Kapitel 15
IN DIESEM KAPITEL
Auch wenn Classroom Management begrifflich den Classroom, das Klassenzimmer, fokussiert, enden die damit verbundenen Aufgaben nicht an der Grenze des Klassenzimmers. Schulische Erwartungen an den Schüler führen mitunter zu Loyalitätskonflikten beim Kind und Jugendlichen. Ihre Schüler bringen ihre biografischen Prägungen, ihr soziales Leben und damit auch ihre Familien mit in den Handlungsraum Schule. Daher richtet sich ein wirksames Classroom Management auch auf die Eltern und Erziehungsberechtigten aus.
Die Führungsaufgaben als Lehrkraft sind kommunikativ angelegt. Damit Ihnen als Lehrkraft Gespräche in unterschiedlichen Situationen gelingen, ist ein Verständnis für Sprache und ihre Wirkung und damit ein Einblick in die Theorien der Kommunikationspsychologie relevant. So etablieren Sie ein professionelles Handwerkszeug für Ihr tägliches Tun in Beratung und Begleitung.
Im Laufe eines Schuljahrs fallen vielfältige Gesprächsanlässe an, die in Ihren Verantwortungsbereich fallen. Diese Anlässe können sich situativ ergeben oder aber fest im Jahresplan verankert sein.
Regelmäßig (mindestens zwei Mal pro Schuljahr) muss ein Elternabend stattfinden. Die Leitung unterliegt dem Klassenlehrer, die offizielle Einladung kommt jedoch von den Elternvertretern der Klasse. Diese Absprache der Einladung und der Tagesordnung ist an sich schon ein kommunikativer Anlass. Informieren Sie Ihre Elternvertreter frühzeitig über Ihre Planungen. Bedenken Sie, dass Sie die Beziehung auch hier gestalten, indem Sie zum Beispiel Mitsprache ermöglichen über Termine oder Uhrzeiten. Geben Sie der Perspektive der Eltern Raum, denn damit drücken Sie auch Interesse an einem gelungenen Abend für alle Beteiligte aus. Partizipation wirkt motivierend (wie sich Mitbestimmung auf Motivation auswirkt, greife ich in Kapitel 14 Vom Wert der Motivation auf). Gleiches gilt für Ihre Kolleginnen und Kollegen, die ebenfalls eine Einladung erhalten.
Meine Klassenpflegschaftsabende habe ich gerne begonnen mit dem Satz: »Sie haben tolle Kinder. Gehen Sie heute Abend bitte nach Hause und sagen Sie Ihrem Kind das.« Und dieser Satz nutzt sich nicht ab, denn ich meinte das stets aufrichtig. Selbst wenn ich durch bestimmtes Verhalten beim Schüler herausgefordert war, konnte ich den Menschen dahinter sehen.
Die irritierten Gesichter der Eltern nach dieser Aussage sind meist eine erste Reaktion. Damit rechnen sie nicht. Es schlägt ihnen gleichzeitig eine Brücke, selbst in ein Gefühl von Akzeptanz und Dankbarkeit für ihr Kind zu kommen. Verhalten und Person zu trennen, ist wichtig hierfür. Ich bin den Eltern als Modell einen Schritt voraus: Wenn es mir als Lehrkraft gelingt, dann kann es den Eltern selbst auch gelingen, zumal sie stärker emotional verbunden sind.
Was ist das Ziel eines solchen Abends? Ziel sollte sein, den Eltern das Gefühl zu vermitteln, dass ihr Kind bei Ihnen gut aufgehoben ist. Das erfordert, die eigene Haltung sichtbar zu machen. Sorgen Sie für eine gute Atmosphäre und auch hier heißt es, die Willkommenskultur zu leben. Machen Sie es den Eltern leicht, Sie und Ihren Raum zu finden, schildern Sie dazu, wenn nötig, den Weg im Gebäude aus. Es ist unprofessionell, gleichzeitig mit den Eltern zu kommen und den Raum erst herzurichten. Sorgen Sie dafür, dass abgestuhlt ist und die Tische und Fächer in einem angemessenen Zustand (delegieren Sie dies an die Schüler). Stellen Sie Getränke bereit, es wird sich auf lange Sicht auszahlen.
Einen guten Eindruck hinterlassen Sie auch, wenn Sie gut organisiert und strukturiert durch den Abend führen. Machen Sie die Tagespunkte sichtbar und geben Sie Fragen der Eltern Raum. Visualisieren Sie wichtige Inhalte, damit Eltern den Informationen gut folgen können. Das ist letztlich auch in Ihrem Interesse, denn es schützt Sie vor vielen Rückfragen, die unter Umständen später kommen. Halten Sie die Zeit unbedingt ein. Wenn ein Tagesordnungspunkt zu viel Raum einnimmt, besprechen Sie, was jetzt Raum erhalten soll. All diese Aktionen zeigen Ihr Führungshandeln.
In meinen ersten Dienstjahren habe ich an diesen Abenden auch kleine Themen-Einheiten behandelt. Dazu können Sie Ihre Eltern fragen, was gerade zentrale Themen sind (Konzentration, Pubertät, Umgang mit Widerständen), und eines davon in einem kurzen Abriss (15 Minuten) platzieren. Ihre Eltern sind oft sehr dankbar für solche Impulse. Zeigen Sie sich als Mensch mit professionellem Vorsprung.
Die unterschiedlichen Gesprächsanlässe unterliegen bestimmten formalen Bedingungen. Manche davon können Sie mitgestalten, auf andere haben Sie kaum bis keinen Einfluss. So ist die zeitliche Taktung der Gespräche beim Elternsprechtag meist vorgegeben und stark begrenzt (5 bis 10 Minuten pro Person). Ein solches Format bestimmt wesentlich den Inhalt des Gesprächs und hebt sich auch deutlich ab von anderen Gesprächen. In diesem Fall steht die Information über die schulischen Leistungen des Schülers (Notenstand und Notenzusammensetzung) im Vordergrund. Lagern Sie Gespräche aus und bieten Sie die Möglichkeit, sich online zu besprechen. Das ist in den letzten Jahren eine gute Alternative geworden.
Auch wenn an so einem Tag oder Halbtag eine Begegnung in die nächste übergeht, hinterlässt sie einen Eindruck auf beiden Seiten. Und dass dieser Eindruck positiv umrahmt ist, fällt in Ihren Aufgabenbereich. Von Begrüßung und Small Talk über Sitzordnung und Dekoration hin zu Raum für Fragen liegt diese Gestaltung in Ihren Händen. Stellen Sie auch ein solch eher anstrengendes Format unter eine Willkommenskultur, die nach außen hin sichtbar wird. Dazu gehört auch eine Ausschilderung, sodass Sie in Ihrem Raum gut gefunden werden, und ein Wartebereich mit Sitzgelegenheiten.
Auch die Klassenkonferenz stellt ein Gesprächsformat dar. Die Leitung liegt beim Klassenlehrer, dieser lädt auch offiziell ein. Kommunizieren Sie transparent und sprechen Sie Termine unter Umständen vorher ab. Denken Sie stets an alle Kolleginnen und Kollegen. Diejenigen in Teilzeit sind auf klare Kommunikation angewiesen, denn mit ihnen sind spontane Absprachen im Schulalltag aufgrund weniger Präsenz schlicht schwerer möglich. Es ist mir leider selbst auch immer wieder passiert, dass ich ganz schnell etwas mit anwesenden Kollegen besprochen und dabei vergessen habe, dies dann weiterzutragen an die anderen nicht Anwesenden. In meinen letzten Dienstjahren war ich selbst Teilzeitkraft und es ist wirklich unschön, als Letzte informiert zu werden oder kurzfristige Änderungen durch Zufall zu erfahren.
In welchem Setting kann ein »guter« Austausch stattfinden? Sorgen Sie dafür, dass die Konferenz zu einem Zeitpunkt stattfindet, an dem konstruktives Arbeiten möglich ist. Gespräche werden beeinflusst vom Befinden der Beteiligten. Eine Konferenz im unmittelbaren Anschluss (nach einer 6. Stunde) ist herausfordernd. Die Lehrkräfte hatten meist noch keine Pause, der Kopf ist gefüllt mit den Eindrücken des Vormittags und die Gefahr ist, eine innere Haltung von »Absitzen« einzunehmen. Das wird den Schülern nicht gerecht.
Wozu dient eine Konferenz? Sie soll den unterrichtenden Lehrkräften einer Klasse dazu dienen, sich über Entwicklung und Aktuelles von Schülern auszutauschen, Sichtweisen zu hören und Vereinbarungen zu treffen. Der multiperspektivische Ansatz soll den Möglichkeitsraum professionellen Handelns sichtbar machen. In Kapitel 13 Der systemisch-konstruktive Blick auf Störungen gehe ich unter anderem ausführlich auf die Bedeutung von Hypothesen ein. Sie bilden einen wichtigen Schritt für die Lösungsfindung und damit verbundene Interventionen. Hypothesen in einem Kollegenteam zu entwickeln, kann sehr fruchtbar sein, da hier die unterschiedlichen (fachbezogenen) Erfahrungen der einzelnen Lehrkräfte den Blick weiten.
Konferenzen haben auch das Potenzial, dass sich alle als Teil eines Teams erleben. Sind Sie selbst die Klassenleitung, schaffen Sie eine Willkommenskultur für sich und Ihre Kolleginnen und Kollegen. Auch hier hat der äußere Rahmen eine Wirkung auf die Beteiligten. Überlegen Sie sich vorab, welche Sitzordnung sinnstiftend ist, legen Sie einen zeitlichen Rahmen für die gesamte Konferenz und für Teilthemen fest. Lassen Sie sich unterstützen, indem Sie hierfür zum Beispiel einen Zeitwächter einführen. Klären Sie vorab, wie Sie protokollieren. Halten Sie im Protokoll wesentliche Inhalte genauso fest wie Vereinbarungen und die dafür Verantwortlichen samt verbindlicher Terminierungen und Deadlines. Ein Protokoll im Tabellenformat mit separaten Spalten für Wer ist verantwortlich? und Bis wann zu erledigen? tut hier gute Dienste. Sorgen Sie auch für einen ungestörten Rahmen. Seien Sie kreativ und laden Sie Ihre Kollegen ein, zu Beginn bewusst den Blick auf Gelingendes zu richten. Was läuft bereits gut? ist eine berechtigte Frage. Die Antworten darauf ermöglichen, dass Schüler (und Kollegen) in einem anderen Licht wahrgenommen werden. »Kein Problem tritt immer auf!« (siehe Kapitel 18). Niemand sagt, dass eine Klassenkonferenz nur Negatives thematisiert.
Der Kontakt und die Kommunikation über E-Mail sind inzwischen etabliert. Viele Schulen haben hierfür ein eigenes Mailsystem, sodass Sie als Lehrkraft eine persönliche Schul-E-Mail-Adresse haben. Gleiches gilt für Schüler, sodass Sie über die Schüleradresse deren Eltern anschreiben können. Dies bringt mit sich, dass vertrauliche (nicht fürs Kind bestimmte) Informationen über andere Wege ausgetauscht werden müssen. Dies ist ein Punkt, den Sie zu Beginn eines Schuljahrs ansprechen sollten. Damit landet das Thema auf der Tagesordnung und wird in einem Protokoll festgehalten. Nicht anwesende Eltern und Erziehungsberechtigte werden über das Protokoll informiert, auf das Sie sich berufen können.
Für die Kommunikation im digitalen Raum gibt es die »Netiquette«, ein Orientierungsrahmen für Haltung und Handeln im Internet. Bezogen auf die Online-Kommunikation zählen hierzu textlich-formale Aspekte, wie Anrede, Grußformel und Signatur. Inhaltlich umfasst sie Werte wie Höflichkeit und die Einhaltung sozialer Normen.
Klären Sie zunächst für sich:
Die Arbeitszeiten einer Lehrkraft unterscheiden sich von denen vieler anderer Berufe. Eltern, die berufstätig sind, sind in ihrer Arbeitszeit an bestimmte äußere Bedingungen gekoppelt. Fragen Sie solche Bedingungen zu Beginn eines Schuljahrs ab, sodass Sie für Einzelfälle eventuell gesonderte Absprachen treffen.
Ansonsten überlegen Sie sich:
Ich habe in 23 Jahren noch nie (!) schlechte Erfahrungen damit gemacht, meine Privatnummer bekannt zu geben. Viele Jahre sogar meine Mobilnummer. Es schien mir persönlich immer eine zu große Hürde, wenn Eltern erst im Sekretariat anrufen müssen und ich dann via Zettel im Fach informiert werde (oder auch nicht). Ich finde außerdem, dass das Sekretariat mit anderen Aufgaben hinreichend zu tun hat. Aber das nur am Rande …
Neben dem Unterrichtsgespräch findet sich im schulischen Alltag ein breites Spektrum an Gesprächsformen:
Innerhalb dieses Spektrums finden unterschiedliche Anlässe und Anliegen der Beteiligten ihren Raum:
Ziel sind Problemlösungen, Entscheidungsfindungen, Deeskalation, Fokus auf Weiterentwicklungen sowie Informationsaustausch. Es geht im Kern um Ihre Schüler und je nach Anlass ist der Kreis der Beteiligten dementsprechend. Gemeinsamer Nenner ist meist der Wunsch nach einer »guten Lösung« oder der Blick auf ein festgelegtes Ziel.
Die gute Lösung oder das Ziel kann jedoch durchaus subjektiv unterschiedlich ausfallen. In einem Gespräch, das sich um eine Konfliktlösung zwischen zwei Streit-Parteien dreht, wird eine Schülerin, die mehr Verantwortung an der Situation trägt, nicht automatisch Einsicht in die Konsequenzen haben. Ihr Interesse gilt, das Ausmaß an Konsequenz gering zu halten.
Sie haben vielleicht bemerkt, dass ich im eben formulierten Beispiel weder von »Täter« noch von »Schuld« spreche und dennoch klar zum Ausdruck bringe, dass ein Konflikt mit unterschiedlichen Beteiligten vorliegt. Schuldzuweisungen führen tendenziell zu Abwehr- und Rechtfertigungsmechanismen. Dadurch erschwert sich die Kommunikation, weil der Blick auf das Ziel zunächst durch solche Nebenschauplätze getrübt wird.
Vielleicht kennen Sie den Film Der Rosenkrieg (1989) mit Michael Douglas und Kathleen Turner. Die beiden spielen ein Ehepaar, das zunächst glücklich verliebt später eine tragische Trennung durchlebt. Ihr Wunsch nach einer Scheidung steigert diese Trennungsgeschichte in eine derartige Eskalation, weil schließlich beide nur noch ihre eigenen Interessen im Blick haben und in Kauf nehmen, dass sie sich (ihrem Ziel) dadurch auch selbst schaden. Dreh- und Angelpunkt ist das gemeinsame Haus und je höher der Konflikt eskaliert, desto weniger Fähigkeit und Bereitschaft besteht, eine akzeptable Lösung zu erreichen. Keiner der beiden ist bereit, auf das Haus zu verzichten, und bevor es der andere bekommt, wird es mehr und mehr mutwillig zerstört (was dazu führt, dass das eigene Ziel nicht mehr erreicht werden kann). Das Ganze endet im Lose-lose, dem schlimmsten anzunehmenden Fall auf der Konfliktleiter. Beide Parteien gehen als Verlierer hervor. Diesen Fall gilt es, in der Gesprächsführung zu vermeiden.
Wenn Sie sich intensiv mit dem Thema Konflikte, Konfliktstufen und Deeskalation befassen möchten, empfehle ich Georg E. Becker »Lehrer lösen Konflikte« (seit 1983 ständig überarbeitet), Friedrich Glasl »Phasenmodell der Eskalation« (1980) sowie Christoph Thomann »Klärungshilfe« (1998).
Damit Sie als Lehrkraft wirksam kommunizieren, bedarf es eines Ausflugs in die Welt der Kommunikationstheorien. Die Auswahl an unterschiedlichen etablierten Theorien ist breit. Alle befassen sich mit der Interaktion zwischen den Beteiligten (Sender und Empfänger). Die Theorien bieten neben der jeweiligen Grundhaltung Modelle an, die Sie auf Ihre Arbeit übertragen können. Jedes Modell lädt zur Selbstreflexion ein; je mehr Sie über sich und Ihre Kommunikation verstehen, desto mehr sind Sie in der Lage, auf Ihr Gegenüber einzugehen. Es kommt auch Ihrer Gesundheit zugute, denn Sie reduzieren Ihren Ärger über andere und deren Verhalten, wenn Sie die Modelle über die Situationen legen und sich in der direkten Kommunikation als kompetent erleben.
Abbildung 15.1 soll veranschaulichen, welche drei Intentionen mich beim Blick auf die Theorien leiten. Mit dem MRT erhalten Sie Einblick und Durchblick in Modelle, deren Relevanz für Sie als Lehrkraft und Umsetzungsbeispiele für den Transfer auf Ihre konkrete Arbeit. Jede der ausgewählten Theorien hätte die Berechtigung für einen eigenen Band. Ich bin mir klar, dass ich die Modelle nur allgemein und verknappt darstelle und auch lediglich eine Auswahl abbilde. Vor dem Hintergrund meiner drei genannten Intentionen kann ich dies jedoch vertreten.
Kommunikationsmodelle schaffen einen Orientierungsrahmen für Ihr professionelles Handeln und spiegeln auch Haltung. Sie dienen auf der Metaebene für das Verstehen der komplexen Prozesse bezüglich Beziehung und Sache. Sie ermöglichen außerdem Reflexion und Perspektivwechsel. Dies stärkt Ihre empathischen Fähigkeiten und das Miteinander im Kontakt.
Abbildung 15.1: Intentionen der Kommunikationsmodelle
Kommunikation ist gelebte Begegnung. Sie kann nicht gelehrt werden. Genauso wie Sie das Kuchenbacken auch nicht alleine durch das Lesen von Rezepten lernen werden. Die Vermittlung einer wertschätzenden Kommunikation lebt von Modellen, an denen sich Schüler orientieren können, und vom Erproben und Reflektieren und nicht zuletzt von konstruktivem Feedback.
Das Vier-Seiten-Modell (Kommunikationsquadrat) des Kommunikationspsychologen Friedemann Schulz von Thun ist ein Klassiker unter den Kommunikationsmodellen, das einer Nachricht vier Ebenen zuschreibt: Sachinhalt, Selbstoffenbarung, Beziehung und Appell.
Analog zu den vier Seiten einer Nachricht gibt es die vier Ohren, mit denen eine Nachricht vom Empfänger aufgenommen (gehört) und interpretiert wird.
Das Modell macht die Vielschichtigkeit von Kommunikation deutlich, indem es nicht nur den offensichtlichen Inhalt einer Nachricht analysiert, sondern auch die persönlichen Aspekte von Sender und Empfänger, die Beziehungsdynamik der Beteiligten und sowohl die beabsichtigte als auch die interpretierte Handlungsaufforderung berücksichtigt. Sie können mich ja einmal neugierig durch das folgende Beispiel begleiten und sich fragen, wie Sie wohl reagieren würden.
Der Mann könnte nun auf dem Sachohr hören und sagen: »Danke, ja, ich sehe es.« Hört er mehr mit dem Selbstoffenbarungsohr, wäre diese Antwort denkbar: »Mach dir keine Sorgen, ich sehe es.« Er würde vermuten, dass die Partnerin Sorge hat, dass er über die rote Ampel fährt und vielleicht eine Vollbremsung hinlegt, weil er die Situation zu spät erkennt. Würde er hingegen mit dem Beziehungsohr hören, wäre eine mögliche Antwort: »Du, ich habe meinen Führerschein jetzt auch schon zwanzig Jahre, ich weiß, wie man Auto fährt.« Somit hätte er in ihrer Aussage herausgehört, dass sie wenig von seinen Fahrkünsten hält, oder aber, dass sie der Meinung ist, dass er ohne sie die Situation nicht erkennt und sie folglich dazu braucht. Würde er auf dem Appellohr hören, wäre seine Antwort vermutlich, »Oh, ja (gut, dass du das sagst)«, und er würde sofort bremsen.
Was die Partnerin im Beispiel mit ihrer Aussage wirklich meint, weiß sie im Idealfall am besten. In der Antwort (Reaktion) des Gegenübers erkennen wir, was wir gesagt haben und ob die ursprüngliche Absicht (Intention) erfüllt wurde. Die Sachebene zu hören, ist nicht immer deeskalierend, denn wenn es sich um eine deutliche Selbstoffenbarung bei Ihrem Gegenüber handelt, dann wird eine sachliche Antwort Ihrerseits das Gespräch nicht unbedingt förderlich beeinflussen. Das Gegenüber fühlt sich dann nicht verstanden und wird dementsprechend reagieren. Spätestens jetzt wird deutlich, wie komplex Gespräche sind, und dafür gelingen Sie uns doch meistens ganz vernünftig, was meinen Sie?
In Kapitel 11 K.R.A.F.T.-Quellen wirksamer Selbstführung greife ich bereits ein Modell der inneren Pluralität auf, das IFS nach Richard Schwartz (IFS steht für Internal Familiy Systems). Der Kommunikationspsychologe Friedemann Schulz von Thun hat in seinem dritten Band Miteinander reden das Innere Team etabliert.
Das Konzept des Inneren Teams beschreibt die verschiedenen inneren Stimmen oder Persönlichkeitsanteile (Instanzen) in einer Person. Diese inneren Anteile (Teammitglieder) repräsentieren unterschiedliche Interessen, Überzeugungen oder Emotionen. Jeder von uns hat ein solches Innenleben, das sich über Erfahrungen festigt und bestimmte heimliche Aufträge für uns übernimmt. Bestimmte Situationen können auslösen, dass ein solches inneres Teammitglied die Führung übernimmt, weil es beispielsweise in der Absicht agiert: »Ich darf mir nichts gefallen lassen« oder »Ich muss stark sein« oder »Ich will gesehen werden.«
Kennen Sie das auch? Sie stehen vor einer Entscheidung und statt »einfach« zu entscheiden, fallen Ihnen zig verschiedene Möglichkeiten dafür und dagegen ein. In solchen Situationen formt sich ein situatives Inneres Team um ein Thema. Da gibt es dann zum Beispiel »den Bedenkenträger«, der den »Spontanen« abwertet, oder die »Motivierte« und die »Experimentierfreudige«, die auf die Interessen und Überzeugungen (Bedenken) der »Vernünftigen« und der »Vorsichtigen« stoßen. Und schon ist die Entscheidungsfähigkeit durch die innere Zerrissenheit ausgebremst.
Durch Selbstreflexion kann man die inneren Anliegen der Teammitglieder bewusster wahrnehmen und verstehen. Ziel ist es, ein ausgewogenes und konstruktives Inneres Team zu entwickeln, mit dem man »innerlich gut aufgestellt« in den Kontakt und in die Kommunikation gehen kann.
Carl Rogers war ein bedeutender US-amerikanischer Psychologe und Psychotherapeut. Die personenzentrierte Beratung, die er ab den 1940er-Jahren entwickelte, betont die Schaffung eines unterstützenden und wertschätzenden Umfelds. Rogers glaubte an die Selbstverwirklichungstendenz des Menschen und betonte die Bedeutung von Empathie, Akzeptanz und authentischer Kommunikation aufseiten des Beraters (oder Therapeuten), um persönliches Wachstum und Selbstexploration zu fördern.
Die drei grundlegenden Aspekte der Haltung in der personenzentrierten Arbeit sind:
Alle drei Aspekte müssen vorgelebt werden.
Für Rogers stehen folgende Interventionen im Zentrum seines Ansatzes, die auf der Basis genannter Haltungsaspekte angewendet werden. Das heißt, die Maßnahmen erfordern alle ein hohes Maß an Empathie, Wertschätzung und Kongruenz und bilden dadurch ein Resonanzfeld, das sich positiv auf jeden Beteiligten sowie auf die Beziehung auswirkt.
Alle drei Interventionen sind wichtige Maßnahmen zur Vorbeugung und Vermeidung von Missverständnissen:
Der Psychologe Thomas Gordon leitete ab den 1960er-Jahren aus seinen beruflichen Erfahrungen im Kontakt mit Kindern und Jugendlichen ab, welche Bedeutung der wertschätzenden Kommunikation und der gewaltfreien Konfliktlösung für eine gesunde Entwicklung des Menschen zukommt.
Er formulierte ein Modell der Kommunikation und Deeskalation, das die Beziehung und Kommunikation zwischen Eltern und Kindern und später Lehrkräften und Schülern verbessern sollte. Er folgte dabei der humanistischen Haltung Carl Rogers.
In Ergänzung zum Aktiven Zuhören und den Ich-Botschaften (siehe vorhergehender Abschnitt) lauten die tragenden Säulen im Gordon-Modell:
Umschalten (shifting gears):
Im Gespräch Du-Botschaften »abfangen« zu können und selbst Ich-Botschaften zu senden, trägt dazu bei, dass ein Gespräch konstruktiv(er) verläuft. Umschalten bezieht sich auf die Fähigkeit des Wechselns zwischen aktivem Zuhören und Ich-Botschaften. Das erfordert ein hohes sprachliches Bewusstsein und Selbstreflexion sowie Übung.
Niederlaglose und machtfreie Konfliktlösung:
Als Konfliktlösungsmodell strebt Gordon ein Win-win zwischen den Konfliktparteien an. Dieses Ergebnis einer Konfliktsituation soll kooperativ angestrebt werden. Der Verzicht auf Macht ist dafür selbstverständlich.
Gordon entwickelte als eine weitere zentrale Kategorie seines Modells das sogenannte Verhaltensfenster (siehe Tabelle 15.1). Als grafisches Hilfsmittel und Kern seines Konflikt- und Kommunikationsmodells wird mithilfe des Verhaltensfensters der Konflikt zunächst eingeordnet. Je nachdem, bei wem das Problem liegt, wird Verhalten in die Bereiche von Annahme und Ablehnung unterschieden. Dementsprechend wird dann auf eine Lösungsintervention verwiesen und diese dann umgesetzt.
Das Verhaltensfenster | ||
---|---|---|
Bereich der Annahme |
Mein Gegenüber hat das Problem: dein Problem. |
Aktives (empathisches) Zuhören |
Niemand hat ein Problem: kein Problem. |
Weiter so! Investition in die Beziehungspflege | |
Bereich der Ablehnung |
Ich habe ein Problem: mein Problem. |
Konfrontative Ich-Botschaften |
Wir haben ein Problem: gemeinsames Problem. |
Kooperative Strategien zur Problemlösung |
Tabelle 15.1: Das Verhaltensfenster der Gordon-Methode
Liegt ein Problem auf der Seite der Lehrkraft (oder Erzieher/Eltern), unterscheidet Gordon in zwei Arten von Konflikten: Bedürfnis- oder Wertekonflikt. Hilfreich beim Bedürfniskonflikt sind konfrontierende Ich-Botschaften. Beim Wertekonflikt empfiehlt Gordon Lösungsstrategien auf Augenhöhe (Win-win) anzuregen. Durch das gegebene hierarchische Verhältnis zwischen Lehrkraft und Schüler (Eltern und Kind) ist dies herausfordernd, weil die Beziehung auch von Machtstrukturen betroffen ist.
Gordon formulierte 12 Kommunikationssperren, die Erwachsene (Eltern, Pädagogen, Lehrkräfte) als Strategien »gerne« gegenüber Kindern anwenden. Diese wirken sich einschränkend auf das Miteinander aus (Gordon, 1998).
Den Kern seines Modells bildet das Verhaltensfenster. Es unterscheidet Verhalten in Annahme und Ablehnung und in eine problemfreie Zone und eine Problemzone. Wer sich im Bereich der Ablehnung (Nichtannahme) und damit in der Problemzone befindet, wird über bestimmte Interventionen (Aktives Zuhören, Ich-Botschaften) in den Bereich der Annahme und damit in die problemfreie Zone begleitet. Befinden sich alle Beteiligte in der Problemzone, werden im Problemlösungsprozess Strategien zur niederlaglosen Konfliktlösung gesucht und umgesetzt.
Die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) von Marshall B. Rosenberg zielt darauf ab, Verständnis und Empathie zwischen Menschen zu fördern, sodass Konflikte konstruktiv gelöst werden können. Sie wird auch als empathische oder wertschätzende Kommunikation bezeichnet.
Rosenberg war Schüler Carl Rogers und dessen personenzentrierter Ansatz inspirierte ihn zur Entwicklung seines Modells. Vorrangiges Anliegen war es, eine Verständigung zu ermöglichen, die gegenseitig zum Ausdruck bringt, welche Bedürfnisse erfüllt oder nicht erfüllt sind. Die Haltung der gegenseitigen Hinwendung schafft Raum für die Bedürfniserfüllung und wirkt dadurch deeskalierend.
Die GFK betont die Beachtung von Bedürfnissen, das einfühlsame Zuhören und die Vermeidung von Schuldzuweisungen in der Sprache. Rosenberg zufolge liegt hinter einem bestimmten unangenehmen Gefühl ein unerfülltes Bedürfnis (und umgekehrt). Dieses unerfüllte Bedürfnis bei sich selbst wahrzunehmen, anzuerkennen und dafür einzustehen, ist Kern der Gewaltfreien Kommunikation. Sie stärkt damit in hohem Maße die Selbststeuerung, da die Erwartung, andere müssten doch wissen, was ich jetzt gerade brauche, wegfällt. Der Sprecher vertritt sich und die eigenen Bedürfnisse. Die GFK zielt auf ein gegenseitiges Verstehen und die Stärkung der empathischen Verbindung.
Für das gegenseitige, beziehungsweise wechselseitige Verstehen ist es hilfreich zu wissen, welche Gefühle zum Ausdruck bringen, dass grundlegende Bedürfnisse erfüllt oder nicht erfüllt sind. Es gibt ganze Listen und Navigationshilfen im Internet. Unter diesem Link verschaffen Sie sich einen Einblick über die Vielfalt an Bedürfnissen und Gefühlen: https://www.gfk-plus.net/listen/index%20listen.htm
.
Wie können nun diese eigenen Bedürfnisse so ausgedrückt werden, dass sie vom Gegenüber gut aufgenommen werden können?
Das Modell der GFK besteht aus vier Schritten:
Die Beobachtung bringt zum Ausdruck, was ich bei mir selbst und bei anderen wahrnehme. Dies erfolgt wertfrei. Konkret beobachtbar ist die Köpersprache (Gestik, Mimik), die gesprochene Sprache (Worte) und Verhalten. Wichtig: Nicht konkret beobachtbar dagegen sind Gefühle anderer, Absichten, Gedanken sowie Bedürfnisse.
Die Trennung von Beobachtung und Interpretation ist in diesem ersten Schritt grundlegend. Das erfordert sowohl ein Verständnis als auch eine Sensibilität für Wahrnehmungsprozesse, da wir gewohnt sind, schnell einzuordnen und auch zu bewerten. Fällt die Interpretation weg, kann unser Gegenüber offen sein und im Kontakt bleiben. Ansonsten besteht die Gefahr, dass beim anderen Abwehr- und Verteidigungsreaktionen ausgelöst werden und das Gespräch im weiteren Verlauf von der gewünschten Richtung abweicht. (Das Thema Wahrnehmung und Wirklichkeitskonstruktion beschreibe ich in Kapitel 4.)
»Du bist so ein Trödler« oder »Du trödelst immer so« sind Bewertungen. Die Beobachtung kann lauten: »Ich sehe, dass du mit deiner Aufgabe noch nicht begonnen hast, obwohl bereits drei Minuten vergangen sind.«
Im zweiten Schritt werden die Gefühle ausgesprochen. Das erfordert eine hohe Sensibilität für das eigene Empfinden. Hier werden die Gefühle formuliert, die in meiner Verantwortung liegen. Es gibt auch irreführende Mitteilungen über Gefühle, so zum Beispiel, wenn ich dem anderen die Verantwortung für meine Gefühle »unterjuble«.
Gefühle sind die Wegweiser zu unseren Bedürfnissen. Negative Gefühle sind die innere Warnlampe, dass es ein unerfülltes Bedürfnis gibt. Positive Gefühle sind ein Hinweis für erfüllte Bedürfnisse. Gefühle sind blitzschnell in uns. Ihnen geht voraus, dass wir etwas gedacht, erlebt oder beobachtet haben. Das kann ein eigener Gedanke sein, eine Äußerung von jemandem oder auch eine Erinnerung an etwas. Vom Gefühl zum Bedürfnis zu navigieren, braucht Übung.
Rosenberg sagte: »Niemand kann mich fühlen machen.« Im Alltag kann es verlockend sein, andere zum Auslöser eigener Gefühle zu ernennen. »Ich fühle mich von dir missverstanden«, ist kein echtes Gefühl. Die »Weil-du …, fühle ich mich … -Gleichung« beinhaltet Bewertungen und oft Anschuldigungen, die hinderlich für einen wertschätzenden und empathischen Kontakt sind. In der GFK spricht man von Pseudogefühlen (Interpretationsgefühle). Hilfreich ist es zu hinterfragen, was ich fühle, wenn ich denke, dass eine Person etwas Bestimmtes tut, und dann sein Gefühl zu formulieren. Echte Gefühle sind frei von Interpretation oder Vergleichen.
»Ich fühle mich wütend, weil mir ein transparenter Umgang wichtig ist«, bringt mein Gefühl der Wut zum Ausdruck. Statt: »Ich fühle mich von dir übergangen.« (Hier gebe ich dem anderen die Macht über meine Gefühle, formuliere eine Schuldzuweisung und benenne kein echtes Gefühl.)
Damit ich ein Bedürfnis benennen kann, muss ich es einordnen. Es gibt unterschiedliche Arten von Bedürfnissen (materiell und immateriell).
Rosenberg zufolge einen Bedürfnisse die Menschen. Es gibt universell gültige Bedürfnisse, wie sie beispielsweise auch von Maslow formuliert wurden. (Siehe dazu auch Kap. 12 Bedürfnisse und Entwicklungsaufgaben und ihre Bedeutung für Führung.) Hierin liegt die verbindende Gemeinsamkeit mit unserer Umwelt.
Was die Menschen trennt, ist die jeweilige Art der Bedürfnisbefriedigung. Also, mit welcher Strategie verfolgen sie die Erfüllung eines entsprechenden Bedürfnisses und was hat diese Strategie zur Folge (Konflikt oder Frieden)? In der GFK dient die Aufmerksamkeit dem Auffinden einer gemeinsamen Strategie zur Bedürfnisbefriedigung. Ich kann für mein Bedürfnis sorgen und bei meinem Gegenüber empathisch hinhörend dessen Bedürfnisse vermuten (wichtig: nicht wissen!)
Bedürfnisse machen Hintergründe transparent. Anderen wird dadurch klar(er), was uns bewegt und was uns wichtig ist. Wie bei den Gefühlen braucht es zunächst die Wahrnehmung des eigenen Befindens, um das entsprechende nichterfüllte Bedürfnis abzuleiten und zu formulieren. Durch das Aussprechen meines Bedürfnisses übernehme ich die Verantwortung für mein Erleben und Empfinden. Im Gegensatz dazu stehen Vorwürfe, die einem anderen Schuld zuweisen.
»Du bist rechthaberisch«, drückt kein Bedürfnis aus, sondern wertet eine andere Person ab. (M)ein Bedürfnis bringe ich beispielsweise mit so einer Formulierung ein: »Mir ist Austausch auf Augenhöhe wichtig.« In Kombination mit einem Gefühl kann dieser »Bausatz« hilfreich sein: »Ich fühle mich … (Gefühl), weil ich … (Bedürfnis) brauche« oder Ich bin …, weil mir … wichtig ist.«
Der vierte Schritt ist meist wieder einfacher, weil das Gewünschte bereits eine Form in uns hat. Wir haben eine Idee davon, was wir als hilfreich empfinden. Die Bitte dient dazu, dem Gegenüber transparent zu machen, was wir uns wünschen.
Eine Bitte kann abgelehnt werden, sie stellt keine Bedingung oder Erwartung (Forderung) dar. Wird die Bitte nicht erfüllt, ist wichtig herauszufinden, was hinter dem ersten Nein steht. Das kann also auch bedeuten, herauszufinden, welches Bedürfnis gerade beim Gegenüber aktiviert ist.
Hilfreich ist es, die Bitte klar nachvollziehbar zu formulieren, sodass mein Gegenüber (gerne) dieser Bitte nachkommt. Menschen sind von Natur aus kooperative Wesen. Bitten sollen positiv zum Ausdruck bringen, was wir möchten. Die Bitte sollte erfüllbar sein und zu einer Handlung auffordern (ermuntern).
Richten Sie mit der Bitte den Fokus auf das Erwünschte: »Bitte legt eure Materialien zu Beginn bereit«, statt: »Ich möchte nicht mit leeren Tischen beginnen.« Klar und konkret bringt die Bitte zum Ausdruck, was ich möchte: »Kannst du noch einmal für alle wiederholen, was die Aufgabe ist?«, statt: »Jetzt konzentriere dich doch mal besser.«
Durch bewusstes Anwenden dieser vier Schritte soll ermöglicht werden, die eigene Wahrnehmung wertfrei zu filtern. Ausgelöste und wahrgenommene Emotionen werden klar ausgedrückt, ohne andere zu beschuldigen. Gleichzeitig sollen die Bedürfnisse aller Beteiligten Gehör finden und damit berücksichtigt und anerkannt werden. Mit der abschließenden Bitte wird deutlich, was die Beteiligten brauchen, um gut im Kontakt zu bleiben.
Hier eine erste Formulierungshilfe für die Kombination aller Schritte: »Wenn ich … (wertfreie Beobachtung), bin ich … (echtes Gefühl), weil mir … (unerfülltes Bedürfnis) wichtig ist. Ich wünsche mir … (konkrete Bitte).«
Systemische Gesprächsführung basiert auf den systemischen Grundannahmen. (Diese sind ausführlich beschrieben in Kapitel 4 Der systemische Ansatz in der Pädagogik.)
Das Verständnis darüber, dass jede Person in ein System, im Sinne eines sozialen Netzwerks eingebunden ist, wird mit dem Fokus auf die darin stattfindenden Dynamiken und Wechselwirkungen zum Ausdruck gebracht. Die Beteiligten eines Systems erleben Veränderung, wenn sich an einer Stelle (bei einer Person) etwas verändert. Dadurch verändert sich das System. In welcher Weise das System reagiert, lässt sich dabei nicht kausal (wenn … – dann …) vorhersagen.
Systemische Kommunikation (Beratung, Coaching) zeichnet sich durch vier Haltungsdimensionen aus (Barthelmess, 2016). Auf diesen entfalten systemische Methoden (Frageformen, Hypothesen) ihre Wirkung.
Die vier Haltungsdimensionen systemischer Kommunikation:
Die Haltung des Nicht-Wissens
Der »Problembesitzer« wird zugleich als »Lösungsbesitzer« angesehen und als solcher angesprochen. Vorschnelle Lösungen (wenn auch gut gemeint) werden zurückgehalten. Durch dieses »Vorenthalten« von Lösungen können sich Ressourcen und Lösungskompetenzen entfalten, die einen Entwicklungs- und Lernprozess anregen und ermöglichen.
Die Haltung des Nicht-Verstehens
Durch diese Haltung bleibt die Wirkung von ehrlicher und empathischer Neugier erhalten. Fragen, die dieser Haltung entspringen, dienen in hohem Maße der Selbstreflexion des Gegenübers und legitimieren sich überhaupt daraus. Wenn ich schon alles weiß, werde ich logischerweise wenig(er) Fragen haben. Nicht-Verstehen gleicht einer dienenden Funktion, sodass mein Gegenüber die eigene Situation, das eigene Problem und die Sichtweise darauf, konstruktiv reflektieren kann.
Die Haltung des Eingebundenseins
Barthelmess nutzt das Bild des gemeinsamen Tanzes im Kontakt. In der Haltung des Eingebundenseins wechseln sich die Rollen von Führen und Geführtwerden ab. Das Gespräch dient einem kooperativen Prozess, der beim Gegenüber zu neuen Erkenntnissen führt, aber auch beim Gesprächsführer (Berater), die er wiederum dem Gegenüber zur Verfügung stellt, beispielsweise durch Verstehensangebote und Hypothesen.
Die Haltung des Vertrauens
Indem ich Vertrauen in mein Gegenüber und dessen Ressourcen habe, kann sich dieses Vertrauen allmählich übertragen. Dadurch wächst das Selbstvertrauen.
Systemische Gesprächsführung ist konsequent ausgerichtet auf Ziel, Lösungen und Ressourcen. Die Art und Weise, wie ich selbst über eine bestimmte Situation denke und in Folge spreche, hat wesentlichen Einfluss auf den Kontakt und die Kommunikation mit dem Gegenüber.
In Kapitel 14 habe ich im Abschnitt Sprache spiegelt Wahrnehmung die »4 Stufen der Beeigenschaftung« (siehe Abbildung 15.2) eingeführt.
Abbildung 15.2: Die Stufen der Beeigenschaftung nach Barthelmess
In der Kommunikation lassen sich über das genaue Hinhören Informationen über die Wahrnehmung und Wirklichkeit des Gegenübers gewinnen. Die Art der Beschreibung einer Situation oder Person gibt Hinweise darauf, wie manifestiert ein Problem oder eine Eigenschaft bei einer Person wahrgenommen wird.
Das genaue Hinhören ist der erste Schritt im Gespräch:
Die unterschiedlichen Formulierungen verdeutlichen, wie das, was eine Person tut, zu einer ihr zugehörigen Eigenschaft wird und damit zu einer festen Zuschreibung werden kann. Auf Stufe 4 schließlich ist die Eigenschaft losgelöst von der Person und wird zur eigenen Instanz.
»Vater trinkt Bier.«
Das ist eine Beschreibung, die eine Handlung widerspiegelt. Das Verhalten ist ohne Wertung (qualitativ oder quantitativ) formuliert und könnte so auch durch eine Kamera beobachtet werden.
»Vater trinkt viel Bier.«
Auf dieser Stufe verändert sich die Formulierung, indem die wahrnehmende (erzählende) Person eine Deutung hinzufügt »viel«. Diese Deutung ist nicht objektiv und bleibt unscharf. Wie viel ist viel?
»Der abhängige Vater.«
In dieser Formulierung zeigt sich der Wechsel von einer Art, sich zu verhalten (Verhaltensweise), zu einer Zuschreibung der Persönlichkeit. Das Symptom wird fixiert durch diese Art der Formulierung. Es ist nicht mehr im Fokus, was die Person tut, sondern wie sie ist.
»Die Abhängigkeit des Vaters.«
Auf dieser vierten Stufe der Beeigenschaftung wird die Eigenschaft durch die Beschreibung in Form eines Substantivs verallgemeinert und zum statischen Marker. Die Person rückt in den Hintergrund und taucht in der Formulierung nicht mehr auf, (nur noch) die »Abhängigkeit« steht im Fokus.
Auf den Ebenen 3 und 4 fühlen sich die Betroffenen (die erzählende Person) hilflos und einer Situation oder Sache ausgeliefert. Das Problem erscheint für sie häufig so groß, dass der Weg zur Veränderung wenig sichtbar ist. Was ist hier eine gute Lösung? Worum geht es bei einer solchen Aussage? Wer besitzt das Problem? Die Person, die das Trinkverhalten beschreibt, oder die Person, die trinkt?
Folgende Leitfragen führen auf Stufe 1, die konkrete Handlungsebene:
»Der Schüler hat oft keine Hausaufgaben«, »Der faule Schüler«, »Die Faulheit des Schülers.« Die Art der Beeigenschaftung spiegelt das Erleben der beschreibenden Person. Es macht gleichzeitig deutlich, dass der Sprung von Stufe 1 und 2 auf Stufe 3 und 4 eine subjektive Zuschreibung darstellt. Es ist überhaupt nicht geklärt, ob der Schüler faul ist.
Die Bedeutung der verbalen Ebene für Veränderungen wurde beim Reframing bereits deutlich. Durch das »Verflüssigen« einer Eigenschaft in konkretes Verhalten öffnet sich der Lösungsraum.
Statt einer Eigenschaft, die zu einer Zuschreibung gehemmt führt, wird das Verhalten konkret beschrieben: verhält sich abwartend, ist bedacht, wägt ab. Dadurch werden weitere Fähigkeiten (an)erkannt. Das gezeigte Verhalten kann ein Hinweis auf ein vorhandenes Bedürfnis sein: Ich brauche mehr Sicherheit, um mich zu beteiligen. Die erweiterten Fähigkeiten können auch als Ressource in eine Lösung integriert werden. (Mehr zum Thema Reframing finden Sie in Kapitel 13 Der systemisch-konstruktive Blick auf Störungen.)
Sehe ich in meinem Gegenüber eine hilflose Person, die auf mich angewiesen ist, werde ich anders kommunizieren und in Beziehung sein, als wenn ich mich mit der Person gemeinsam auf die Ressourcen ausrichte, die in der entsprechenden Situation hilfreich(er) sein könnten. In dieser Haltung stärke ich die Selbstwirksamkeit und indirekt den Selbstwert sowie die Problemlösefähigkeit meines Gegenübers.
Überlegungen im Vorfeld des Gesprächs:
In Kapitel 13 Der systemisch-konstruktive Blick auf Störungen habe ich die systemischen Basisinterventionen Reframing und Hypothesen bilden beschrieben. Diese haben in der systemischen Gesprächsführung ihren festen Platz.
Systemische Frageformen sind ein weiteres wesentliches Element, um den Anspruch auf Lösungs- und Ressourcenorientierung zu erfüllen.
Die Transaktionsanalyse (TA) hat ihren Ursprung in der Psychologie und ist eine Theorie, die in den 1950er-Jahren von Eric Berne (US-amerikanischer Psychiater und Psychotherapeut) entwickelt wurde. Die TA befasst sich mit menschlichen Persönlichkeitsstrukturen, persönlicher Entwicklung und Kommunikation.
Aus der Arbeit mit seinen Klienten formte Berne das Modell zu einer umfassenden Theorie, die bis heute ihren Platz in der Organisationsberatung, Persönlichkeitsbildung (Erwachsenenbildung) und in der Psychotherapie hat.
Die Transaktionsanalyse identifiziert drei Ebenen der Persönlichkeit: Eltern, Erwachsene und Kinder. Diese Ebenen sind von Kindheit an als Ich-Zustand abgebildet und beeinflussen das Denken, Fühlen und Handeln und somit, wie Menschen miteinander interagieren. In der zwischenmenschlichen Kommunikation spielen sich laufend solche Transaktionen ab. Je nach Kontext und situativem Befinden (Stresslevel) agieren Menschen unterschiedlich aus den drei Ich-Zuständen heraus.
Das Modell ist hilfreich, um Verhaltensmuster zu verstehen und positive Veränderungen zu fördern, die in eine konstruktive Kommunikation und Zusammenarbeit münden. Konstruktive Kommunikation findet statt, wenn sich die Beteiligten auf der Ebene des Erwachsenen-Ich begegnen.
Vor allem in Konfliktsituationen lassen sich das Kommunikationsverhalten und das Beziehungsverhalten untersuchen, indem der Fokus auf die Ich-Zustände gerichtet wird. Klärungen können bewusst initiiert werden, wenn Muster und Störungen im Gesprächsverhalten erkannt sind.
Das Erwachsenen-Ich zeichnet sich durch folgende Fähigkeiten und Eigenschaften aus, die in Gesprächen zielführend und deeskalierend wirken. Es ist:
Eigenschaften der jeweiligen Zustände aus Eltern-Ich und Kind-Ich hingegen »befeuern« Gespräche durch diese Eigenschaften. Sie sind:
Berne unterscheidet komplementäre Kommunikation und Überkreuzkommunikation:
Komplementäre Kommunikation findet statt, wenn die jeweiligen Ich-Zustände komplementär aufeinander reagieren (siehe Abbildung 15.3). Komplementär bedeutet, dass sich die Ich-Zustände entsprechen, dies bezieht sich auf alle Ich-Zustände. Auch aus dem Eltern-Ich und dem Kind-Ich kann somit eine komplementäre Kommunikation erfolgen, wenn die Antwort darauf aus dem Eltern-Ich beziehungsweise aus dem Zustand des Kind-Ichs erfolgt.
Abbildung 15.3: Die Ich-Zustände der Transaktionsanalyse
Eine Überkreuzkommunikation (nicht-komplementär) findet statt, wenn die Ebenen sich kreuzen, wenn die Gesprächspartner also aus einem anderen Ich-Zustand heraus antworten als dem des Gegenübers. Wenn sich Personen im Gespräch beispielsweise angegriffen fühlen, tendieren sie dazu, in einen Ich-Zustand zu »rutschen«, der nicht dem Erwachsenen-Ich entspricht.
Als Lehrkraft können Sie vor dem Hintergrund des Modells Ihren Kommunikationsstil anpassen, indem Sie situativ zwischen den Persönlichkeitszuständen wechseln. Dadurch können Sie effektiver auf die Bedürfnisse Ihres Gegenübers eingehen. Es wirkt somit auch deeskalierend.
Berne sieht den Menschen von Geburt an als »okay« an. Dieser Status gilt zeitlebens. Menschen verfügen über die notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeiten (kognitiv, sozial, kommunikativ) für ein selbstbestimmtes Leben. Somit bildet die Transaktionsanalyse im Kern einen lösungs- und ressourcenorientierten Ansatz.
Jedem Menschen wird auf der Grundlage eines Lebensskripts, das sich bis zum siebten Lebensjahr formiert, eine der vier Grundhaltungen als Lebenseinstellung zu eigen (siehe Abbildung 15.4). Gleichzeitig ermöglicht eine Reflexion über die eigene (Lebens-)Grundhaltung, diese um weitere zu ergänzen. Auch wenn jede und jeder von uns bevorzugte Lebensgrundhaltungen haben (Muster), lassen sich diese entwickeln und aufbrechen.
Abbildung 15.4: Die vier Grundhaltungen der Transaktionsanalyse
Die Transaktionsanalyse ist ein Modell, das der persönlichen Entwicklung dient. Sie ermöglicht Einblick und Verständnis für das menschliche Miteinander. Durch die Reflexion eigener (situativer) Kommunikationsmuster und Lebensgrundhaltungen werden Entwicklungspotenziale und gleichzeitig eine Alternative zum bisherigen Handeln im Miteinander sichtbar.
Auch die abwertende Grundhaltung »Ich bin okay. Du bist nicht okay« gegenüber bestimmten Schülern oder ganzen Klassen wird ihre Wirkung auf der Beziehungsebene nicht verfehlen und das Konfliktgeschehen und das allgemeine Miteinander nachteilig beeinflussen.
Das Erkennen des Musters ist ein erster Schritt und kann in einem Coaching thematisiert werden. Sodass die Lehrkraft künftig selbstwirksam und souverän agiert und auch durch eine veränderte Haltung bessere Beziehungen zur Klasse aufbaut. Es gibt Bundesländer, wie beispielsweise Hessen und Baden-Württemberg, die gezielt Coachingangebote für Lehrkräfte anbieten, damit sich diese weiterentwickeln können. Mehr zur persönlichen und damit einhergehenden beruflichen Entwicklung finden Sie in Kapitel 22 Beratung und Coaching.
Die Vorbereitung eines Gesprächs ist wichtig, weil sie einen Rahmen steckt und für eine erste Klarheit bei Ihnen selbst sorgt. Was brauche ich als Lehrkraft, um ein gutes Setting für den Kontakt und die Kommunikation zu schaffen? Durch Ihre sorgfältige Planung und Ihre Vorüberlegungen können Sie innere Sicherheit gewinnen und dem bevorstehenden Gespräch mit mehr Gelassenheit begegnen. Es wird sich auch auf Ihr Gegenüber auswirken, wenn Sie vorbereitet und strukturiert durch das Gespräch führen.
Tabelle 15.2 zeigt die einzelnen Aspekte der Gesprächsvorbereitung. Nehmen Sie sich die Zeit für die Auseinandersetzung und Berücksichtigung dieser Punkte.
Fokus |
Impulse und Überlegungen |
---|---|
Blick auf die Beteiligten |
Wer wird beteiligt sein? Wie ist die Beziehung der Beteiligten untereinander? Habe ich alle Personen im Blick? Fehlt jemand? |
Blick auf äußere Rahmenbedingungen |
Welche Rahmenbedingungen liegen vor? (zeitlich, räumlich) Muss ich jemand informieren, zum Beispiel wegen Raumnutzung? Wird der Raum eventuell anderweitig genutzt zum terminierten Zeitpunkt? (Hausmeister, Schulleitung? etc.) Welche Sitzordnung bietet sich an? (Gespräch über Eck statt frontal gegenüber? Wenn es im Klassenzimmer stattfindet: am Pult oder am Schülertisch? Gesprächspartner nicht mit Blick aufs Fenster, das blendet) |
Blick auf den Anlass |
Was ist der Anlass für das Gespräch? Aus welchem Grund kommen wir zusammen? |
Blick auf die eigene Rolle |
Was ist meine Rolle? Wie geht es mir in meiner Rolle? Wie kann ich für dieses Gespräch mein professionelles inneres Team gut aufstellen? Welches Modell der Kommunikation ist mir für dieses Gespräch hilfreich? |
Blick auf Befindlichkeiten & Vorwissen |
Wem ist was bekannt? Wie geht es den Beteiligten im Hinblick auf das Gespräch? … auf das Thema? Gibt es dokumentierte Sachverhalte? (Schülerkartei etc.) |
Blick auf Ziele |
Was ist das beste Ziel aus meiner jetzigen Sicht? Aus welchem Grund ist das mein Ziel? Mit welcher zweitbesten Lösung wäre ich auch zufrieden? Vermutete (!) Ziele der anderen Beteiligten? Wie gehe ich mit eventueller Zielvielfalt um? |
Raum f ür Sonstiges |
In welcher Form führe ich Protokoll? (Protokollbogen der Schule? Eigenes Protokoll? Unterschrift am Ende?) Wie halte ich vereinbarte Verbindlichkeiten fest? |
Tabelle 15.2: Gesprächsvorbereitung
Kommunikation dient dem Austausch. Damit Gespräche gelingen, muss geklärt werden, aus welcher Perspektive das Gegenüber sich mitteilt. Manchmal ergibt sich im Gespräch ein »Engpass«, das kann ein Hinweis darauf sein, die Perspektiven zu klären. Womöglich nimmt der eine etwas ganz anderes wahr als der andere (siehe Abbildung 15.5). In Kapitel 4 beschreibe ich, wie Wirklichkeiten subjektiv gebildet werden. Jede dieser subjektiven Wirklichkeiten beeinflusst das Denken, Fühlen und Handeln.
Abbildung 15.5: Unterschiedliche Perspektiven (Quelle: horsegirl – stock.adobe.com
)
Über die unterschiedlichen Kommunikationsmodelle stehen Ihnen als Lehrkraft mehrere Wege der Gesprächsführung zur Verfügung. Vielleicht kombinieren Sie die im vorherigen Abschnitt beschriebenen Ansätze ja spielerisch miteinander.
Die Kommunikationsmodelle dienen auch dazu, sich selbst besser zu verstehen und zu steuern. Je mehr Übung Sie haben, desto leichter wird es Ihnen fallen, zielsicher und dennoch empathisch mit Ihren unterschiedlichen Kommunikationspartnern im Kontakt und Austausch zu sein. Mit der Sicherheit deeskalierender Strategien können Sie auch schwierigen Gesprächen gelassen entgegensehen.
So wie sich Gesellschaft in konstanter Veränderung befindet, befinden sich auch die Menschen in ihr in einem ständigen Entwicklung- und Anpassungsprozess. Beim Thema Eltern zeigt sich unter Pädagogen und Lehrkräften eine gewisse Brisanz und emotionale Aufgeladenheit. Eltern werden von »A wie abwesend« bis »Z wie zudringlich« beschrieben und bewertet. Ein Seufzen ist nicht selten zu vernehmen und der Eindruck festigt sich, dass Eltern schwieriger geworden seien. Und selbst wenn dies objektiv so ist, ist doch das Ziel, sie zu Kooperationspartnern im schulischen Bündnis für das Kind zu gewinnen.
Menschliches Verhalten einzuordnen, sollte meines Erachtens dazu dienen, ein besseres Verstehen zu ermöglichen, und keine statische Diagnose sein. Der Überblick über die Elterntypen soll daher einen Einblick in die unterschiedlichen Schwerpunkte des jeweiligen Verhaltens geben. Um die jeweiligen Erziehungs- und Beziehungsstile zu benennen, haben sich in der Typisierung bildhafte Begriffe etabliert.
Hier eine Auswahl an Typen, die Ihnen im schulischen Kontext begegnen können:
Abschlepper-Eltern
Eltern des Typs »Abschlepper« sind allzeit zur Stelle, wenn ihr Kind Hilfe benötigt. Bei jeder Herausforderung stehen die Eltern bereit, »den Karren aus dem Dreck zu ziehen«. Sie eilen herbei und übernehmen unverhältnismäßig viel Verantwortung für die Problemlösung oder Überwindung eines Hindernisses. Das kann so weit gehen, dass Eltern Referate oder Präsentationen verfassen, weil das Kind den Termin sonst nicht einhalten kann. Im späteren Alter zeigen sich solche Gesten zum Beispiel im Begleichen von Schulden. Das Kind macht die Erfahrung, dass die Eltern auftauchende Probleme lösen, und bleibt in der eigenen Entwicklung zum selbstständigen (mündigen) und verantwortungsvollen Erwachsenen zurück.
Flugzeug-Eltern
Dieser Elterntyp zeichnet sich dadurch aus, dass die Eltern Erfahrungen und Herausforderungen bewusst verarbeiten und integrieren und dem Kind als Familie zur Seite stehen. Der Stil ist auf Kollaboration (Zusammenhalt und Zusammenarbeit) hin ausgerichtet.
Helikopter-Eltern
Ähnlich wie die Abschlepper-Eltern sind Eltern vom Typ »Helikopter« äußerst engagiert. Tendenziell ängstlich und überbesorgt um das Wohlergehen und die Sicherheit ihres Kindes kreisen sie wie ein Helikopter ständig über ihrem Kind und sind jederzeit bereit, zu intervenieren. Aus Angst und Sorge neigen sie dazu, übermäßig in das Leben ihres Kindes einzugreifen, sei es in der Schule, bei Freizeitaktivitäten oder in sozialen Beziehungen. Diese Eltern tendieren dazu, ihren Kindern wenig Freiraum zu geben, und begründen ihr ängstliches Eingreifen mit der Absicht, dass ihr Kind erfolgreich und glücklich sein soll.
Rasenmäher-Eltern (auch Curling-Eltern oder Schneepflug-Eltern)
Eltern vom Typ »Rasenmäher« mähen metaphorisch den Weg für ihr Kind. Sie neigen dazu, Hindernisse und Herausforderungen aus dem Weg zu räumen, bevor ihr Kind ihnen überhaupt begegnen kann. Sie versuchen, potenzielle Herausforderungen im Voraus zu beseitigen, anstatt die Kinder auf diese vorzubereiten oder durch Krisen zu begleiten. So vermeiden sie beispielsweise unangenehme oder schwierige Situationen, sie fangen Kritik oder Frustration ab oder mischen sich sogar direkt in Schulangelegenheiten ein, um sicherzustellen, dass ihr Kind erfolgreich ist und keine Schwierigkeiten hat. Dem Kind fehlen Situationen, an denen es die eigene Widerstandsfähigkeit (Resilienz) und den Umgang mit Frustration trainieren kann.
Taxi-Eltern
Eltern vom Typ »Taxi« chauffieren ihr Kind regelmäßig in die Schule und zurück nach Hause, zu verschiedenen Aktivitäten wie zum Beispiel zum Sport, zum Musikunterricht und zu anderen Freizeitveranstaltungen. Je nach Anzahl der Kinder ist das logistisch mit viel Zeit verbunden. Der Weg zur Schule wird als unzumutbar oder sogar gefährlich eingeschätzt und nicht trainiert. Taxi-Eltern befördern ihr Kind von morgens bis abends von einem Ort zum nächsten und stellen sicher, dass ihr Kind an allen geplanten Aktivitäten teilnehmen kann. Die gemischte Haltung aus »Ich traue dir das nicht zu« und »Ich mute dir das nicht zu« begrenzt (bis verhindert), dass das Kind durch die Bewältigung von Aufgaben selbstwertstärkende Erfahrungen sammeln kann.
U-Boot-Eltern
U-Boot-Eltern zeichnet, im Gegensatz zur Überpräsenz anderer Typen, ein eher unaufmerksames Verhalten aus. Sie sind wenig sichtbar und tauchen regelrecht ab. Ihr Kind erhält dadurch vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit, sodass zunächst nicht wahrgenommen wird, was es aktuell beschäftigt oder in welcher Situation es sich befindet. Dadurch kann es sein, dass ihr Kind in Situationen gerät, die vermeidbar gewesen wären, wenn sich jemand gekümmert hätte. Werden Probleme wahrgenommen, tendieren U-Boot-Eltern dazu, die Lösung des Problems abzugeben (zum Beispiel an Lehrkräfte). U-Boot-Eltern nehmen häufig kein schulisches Kontaktangebot (Elternabend, Elternsprechtag) wahr. Wenn ihr Kind jedoch schulisch in Not kommt (versetzungsgefährdet ist), tauchen sie auf und stellen Forderungen und drohen auch nicht selten mit rechtlichen Maßnahmen.
»Eltern und Schule tragen die Verantwortung für die Bildung und Erziehung der Kinder und Jugendlichen. Dieser Auftrag des Grundgesetzes kann nur in einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit erfolgreich umgesetzt werden.« (Kultusministerkonferenz)
Lehrkräfte und Eltern eint der Auftrag für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen. Dementsprechend fallen jeweils Aufgaben in die Zuständigkeit von Familie und Schule. Ein vertrauensvolles Bündnis zwischen Lehrkraft und Eltern und Erziehungsberechtigten ist eine wichtige Voraussetzung, um dieses Wohl des Kindes nicht aus den Augen zu verlieren.
Gesprächsanlässe zwischen Eltern und Schule können konfliktgeladen sein. Da die Gespräche in der Regel in der Schule stattfinden, einem Ort voller Erinnerungen an eigene Schulerfahrungen, sind solche Gespräche von gewissen äußeren Bedingungen berührt, müssen diesen aber nicht unterliegen.
Eltern und Erziehungsberechtigte sind in aller Regel näher am Kind dran. Der Blick ist dadurch eingeschränkter.
Pädagogen haben eine größere emotionale Distanz. Dadurch ist ihr Blick aufs Kind ein anderer. Hinzu kommt, dass sich Menschen in unterschiedlichen Kontexten anders zeigen. Schüler sind in der Schule in einer anderen Rolle als daheim als Sohn oder Tochter. Dadurch zeigt sich ihr Verhalten auch durchaus unterschiedlich. Sich dies klarzumachen und auch im Gespräch als Ausgangssituation zu benennen, kann hilfreich sein.
Gehen Sie von der Kompetenz der Eltern aus. So wie Ihnen qua Amt eine Kompetenz zugesprochen wird, gilt dies auch für Eltern.
Wenn Eltern oder Erziehungsberechtigte die Zusammenarbeit nur zögerlich zulassen, dann ist meist davor schon einiges »passiert«, was zu solch einer Haltung führen konnte. Freuen Sie sich auf jedes Gespräch, es gibt immer etwas zu lernen.
Eltern, die sich schwertun, störendes oder auffälliges Verhalten des eigenen Kindes anzunehmen, können mit Leugnen reagieren. »Das kann gar nicht sein. So etwas höre ich zum ersten Mal. Zu Hause ist das nie der Fall. Dann hat ihn (oder sie) jemand provoziert. Dann haben Sie als Lehrkraft etwas falsch gemacht.« So oder so ähnlich klingen dann die ersten Antworten. Bevor das Gespräch jetzt in ein Hin und Her verfällt, hilft am besten, professionell zu bleiben. Welche innere Logik könnte hinter so einem Leugnen stecken?
Die Abwehr kann zunächst eine Abwehr von Kritik an der elterlichen Führung sein. Eine Art Schutzmechanismus sich selbst gegenüber. Dieser Hypothese können Sie direkt folgen, indem Sie zum Beispiel sagen: »Kann es sein, dass Sie einen Angriff auf sich als Eltern (Vater, Mutter) heraushören?« An der Reaktion darauf werden Sie merken, ob Sie ins Leere schießen oder ins Schwarze treffen.
Eine andere Hypothese ist diese: Es könnte auch sein, dass die Abwehr aus schlechtem Gewissen erfolgt. Eltern, die wenig Zeit für ihr Kind haben oder aktuelle häusliche Krisen erleben, entwickeln (unbewusst) Schuldgefühle und durch die Abwehr schützen sie ihr Kind im Nachhinein. Es ist quasi eine nachträgliche Widergutmachung für fehlende Aufmerksamkeit. Auch hier können Sie sich vorantasten: »Angenommen, es gibt gute Gründe dafür, dass Ihr Sohn (Ihre Tochter) sich gerade so verhält, welche(r) davon ist für uns als Schule wichtig zu wissen, sodass wir angemessen darauf eingehen können?« Jetzt sprechen Sie eine »Einladung« aus, die das Wohl des Kindes in den Mittelpunkt stellt, ohne Schuldzuweisungen. Ihr Gegenüber hat die Wahl und dadurch die Freiheit zu entscheiden, wie es reagiert.
In meiner Zeit als Ausbilderin für die Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst wurde beim Thema Eltern regelmäßig offenbar, wie angstbesetzt dieses Thema ist. Den Rollenwechsel von der Schüler- oder Studierendenrolle zur Lehrkraft und damit zur Führungskraft zu vollziehen, ist ein wichtiger Schritt. Dieser Rollenwechsel muss stattfinden, um Gespräche mit Eltern und Erziehungsberechtigten gut zu führen.
Alle Eltern waren irgendwann einmal selbst Schüler, vielleicht sogar an derselben Schule wie jetzt das eigene Kind. Diese verinnerlichte Erfahrung tragen sie in sich und bringen sie auch in die Begegnungen und Gespräche mit. Je nachdem, wie die eigene Schulzeit erlebt wurde, kann sich dies stärker auf das elterliche Agieren auswirken.
Fragen Sie die Eltern offen nach deren eigenen Erfahrungen:
Solche Fragen können als Türöffner dienen. Sie kommen dann beim Gegenüber an, wenn Sie ein ehrliches Interesse an der Antwort haben. Keine Sorge, das Gespräch wird deswegen nicht ausufern. Sie können Aussagen auch wertschätzend und staunend stehen lassen. Bedanken Sie sich auf jeden Fall für den Einblick. Die gewonnenen Informationen wirken sich beziehungsstärkend aus: Sie haben jetzt gerade etwas Persönliches ausgetauscht. Gleichzeitig finden Sie charmant heraus, wie die Einstellung zur Schule ist, und können so eventuelle innere Widerstände besser einordnen.
Gespräche mit Eltern können anspruchsvoll sein und mitunter auch emotional geladen. Schwierig sind solche Gespräche dann, wenn beide Gesprächsparteien, also Lehrkraft und Eltern handlungsohnmächtig sind. Die Führung des Gesprächs liegt bei der Lehrkraft. Das heißt, diese Führung gilt es, über den Verlauf des Gesprächs zu bewahren. Das setzt ein hohes Maß an kommunikativen Kompetenzen voraus und gleichzeitig eine gute Selbstführung.
Damit Ihr Wirken deeskalierend gelingt, ist ein kontinuierlicher Abgleich von Perspektiven, Interessen und Bedürfnissen notwendig. Die eigene Wahrnehmung und Befindlichkeit einzubinden und gleichzeitig dem Gegenüber dessen Sichtweise samt Befindlichkeit zuzugestehen, ist komplex.
Zentrale Variablen im Gespräch werden Sie mit etwas Übung immer besser aufgreifen können, sodass das Abgleichen der Sichtweisen und das Ausbalancieren der Bedürfnisse gelingen können (siehe Abbildung 15.6).
Abbildung 15.6: Die Balance im Gespräch
Mit dem PEPSI-Check können Sie die zentralen fünf Variablen an den Fingern einer Hand abzählen und so trotz aller Emotionen einem inneren roten Faden folgen:
Herausfordernde Bedingungen im Gespräch sind gegeben, wenn es um die Klärung von Konflikten geht. Damit Sie sich nicht in einem Schlagabtausch von Beschuldigungen, Rechtfertigungen und einem wenig zielführenden Hin und Her verfangen, hat sich die Triangulation bewährt (siehe Abbildung 15.7).
Das Gespräch dient dem Austausch oder dem Abgleich von Informationen und Perspektiven über einen bestimmten Sachverhalt. Das, worum es geht (Sachverhalt/Thema), können Sie visualisieren, indem Sie es auf einem Blatt Papier festhalten. Dieses legen Sie in die Mitte. Wenn das Gespräch droht, zum Schlagabtausch zwischen den Beteiligten oder zwischen Ihnen und den Beteiligten zu werden, lenken Sie den Fokus wieder zurück auf den Sachverhalt. Die Visualisierung dient als Erinnerung und Anker für das, worum es geht.
Abbildung 15.7: Die Triangulation im Konfliktgespräch
Als Lehrkraft kommunizieren Sie ständig mit Ihren Schülern. Sei es im Unterricht, in den Pausen, auf dem Weg vom Parkplatz zum Schulgebäude, in den Fluren, in persönlichen Gesprächen oder in Konfliktgesprächen.
Ihre Schüler haben den Vorteil, dass sie vergleichsweise entspannt beobachten können, wie Ihr Kommunikationsstil und Ihr Kommunikationsmuster sind.
Schüler jeden Alters haben sehr feine Antennen dafür, wahrzunehmen, in welcher Haltung die Lehrkraft mit ihnen spricht und ob sie kongruent kommuniziert. Sie nehmen sehr direkt wahr, ob das Beziehungsangebot auf Respekt und Wertschätzung basiert.
Ich weiß, wie herausfordernd es sein kann, über den Schultag hindurch in all den unterschiedlichen Konstellationen professionell freundlich und gelassen zu bleiben. Manchmal möchte einem fast der Kragen platzen. Zumindest ging es mir schon so …
Sätze wie
»Gibt’s deinen Aufschrieb auch in schön?«
sind wenig zielführend. Sie verschaffen zwar eine kurzfristige Abreaktion, blockieren jedoch unter Umständen den Kontakt zum Schüler (die Macht der Kränkung ist hier zu bedenken) und bringen den Unterricht unnötig ins Stocken, weil eventuell Publikum angezogen wird oder unnötige Rechtfertigungen in Gang kommen. Im Abschnitt Dimensionen der Klassenführung in Kapitel 3 berichte ich über den Welleneffekt, ein Übertragungsphänomen, das Jacob Kounin (der Pionier des Classroom Managements) erlebt hat.
Wenn Sie auf unerwünschtes Verhalten eingehen, formulieren Sie klar, was stattdessen erwünscht ist (am besten nicht von Ihnen persönlich), sondern von der Gemeinschaft der Lehrkräfte (von mir aus auch international).
Variante: Wenn Sie keine Negativbeispiele haben (Glückwunsch!), dann gehen Sie in Gedanken zu möglichen Situationen, in denen Sie positiv formulierte Sätze aussprechen könnten.
Auch Gespräche mit Schülern bedürfen einer Grundhaltung von Wertschätzung, Empathie und ehrlichem Respekt. Wie erfolgreich diese Gespräche verlaufen, ist davon abhängig, wie stabil die individuelle Beziehung zwischen Ihnen und Ihren Schülern ist.
Schaffen Sie zunächst eine Atmosphäre, die einen Austausch ermöglicht. Ein Gespräch zwischen Tür und Angel ist zwar leicht umzusetzen, lässt jedoch auch nur begrenzt eine Atmosphäre von Vertrauen und Vertraulichkeit zu.
Fühlen Schüler sich verhört, werden sie eher von ihrem »Recht zu schweigen« Gebrauch machen oder in Verteidigung und Rechtfertigung fallen. Solche Gespräche sind anstrengend für alle Beteiligte. Schnell verfängt man sich in einem Ping-Pong-artigen Dialog, der unbefriedigend bleibt, weil er zu keinem rechten Ergebnis führt und jenseits des roten Fadens zu viel Energie abverlangt.
Welche ihrer Konflikte Schülerinnen und Schüler zur Lehrkraft tragen, hängt von der Altersstufe und von der Schwere des Vorfalls ab. Letzteres unterliegt natürlich einer subjektiven Einschätzung. Bevor Sie ungefragt einen Auftrag (und sich damit vorschnell der Lösung des Problems) annehmen, begegnen Sie dem Schüler oder der Gruppe von Schülern etwa so: »Ich höre, was du sagst. Und ich habe dazu meine Gedanken und eigenen Fragen. Doch jetzt möchte ich zuerst von dir (euch) wissen, was denn jetzt die Frage anmichist? (Wobei kann ich behilflich sein?)«
Indem Sie den Ball zurückspielen mit der Frage, was jetzt wirklich gebraucht wird, nehmen Sie die Schüler in ihrer Fähigkeit zur Verantwortungsübernahme für Lösungen ernst. Sie geben den Schülern dadurch Raum, wahrzunehmen, was die eigenen Bedürfnisse sind. So können die Schüler prüfen, was sie von Ihnen benötigen.
Kindern und Jugendlichen ist es manchmal einfach nur wichtig, der Lehrkraft quasi vom Vorfall zu erzählen. Sodass sich daraus für Sie, außer dem Hinhören, kein weiterer Auftrag ergibt. So kommt vor, dass die Antwort der Schüler lautet: »Ich wollte es nur erzählen, damit Sie Bescheid wissen.«
Durch den Puffer der Auftragsklärung erledigen sich meiner Erfahrung nach viele Angelegenheiten durch die Kompetenz der Schüler. Dadurch werden Sie langfristig im Alltag entlastet. Natürlich müssen Sie die Konfliktlösefähigkeiten und ein lösungsorientiertes Gesprächsverhalten mit Ihren Schülern üben und regelrecht trainieren. Das fällt definitiv in den Bereich des präventiven Classroom Managements und gehört damit zu Ihren Aufgaben als Lehrkraft. (Mehr zu den Methoden des präventiven CRM finden Sie in Kapitel 20.)
Wenn Lehrkräfte zu schnell einspringen (wenn auch gut gemeint), nehmen sie Schülern Entwicklungschancen. Außerdem sind Sie als Lehrkraft dann verantwortlich für das, was rauskommt. Und wenn das nicht zufriedenstellend ist, stehen Sie in der Kritik, denn es war ja Ihre Idee. Wenn Ihre Schüler wissen, dass Sie präsent sind und bei Bedarf zur Seite stehen, stärkt das auch das Vertrauen und das wiederum wirkt sich positiv auf die Beziehung aus.
Bereits Kinder im Grundschulalter sowie auch Jugendliche können sich gut auf das Skalieren einlassen, also auf einer Skala mit einem Wert verorten, wie sie etwas wahrnehmen, denken oder fühlen.
Skalierungen sind prima geeignet, um unterschiedliche Wahrnehmungen auszusprechen. Durch die Skala wird die Emotion sichtbar und anerkannt. Gleichzeitig federt das Versachlichen schon deutlich die emotionale Ladung ab.
Die Einschätzung der Lehrkraft kann meiner Erfahrung nach deutlich besser angenommen werden, wenn man in der Folge qualitative Unterschiede der einzelnen Werte aufzeigt.
Schularten, die durch ihre Lernsettings auch Coaching-Gespräche anbieten, führen Reflexions- und Zielgespräche. Die Arbeit mit Skalierungen eignet sich sehr gut als Coachinggrundlage. Auch die »KLARO!«-Methode aus Kapitel 20 ist hier wirksam.
In meinen Fortbildungen treffe ich immer wieder Grundschullehrkräfte, die bereits über auffälliges Verhalten in der ersten Klasse berichten. Schülerinnen und Schüler, die sich nicht an Regeln anpassen und sich auch der Lehrkraft direkt widersetzen. Um zu verstehen, was sich in solchen Situationen abspielt, braucht es zielführende Reflexionsmethoden.
In Kapitel 13 habe ich im Abschnitt Wie wir auf Störungen blicken bereits drei Perspektiven auf Störungen aufgezeigt. Ein Einflussfaktor auf Verhalten kann auch ein innerer Loyalitätskonflikt beim Kind sein. Diese Loyalitätskonflikte unterliegen unterschiedlichen Faktoren (zum Beispiel sozial oder kulturell).
Gut gemeinte Formulierungen wie Wenn du in die Schule kommst, musst du dir nichts gefallen lassen! bringen das Kind aber in innere Konflikte. Setzt es sich gegen seine Mitschüler und Lehrkräfte durch, bedient es die elterliche Einstellung. Wenn Sie als Lehrkraft nun intervenieren und das Kind mit Regeln konfrontieren, verstärkt sich unter Umständen der innere Konflikt, denn es will die Loyalität zur Familie nach außen erhalten. Im Zweifel entscheidet sich ein Kind für die Eltern.
Wie erreichen Sie nun dieses Kind? Über die Eltern! Was wäre das Schlimmste, das Ihrem Kind hier in der Schule aus Ihrer Sicht widerfahren könnte? Wovor wollen Sie es am liebsten schützen? Wie gehen Sie es an, Ihr Kind vor diesen Situationen zu schützen? Daran anknüpfend erfolgt die Überleitung zu Ihrer Perspektive als Lehrkraft. Auch ich habe für Ihr Kind die besten Absichten. Ich möchte, dass es hier in der Schule seinen guten Platz innerhalb der Gruppe findet. Es ist mir daher wichtig, dass wir für Ihr Kind einen guten Weg finden, sich hier in der Schule zurechtzufinden, jedoch innerhalb der Regeln für einen guten Umgang miteinander. Wie können wir verhindern, dass Sie in absehbarer Zeit wieder hier sitzen, weil Ihr Kind sich nicht an Regeln hält (und sich damit auch in eine mögliche Ausgrenzung im Lernraum Schule begibt)? Was fällt in Ihren Aufgabenbereich und was in meinen?
Ein weiteres Phänomen für den elterlichen Einfluss auf das Verhalten des eigenen Kindes sind die sogenannten stillen Aufträge. Kinder spüren, wofür sie Anerkennung erhalten und Liebe. Sie versuchen, den Eltern zu gefallen und deren Erwartungen zu erfüllen. Damit sichern sie sich Zugehörigkeit und Bindung, zwei Aspekte des psycho-sozialen Grundbedürfnisses nach Beziehung. (Die Bedürfnistheorien und deren Auswirkungen auf menschliches Verhalten habe ich in Kapitel 12 Bedürfnisse und Entwicklungsaufgaben und ihre Bedeutung für Führung beschrieben.) »Nichts hat einen stärkeren psychologischen Einfluss auf die Kindheit als das ungelebte Leben der Eltern.« Damit deutet C. G. Jung auf das Ausmaß und die Wirkkraft solcher stillen Aufträge hin.
Wenn Kinder den Erwartungen einerseits gefallen wollen, diese jedoch nicht »liefern« können, entsteht ein innerer Konflikt. Kinder versuchen, innere Konflikte unterschiedlich abzureagieren. Auffälliges Verhalten könnte ein Zeichen für eine solche Abreaktion darstellen. Im Verlauf der Entwicklungsphasen im Jugendalter und mit zunehmender Abgrenzung von Eltern und Erziehungsberechtigten kann das bislang angepasste Verhalten in die andere Richtung umschlagen. Das Kind, inzwischen jugendlich, lehnt sich gegen die stillen Aufträge und die damit verbundenen Glaubenssätze auf.
Es kann sich lohnen, in Gesprächen mit Schülern und Eltern diesem Phänomen achtsam nachzuspüren. Wenn aus gut gemeinten Wünschen am Ende einschränkende Erwartungen werden, liegt die Verantwortung bei den Erwachsenen (Eltern), das System wieder in die gesunde Balance zu bringen.
Gegenüber Eltern können Sie zum Beispiel in diese Richtung vorstoßen:
Gegenüber Schülern können Sie sich zum Beispiel so herantasten: