Die Auswertung von Daten deutscher Krankenkassen zeigt: Impfungen in Deutschland werden häufig später als empfohlen begonnen und oft nicht im empfohlenen Zeitschema abgeschlossen. Dadurch wurden nationale und internationale Impfziele bei keiner Impfung erreicht. Das Paradoxe dabei: Tatsächlich sind die Deutschen nicht grundsätzlich gegen das Impfen, auch das zeigen Untersuchungen. Nur wenige Impfungen werden ausgelassen, weil sich jemand bewusst dagegen entscheidet. Woran liegt es also, dass Impfungen nicht wahrgenommen werden, obwohl sie da sind?
Bei Masern und Tetanus sind die Impfquoten höher als bei Grippe und HPV. Bei der zweiten Masernimpfung fehlen für den Gemeinschaftsschutz immer noch wichtige Prozentpunkte.
Quelle: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Impfen/Impfstatus/impfstatus_node.html
Was glauben Sie: Wie viel Prozent der Einjährigen weltweit haben wenigstens ein paar Impfungen erhalten? In Japan glauben die Menschen, dass 18 Prozent der Einjährigen weltweit wenigstens ein paar Impfungen erhalten haben. Im Senegal denken sie: 67 Prozent. Das war die höchste Schätzung in der Befragung, die 2017 durchgeführt wurde. Deutsche gehen davon aus, dass 31 Prozent der Einjährigen wenigstens ein paar Impfungen bekommen. Tatsächlich sind es aber fast 86 Prozent! Die Impfquoten variieren allerdings von Impfung zu Impfung. Weltweit ist die Durchimpfung seit 1980 deutlich gestiegen. Mehr als acht von zehn einjährigen Kindern haben wichtige Impfungen gegen Masern, Polio oder Hepatitis B erhalten.
Seit ein paar Jahren werden in Deutschland die Krankenkassendaten zu Impfungen ausgewertet. Damit sind rund 90 Prozent der Bevölkerung erfasst. Das wird ergänzt mit Daten, die zum Schuleingang erhoben werden. Die Analysen zeigten bei fast allen Impfungen die gleichen Defizite auf: Die Impfungen begannen später als empfohlen und wurden oft nicht im empfohlenen Zeitschema abgeschlossen. Bis zur Einschulung sind fehlende Impfungen von Kindern jedoch überwiegend gut umgesetzt worden. Im Übrigen gibt es große regionale Unterschiede, wo und wie häufig geimpft wird. Die Quote für die Impfung gegen das Rotavirus etwa unterscheidet sich zwischen unterschiedlichen Regionen in Deutschland um 23 Prozentpunkte.
Laut Weltgesundheitsorganisation ist Impfmüdigkeit unter den Top Ten der weltweiten Gesundheitsgefahren. In Deutschland gibt es insbesondere bei Keuchhusten und der Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs Impflücken. Trotzdem ist Deutschland kein Land der Impfgegner: Nur drei bis fünf Prozent der Bevölkerung lehnen Impfen eher oder stark ab. Auf die Frage »Wie ist Ihre Einstellung zu Impfungen?« antworten seit 2012 immer mehr Leute mit »befürwortend«. Der Anteil der Menschen, die Impfen eher oder stark ablehnen, schrumpft.
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IMPFLÜCKEN IN DEUTSCHLAND
Einen Anstieg der Impfquoten für alle Altersgruppen verzeichneten fast nur die Impfungen, die erst in den letzten zehn bis gut 15 Jahren in den Impfkalender der Säuglinge aufgenommen wurden: die Impfungen gegen Windpocken, Pneumokokken, Meningokokken C und Rotaviren. Einen leichten Anstieg gab es bei der Masern-Mumps-Röteln-Impfung in den letzten zehn Jahren, insbesondere bei der zweiten Impfdosis. Jedoch wird auch gegen Masern zu spät und insgesamt noch zu wenig geimpft, um den nötigen Gemeinschaftsschutz zu erreichen. 2020 waren in der Gruppe der bis zu Sechsjährigen rund 35.000 Kinder gänzlich ohne Masern-Impfung. Bei den Masern-Ausbrüchen der letzten Jahre waren zunehmend Erwachsene betroffen. Auch die Quote der HPV-Impfung bei Jugendlichen, die vor Krebs schützen kann, ist viel zu niedrig. Von den älteren Menschen lassen sich viel zu wenige gegen Grippe und Pneumokokken impfen. In der EU haben sich die Länder darauf geeinigt, dass drei Viertel der über 60-Jährigen gegen Grippe geimpft sein sollen. In keinem deutschen Bundesland wird diese Zahl erreicht.
Fehlendes Vertrauen kann dazu führen, dass Impfungen ausgelassen oder verschoben werden. 62 Prozent der Deutschen geben an, vollstes Vertrauen in die Sicherheit von Impfungen zu haben. Das zeigen die Daten der Infektionsschutzstudie aus dem Jahr 2018.
Tipp: Wenn Sie Fragen rund um die Sicherheit von Impfungen haben, sprechen Sie mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt darüber. Schon eine kurze Internetsuche kann zu Unsicherheit führen. Informationen dazu finden Sie auch auf > .
Die Zahl der Menschen, die Impfen ablehnen oder unsicher sind, ist über die Jahre zurückgegangen, die Zahl der Impfbefürworter hat zugenommen.
Quelle: Horstkötter et al. (2019): Einstellungen, Wissen und Verhalten von Erwachsenen und Eltern gegenüber Impfungen. BZgA-Forschungsbericht. Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
Für rund vier Prozent der Deutschen gilt: Weil die Krankheiten, gegen die geimpft wird, selten oder nie vorkommen, ist das Impfen weniger wichtig oder überflüssig.
Tipp: Informieren Sie sich über die Erkrankungen, gegen die geimpft werden kann (siehe > ff.). Auch wenn sie hierzulande vielleicht gerade wenig auftreten, können sie jederzeit aus anderen Ländern eingeschleppt werden.
Eine Impfung zu erhalten, ist oft nicht einfach genug; sie geht im Alltagsstress unter oder wird schlicht vergessen. Dies sagen rund zwölf Prozent der deutschen Bevölkerung.
Tipp: Laden Sie sich eine App auf Ihr Handy, die Sie an das Impfen erinnert. Fragen Sie bei Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin nach, ob sie Sie an fällige Impfungen erinnern können. Viele Ärzte bieten dies an. Wenn im Alltag etwas dazwischenkommt und Sie einen Impftermin absagen müssen, machen Sie gleich einen Nachholtermin aus.
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WAS BEDEUTET »IMPFGEGNER«?
Einige Menschen, die Impfungen kritisieren, würden sich selbst nicht als Impfgegner bezeichnen. Einige kritisieren nur Aspekte einzelner Impfungen, andere lehnen Impfungen pauschal ab. Das Spektrum reicht bis hin zu Menschen, die der Ansicht sind, es gäbe keine krank machenden Keime. Viele derjenigen, die als Impfgegner bezeichnet werden, würden sich selbst eher Impfskeptiker nennen. In diesem Buch benutzen wir das Wort »Impfgegner«, wenn mit Argumenten, die wissenschaftlich nicht haltbar sind, der gängige medizinische Standard und die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission kritisiert werden. Hinzu kommt, dass sich Impfgegner nicht durch wissenschaftliche Belege umstimmen lassen. Das ist eine sehr breit gefasste Definition, die diese Gruppe undifferenziert darstellt. Für dieses Buch halten wir es jedoch für eine hilfreiche Verkürzung. Oft wollen Impfgegner dasselbe wie Menschen, die Impfen befürworten: die Gesundheit ihrer Kinder schützen.
Wer nach dem Begriff Impfen googelt, verliert sich schnell im Informationsdschungel und weiß nicht mehr, wem und was man glauben soll. Viele folgen der Empfehlung der STIKO (siehe > ff.) oder der des Arztes oder der Ärztin. Aber fast 70 Prozent geben an, tief in die Materie einzutauchen, um einzelne Impfempfehlungen nachzuvollziehen. Das ist vielleicht möglich, wenn man den entsprechenden wissenschaftlichen Hintergrund hat. Doch viele der Studien sind komplex, die Methoden für Laien nur schwer zu bewerten. Manchmal führen unterschiedliche Studien auch zu gegenteiligen Ergebnissen. Dies kann zu Unsicherheit führen. Tatsächlich zeigen Studien, dass Personen, die Risiken und Nutzen besonders stark abwägen, auch eher kritisch gegenüber Impfungen sind. Ob das vom vielen Lesen kommt oder umgekehrt der kritische Geist mehr liest, lässt sich hier nicht sagen. Tatsache ist jedoch: Wer viel sucht, der findet viel und nicht alles ist gut.
Tipp: Wählen Sie Ihre Informationsquellen sorgfältig aus. Sowohl auf dem Buchmarkt als auch im Internet gibt es hervorragende und irreführende Literatur. Wie Sie gute von schlechten Informationen unterscheiden können, erfahren Sie auf > .
Wenn alle geimpft sind, brauche ich mich nicht auch noch impfen zu lassen, sagen etwa drei Prozent der deutschen Bevölkerung und outen sich damit als klassische Trittbrettfahrer.
Tipp: Dass Impfen auch etwas ist, was zum Wohle aller beiträgt, wird unserer Erfahrung nach eher selten diskutiert. Studien zeigen, dass das Wissen um den Gemeinschaftsschutz (siehe > ) dazu führen kann, dass man positiver über Impfen nachdenkt. Probieren Sie doch mal aus, wie sich das in einer impfkritischen Diskussion auswirkt!
Hier können Sie nochmals für sich überlegen: Wie ist Ihre Sicht auf das Impfen – und die Ihres Partners oder Ihrer Partnerin? Nutzen Sie dies als Anregung zum Gespräch: Wo stimmen Sie überein, wo weichen Sie voneinander ab? Für große Differenzen (zum Beispiel in der Partnerschaft) gibt es Tipps für heikle Gespräche auf > ff.
Zeichnen Sie Ihren Standpunkt zum Impfen in das Impfnetz ein. Je mehr Sie der jeweiligen Aussage am Rand zustimmen, desto weiter außen kreuzen Sie an.