Kapitel 15

Meine Klasse, ihre Eltern und ich

IN DIESEM KAPITEL

  • Gesprächsanlässe und -formate
  • Kommunikationsmodelle stützen Inhalt und Beziehung
  • Gespräche mit Eltern und Schülern
  • Was Gespräche (negativ) beeinflussen kann

Auch wenn Classroom Management begrifflich den Classroom, das Klassenzimmer, fokussiert, enden die damit verbundenen Aufgaben nicht an der Grenze des Klassenzimmers. Schulische Erwartungen an den Schüler führen mitunter zu Loyalitätskonflikten beim Kind und Jugendlichen. Ihre Schüler bringen ihre biografischen Prägungen, ihr soziales Leben und damit auch ihre Familien mit in den Handlungsraum Schule. Daher richtet sich ein wirksames Classroom Management auch auf die Eltern und Erziehungsberechtigten aus.

Die Führungsaufgaben als Lehrkraft sind kommunikativ angelegt. Damit Ihnen als Lehrkraft Gespräche in unterschiedlichen Situationen gelingen, ist ein Verständnis für Sprache und ihre Wirkung und damit ein Einblick in die Theorien der Kommunikationspsychologie relevant. So etablieren Sie ein professionelles Handwerkszeug für Ihr tägliches Tun in Beratung und Begleitung.

Vorgegebene Formate im Jahreslauf

Im Laufe eines Schuljahrs fallen vielfältige Gesprächsanlässe an, die in Ihren Verantwortungsbereich fallen. Diese Anlässe können sich situativ ergeben oder aber fest im Jahresplan verankert sein.

Klassenpflegschaftssitzung (Elternabend)

Regelmäßig (mindestens zwei Mal pro Schuljahr) muss ein Elternabend stattfinden. Die Leitung unterliegt dem Klassenlehrer, die offizielle Einladung kommt jedoch von den Elternvertretern der Klasse. Diese Absprache der Einladung und der Tagesordnung ist an sich schon ein kommunikativer Anlass. Informieren Sie Ihre Elternvertreter frühzeitig über Ihre Planungen. Bedenken Sie, dass Sie die Beziehung auch hier gestalten, indem Sie zum Beispiel Mitsprache ermöglichen über Termine oder Uhrzeiten. Geben Sie der Perspektive der Eltern Raum, denn damit drücken Sie auch Interesse an einem gelungenen Abend für alle Beteiligte aus. Partizipation wirkt motivierend (wie sich Mitbestimmung auf Motivation auswirkt, greife ich in Kapitel 14 Vom Wert der Motivation auf). Gleiches gilt für Ihre Kolleginnen und Kollegen, die ebenfalls eine Einladung erhalten.

Meine Klassenpflegschaftsabende habe ich gerne begonnen mit dem Satz: »Sie haben tolle Kinder. Gehen Sie heute Abend bitte nach Hause und sagen Sie Ihrem Kind das.« Und dieser Satz nutzt sich nicht ab, denn ich meinte das stets aufrichtig. Selbst wenn ich durch bestimmtes Verhalten beim Schüler herausgefordert war, konnte ich den Menschen dahinter sehen.

Die irritierten Gesichter der Eltern nach dieser Aussage sind meist eine erste Reaktion. Damit rechnen sie nicht. Es schlägt ihnen gleichzeitig eine Brücke, selbst in ein Gefühl von Akzeptanz und Dankbarkeit für ihr Kind zu kommen. Verhalten und Person zu trennen, ist wichtig hierfür. Ich bin den Eltern als Modell einen Schritt voraus: Wenn es mir als Lehrkraft gelingt, dann kann es den Eltern selbst auch gelingen, zumal sie stärker emotional verbunden sind.

Was ist das Ziel eines solchen Abends? Ziel sollte sein, den Eltern das Gefühl zu vermitteln, dass ihr Kind bei Ihnen gut aufgehoben ist. Das erfordert, die eigene Haltung sichtbar zu machen. Sorgen Sie für eine gute Atmosphäre und auch hier heißt es, die Willkommenskultur zu leben. Machen Sie es den Eltern leicht, Sie und Ihren Raum zu finden, schildern Sie dazu, wenn nötig, den Weg im Gebäude aus. Es ist unprofessionell, gleichzeitig mit den Eltern zu kommen und den Raum erst herzurichten. Sorgen Sie dafür, dass abgestuhlt ist und die Tische und Fächer in einem angemessenen Zustand (delegieren Sie dies an die Schüler). Stellen Sie Getränke bereit, es wird sich auf lange Sicht auszahlen.

Einen guten Eindruck hinterlassen Sie auch, wenn Sie gut organisiert und strukturiert durch den Abend führen. Machen Sie die Tagespunkte sichtbar und geben Sie Fragen der Eltern Raum. Visualisieren Sie wichtige Inhalte, damit Eltern den Informationen gut folgen können. Das ist letztlich auch in Ihrem Interesse, denn es schützt Sie vor vielen Rückfragen, die unter Umständen später kommen. Halten Sie die Zeit unbedingt ein. Wenn ein Tagesordnungspunkt zu viel Raum einnimmt, besprechen Sie, was jetzt Raum erhalten soll. All diese Aktionen zeigen Ihr Führungshandeln.

In meinen ersten Dienstjahren habe ich an diesen Abenden auch kleine Themen-Einheiten behandelt. Dazu können Sie Ihre Eltern fragen, was gerade zentrale Themen sind (Konzentration, Pubertät, Umgang mit Widerständen), und eines davon in einem kurzen Abriss (15 Minuten) platzieren. Ihre Eltern sind oft sehr dankbar für solche Impulse. Zeigen Sie sich als Mensch mit professionellem Vorsprung.

Elternsprechtag

Die unterschiedlichen Gesprächsanlässe unterliegen bestimmten formalen Bedingungen. Manche davon können Sie mitgestalten, auf andere haben Sie kaum bis keinen Einfluss. So ist die zeitliche Taktung der Gespräche beim Elternsprechtag meist vorgegeben und stark begrenzt (5 bis 10 Minuten pro Person). Ein solches Format bestimmt wesentlich den Inhalt des Gesprächs und hebt sich auch deutlich ab von anderen Gesprächen. In diesem Fall steht die Information über die schulischen Leistungen des Schülers (Notenstand und Notenzusammensetzung) im Vordergrund. Lagern Sie Gespräche aus und bieten Sie die Möglichkeit, sich online zu besprechen. Das ist in den letzten Jahren eine gute Alternative geworden.

Auch wenn an so einem Tag oder Halbtag eine Begegnung in die nächste übergeht, hinterlässt sie einen Eindruck auf beiden Seiten. Und dass dieser Eindruck positiv umrahmt ist, fällt in Ihren Aufgabenbereich. Von Begrüßung und Small Talk über Sitzordnung und Dekoration hin zu Raum für Fragen liegt diese Gestaltung in Ihren Händen. Stellen Sie auch ein solch eher anstrengendes Format unter eine Willkommenskultur, die nach außen hin sichtbar wird. Dazu gehört auch eine Ausschilderung, sodass Sie in Ihrem Raum gut gefunden werden, und ein Wartebereich mit Sitzgelegenheiten.

Klassenkonferenz

Auch die Klassenkonferenz stellt ein Gesprächsformat dar. Die Leitung liegt beim Klassenlehrer, dieser lädt auch offiziell ein. Kommunizieren Sie transparent und sprechen Sie Termine unter Umständen vorher ab. Denken Sie stets an alle Kolleginnen und Kollegen. Diejenigen in Teilzeit sind auf klare Kommunikation angewiesen, denn mit ihnen sind spontane Absprachen im Schulalltag aufgrund weniger Präsenz schlicht schwerer möglich. Es ist mir leider selbst auch immer wieder passiert, dass ich ganz schnell etwas mit anwesenden Kollegen besprochen und dabei vergessen habe, dies dann weiterzutragen an die anderen nicht Anwesenden. In meinen letzten Dienstjahren war ich selbst Teilzeitkraft und es ist wirklich unschön, als Letzte informiert zu werden oder kurzfristige Änderungen durch Zufall zu erfahren.

In welchem Setting kann ein »guter« Austausch stattfinden? Sorgen Sie dafür, dass die Konferenz zu einem Zeitpunkt stattfindet, an dem konstruktives Arbeiten möglich ist. Gespräche werden beeinflusst vom Befinden der Beteiligten. Eine Konferenz im unmittelbaren Anschluss (nach einer 6. Stunde) ist herausfordernd. Die Lehrkräfte hatten meist noch keine Pause, der Kopf ist gefüllt mit den Eindrücken des Vormittags und die Gefahr ist, eine innere Haltung von »Absitzen« einzunehmen. Das wird den Schülern nicht gerecht.

Wozu dient eine Konferenz? Sie soll den unterrichtenden Lehrkräften einer Klasse dazu dienen, sich über Entwicklung und Aktuelles von Schülern auszutauschen, Sichtweisen zu hören und Vereinbarungen zu treffen. Der multiperspektivische Ansatz soll den Möglichkeitsraum professionellen Handelns sichtbar machen. In Kapitel 13 Der systemisch-konstruktive Blick auf Störungen gehe ich unter anderem ausführlich auf die Bedeutung von Hypothesen ein. Sie bilden einen wichtigen Schritt für die Lösungsfindung und damit verbundene Interventionen. Hypothesen in einem Kollegenteam zu entwickeln, kann sehr fruchtbar sein, da hier die unterschiedlichen (fachbezogenen) Erfahrungen der einzelnen Lehrkräfte den Blick weiten.

Konferenzen haben auch das Potenzial, dass sich alle als Teil eines Teams erleben. Sind Sie selbst die Klassenleitung, schaffen Sie eine Willkommenskultur für sich und Ihre Kolleginnen und Kollegen. Auch hier hat der äußere Rahmen eine Wirkung auf die Beteiligten. Überlegen Sie sich vorab, welche Sitzordnung sinnstiftend ist, legen Sie einen zeitlichen Rahmen für die gesamte Konferenz und für Teilthemen fest. Lassen Sie sich unterstützen, indem Sie hierfür zum Beispiel einen Zeitwächter einführen. Klären Sie vorab, wie Sie protokollieren. Halten Sie im Protokoll wesentliche Inhalte genauso fest wie Vereinbarungen und die dafür Verantwortlichen samt verbindlicher Terminierungen und Deadlines. Ein Protokoll im Tabellenformat mit separaten Spalten für Wer ist verantwortlich? und Bis wann zu erledigen? tut hier gute Dienste. Sorgen Sie auch für einen ungestörten Rahmen. Seien Sie kreativ und laden Sie Ihre Kollegen ein, zu Beginn bewusst den Blick auf Gelingendes zu richten. Was läuft bereits gut? ist eine berechtigte Frage. Die Antworten darauf ermöglichen, dass Schüler (und Kollegen) in einem anderen Licht wahrgenommen werden. »Kein Problem tritt immer auf!« (siehe Kapitel 18). Niemand sagt, dass eine Klassenkonferenz nur Negatives thematisiert.

Schriftliche Kommunikation

Der Kontakt und die Kommunikation über E-Mail sind inzwischen etabliert. Viele Schulen haben hierfür ein eigenes Mailsystem, sodass Sie als Lehrkraft eine persönliche Schul-E-Mail-Adresse haben. Gleiches gilt für Schüler, sodass Sie über die Schüleradresse deren Eltern anschreiben können. Dies bringt mit sich, dass vertrauliche (nicht fürs Kind bestimmte) Informationen über andere Wege ausgetauscht werden müssen. Dies ist ein Punkt, den Sie zu Beginn eines Schuljahrs ansprechen sollten. Damit landet das Thema auf der Tagesordnung und wird in einem Protokoll festgehalten. Nicht anwesende Eltern und Erziehungsberechtigte werden über das Protokoll informiert, auf das Sie sich berufen können.

Für die Kommunikation im digitalen Raum gibt es die »Netiquette«, ein Orientierungsrahmen für Haltung und Handeln im Internet. Bezogen auf die Online-Kommunikation zählen hierzu textlich-formale Aspekte, wie Anrede, Grußformel und Signatur. Inhaltlich umfasst sie Werte wie Höflichkeit und die Einhaltung sozialer Normen.

Klären Sie zunächst für sich:

  • Welche Informationen wollen Sie über E-Mails übermitteln?
  • Welche Anliegen sind per Mail willkommen? Welche gar nicht?
  • Nutzen Sie Mails für situative, einmalige Anliegen?
  • Nutzen Sie Mails in wiederkehrender Form für allgemeine Anliegen (eine Art Newsletter)?
  • Wie sind Sie erreichbar, das heißt, wie schnell können und wollen Sie auf eine Mail reagieren?
  • Welche Wünsche haben Sie bezüglich der Antwort (Reaktion) aufseiten der Eltern?

Ich habe immer wieder erlebt, wie sich Kolleginnen und Kollegen regelrecht aufregen und es als unverschämt empfinden, wenn Eltern ihnen spät abends oder am Wochenende schreiben. Warum ist das ärgerlich? Was löst diesen Ärger aus? Welche Intention der Nachricht lesen Sie aus einer sonntäglichen Mail? Einen Appell, sofort zu antworten? Selbst wenn Ihr Adressat Ihnen eine Frage stellt oder davon ausgeht, dass Sie kurzfristig diese Nachricht lesen: Sie entscheiden, worüber Sie sich ärgern! Es könnte ja auch sein, dass Ihr Gegenüber vielleicht einfach zu einem für ihn passenden Moment schreibt, damit der Gedanke aus dem Kopf ist. Macht es das wirklich besser, wenn E-Mails nur zu Geschäftszeiten ankommen? Wer bestimmt diese Geschäftszeiten? Klären Sie die angesprochenen Punkte, schaffen Sie Transparenz für einen Handlungsrahmen und reflektieren Sie, was Sie wirklich ärgert. Und vielleicht sorgt übers Wochenende eine Abwesenheitsnotiz mit einer automatischen (freundlichen) Antwort für den notwendigen (emotionalen) Puffer.

Allgemeine Erreichbarkeit

Die Arbeitszeiten einer Lehrkraft unterscheiden sich von denen vieler anderer Berufe. Eltern, die berufstätig sind, sind in ihrer Arbeitszeit an bestimmte äußere Bedingungen gekoppelt. Fragen Sie solche Bedingungen zu Beginn eines Schuljahrs ab, sodass Sie für Einzelfälle eventuell gesonderte Absprachen treffen.

Ansonsten überlegen Sie sich:

  • WIE werde ich telefonisch erreichbar sein? (Sekretariat, Privatnummer, Mobilnummer?)
  • WANN werde ich telefonisch erreichbar sein? Und wann nicht?
  • Soll ein Telefongespräch via E-Mail angemeldet werden? (Mit Anliegen, damit Sie wissen, worum es geht?)

Ich habe in 23 Jahren noch nie (!) schlechte Erfahrungen damit gemacht, meine Privatnummer bekannt zu geben. Viele Jahre sogar meine Mobilnummer. Es schien mir persönlich immer eine zu große Hürde, wenn Eltern erst im Sekretariat anrufen müssen und ich dann via Zettel im Fach informiert werde (oder auch nicht). Ich finde außerdem, dass das Sekretariat mit anderen Aufgaben hinreichend zu tun hat. Aber das nur am Rande …

Gesprächsformate im schulischen Alltag

Neben dem Unterrichtsgespräch findet sich im schulischen Alltag ein breites Spektrum an Gesprächsformen:

  • Geplante (terminierte) Gespräche
  • Ungeplante (spontane) Gespräche
  • Gespräche mit Auftrag (von außen initiiert)
  • Gespräche mit eigenem Anliegen (von der Lehrkraft oder Schule initiiert)

Innerhalb dieses Spektrums finden unterschiedliche Anlässe und Anliegen der Beteiligten ihren Raum:

  • Weiterentwicklung und Perspektiven
  • Akutfälle und Notfälle in Konfliktsituationen
  • Hilfe bei Behörden
  • Austausch über Schüler und deren Verhalten
  • Beschwerden über Schüler und deren Verhalten
  • Probleme und Konflikte mit anderen
  • Persönliche Anliegen von Eltern
  • Sorge der Eltern
  • Erziehungsfragen
  • Persönliche Anliegen der Schüler

Ziel sind Problemlösungen, Entscheidungsfindungen, Deeskalation, Fokus auf Weiterentwicklungen sowie Informationsaustausch. Es geht im Kern um Ihre Schüler und je nach Anlass ist der Kreis der Beteiligten dementsprechend. Gemeinsamer Nenner ist meist der Wunsch nach einer »guten Lösung« oder der Blick auf ein festgelegtes Ziel.

Die gute Lösung oder das Ziel kann jedoch durchaus subjektiv unterschiedlich ausfallen. In einem Gespräch, das sich um eine Konfliktlösung zwischen zwei Streit-Parteien dreht, wird eine Schülerin, die mehr Verantwortung an der Situation trägt, nicht automatisch Einsicht in die Konsequenzen haben. Ihr Interesse gilt, das Ausmaß an Konsequenz gering zu halten.

Sie haben vielleicht bemerkt, dass ich im eben formulierten Beispiel weder von »Täter« noch von »Schuld« spreche und dennoch klar zum Ausdruck bringe, dass ein Konflikt mit unterschiedlichen Beteiligten vorliegt. Schuldzuweisungen führen tendenziell zu Abwehr- und Rechtfertigungsmechanismen. Dadurch erschwert sich die Kommunikation, weil der Blick auf das Ziel zunächst durch solche Nebenschauplätze getrübt wird.

Konfliktgespräche stellen eine Sonderform von Gesprächen dar. Damit alle Beteiligten ihr Gesicht wahren können und ein Win-win erreicht wird, bedarf es konzentrierter Moderation ebenso wie der Kenntnis über Unterscheidungsmerkmale für das Konfliktausmaß.

Vielleicht kennen Sie den Film Der Rosenkrieg (1989) mit Michael Douglas und Kathleen Turner. Die beiden spielen ein Ehepaar, das zunächst glücklich verliebt später eine tragische Trennung durchlebt. Ihr Wunsch nach einer Scheidung steigert diese Trennungsgeschichte in eine derartige Eskalation, weil schließlich beide nur noch ihre eigenen Interessen im Blick haben und in Kauf nehmen, dass sie sich (ihrem Ziel) dadurch auch selbst schaden. Dreh- und Angelpunkt ist das gemeinsame Haus und je höher der Konflikt eskaliert, desto weniger Fähigkeit und Bereitschaft besteht, eine akzeptable Lösung zu erreichen. Keiner der beiden ist bereit, auf das Haus zu verzichten, und bevor es der andere bekommt, wird es mehr und mehr mutwillig zerstört (was dazu führt, dass das eigene Ziel nicht mehr erreicht werden kann). Das Ganze endet im Lose-lose, dem schlimmsten anzunehmenden Fall auf der Konfliktleiter. Beide Parteien gehen als Verlierer hervor. Diesen Fall gilt es, in der Gesprächsführung zu vermeiden.

Wenn Sie sich intensiv mit dem Thema Konflikte, Konfliktstufen und Deeskalation befassen möchten, empfehle ich Georg E. Becker »Lehrer lösen Konflikte« (seit 1983 ständig überarbeitet), Friedrich Glasl »Phasenmodell der Eskalation« (1980) sowie Christoph Thomann »Klärungshilfe« (1998).

Kommunikationsmodelle

Damit Sie als Lehrkraft wirksam kommunizieren, bedarf es eines Ausflugs in die Welt der Kommunikationstheorien. Die Auswahl an unterschiedlichen etablierten Theorien ist breit. Alle befassen sich mit der Interaktion zwischen den Beteiligten (Sender und Empfänger). Die Theorien bieten neben der jeweiligen Grundhaltung Modelle an, die Sie auf Ihre Arbeit übertragen können. Jedes Modell lädt zur Selbstreflexion ein; je mehr Sie über sich und Ihre Kommunikation verstehen, desto mehr sind Sie in der Lage, auf Ihr Gegenüber einzugehen. Es kommt auch Ihrer Gesundheit zugute, denn Sie reduzieren Ihren Ärger über andere und deren Verhalten, wenn Sie die Modelle über die Situationen legen und sich in der direkten Kommunikation als kompetent erleben.

Abbildung 15.1 soll veranschaulichen, welche drei Intentionen mich beim Blick auf die Theorien leiten. Mit dem MRT erhalten Sie Einblick und Durchblick in Modelle, deren Relevanz für Sie als Lehrkraft und Umsetzungsbeispiele für den Transfer auf Ihre konkrete Arbeit. Jede der ausgewählten Theorien hätte die Berechtigung für einen eigenen Band. Ich bin mir klar, dass ich die Modelle nur allgemein und verknappt darstelle und auch lediglich eine Auswahl abbilde. Vor dem Hintergrund meiner drei genannten Intentionen kann ich dies jedoch vertreten.

Kommunikationsmodelle schaffen einen Orientierungsrahmen für Ihr professionelles Handeln und spiegeln auch Haltung. Sie dienen auf der Metaebene für das Verstehen der komplexen Prozesse bezüglich Beziehung und Sache. Sie ermöglichen außerdem Reflexion und Perspektivwechsel. Dies stärkt Ihre empathischen Fähigkeiten und das Miteinander im Kontakt.

Venn-Diagramm mit drei Kreisen: "MODELLE", "TRANSFER", "RELEVANZ", zeigt Schnittmengen von Bildungskonzepten.

Abbildung 15.1: Intentionen der Kommunikationsmodelle

In der Kommunikation gibt es einen Sender und einen Empfänger. Verstehen und verstanden werden erfolgt über die Rollen als Hörer und Sprecher. Diese Rollen wechseln im Gespräch fortlaufend. In Gesprächen im schulischen Kontext (mit Schülern, mit Eltern, mit Kollegen, mit der Schulleitung und anderen) helfen unterschiedliche Modelle, die kommunikativen Anlässe professionell zu strukturieren und empathisch zu steuern.

Die Funktion von Kommunikation ist fester Bestandteil persönlicher Entwicklung und eine Grundlage zur Selbstreflexion, für ein gelingendes Miteinander und für das eigene Konfliktverhalten. Daher ist die Kommunikation in den verschiedenen Schularten und Jahrgängen im Bildungsplan verankert. Vertreter, auf die verwiesen wird, sind neben Marshall B. Rosenberg und Friedemann Schulz von Thun auch Thomas Gordon und Paul Watzlawick sowie Eric Berne mit seiner Transaktionsanalyse. Die folgenden Modelle sind an unterschiedlichen Stellen explizit in den Bildungsplänen aufgeführt, so findet sich im Bildungsplan der Grundschule (BW) die Gewaltfreie Kommunikation zum Beispiel im Fach Sachunterricht unter dem Thema »Leben in Gemeinschaft« sowie in der Oberstufe im Gymnasium im Wahlfach Psychologie unter »Das Individuum in Interaktion mit anderen«. (Den Ansatz des Vier-Seiten-Modells habe ich bereits vor mehr als 20 Jahren im Deutschunterricht der Hauptschulklassen vermittelt.) Und auch in den beruflichen Schulen haben die Modelle zur Kommunikation ihren verbindlichen Platz.

Kommunikation ist gelebte Begegnung. Sie kann nicht gelehrt werden. Genauso wie Sie das Kuchenbacken auch nicht alleine durch das Lesen von Rezepten lernen werden. Die Vermittlung einer wertschätzenden Kommunikation lebt von Modellen, an denen sich Schüler orientieren können, und vom Erproben und Reflektieren und nicht zuletzt von konstruktivem Feedback.

Die Modelle mit ihrem jeweiligen theoretischen Verständnis zu kennen, ist das eine. Die Modelle im jeweiligen kommunikativen Kontext sinnstiftend anzuwenden (umzusetzen), das andere. Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie auch herausfordernde Gespräche steuern können, ist auf jeden Fall höher, wenn Sie sich mit den unterschiedlichen Ansätzen auseinandersetzen. Welches Modell dient Ihnen für den beruflichen und persönlichen Alltag?

Vier-Seiten-Modell einer Nachricht

Das Vier-Seiten-Modell (Kommunikationsquadrat) des Kommunikationspsychologen Friedemann Schulz von Thun ist ein Klassiker unter den Kommunikationsmodellen, das einer Nachricht vier Ebenen zuschreibt: Sachinhalt, Selbstoffenbarung, Beziehung und Appell.

  • Die Sachebene fokussiert den reinen Inhalt.
  • Über die Selbstoffenbarung (auch Selbstkundgabe) gibt der Sender Informationen über sich selbst preis.
  • Die Beziehungsebene beschäftigt sich mit der Beziehung zwischen Sender und Empfänger.
  • Die Appellebene beinhaltet eine beabsichtigte Handlungsaufforderung.

Analog zu den vier Seiten einer Nachricht gibt es die vier Ohren, mit denen eine Nachricht vom Empfänger aufgenommen (gehört) und interpretiert wird.

Das Modell macht die Vielschichtigkeit von Kommunikation deutlich, indem es nicht nur den offensichtlichen Inhalt einer Nachricht analysiert, sondern auch die persönlichen Aspekte von Sender und Empfänger, die Beziehungsdynamik der Beteiligten und sowohl die beabsichtigte als auch die interpretierte Handlungsaufforderung berücksichtigt. Sie können mich ja einmal neugierig durch das folgende Beispiel begleiten und sich fragen, wie Sie wohl reagieren würden.

Ein Klassiker zur Verdeutlichung der vier Seiten ist die folgende (alltagsnahe) Situation: Ein Pärchen sitzt im Auto. Nehmen wir an, der Mann fährt und sie ist die Beifahrerin. Sie bewegen sich auf eine Ampel zu, die auf Rot schaltet. Sie sagt in einem neutralen Tonfall: »Da vorne ist rot.« In dieser Aussage liegen vier mögliche Botschaften, die der Mann nun heraushören kann, und dementsprechend wird er reagieren und antworten. Wie würden Sie, liebe Leserin, lieber Leser, denn reagieren?

Der Mann könnte nun auf dem Sachohr hören und sagen: »Danke, ja, ich sehe es.« Hört er mehr mit dem Selbstoffenbarungsohr, wäre diese Antwort denkbar: »Mach dir keine Sorgen, ich sehe es.« Er würde vermuten, dass die Partnerin Sorge hat, dass er über die rote Ampel fährt und vielleicht eine Vollbremsung hinlegt, weil er die Situation zu spät erkennt. Würde er hingegen mit dem Beziehungsohr hören, wäre eine mögliche Antwort: »Du, ich habe meinen Führerschein jetzt auch schon zwanzig Jahre, ich weiß, wie man Auto fährt.« Somit hätte er in ihrer Aussage herausgehört, dass sie wenig von seinen Fahrkünsten hält, oder aber, dass sie der Meinung ist, dass er ohne sie die Situation nicht erkennt und sie folglich dazu braucht. Würde er auf dem Appellohr hören, wäre seine Antwort vermutlich, »Oh, ja (gut, dass du das sagst)«, und er würde sofort bremsen.

Was die Partnerin im Beispiel mit ihrer Aussage wirklich meint, weiß sie im Idealfall am besten. In der Antwort (Reaktion) des Gegenübers erkennen wir, was wir gesagt haben und ob die ursprüngliche Absicht (Intention) erfüllt wurde. Die Sachebene zu hören, ist nicht immer deeskalierend, denn wenn es sich um eine deutliche Selbstoffenbarung bei Ihrem Gegenüber handelt, dann wird eine sachliche Antwort Ihrerseits das Gespräch nicht unbedingt förderlich beeinflussen. Das Gegenüber fühlt sich dann nicht verstanden und wird dementsprechend reagieren. Spätestens jetzt wird deutlich, wie komplex Gespräche sind, und dafür gelingen Sie uns doch meistens ganz vernünftig, was meinen Sie?

Das Innere Team

In Kapitel 11 K.R.A.F.T.-Quellen wirksamer Selbstführung greife ich bereits ein Modell der inneren Pluralität auf, das IFS nach Richard Schwartz (IFS steht für Internal Familiy Systems). Der Kommunikationspsychologe Friedemann Schulz von Thun hat in seinem dritten Band Miteinander reden das Innere Team etabliert.

Das Konzept des Inneren Teams beschreibt die verschiedenen inneren Stimmen oder Persönlichkeitsanteile (Instanzen) in einer Person. Diese inneren Anteile (Teammitglieder) repräsentieren unterschiedliche Interessen, Überzeugungen oder Emotionen. Jeder von uns hat ein solches Innenleben, das sich über Erfahrungen festigt und bestimmte heimliche Aufträge für uns übernimmt. Bestimmte Situationen können auslösen, dass ein solches inneres Teammitglied die Führung übernimmt, weil es beispielsweise in der Absicht agiert: »Ich darf mir nichts gefallen lassen« oder »Ich muss stark sein« oder »Ich will gesehen werden.«

Kennen Sie das auch? Sie stehen vor einer Entscheidung und statt »einfach« zu entscheiden, fallen Ihnen zig verschiedene Möglichkeiten dafür und dagegen ein. In solchen Situationen formt sich ein situatives Inneres Team um ein Thema. Da gibt es dann zum Beispiel »den Bedenkenträger«, der den »Spontanen« abwertet, oder die »Motivierte« und die »Experimentierfreudige«, die auf die Interessen und Überzeugungen (Bedenken) der »Vernünftigen« und der »Vorsichtigen« stoßen. Und schon ist die Entscheidungsfähigkeit durch die innere Zerrissenheit ausgebremst.

Durch Selbstreflexion kann man die inneren Anliegen der Teammitglieder bewusster wahrnehmen und verstehen. Ziel ist es, ein ausgewogenes und konstruktives Inneres Team zu entwickeln, mit dem man »innerlich gut aufgestellt« in den Kontakt und in die Kommunikation gehen kann.

Das Modell ermöglicht, auch situativ auf innere Teammitglieder beim Gegenüber zu achten und diese im Verlauf der Kommunikation einzubinden. So kann es hilfreich sein, dem Gegenüber zu spiegeln, was man selbst gerade wahrnimmt. Eine Formulierung wie: »Ich höre Sie zweifeln. Kann es sein, dass sich da ein innerer ›Bedenkenträger‹ wehrt?«, kann ein Angebot sein, die inneren Teammitglieder konstruktiv mit ins Gespräch zu holen. Durch die Einbindung des Inneren Teams fühlt sich die Person nicht abgewertet, sondern kann im weiteren Verlauf für ein besseres (Selbst-)Verständnis und in der Folge für ein besseres Miteinander sorgen.

Personenzentrierte Gesprächsführung

Carl Rogers war ein bedeutender US-amerikanischer Psychologe und Psychotherapeut. Die personenzentrierte Beratung, die er ab den 1940er-Jahren entwickelte, betont die Schaffung eines unterstützenden und wertschätzenden Umfelds. Rogers glaubte an die Selbstverwirklichungstendenz des Menschen und betonte die Bedeutung von Empathie, Akzeptanz und authentischer Kommunikation aufseiten des Beraters (oder Therapeuten), um persönliches Wachstum und Selbstexploration zu fördern.

Die drei grundlegenden Aspekte der Haltung in der personenzentrierten Arbeit sind:

  • Empathie: Empathie zeigt sich als einfühlsames Verstehen. Im Umgang mit Schülern wird dies dadurch sichtbar, dass deren Lebenswelt und Sichtweisen nachvollzogen werden.
  • Kongruenz: Kongruenz zeigt sich, indem eine Person authentisch auftritt. Das ermöglicht einen echten Kontakt zu Schülern. Sie wirken dadurch glaubhaft, nahbar und verlässlich. Das Gegenteil wäre ein aufgesetztes und äußeres Verhalten, das nicht übereinstimmt mit Ihren inneren Zuständen und Überzeugungen. Kinder und Jugendliche haben ein sehr gutes Gespür dafür, ob jemand »echt« ist. Werden Sie als kongruent wahrgenommen, werden Schüler (und andere Personen) leichter eine Beziehung zu Ihnen aufbauen.
  • Wertschätzung: Wertschätzung zeigt sich in der positiven Zuwendung und Aufmerksamkeit. Im wertschätzenden Miteinander findet die Akzeptanz ihren Raum. Das ermöglicht, dass sich Kinder und Jugendliche öffnen können (ob sie dies tun, ist noch mal eine andere Frage, aber die generelle Einladung steht). Damit ist die Wertschätzung eine wichtige Währung in der Beziehungsarbeit.

Alle drei Aspekte müssen vorgelebt werden.

Für Rogers stehen folgende Interventionen im Zentrum seines Ansatzes, die auf der Basis genannter Haltungsaspekte angewendet werden. Das heißt, die Maßnahmen erfordern alle ein hohes Maß an Empathie, Wertschätzung und Kongruenz und bilden dadurch ein Resonanzfeld, das sich positiv auf jeden Beteiligten sowie auf die Beziehung auswirkt.

Alle drei Interventionen sind wichtige Maßnahmen zur Vorbeugung und Vermeidung von Missverständnissen:

  • Aktives Zuhören bedeutet, dem anderen die eigene Präsenz und Aufmerksamkeit zu signalisieren. Gleichzeitig wird immer wieder zusammengefasst, was verstanden wurde. Wer aktiv zuhört, gewährt dem Sprecher den Raum, statt zu unterbrechen und gleich eine Meinung zu äußern. Aktives Zuhören ist empathisches Zuhören und ein Dienst am anderen und dient gleichzeitig dem Miteinander und ist beziehungsstärkend.
  • Spiegeln bedeutet auf der inhaltlichen und verbalen Ebene die konkrete Wiedergabe dessen, was verstanden wurde. Spiegeln kann ich auch auf der nonverbalen Ebene durch Gestik und Mimik sowie auf der emotionalen Ebene, indem ich zeige, wie das Gesagte auf mich wirkt und welche Emotionen und Bedürfnisse ich beim Sprecher wahrnehme.
  • Ich-Botschaften wirken deeskalierend und bringen die Sicht des Sprechers zum Ausdruck. Sich über eine Ich-Botschaft auszudrücken, setzt einen gewissen Grad an Selbstreflexion voraus. Ich muss also zunächst wahrnehmen können, was mein situatives Erleben ist, und dieses dann angemessen formulieren. Das subjektive Erleben frei von Anklage (sachlich) mitzuteilen, steht dabei im Fokus. Bedürfnisse Hinweise und Wünsche werden mitgeteilt ohne die Färbung durch Erwartung und Vorwurf. So wird es für den Gesprächspartner leichter, das Gesagte anzunehmen, weil keine Verteidigung provoziert wird.

Ich-Botschaften werden formuliert, indem man seine eigenen Gefühle, Gedanken oder Bedürfnisse mitteilt, ohne dabei die andere Person zu beschuldigen oder zu kritisieren. Hilfreich ist folgender »Bauplan«: Ich fühle (Gefühl benennen), wenn (bestimmte Situation/Handlung beschreiben), weil (Grund/Auswirkung ausdrücken). »Ich fühle mich frustriert, wenn wir immer wieder dieselbe Diskussion haben, weil ich das Gefühl habe, dass meine Meinung nicht gehört wird, und das in mir Unmut auslöst.«

Das Gordon-Modell

Der Psychologe Thomas Gordon leitete ab den 1960er-Jahren aus seinen beruflichen Erfahrungen im Kontakt mit Kindern und Jugendlichen ab, welche Bedeutung der wertschätzenden Kommunikation und der gewaltfreien Konfliktlösung für eine gesunde Entwicklung des Menschen zukommt.

Er formulierte ein Modell der Kommunikation und Deeskalation, das die Beziehung und Kommunikation zwischen Eltern und Kindern und später Lehrkräften und Schülern verbessern sollte. Er folgte dabei der humanistischen Haltung Carl Rogers.

In Ergänzung zum Aktiven Zuhören und den Ich-Botschaften (siehe vorhergehender Abschnitt) lauten die tragenden Säulen im Gordon-Modell:

  • Umschalten (shifting gears):

    Im Gespräch Du-Botschaften »abfangen« zu können und selbst Ich-Botschaften zu senden, trägt dazu bei, dass ein Gespräch konstruktiv(er) verläuft. Umschalten bezieht sich auf die Fähigkeit des Wechselns zwischen aktivem Zuhören und Ich-Botschaften. Das erfordert ein hohes sprachliches Bewusstsein und Selbstreflexion sowie Übung.

  • Niederlaglose und machtfreie Konfliktlösung:

    Als Konfliktlösungsmodell strebt Gordon ein Win-win zwischen den Konfliktparteien an. Dieses Ergebnis einer Konfliktsituation soll kooperativ angestrebt werden. Der Verzicht auf Macht ist dafür selbstverständlich.

Das Verhaltensfenster

Gordon entwickelte als eine weitere zentrale Kategorie seines Modells das sogenannte Verhaltensfenster (siehe Tabelle 15.1). Als grafisches Hilfsmittel und Kern seines Konflikt- und Kommunikationsmodells wird mithilfe des Verhaltensfensters der Konflikt zunächst eingeordnet. Je nachdem, bei wem das Problem liegt, wird Verhalten in die Bereiche von Annahme und Ablehnung unterschieden. Dementsprechend wird dann auf eine Lösungsintervention verwiesen und diese dann umgesetzt.

Das Verhaltensfenster

Bereich der Annahme

Mein Gegenüber hat das Problem: dein Problem.

Aktives (empathisches) Zuhören

Niemand hat ein Problem: kein Problem.

Weiter so! Investition in die Beziehungspflege

Bereich der Ablehnung

Ich habe ein Problem: mein Problem.

Konfrontative Ich-Botschaften

Wir haben ein Problem: gemeinsames Problem.

Kooperative Strategien zur Problemlösung

Tabelle 15.1: Das Verhaltensfenster der Gordon-Methode

Die Angst vor der nächsten Klassenarbeit oder Prüfung stellt für einen Schüler ein Problem dar (er hat durch sein Thema einen Leidensdruck). Im Verhaltensfenster läge sein Problem daher im Bereich der Ablehnung und genauer als Ich habe ein Problem: mein Problem. Die Intervention Aktives Zuhören ermöglicht hier ein tieferes Verständnis für die Situation und das Erleben des Schülers. Durch die Einblicke in die Situation (Angstauslöser und Angstverstärker) und das empathische Zuhören könnten Wege entwickelt werden, die sich angstreduzierend auswirken.

Liegt ein Problem auf der Seite der Lehrkraft (oder Erzieher/Eltern), unterscheidet Gordon in zwei Arten von Konflikten: Bedürfnis- oder Wertekonflikt. Hilfreich beim Bedürfniskonflikt sind konfrontierende Ich-Botschaften. Beim Wertekonflikt empfiehlt Gordon Lösungsstrategien auf Augenhöhe (Win-win) anzuregen. Durch das gegebene hierarchische Verhältnis zwischen Lehrkraft und Schüler (Eltern und Kind) ist dies herausfordernd, weil die Beziehung auch von Machtstrukturen betroffen ist.

Kommunikationssperren

Gordon formulierte 12 Kommunikationssperren, die Erwachsene (Eltern, Pädagogen, Lehrkräfte) als Strategien »gerne« gegenüber Kindern anwenden. Diese wirken sich einschränkend auf das Miteinander aus (Gordon, 1998).

  • Befehlen, Anordnen, Kommandieren
  • Beraten, Lösungen anbieten, Vorschläge machen
  • Beruhigen, Sympathisieren, Trösten
  • Beschimpfen, Verspotten, Beschämen
  • Interpretieren, Analysieren, Diagnostizieren
  • Loben, Zustimmen, Manipulieren
  • Moralisieren, Predigen, Philosophieren
  • Nachforschen, Hinterfragen, Verhören
  • Urteilen, Kritisieren, Widersprechen, Beschuldigen
  • Vorhaltungen machen, Belehren, Logische Argumente anführen
  • Warnen, Ermahnen, Drohen
  • Zurückziehen, Ablenken, Witzeln, Ausweichen

Das Gordon-Modell ist übertragbar in unterschiedliche Kontexte. Gordons Ursprungswerk, die Familienkonferenz (1970), wurde weiterentwickelt zur Lehrer-Schüler-Konferenz (1989). Mit dem Ziel, situativ angemessene Kommunikationsformen anzuwenden. Es dient bis heute als international anerkanntes Konfliktlösungsmodell im Rahmen pädagogischer Beziehungsarbeit, dessen Wirksamkeit nachweislich bestätigt ist.

Den Kern seines Modells bildet das Verhaltensfenster. Es unterscheidet Verhalten in Annahme und Ablehnung und in eine problemfreie Zone und eine Problemzone. Wer sich im Bereich der Ablehnung (Nichtannahme) und damit in der Problemzone befindet, wird über bestimmte Interventionen (Aktives Zuhören, Ich-Botschaften) in den Bereich der Annahme und damit in die problemfreie Zone begleitet. Befinden sich alle Beteiligte in der Problemzone, werden im Problemlösungsprozess Strategien zur niederlaglosen Konfliktlösung gesucht und umgesetzt.

Gewaltfreie Kommunikation

Die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) von Marshall B. Rosenberg zielt darauf ab, Verständnis und Empathie zwischen Menschen zu fördern, sodass Konflikte konstruktiv gelöst werden können. Sie wird auch als empathische oder wertschätzende Kommunikation bezeichnet.

Rosenberg war Schüler Carl Rogers und dessen personenzentrierter Ansatz inspirierte ihn zur Entwicklung seines Modells. Vorrangiges Anliegen war es, eine Verständigung zu ermöglichen, die gegenseitig zum Ausdruck bringt, welche Bedürfnisse erfüllt oder nicht erfüllt sind. Die Haltung der gegenseitigen Hinwendung schafft Raum für die Bedürfniserfüllung und wirkt dadurch deeskalierend.

Die GFK betont die Beachtung von Bedürfnissen, das einfühlsame Zuhören und die Vermeidung von Schuldzuweisungen in der Sprache. Rosenberg zufolge liegt hinter einem bestimmten unangenehmen Gefühl ein unerfülltes Bedürfnis (und umgekehrt). Dieses unerfüllte Bedürfnis bei sich selbst wahrzunehmen, anzuerkennen und dafür einzustehen, ist Kern der Gewaltfreien Kommunikation. Sie stärkt damit in hohem Maße die Selbststeuerung, da die Erwartung, andere müssten doch wissen, was ich jetzt gerade brauche, wegfällt. Der Sprecher vertritt sich und die eigenen Bedürfnisse. Die GFK zielt auf ein gegenseitiges Verstehen und die Stärkung der empathischen Verbindung.

Für das gegenseitige, beziehungsweise wechselseitige Verstehen ist es hilfreich zu wissen, welche Gefühle zum Ausdruck bringen, dass grundlegende Bedürfnisse erfüllt oder nicht erfüllt sind. Es gibt ganze Listen und Navigationshilfen im Internet. Unter diesem Link verschaffen Sie sich einen Einblick über die Vielfalt an Bedürfnissen und Gefühlen: https://www.gfk-plus.net/listen/index%20listen.htm.

Wie können nun diese eigenen Bedürfnisse so ausgedrückt werden, dass sie vom Gegenüber gut aufgenommen werden können?

Symbolisch für die Repräsentation gewaltfreier und gewaltvoller Sprache dienen Rosenberg die Tiere Giraffe und Wolf. So wird die gewaltfreie Sprache als Giraffensprache bezeichnet und die gewaltvolle Sprache als Wolfsprache. (Im Original ist es übrigens ein Schakal.) Die Giraffe als Tier mit dem großen Herzen und dem langen Hals ist empathisch, annehmend, hört zu und ist offen für den Perspektivwechsel. Der Wolf (Schakal) dagegen sieht seine eigene Perspektive, will recht haben, verteidigt sich, klagt an, verletzt und ist fordernd (bis befehlend). Wer im Kontakt mit anderen Druck ausübt und seinen Willen über Macht durchsetzt (und damit die Bedürfnisse anderer übergeht), verhält sich »wölfisch«.

Das Modell der GFK besteht aus vier Schritten:

  1. Beobachtung: Was beobachte ich?

    Die Beobachtung bringt zum Ausdruck, was ich bei mir selbst und bei anderen wahrnehme. Dies erfolgt wertfrei. Konkret beobachtbar ist die Köpersprache (Gestik, Mimik), die gesprochene Sprache (Worte) und Verhalten. Wichtig: Nicht konkret beobachtbar dagegen sind Gefühle anderer, Absichten, Gedanken sowie Bedürfnisse.

    Die Trennung von Beobachtung und Interpretation ist in diesem ersten Schritt grundlegend. Das erfordert sowohl ein Verständnis als auch eine Sensibilität für Wahrnehmungsprozesse, da wir gewohnt sind, schnell einzuordnen und auch zu bewerten. Fällt die Interpretation weg, kann unser Gegenüber offen sein und im Kontakt bleiben. Ansonsten besteht die Gefahr, dass beim anderen Abwehr- und Verteidigungsreaktionen ausgelöst werden und das Gespräch im weiteren Verlauf von der gewünschten Richtung abweicht. (Das Thema Wahrnehmung und Wirklichkeitskonstruktion beschreibe ich in Kapitel 4.)

    »Du bist so ein Trödler« oder »Du trödelst immer so« sind Bewertungen. Die Beobachtung kann lauten: »Ich sehe, dass du mit deiner Aufgabe noch nicht begonnen hast, obwohl bereits drei Minuten vergangen sind.«

  2. Gefühl: Was fühle ich?

    Im zweiten Schritt werden die Gefühle ausgesprochen. Das erfordert eine hohe Sensibilität für das eigene Empfinden. Hier werden die Gefühle formuliert, die in meiner Verantwortung liegen. Es gibt auch irreführende Mitteilungen über Gefühle, so zum Beispiel, wenn ich dem anderen die Verantwortung für meine Gefühle »unterjuble«.

    Gefühle sind die Wegweiser zu unseren Bedürfnissen. Negative Gefühle sind die innere Warnlampe, dass es ein unerfülltes Bedürfnis gibt. Positive Gefühle sind ein Hinweis für erfüllte Bedürfnisse. Gefühle sind blitzschnell in uns. Ihnen geht voraus, dass wir etwas gedacht, erlebt oder beobachtet haben. Das kann ein eigener Gedanke sein, eine Äußerung von jemandem oder auch eine Erinnerung an etwas. Vom Gefühl zum Bedürfnis zu navigieren, braucht Übung.

    Rosenberg sagte: »Niemand kann mich fühlen machen.« Im Alltag kann es verlockend sein, andere zum Auslöser eigener Gefühle zu ernennen. »Ich fühle mich von dir missverstanden«, ist kein echtes Gefühl. Die »Weil-du …, fühle ich mich … -Gleichung« beinhaltet Bewertungen und oft Anschuldigungen, die hinderlich für einen wertschätzenden und empathischen Kontakt sind. In der GFK spricht man von Pseudogefühlen (Interpretationsgefühle). Hilfreich ist es zu hinterfragen, was ich fühle, wenn ich denke, dass eine Person etwas Bestimmtes tut, und dann sein Gefühl zu formulieren. Echte Gefühle sind frei von Interpretation oder Vergleichen.

    »Ich fühle mich wütend, weil mir ein transparenter Umgang wichtig ist«, bringt mein Gefühl der Wut zum Ausdruck. Statt: »Ich fühle mich von dir übergangen.« (Hier gebe ich dem anderen die Macht über meine Gefühle, formuliere eine Schuldzuweisung und benenne kein echtes Gefühl.)

  3. Bedürfnis: Was brauche ich?

    Damit ich ein Bedürfnis benennen kann, muss ich es einordnen. Es gibt unterschiedliche Arten von Bedürfnissen (materiell und immateriell).

    Rosenberg zufolge einen Bedürfnisse die Menschen. Es gibt universell gültige Bedürfnisse, wie sie beispielsweise auch von Maslow formuliert wurden. (Siehe dazu auch Kap. 12 Bedürfnisse und Entwicklungsaufgaben und ihre Bedeutung für Führung.) Hierin liegt die verbindende Gemeinsamkeit mit unserer Umwelt.

    Was die Menschen trennt, ist die jeweilige Art der Bedürfnisbefriedigung. Also, mit welcher Strategie verfolgen sie die Erfüllung eines entsprechenden Bedürfnisses und was hat diese Strategie zur Folge (Konflikt oder Frieden)? In der GFK dient die Aufmerksamkeit dem Auffinden einer gemeinsamen Strategie zur Bedürfnisbefriedigung. Ich kann für mein Bedürfnis sorgen und bei meinem Gegenüber empathisch hinhörend dessen Bedürfnisse vermuten (wichtig: nicht wissen!)

    Bedürfnisse machen Hintergründe transparent. Anderen wird dadurch klar(er), was uns bewegt und was uns wichtig ist. Wie bei den Gefühlen braucht es zunächst die Wahrnehmung des eigenen Befindens, um das entsprechende nichterfüllte Bedürfnis abzuleiten und zu formulieren. Durch das Aussprechen meines Bedürfnisses übernehme ich die Verantwortung für mein Erleben und Empfinden. Im Gegensatz dazu stehen Vorwürfe, die einem anderen Schuld zuweisen.

    »Du bist rechthaberisch«, drückt kein Bedürfnis aus, sondern wertet eine andere Person ab. (M)ein Bedürfnis bringe ich beispielsweise mit so einer Formulierung ein: »Mir ist Austausch auf Augenhöhe wichtig.« In Kombination mit einem Gefühl kann dieser »Bausatz« hilfreich sein: »Ich fühle mich … (Gefühl), weil ich … (Bedürfnis) brauche« oder Ich bin …, weil mir … wichtig ist.«

  4. Bitte: Worum bitte ich (mein Gegenüber)?

    Der vierte Schritt ist meist wieder einfacher, weil das Gewünschte bereits eine Form in uns hat. Wir haben eine Idee davon, was wir als hilfreich empfinden. Die Bitte dient dazu, dem Gegenüber transparent zu machen, was wir uns wünschen.

    Eine Bitte kann abgelehnt werden, sie stellt keine Bedingung oder Erwartung (Forderung) dar. Wird die Bitte nicht erfüllt, ist wichtig herauszufinden, was hinter dem ersten Nein steht. Das kann also auch bedeuten, herauszufinden, welches Bedürfnis gerade beim Gegenüber aktiviert ist.

    Hilfreich ist es, die Bitte klar nachvollziehbar zu formulieren, sodass mein Gegenüber (gerne) dieser Bitte nachkommt. Menschen sind von Natur aus kooperative Wesen. Bitten sollen positiv zum Ausdruck bringen, was wir möchten. Die Bitte sollte erfüllbar sein und zu einer Handlung auffordern (ermuntern).

    Richten Sie mit der Bitte den Fokus auf das Erwünschte: »Bitte legt eure Materialien zu Beginn bereit«, statt: »Ich möchte nicht mit leeren Tischen beginnen.« Klar und konkret bringt die Bitte zum Ausdruck, was ich möchte: »Kannst du noch einmal für alle wiederholen, was die Aufgabe ist?«, statt: »Jetzt konzentriere dich doch mal besser.«

    Durch bewusstes Anwenden dieser vier Schritte soll ermöglicht werden, die eigene Wahrnehmung wertfrei zu filtern. Ausgelöste und wahrgenommene Emotionen werden klar ausgedrückt, ohne andere zu beschuldigen. Gleichzeitig sollen die Bedürfnisse aller Beteiligten Gehör finden und damit berücksichtigt und anerkannt werden. Mit der abschließenden Bitte wird deutlich, was die Beteiligten brauchen, um gut im Kontakt zu bleiben.

    Hier eine erste Formulierungshilfe für die Kombination aller Schritte: »Wenn ich … (wertfreie Beobachtung), bin ich … (echtes Gefühl), weil mir … (unerfülltes Bedürfnis) wichtig ist. Ich wünsche mir … (konkrete Bitte).«

Systemische Kommunikation

Systemische Gesprächsführung basiert auf den systemischen Grundannahmen. (Diese sind ausführlich beschrieben in Kapitel 4 Der systemische Ansatz in der Pädagogik.)

Das Verständnis darüber, dass jede Person in ein System, im Sinne eines sozialen Netzwerks eingebunden ist, wird mit dem Fokus auf die darin stattfindenden Dynamiken und Wechselwirkungen zum Ausdruck gebracht. Die Beteiligten eines Systems erleben Veränderung, wenn sich an einer Stelle (bei einer Person) etwas verändert. Dadurch verändert sich das System. In welcher Weise das System reagiert, lässt sich dabei nicht kausal (wenn … – dann …) vorhersagen.

Systemische Kommunikation (Beratung, Coaching) zeichnet sich durch vier Haltungsdimensionen aus (Barthelmess, 2016). Auf diesen entfalten systemische Methoden (Frageformen, Hypothesen) ihre Wirkung.

Im schulischen Kontext sind Lehrkräfte oft in dem Selbstverständnis unterwegs, Lösungen bieten oder auch schnell wissen zu müssen, was los ist. Das wirkt einschränkend auf die Potenzialentfaltung von Schülern (aber auch von Eltern). Es wirkt sich außerdem auf die Beziehung aus, im schlimmsten Fall kann der Eindruck von Überheblichkeit oder gar Desinteresse bei Schülern (oder Eltern) entstehen.

Die vier Haltungsdimensionen systemischer Kommunikation:

  • Die Haltung des Nicht-Wissens

    Der »Problembesitzer« wird zugleich als »Lösungsbesitzer« angesehen und als solcher angesprochen. Vorschnelle Lösungen (wenn auch gut gemeint) werden zurückgehalten. Durch dieses »Vorenthalten« von Lösungen können sich Ressourcen und Lösungskompetenzen entfalten, die einen Entwicklungs- und Lernprozess anregen und ermöglichen.

  • Die Haltung des Nicht-Verstehens

    Durch diese Haltung bleibt die Wirkung von ehrlicher und empathischer Neugier erhalten. Fragen, die dieser Haltung entspringen, dienen in hohem Maße der Selbstreflexion des Gegenübers und legitimieren sich überhaupt daraus. Wenn ich schon alles weiß, werde ich logischerweise wenig(er) Fragen haben. Nicht-Verstehen gleicht einer dienenden Funktion, sodass mein Gegenüber die eigene Situation, das eigene Problem und die Sichtweise darauf, konstruktiv reflektieren kann.

  • Die Haltung des Eingebundenseins

    Barthelmess nutzt das Bild des gemeinsamen Tanzes im Kontakt. In der Haltung des Eingebundenseins wechseln sich die Rollen von Führen und Geführtwerden ab. Das Gespräch dient einem kooperativen Prozess, der beim Gegenüber zu neuen Erkenntnissen führt, aber auch beim Gesprächsführer (Berater), die er wiederum dem Gegenüber zur Verfügung stellt, beispielsweise durch Verstehensangebote und Hypothesen.

  • Die Haltung des Vertrauens

    Indem ich Vertrauen in mein Gegenüber und dessen Ressourcen habe, kann sich dieses Vertrauen allmählich übertragen. Dadurch wächst das Selbstvertrauen.

Wenn Sie ab jetzt diese vier genannten Haltungsdimensionen Stück für Stück in Ihrem Kontakt mit Schülern (und Eltern) umsetzen und ausprobieren – über welche Erfolge werden Sie dann in sechs Monaten freudig berichten?

Systemische Gesprächsführung ist konsequent ausgerichtet auf Ziel, Lösungen und Ressourcen. Die Art und Weise, wie ich selbst über eine bestimmte Situation denke und in Folge spreche, hat wesentlichen Einfluss auf den Kontakt und die Kommunikation mit dem Gegenüber.

In Kapitel 14 habe ich im Abschnitt Sprache spiegelt Wahrnehmung die »4 Stufen der Beeigenschaftung« (siehe Abbildung 15.2) eingeführt.

Grafik zeigt 4 Ebenen zum Umgang mit Persönlichkeitseigenschaften nach Barthelmess, mit Pfeil auf Stufe 1 als erwünschten Modus.

Abbildung 15.2: Die Stufen der Beeigenschaftung nach Barthelmess

In der Kommunikation lassen sich über das genaue Hinhören Informationen über die Wahrnehmung und Wirklichkeit des Gegenübers gewinnen. Die Art der Beschreibung einer Situation oder Person gibt Hinweise darauf, wie manifestiert ein Problem oder eine Eigenschaft bei einer Person wahrgenommen wird.

Das genaue Hinhören ist der erste Schritt im Gespräch:

  • Wie spricht die Person? Wie verwendet sie Sprache?
  • Erkenne ich »Geschenke« in Form von Eigenschaftswörtern (Adjektive) oder Hauptwörtern (Substantive)?

Die unterschiedlichen Formulierungen verdeutlichen, wie das, was eine Person tut, zu einer ihr zugehörigen Eigenschaft wird und damit zu einer festen Zuschreibung werden kann. Auf Stufe 4 schließlich ist die Eigenschaft losgelöst von der Person und wird zur eigenen Instanz.

  • »Vater trinkt Bier.«

    Das ist eine Beschreibung, die eine Handlung widerspiegelt. Das Verhalten ist ohne Wertung (qualitativ oder quantitativ) formuliert und könnte so auch durch eine Kamera beobachtet werden.

  • »Vater trinkt viel Bier.«

    Auf dieser Stufe verändert sich die Formulierung, indem die wahrnehmende (erzählende) Person eine Deutung hinzufügt »viel«. Diese Deutung ist nicht objektiv und bleibt unscharf. Wie viel ist viel?

  • »Der abhängige Vater.«

    In dieser Formulierung zeigt sich der Wechsel von einer Art, sich zu verhalten (Verhaltensweise), zu einer Zuschreibung der Persönlichkeit. Das Symptom wird fixiert durch diese Art der Formulierung. Es ist nicht mehr im Fokus, was die Person tut, sondern wie sie ist.

  • »Die Abhängigkeit des Vaters.«

    Auf dieser vierten Stufe der Beeigenschaftung wird die Eigenschaft durch die Beschreibung in Form eines Substantivs verallgemeinert und zum statischen Marker. Die Person rückt in den Hintergrund und taucht in der Formulierung nicht mehr auf, (nur noch) die »Abhängigkeit« steht im Fokus.

Auf den Ebenen 3 und 4 fühlen sich die Betroffenen (die erzählende Person) hilflos und einer Situation oder Sache ausgeliefert. Das Problem erscheint für sie häufig so groß, dass der Weg zur Veränderung wenig sichtbar ist. Was ist hier eine gute Lösung? Worum geht es bei einer solchen Aussage? Wer besitzt das Problem? Die Person, die das Trinkverhalten beschreibt, oder die Person, die trinkt?

Nach dem genauen Hinhören und Identifizieren der jeweiligen Beeigenschaftung gilt es im zweiten Schritt, das Gegenüber (wieder) auf Stufe 1 zu führen. Auf der Handlungsebene kann Veränderung eingeleitet werden. Handlungen sind konkret und beobachtbar. Dadurch gelingt es, das Gegenüber in ein Erleben von aktivem Handeln zu bringen, statt sich einer Situation, Person, Eigenschaften ausgeliefert zu fühlen.

Folgende Leitfragen führen auf Stufe 1, die konkrete Handlungsebene:

  • »Was muss die Person tun, damit Sie sagen, er/sie sei so oder so?«
  • »Wie muss sich die Person verhalten, dass Sie sie so wahrnehmen?«

Aus einer beobachtbaren Situation Der Schüler hat keine Hausaufgaben (dabei) kann sich durch sprachliche Veränderung die erlebte Wirklichkeit verändern.

»Der Schüler hat oft keine Hausaufgaben«, »Der faule Schüler«, »Die Faulheit des Schülers.« Die Art der Beeigenschaftung spiegelt das Erleben der beschreibenden Person. Es macht gleichzeitig deutlich, dass der Sprung von Stufe 1 und 2 auf Stufe 3 und 4 eine subjektive Zuschreibung darstellt. Es ist überhaupt nicht geklärt, ob der Schüler faul ist.

Die Bedeutung der verbalen Ebene für Veränderungen wurde beim Reframing bereits deutlich. Durch das »Verflüssigen« einer Eigenschaft in konkretes Verhalten öffnet sich der Lösungsraum.

Statt einer Eigenschaft, die zu einer Zuschreibung gehemmt führt, wird das Verhalten konkret beschrieben: verhält sich abwartend, ist bedacht, wägt ab. Dadurch werden weitere Fähigkeiten (an)erkannt. Das gezeigte Verhalten kann ein Hinweis auf ein vorhandenes Bedürfnis sein: Ich brauche mehr Sicherheit, um mich zu beteiligen. Die erweiterten Fähigkeiten können auch als Ressource in eine Lösung integriert werden. (Mehr zum Thema Reframing finden Sie in Kapitel 13 Der systemisch-konstruktive Blick auf Störungen.)

Sehe ich in meinem Gegenüber eine hilflose Person, die auf mich angewiesen ist, werde ich anders kommunizieren und in Beziehung sein, als wenn ich mich mit der Person gemeinsam auf die Ressourcen ausrichte, die in der entsprechenden Situation hilfreich(er) sein könnten. In dieser Haltung stärke ich die Selbstwirksamkeit und indirekt den Selbstwert sowie die Problemlösefähigkeit meines Gegenübers.

Überlegungen im Vorfeld des Gesprächs:

  • Wo möchte ich im Gespräch ansetzen? Welche Perspektive biete ich zum Einstieg an?
  • Wer ist wie involviert?
  • Welches gemeinsame Ziel fokussieren wir (die Beteiligten und ich)?
  • Wie kann ich den Ball im Spiel halten?
  • Welche Fragen lenken den Blick auf Lösungen und Ressourcen?

In Kapitel 13 Der systemisch-konstruktive Blick auf Störungen habe ich die systemischen Basisinterventionen Reframing und Hypothesen bilden beschrieben. Diese haben in der systemischen Gesprächsführung ihren festen Platz.

Systemische Frageformen sind ein weiteres wesentliches Element, um den Anspruch auf Lösungs- und Ressourcenorientierung zu erfüllen.

Systemik meets Vier Seiten: Die systemische Kommunikation lässt sich wunderbar mit anderen Kommunikationsmodellen kombinieren. Mit dem theoretischen Fundament des »Vier-Seiten-Modells« können Sie das kommunikative Verhalten oder Muster Ihres Gegenüber reflektieren. (Natürlich auch das eigene Hörverhalten.) Wenn Ihr Gegenüber mit einem Problem und der Bitte um Lösungen an Sie herantritt, können Sie, statt den Appell zu bedienen, den Problem-Ball an die Person zurückspielen und fragen: »Was brauchst du, um dieses Problem zu lösen?« Sollte die Person jetzt sagen »Sie (oder dich)«, spielen Sie den Ball wieder zurück: »Welche Fähigkeit oder Eigenschaft bräuchtest du, damit du dieses Problem lösen kannst?« oder »Was könnte dir sonst noch helfen, dein Problem zu lösen?« Dadurch wird der Lösungsgedanke angeregt und die Lösungsverantwortung bleibt beim Gegenüber. Dies geschieht absolut wertschätzend. In Unterrichtssituationen verschiebt sich mit solch einem Verständnis der Handlungsschwerpunkt der Lehrkraft auf den Schüler selbst. Der Möglichkeitsraum aufseiten des Schülers kann sich vergrößern.

Die Transaktionsanalyse

Die Transaktionsanalyse (TA) hat ihren Ursprung in der Psychologie und ist eine Theorie, die in den 1950er-Jahren von Eric Berne (US-amerikanischer Psychiater und Psychotherapeut) entwickelt wurde. Die TA befasst sich mit menschlichen Persönlichkeitsstrukturen, persönlicher Entwicklung und Kommunikation.

Menschliche Verhaltensmuster und Kommunikation werden durch die Analyse von »Transaktionen« zwischen Personen untersucht. Als Transaktionen wird das Hin und Her im menschlichen Miteinander bezeichnet. In der Transaktion gibt es einen Stimulus, der eine Reaktion zur Folge hat.

Aus der Arbeit mit seinen Klienten formte Berne das Modell zu einer umfassenden Theorie, die bis heute ihren Platz in der Organisationsberatung, Persönlichkeitsbildung (Erwachsenenbildung) und in der Psychotherapie hat.

Die Ich-Zustände

Die Transaktionsanalyse identifiziert drei Ebenen der Persönlichkeit: Eltern, Erwachsene und Kinder. Diese Ebenen sind von Kindheit an als Ich-Zustand abgebildet und beeinflussen das Denken, Fühlen und Handeln und somit, wie Menschen miteinander interagieren. In der zwischenmenschlichen Kommunikation spielen sich laufend solche Transaktionen ab. Je nach Kontext und situativem Befinden (Stresslevel) agieren Menschen unterschiedlich aus den drei Ich-Zuständen heraus.

  • Eltern-Ich (Elternrolle): In diesem Zustand denkt, fühlt und handelt die Person wie eine verinnerlichte Autoritätsperson (eigene Eltern oder andere Personen). Dieser Zustand wird unreflektiert übernommen. Es gibt zwei Pole, das kritische Eltern-Ich (handelt beurteilend) und das fürsorgliche Eltern-Ich (handelt zugewandt).
  • Erwachsenen-Ich (Erwachsenenrolle): In diesem Zustand reagiert die Person aus dem Hier und Jetzt heraus. Denken, Fühlen und Handeln sind angemessen und rational.
  • Kind-Ich (Kindrolle): In diesem Zustand denkt, fühlt und handelt die Person wie ein Kind. Das Spektrum reicht von rebellisch (widersetzt sich), angepasst (fügt sich) bis frei.

Die Transaktionsanalyse ermöglicht Einblicke in die eigene Persönlichkeit, in die der Mitmenschen und Gesprächspartner sowie in die zwischenmenschliche Beziehungsdynamik. Mit dem Modell der Transaktionsanalyse lassen sich Gesprächsverläufe analysieren. Die TA kann dazu beitragen, positive Kommunikationsmuster zu fördern, indem sie die Dynamik hinter dem sichtbaren Verhalten (der konkreten Aussage im Gespräch) einbezieht.

Das Modell ist hilfreich, um Verhaltensmuster zu verstehen und positive Veränderungen zu fördern, die in eine konstruktive Kommunikation und Zusammenarbeit münden. Konstruktive Kommunikation findet statt, wenn sich die Beteiligten auf der Ebene des Erwachsenen-Ich begegnen.

Vor allem in Konfliktsituationen lassen sich das Kommunikationsverhalten und das Beziehungsverhalten untersuchen, indem der Fokus auf die Ich-Zustände gerichtet wird. Klärungen können bewusst initiiert werden, wenn Muster und Störungen im Gesprächsverhalten erkannt sind.

Das Erwachsenen-Ich zeichnet sich durch folgende Fähigkeiten und Eigenschaften aus, die in Gesprächen zielführend und deeskalierend wirken. Es ist:

  • abwägend
  • analysierend
  • besonnen
  • vernünftig
  • reflektiert
  • strukturiert
  • kompromissfähig

Eigenschaften der jeweiligen Zustände aus Eltern-Ich und Kind-Ich hingegen »befeuern« Gespräche durch diese Eigenschaften. Sie sind:

  • bevormundend
  • befehlend (fordernd)
  • erniedrigend
  • beleidigend
  • ängstlich
  • ohnmächtig
  • hilflos
  • neugierig
  • kreativ
  • trotzig
  • wütend
  • aggressiv

Berne unterscheidet komplementäre Kommunikation und Überkreuzkommunikation:

Komplementäre Kommunikation findet statt, wenn die jeweiligen Ich-Zustände komplementär aufeinander reagieren (siehe Abbildung 15.3). Komplementär bedeutet, dass sich die Ich-Zustände entsprechen, dies bezieht sich auf alle Ich-Zustände. Auch aus dem Eltern-Ich und dem Kind-Ich kann somit eine komplementäre Kommunikation erfolgen, wenn die Antwort darauf aus dem Eltern-Ich beziehungsweise aus dem Zustand des Kind-Ichs erfolgt.

Diagramm zeigt drei "Ich-Zustände" für Transaktionsanalysen.

Abbildung 15.3: Die Ich-Zustände der Transaktionsanalyse

Eine Frage aus dem Erwachsenen-Ich, »Was sind die Hausaufgaben?«, wird mit einem »An der Tafel steht alles« auf dem Erwachsenen-Ich beantwortet und spiegelt damit eine symmetrische Kommunikation (beide Gesprächspartner sprechen aus demselben Ich-Zustand und sind im Erwachsenen-Ich auf Augenhöhe).

Eine Überkreuzkommunikation (nicht-komplementär) findet statt, wenn die Ebenen sich kreuzen, wenn die Gesprächspartner also aus einem anderen Ich-Zustand heraus antworten als dem des Gegenübers. Wenn sich Personen im Gespräch beispielsweise angegriffen fühlen, tendieren sie dazu, in einen Ich-Zustand zu »rutschen«, der nicht dem Erwachsenen-Ich entspricht.

Lautet die Antwort auf die Frage: »Was sind die Hausaufgaben?« stattdessen »Mann, das solltest du jetzt aber längst wissen«, wäre die Kommunikation überkreuz, weil die Antwort aus dem (hier kritischen) Eltern-Ich kommt. Entsprechend wird nun die Reaktion beim Gegenüber ausfallen. Das angepasste Kind-Ich wird daraufhin vermutlich nichts mehr erwidern, während so eine Antwort durchaus das rebellische (oder freie) Kind-Ich auf den Plan rufen kann. Dann wird Ihre Antwort nicht das letzte Wort gewesen sein.

Als Lehrkraft können Sie vor dem Hintergrund des Modells Ihren Kommunikationsstil anpassen, indem Sie situativ zwischen den Persönlichkeitszuständen wechseln. Dadurch können Sie effektiver auf die Bedürfnisse Ihres Gegenübers eingehen. Es wirkt somit auch deeskalierend.

Im Kontext von Schule kann die Transaktionsanalyse genutzt werden, um die Kommunikation und Interaktion zwischen Lehrern, Eltern und Schülern besser zu verstehen und gezielt darauf einzuwirken. Die verschiedenen Persönlichkeitszustände (Eltern-Ich, Erwachsenen-Ich, Kind-Ich) können auf Lehrer-Eltern-Beziehungen (mit zunehmendem Reifegrad der Schüler auch auf Lehrer-Schüler-Beziehungen) angewendet werden. In der Gesprächsführung ist es daher hilfreich, den (oder die) Gesprächspartner immer wieder auf die Ebene des Erwachsenen-Ichs zu holen und dort möglichst zu halten.

Die vier Grundhaltungen der Transaktionsanalyse

Berne sieht den Menschen von Geburt an als »okay« an. Dieser Status gilt zeitlebens. Menschen verfügen über die notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeiten (kognitiv, sozial, kommunikativ) für ein selbstbestimmtes Leben. Somit bildet die Transaktionsanalyse im Kern einen lösungs- und ressourcenorientierten Ansatz.

Jedem Menschen wird auf der Grundlage eines Lebensskripts, das sich bis zum siebten Lebensjahr formiert, eine der vier Grundhaltungen als Lebenseinstellung zu eigen (siehe Abbildung 15.4). Gleichzeitig ermöglicht eine Reflexion über die eigene (Lebens-)Grundhaltung, diese um weitere zu ergänzen. Auch wenn jede und jeder von uns bevorzugte Lebensgrundhaltungen haben (Muster), lassen sich diese entwickeln und aufbrechen.

Grafik mit vier Kommunikationsszenarien und Sprechblasen, die Grundhaltungen der Transaktionsanalyse zeigt.

Abbildung 15.4: Die vier Grundhaltungen der Transaktionsanalyse

  • Ich bin ok. Du bist ok. (+/+)
    • Das ist die beste Grundlage in der Gesprächsführung. Hier ist kein Ringen um Positionen, sondern eine wertschätzende Akzeptanz.
    • Eine Person mit der Lebensgrundhaltung »Ich bin okay« begegnet neuen Situationen offen gegenüber. »Ich freue mich auf die neue Schulklasse. Ich bin gespannt, wen ich da durchs Schuljahr begleiten darf.«
  • Ich bin ok. Du bist nicht ok. (+/-)
    • Die Abwertung des Gegenübers kann durch schlechte Erfahrungen im Vorfeld entstanden sein. Manchmal sind aber auch Vorurteile und Fehlannahmen Ursache dieser Haltung.
    • Eine Person mit dieser Lebensgrundhaltung denkt womöglich: »Auweia, wenn ich die Namen auf der Liste schon lese …«
  • Ich bin nicht ok. Du bist ok. (-/+)
    • In dieser Haltung spiegelt sich ein mangelndes Selbstwertgefühl.
    • Eine Person mit dieser Lebensgrundhaltung wird zum Beispiel in der Zusammenarbeit mit Kollegen denken: »Ach je, die sind alle kompetenter als ich.«
  • Ich bin nicht ok. Du bist nicht ok. (-/-)
    • Diese Grundhaltung macht Gespräche stimmungsmäßig schwer und inhaltlich schwierig.
    • Eine Person mit dieser Lebensgrundhaltung geht pessimistisch in die neue Situation und denkt sich: »Das wird wieder ein schwieriges Jahr und mit der Klasse kann das gar nichts werden.«

Die Transaktionsanalyse ist ein Modell, das der persönlichen Entwicklung dient. Sie ermöglicht Einblick und Verständnis für das menschliche Miteinander. Durch die Reflexion eigener (situativer) Kommunikationsmuster und Lebensgrundhaltungen werden Entwicklungspotenziale und gleichzeitig eine Alternative zum bisherigen Handeln im Miteinander sichtbar.

Eine Lehrkraft kann gegenüber ihren Schülern souverän agieren, aber sobald sie ein Elterngespräch führen soll, rutscht sie in den Zustand des angepassten Kind-Ichs (ängstlich, hilflos) und erlebt sich dadurch in diesen Gesprächen als wenig souverän. Bei den Eltern hinterlässt sie dadurch womöglich einen unerwünschten Eindruck. Beim nächsten Gespräch, das ansteht, kann sich dadurch die Angst oder Hilflosigkeit verstärken.

Auch die abwertende Grundhaltung »Ich bin okay. Du bist nicht okay« gegenüber bestimmten Schülern oder ganzen Klassen wird ihre Wirkung auf der Beziehungsebene nicht verfehlen und das Konfliktgeschehen und das allgemeine Miteinander nachteilig beeinflussen.

Das Erkennen des Musters ist ein erster Schritt und kann in einem Coaching thematisiert werden. Sodass die Lehrkraft künftig selbstwirksam und souverän agiert und auch durch eine veränderte Haltung bessere Beziehungen zur Klasse aufbaut. Es gibt Bundesländer, wie beispielsweise Hessen und Baden-Württemberg, die gezielt Coachingangebote für Lehrkräfte anbieten, damit sich diese weiterentwickeln können. Mehr zur persönlichen und damit einhergehenden beruflichen Entwicklung finden Sie in Kapitel 22 Beratung und Coaching.

Das Gesprächsdesign – vorbereitende Impulse

Die Vorbereitung eines Gesprächs ist wichtig, weil sie einen Rahmen steckt und für eine erste Klarheit bei Ihnen selbst sorgt. Was brauche ich als Lehrkraft, um ein gutes Setting für den Kontakt und die Kommunikation zu schaffen? Durch Ihre sorgfältige Planung und Ihre Vorüberlegungen können Sie innere Sicherheit gewinnen und dem bevorstehenden Gespräch mit mehr Gelassenheit begegnen. Es wird sich auch auf Ihr Gegenüber auswirken, wenn Sie vorbereitet und strukturiert durch das Gespräch führen.

Tabelle 15.2 zeigt die einzelnen Aspekte der Gesprächsvorbereitung. Nehmen Sie sich die Zeit für die Auseinandersetzung und Berücksichtigung dieser Punkte.

Fokus

Impulse und Überlegungen

Blick auf die Beteiligten

Wer wird beteiligt sein?

Wie ist die Beziehung der Beteiligten untereinander?

Habe ich alle Personen im Blick? Fehlt jemand?

Blick auf äußere Rahmenbedingungen

Welche Rahmenbedingungen liegen vor? (zeitlich, räumlich)

Muss ich jemand informieren, zum Beispiel wegen Raumnutzung?

Wird der Raum eventuell anderweitig genutzt zum terminierten Zeitpunkt? (Hausmeister, Schulleitung? etc.)

Welche Sitzordnung bietet sich an? (Gespräch über Eck statt frontal gegenüber? Wenn es im Klassenzimmer stattfindet: am Pult oder am Schülertisch? Gesprächspartner nicht mit Blick aufs Fenster, das blendet)

Blick auf den Anlass

Was ist der Anlass für das Gespräch?

Aus welchem Grund kommen wir zusammen?

Blick auf die eigene Rolle

Was ist meine Rolle?

Wie geht es mir in meiner Rolle?

Wie kann ich für dieses Gespräch mein professionelles inneres Team gut aufstellen?

Welches Modell der Kommunikation ist mir für dieses Gespräch hilfreich?

Blick auf Befindlichkeiten & Vorwissen

Wem ist was bekannt?

Wie geht es den Beteiligten im Hinblick auf das Gespräch? … auf das Thema?

Gibt es dokumentierte Sachverhalte? (Schülerkartei etc.)

Blick auf Ziele

Was ist das beste Ziel aus meiner jetzigen Sicht?

Aus welchem Grund ist das mein Ziel?

Mit welcher zweitbesten Lösung wäre ich auch zufrieden?

Vermutete (!) Ziele der anderen Beteiligten?

Wie gehe ich mit eventueller Zielvielfalt um?

Raum f ür Sonstiges

In welcher Form führe ich Protokoll? (Protokollbogen der Schule? Eigenes Protokoll? Unterschrift am Ende?)

Wie halte ich vereinbarte Verbindlichkeiten fest?

Tabelle 15.2: Gesprächsvorbereitung

So wie die Vorbereitung eines Gesprächs bestimmte Aspekte fokussiert, so gilt dies auch für die Durchführung. Gelingende Gespräche folgen einem roten Faden und einer klaren Struktur. Wie Sie dies praktisch umsetzen, beschreibe ich in Kapitel 17 Wirksame Interventionen in der Gesprächsführung.

Elterngespräche

Kommunikation dient dem Austausch. Damit Gespräche gelingen, muss geklärt werden, aus welcher Perspektive das Gegenüber sich mitteilt. Manchmal ergibt sich im Gespräch ein »Engpass«, das kann ein Hinweis darauf sein, die Perspektiven zu klären. Womöglich nimmt der eine etwas ganz anderes wahr als der andere (siehe Abbildung 15.5). In Kapitel 4 beschreibe ich, wie Wirklichkeiten subjektiv gebildet werden. Jede dieser subjektiven Wirklichkeiten beeinflusst das Denken, Fühlen und Handeln.

Zeichnung mit Ente oder Hase, "RABBIT" oben, "DUCK" rechts, zeigt die unterschiedlichen Perspektiven.

Abbildung 15.5: Unterschiedliche Perspektiven (Quelle: horsegirl – stock.adobe.com)

Über die unterschiedlichen Kommunikationsmodelle stehen Ihnen als Lehrkraft mehrere Wege der Gesprächsführung zur Verfügung. Vielleicht kombinieren Sie die im vorherigen Abschnitt beschriebenen Ansätze ja spielerisch miteinander.

Die Kommunikationsmodelle dienen auch dazu, sich selbst besser zu verstehen und zu steuern. Je mehr Übung Sie haben, desto leichter wird es Ihnen fallen, zielsicher und dennoch empathisch mit Ihren unterschiedlichen Kommunikationspartnern im Kontakt und Austausch zu sein. Mit der Sicherheit deeskalierender Strategien können Sie auch schwierigen Gesprächen gelassen entgegensehen.

Elterntypen

So wie sich Gesellschaft in konstanter Veränderung befindet, befinden sich auch die Menschen in ihr in einem ständigen Entwicklung- und Anpassungsprozess. Beim Thema Eltern zeigt sich unter Pädagogen und Lehrkräften eine gewisse Brisanz und emotionale Aufgeladenheit. Eltern werden von »A wie abwesend« bis »Z wie zudringlich« beschrieben und bewertet. Ein Seufzen ist nicht selten zu vernehmen und der Eindruck festigt sich, dass Eltern schwieriger geworden seien. Und selbst wenn dies objektiv so ist, ist doch das Ziel, sie zu Kooperationspartnern im schulischen Bündnis für das Kind zu gewinnen.

Menschliches Verhalten einzuordnen, sollte meines Erachtens dazu dienen, ein besseres Verstehen zu ermöglichen, und keine statische Diagnose sein. Der Überblick über die Elterntypen soll daher einen Einblick in die unterschiedlichen Schwerpunkte des jeweiligen Verhaltens geben. Um die jeweiligen Erziehungs- und Beziehungsstile zu benennen, haben sich in der Typisierung bildhafte Begriffe etabliert.

Hier eine Auswahl an Typen, die Ihnen im schulischen Kontext begegnen können:

  • Abschlepper-Eltern

    Eltern des Typs »Abschlepper« sind allzeit zur Stelle, wenn ihr Kind Hilfe benötigt. Bei jeder Herausforderung stehen die Eltern bereit, »den Karren aus dem Dreck zu ziehen«. Sie eilen herbei und übernehmen unverhältnismäßig viel Verantwortung für die Problemlösung oder Überwindung eines Hindernisses. Das kann so weit gehen, dass Eltern Referate oder Präsentationen verfassen, weil das Kind den Termin sonst nicht einhalten kann. Im späteren Alter zeigen sich solche Gesten zum Beispiel im Begleichen von Schulden. Das Kind macht die Erfahrung, dass die Eltern auftauchende Probleme lösen, und bleibt in der eigenen Entwicklung zum selbstständigen (mündigen) und verantwortungsvollen Erwachsenen zurück.

  • Flugzeug-Eltern

    Dieser Elterntyp zeichnet sich dadurch aus, dass die Eltern Erfahrungen und Herausforderungen bewusst verarbeiten und integrieren und dem Kind als Familie zur Seite stehen. Der Stil ist auf Kollaboration (Zusammenhalt und Zusammenarbeit) hin ausgerichtet.

  • Helikopter-Eltern

    Ähnlich wie die Abschlepper-Eltern sind Eltern vom Typ »Helikopter« äußerst engagiert. Tendenziell ängstlich und überbesorgt um das Wohlergehen und die Sicherheit ihres Kindes kreisen sie wie ein Helikopter ständig über ihrem Kind und sind jederzeit bereit, zu intervenieren. Aus Angst und Sorge neigen sie dazu, übermäßig in das Leben ihres Kindes einzugreifen, sei es in der Schule, bei Freizeitaktivitäten oder in sozialen Beziehungen. Diese Eltern tendieren dazu, ihren Kindern wenig Freiraum zu geben, und begründen ihr ängstliches Eingreifen mit der Absicht, dass ihr Kind erfolgreich und glücklich sein soll.

  • Rasenmäher-Eltern (auch Curling-Eltern oder Schneepflug-Eltern)

    Eltern vom Typ »Rasenmäher« mähen metaphorisch den Weg für ihr Kind. Sie neigen dazu, Hindernisse und Herausforderungen aus dem Weg zu räumen, bevor ihr Kind ihnen überhaupt begegnen kann. Sie versuchen, potenzielle Herausforderungen im Voraus zu beseitigen, anstatt die Kinder auf diese vorzubereiten oder durch Krisen zu begleiten. So vermeiden sie beispielsweise unangenehme oder schwierige Situationen, sie fangen Kritik oder Frustration ab oder mischen sich sogar direkt in Schulangelegenheiten ein, um sicherzustellen, dass ihr Kind erfolgreich ist und keine Schwierigkeiten hat. Dem Kind fehlen Situationen, an denen es die eigene Widerstandsfähigkeit (Resilienz) und den Umgang mit Frustration trainieren kann.

  • Taxi-Eltern

    Eltern vom Typ »Taxi« chauffieren ihr Kind regelmäßig in die Schule und zurück nach Hause, zu verschiedenen Aktivitäten wie zum Beispiel zum Sport, zum Musikunterricht und zu anderen Freizeitveranstaltungen. Je nach Anzahl der Kinder ist das logistisch mit viel Zeit verbunden. Der Weg zur Schule wird als unzumutbar oder sogar gefährlich eingeschätzt und nicht trainiert. Taxi-Eltern befördern ihr Kind von morgens bis abends von einem Ort zum nächsten und stellen sicher, dass ihr Kind an allen geplanten Aktivitäten teilnehmen kann. Die gemischte Haltung aus »Ich traue dir das nicht zu« und »Ich mute dir das nicht zu« begrenzt (bis verhindert), dass das Kind durch die Bewältigung von Aufgaben selbstwertstärkende Erfahrungen sammeln kann.

  • U-Boot-Eltern

    U-Boot-Eltern zeichnet, im Gegensatz zur Überpräsenz anderer Typen, ein eher unaufmerksames Verhalten aus. Sie sind wenig sichtbar und tauchen regelrecht ab. Ihr Kind erhält dadurch vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit, sodass zunächst nicht wahrgenommen wird, was es aktuell beschäftigt oder in welcher Situation es sich befindet. Dadurch kann es sein, dass ihr Kind in Situationen gerät, die vermeidbar gewesen wären, wenn sich jemand gekümmert hätte. Werden Probleme wahrgenommen, tendieren U-Boot-Eltern dazu, die Lösung des Problems abzugeben (zum Beispiel an Lehrkräfte). U-Boot-Eltern nehmen häufig kein schulisches Kontaktangebot (Elternabend, Elternsprechtag) wahr. Wenn ihr Kind jedoch schulisch in Not kommt (versetzungsgefährdet ist), tauchen sie auf und stellen Forderungen und drohen auch nicht selten mit rechtlichen Maßnahmen.

Die Liste ist längst nicht erschöpft; so gibt es auch Elterntypen, die mit tierischen Eigenschaften betitelt sind (Tiger-Eltern, Delfin-Eltern etc.). Als Lehrkraft ist es hilfreich, die unterschiedlichen Typen (den dominanten Stil) zu kennen, da sich dies auch auf das Kind auswirkt. Überbehütete Kinder entwickeln sich anders als Kinder, die sich mehr oder weniger selbst überlassen bleiben. Durch das Wissen um die einzelnen Typen lassen sich im besten Fall Brücken bauen hin zu einem guten Miteinander für das gemeinsame Wohl des Kindes.

Die Lehrkraft als Experte für ihre Schüler und die Eltern als Experten für ihr Kind

»Eltern und Schule tragen die Verantwortung für die Bildung und Erziehung der Kinder und Jugendlichen. Dieser Auftrag des Grundgesetzes kann nur in einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit erfolgreich umgesetzt werden.« (Kultusministerkonferenz)

Lehrkräfte und Eltern eint der Auftrag für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen. Dementsprechend fallen jeweils Aufgaben in die Zuständigkeit von Familie und Schule. Ein vertrauensvolles Bündnis zwischen Lehrkraft und Eltern und Erziehungsberechtigten ist eine wichtige Voraussetzung, um dieses Wohl des Kindes nicht aus den Augen zu verlieren.

Gesprächsanlässe zwischen Eltern und Schule können konfliktgeladen sein. Da die Gespräche in der Regel in der Schule stattfinden, einem Ort voller Erinnerungen an eigene Schulerfahrungen, sind solche Gespräche von gewissen äußeren Bedingungen berührt, müssen diesen aber nicht unterliegen.

Eltern und Erziehungsberechtigte sind in aller Regel näher am Kind dran. Der Blick ist dadurch eingeschränkter.

Stellen Sie sich vor, Sie stehen nah vor einem Bild (vielleicht ist es sogar Ihr Lieblingsbild), das an der Wand hängt. Durch den nahen Fokus und die emotionale Komponente sind der Blick und die Wahrnehmung eingeschränkt.

Pädagogen haben eine größere emotionale Distanz. Dadurch ist ihr Blick aufs Kind ein anderer. Hinzu kommt, dass sich Menschen in unterschiedlichen Kontexten anders zeigen. Schüler sind in der Schule in einer anderen Rolle als daheim als Sohn oder Tochter. Dadurch zeigt sich ihr Verhalten auch durchaus unterschiedlich. Sich dies klarzumachen und auch im Gespräch als Ausgangssituation zu benennen, kann hilfreich sein.

Gehen Sie von der Kompetenz der Eltern aus. So wie Ihnen qua Amt eine Kompetenz zugesprochen wird, gilt dies auch für Eltern.

»Mein Kind macht so etwas nicht!« Soziale Wechselwirkungen verstehen

Wenn Eltern oder Erziehungsberechtigte die Zusammenarbeit nur zögerlich zulassen, dann ist meist davor schon einiges »passiert«, was zu solch einer Haltung führen konnte. Freuen Sie sich auf jedes Gespräch, es gibt immer etwas zu lernen.

Eltern, die sich schwertun, störendes oder auffälliges Verhalten des eigenen Kindes anzunehmen, können mit Leugnen reagieren. »Das kann gar nicht sein. So etwas höre ich zum ersten Mal. Zu Hause ist das nie der Fall. Dann hat ihn (oder sie) jemand provoziert. Dann haben Sie als Lehrkraft etwas falsch gemacht.« So oder so ähnlich klingen dann die ersten Antworten. Bevor das Gespräch jetzt in ein Hin und Her verfällt, hilft am besten, professionell zu bleiben. Welche innere Logik könnte hinter so einem Leugnen stecken?

Die Abwehr kann zunächst eine Abwehr von Kritik an der elterlichen Führung sein. Eine Art Schutzmechanismus sich selbst gegenüber. Dieser Hypothese können Sie direkt folgen, indem Sie zum Beispiel sagen: »Kann es sein, dass Sie einen Angriff auf sich als Eltern (Vater, Mutter) heraushören?« An der Reaktion darauf werden Sie merken, ob Sie ins Leere schießen oder ins Schwarze treffen.

Eine andere Hypothese ist diese: Es könnte auch sein, dass die Abwehr aus schlechtem Gewissen erfolgt. Eltern, die wenig Zeit für ihr Kind haben oder aktuelle häusliche Krisen erleben, entwickeln (unbewusst) Schuldgefühle und durch die Abwehr schützen sie ihr Kind im Nachhinein. Es ist quasi eine nachträgliche Widergutmachung für fehlende Aufmerksamkeit. Auch hier können Sie sich vorantasten: »Angenommen, es gibt gute Gründe dafür, dass Ihr Sohn (Ihre Tochter) sich gerade so verhält, welche(r) davon ist für uns als Schule wichtig zu wissen, sodass wir angemessen darauf eingehen können?« Jetzt sprechen Sie eine »Einladung« aus, die das Wohl des Kindes in den Mittelpunkt stellt, ohne Schuldzuweisungen. Ihr Gegenüber hat die Wahl und dadurch die Freiheit zu entscheiden, wie es reagiert.

Welche weiteren Hypothesen zum Leugnen oder zur Abwehr sind denkbar? Formulieren Sie mindestens eine weitere Hypothese. Denken Sie daran: Hypothesen sind wertschätzende Vorannahmen, die es zu überprüfen gilt (siehe dazu Kapitel 13 Der systemisch-konstruktive Blick auf Störungen). Notieren Sie im nächsten Schritt, wie Sie Ihre Hypothese im Gespräch »überprüfen« können und dabei die Beziehung zum Gegenüber halten. Tauschen Sie sich dazu auch gerne mit Kollegen aus. Fragen Sie nach deren Hypothesen. Was verändert sich durch die Hypothesenbildung für Sie als Lehrkraft? Wie kann sich das auf die Beziehung zum Schüler auswirken?

Ein guter Einstieg – die Beziehungsbrücke

In meiner Zeit als Ausbilderin für die Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst wurde beim Thema Eltern regelmäßig offenbar, wie angstbesetzt dieses Thema ist. Den Rollenwechsel von der Schüler- oder Studierendenrolle zur Lehrkraft und damit zur Führungskraft zu vollziehen, ist ein wichtiger Schritt. Dieser Rollenwechsel muss stattfinden, um Gespräche mit Eltern und Erziehungsberechtigten gut zu führen.

Alle Eltern waren irgendwann einmal selbst Schüler, vielleicht sogar an derselben Schule wie jetzt das eigene Kind. Diese verinnerlichte Erfahrung tragen sie in sich und bringen sie auch in die Begegnungen und Gespräche mit. Je nachdem, wie die eigene Schulzeit erlebt wurde, kann sich dies stärker auf das elterliche Agieren auswirken.

Fragen Sie die Eltern offen nach deren eigenen Erfahrungen:

  • Wie ist das heute für Sie, wieder in einer (dieser) Schule zu sein?
  • Wie haben Sie Ihre eigene Schulzeit erlebt?
  • Was waren die Highlights Ihrer Schulzeit?
  • Wenn die Wände sprechen könnten, was würden sie noch heute erzählen?
  • Was darf sich aus Ihrer Sicht für Ihr Kind auf keinen Fall wiederholen?
  • Auf einer Skala von 1 bis 10, wie wohl fühlen Sie sich heute als Eltern in der Schule (wenn 1 bedeutet gar nicht und 10 bedeutet rundum gut)?

Solche Fragen können als Türöffner dienen. Sie kommen dann beim Gegenüber an, wenn Sie ein ehrliches Interesse an der Antwort haben. Keine Sorge, das Gespräch wird deswegen nicht ausufern. Sie können Aussagen auch wertschätzend und staunend stehen lassen. Bedanken Sie sich auf jeden Fall für den Einblick. Die gewonnenen Informationen wirken sich beziehungsstärkend aus: Sie haben jetzt gerade etwas Persönliches ausgetauscht. Gleichzeitig finden Sie charmant heraus, wie die Einstellung zur Schule ist, und können so eventuelle innere Widerstände besser einordnen.

Emotional geladene Gespräche mit Eltern

Gespräche mit Eltern können anspruchsvoll sein und mitunter auch emotional geladen. Schwierig sind solche Gespräche dann, wenn beide Gesprächsparteien, also Lehrkraft und Eltern handlungsohnmächtig sind. Die Führung des Gesprächs liegt bei der Lehrkraft. Das heißt, diese Führung gilt es, über den Verlauf des Gesprächs zu bewahren. Das setzt ein hohes Maß an kommunikativen Kompetenzen voraus und gleichzeitig eine gute Selbstführung.

Der Balanceakt schwieriger Gespräche

Damit Ihr Wirken deeskalierend gelingt, ist ein kontinuierlicher Abgleich von Perspektiven, Interessen und Bedürfnissen notwendig. Die eigene Wahrnehmung und Befindlichkeit einzubinden und gleichzeitig dem Gegenüber dessen Sichtweise samt Befindlichkeit zuzugestehen, ist komplex.

Zentrale Variablen im Gespräch werden Sie mit etwas Übung immer besser aufgreifen können, sodass das Abgleichen der Sichtweisen und das Ausbalancieren der Bedürfnisse gelingen können (siehe Abbildung 15.6).

Das Balance im Gespräch zeigendes Diagramm mit Pfeilen und Linie für Sichtweisen und Bedürfnisse.

Abbildung 15.6: Die Balance im Gespräch

Mit dem PEPSI-Check können Sie die zentralen fünf Variablen an den Fingern einer Hand abzählen und so trotz aller Emotionen einem inneren roten Faden folgen:

  • P wie Problem
    • Worum geht es? Was ist die Sache?
    • Was war der Auslöser?
  • E wie Emotion
    • Welche Emotionen sind beteiligt?
    • Welche Bedürfnisse sind bedroht oder verletzt?
  • P wie Perspektiven
    • Wer hat welche Perspektive?
    • Für wen ist das Problem am schlimmsten?
  • S wie Schlichtungsversuche
    • Welche Handlungswünsche sind auf beiden Seiten vorhanden?
    • Wie kann eine gute Lösung aussehen?
    • Mit welcher zweitbesten Lösung sind alle zufrieden?
  • I wie Investitionen in die Zukunft
    • Welche Vereinbarungen treffen wir gemeinsam?
    • Wie wollen wir in Zukunft miteinander interagieren?

Jede Situation, sei sie auch noch so schwierig und belastend, trägt in sich die Chance, etwas daraus zu lernen. Für die Zukunft kann es daher durchaus entlastend sein, sich selbst die Fragen zu stellen: Was lehrt mich diese Situation? Was kann ich aus dieser Situation lernen? Was werde ich künftig anders machen? Worauf werde ich (noch) mehr achten? Welches anspruchsvolle Gespräch haben Sie noch gut in Erinnerung? Auf einer Skala von 1 bis 10, wie schwierig schätzen Sie dieses Gespräch ein? Was nehmen Sie aus der Erfahrung in künftige Situationen mit? Wie gewappnet schätzen Sie sich dadurch selbst ein (1–10)?

Konfliktgespräche entschärfen

Herausfordernde Bedingungen im Gespräch sind gegeben, wenn es um die Klärung von Konflikten geht. Damit Sie sich nicht in einem Schlagabtausch von Beschuldigungen, Rechtfertigungen und einem wenig zielführenden Hin und Her verfangen, hat sich die Triangulation bewährt (siehe Abbildung 15.7).

Das Gespräch dient dem Austausch oder dem Abgleich von Informationen und Perspektiven über einen bestimmten Sachverhalt. Das, worum es geht (Sachverhalt/Thema), können Sie visualisieren, indem Sie es auf einem Blatt Papier festhalten. Dieses legen Sie in die Mitte. Wenn das Gespräch droht, zum Schlagabtausch zwischen den Beteiligten oder zwischen Ihnen und den Beteiligten zu werden, lenken Sie den Fokus wieder zurück auf den Sachverhalt. Die Visualisierung dient als Erinnerung und Anker für das, worum es geht.

Diagramm mit drei Kästen: "Sachverhalt", "Perspektive 1" und "Perspektive 2", verbunden durch Pfeile in Dreiecksmuster. Es zeigt die Triangulation im Konfliktgespräch.

Abbildung 15.7: Die Triangulation im Konfliktgespräch

Kommunikation mit Schülern

Als Lehrkraft kommunizieren Sie ständig mit Ihren Schülern. Sei es im Unterricht, in den Pausen, auf dem Weg vom Parkplatz zum Schulgebäude, in den Fluren, in persönlichen Gesprächen oder in Konfliktgesprächen.

Ihre Schüler haben den Vorteil, dass sie vergleichsweise entspannt beobachten können, wie Ihr Kommunikationsstil und Ihr Kommunikationsmuster sind.

Wir alle gehen mithilfe verbaler (Sprache), nonverbaler (Körpersprache, Gestik, Mimik) sowie paraverbaler (Stimme, Intonation, Lautstärke, Sprechtempo) Mittel in Kontakt mit unserer Umwelt. WAS wir sagen, wird wesentlich durch die Art, WIE wir es sagen, transportiert. Stimmen Haltungen, Emotionen und Absichten verbal, nonverbal sowie paraverbal überein, sprechen wir von kongruenter Kommunikation. Erleben wir Kommunikation als inkongruent (stimmen Aussage und Körpersprache nicht überein), rückt der Inhalt in den Hintergrund und der Fokus der Aufmerksamkeit richtet sich auf die Körpersprache und die paraverbalen Aspekte.

Sprachstrukturen und Sprechakte im Unterricht

Schüler jeden Alters haben sehr feine Antennen dafür, wahrzunehmen, in welcher Haltung die Lehrkraft mit ihnen spricht und ob sie kongruent kommuniziert. Sie nehmen sehr direkt wahr, ob das Beziehungsangebot auf Respekt und Wertschätzung basiert.

Ich weiß, wie herausfordernd es sein kann, über den Schultag hindurch in all den unterschiedlichen Konstellationen professionell freundlich und gelassen zu bleiben. Manchmal möchte einem fast der Kragen platzen. Zumindest ging es mir schon so …

Sätze wie

  • »Das habe ich doch gerade erst gesagt.«
  • »Das ist doch nicht so schwer.«
  • »Hättest du zugehört, dann wüsstest du das.«
  • »Gibt’s deinen Aufschrieb auch in schön?«

    sind wenig zielführend. Sie verschaffen zwar eine kurzfristige Abreaktion, blockieren jedoch unter Umständen den Kontakt zum Schüler (die Macht der Kränkung ist hier zu bedenken) und bringen den Unterricht unnötig ins Stocken, weil eventuell Publikum angezogen wird oder unnötige Rechtfertigungen in Gang kommen. Im Abschnitt Dimensionen der Klassenführung in Kapitel 3 berichte ich über den Welleneffekt, ein Übertragungsphänomen, das Jacob Kounin (der Pionier des Classroom Managements) erlebt hat.

    Wenn Sie auf unerwünschtes Verhalten eingehen, formulieren Sie klar, was stattdessen erwünscht ist (am besten nicht von Ihnen persönlich), sondern von der Gemeinschaft der Lehrkräfte (von mir aus auch international).

  • Statt: »Ruf nicht immer rein!«»Melde dich bitte.«
  • Statt: »Kannst du nicht ordentlicher schreiben?«»Das ist nicht gut lesbar.«
  • Statt: »Sei doch nicht so laut!«»Bitte trage deinen Stuhl / den Tisch so.« (Demonstrieren Sie das bei Bedarf.)
  • Statt: »Du bist auf der falschen Seite.«»Wir sind auf Seite xy.«
  • Statt: »So oft muss kein Mensch aufs Klo.«»Du kennst die Regel, bitte halte dich daran.«

Wie agieren Sie sprachlich? Und wie reagieren die einzelnen Schüler darauf? Gehen Sie gedanklich die letzten Stunden in unterschiedlichen Klassen durch und notieren Sie Sätze, die das unerwünschte Verhalten betonen. Formulieren Sie die Sätze nun um, indem Sie das erwünschte Verhalten ansprechen.

Variante: Wenn Sie keine Negativbeispiele haben (Glückwunsch!), dann gehen Sie in Gedanken zu möglichen Situationen, in denen Sie positiv formulierte Sätze aussprechen könnten.

Gespräche mit Schülern

Auch Gespräche mit Schülern bedürfen einer Grundhaltung von Wertschätzung, Empathie und ehrlichem Respekt. Wie erfolgreich diese Gespräche verlaufen, ist davon abhängig, wie stabil die individuelle Beziehung zwischen Ihnen und Ihren Schülern ist.

Die Früchte Ihrer Beziehungsarbeit ernten Sie in emotional-geladenen Situationen und Gesprächen.

Schaffen Sie zunächst eine Atmosphäre, die einen Austausch ermöglicht. Ein Gespräch zwischen Tür und Angel ist zwar leicht umzusetzen, lässt jedoch auch nur begrenzt eine Atmosphäre von Vertrauen und Vertraulichkeit zu.

Fühlen Schüler sich verhört, werden sie eher von ihrem »Recht zu schweigen« Gebrauch machen oder in Verteidigung und Rechtfertigung fallen. Solche Gespräche sind anstrengend für alle Beteiligte. Schnell verfängt man sich in einem Ping-Pong-artigen Dialog, der unbefriedigend bleibt, weil er zu keinem rechten Ergebnis führt und jenseits des roten Fadens zu viel Energie abverlangt.

Konflikte der Schüler untereinander: Auftragsklärung

Welche ihrer Konflikte Schülerinnen und Schüler zur Lehrkraft tragen, hängt von der Altersstufe und von der Schwere des Vorfalls ab. Letzteres unterliegt natürlich einer subjektiven Einschätzung. Bevor Sie ungefragt einen Auftrag (und sich damit vorschnell der Lösung des Problems) annehmen, begegnen Sie dem Schüler oder der Gruppe von Schülern etwa so: »Ich höre, was du sagst. Und ich habe dazu meine Gedanken und eigenen Fragen. Doch jetzt möchte ich zuerst von dir (euch) wissen, was denn jetzt die Frage anmichist? (Wobei kann ich behilflich sein?)«

Indem Sie den Ball zurückspielen mit der Frage, was jetzt wirklich gebraucht wird, nehmen Sie die Schüler in ihrer Fähigkeit zur Verantwortungsübernahme für Lösungen ernst. Sie geben den Schülern dadurch Raum, wahrzunehmen, was die eigenen Bedürfnisse sind. So können die Schüler prüfen, was sie von Ihnen benötigen.

Wobei kann ich behilflich sein? impliziert, dass Sie ein (zeitweiser) Teil einer Lösung sind. Ihr Gegenüber, in diesem Fall die Schüler, macht den wesentlichen anderen Teil aus. Indem Schüler in der Verantwortungsübernahme unterstützt werden, kann sich auch ihr Lösungsverhalten erweitern und festigen.

Kindern und Jugendlichen ist es manchmal einfach nur wichtig, der Lehrkraft quasi vom Vorfall zu erzählen. Sodass sich daraus für Sie, außer dem Hinhören, kein weiterer Auftrag ergibt. So kommt vor, dass die Antwort der Schüler lautet: »Ich wollte es nur erzählen, damit Sie Bescheid wissen.«

Durch den Puffer der Auftragsklärung erledigen sich meiner Erfahrung nach viele Angelegenheiten durch die Kompetenz der Schüler. Dadurch werden Sie langfristig im Alltag entlastet. Natürlich müssen Sie die Konfliktlösefähigkeiten und ein lösungsorientiertes Gesprächsverhalten mit Ihren Schülern üben und regelrecht trainieren. Das fällt definitiv in den Bereich des präventiven Classroom Managements und gehört damit zu Ihren Aufgaben als Lehrkraft. (Mehr zu den Methoden des präventiven CRM finden Sie in Kapitel 20.)

An vielen Schulen gibt es Streitschlichter. Das ist ein fest installiertes Gremium, das der Konfliktlösung zwischen Schülern dient. Die Streitschlichter sind allesamt Schüler und unterlaufen für dieses Amt eine Schulung. Es lohnt sich als Schule, eine solche Anlaufstelle zu installieren.

Wenn Lehrkräfte zu schnell einspringen (wenn auch gut gemeint), nehmen sie Schülern Entwicklungschancen. Außerdem sind Sie als Lehrkraft dann verantwortlich für das, was rauskommt. Und wenn das nicht zufriedenstellend ist, stehen Sie in der Kritik, denn es war ja Ihre Idee. Wenn Ihre Schüler wissen, dass Sie präsent sind und bei Bedarf zur Seite stehen, stärkt das auch das Vertrauen und das wiederum wirkt sich positiv auf die Beziehung aus.

Arbeit mit Skalierungen

Bereits Kinder im Grundschulalter sowie auch Jugendliche können sich gut auf das Skalieren einlassen, also auf einer Skala mit einem Wert verorten, wie sie etwas wahrnehmen, denken oder fühlen.

  • »Auf einer Skala von 0 bis 10 (0 heißt gar nicht, und 10 heißt voll/optimal …), ...
    • … wie schätzt du deinen Anteil am Konflikt ein?«
    • … wie schätzt du deine Mitarbeit (Häufigkeit des Meldens) ein?«
    • … wie schätzt du die Ordentlichkeit deiner Heftaufschriebe ein?«
    • … wie schätzt du deine Möglichkeiten ein, das Ruder bis zur nächsten Arbeit noch mal herumzureißen und deine Note zu verbessern?«

Skalierungen sind prima geeignet, um unterschiedliche Wahrnehmungen auszusprechen. Durch die Skala wird die Emotion sichtbar und anerkannt. Gleichzeitig federt das Versachlichen schon deutlich die emotionale Ladung ab.

Skalierungen ermöglichen die Sensibilisierung qualitativer Unterscheidungsmerkmale für Emotionen, Eigenschaften und Verhaltensweisen. Solche Unterscheidungen bilden wichtige Marker und Zwischenschritte auf dem Weg der Veränderung.

Die Einschätzung der Lehrkraft kann meiner Erfahrung nach deutlich besser angenommen werden, wenn man in der Folge qualitative Unterschiede der einzelnen Werte aufzeigt.

  • »Du siehst dich in der Mitarbeit bei einer 7, ich würde dich auf einer 5 einschätzen. Kannst du dir vorstellen, wie dieser Unterschied zustande kommt?« (Schüler antworten lassen). »Ich will dir erklären, wie ich zu meinem Wert komme.« (Jetzt folgen sachliche Gründe und am besten Beispiele im Kontext.)
  • »Dein Anteil am Konflikt liegt aktuell bei einer 6. Was wäre denn ein Zielwert für dich«? (Der Zielwert sollte immer niedriger sein!) Angenommen, der Schüler nennt jetzt eine »1«, dann gilt es, die Motivation für den großen Sprung um 5 Punkte zwar anzuerkennen, gleichzeitig sollen Ziele aber realistisch und erreichbar sein. »Wie unterscheidet sich denn die 5 von der 6? Was müsste sich zur 4 verändern?« Und so weiter …

Weitere wichtige Methoden des Classroom Managements finden Sie in Teil VI Herausforderungen meistern – Konflikte und Störungen managen. Dort widme ich mich den drei großen Bereichen Störungs- und Konfliktmanagement, Regeln, Rituale und Routinen sowie wirksamen Interventionen im Umgang mit Störungen. Unter anderem zeige ich auch den Umgang mit Rechtfertigungsstrategien.

Schularten, die durch ihre Lernsettings auch Coaching-Gespräche anbieten, führen Reflexions- und Zielgespräche. Die Arbeit mit Skalierungen eignet sich sehr gut als Coachinggrundlage. Auch die »KLARO!«-Methode aus Kapitel 20 ist hier wirksam.

Biografische Spuren und Loyalitäten von Kindern respektive Lernenden

In meinen Fortbildungen treffe ich immer wieder Grundschullehrkräfte, die bereits über auffälliges Verhalten in der ersten Klasse berichten. Schülerinnen und Schüler, die sich nicht an Regeln anpassen und sich auch der Lehrkraft direkt widersetzen. Um zu verstehen, was sich in solchen Situationen abspielt, braucht es zielführende Reflexionsmethoden.

In Kapitel 13 habe ich im Abschnitt Wie wir auf Störungen blicken bereits drei Perspektiven auf Störungen aufgezeigt. Ein Einflussfaktor auf Verhalten kann auch ein innerer Loyalitätskonflikt beim Kind sein. Diese Loyalitätskonflikte unterliegen unterschiedlichen Faktoren (zum Beispiel sozial oder kulturell).

Eltern wollen das Beste für Ihr Kind. Diese Grundannahme liefert ein Grundverständnis für elterliches Agieren.

Gut gemeinte Formulierungen wie Wenn du in die Schule kommst, musst du dir nichts gefallen lassen! bringen das Kind aber in innere Konflikte. Setzt es sich gegen seine Mitschüler und Lehrkräfte durch, bedient es die elterliche Einstellung. Wenn Sie als Lehrkraft nun intervenieren und das Kind mit Regeln konfrontieren, verstärkt sich unter Umständen der innere Konflikt, denn es will die Loyalität zur Familie nach außen erhalten. Im Zweifel entscheidet sich ein Kind für die Eltern.

Wie erreichen Sie nun dieses Kind? Über die Eltern! Was wäre das Schlimmste, das Ihrem Kind hier in der Schule aus Ihrer Sicht widerfahren könnte? Wovor wollen Sie es am liebsten schützen? Wie gehen Sie es an, Ihr Kind vor diesen Situationen zu schützen? Daran anknüpfend erfolgt die Überleitung zu Ihrer Perspektive als Lehrkraft. Auch ich habe für Ihr Kind die besten Absichten. Ich möchte, dass es hier in der Schule seinen guten Platz innerhalb der Gruppe findet. Es ist mir daher wichtig, dass wir für Ihr Kind einen guten Weg finden, sich hier in der Schule zurechtzufinden, jedoch innerhalb der Regeln für einen guten Umgang miteinander. Wie können wir verhindern, dass Sie in absehbarer Zeit wieder hier sitzen, weil Ihr Kind sich nicht an Regeln hält (und sich damit auch in eine mögliche Ausgrenzung im Lernraum Schule begibt)? Was fällt in Ihren Aufgabenbereich und was in meinen?

Ein weiteres Phänomen für den elterlichen Einfluss auf das Verhalten des eigenen Kindes sind die sogenannten stillen Aufträge. Kinder spüren, wofür sie Anerkennung erhalten und Liebe. Sie versuchen, den Eltern zu gefallen und deren Erwartungen zu erfüllen. Damit sichern sie sich Zugehörigkeit und Bindung, zwei Aspekte des psycho-sozialen Grundbedürfnisses nach Beziehung. (Die Bedürfnistheorien und deren Auswirkungen auf menschliches Verhalten habe ich in Kapitel 12 Bedürfnisse und Entwicklungsaufgaben und ihre Bedeutung für Führung beschrieben.) »Nichts hat einen stärkeren psychologischen Einfluss auf die Kindheit als das ungelebte Leben der Eltern.« Damit deutet C. G. Jung auf das Ausmaß und die Wirkkraft solcher stillen Aufträge hin.

Wenn Kinder den Erwartungen einerseits gefallen wollen, diese jedoch nicht »liefern« können, entsteht ein innerer Konflikt. Kinder versuchen, innere Konflikte unterschiedlich abzureagieren. Auffälliges Verhalten könnte ein Zeichen für eine solche Abreaktion darstellen. Im Verlauf der Entwicklungsphasen im Jugendalter und mit zunehmender Abgrenzung von Eltern und Erziehungsberechtigten kann das bislang angepasste Verhalten in die andere Richtung umschlagen. Das Kind, inzwischen jugendlich, lehnt sich gegen die stillen Aufträge und die damit verbundenen Glaubenssätze auf.

Es kann sich lohnen, in Gesprächen mit Schülern und Eltern diesem Phänomen achtsam nachzuspüren. Wenn aus gut gemeinten Wünschen am Ende einschränkende Erwartungen werden, liegt die Verantwortung bei den Erwachsenen (Eltern), das System wieder in die gesunde Balance zu bringen.

Fragen nach stillen Aufträgen sollten mit Bedacht und großer Achtsamkeit gestellt werden. Sie gehören eingebettet in einen Prozess und sind natürlich weder für den Erstkontakt noch für spontane Zusammenkünfte geeignet. Mit den Fragen klopfen Sie achtsam an die Tür, Ihr Gegenüber entscheidet, ob es Sie hereinlässt.

Gegenüber Eltern können Sie zum Beispiel in diese Richtung vorstoßen:

  • Was ist Ihr größter Wunsch für Ihr Kind?
  • Zu wie viel Prozent ist der Wunsch (zum Beispiel Verbleib an der Realschule oder eine 2. Fremdsprache erlernen) Ihr Wunsch und zu wie viel Prozent der Wunsch Ihres Kindes?
  • Wobei soll Ihr Kind es einmal besser haben?
  • Wovor möchten Sie Ihr Kind schützen?
  • Wenn Sie die Schublade mit Ihren Familienüberzeugungen aufmachen, welcher Glaubenssatz kommt Ihnen da obenauf entgegen?

Gegenüber Schülern können Sie sich zum Beispiel so herantasten:

  • Womit, glaubst du, würdest du deine Eltern (Mutter, Vater) am ehesten erfreuen (enttäuschen)?
  • Welche Aufgabe innerhalb deiner schulischen Verpflichtungen hätte sofort die volle Aufmerksamkeit (Unterstützung, Ablehnung) deiner Eltern?
  • Wie zufrieden bist du mit deinen schulischen Leistungen? Was glaubst du, wer diese Zufriedenheit am ehesten teilt (und wer nicht)? Wie erklärst du dir das?

Zum Abschluss dieser Einheit eine kleine Reflexions-Einladung. Welches Gespräch als Lehrkraft ist Ihnen in guter Erinnerung? Woran erinnern Sie sich? Was machte das Gespräch zu einem guten Gespräch für Sie? Nehmen Sie anschließend ein Blatt Papier und legen Sie zwei Spalten an. In die linke Spalte tragen Sie ein: Was mir in Gesprächen leichtfällt. Und in die rechte Spalte tragen Sie ein: Was mir in Gesprächen noch schwerfällt. Lassen Sie die Liste ruhig einige Zeit offen liegen und nehmen Sie sie immer wieder zur Hand und ergänzen Sie Ihre Eintragungen. Wie ist das Verhältnis der beiden Spalten? Worauf fällt Ihr Blick zuerst? Wie denken Sie über sich, wenn Sie Ihre Punkte so lesen? Wer kann Ihnen bei den Punkten rechts weiterhelfen? Welchen Punkt davon gehen Sie als Erstes in Richtung Veränderung an? Was müsste anders werden, dass es besser ist?