Die Mauer, die vom Himmel fiel
Noch kurz vor dem Mauerbau hatte DDR-Staatsoberhaupt Walter Ulbricht verkündet: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“ Und dann war sie auf einmal da. Teilte Stadt, Straßen und Familien, ganze 28 Jahre, zwei Monate und 28 Tage lang. Der Ring um West-Berlin betrug 155 km, 106 km davon bestanden aus einer Stahlbetonmauer.
Am Brandenburger Tor kurz nach dem Mauerbau
Mit der Abriegelung West-Berlins am 13. August 1961 hatte die DDR die Notbremse gezogen, um die Abwanderung aufzuhalten. 2,7 Mio. Bürger hatten seit der Gründung des Arbeiter- und Bauernstaates die DDR verlassen, viele über Berlin, da die Zonengrenze zur BRD bereits in den 1950ern zur Festung ausgebaut worden war. Nach 28 Monaten nahezu völliger Trennung kam es im Dezember 1963 zum ersten Passagierscheinabkommen, das West-Berlinern Tagesbesuche bis zum 5. Januar 1964 ermöglichte. Erst mit Inkrafttreten des Viermächteabkommens 1972 konnten die West-Berliner wieder regelmäßig ihre Verwandten im Osten besuchen, wofür sie einen Einreiseantrag stellen (westdeutsche Staatsbürger bekamen ein Visum direkt an der Grenze) und 25 DM 1:1 umtauschen mussten.
Für Ostdeutsche aber, die nach West-Berlin wollten, ging i. d. R. nichts. Lediglich Senioren durften reisen - allen anderen blieb nur die Flucht: Über 5000 Menschen konnten zwischen 1961 und 1989 die Berliner Mauer über- bzw. unterwinden, die meisten in den Anfangsjahren, als die Sperranlagen noch nicht so ausgereift waren. Der „antifaschistische Schutzwall“, meist aus vorderer und hinterer Sperrmauer bestehend, wurde stetig verbessert. Das zuletzt verwendete Mauersegment war der L-förmige Typ, 3,60 m hoch und 2,6 t schwer, den man selbst mit einem Panzer nicht mehr durchbrechen konnte. Für die Grenzsicherung beschäftigte das Ministerium für Staatssicherheit 12.000 Mitarbeiter. 2500 Grenzsoldaten waren rund um die Uhr im Einsatz - nicht nur zur Mauersicherung, sondern auch zur gegenseitigen Bewachung, denn in Berlin traten mehr als 500 Grenzsoldaten selbst die Flucht an.
Wie viele Menschen ihren Fluchtversuch mit dem Leben bezahlten, steht bis heute nicht fest, 136 Fälle sind mittlerweile an der Berliner Mauer dokumentiert, weitere 872 an der innerdeutschen Grenze. Viele Flüchtlinge wurden erschossen, die Mörder ausgezeichnet. Aber nicht nur bei dramatischen Fluchtversuchen kamen Menschen um. In der Spree ertranken fünf West-Berliner Kinder, die beim Spielen ins Wasser gefallen waren, die DDR-Grenzsoldaten schauten zu. Die westlichen Rettungstrupps mussten das ebenfalls tun - die Spree gehörte zum Osten, und der Weg ins Wasser wäre Selbstmord gewesen.
Am ehemaligen Grenzstreifen
33.000 DDR-Bürger - Regimegegner wie auch Personen, die bei Fluchtversuchen an der innerdeutschen Grenze gefasst worden waren - kaufte die BRD aus den Stasi-Gefängnissen frei. Auf Republikflucht standen Freiheitsstrafen von bis zu acht Jahren. Anfangs bezahlte der Westen den Menschenhandel mit Eisenbahnwaggons, Düngemitteln und Maislieferungen, dann wurden 40.000 DM pro Person fällig, in den 80er-Jahren waren es 100.000 DM. Etwa 3,5 Milliarden Mark überwies der Westen an Honecker & Co, für die DDR dringend benötigte Devisen. Auch für die Transitstrecken nach Westdeutschland bezahlte die Bundesregierung Milliarden. Diese Zahlungen und auch die Abwanderung Oppositioneller - freiwillig wie genötigt - verlängerten die Existenz des SED-Regimes.
Honeckers Orakelspruch im Januar 1989 „Die Mauer wird in 50 und auch in 100 Jahren noch bestehen bleiben“ entpuppte sich wie Ulbrichts Mauerleugnung von 1961 als falsch. Am 9. November 1989 fiel die Mauer. Und bald darauf war sie verschwunden, mit Bulldozern abtransportiert, in Einzelteilen an Museen verscherbelt, von Mauerspechten zerstückelt. Im September 1990 kam es dabei zum allerletzten Maueropfer: Ein Schüler wurde beim Mauerpicken von einem umkippenden Mauerstück erschlagen.