Denkmalschutz
In den vergangenen zwei Jahrhunderten beschränkten sich die Bauvorhaben mit wenigen Ausnahmen auf den der Lagunenstadt vorgelagerten Lido di Venezia sowie auf die Vorstadtinsel La Giudecca, wo im späten 19. Jh. sogar ein kleines Industriegebiet heranwuchs. In Venedig selbst entstanden so unrühmliche Bauten wie das Bahnhofsgebäude oder die Pavillons auf dem Gelände der Kunst-Biennale (→ S. 177). Ansonsten konzentrierten sich alle städtebaulichen Anstrengungen auf den Erhalt der historischen Bausubstanz. Doch bis es dazu kam, musste der schleichende Verfall der historischen Gebäude erst einmal offenkundig werden und weltweite Betroffenheit auslösen, d. h. erst nachdem die fürchterliche Flutkatastrophe von 1966 die Weltöffentlichkeit geschockt hatte, wurden ernsthafte Restaurierungsbemühungen unternommen. Seitdem fließen jährlich Millionensummen für den Erhalt der einzigartigen Lagunenstadt. Das Geld kommt von der nationalen Behörde für Denkmalschutz sowie von zahlreichen ausländischen und internationalen Organisationen, Komitees und Firmen. Consorzio Venezia Nuova nennt sich das venezianische Konsortium, das die Restaurierungsarbeiten vor Ort fachmännisch koordiniert und überwacht. Häufig werden die einzelnen Projekte in Form von so genannten Patenschaften durchgeführt, damit man die jeweiligen Hilfs- und Sponsorengelder auch konkreten Restaurierungsmaßnahmen zuordnen kann. Auf diese Weise wurden seit 1969 über 100 Baumonumente und über 1000 Kunstwerke restauriert, darunter die beiden Museumsgebäude Ca’Pesaro und Fondaco dei Turchi sowie das einsturzgefährdete Universitätsgebäude Ca’Foscari (alle am Canal Grande). Längst fand auch die heiß ersehnte Wiedereröffnung des Gran Teatro La Fenice statt, das 1996 einem Großbrand zum Opfer gefallen war. In voller Pracht erstrahlt auch wieder der Renaissance-Uhrturm auf dem Markusplatz sowie die monumentale Kuppel der Chiesa Santa Maria della Salute, während zahlreiche bedrohte Baumonumente noch auf ihre Restaurierung warten, z. B. das Wahrzeichen Venedigs, die Rialtobrücke. Und die Wartezeit wird leider immer länger statt kürzer, denn bittere Tatsache ist, dass der Gesamtetat für Denkmalschutz und Infrastruktur kontinuierlich schrumpft.
Fondaco dei Turchi
Wo hingegen Geld vorhanden ist, hat der Denkmalschutz nicht unbedingt Vorrang, wie die spektakuläre Umbaugenehmigung für den Fondaco dei Tedeschi zeigt. Das Textilunternehmen Benetton baut dieses altehrwürdige Kontorgebäude neben der Rialtobrücke z. Z. in ein Shoppingcenter der Luxusklasse um. Am Entwurf des Stararchitekten Rem Koolhaas hat die Denkmalschutzbehörde jedoch in letzter Minute die geplanten Rollentreppen im Innenhof sowie die Dachterrasse gestrichen. Dennoch wird mit diesem Prestigeprojekt ein authentisches Stück Venedig verloren gehen und der unsägliche Trend zum Luxusshopping fortgesetzt.
Venedigs müder Untergrund
Einsturzgefahr am Canal Grande
Die weit verbreitete Annahme, die Lagunenstadt sei vollständig auf Holzpfählen gebaut und unter den Häusern fließe Wasser, ist falsch. In Wahrheit steht Venedig zum größten Teil auf dem ton- und kieshaltigen Sandboden von über hundert kleinen Inselchen. Dazwischen jedoch, an den schlammigen Ufern der zahlreichen Wasserwege, die das verzweigte Kanalnetz der Stadt bilden, sorgen unzählige Holzpfähle für Halt. Erst seit einigen Jahrzehnten, seitdem die Kanäle der Stadt wieder systematisch gereinigt und die Unterbauten der Häuser, Kirchen, Uferwege und Brücken sichtbar werden, hat man auch eine exakte Vorstellung von der ursprünglichen Fundamentierungstechnik der Venezianer: Zunächst wurde der Baugrund trockengelegt und an den Ufern mit ca. 3 m langen und mindestens 15 cm dicken Baumstämmen verstärkt. Für diese kanalseitige Befestigung benötigte man je nach Größe des Baus und der Bodenbeschaffenheit Zehntausende von Baumstämmen (in der Regel Eichen), die senkrecht in den Boden gerammt wurden. Auf diesem dichten Wald aus Pfählen, der auch bei Ebbe vollständig unter Wasser liegen musste, befestigte man eine dicke Schicht aus Lärchenplanken. Dann folgte ein gemauertes Ziegelsteinfundament auf dem ein mindestens 30 cm hoher Sockel aus massivem Kalkstein ruht. Dieses Basamento, das bis knapp über den höchsten Wasserstand (durchschnittlicher Flutpegel) reicht, war als wasserdichte Horizontalsperre gedacht und sollte das Mauerwerk sowie die Fassaden der Häuser vor aufsteigender Feuchtigkeit schützen.
Jahrhundertelang standen die Bauwerke an den Kanälen fest und solide, denn ihre kompakten Holzfundamente wurden im salzhaltigen Lagunenwasser eisenhart. Doch seitdem sich die Gezeiten in der Lagune verändert haben, das Hochwasser immer höher steigt und das Niedrigwasser immer tiefer fällt, sind die Holzfundamente vermehrt der Luft ausgesetzt und beginnen zu faulen. Hinzu kommt der erhöhte Sauerstoffgehalt des Wassers, den die Schiffsmotoren verursachen. Etliche Fundamente der Prachtbauten am Canal Grande sind bereits erheblich geschwächt und müssen dringend saniert werden. Zum Teil versucht man, sie mit notdürftigen Zementeinspritzungen zu stabilisieren. Und dort, wo die abgesackten Basamenti bereits ständig durchnässt sind und zerbröckeln, da hilft nur eine vorsichtige hydraulische Anhebung der Gebäude in Verbindung mit einem neuen Fundament.
Diese und andere erfolgreiche Instandsetzungsarbeiten können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Venedigs Untergrund müde geworden ist und umfassendere Sanierungsmaßnahmen verlangt. Das nötige Know-how dazu wäre sogar vorhanden, das Geld hingegen wird immer knapper. Hinzu kommt, dass den Venedig-Touristen keine jahrelange Großbaustelle zugemutet werden kann, weshalb weiterhin portionsweise saniert wird. Vielleicht so lange, bis der erste Palazzo kopfüber in den Canal Grande stürzt, wie es bei der mittlerweile vollständig restaurierten Ca’ Foscari beinahe der Fall gewesen wäre?