

Die meisten Menschen profitieren vom Klopfen und zeigen eine Verbesserung auf der Belastungsskala. Wenn der Wert < 3 ist, können Sie erneut klopfen. (Sollte das nicht der Fall sein, lohnt es, sich in einem Coaching begleiten zu lassen, denn es könnte sich um eine der sogenannten Big-Five-Lösungsblockaden handeln, die transformiert werden kann, sodass sich auch das ursprüngliche Thema lösen kann.)

  • »Affirmationen zur Stärkung«:

    Der Vollständigkeit halber sei hier noch aufgeführt, dass eine PEP-Sitzung mit stärkenden Affirmationen endet (»Kraftsätze«), die sich gezielt auf die zuvor einschränkenden Kognitionen (Überzeugungen) beziehen und als Gegenmittel wirken sollen. Hypnosystemische Muster erweisen sich hier als äußerst wirksam. Für die passgenaue Formulierung bedarf es sprachlichen Feingefühls und genauen Arbeitens, sonst verpuffen die Effekte wirkungslos.

    In der Selbstanwendung von PEP fällt dieser Teil (meist) weg. Sollten Sie jedoch selbst einen Kraftsatz texten, so werden Sie merken, was sich »gut« anfühlt und Sie stärkt. Leichtigkeit und Humor sind auch an dieser Stelle erwünscht (Bohne, 2021).

    Im Sinne einer kognitiven Umstrukturierung ist es notwendig, solche neuen Gedanken mindestens zwei Monate lang mehrmals täglich bewusst zu wiederholen. Sie wissen ja, einmal denken, bleibt meist folgenlos.

Klopfen als Methode zur Selbsthilfe hat sich etabliert. Es wird heute im Sportler-, Musiker- und Führungskräftecoaching praktiziert (Pfeiffer, 2022).

Gehen Sie Ihren Gedanken auf den Grund und stellen Sie doch einmal eine Liste zusammen mit all Ihren Gedanken rund um Ihr vielfältiges Wirken als Lehrkraft. Welche Gedanken lösen (am meisten) Stress aus? Schreiben Sie diese Sätze auf. Vielleicht haben Sie auch Lust, diese nach ihrer inhaltlichen Ausrichtung zu sortieren. Lesen Sie anschließend alle Sätze durch. Welche Gefühle nehmen Sie wahr, während Sie Ihren Gedanken folgen? Wie schätzen Sie die emotionale Belastung von 0 (= gar nicht) bis 10 (= maximal) ein? Mit welchem Satz könnten Sie eine erste Runde klopfen?

A wie Atem und Aufmerksamkeit

Diese K.R.A.F.T.-Quelle widmet sich achtsamkeitsbasierten Ansätzen für innere Stärke und äußere Wirkung. Alle Übungen lassen sich im schulischen Alltag leicht (das heißt ohne großen zeitlichen und organisatorischen Aufwand) umsetzen.

Um in der eigenen Kraft zu sein und zu bleiben, bedarf es einer aufmerksamen Wahrnehmung des eigenen Befindens und der äußeren Einwirkungen. Diese Aufmerksamkeit gleicht einem inneren Sensor, der den Zustand zwischen »Soll« und »Ist« scannt (beobachtet) und bewertet.

Um ein negatives Abweichen auszugleichen, ist (Re-)Aktion gefordert. Diese Pendelbewegung zwischen den Polen macht sich ein bewusstes Verschieben der Aufmerksamkeit zunutze. Dieses Schwingen ist »problembewusste Präsenz« (Grüber, 2021) mit einer klaren Sowohl-als-auch-Ausrichtung.

Aufmerksamkeit verstärkt die Wahrnehmung. Wohin ich meine Aufmerksamkeit lenke, erhält Gewicht. Die bewusste Lenkung von Aufmerksamkeit ist Thema aller Achtsamkeitslehren. Sie ist eine gewichtige Ressource für eine gesunde Selbstführung. Lenke ich meine Aufmerksamkeit auf Belastendes, verstärke ich die Wahrnehmung der Herausforderung und entsprechend werde ich weitere Gedanken in dieser Art aktivieren, mein Fühlen dadurch negativ beeinflussen und mich dementsprechend problemorientiert verhalten. Richte ich die Aufmerksamkeit stattdessen bewusst auf Möglichkeiten und Lösungen, werden andere Gedanken und Emotionen aktiviert und entsprechend wird sich unser Verhalten verändern. Denken Sie jetzt einmal an Ihren nächsten Schultag. Welche Klasse kommt Ihnen in den Sinn? Was sind Ihre Gedanken? Denken Sie auch einmal an die nächste Konferenz, das nächste Elterngespräch, das Gespräch mit der Schulleitung. Worauf richten Sie Ihre Aufmerksamkeit? Auf die positiven oder negativen Aspekte? Wie geht es Ihnen dann jeweils? Wie reagiert Ihr Körper (Atmung, Körperhaltung, Stimme)? Konzentrieren Sie sich anschließend bewusst auf positive Aspekte und nehmen Sie wahr, was sich wie verändert.

Achtsamkeitsbasierte Aufmerksamkeit wird unter anderem auch von Jon Kabat-Zinn mit seiner Mindfulness Based Stress Reduction (MBSR) propagiert. Er beschreibt für eine Achtsamkeitspraxis sieben Grundvoraussetzungen (Bergner, 2016):

  • Nicht beurteilen

    Als Lehrkraft ist man ständig am Bewerten und Beurteilen. Wird das zur verinnerlichten Lebenshaltung, erschwert das innere Ruhe und Frieden. Installieren Sie einen neutralen Beobachter, der für Sie achtsam wahrnimmt, wenn Sie beurteilen, und nehmen Sie es hin ohne Selbstvorwürfe.

  • Geduld

    Geduld hilft, anzunehmen, wie es ist.

  • Offenheit

    Ein offener Geist öffnet den Blick für Möglichkeiten. Üben Sie sich im kindlichen Blick, der die Dinge wieder zum ersten Mal (ohne Schubladen) sieht.

  • Vertrauen

    Das Vertrauen bezieht sich auf sich selbst und auf den Lauf des Lebens. Damit ist auch gemeint, der Umwelt im Vertrauen auf das Gute zu begegnen.

  • Absichtslosigkeit als aktives Nichts-Tun

    Die große Herausforderung für den ständig beschäftigten Geist ist es, loszulassen und dem Sein den Raum zu geben, statt dem Tun.

  • Akzeptanz

    Situationen und Herausforderungen kommen oft ohne Einladung. Es ist, als hätte der Lieferdienst Ihnen ein Paket vor die Tür gestellt und Sie können es nicht zurückgeben. Nehmen Sie es an. Akzeptanz bedeutet ein grundsätzliches Annehmen. Das Gegenteil ist ein Kämpfen gegen die Realität und das kostet auf Zeit zu viel Lebensenergie.

  • Loslassen

    Negative Gedanken können sich regelrecht »einhaken« und dann zu endlosen Denkspiralen ausarten. Das führt meist nicht zu Lösungen, sondern ist eher erschöpfend. Loslassen meint, Gedanken als auf der Durchreise zu betrachten. Sie kommen und gehen.

Ein mehrwöchiges MBSR-Training kann als Präventionsmaßnahme bei der Krankenkasse angefragt werden. In vielen Fällen bezuschusst die Krankenkasse die Teilnahme. Wissenschaftliche Untersuchen bestätigen die Wirksamkeit der Achtsamkeit auf Körper, Geist und Seele.

Die komplexen Herausforderungen im Unterricht aktivieren mitunter eine Stressreaktion, die die ursprüngliche Kampf- oder Flucht-Reaktion auslöst. Kämpfen oder Fliehen ist jedoch im Unterricht keine Option. Sie können dem unmittelbaren Impuls also nicht nachkommen. Gleichzeitig ist Ihr System bereits mit Stresshormonen »versorgt«, die es zu regulieren gilt. Als direktes Mittel mit sofortiger Wirkung steht uns unsere Atmung zur Verfügung. Atemübungen sind wirksam zur Selbstregulierung. Gezielte Atemübungen beeinflussen unmittelbar das parasympathische Nervensystem und aktivieren Entspannungsreaktionen im Organismus.

  • »4711«

    Viele Atemübungen konzentrieren sich darauf, das Ausatmen fast doppelt so lange auszuführen wie das Einatmen. Dadurch wird eine Entspannungsreaktion im Organismus in Gang gesetzt und das Stresshormon Cortisol gesenkt. Die Atemübung »4711« folgt einem klaren Atemablauf: Sie atmen ein und zählen dabei innerlich auf »4«, anschließend atmen Sie aus und zählen dabei innerlich auf »7«. Das wiederholen Sie insgesamt 11 Mal. Beim Einatmen legen Sie die Zunge an den Gaumen und atmen durch die Nase. Beim Ausatmen lösen Sie die Zunge wieder und Sie können wie durch einen Strohhalm die Luft durch den Mund ausblasen. Durch das Zählen ist Ihre Aufmerksamkeit fokussiert und die Atmung selbst wirkt unmittelbar entspannend.

  • »Box-Breathing«

    Beim Box-Breathing zählen Sie 4-mal auf »4« und stellen sich dabei ein Quadrat vor. Sie zeichnen während des Atmens mental die vier Seiten des Quadrats. Atmen Sie wie folgt: Einatmen auf 4, halten auf 4, ausatmen auf 4, halten auf 4. Diese Übung wiederholen Sie einige Male, beobachten, wohin Ihre Aufmerksamkeit geht, und führen diese immer wieder auf die Seiten des Quadrats und Ihre Atmung zurück.

  • »5-4-3-2-1«

    Eine weitere Möglichkeit achtsamer Selbstführung ist die fokussierte Aufmerksamkeit in Situationen von Überreizung. Die Pendelbewegung zwischen innerer und äußerer Wahrnehmung führt zu einer Gegenregulierung innerer Stressreaktionen.

    Wenn Sie das nächste Mal in einer situativen Überreizung landen, regulieren Sie sich durch diese Übung wie folgt:

    Suchen Sie direkt aus der Situation heraus 5 Dinge, die Sie sehen, und benennen Sie diese bewusst in Gedanken (»Ich sehe den Stuhl, ich sehe den blauen Himmel durchs Fenster, ich sehe das aufgeschlagene Buch auf dem Tisch« usw.). Dann richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf 4 Dinge, die sie hören können. (Sie werden erstaunt sein, was Sie alles hören, wenn Sie sich darauf konzentrieren.) Anschließend achten Sie auf 3 Dinge, die Sie am Körper spüren. Das kann der bewusste Kontakt zur Sitzfläche sein, der Boden unter den Füßen, der Stoff des T-Shirts auf der Haut. Wie fühlt sich das an? Was genau können Sie sensorisch wahrnehmen? Danach fokussieren Sie 2 Dinge, die Sie riechen können, und 1 Sache, die Sie aktuell schmecken können.

    • 5 Dinge, die ich sehen kann
    • 4 Dinge, die ich hören kann
    • 3 Dinge, die ich fühlen kann
    • 2 Dinge, die ich riechen kann
    • 1 Sache, die ich schmecken kann

Diese Übung können Sie »ganz nebenbei« durchführen, also auch direkt im Klassenzimmer.

  • »5-Finger-Übung«

    Dies ist eine Übung, die Psychologe und Journalist René Träder im Internet vorstellt. Sie ist leicht abgewandelt. Die Übung richtet die Aufmerksamkeit auf den anstehenden Tag. Sie hilft, bewusst wahrzunehmen, sich auszurichten, und kann am Ende des Tages auch zur Reflexion eingesetzt werden. Sie kann wunderbar in den Alltag integriert werden, da sie nur wenige Minuten in Anspruch nimmt. Die Impulse aktivieren mentale, emotionale und körperliche Dimensionen. Die eigene Hand als Anker leitet Sie strukturiert an, jeder Finger steht dabei für eine bestimmte Fragestellung:

    • Daumen: Worauf freue ich mich heute? Mit einem Gefühl von »Daumen hoch« richtet Sie diese Frage aus auf den Tag: Auf welche Menschen, Aufgaben oder Ereignisse freue ich mich heute? Am Ende des Tages können Sie diese Frage auch noch mal rückblickend beantworten: Was war heute schön? Wofür bin ich dankbar? Diese Übung lenkt Ihre Aufmerksamkeit bewusst auf das Gute. Positive Gedanken müssen wir gezielt trainieren, denn evolutionär bedingt tendieren wir dazu, negative Ereignisse viel stärker wahrzunehmen.
    • Zeigefinger: Was will ich? Der Zeigefinger dient uns dazu, auf etwas hinzuweisen, auf etwas zu zeigen. Hier geht es um Ihre Wünsche und Ziele. Zum Start in den Tag stellen Sie sich die Frage: Was ist mir heute wichtig? Welche Entscheidungen und Schritte können mich heute meinen Zielen und Wünschen näherbringen? Auch diese Frage können Sie am Ende des Tages wieder rückblickend beantworten: Was habe ich heute dazu beigetragen, dass sich der Tag und die Ereignisse so entwickelt haben, wie sie sich entwickelt haben? Wo und wie habe ich meinem Ziel heute »zugearbeitet«?
    • Mittelfinger: Was gibt mir Energie? Der Mittelfinger steht für die eigene Motivation. Wie voll sind meine Energiereserven am Anfang dieses Tages? Was tue ich heute, um meine Reserven aufzufüllen? Wenn Sie bemerken, dass Ihre Reserven schon zu Tagesbeginn begrenzt sind, dann ist Energiesparen angesagt. Sie sollten achtsamer durch den Tag gehen, um nicht am Ende völlig erschöpft zu sein. Am Ende des Tages können Sie erneut wahrnehmen: Wie motiviert war ich heute? Wer oder was hat mich motiviert und mir Energie gegeben? Wo verpufft meine Energie im Laufe des Tages und wie kann ich diese Energieräuber in meinem Leben reduzieren?
    • Ringfinger: Wann kann ich einfach sein? Der Ringfinger symbolisiert einen Ring und steht für den Kreislauf der Zeit und die Abläufe des Tages. Wie oft schleichen sich Automatismen ein – die Pause in der Schule wird schnell noch zum Kopieren genutzt oder zum »Nur-ganz-kurz«-Gespräch mit der Kollegin … Ein Innehalten scheint unmöglich. Viele schauen bei jeder Gelegenheit aufs Handy und gehen ganz automatisch auf die unterschiedlichen Portale sozialer Medien. Durchbrechen Sie Ihre Automatismen. Innehalten heißt bewusst zu sein und diesen Kreislauf zu durchbrechen und auszusteigen aus dem Getriebensein. Bauen Sie solche Pausen in die unterschiedlichen Tagesphasen ein (morgens, mittags, abends). Wann und wie nehme ich mir heute Zeit für mich? Wie unterbreche ich den Lauf der Dinge mit einer bewussten Auszeit?
    • Kleiner Finger: Wie geht es meinem Körper? Der kleine Finger mit seinem Anfangsbuchstaben K steht für den Körper. Unser Körper trägt uns durch den Tag und manchmal nehmen wir ihn erst wieder bewusst wahr, wenn es irgendwo zwickt oder schmerzt. Setzen Sie sich bewusst Momente der Aufmerksamkeit, um in den Körper hineinzuspüren. Wie ist die Körperspannung? Wo kann ich bewusst locker(er) lassen? Was tut meinem Körper jetzt gut? Was würde mein Körper wollen? Am Ende des Tages können Sie auch hier zurückblicken: Was habe ich meinem Körper heute Gutes getan?

F wie Fokus und Freude

Freude ist eine wichtige K.R.A.F.T.-Quelle (nicht nur) für ein erfülltes Lehrersein. Durch Freude legen Sie den Grundstein für den Fokus auf positive Resonanzen im Außen. Freude trägt und überträgt sich. Diese Resonanzen wirken in Ihnen selbst, zeigen sich in der Begegnung mit anderen und wirken sich aus auf das Verständnis Ihrer Arbeit.

»Ich freue mich, wenn es regnet, denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch!« (Karl Valentin)

Wie übertragen Sie das Zitat von Karl Valentin auf sich und Ihre Tätigkeit als Lehrkraft? Wie gehen Sie morgens in den Tag? Welche Gedanken begleiten Sie auf dem Weg zur Schule? Wem begegnen Ihre Schüler und Kollegen dann vor Ort? Und wie wirkt sich das aus?

Freude aktiviert förderliche körpereigene Botenstoffe und Neurotransmitter. In der Burn-out-Prävention spielt sie eine zentrale Rolle. Dazu ist es wichtig, Freude weniger vom Außen abhängig zu machen (Bergner, 2016).

  • »Kontakt zum Ziel«: Dies ist eine wirksame Übung zur Kultivierung eines gewünschten mental-emotionalen Zielzustands. In Kapitel 7 wird das Thema Mindset behandelt und wie sich das Mindset auf das eigene Erleben auswirkt. Mit dieser Übung können Sie direkt auf Ihr Erleben einwirken, indem Sie Ihren Geist auf das Zielgefühl »Freude« ausrichten.

    Stellen Sie sich vor, Sie geben in eine Internetsuchmaschine einen gewünschten Begriff ein. Sogleich spuckt Ihnen die Suchmaschine erste Ergebnisse aus. Mit der einfachen Fragestellung: »Wo habe ich heute Freude erlebt?«, »Was hat mich heute erfreut?«, geben Sie Ihrem Gehirn einen solchen Suchauftrag. Es wird sich darauf fokussieren und Ihren Tag abscannen und Ihnen Ergebnisse – oder besser Erlebnisse – liefern. Ihr Gehirn dankt Ihnen für diesen Fokus, denn ohne konkrete Eingabe überlässt es sich seinen gewohnten Mustern und Spuren und denkt das, was es gewöhnlich denkt. (Mehr zum Thema Wahrnehmung und Wirklichkeit in Kapitel 4.)

    Sie schärfen Ihren Blick für das, was neben allen Herausforderungen eben auch stattfindet, nämlich Erfreuliches: ein nettes Lächeln auf dem Flur, eine Schülerin, die sich heute eingebracht hat, ein aufmerksamer Kollege, eine Hohlstunde ohne Vertretung, ein Kopierraum ohne Warteschlange und Papierstau … Anlässe für Freude sind vielfältig und beginnen im Kleinen. Genießen Sie, diese mental-emotionale Ernte einzufahren. Sie wird sich am Ende des Tages positiv auf Ihren Schlaf auswirken, denn Sie haben dadurch eine Reihe von Glückshormonen aktiviert und Ihr Gehirn wird auch durch die Nacht hindurch an diesem Suchauftrag weiterarbeiten.

    Die Übung schließt ab mit der Frage: »Worauf freue ich mich morgen?« Damit spannen Sie den Bogen auf den nächsten Tag und programmieren sich bereits auf Ihr freudvolles Erleben. Die Antwort auf diese Frage ist offen, sie bezieht Ihr privates Leben mit ein. Vielleicht freuen Sie sich schon auf die leckere Tasse Kaffee am Morgen am Lieblingsplatz (so wie ich!) oder auf den Spaziergang am Nachmittag oder das Gespräch mit einer lieben Person … Es geht nicht um die großen Aktionen, sondern die Freude im Alltag zu finden und bewusst zu kultivieren.

  • »Dankbarkeitsübung«: Die Dankbarkeitsübung kann zunächst ganz einfach eine Abwandlung der vorherigen Übung sein, indem Sie sich auf das Finden von Dankenswertem ausrichten: »Wofür bin ich dankbar im Hinblick auf meinen Beruf?« Das bewusste Anerkennen von positiven Aspekten im beruflichen Leben trägt dazu bei, eine positive neurochemische Reaktion im Gehirn auszulösen. Dankbarkeit zu spüren, vermehrt Entspannungs- und Glückshormone wie Serotonin. Auch das innere Belohnungssystem wird angesprochen und in der Folge Dopamin ausgeschüttet. Dadurch steigert sich das allgemeine Wohlbefinden. Menschen, die regelmäßig Dankbarkeit praktizieren, berichten von einem gesteigerten Gefühl des Glücks, der Zufriedenheit und der Entspannung. Das Führen eines Dankbarkeitstagebuchs kann genauso wirksam sein wie das Teilen der Dankbarkeitsgedanken mit anderen. Auch diese Übung hat das Finden und Anerkennen bereits kleiner Situationen zum Ziel.

T wie Team und Transformation

Diese K.R.A.F.T.-Quelle fokussiert die eigene innere Pluralität und die damit verbundene innere Selbstführung.

Der Begriff der Transformation ist hier verortet, weil Transformation Wandel bedeutet. Wer durch die fünf K.R.A.F.T.-Quellen »wandelt«, soll von deren nachhaltigen Auswirkungen profitieren. Mit der letzten K.R.A.F.T.-Quelle, der Auseinandersetzung mit der persönlichen Innenwelt, wird dieser Wandlungsprozess abgerundet.

Die Transformation ist auf dreierlei Wirkungsbereiche hin ausgerichtet:

  • Auf die Lehrkraft selbst: Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Innenleben geht mit persönlicher Weiterentwicklung und Wachstum einher.
  • Auf die ihr anvertrauten Schüler: Durch die Erweiterung Ihrer professionellen Denkweisen und Verhaltensweisen können bestehende Strukturen aufgebrochen und verändert werden. Schüler erfahren diese Veränderungen unmittelbar durch ein vorgelebtes Vorbild. Modelle der Selbstführung sollten auch den Schülern zugutekommen.
  • Auf die Institution Schule: Transformation kann sich auch auf organisatorischer Ebene auswirken, indem eine Institution grundlegende Veränderungen zum Beispiel in ihrer Kommunikationskultur vornimmt. »Reflektierte« Lehrer bilden den Samen für diese Ernte.

Führung und Selbstführung stehen in Wechselwirkung zueinander. Wenn Sie den Teamgedanken auf die beiden Begriffe Führung und Selbstführung anwenden, landen Sie bei Ansätzen, die sich mit einem inneren System und dessen eigenen Beziehungsdynamiken befassen:

  • Das innere Team (Friedemann Schulz von Thun)
  • Das innere Familiensystem (Dr. Richard C. Schwartz)
  • Das innere Parlament (Gunther Schmidt)
  • Ego States (John und Helen Watkins)
  • Top Dog und Under Dog (Fritz Perls)
  • Innere und äußere Bühne (Jacob Moreno)

Allen Ansätzen gemeinsam ist das Verständnis einer multiplen inneren Wirklichkeit im Menschen. Und diese innere Wirklichkeit bildet ein eigenes soziales System, mit eigenen inneren Anteilen und es unterliegt ebenso bestimmten Wechselwirkungen und Dynamiken wie ein soziales äußeres System.

Wir alle haben innere Anteile, die unser Denken, Fühlen und Handeln mitsteuern. Wenn Sie also das nächste Mal einer Person begegnen, seien Sie gewiss, dass da noch einige andere »Akteure« im Hintergrund mitwirken – sowohl in Ihnen als auch in Ihrem Gegenüber.

Sind Sie selbst innerlich gut aufgestellt, dann bewegen Sie sich vermutlich souveräner durch die unterschiedlichen Situationen und Begegnungen Ihrer Alltagsanforderungen. Sie erleben sich dabei als kompetent und selbstwirksam und befinden sich dann sprichwörtlich im Zustand guter Selbstführung.

Ein Modell, das sich der Selbstführung verschreibt und das auch im deutschsprachigen Raum zunehmend an Bekanntheit gewinnt, ist das IFS-Modell (im amerikanischen Original Internal Family Systems nach Dr. Richard Schwartz). Hier wird die innere Wirklichkeit mit den Eigenschaften einer realen Familie gleichgesetzt. Die jeweiligen Anteile interagieren wie Familienmitglieder untereinander und erfüllen eine bestimmte Funktion im inneren System oder verfolgen bestimmte Ziele (Schwartz, 2008). Der Fokus von IFS liegt auf den inneren Konflikten und Dynamiken.

Als Psychotherapeut konnte Schwartz im Laufe seiner Arbeit in vielen Gesprächen gewisse Dynamiken ausmachen, die sich im Innenleben seiner Patienten abspielten und entscheidend sowie teilweise sehr destruktiv in deren reales Außenleben mit hineinwirkten. Trotz seiner langjährigen Praxiserfahrung blieb der Eindruck, dass seine Interventionen nicht ausreichend weiterhalfen und nicht an den Kern des Leidensdrucks seiner Klienten kamen. Angetrieben von dem Wunsch, genau hier wirksam zu sein, entwickelte er sein IFS-Modell mit der Unterscheidung in drei Arten von Anteilen, deren Bestreben es entweder ist, zu beschützen oder beschützt zu werden (Schwartz, 2008):

  • Manager-Teile: Eigenschaften und Verhaltensweisen der Manager-Teile sind gesellschaftlich meist gut integrierbar bis etabliert und sichern in gewisser Weise auch Zugehörigkeit und Anerkennung. Hierzu zählen leistungsfokussierte Teile, perfektionistische Teile, Helfer-Teile, angepasste Teile, fürsorgliche Teile …
    • Dadurch, dass diese Teile zunächst auch positive Aufmerksamkeit und Bestätigung durch ihre Eigenart erfahren, kann sich deren Absicht und Verhaltensweise verstärken.
    • Manager-Teile agieren, um beispielsweise vor Zurückweisung, Angriff oder Unerwartetem zu schützen.
  • Feuerbekämpfer-Teile: Zu den Feuerbekämpfern zählen alle Teile, die vor unangenehmen Gefühlen schützen wollen. Kommt ein Gefühl in die »rote Zone«, übernehmen die Feuerbekämpfer das Kommando.
    • Sie sind »spezialisiert« auf Ablenkung und Überlagerung der Gefühle. Damit dies gelingt, steuern sie das Denken und Handeln in Richtung Kompensation durch Essen, Rauchen, Trinken, Spielen, Sport …
  • Die Verbannten: Im Modell der inneren Familie gehören die Verbannten, wie der Name schon sagt, zu den Teilen, die leidvolle (bis traumatische) Erfahrungen durchlebt haben und tief verdrängt im Innern schlummern. In der Absicht, sich vor einem erneuten Fühlen zu schützen, ziehen sie sich in die Verbannung zurück.
    • Nach dem Motto »Aus den Augen, aus dem Sinn« existieren diese manchmal sprichwörtlich unbewusst. Aus der Verbannung können sie nach wie vor einwirken; das ist jedoch meist nicht unmittelbar zugänglich und wird erst über die Alarmierung anderer Teile (meist Feuerbekämpfer) sichtbar, die verbannte Teile gut beschützen.

Allen drei Arten kommen andere Aufgaben und Funktionen zu, da sie sich aus jeweils unterschiedlichen Gründen entwickeln.

Was nützt Ihnen dieses Wissen? Für Sie als Lehrkraft ist es hilfreich, das Modell und sein Konzept zu kennen. Es öffnet den Blick für die gute Absicht hinter dem jeweiligen Verhalten. Selbst destruktives Verhalten kann vor diesem Hintergrund neu eingeordnet werden. Die eigenen inneren Manager und Feuerbekämpfer steuern wir aus einer guten Selbstführung heraus. Das befähigt mehr und mehr, sich bewusst für ein reflektiertes Verhalten zu entscheiden.

In Ihrer Arbeit mit Schülern dient Ihnen dieses Wissen außerdem dazu, deren Selbstverständnis zu entwickeln und unterstützend zu wirken. So mancher Schüler hat bereits emsige Teile aus der Abteilung »Manager« und »Feuerbekämpfer«. Auf diese können Sie professionell eingehen, indem Sie das Verhalten auf die Teile hin externalisieren und damit dem Schüler ein Modell bieten, sich nicht mit dem eigenen Verhalten zu identifizieren. Im IFS sprechen wir für einen Teil, statt mit einem Teil (aus einem Teil heraus). In den USA wird IFS in Schulen integriert, indem Lehrkräfte nach diesem Konzept gezielt für ihre pädagogische Arbeit weitergebildet werden. (Mehr zur konkreten Arbeit und Nutzung des Modells für Schüler- und Elterngespräche in Teil VI Beziehungen gestalten.)

Wie kommt es, dass wir innere Anteile haben?

Innere Teile und Persönlichkeitsaspekte bilden sich im Laufe der Biografie aus – und das ausnahmslos bei jedem von uns. Diese Teile haben eigene Überzeugungen und Gefühle verinnerlicht, repräsentieren Konditionierungen und beeinflussen unsere Verhaltensweisen.

Stellen Sie sich die inneren Anteile wie Akteure hinter dem Vorhang der Bühne vor. Sie sind nicht gleich sichtbar, bekommen jedoch das, was sich vorne abspielt, ganz gut mit. Und je nachdem, welches Stück gerade auf der äußeren und damit sichtbaren Bühne gespielt wird, treten unterschiedliche Anteile hervor und bespielen diese Bühne in Form von Kontakt und Kommunikation.

Solange Sie selbst Regisseur und Produzent des Stückes sind, ist so weit alles noch im »grünen Bereich«. Dann wissen Sie um die vorhandenen Rollen und deren Wirkung auf die Handlung. Sie sind an der Besetzung aktiv beteiligt und Sie wissen, wer wann auf der Bühne erscheint. Häufiger ist es allerdings der Fall, dass die inneren Anteile auf ein Kommando aus der Außenwelt hin in Aktion treten und damit den Verlauf des Stückes wesentlich und unkontrolliert mitbeeinflussen. Diese Kommandos aus der Außenwelt sind bestimmte Trigger, die den jeweiligen Anteil auf den Plan rufen.

Unsere erlebten Eindrücke und Erfahrungen führen dazu, dass wir auf bestimmte Art und Weise reagieren und mit unserer Umwelt in Kontakt sind. Als Beziehungswesen sind wir darauf aus, mit anderen in Kontakt und Beziehung zu sein. Bei Kindern, die noch auf ihre Eltern angewiesen sind, zeigt sich diese Verhaltensweise noch einmal deutlicher. Kinder nehmen ihre Umwelt wahr und suchen im komplexen Verhaltensnetzwerk ihres Systems nach Sicherheiten. Tendenziell gleichen sie durch Anpassung Störungen im System aus oder aber sie entwickeln selbst Symptome, um das System zu erhalten.

Ein Baby, das nach der Mutter schreit und die Erfahrung macht, dass diese nicht kommt, ist existenziellen Ängsten ausgeliefert. Es wird einen Anteil in sich herausbilden, der diese Angst verinnerlicht hat. Und es wird andere Anteile auf den Plan rufen, mit dieser Angst umzugehen. Als Beziehungswesen sind Babys angewiesen auf den Kontakt.

Es kommt vor, dass solche früh entwickelten Teile lange passiv in den Personen schlummern und nur situativ wieder an die Oberfläche kommen und dort in Führung gehen. So könnte es sein, dass diese Person im späteren Leben dazu tendiert, die eigenen Bedürfnisse zu unterdrücken, aus der Erfahrung heraus, dass diese nicht erfüllt werden. Oder aber es entwickelt sich ein Teil, der sich genau aufgrund der gemachten Erfahrung auch später alles schreiend einfordert. Oder der Teil ist darauf spezialisiert, in die Anpassung zu gehen. Hier ließen sich viele Hypothesen bilden.

Der Teil ist verinnerlicht und führt nicht zwangsläufig zu einer folgenschweren Traumatisierung. Es hilft, diesen Teil als Teil eines Systems zu verstehen, der einer eigenen inneren Logik folgt und dessen Handeln stets einen Sinn ergibt. Ein Mensch mit einer solchen Erfahrung ist deshalb dennoch in der Lage, seinen Alltag zu gestalten und an der Gesellschaft teilzuhaben.

Im Rahmen von Bewerten und Vergleichen und den generellen (Leistungs-)Erwartungen an Schüler finden sich in der Schule viele Auslöser für die Entwicklung innerer Anteile, die sich dysfunktional auf das Selbstbild der Schüler auswirken. Ein Wissen um diese inneren Dynamiken und deren Auswirkungen ist daher für jeden Lehrer bedeutsam.

Wenn Sie sich mit Ihrem Umfeld austauschen, stellen Sie fest: So viele Menschen haben Situationen aus ihrer (auch lange zurückliegenden) Schulzeit abgespeichert, die sich bis heute als konditionierte Glaubenssätze zeigen und einschränkend wirken können. »Ich kann nicht zeichnen«, »Ich bin nicht kreativ«, »Ich habe kein Talent für Mathematik.«

Wie gehe ich mit diesem inneren System um?

Das IFS-Modell unterscheidet sich vom metaphorischen Modell des »Inneren Teams« in seiner konkreten methodische Herangehensweise. Ziel ist es, in einen wertschätzenden Dialog mit den inneren Teilen zu kommen, um diese Teile zu identifizieren und zu integrieren. Damit dieses gelingt, braucht es zunächst einen guten Kontakt zum »Selbst«, das jedem Menschen innewohnt. Das Selbst steht für Schwartz im Zentrum jeder Persönlichkeit: In einem guten Selbstkontakt ist gute Selbstführung möglich.

Damit der Dialog wertschätzend und wirksam gelingt, hat er acht Qualitäten des Selbst formuliert, die acht Cs:

  • Curiosity (Neugier)
  • Compassion (Mitgefühl)
  • Clarity (Klarheit)
  • Connectedness (Verbundenheit)
  • Creativity (Kreativität)
  • Courage (Mut)
  • Confidence (Vertrauen)
  • Calm (innere Ruhe)

Um in einen wertschätzenden Dialog einzutreten, bedarf es (zumindest teilweise) dieser acht Qualitäten. Sie lassen sich wunderbar übertragen auf die Arbeit in Schule und Unterricht. Auch hier bilden sie die Basis für Kontakt. Die Ihnen anvertrauten Kinder, respektive Schüler und Lernende werden sich durch diese Qualitäten gesehen fühlen und das wird auf Sie als Lehrkraft zurückwirken.

In dem deutschen Film Systemsprenger wird diese frühkindliche Prägung und die Auswirkungen auf den weiteren Lebensverlauf sehr gut sichtbar. Er erzählt die Geschichte des verhaltensauffälligen Mädchens Benni. Sie durchläuft verschiedene Pflegefamilien und Einrichtungen, da sie aufgrund ihres schwierigen Verhaltens nirgendwo dauerhaft bleiben kann. Der Film zeigt ihre Suche nach Liebe, Stabilität und einem Zuhause, während sie gleichzeitig mit den Herausforderungen ihres Verhaltens und der Bürokratie des Systems konfrontiert wird. Es ist eine emotionale und bewegende Darstellung von Bennis Kampf und den Versuchen der Menschen um sie herum, ihr zu helfen.

Wodurch kann ich mir das Wissen um innere Anteile nutzbar machen?

In Kapitel 4 Der systemische Ansatz in der Pädagogik wurden die Haltung sowie die Grundannahmen des systemischen Ansatzes beschrieben und für die Schule begründet. Wer systemisch denkt, kommt an den Modellen zur inneren Wirklichkeit nicht vorbei.

Im Handlungsraum Schule geht es immer auch um Pädagogik. Die Begleitung von Schülern ist auf deren Entwicklung hin ausgerichtet und ein Prozess. Als Lehrer sind Sie ein wesentlicher Teil dieses Prozesses und nicht nur Wissensvermittler. Ihr Blick auf den Menschen entscheidet mit, welche Interventionen, Forderungen und Förderungen dem Schüler zugutekommen oder nicht.

Im Kontext von Beratung, Coaching und Supervision haben sich die unterschiedlichen Ansätze und Modelle zur inneren Wirklichkeit seit Jahrzehnten etabliert und ergänzen erfolgreich das Feld von Beratung und Coaching.

Das Wissen um eigene innere Anteile, die Würdigung der guten Absicht dieser Teile und das Verständnis um deren Genese und Historie im situativen Kontext ist äußerst hilfreich für die Fähigkeit zur Selbstführung und dadurch wesentlich für die Gesprächsführung, die Beziehungsgestaltung und die Führung anderer im Hier und Jetzt.

Stellen Sie sich eine schulische Situation vor, bei der Sie gemischte Gefühle wahrnehmen. Das kann eine Unterrichtsstunde in einer bestimmten Klasse sein oder vielleicht ein bestimmtes Unterrichtsthema, bei dem Sie sich noch etwas unsicher fühlen und das dennoch ansteht. Vielleicht steht auch der Besuch der Schulleitung an oder Sie haben ein Gespräch mit einem Kollegen vor sich. Bestimmt fällt Ihnen eine Situation ein. Wer in Ihnen meldet sich zu dieser Situation? Notieren Sie die unterschiedlichen inneren Wortmelder und benennen Sie diese. Was sind deren jeweiligen Stimmen? Notieren Sie auch diese. Und nun gehen Sie einmal in Kontakt mit den unterschiedlichen inneren Anteilen, die zu dieser Situation auftauchen.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ich hatte einen Vortrag vor einer Gruppe Lehrkräfte zu halten, die mich zum Thema »Resilienz und Mindset« gebucht hatte. In meinem inneren Team war die Hochmotivierte mit dem inneren Satz: »Juhu, da mache ich ganz viel praktische Übungen für den schulischen Alltag.« Da war aber auch die Zweiflerin, die sagte: »Auweia, das wissen die Kollegen doch alles selbst.« Oder auch die Kritisch-Perfekte, die mich mahnte: »Schau bloß, dass du dich da noch in die aktuelle Forschung reinliest, damit du ganz aktuelle Beispiele bringen kannst.« Die brachte dann gleich die Besorgte auf den Plan: »Moment, das schaffe ich ja gar nicht mehr alles.« Sie sehen, die ursprünglich Hochmotivierte war vorübergehend etwas in den Hintergrund getreten und hatte die innere Bühne den anderen Anteilen im Team überlassen.

Je nachdem, wer da in Führung geht, wirkt sich das auf das eigene Kompetenzerleben und das emotionale Befinden aus. Es ist ratsam, die Stimmen wertschätzend anzunehmen und dann bewusst ein professionelles Team aufzustellen, das der Situation dient. In meinem Fall wollte ich unbedingt der Hochmotivierten die Führung geben. Sie ist schließlich diejenige, die mir selbst Kraft gibt und die beim Vortrag in gutem Kontakt mit dem Publikum sein kann. Wie ist das bei Ihnen? Welches professionelle Team stellen Sie (bewusst) auf für eine kommende Situation?

Wenn Sie als Lehrkraft um Ihre inneren Teile wissen und einordnen können, wen Sie da im Team haben, gelingt es Ihnen zunehmend, hilfreiche Gegenspieler zu etablieren und destruktive Muster zu unterbrechen. Sie werden sich sprichwörtlich innerlich anders aufstellen und reflektiert die Teamspieler ranlassen, die für die jeweilige Situation hilfreich sind, und entscheiden, wen Sie auf der Ersatzbank lassen. Wie Sie das Modell der inneren Anteile in der Gesprächsführung (zum Beispiel mit Eltern) anwenden, erfahren Sie im Abschnitt Kommunikationsmodelle in Kapitel 15.

Es ist keine gute Idee, Teile einfach zu ignorieren. Das führt in der Regel dazu, dass sich diese kreativ zu zeigen wissen. Wie im »echten« Leben eben auch, Menschen, die sich nicht gesehen fühlen, machen womöglich umso mehr auf sich aufmerksam, nach dem Motto: »Wer sich nicht gehört fühlt, benimmt sich unerhört.«