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22 Verabreichen von Arzneimitteln  – Grundlagen der Medikamentenlehre

Andreas Portsteffen

Die Einnahme von Arzneimitteln ist in unserer Gesellschaft alltäglich geworden. Eine zunehmende Gewöhnung an Arzneimittel im Kindesalter mindert die Hemmschwelle und fördert den Arzneimittelkonsum. Der Wunsch nach „Wundermitteln“, d. h. nach Problemlösung durch ein Arzneimittel, ist so groß, dass die Präparate oft genug ihr eigentliches Ziel erreichen und in großen Mengen gekauft werden. Dabei sind die Probleme, die mit einem zu schnellen Griff zum Arzneimittel verbunden sind, deutlich: Analgetika verursachen Nierenschäden, Kortikosteroide Immunsuppression, Antibiotika Resistenzbildungen und Psychopharmaka besitzen Suchtpotenzial.

Praxistipp

Schauen Sie sich Ihre Hausapotheke an. Wissen Sie, wofür Sie die Medikamente bekommen haben? Würden Sie Medikamente an andere Personen weitergeben mit dem Hinweis, „dass sie Ihnen selbst gut geholfen haben“?

22.1 Arzneimittelgesetz

Ein Arzneimittel ist immer verknüpft mit einer Indikation, d. h. mit einer Beschreibung, welche Erkrankung oder welche Symptome korrigiert oder beeinflusst werden sollen. Dies ist der wesentliche Unterschied zwischen einem Arzneimittel und einem Lebensmittel, Diätetikum, Genussmittel oder Medikalprodukt (z. B. Injektionszubehör oder Katheter).

Definition

In Deutschland wird der gesetzliche Rahmen durch das Arzneimittelgesetz (AMG 2016) beschrieben. Ein Arzneimittel ist dazu bestimmt, Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten bzw. zu erkennen, die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände erkennen zu lassen bzw. zu beeinflussen und Krankheitserreger, Parasiten oder körperfremde Stoffe abzuwehren, zu beseitigen oder unschädlich zu machen.

22.1.1 Arzneimittel

Arzneimittel bestehen immer aus einem oder mehreren Wirkstoffen, die zusammen mit einer Reihe von Hilfsstoffen in eine für das Arzneimittel typische Form gebracht werden. Dabei ist eine Vielzahl verschiedener (Arznei-)Formen möglich (s. u.).

Neben dem eigentlichen Arzneimittel (z. B. der Tablette) gehören auch die (Primär-)Verpackung, hier meist der Blister oder das Döschen, die beiliegende Gebrauchsinformation und die Faltschachtel zu einem „kompletten“ Arzneimittel.

Merke

Nur wenn diese Teile zusammen vorliegen, erhält der Anwender die zum sicheren Gebrauch notwendigen Informationen. Daraus ergibt sich, dass die Lagerung eines Arzneimittels nur zusammen mit Gebrauchsinformation und Faltschachtel erfolgen darf.

Wie ein Arzneimittel gekennzeichnet ist und welche Informationen wie mitgeteilt werden müssen, ist im AMG festgeschrieben.

Generika Neben dem sog. Originalpräparat, also dem Präparat, welches als Erstes von einem pharmazeutischen Hersteller mit einem neuen Wirkstoff herausgebracht wurde, gibt es auch zahlreiche sog. Generika.

Definition

Generika sind Präparate mit Wirkstoffen, die nicht mehr unter einem Patentschutz stehen und somit auch von anderen als dem Originalanbieter hergestellt werden dürfen.

Erkennbar sind diese Generika oftmals dadurch, dass sie die Arzneistoffbezeichnung im Namen führen und keine Fantasiehandelsnamen tragen (z. B. ASS ratiopharm, Originalpräparat ist Aspirin, Arzneistoffbezeichnung ist Acetysalizylsäure [ASS]). Durch verschiedene Maßnahmen des Gesetzgebers (z. B. Festbetragsregelung) stieg der Anteil der Generika am Gesamtverordnungsvolumen in den letzten Jahren stark an.

22.1.2 Indikationen, Nebenwirkungen/Wechselwirkungen

Indikationen Ein Arzneimittel ist für die Behandlung von genau beschriebenen Erkrankungen bzw. Symptomen zugelassen. Die Wirksamkeit bei diesen zugelassenen Indikationen muss vom pharmazeutischen Unternehmen belegt werden und ist Voraussetzung für die Zulassung eines Arzneimittels. Es ist eine ärztliche Aufgabe, diese Arzneimittel auch indikationsgerecht einzusetzen.

Nebenwirkungen/Wechselwirkungen Im Laufe der Entwicklung eines (neuen) Wirkstoffs werden zusätzliche Wirkungen, aber auch unerwünschte Wirkungen, Wechselwirkungen bei bestimmten Patientengruppen, mit bestimmten anderen Arzneimitteln oder bestimmten Nahrungsmitteln festgestellt und entsprechend in der Gebrauchsinformation aufgeführt.

Die Auflistung dieser vielfältigen Beobachtungen und Möglichkeiten von Neben- und Wechselwirkungen entbindet den Hersteller von einer unmittelbaren Haftung für ggf. auftretende gesundheitliche Schäden. Aus diesem Grund werden im Laufe der Zeit diese Hinweise bei einem Arzneimittel immer umfangreicher. Werden zusätzliche, bisher noch nicht bekannte Nebenwirkungen beobachtet, müssen sie den pharmazeutischen Unternehmen und den Aufsichtsorganen (z. B. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft) gemeldet werden, um die Beurteilung eines Arzneimittels bzgl. Wirksamkeit und Sicherheit stets weiterentwickeln zu können.

22.1.3 Verordnung/Verschreibung

Ein Arzneimittel kann auf verschiedenen Wegen in den Handel kommen. In einer Drogerie sind z. B. nicht apothekenpflichtige Arzneimittel wie Vitamin- und Mineraltabletten, Tees oder pflanzliche Präparate erhältlich. Der Verkauf bzw. die Abgabe von apothekenpflichtigen bzw. verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ist nur in der Apotheke zulässig, Letztere sogar nur mit Vorlage einer ärztlichen Verschreibung. Grund für diese Differenzierung ist die Bewertung, welche Risiken bei einem auch bestimmungsgemäßen Gebrauch auftreten können und wie diesen Risiken am besten begegnet werden kann. Seit einigen Jahren dürfen sog. Versandapotheken auch apotheken- und verschreibungspflichtige Arzneimittel an die Besteller verschicken. Auch Rezepte können über diesen Weg beliefert werden.

22.1.4 Betäubungsmittel

Definition

Betäubungsmittel sind Arzneimittel, die bei einem unsachgemäßen Gebrauch ein erhöhtes Risiko bzgl. Missbrauch und Abhängigkeit beinhalten. Darunter fallen die meisten sehr stark wirksamen Analgetika (Opiate und verwandte Substanzen) sowie zahlreiche Psychostimulanzien vom Amphetamin-Typ. Im Betäubungsmittelrecht werden zudem auch synthetische wie pflanzliche Suchtstoffe/-mittel aufgeführt und entsprechend als „nicht verkehrsfähig“ deklariert.

Umgang Der Umgang mit Betäubungsmitteln zeichnet sich durch eine ganze Reihe von Vorschriften bzgl. Verschreibung, Abgabe, Aufbewahrung und Dokumentation aus, die von Pflegenden und Ärzten berücksichtigt und eingehalten werden müssen (s. Fokus). Da ein stark wirksames Analgetikum, z. B. Morphin, in der stationären wie auch ambulanten Behandlung von chronischen Schmerzpatienten unverzichtbar ist, ist das Wissen über den Umgang mit diesen Arzneimitteln erforderlich.

Interessanterweise sind die beschriebenen und bekannten psychischen Abhängigkeitspotenziale dieser Substanzen fast ausschließlich bei nicht bestimmungsgemäßem, nicht indiziertem, d. h. missbräuchlichem Gebrauch festzustellen.

Arzneimittel im Fokus

Umgang mit Betäubungsmitteln

Wegen ihres hohen Suchtpotenzials nehmen Betäubungsmittel (BtMs) einen besonderen Stellenwert unter den Arzneimitteln ein. Die Herstellung, Verordnung, Abgabe und Dokumentation von Betäubungsmitteln sind im Betäubungsmittelgesetz (BtMG) festgelegt.

Anforderung

Die Anforderung von Betäubungsmitteln ist ausschließlich mit amtlichen Formularen möglich. Diese werden vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte ausgegeben und registriert.

ambulant: mittels Betäubungsmittelrezept

Im Notfall dürfen BtMs für Patienten auch mit einem Normalrezept ausgestellt werden (Vermerk: Notfallrezept). Ein BtM-Rezept ist dann unverzüglich nachzureichen.

stationär: mittels Betäubungsmittelanforderungsschein

In der Krankenhausapotheke muss eine Unterschriftsprobe vom verschreibungsberechtigten Arzt vorliegen. Alle eingehenden Anforderungen werden registriert und die Unterschrift überprüft.

Aufbewahrung

In jedem Medikamentenschrank ist ein spezielles, abschließbares, einbruchsicheres Fach für Betäubungsmittel vorgesehen.

Die Stationsleitung/Schichtleitung trägt den Schlüssel immer bei sich und übernimmt die Verantwortung dafür.

Dokumentation

Betäubungsmittelbuch: Jedes verabreichte Betäubungsmittel muss im Betäubungsmittelbuch registriert werden. Die Seiten des Betäubungsmittelbuches müssen fortlaufend nummeriert sein. Jede Bestandsänderung muss sorgfältig dokumentiert werden.

Zugang: Ein Zugang aus der Apotheke erhält folgende Angaben:

  • Datum

  • Darreichungsform

  • Menge

  • Name des verschreibenden Arztes

  • Nummer des Betäubungsmittelrezeptes (Betäubungsmittelanforderungsscheins)

Entnahme: Eine Entnahme erfolgt unter Angabe von:

  • Betäubungsmittelbezeichnung

  • Menge

  • Datum und Uhrzeit

  • Name des Patienten

  • Name des verschreibenden Arztes

  • Name der verabreichenden Pflegeperson

Fehlerhafte Eintragungen werden durchgestrichen und keinesfalls mit Tipp-Ex unkenntlich gemacht. Seiten dürfen nicht herausgerissen werden.

Zu Bruch gegangene Ampullen werden unter Angabe von Zeugen als Abgang dokumentiert.

Prüfung

Der aktuelle Bestand an Betäubungsmitteln ( ▶ Abb. 22.1) muss immer mit der Bestandsangabe im Betäubungsmittelbuch übereinstimmen.

Der verantwortliche Arzt muss mindestens einmal monatlich die vorschriftsmäßige Führung der Betäubungsmittelbücher prüfen und seine Unterschrift und das Datum anbringen.

Die Betäubungsmittelbücher werden 3 Jahre lang, von der letzten Eintragung an gerechnet, aufbewahrt.

Verschiedene Betäubungsmittel im Überblick.

Abb. 22.1 

(Foto: P. Blåfield, Thieme)

Verschiedene Betäubungsmittel im Überblick.

Merke

Eine unter ärztlicher Kontrolle durchgeführte Schmerzbehandlung mit Opiaten ist in keiner Weise vergleichbar mit der Einnahme gleicher oder verwandter Substanzen unter dem Aspekt der Suchtbefriedigung.

22.2 Sicherer Umgang mit Arzneimitteln

Ärztliche Aufgaben Die Verordnung von Arzneimitteln ist die Aufgabe des Arztes, d. h., er macht die eindeutige Angabe darüber, welches Präparat in welcher Dosierung wie oft zu verabreichen ist. Die Aufklärung des Patienten und die Verlaufsbeobachtung gehören ebenfalls unmittelbar zu den ärztlichen Aufgaben.

Pflegerische Aufgaben Die Aufgabe der Pflegenden ist es, diese ärztlichen Verordnungen umzusetzen, zu unterstützen und zu dokumentieren. Weiterhin können Pflegende den sehr regelmäßigen und engen Kontakt zum Patienten nutzen, um Wahrnehmungen und Beobachtungen zu machen, die die Wirkungen und Begleiterscheinungen unter einer Therapie unmittelbar sichtbar werden lassen. Fragen und Unsicherheiten des Patienten werden oftmals zuerst den Pflegenden gegenüber geäußert und können so für die weitere Behandlung mit einbezogen werden.

22.2.1 Versorgung mit Arzneimitteln

Die Versorgung mit Arzneimitteln im Krankenhaus geschieht i. d. R. durch eine eigene oder benachbarte Krankenhausapotheke. Die Versorgung durch eine öffentliche Apotheke ist seltener und meist nur für kleine Häuser geeignet. Der Versorgungsumfang der Krankenhausapotheke erstreckt sich meist über die Arzneimittel und Infusionslösungen hinaus und beinhaltet noch Diagnostika und Chemikalien, Diätetika und Trink- und Sondenkost, Medikalprodukte und Verbandsmittel, Pflegemittel und Reinigungs- und Desinfektionsmittel.

Beratung Neben der eigentlichen Versorgung spielen die Betreuung und Information der Pflegenden und Ärzte durch den Apotheker eine zunehmend größere Rolle. Die Beratung über Art der Anwendung und die Mitarbeit an Behandlungskonzepten bewirkt unmittelbar eine Steigerung in der Qualität der Versorgung und hat zugleich günstige Auswirkungen auf die angestrebte Wirtschaftlichkeit in der Therapie. Das Ziel, eine sichere Medikation unter Vermeidung von Fehlern (Verordnungsfehler, Dokumentationsfehler, Applikationsfehler) zu erreichen, steht zunehmend stärker im Blickpunkt der Öffentlichkeit und der vor Ort Verantwortlichen.

22.2.1.1 Arzneimittel-Kommission

Ein Krankenhaus ist vom Gesetzgeber verpflichtet, eine Arzneimittel-Kommission (AMK) einzurichten. Mitglieder sind meist leitende Ärzte der verschiedenen medizinischen Disziplinen sowie der leitende Apotheker. Der Auftrag der AMK ist es, unter therapeutischen und auch wirtschaftlichen Aspekten eine Auswahl von Präparaten zu erstellen, diese in einer hauseigenen Arzneimittel-Liste zu veröffentlichen und so die Präparate der Standardversorgung zu benennen.

Zusätzliche Aufgaben einer AMK sind meist: Erarbeitung von Behandlungsrichtlinien, Weitergabe und Bewertung von Informationen und Auswertung der wirtschaftlichen Daten des Arzneimittelverbrauches. 

22.2.2 Richten der Medikamente

Die Umsetzung von der Patientenakte in die tatsächliche Medikation erfolgt oft mithilfe von Kärtchen, die zusammen mit dem passenden Tablett zum Stellen der Medikamente eingesetzt werden ( ▶ Abb. 22.2). Das Übertragen von Patientenname, Präparat, Dosis und Einnahmezeitpunkt auf die Kärtchen ist jedoch eine Fehlerquelle und muss entsprechend geprüft werden. Insbesondere auch Änderungen in der Medikation müssen in dieser Weise übernommen werden.

Stellen der Medikamente.

Abb. 22.2 

(Foto: K. Oborny, Thieme)

Stellen der Medikamente.

Arzneimittel im Fokus

Dokumentation

Um Fehler zu vermeiden, ist eine einheitliche und abgestimmte Form der Dokumentation von „Arzneimittel“ und „Dosis“ zu verwenden. Folgende Beispiele können dies verdeutlichen:

Beispiel 1

ASS 1000 mg: 1 – 1 – 1

ASS 500 mg: 2 – 2 – 2

Beispiel 2

Prednisolon 20 mg: 1 – 0 – 1/2

Prednisolon: 20 mg – 0 – 10 mg

Prinzipiell bedeuten beide Schreibweisen jeweils die gleiche Medikation. Im ersten Beispiel besteht aber konkret die Gefahr, dass nur 3-mal 1 Tablette ASS 500 gegeben wird, da es eine 1000 mg-Form so nicht gibt. Zudem droht die Gefahr, dass bei Übertragung der Dokumentation aus der Patientenakte heraus die Verordnung falsch wiedergegeben wird. Im zweiten Beispiel gibt die obere Version das genau verwendete Präparat wieder. In der unteren Version kann man die gewünschte Dosis mit 5-mg-, 10-mg- oder 20-mg-Tabletten zusammenstellen.

Wechselnde Tablettenkonstellationen können bei einem Patienten zu Irritationen und Misstrauen führen. Immer gilt, dass bei fehlender Vereinbarung und bei Nichtbeachten (z. B. durch neue Mitarbeiter) die Gefahr von Medikationsfehlern sehr konkret ist und nachweislich häufig Medikationsfehler auftreten. Aus diesem Grund wird i. d. R. das Arzneimittel mit dem Namen bezeichnet, welches auch konkret zum Einsatz kommt. Ob dann ASS 500 mg 2 – 2 – 2 oder ASS 500 mg 1000 – 1000 – 1000 dokumentiert wird, ist weniger entscheidend, sollte aber dennoch einheitlich gemacht werden.

Stellen Das eigentliche Stellen der Medikamente erfordert eine besondere Konzentration. Der Pflegende, der die Medikamente stellt, muss dies in einer ruhigen Arbeitsatmosphäre tun. Störungen durch Telefon, Rufgerät oder andere Mitarbeiter erschweren eine kontinuierliche Arbeit und mindern so die erforderliche Sicherheit. Mitarbeiter in einer Einarbeitungsphase oder Auszubildende erlernen das Stellen der Medikamente unter Anleitung von erfahrenen Pflegenden.

Praxistipp

Sehr hilfreich für den Ausführenden ist das hörbare Aussprechen dessen, was er auf der Medikationskarte liest. Das gezielte „Vorlesen“ (Call-outs) der gesamten Information (Patient, Präparat, Dosis und Einnahmezeitpunkt) verstärkt die Aufmerksamkeit und innere Kontrolle und ermöglicht unmittelbar das Erkennen von Abweichungen.

Nachkontrolle Sofern es machbar ist, sollte das gestellte Präparat zu jeder Zeit namentlich erkennbar sein. Dies erleichtert die obligate Nachkontrolle durch einen anderen Pflegenden. Bei Ampullen ist dies so lange gewährleistet, bis die Spritze aufgezogen wurde, danach kann die leere Ampulle zur Kontrolle neben der Spritze liegen bleiben. Bei Tabletten, Kapseln oder Zäpfchen sollte durch Teilung der Blister, sofern vorhanden, der Präparatename noch erkennbar bleiben.

22.2.2.1 Unit-Dose-System

In dieser Organisationsform wird das Stellen der Medikamente zu einem sehr großen Teil durch die versorgende Krankenhausapotheke geleistet. Die für den nächsten Tag geplante Medikation wird für jeden einzelnen Patienten der Apotheke schriftlich oder per „elektronischem Rezept“ mitgeteilt. Es erfolgt eine Plausibilitätskontrolle und nach Freigabe wird die Medikation meist von einem Automaten in kleine Folienbeutel abgepackt und entsprechend mit Patientenname, Präparat, Stärke und Einnahmehinweisen versehen.

Die gesamte Medikation einer Abteilung wird auf Tabletts angeordnet und zur Station gebracht. Die Pflegenden übernehmen die Weitergabe an die Patienten und ergänzen die Medikation durch die nicht im Unit-Dose-System vorbereiteten Medikamente (Säfte, Tropfen, Injektions- und Infusionslösungen). Für mögliche, aktuelle Änderungen der Medikation steht der Station zudem noch ein begrenzter Notvorrat zur Verfügung. Ergänzend werden in einigen Klinken die Identität des Patienten und die Zugehörigkeit der Medikation zu diesem Patienten mit einem Barcode-Leser vor Abgabe der Medikation abgeglichen.

22.2.3 Beurteilung der Compliance

Definition

Wie gut ein Patient eine ihm verordnete Medikation ausführen kann bzw. ausführt, wird mit dem Begriff „Compliance“ umschrieben.

Abweichungen Je mehr Präparate es sind und je komplexer die Einnahmevorschriften sind, desto häufiger sind Abweichungen von der zuvor geplanten Medikation festzustellen. Dies trifft ganz besonders bei Dauermedikationen zu und dann besonders stark, wenn der Patient kein konkret erlebbares Krankheitsgefühl hat oder bei einer prophylaktischen Medikation (z. B. Hypercholesterinämie).

Reduktion/Absetzen des Arzneimittels Wird eine Medikation bei den ersten Anzeichen einer Besserung vom Patienten selbst reduziert oder abgesetzt (z. B. bei einer antibiotischen Behandlung), ist der Behandlungserfolg unmittelbar gefährdet. Das heißt, die Frage, ob ein Patient seine Arzneimittel richtig einnimmt, ist immer wieder neu zu hinterfragen. Ein stationärer Aufenthalt kann auch deshalb nötig werden, weil die bestehende Medikation nicht korrekt ausgeführt wurde und es so zu einer Verschlechterung gekommen ist (z. B. bei einem Diabetiker).

Eigenverantwortlichkeit Ob ein Patient durch Alter, Gebrechlichkeit oder Krankheit in der Lage ist, eigenverantwortlich zu handeln, kann bei den Aufnahmegesprächen geklärt werden. Einschränkungen in der Feinmotorik, in der Sehkraft oder in der Orientierung müssen entsprechend berücksichtigt werden.

Vortäuschung Aus unterschiedlichen Gründen kann es vorkommen, dass ein Patient die Einnahme der Arzneimittel bestätigt, diese aber nur vortäuscht. Für diese Situation muss der Pflegende eine besondere Sensibilität und Wachsamkeit entwickeln. Oftmals sind fehlendes Vertrauen oder Unverständnis für das, was „mit einem geschieht“, Ursache für diese Art der Täuschung. Dieses Verhalten ist nicht nur auf psychiatrische Patienten beschränkt, die zu dem Zeitpunkt nicht mit den Therapeuten kooperieren können.

Gleiches gilt für die zusätzliche Einnahme von Präparaten oder Mitteln, die den Ärzten oder Pflegenden nicht mitgeteilt werden. Dies kann bei alkoholkranken oder medikamentenabhängigen Patienten der Fall sein, deren Abhängigkeit bei einer akuten Aufnahme nicht bekannt ist.

Anleitung Wird eine Medikation verordnet, die der Patient dauerhaft erhalten soll, benötigt er eine genaue Anleitung, um sie auch nach der Entlassung selbstbestimmt weiterführen zu können. Nur wenn der Patient unabhängig von den Vorbereitungen und der Kontrolle der Pflegenden seine Medikation „versteht“, wird er sie zu Hause auch umsetzen können. Schriftliche Hinweise, intensive Erklärungen und das Einbeziehen von Angehörigen oder ambulanten Pflegeteams sind dazu oft notwendig.

22.2.4 Verabreichen der Medikamente

Erst wenn das richtige Arzneimittel zum richtigen Zeitpunkt zum richtigen Patienten gelangt ist und dieser es in der gewünschten Weise eingenommen hat, ist die eigentlich so einfache Verordnung durch den Arzt auch wirklich umgesetzt. Bei der Vielzahl der Patienten pro Abteilung und der Verordnungen pro Tag ergeben sich entsprechend viele Verordnungen, die durch die Pflegenden ausgeführt werden müssen.

Merke

Beim Verabreichen von Medikamenten muss immer die 6-R-Regel beachtet werden:

  • Richtiger Patient?

  • Richtiges Medikament?

  • Richtige Dosierung?

  • Richtige Applikationsart?

  • Richtiger Zeitpunkt?

  • Richtige Dokumentation?

22.2.4.1 Einflüsse auf die Medikamentengabe

Für die richtige Wirkung und für die gewünschte Verträglichkeit des Medikaments müssen oft spezielle Hinweise berücksichtigt werden.

Mahlzeiten Der Einfluss von Mahlzeiten oder die zeitliche Unabhängigkeit von Mahlzeiten sind wichtige Kriterien für die Medikamenteneinnahme. Einige Lebensmittel können die Wirkung von Arzneimitteln beeinflussen (z. B. Milch, Käse, Grapefruitsaft), genauso wie bestimmte Arzneimittel nicht miteinander kombiniert werden sollten.

Tageszeit Eine zirkadiane (tageszeitliche) Abhängigkeit der Arzneimittelgabe ist dann zu berücksichtigen, wenn unterschiedlich starke Wirkungen oder auch Nebenwirkungen abhängig vom Tag-Nacht-Rhythmus festzustellen sind. Dies gilt z. B. für die Kortikosteroid-Gabe, für cholesterinsenkende Präparate, für Mittel der Bluthochdruckbehandlung, für Analgetika sowie auch für einige Zytostatika.

Praxistipp

Bei allen festen Arzneimitteln wie Tabletten oder Kapseln sollten Pflegende darauf achten, dass der Patient möglichst sitzt oder steht und ausreichend Flüssigkeit (mind. 100 ml) dazu trinkt. Besonders Kapseln können unter Umständen in der Speiseröhre kleben bleiben, sich teilweise dort auflösen und an dieser Stelle die Schleimhaut stark schädigen. Wenn Sie ▶ Medikamente über eine Magen- oder Dünndarmsonde verabreichen, sollten dabei einige Besonderheiten beachtet werden.

22.2.4.2 Gebrauchsinformation

Wie ein Arzneimittel gegeben werden soll, ist in der Gebrauchsinformation beschrieben. Für die häufig verwendeten Arzneimittel einer Station sollten die Mitarbeiter diese notwendigen Informationen kennen. Bei weniger oft eingesetzten Präparaten müssen diese Informationen nachgelesen werden. Zu diesem Zweck ist im Bereich einer Station eine Sammlung von aktuellen Gebrauchs- bzw. Fachinformationen hilfreich. Dies erfolgt meist durch Zugriff auf die „Rote Liste online“ oder den sogenannten „Ifap-Index“ per Intranet.

In vielen Fällen sind die Angaben der Gebrauchsinformation für die speziellen Notwendigkeiten einer Krankenhausmedikation aber nicht ausreichend. Dies gilt insbesondere für komplexere Arzneimitteltherapien, z. B. einer Intensivabteilung. Dann sind besonders die Apotheker gefragt, durch zusätzliche Informationen und Bewertungen eine sichere Behandlung zu gewährleisten.

22.2.4.3 Spezielle Applikationstechniken

Neue Applikationstechniken erfordern eine gekonnte und exakte Bedienung, z. B.:

Unterschiedliche, folgenreiche Applikationsfehler sind leider immer wieder zu beobachten.

22.2.5 Wirkung und Nebenwirkung erfassen

Die Gebrauchsinformation nennt meist viele Begleiterscheinungen oder Nebenwirkungen, die auftreten können oder im Einzelfall bereits aufgetreten sind. Durch Kenntnis der Wirkungsweise und durch das Wissen der dafür typischen und möglichen Nebenwirkungen entsteht zusammen mit einer intensiven Patientenbeobachtung eine Beurteilung, wie sich die Medikation auswirkt.

Beobachtung Die Beobachtung beinhaltet die regelmäßige Kontrolle von z. B. Blutdruck, Puls, Körpertemperatur, Blutzucker, Ausscheidungen und Frage nach der Befindlichkeit. Seltene oder überraschende Reaktionen bedürfen einer zusätzlichen Aufmerksamkeit, um auch in dieser Situation den Patienten sicher betreuen zu können. Wahrnehmung, Beschreibung, Dokumentation und Weitergabe dieser umfassenden Patientenbeobachtung an den Arzt ist ein wesentlicher pflegerischer Schwerpunkt.

Begleitmedikation Oftmals sind Begleiterscheinungen so eng mit der Medikation verbunden, dass von Anfang an eine Begleitmedikation zur Milderung erfolgt. Die unmittelbare Behandlung von zu erwartender Übelkeit und Obstipation gehört so z. B. zur Schmerztherapie mit Opioid-Analgetika dazu.

22.2.6 Dokumentation

In erster Linie dient die Dokumentation der ▶ Beurteilung von Behandlungsverläufen und -ergebnissen. Nur wenn bei der Vielzahl der Patienten und der Vielzahl an Möglichkeiten klar und eindeutig ist, was wann mit welchem Ergebnis durchgeführt wurde, ist eine eindeutige Beurteilung möglich. Dies geschieht in hohem Maße zur Sicherheit des Patienten. In unklaren Fällen, in Situationen, wo das Geleistete oder nicht Geleistete verantwortet werden muss, ist die Patientendokumentation eine Grundlage für diese Beurteilung. Der Zwang zur Dokumentation der pflegerischen oder ärztlichen Leistung sowie der Behandlungsverläufe resultiert neben der eigentlichen medizinischen Notwendigkeit noch aus folgenden Gründen:

22.2.7 Aufbewahren von Arzneimitteln

Arzneimittel sind immer so zu lagern, dass ein Zugriff für Unbefugte nicht möglich ist. Die Schränke müssen verschlossen sein und werden nur zur eigentlichen Entnahme geöffnet ( ▶ Abb. 22.3). Ebenfalls zu berücksichtigen ist, dass neu gelieferte Packungen nach hinten gepackt werden und so erst die älteren Packungen aufgebraucht werden. Wird eine Packung neu geöffnet, wird diese sichtbar auf der Verpackung abgekreuzt. So kann jede Pflegende auf Anhieb erfassen, welche Packung bereits geöffnet ist. Diese Art der Einordnung und Kennzeichnung reduziert nennenswerte Verluste durch Verfall von Medikamenten oder auch anderen begrenzt haltbaren Gütern.

Korrekte Aufbewahrung von Medikamenten.

Abb. 22.3 Verschließbare, flexible und gut übersichtliche Lagerungsmöglichkeiten des Stationsvorrats erleichtern den Umgang mit den Medikamenten. Angebrochene Packungen sollten gekennzeichnet werden und vor der neuen Packung stehen.

(Foto: A. Fischer, Thieme)

Korrekte Aufbewahrung von Medikamenten.

22.2.7.1 Lagerungsbedingungen

Alle Arzneimittel haben vorgegebene Lagerungsbedingungen ( ▶ Tab. 22.1 ), die zum Erhalt der Qualität unbedingt einzuhalten sind. Die richtige Lagerungstemperatur und der Schutz vor direkter Sonneneinstrahlung sind notwendig. Die Haltbarkeit wird auf der Packung und meist auch auf Ampulle, Tube, Flasche oder Blister angegeben. Dieses Datum muss lesbar und vorhanden sein, um zu jeder Zeit das Alter eindeutig bestimmen zu können. Nach Ablauf des Haltbarkeitsdatums darf das Arzneimittel nicht mehr verwendet werden. Es erlischt sozusagen die Garantie des Herstellers. 

Tab. 22.1 Übliche Lagerungsbedingungen für Medikamente.

Temperatur

Lagerungsort

Bemerkung

Tiefkühllagerung

< – 18 °C

in einem Tiefkühlschrank

darf nicht auftauen

Kühllagerung

2 – 8 °C

in einem Kühlschrank

darf nicht gefrieren

Raumtemperatur

15 – 25 °C

in einem Schrank

Lichtschutz erforderlich

Aufbewahrungshinweise Neben den Lagerungsbedingungen sind bei einer Vielzahl von Präparaten sog. Aufbewahrungshinweise zu beachten. Hierbei wird angegeben, wie ein angebrochenes oder zubereitetes Präparat gelagert werden muss und wie lange es bei der beschriebenen Lagerung haltbar ist. Beispiele aus aktuellen Fach- oder Gebrauchsinformationen finden Sie in ▶ Tab. 22.2 . Werden keine besonderen Hinweise gegeben, so gilt das Haltbarkeitsdatum. Dies gilt auch für Säfte, alkoholische Tropfen, Salben und Puder.

Tab. 22.2 Spezielle Hinweise für angebrochene und zubereitete Arzneimittel (beispielhafte Texte aus aktuellen Fachinformationen).

Arzneimittel

Hinweise

Cefaclor r.ph. Trockensaft

„Die gebrauchsfertige Suspension im Kühlschrank lagern (2–8 °C). Bei Lagerung im Kühlschrank ist die gebrauchsfertige Suspension 14 Tage haltbar.“

Diflucan Saft

„Nach dem Öffnen kann Diflucan höchstens 30 Tage lang angewendet werden.“

Actrapid 100 E/ml Patrone

„Während des Gebrauchs […]: Das Produkt darf maximal 6 Wochen gelagert werden. Nicht über 30 °C lagern.“

Heparin-Na 25 000 IE ratiopharm

„Nach Anbruch 1 Woche haltbar.“

Refobacin Augentropfen

„Nach Anbruch nicht länger als 4 Wochen verwenden.“

Rocephin

„[...] enthält kein Konservierungsmittel. Die Lösung ist unmittelbar nach der Zubereitung zu verwenden. Der Inhalt der Durchstechflasche ist zur einmaligen Entnahme bestimmt.“

Vancomycin CP

„Für die parenterale Anwendung sollte die frisch zubereitete Lösung wegen des Risikos einer mikrobiellen Kontamination bei der Auflösung alsbald gebraucht werden. Für die orale Anwendung kann die zubereitete Lösung 24  h im Kühlschrank aufbewahrt werden.“

Praxistipp

Die Lagerung im Medikamentenkühlschrank bedarf einer regelmäßigen Kontrolle, ob der geforderte Temperaturbereich von 2 – 8 °C auch tatsächlich eingehalten wird. Verschiedene Ursachen können dazu führen, dass zu hohe oder zu niedrigere Temperaturen erreicht werden. Wenn es keine automatische Temperaturregistrierung gibt, ist deswegen die tägliche handschriftliche Dokumentation von Tiefst-, Höchst- und aktueller Temperatur erforderlich. Dies kann relativ einfach mit elektronischen Min-Max-Thermometern erfolgen.

22.2.7.2 Stationsbegehung

Die regelmäßige, gesetzlich vorgeschriebene, halbjährliche Stationsbegehung durch die Apotheker der Krankenhausapotheke soll einen Überblick über den Umgang mit Arzneimitteln im Stationsbereich ermöglichen. Ein gegenseitiges Wahrnehmen und ein Austausch über die jeweiligen Aufgaben und Fragen sollten Teil einer Begehung sein.

22.3 Arzneimittelformen

Die Art und Weise, wie ein Wirkstoff, eingebaut in eine Arzneiform, in den Körper gelangt, ist sehr unterschiedlich. In ▶ Tab. 22.3  sind verschiedene Wege und die dazugehörigen Arzneimittel zusammengestellt.

Tab. 22.3 Applikationswege und Arzneimittelformen.

Applikationsort

Applikationsart

Arzneimittelformen

Applikation auf Haut und Schleimhaut

Haut

kutan/epikutan

Salben, Gele, Öle, Pflaster

Mund- und Zungenschleimhaut

bukkal, (sub-)lingual (s. l.)

Tabletten, Lösungen, Sprays

Magen- und Darmschleimhaut

(per)oral (p. o.) = enteral

Tabletten, Kapseln, Lösungen, Suspensionen, Tropfen

Rektumschleimhaut

rektal (rek.)

Suppositorien, Salben, Lösungen

Nasenschleimhaut

nasal (nas.)

Tropfen, Sprays, Salben

Bronchialschleimhaut

pulmonal

Dosieraerosole, Lösungen, Inhalationskapseln

Konjunktiva (Bindehaut)

konjunktival

Tropfen, Salben, Gele

Applikation in das Körperinnere (parenteral)

unter Umgehung von Resorption

in eine Arterie

intraarteriell (i. a.)

Injektionslösung (Infusionslösung)

in eine Vene

intravenös (i. v.)

Injektionslösung, Infusionslösung

in den Liquorraum

intrathekal (i. th.)

Injektionslösung

in ein Gelenk

intraartikulär

Injektionslösung

mit erhaltener Resorption

in die Haut

intrakutan (i. c.)

Injektionslösung (Infusionslösung)

unter die Haut

subkutan (s. c.)

Injektionslösung

in den Muskel

intramuskulär (i. m.)

Injektionslösung

in die Bauchhöhle

intraperitoneal (i. p.)

Injektionslösung, Infusionslösung

22.3.1 Tabletten, Kapseln, Tropfen und Säfte

Tabletten Tabletten sind komprimierte Pulver, die unter Druck in die jeweilige Form gepresst werden. Zusätzlich kann ein Überzug aufgetragen werden. Dieser kann z. B. die Auflösung und den Zerfall der Tablette beeinflussen, vor einem unangenehmen Geschmack schützen oder den Wirkstoff vor Licht und/oder Sauerstoff schützen.

Hartgelatine-Kapseln Hartgelatine-Kapseln bestehen aus einem Unterteil, in welches ein Pulver oder Granulat gefüllt wird, und einem Oberteil als Deckel. Eine solche Kapsel kann man zur Applikation öffnen und so den Kapselinhalt einnehmen.

Weichgelatine-Kapseln Weichgelatine-Kapseln enthalten meist ölige Lösungen. Hierbei sind die beiden Kapselhälften miteinander verklebt und ein Öffnen ist nicht möglich.

Tropfen und Säfte Bei Tropfen und Säften liegt der Wirkstoff bereits in gelöster Form vor. Meist enthalten diese Zubereitungen verschiedene Zusatzstoffe, um die Lösung ausreichend lange haltbar zu machen. Ein Vorteil ist auch die tropfen- oder volumengenaue Dosierung, sodass häufig Kinderarzneimittel in dieser Form vorliegen und die Dosierung flexibel je nach Alter oder Gewicht möglich ist. Natürlich können Säfte und Tropfen von Kindern auch einfacher geschluckt werden als Tabletten und Kapseln. Sogenannte Trockensäfte sind Pulver, die mit (Leitungs-)Wasser aufgelöst werden und dann als Lösung verabreicht werden können. Oft sind es Antibiotika vom Penicillin- und Cephalosporintyp, die in dieser Art vorliegen und speziell für Kinder angeboten werden.

Einnahme Die Einnahme erfolgt immer per os, d. h. „über den Mund“. Im Magen löst sich die feste Arzneiform auf, der Wirkstoff beginnt sich aufzulösen und wird meist in den oberen Dünndarmabschnitten resorbiert. Dieser Übertritt durch die Darmwand kann „passiv“, d. h. aufgrund des vorliegenden Konzentrationsgefälles dieser Substanz zwischen Darmlumen und Blutstrom, oder „aktiv“, d. h. unter Beteiligung in der Darmwand vorliegender spezifischer Rezeptoren erfolgen. Erst nach Aufnahme in den Blutstrom kann der Wirkstoff zu seinem Wirkort transportiert werden.

22.3.1.1 Magensaftresistente Tabletten und Kapseln

Ist ein Wirkstoff säureempfindlich, d. h. instabil bei Kontakt mit der Magensäure oder unverträglich, so kann dieser Wirkstoff in magensaftresistente Tabletten oder Kapseln eingebettet werden.

Wirkung Diese Tabletten bzw. Kapseln oder deren Inhalt sind mit einem dünnen Überzug versehen, der sich im sauren Milieu des Magens nicht auflöst. Erst im neutralen bis leicht alkalischen Dünndarm erfolgt die Auflösung der Schutzschicht und der eigentlichen Arzneiform. Diese veränderte und gesteuerte Freisetzung des Wirkstoffs aus seiner Arzneiform ermöglicht die perorale Gabe von säureempfindlichen Wirkstoffen (z. B. Omeprazol, Pankreatin). Gleiches gilt bei Wirkstoffen, die die Magenschleimhaut reizen können und so eine Unverträglichkeit bewirken (ASS, Diclofenac, Sulfasalazin).

Magensaftresistente Tabletten dürfen demnach nicht geteilt werden. Magensaftresistente Pellets in Kapseln dürfen i. d. R. zwar entnommen und ohne Kapselhülle gegeben werden, sie dürfen aber nicht zerkleinert oder zerkaut werden. Besonderheiten oder Ausnahmen sind in den Gebrauchsinformationen nachzulesen.

Merke

Magensaftresistente Tabletten dürfen nicht geteilt werden!

22.3.1.2 Retardtabletten

Definition

Retardtabletten setzen ihren Wirkstoff verzögert frei. Dadurch ist es möglich, eine längere Wirkdauer bei Wirkstoffen zu erreichen, die bei schneller Freisetzung nicht gegeben wäre. Die Einnahmeintervalle können so verlängert und gleichzeitig konstantere Wirkstoffspiegel im Blut erreicht werden.

Wirkung Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie eine Retardtablette aufgebaut ist ( ▶ Abb. 22.4). Eine einfache Möglichkeit ist die Verwendung eines schwerlöslichen Wirkstoffs, der sich während der gesamten Magen-Darm-Passage langsam löst. Ebenfalls kann ein Wirkstoff in eine schwerlösliche Matrix eingebaut werden, die sich dann verzögert auflöst. Eine dritte Möglichkeit ist die Verwendung von „Reservoirs“, in denen der Wirkstoff eingebettet ist. Durch den langsamen Zustrom von Flüssigkeit im Magen-Darm-Bereich löst sich die Substanz und wird langsam und kontrolliert durch kleine Löcher in der „Reservoirwand“ freigesetzt. Bei dieser speziellen Form der Retardtablette kann die leere Tablettenhülle auch scheinbar unverändert ausgeschieden werden.

Beispiel für Retardkapseln.

Abb. 22.4 

(Foto. K. Oborny, Thieme)

Beispiel für Retardkapseln.

Beispiel für Schmelztabletten.

Abb. 22.5 

(Foto: K. Oborny, Thieme)

Beispiel für Schmelztabletten.

Handhabung Retardtabletten dürfen nie geteilt werden, es sei denn, die Teilbarkeit ist ausdrücklich erlaubt. Diese wichtige Information ist in der Gebrauchsanweisung nachzulesen. Werden Retardtabletten, die nicht geteilt werden dürfen, geteilt oder zerstoßen, so wird i. d. R. der gesamte Wirkstoff unverzögert freigesetzt und resorbiert, was zu erheblichen Nebenwirkungen und Vergiftungen führen kann. Bei stark wirksamen Opiaten, die in einer Retardform vorliegen, ist die unmittelbare Resorption der gesamten Wirkstoffmenge unter Umständen tödlich.

Merke

Retardtabletten dürfen niemals geteilt werden, es sei denn, es ist ausdrücklich erlaubt!

22.3.1.3 Schmelztabletten

Definition

Schmelztabletten sind Tabletten, die sich beim Kontakt mit Speichel sofort auflösen, sodass kein aktiver Schluckvorgang erforderlich ist ( ▶ Abb. 22.5). Der Wirkstoff wird einfach durch das normale Schlucken des Speichels mitaufgenommen.

Vorteilhaft kann diese Arzneiform sein, wenn alters- oder krankheitsbedingt das Schlucken beeinträchtigt ist. Ebenso ist eine bessere Kontrolle der Einnahme bei Schmelztabletten möglich. Tabletten, die sich auf der Zunge auflösen und nicht aktiv ausgespuckt werden, sind so erfolgreich appliziert. Dies ist insbesondere im psychiatrischen Bereich wichtig, da hier oftmals die Medikamenteneinnahme vorgetäuscht wird. Wirkstoffe, die auch als Schmelztablette verfügbar sind, sind u. a. Olanzapin, Mirtazapin, Risperidon, Aripiprazol, Lorazepam, Ondansetron.

Handhabung Bei der Handhabung von Schmelztabletten ist zu beachten, dass sie nicht wie andere Tabletten durch die Blisterfolie durchgedrückt werden dürfen, sondern die Folie vorsichtig abgezogen werden muss. Anderenfalls wird die Schmelztablette sofort zerdrückt und ist unbrauchbar.

22.3.1.4 Sublingualtabletten

Wirkung Sublingualtabletten enthalten einen Wirkstoff, der nach Freisetzung aus der Tablette oder Kapsel im Mundraum über die Zungen- und Mundschleimhaut resorbiert wird. Dieser Resorptionsort kann dann vorteilhaft sein, wenn bei einer Resorption im Dünndarm eine zu hohe Abbaurate durch die erste Leberpassage des Blutes („First-pass-Effekt“) zu erwarten wäre. Sublingual applizierte Arzneimittel zeichnen sich auch durch einen schnellen Wirkeintritt aus (Nitroglyzerin-Beißkapsel, Temgesic sublingual oder Actiq-Lutschtablette).

22.3.1.5 Pflaster (transdermale therapeutische Systeme/TTS)

Zunehmend werden Arzneimittel in Form von wirkstoffhaltigen Pflastern entwickelt und in den Verkehr gebracht. Eine Grundvoraussetzung dafür ist, dass der Wirkstoff in einer konstanten und nachvollziehbaren Weise in der Lage ist, durch intakte Haut zu dringen und schon mit vergleichsweise geringen Dosierungen eine ausreichende Wirkung zu erzielen ist. Diese Bedingungen sind z. B. bei folgenden Wirkstoffen gegeben: Fentanyl, Buprenorphin, Scopolamin, Rivastigmin, Estradiol und andere Hormone, Nikotin.

Wirkung Die Pflaster enthalten i. d. R. ein Wirkstoffdepot, aus dem bei Hautkontakt gleichmäßig Wirkstoff abgegeben wird. Dieser Wirkstoff dringt aufgrund eines Konzentrationsgefälles durch die intakte Haut, sammelt sich teilweise in den oberen Hautschichten und wird dann konstant mit dem Blutstrom im ganzen Körper verteilt. Die Wirkdauer, d. h. Wechselhäufigkeit, kann zwischen 1-mal pro Tag und 1-mal pro Woche variieren. Für den Patienten ist dies i. d. R. ein angenehmer und komfortabler Applikationsweg.

Risiken und Nebenwirkungen Es sind allerdings bei unsachgemäßem Gebrauch auch erhebliche Nebenwirkungen, Überdosierungen und Vergiftungen möglich, sodass der Umgang mit diesen Systemen gut angeleitet und kontrolliert werden muss. Wenn z. B. Schmerzpflaster an verschiedenen Stellen aufgeklebt werden und die Pflaster dann vergessen werden, ist eine Überdosierung leicht möglich. Gerade bei betreuten Personen (Heim, häusliche Pflege, Krankenhaus) besteht hier ein erhebliches Risikopotenzial. Wenn ein Patient ein Schmerzpflaster im Rücken- oder Bauchbereich hat und sich selbst eine Heizdecke oder Wärmflasche auflegt, so sind die Freigabe des Wirkstoffs und die Wirkstoffaufnahme über die Haut stark erhöht. Bei Fentanylpflastern kann dies zu maximalen Überdosierungen mit Atemlähmung und Tod führen. Auch Temperaturerhöhung durch Fieber oder das Sitzen in einem Rollstuhl kann zu unterschiedlichen Freisetzungsgeschwindigkeiten führen.

Nachteil Dem Vorteil der bequemen Handhabung stehen auch einige Nachteile entgegen. Das Hautdepot wird langsam auf- und abgebaut. Somit kann es einige Stunden dauern, bis ein Wirkeintritt feststellbar und Stunden und Tage, bis der gesamte Wirkstoff abgebaut ist. Eine Akut- und Bedarfsmedikation muss folglich parallel eingenommen werden können.

22.3.1.6 Suppositorien (Zäpfchen)

Definition

Suppositorien sind Medikamente, die in Körperhöhlen eingeführt werden, vornehmlich in den Mastdarm oder in die Vagina.

Die rektale Applikation von Wirkstoffen ist eine Alternative zur oralen Gabe, und zwar immer dann, wenn eine orale Gabe nicht möglich oder unsicher ist. Dies ist z. B. der Fall bei kleinen Kindern, aber auch bei älteren Menschen, z. B. mit Magensonde.

Wirkung Suppositorien bestehen in den meisten Fällen aus Hartfett, in welchem der fein pulverisierte Wirkstoff verteilt eingebettet ist ( ▶ Abb. 22.6). Sogenanntes „Hartfett“ hat die Eigenschaft, bei Körpertemperatur zu schmelzen und so die Wirkstoffpartikel freizugeben. Der Wirkstoff löst sich und wird über die Rektalschleimhaut resorbiert. Rektal angewendete Wirkstoffe können entweder eine lokale Wirkung entfalten, z. B. bei Abführ- oder Hämorrhoidenzäpfchen, oder aber durch Resorption und Weitertransport durch den Blutstrom eine systemische Wirkung zeigen. Dies ist z. B. bei Analgetika und Antipyretika (Paracetamol, Ibuprofen, Indometacin, Metamizol) der Fall. Bedingt durch das relativ langsame Schmelzen und Auflösen ist der Wirkungseintritt entsprechend verzögert.

22.3.1.7 Injektionslösungen

Definition

Bei der Injektion wird ein Arzneimittel mit einer Kanüle direkt in den Organismus gespritzt. Die Applikation erfolgt also unter Umgehung einer schützenden Resorptionsbarriere (Haut oder Schleimhaut).

Beispiel für Suppositorien.

Abb. 22.6 

(Foto: K. Oborny, Thieme)

Beispiel für Suppositorien.

Beispiele für Injektionslösungen.

Abb. 22.7 

(Foto: K. Oborny, Thieme)

Beispiele für Injektionslösungen.

Aus der fehlenden Resorptionsbarriere ergeben sich einige besondere Anforderungen an diese Arzneiform. Grundvoraussetzung für alle Injektionslösungen sind die Sterilität und Pyrogenfreiheit (Abwesenheit von Fieber erregenden Substanzen, z. B. Abbauprodukte von Bakterien). Es sind i. d. R. wässrige, klare Lösungen, die meist intravenös verabreicht werden. In einigen Fällen, wenn z. B. ein Wirkstoff in wässriger Lösung nur sehr begrenzt haltbar ist, besteht das Arzneimittel aus einer ▶ Trockensubstanz, die mit einem geeigneten Lösungsmittel zur Injektionslösung zubereitet wird. Seltener gibt es z. B. Kristallsuspensionen oder ölige Zubereitungen, die ▶ subkutan oder ▶ intramuskulär appliziert werden. Subkutane oder intramuskuläre Injektionen sind zudem volumenbegrenzt. Es kann dort meist nur bis zu 2 ml (schmerzfrei) appliziert werden.

Nebenwirkungen Da Injektionslösungen meist unmittelbar und vollständig in den Körper gelangen, ist im Falle einer Unverträglichkeit auch mit akuten und heftigen Reaktionen zu rechnen. Dies kann bis zum anaphylaktischen Schock reichen.

22.3.1.8 Infusionslösungen

Definition

Infusionslösungen sind großvolumige Lösungen (> 50 ml), die i. d. R. intravenös appliziert werden ( ▶ Abb. 22.7). Infusionslösungen sind immer wässrig und müssen den natürlichen Bedingungen des Blutes möglichst angeglichen werden, um eine ausreichende Verträglichkeit sicherzustellen. Dies gilt insbesondere für den pH-Wert (Isohydrie) und für die Teilchenkonzentration (Isotonie).

Arzneimittelhaltige Infusionen Selbstverständlich müssen auch Infusionslösungen steril und pyrogenfrei sein. Basis- oder Trägerlösungen sind z. B. NaCl 0,9 %, Glukose 5 % oder Ringer-Lösung. Arzneimittelhaltige Lösungen sind z. B. Antibiotika-Lösungen, Amantadin-Lösung. Als Volumenersatz können Infusionslösungen mit Hydroxyethylstärke (HES), Dextranen, Gelatine oder Humanalbumin genutzt werden. Auch sog. Trockensubstanzen können durch Lösen mit einem Lösungsmittel als wirkstoffhaltige Infusionslösung zubereitet werden. Dies ist bei allen Antibiotika vom Penicillin- bzw. Cephalosporin-Typ der Fall. In vielen Fällen werden einzelne oder mehrere Arzneistoffe (Injektionslösungen) in Infusionslösungen gegeben und so über einen definierten Zeitraum appliziert. Dies erhöht i. d. R. die Verträglichkeit der applizierten Injektionslösungen.

Infusionen zur parenteralen Ernährung Lösungen zur parenteralen Ernährung enthalten Kohlenhydrate (KH), Aminosäuren (AS) und Fette. Da alle 3 Bestandteile miteinander nicht ausreichend stabil sind, liegen diese Lösungen als einzelne „Bausteine“ oder in 2er-Kombinationen (KH + AS) vor. Eine Fettemulsion ist immer eine separate Lösung und muss entweder vor Applikation mit der Kohlenhydrat-Aminosäure-Lösung gemischt werden oder aber parallel infundiert werden. In sog. 3-Kammer-Beuteln liegen diese Einzelkomponenten so lange voneinander getrennt vor, bis kurz vor Applikation die Kammern durchmischt werden. Die resultierende Mischung hat dann eine Stabilität, die für die Applikationsdauer ausreichend ist. Abhängig von der Konzentration der Lösung ist eine periphervenöse Applikation (bis max. 850 mosm/l) möglich. Darüber hinaus ist die Applikation in einen sog. zentralen Zugang erforderlich. Hier ist der Blutstrom so groß, das durch Verdünnung der hoch konzentrierten Ernährungslösung keine Reizungen oder andere lokale Reaktionen zu befürchten sind.

Weitere Informationen zu Infusionen finden Sie im Kapitel zu ▶ Infusionen.

22.3.1.9 Inhalationsarzneimittel

Für die Behandlung von Lungen- und Bronchialerkrankungen ist die Applikation des Wirkstoffes per Inhalation der bestmögliche Weg. Auf diese Weise ist eine direkte lokale Wirkung mit i. d. R. geringen Wirkstoffmengen möglich. Eine Belastung des Gesamtorganismus ist damit weitgehend vermeidbar. Insbesondere bei Asthma und ▶ COPD (chronic obstructive pulmonary disease ist dieser Applikationsweg bestens geeignet.

Wirkung Inhalationslösungen und Dosieraerosole sind die älteren typischen Beispiele für die inhalative Applikation. Inhalationslösungen werden mithilfe von Inhalationssystemen (z. B. Pari Boy) appliziert. Dosieraerosole sind kleine Druckgaskartuschen, in denen der Wirkstoff fein verteilt mit einem verflüssigten Treibgas vorliegt ( ▶ Abb. 22.8). Bei Druck auf den Auslöser tritt ein fein verteilter Sprühnebel aus, der unmittelbar inhaliert wird. Entweder wird das ▶ Dosieraerosol direkt an die Lippen gesetzt und appliziert oder aber man verwendet einen sogenannten Spacer, durch den man den Sprühnebel einatmet.

Beispiel für ein Dosieraerosol.

Abb. 22.8 

(Foto: A. Fischer, Thieme)

Beispiel für ein Dosieraerosol.

Pulverinhalatoren Die Einschränkungen in der Verwendung von FCKW haben in den 90er-Jahren die Entwicklung von FCKW-freien Inhalativa vorangetrieben. Entweder wurde auf noch zulässige Druckgase gewechselt (z. B. Norfluran) oder aber es wurden Systeme von Pulverinhalatoren entwickelt. Beispiele für diese Systeme sind: Turbohaler (Fa. Astra für Symbicort, Pulmicort oder Oxis), Handihaler (Fa. Boehringer Ingelheim für Spiriva), Jethaler (Fa. Ratiopharm) und Easyhaler (Fa. Hexal).

Bei diesen Systemen werden Pulver zur Inhalation freigesetzt, die dann aktiv und zeitlich abgestimmt vom Patienten inhaliert werden müssen. Die Pulver stammen entweder aus Kapseln, die zur Applikation mit dem Applikationssystem geöffnet werden, oder aber es werden Tablettenoberflächen mechanisch abgekratzt und das entstehende Pulver wird inhaliert.

Patientenschulung Da die Applikationssysteme zunehmend komplex und anspruchsvoll geworden sind, ist bei der Patientenschulung durch Arzt oder Apotheker darauf zu achten, dass die Handhabung gelernt und gekonnt wird. Abhängig von Alter, Krankheit und Adhärenz ist das am besten geeignete System auszuwählen. Wenn eine Therapie keinen Erfolg hat, ist unbedingt zu prüfen, ob nicht Handhabungsprobleme ursächlich dafür sind.

22.3.1.10 Augenarzneimittel

Arzneimittel, die am Auge appliziert werden, müssen ähnliche Voraussetzungen erfüllen wie Injektionslösungen. Zum Schutz der empfindlichen Augenschleimhaut müssen Augenarzneimittel ebenfalls steril und pyrogenfrei sein. Ebenso ist ein Angleichen an das natürliche Milieu der Augenschleimhaut erforderlich. Arzneistoffe, die am Auge appliziert werden, sind z. B. Antibiotika, Kortikosteroide, Betablocker.

Augentropfen Wässrige Augentropfen enthalten i. d. R. einen Wirkstoff, der lokal am Auge seine Wirkung entfalten soll. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Augentropfen, die als Ersatz für fehlende Tränenflüssigkeit verwendet werden. Augentropfen werden in Mehrdosisbehältnissen bis max. 5 ml oder in Eindosisbehältnissen (EDO = Eindosisophthiole) angeboten ( ▶ Abb. 22.9). Augentropfen in Mehrdosisbehältnissen benötigen eine Konservierung, die sicherstellt, dass mögliche hineingetragene Keime wirksam abgetötet werden.

Beispiel für Augenarzneimittel.

Abb. 22.9 

(Foto: K. Oborny, Thieme)

Beispiel für Augenarzneimittel.

Augensalben Augensalben bzw. -gele sind ebenfalls sterile Zubereitungen, die in den Bindehautsack appliziert werden. Bedingt durch die Konsistenz einer Salbe/eines Gels ergibt sich eine längere Kontaktzeit mit der Augenschleimhaut im Vergleich zu einer wässrigen Lösung. Allerdings ist meist auch die Sicht durch „Schlierenbildung“ länger beeinträchtigt.

Verwendbarkeit Wegen der besonderen Instabilität gegenüber mikrobiellen Verunreinigungen ist die Verwendbarkeit von Mehrdosisbehältnissen nach Anbruch auf 4 – 6 Wochen begrenzt. EDOs sind zur einmaligen Verwendung vorgesehen.

22.3.1.11 Dermatika

Bei der Anwendung von Salben, Gelen, Lotionen auf die intakte Haut ist die natürliche Resorptionsbarriere der verschiedenen Hautschichten intakt. Das bedeutet aber auch, dass aufgetragene Wirkstoffe diese natürliche Schutzschicht durchqueren müssen, um ggf. eine Wirkung unterhalb der Hautschicht bewirken oder gar in den Blutstrom gelangen zu können.

Dermatika werden i. d. R. für eine lokale Behandlung eingesetzt. In Einzelfällen kann aber die Applikation eines hormonhaltigen Gels eine orale oder parenterale Applikation ersetzen.

Grundlage Die Grundlage für Dermatika kann sehr unterschiedlich sein: rein fette Grundlage, Wasser-in-Öl-Mischung, Öl-in-Wasser-Mischung, rein wässrig oder wässrig-alkoholisch. Die Art der Grundlage wird auch durch die Wirkstoffe beeinflusst, die mithilfe der Grundlage „transportiert“ werden sollen. Allerdings ist oft auch der Hauttyp, die akute Hautbeschaffenheit oder die Verträglichkeit ausschlaggebend für die Art der gewählten Grundlage. Aus diesem Grund werden insbesondere kortikosteroidhaltige Dermatika in verschiedenen Formen als z. B. Paste, Fettsalbe, Salbe, Creme oder Gel angeboten. Für die Anwendung in den Haaren und auf der Kopfhaut ist es zudem erforderlich, dass die Salbengrundlage prinzipiell abwaschbar ist.

Lebensphase Kind

Mechthild Hoehl

Arzneimittelgabe bei Kindern

Kinder benötigen i.d.R. geringere Dosierungen, aber auch andere altersentsprechende Verabreichungsformen von Arzneimitteln.

  • Während im Säuglingsalter Suppositorien und Klistiere sichere, einfach anzuwendende Arzneiformen sind, erleben Kinder nach Abschluss der Sauberkeitsentwicklung diese Art der Arzneiverabreichung als invasiv und übergriffig. Bei der Zäpfchengabe werden die Säuglinge und Kleinkinder wie beim Fiebermessen auf den Rücken oder auf die Seite gelegt und das Zäpfchen vorsichtig eingeführt. Anschließend werden die Pobacken noch ca. 1 Minute mit den Händen zusammengehalten, damit das Medikament nicht gleich herausgedrückt wird.

  • Zäpfchen gleiten besser, wenn sie in der Hand vorgewärmt und mit etwas Wasser abgespült wurden. Zum Einführen kann auch etwas Vaseline verwendet werden. Cremes oder Öle sollten jedoch nicht verwendet werden, da diese die Aufnahme des Wirkstoffs beeinträchtigen können.

  • Auch Nasen- oder Ohrentropfen werden eher akzeptiert, wenn sie in der Hand vorgewärmt werden.

  • Aufgezogen in einer Spritze können Säfte für Kinder individuell dosiert werden. Sie können mit einem Dosierlöffel oder mit der Spritze (ohne Kanüle) vorsichtig direkt in den Mund gegeben werden oder sie können über eine liegende Sonde verabreicht werden.

  • Das Einflößen des Medikaments mit der Spritze klappt am besten, wenn das Medikament seitlich in den Mund gegeben wird.

  • Man sollte die Arzneimittel nicht in die Trinkflasche geben, da dann nicht gewährleistet ist, dass das Medikament vollständig eingenommen wird, falls die Flasche nicht vollständig ausgetrunken wird.

  • Kinderarzneisäfte sind meist geschmacklich so gestaltet, dass Kinder sie gut akzeptieren. Da manche Arzneimittel dennoch einen unangenehmen Nachgeschmack haben, sollte anschließend etwas nachgetrunken oder gegessen werden, vorausgesetzt, es ist erlaubt, dieses Medikament mit dem entsprechenden Getränk oder Nahrungsmittel zu kombinieren. Viele Medikamente dürfen nicht mit Milch gegeben werden, da dies die Wirksamkeit beeinträchtigt. Außerdem könnte die unmittelbare Gabe von Milchnahrung nach der Medikamentengabe zu anschließender Nahrungsverweigerung führen, wenn die Kinder einen unangenehmen Geschmack mit der Nahrung in Verbindung bringen.

  • Tropfen werden mit der vom Hersteller beigefügten Tropfpipette dosiert. Hierbei werden sie zunächst auf einen Löffel oder in eine mit etwas Wasser gefüllte Spritze gegeben, jedoch niemals direkt in den Mund geträufelt. Hierbei könnte es zu Fehldosierungen kommen.

  • Tabletten können mit Flüssigkeit gelöst oder gemörsert werden.

  • Kapseln können häufig geöffnet und der Inhalt dann gelöst werden, vorausgesetzt, dies ist laut Beipackzettel erlaubt.

Darüber hinaus sollten bei der Verabreichung der Arzneimittel folgende allgemeinen Regeln berücksichtigt werden:

  • Die Angaben der Hersteller zum Umgang mit dem jeweiligen Arzneimittel sind unbedingt zu beachten und den Eltern mitzuteilen, falls diese die Gabe des Arzneimittels übernehmen.

  • Falls es mehrere Verabreichungsformen gibt, können größere Kinder mitentscheiden, welche für sie die angenehmste ist.

  • Ab dem Schulalter gelingt es Kindern mit guter Aufklärung und einfühlsamer Anleitung, alle Arten von oralen Medikamenten zu sich zu nehmen.

  • Einfache, kurze und kindgerechte Erklärungen erleichtern die Compliance der kleinen Patienten. Rasches und entschlossenes Handeln verringert das Gefühl von Unsicherheit.

  • Sollte eine Arznei unangenehm (z.B. Suppositorien bei größeren Kindern), bitter (Säfte oder Tropfen) oder schmerzhaft (Injektionen oder Infusionen) sein, sollte dies keinesfalls beschönigt werden.

  • Für eine gute Mitarbeit, auch in schwierigen Situationen, sollten die Kinder gelobt werden.

  • Falls es möglich ist, sollte der Medikationszeitpunkt mit den Bezugspersonen und den Bedürfnissen des Kindes abgeklärt werden. Es kann hilfreich sein, wenn die Eltern die Medikamentengabe nach Aufklärung und Information übernehmen. Bei manchen Kindern kann es aber ebenfalls hilfreich sein, wenn unangenehme Maßnahmen Aufgabe des Pflegepersonals bleiben.

  • Die Bezugspersonen sollten über die Wirkungen und Nebenwirkungen des Medikamentes aufgeklärt werden, sodass sie bei Bedarf richtig darauf eingehen bzw. das Pflegepersonal informieren können.

22.4 Aufnahme, Verteilung und Ausscheidung von Arzneistoffen

22.4.1 Aufnahme und Verteilung

Wie in ▶ Tab. 22.3  dargestellt gibt es verschiedene Wege, wie ein Arzneimittel in den Körper gelangen kann. Je nach Applikationsweg gibt es die dazu passende Arzneiform.

Aufnahme Orale Arzneiformen werden geschluckt, im Magen zerfällt meist schon die Arzneiform und gibt den Wirkstoff frei. Im oberen Dünndarmabschnitt beginnt typischerweise die Resorption des gelösten Wirkstoffes durch die Darmschleimhaut. Die gut durchblutete Darmschleimhaut transportiert die nun resorbierten Wirkstoffmoleküle über die Pfortader zunächst zur Leber. Da viele Arzneistoffe in der Leber verstoffwechselt, d. h. inaktiviert und abgebaut werden, ist es wichtig, dass eine ausreichende Menge die erste Leberpassage unverändert durchläuft.

Verteilung Nach der Leberpassage erfolgt die Verteilung im ganzen Blutkreislauf innerhalb kurzer Zeit. Neben der Verteilung im Blutkreislauf ist für die Wirkung vieler Arzneistoffe wichtig, dass sie sich und vor allem wo sie sich in bestimmten Organen anreichern (z. B. Muskelgewebe, Fettgewebe, Knochen, ZNS). Diese Anreicherung ist teilweise abhängig von der Durchblutung und teilweise von spezifischen Eigenschaften der Substanz. Ebenso ist die Verteilung in den verschiedenen Körperflüssigkeiten außerhalb des Blutes wichtig.

In vielen Fällen ist die eigentliche Wirkung von Arzneistoffen rezeptorbedingt. Um eine entsprechende Wirkung auszulösen, bedarf es eines direkten Kontaktes zwischen dem Arzneistoffmolekül und dem Rezeptor. Direkt oder indirekt kann daraus die eigentliche Wirkung entstehen.

22.4.2 Abbau und Ausscheidung

Direkt mit der Aufnahme von Arzneistoffen beginnen schon der Abbau und die Ausscheidung. Bei der ersten Leberpassage nach Aufnahme durch die Dünndarmschleimhaut erfolgt ein meist enzymatischer Abbau des Wirkstoffs. Häufig entsteht z. B. eine Kopplung mit einer Säuregruppe, um die Ausscheidung über die Niere zu beschleunigen. Dieser neu gebildete Wirkstoff-Säure-Komplex ist i. d. R. pharmakologisch unwirksam und die Ausscheidung erfolgt über die Niere, die Leber oder die Galle.

Eliminationshalbwertszeit Abhängig davon, in welchem Umfang und mit welcher Geschwindigkeit diese Metabolisierung stattfindet, ergibt sich eine längere oder kürzere Aufenthaltsdauer des aktiven Wirkstoffs im Plasma. Eine Kennzahl dafür ist die sog. Eliminationshalbwertszeit, die Zeit, in der die Plasmakonzentration auf die Hälfte des ursprünglichen Wertes abgefallen ist. Diese Kennzahl ist substanzabhängig. Erfolgt die Wirkung rezeptorvermittelt, kann es aber auch zu einer sehr viel längeren Wirkdauer kommen, als tatsächlich Wirkstoff im Plasma verfügbar ist. Im Falle einer Rezeptorblockade oder einer Rezeptorinaktivierung ist die Wirkdauer davon abhängig, wie schnell der Rezeptor wieder wirkstofffrei wird bzw. wie schnell sich der Rezeptor regenerieren kann. Beispiele hierfür sind die Protonenpumpeninhibitoren (z. B. Omeprazol, Pantoprazol) oder die AT-1-Rezeptorantagonisten (z. B. Valsartan, Candesartan).

Renale Clearance Kennzahlen für den Abbau und die Ausscheidung von Wirkstoffen sind auch die renale Clearance und die hepatische Clearance. Die Clearance bezeichnet das (virtuelle) Plasmavolumen, das pro Zeiteinheit von der jeweiligen Substanz befreit bzw. „geklärt“ wird. Hier ist aber neben der Substanzeigenschaft des Wirkstoffes auch die Organleistung mitentscheidend. Bei Nieren- oder Leberfunktionseinschränkungen ergibt sich unmittelbar auch eine reduzierte Clearance. Dies ist z. B. beim älteren Menschen fast immer der Fall. Eine gesteigerte hepatische Clearance kann auch die Folge einer Enzyminduktion sein. Hierbei sind die abbauenden Enzyme durch verschiedene Substanzen angeregt, vermehrt oder aktiviert worden. Diese Substanzen könne andere Arzneistoffe sein (z. B. Carbamazepin, Rifampicin, Diphenhydramin, Barbiturate, Phenytoin) oder auch „Genussgifte“ wie Alkohol und Zigaretten.

22.5 Lern- und Leseservice

22.5.1 Weiterführende Literatur

[1356] Hoehl M, Kullick P. Gesundheits- und Kinderkrankenpflege. 4. Aufl. Stuttgart Thieme; 2012

[1357] Kirschner W. Arzneiformen richtig anwenden. 3. Aufl. Stuttgart: Deutscher Apotheker Verlag; 2007

[1358] Kretz FJ, Reichenberger S. Medikamentöse Therapie. 6. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2007

[1359] Lektorat Pflege, Menche N, Hrsg. Pflege heute. 6. Aufl. München: Elsevier; 2014

[1360] Mutschler E. Arzneimittelwirkungen kompakt. Stuttgart: Wissenschaftlicher Verlagsgesellschaft; 2006

[1361] Renner J. Arzneimittel in der Pädiatrie. Stuttgart: Thieme; 2006

[1362] Schmid B, Hartmeier C, Bannert C. Arzneimittellehre für Krankenpflegeberufe. 8. Aufl. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft; 2011