Definition
Eine Hernie (griech.: hernos = Knospe) ist ein Weichteilbruch (Eingeweidebruch). Es handelt sich dabei um eine pathologische Ausstülpung des Bauchfells (Peritoneum), in dem sich Bauchorgane finden (z.B. Fettanhängsel des Darmes oder Darmanteile).
Eine Hernie besteht aus ( ▶ Abb. 29.1):
Bruchpforte (Muskel-Faszien-Lücke)
Bruchsack (immer Peritoneum)
Bruchinhalt (abdominelle Organe)
Abb. 29.1 Hernie. Der peritoneale Bruchsack stülpt sich durch die Bruchpforte in das Unterhautfettgewebe. Bruchinhalt ist hier eine Darmschlinge.
Bruchpforte Die Bruchpforte entspricht einer Lücke in der Muskel- oder Faszienschicht der Bauchwand, durch die sich der Bruch nach außen drängt. Meist handelt es sich um eine bereits bestehende Schwachstelle, an der die Bauchwand von anatomischen Strukturen durchquert wird. Zum Beispiel ist die Bruchpforte der indirekten Leistenhernie der Leistenkanal, in dem der Samenstrang verläuft. Eine Bruchpforte kann sich aber auch im Bereich von Operationsnarben (Narbenhernie) oder im Rahmen eines Traumas bilden.
Bruchsack Der Bruchsack aller Weichteilhernien besteht aus parietalem (wandständigem) Peritoneum. Die Ausstülpung des Bauchfells umschließt den Bruchinhalt. Im Bereich der Bruchpforte steht der Bruchsackhals in offener Verbindung mit der Bauchhöhle. Zur Außenwelt hin ist der Bruchsack von Unterhautfettgewebe und Haut bedeckt. Diese Schichten werden als Bruchhülle zusammengefasst.
Bruchinhalt Lageverschiebliche Organe in der Nähe der Bruchpforte können durch diese in den Bruchsack schlüpfen und bilden dann den Bruchinhalt. Meist besteht dieser lediglich aus einem Fettzipfel, der vom großen Netz oder von einem lipomatösen Anhängsel des Dickdarms (Appendix epiploica) stammt. Seltener, aber bedeutsamer ist es, wenn sich im Bruchsack Darm befindet ( ▶ Abb. 29.2), weil dann die Stuhlpassage gestört sein kann.
Auch andere Organe können den Bruchinhalt bilden: bei Leisten- oder Schenkelhernien beispielsweise ein Ovar, der Wurmfortsatz oder Anteile der Harnblase.
Abb. 29.2 Weichteilbruch. Hernie der vorderen Bauchwand. Kontrastmittelgefüllter Dünndarm als Bruchinhalt (Röntgenbild).
Weichteilbrüche können eingeteilt werden nach:
Entstehung der Hernie
Lokalisation der Bruchlücke
Möglichkeit der Reposition
Entstehung Man unterscheidet angeborene und erworbene Hernien.
Angeborene Hernie: Bruchpforte und Bruchsack sind schon bei der Geburt vorhanden. Diese Situation findet sich bei einigen (nicht allen) indirekten Leistenhernien, Nabel- oder Zwerchfellbrüchen.
Erworbene Hernie: Es kommt infolge einer anlagebedingten Bindegewebsschwäche zum Nachgeben des Stützgewebes (Muskel und Faszie). Begünstigt wird die Bildung der Hernie durch schweres Heben oder starkes Pressen.
Lokalisation Man unterteilt äußere und innere Hernien.
Äußere Hernie: Die Bruchpforte liegt im Bereich der äußeren Bauchwand. Die meisten Brüche sind äußere Hernien.
Innere Hernie: Der Bruch ist von außen nicht sicht- oder tastbar (z. B. Zwerchfellbrüche, Hernien in Lücken der Darmwurzel).
Reposition Man unterscheidet reponible, irreponible und eingeklemmte Hernien.
Reponible Hernie: Die meisten Hernien sind nur zeitweilig von Bruchinhalt gefüllt. Die Vorwölbung kann spontan oder durch sanften Druck von außen verschwinden.
Irreponible Hernie: Wenn der Bruchinhalt im Verhältnis zur Bruchpforte zu voluminös wird (z. B. durch ödematöse Schwellung oder Stuhlfüllung einer Darmschlinge), kann die Hernie nicht zurückgedrängt werden.
Eingeklemmte (inkarzerierte) Hernie: Ist die Bruchpforte so eng, dass sie den Bruchinhalt wie einen Schnürring abquetscht (einklemmt), so kommt es zur Durchblutungsstörung der im Bruchsack enthaltenen Organe ( ▶ Abb. 29.3).
Merke
Wenn der Darm eingeklemmt ist, kann eine inkarzerierte Hernie zu schwerwiegenden Komplikationen führen.
Sonderformen Seltene Sonderformen der Hernie sind die Littré-Hernie und die Gleithernie.
Littré-Hernie oder „Darmwandbruch“: Dieser Bruch kann bei kleiner Bruchpforte auftreten, wenn nur eine Seite des Darmrohrs im Bruchsack einklemmt ( ▶ Abb. 29.3b). Die gegenüberliegende Darmwand bleibt außerhalb der Bruchpforte. Die Stuhlpassage ist nicht blockiert (kein Ileus), dennoch kann es zur Gangrän des inkarzerierten Darmabschnitts mit nachfolgender Peritonitis kommen.
Gleithernie: Eine Gleithernie ( ▶ Abb. 29.3c) liegt vor, wenn ein Organ derart in den Bruchsack „gleitet“, dass es einen Teil der Bruchsackwand bildet.
Abb. 29.3 Hernien.
Abb. 29.3a Inkarzerierte Hernie. Der Bruchinhalt (hier Darm) ist in der engen Bruchpforte eingeklemmt. Folge sind eine Unterbrechung der Stuhlpassage sowie eine Gangrän der eingeklemmten Schlinge durch Strangulation der versorgenden Blutgefäße.
Abb. 29.3b Littré-Hernie. Die Darmwand ist nur partiell inkarzeriert.
Abb. 29.3c Gleitbruch. Der Bruchsack ist allseits vom Peritoneum ausgekleidet. Teilweise bilden vorgefallene innere Organe die Wand des Bruchsacks.
Ursache Angeborene Hernien sind durch einen unvollständigen Schluss der Bauchdecken bedingt (z. B. Nabelschnurbruch).
Die Ursache aller erworbenen Hernien ist eine Bindegewebsschwäche oder ein erhöhter intraabdomineller Druck. Dadurch kommt es an Stellen verminderter Bauchwandfestigkeit zur Ausbildung eines Weichteilbruchs. Begünstigende Faktoren:
akute oder chronische intraabdominelle Druckerhöhungen, z. B. bei schwerer körperlicher Arbeit, Spielen von Blasinstrumenten, chronischem Husten oder Obstipation
Patienten mit Laparotomienarbe nach einer Bauchoperation
intraabdominelle Volumenerhöhungen, z. B. Schwangerschaft, Aszites oder Tumoren
Symptome Typische Symptome einer Hernie sind:
Die Patienten bemerken im Bereich der Bruchlücke eine schmerzlose Schwellung, die auf äußeren Druck verschwindet.
Klassischerweise tritt die lokale Schwellung beim Husten oder Niesen (intraabdominelle Druckerhöhung) stärker hervor.
Eventuell berichtet der Patient über leichte ziehende Schmerzen bei Bewegung, Stuhlgang oder körperlicher Belastung.
Manchmal treten Bauchschmerzen oder Verdauungsstörungen auf.
Diagnostik Die Diagnose einer äußeren Hernie kann meist durch die klinische Untersuchung gestellt werden: Im Bereich der Bruchlücke ist eine Schwellung tastbar, die durch leichten Druck in den Bauchraum verlagert werden kann. Bei unklarem Befund lässt sich eine Schwellung durch Husten oder Pressen provozieren. Zur Objektivierung ist die Sonografie geeignet.
Innere Hernien sind von außen nicht sicht- oder tastbar. Hier ist eine Diagnose durch Sonografie, Röntgen, MRT, CT oder Laparoskopie möglich.
Komplikationen Die häufigste und gefährlichste Komplikation einer jeden Hernie ist die Brucheinklemmung (Inkarzeration). Durch die Einklemmung kommt es zu Durchblutungsstörungen der im Bruchsack enthaltenen Organe ( ▶ Abb. 29.3).
Besonders schwerwiegend ist die Situation, wenn Darm eingeklemmt ist. Die Stuhlpassage ist dann unterbrochen, was einen Darmverschluss (mechanischer Ileus, Kap. ▶ 12.7) zur Folge hat.
Ferner nimmt die Darmwand durch die Ischämie Schaden. Schlimmstenfalls kommt es zur Nekrose (Gangrän) der inkarzerierten Schlinge, womit diese für Bakterien durchlässig wird. Die Darmkeime gelangen dann in die freie Bauchhöhle und es entsteht eine Bauchfellentzündung (Durchwanderungsperitonitis, Kap. ▶ 12.8).
Folgende Zeichen sprechen für eine inkarzerierte Hernie:
druckschmerzhafte, irreponible Bruchvorwölbung
lokale Entzündungszeichen ( ▶ Tab. 3.3 )
Zeichen des mechanischen Ileus: Erbrechen, Stuhl- und Windverhalt, abdominelle Schmerzen, Meteorismus, Hyperperistaltik
Zeichen der Peritonitis: Abwehrspannung, Fieber
Therapie Das Letalitätsrisiko einer nicht behandelten Hernie durch Inkarzeration ist weitaus größer als das der (prophylaktischen) Hernienoperation.
Zusatzinfo
OP-Methoden. Ein Bruchband als Alternative zur Operation kann eine Einklemmung nicht sicher verhindern und führt häufig zu Hautschäden. Diese Behandlungsmethode ist nicht mehr zeitgemäß.
Den operativen Verschluss der Bruchpforte nennt man (Hernioplastik). Die Eröffnung des Bruchsackes nennt man (Herniotomie). Die meisten Hernien können elektiv (zu einem Wahlzeitpunkt) operiert werden.
Minimalinvasive Hernienchirurgie Elektive Weichteilbrüche werden zunehmend videoassistiert-endoskopisch durchgeführt. Die Bruchlücke muss spannungsfrei verschlossen werden, wozu häufig ein Kunststoffnetz erforderlich ist. Dieses wird mit Metallclips, resorbierbaren Clips oder Fibrinkleber am Gewebe fixiert. Gute Indikationen für die Anwendung minimalinvasiver Techniken sind der Leistenbruch und der Bauchwandbruch (Kap. ▶ 29.2.1 u. Kap. ▶ 29.2.3).
Vorgehen bei inkarzerierter Hernie Die eingeklemmte Hernie ist ein Notfall und wird baldmöglichst offen chirurgisch versorgt.
Eine inkarzerierte Hernie sollte vor der OP nicht reponiert werden. Es besteht die Gefahr, dass man den Bruch mitsamt dem zum Schnürring verengten peritonealen Bruchsackhals in die Bauchhöhle versenkt (Reposition „en bloc“, ▶ Abb. 29.4). Der Bruch ist dann von außen nicht mehr tastbar, die Strangulation wurde jedoch nicht beseitigt („Scheinreposition“). Bei inkarzerierten Hernien kann jede Stunde des Zuwartens zur Gangrän mit Folge einer lebensbedrohlichen Peritonitis führen. Je früher operiert wird, desto größer ist die Chance, dass sich der eingeklemmte Darm nach Lösung aus der Bruchpforte erholt und erhalten werden kann. Ist die inkarzerierte Darmschlinge hingegen bereits schwarzgangränös, so muss der ischämische Darmabschnitt reseziert werden.
Zusatzinfo
Historie. Für inkarzerierte Hernien gilt der historische Merksatz für Chirurgen: „Über einem eingeklemmten Bruch darf die Sonne weder auf- noch untergehen.“
Abb. 29.4 Reposition en bloc. Bei der Reposition einer inkarzerierten Hernie besteht immer die Gefahr einer „Scheinreposition“, womit die Einklemmung nicht beseitigt wird.
Die Lokalisation der wichtigsten Hernien sehen Sie in ▶ Abb. 29.5. Etwa 75 % aller Hernien sind Leistenbrüche, 10 % Narbenhernien und 6 % Nabelbrüche.
Abb. 29.5 Hernien. Lokalisation der wichtigsten Weichteilbrüche.
Definition
Als Leistenhernie (Hernia inguinalis) bezeichnet man einen Weichteilbruch mit Bruchpforte oberhalb des Leistenbands.
Die Leistenhernie ist der häufigste Bruch des Menschen.
Abb. 29.6 Leistenhernie. Großer Leistenbruch bei einem 50-jährigen Mann.
Lokalisation der Bruchpforte Je nach Lokalisation der Bruchpforte spricht man von indirekten oder direkten Leistenhernien. Die Bezeichnung richtet sich nach der Lage der Bruchpforte zu den epigastrischen Gefäßen:
Indirekte Leistenhernie: Die Bruchpforte liegt lateral des Gefäßstrangs. Der Bruch tritt durch den schräg verlaufenden Leistenkanal (mit dem Samenstrang) nach außen. Man bezeichnet ihn deswegen als „indirekt“. Er ist meist angeboren (kann aber auch erworben sein), weil der Bruchsack als peritoneale Ausstülpung oft schon bei der Geburt vorhanden ist.
Direkte Leistenhernie: Wenn die Bruchpforte medial der epigastrischen Gefäße liegt, gelangt der Bruch unter Umgehung des Leistenkanals durch die dort recht dünne Bauchdecke direkt nach außen. Diese Form der Leistenhernie ist immer erworben und befällt meist ältere Männer (Bindegewebsschwäche).
Daneben gibt es noch die Skrotalhernie, bei dieser Sonderform zeigt sich eine Vorwölbung in das Skrotum.
Die Leistenhernie kann angeboren oder erworben sein. Das männliche Geschlecht ist mit 10 : 1 bevorzugt betroffen ( ▶ Abb. 29.6).
Therapie der Leistenhernie Die Leistenhernien-OP gehört zu den häufigsten chirurgischen Eingriffen in Deutschland. Wegen der Gefahr der Einklemmung besteht auch bei komplikationslosen Leistenhernien grundsätzlich eine Operationsindikation. Diese kann häufig auch ambulant durchgeführt werden. Es konkurriert eine Vielzahl von OP-Methoden:
Offene OP ohne Netzimplantation OP-Prinzip: Hautschnitt im Leistenbereich. Direkter Verschluss der Bruchpforte durch Nähte. Lokalanästhesie möglich. Ein gebräuchliches Verfahren ist die Shouldice-Operation.
Zusatzinfo
Historie. Edoardo Bassini (italienischer Chirurg, 1844–1924) hat 1887 die erste OP-Methode für den Leistenbruch beschrieben (Bassini-Operation). Sein Verfahren hat eine hohe Rezidivrate und ist veraltet.
Offene OP mit Netzimplantation OP-Prinzip: Diese Techniken verzichten auf einen direkten Nahtverschluss. Die Bruchpforte wird stattdessen durch die Implantation eines Kunststoffnetzes abgedeckt. Lokalanästhesie meistens möglich. Anwendung besonders bei jüngeren Patienten.
Gebräuchliche Verfahren sind:
OP nach Lichtenstein
OP nach Wantz oder nach Stoppa
Plug and Patch: Implantation eines Kunststoffhütchens auf den Bruchsack mit zusätzlichem Netz darüber
Zusatzinfo
Ambulant. Im ambulanten Bereich ist derzeit bei Leistenbrüchen die offene OP nach Lichtenstein das häufigste Verfahren. Dabei wird die Lücke mit einem Kunststoffnetz verschlossen, teilweise kombiniert mit einer Naht. Der Eingriff erfolgt in örtlicher Betäubung.
Minimalinvasive Netzimplantation OP-Prinzip: kein Leistenschnitt, sondern nur Punktionslöcher für die endoskopischen Instrumente in der vorderen Bauchhaut (minimalinvasive Chirurgie). Auch diese Techniken verzichten auf einen direkten Nahtverschluss. Die Bruchpforte wird mit einem Kunststoffnetz (Netzprothese) spannungsfrei verschlossen. Das Netz wird auf endoskopischem Wege an der Bauchwand fixiert. Vollnarkose ist üblich. Gebräuchliche Verfahren sind TEP und TAPP:
TEP (totale extraperitoneale Prothesenimplantation). Bei der extraperitonealen TEP-Technik wird die Bauchhöhle nicht eröffnet, es erfolgt nur eine Bauchdeckenspiegelung (keine Laparoskopie). Das Netz wird endoskopisch durch aufgedehnte Schichten der Bauchdecke auf die Bruchpforte gebracht. Eine Fixierung durch Nähte oder Metallclips ist nicht notwendig.
TAPP (transabdominelle präperitoneale Prothesenimplantation). Bei der transabdominellen TAPP-Technik findet eine Bauchspiegelung statt. Die Netzprothese wird vom Bauchraum aus laparoskopisch über der Bruchpforte platziert. Die Netzfixation erfolgt mit Metallclips, resorbierbaren Clips oder durch Annähen.
Zusatzinfo
Kinder. Bei Kindern wird bei minimalinvasiven Verfahren kein Fremdmaterial (Netz) in die Leiste eingebracht, da dieses nicht mitwachsen kann. Die Bruchpforte wird bei der Laparoskopie mit Naht verschlossen.
Postoperative Komplikationen Diese sind insgesamt gesehen selten. Mögliche Komplikationen können sein:
Einengung oder Verletzung des Samenstrangs und/oder der versorgenden Gefäße können Fertilitätsstörungen oder Hodenatrophie zur Folge haben.
Verletzung von Gefäßen mit der Gefahr der Nachblutung.
Nervenschädigungen können zu chronischen Leistenschmerzen oder Sensibilitätsstörungen führen.
Die häufigste Spätkomplikation ist das Hernienrezidiv (zwischen 1 % und 7 %).
Pflegepraxis
Beobachtung. Vereinzelt beobachtet man postoperativ eine leichte Hoden- oder Skrotalschwellung. Diese entsteht durch die Einengung der Bruchpforte. Bei einer solchen Beobachtung müssen Sie immer einen Arzt informieren. Bei zu enger Bruchpforte muss eine operative Erweiterung erfolgen, um den Hoden vor dauerhaften Schäden (Hodenatrophie) zu bewahren.
Fallbeispiel
Inkarzerierte Leistenhernie. Herr Bruch (54) ist etwas adipös und hat bereits vor mehreren Wochen eine Schwellung im Bereich der rechten Leiste bemerkt, die an Größe in den letzten Tagen etwas zugenommen hat. Seit einem Tag sind zusätzlich Schmerzen sowie eine deutliche Rötung hinzugetreten. In den letzten Tagen hat Herr Bruch auch wiederholt erbrochen. Durch den Hausarzt wurde der Patient unter der Diagnose einer „eingeklemmten“ Leistenhernie stationär eingewiesen. In der Klinik erfolgte der Versuch einer manuellen Reposition, die erst nach wiederholten Versuchen gelang. Herr Bruch wurde zur Beobachtung und späteren elektiven Operation stationär aufgenommen. Einige Stunden später klagte er über zunehmende Bauchschmerzen und Übelkeit. Bei der klinischen Untersuchung fand sich eine deutliche Abwehrspannung der Bauchmuskeln. Der Stationsarzt hörte bei der Auskultation mit seinem Stethoskop eine „hochgestellte Peristaltik“, also eine verstärkte Darmmotorik, wie bei einem mechanischen Ileus. Es wurde die Indikation zur sofortigen Operation gestellt. Es zeigte sich, dass eine Reposition en bloc vorlag. Der inkarzerierte Dünndarm erholte sich intraoperativ schnell, sodass eine Darmresektion nicht erforderlich war. Herr Bruch erholte sich schnell von dem Eingriff und konnte bereits einige Tage später nach Hause entlassen werden.
Definition
Eine Schenkelhernie (Hernia femoralis) ist eine Hernie mit Bruchpforte unterhalb des Leistenbands, an der Durchtrittsstelle der Femoralgefäße.
Ursache Die Femoralhernie ist immer erworben und betrifft mit 4 : 1 häufiger das weibliche Geschlecht ( ▶ Abb. 29.7).
Therapie Der operative Verschluss der Bruchlücke erfolgt offen chirurgisch oder endoskopisch (z.B. McVay-Operation.
Abb. 29.7 Schenkelhernie. Femoralhernie bei einer 70-jährigen Frau.
Definition
Die Bauchwandhernie ist ein erworbener Bruch, der typischerweise in der senkrecht verlaufenden Mittellinie des Bauches auftritt.
Ursache Die Mittellinie zwischen den beiden gerade verlaufenden Bauchmuskeln (Linea alba) ist eine anatomische Schwachstelle, in der Weichteilbrüche gehäuft auftreten. Ist der Bruch im Oberbauch zwischen Schwertfortsatz und Nabel lokalisiert, spricht man von einer epigastrischen Hernie.
Therapie Der Bruchpfortenverschluss erfolgt bei kleinen Hernien durch Einzelknopfnähte mit einer offenen Operation. Bei größeren Hernien wird die Bruchpforte durch Einlegen eines Netzes aus Kunststoff verschlossen, weil bei einer Direktnaht zu viel Spannung auf die Bruchränder entstehen würde. Die Netzeinlage am Bauch erfolgt wie bei der Narbenhernie ( ▶ Abb. 29.8).
Definition
Eine Narbenhernie ist ein Bruch im Bereich einer alten Operationsnarbe.
Ursache Narbenbrüche entstehen besonders in der senkrechten Mittellinie des Bauches nach medianer Laparotomie ( ▶ Abb. 29.8). Diese Bindegewebsschicht (Faszie) ohne Muskulatur ist für die Festigkeit einer Laparotomienarbe von entscheidender Bedeutung. Die Narbenhernie entsteht, wenn die beim schichtweisen Bauchdeckenverschluss vernähten Faszienränder später (nach Wochen bis Monaten) auseinanderweichen.
Abb. 29.8 Narbenhernie. Weichteilbruch im Bereich einer alten Narbe nach medianer Laparotomie.
Pflegepraxis
Mobilisation. Patienten wird nach einer OP im Bauchraum empfohlen, 3 Monate jegliche schwere körperliche Arbeit zu meiden. Von Narbenhernien sind besonders Patienten betroffen, die sich zu früh körperlich beanspruchen. Daneben sind auch häufig Patienten mit Diabetes mellitus von Narbenhernien betroffen, da die Wundheilung langsamer vonstatten geht.
Beobachtung. Abzugrenzen ist eine Narbenhernie vom Platzbauch. Öffnet sich die Faszienschicht einer Laparotomiewunde schon in den ersten postoperativen Tagen, so reißen auch die anderen Schichten mit auf. Es handelt sich dann um einen Platzbauch oder eine subkutane Dehiszenz ( ▶ Abb. 9.4 und ▶ Abb. 9.5).
Therapie Bei Narbenhernien am Bauch wird heute bevorzugt ein Kunststoffnetz zum Verschluss der Bruchpforte verwendet ( ▶ Abb. 29.9). Das gilt auch für Bauchwandhernien oder größere Nabelbrüche, um die unter Spannung stehende Bauchdecke zu stabilisieren. Das gitterartige Netz (Mesh) besteht aus nicht resorbierbarem Kunststoff, z.B. Polypropylen. Die Netzeinlage kann minimalinvasiv laparoskopisch oder durch eine offene OP erfolgen.
Minimalinvasive invasive Chirurgie (MIC) Der Zugang zur Bauchhöhle erfolgt über einige 1 cm kleine Inzisionen. In diese werden Metallhülsen (Trokare) eingebracht, über die eine Netzprothese vom Inneren der Bauchhöhle unter den Bauchmuskeln zum Verschluss der Hernie fixiert wird. Besonders gebräuchlich ist die laparoskopische IPOM-Technik (IPOM = Intraperitoneales Onlay-Mesch).
Offene OP Der direkte Verschluss durch Fasziennaht oder Fasziendoppelung funktioniert nur bei kleinen Hernien. Bei größeren Hernien wird die Bruchpforte mit einem Kunststoffnetz verschlossen, damit keine Spannung an den Nähten entsteht.
Abb. 29.9 Therapie von Narbenhernien. Die Bruchpforte wird mit einem Kunststoffnetz verschlossen. Dieses kann hinter (a), zwischen (b) oder vor (c) die geraden Bauchmuskeln platziert werden (IPOM).
Definition
Eine Nabelhernie (Hernia umbilicalis) ist ein angeborener oder erworbener Bruch im Bereich des Nabels (Umbilikus), oft auch unmittelbar daneben (paraumbilikale Hernie).
Therapie Der kleine Nabelbruch des Säuglings bildet sich in 90 % der Fälle innerhalb des 1. Lebensjahres spontan zurück. Er wird deshalb nicht operiert, sondern mit einem Nabelpflaster reponiert gehalten.
Bei Einklemmung und bei älteren Patienten erfolgt ein operativer Bruchpfortenverschluss, wobei die Nabelgrube aus kosmetischen Gründen erhalten wird.
Definition
Eine Nabelschnurhernie oder Omphalozele ist ein Eingeweideprolaps des Neugeborenen ( ▶ Abb. 29.10). Der Bruchsack besteht aus Peritoneum, aus einer dünnen Schicht von Nabelschnurgewebe und aus Amnionepithel. Nach außen ist der Bruchsack nicht von Haut umgeben.
Abb. 29.10 Nabelschnurhernie.
Abb. 29.10a Kleine Omphalozele, 10 Tage alter Säugling.
Abb. 29.10b Große Omphalozele, 2 Tage alter Säugling.
Therapie Bei der Nabelschnurhernie besteht eine große Rupturgefahr des Bruchsacks. Nicht selten geschieht dies intrauterin oder bei der Geburt. Die im Bruchsack enthaltenen Organe (Darm, evtl. Leber) liegen dann frei. Wegen der Rupturgefahr muss baldmöglichst eine plastische operative Deckung der Bruchpforte erfolgen. Bis zur Operation muss der Bruchsack zur Verhinderung einer Infektion steril eingepackt werden (z. B. steriler Plastiksack).
Zusatzinfo
Gastroschisis. Fehlt der Bruchsack von vornherein, so handelt es sich um eine Gastroschisis. Hier liegt ein Teil der Abdominalorgane, meist der gesamte Darmkanal, außerhalb der Bauchhöhle.
Definition
Als Rektusdiastase bezeichnet man das häufige erworbene Auseinanderweichen (Diastase) der beiden geraden Bauchmuskeln (Musculi recti) oberhalb des Nabels oder über die gesamte Länge ( ▶ Abb. 29.11).
Therapie Wegen der großen Bruchpforte ist die Gefahr der Einklemmung (Inkarzeration) praktisch nicht gegeben, weshalb eine OP nicht indiziert ist. Das Problem ist rein kosmetisch und muss von den Patienten akzeptiert werden.
Abb. 29.11 Rektusdiastase. Der Bauchdeckenbruch wird bei Anspannung der Bauchmuskeln sichtbar.
Definition
Eine Zwerchfellhernie ist ein angeborener oder traumatisch erworbener Bruch von Abdominalorganen in den Thorax durch eine Zwerchfelllücke (innere Hernie).
Abgesehen von den relativ häufigen Hiatushernien (Kap. ▶ 21.2.4) sind Zwerchfellhernien selten.
Therapie Bei Beschwerden erfolgt eine operative Korrektur von abdominal oder thorakal.
Zusatzinfo
Notfall. Eine angeborene Zwerchfellhernie kann wegen der Verdrängung der Thoraxorgane Minuten bis Stunden nach der Geburt zu Atemnot und Zyanose führen. Es handelt sich um einen chirurgischen Notfall, der sofort operiert werden muss.
Hernien können verschiedene Größen haben. So schränken kleinere Hernien den Patienten kaum ein; haben sie „Kindskopfgröße“, sind die Patienten stark in ihrer Selbstständigkeit beeinträchtigt. Bei einer inkarzerierten Hernie muss sofort operiert werden.
Neben den allgemeinen präoperativen Maßnahmen (Kap. ▶ 9.3) sind folgende Vorbereitungen zu treffen:
Rasur Am Operationstag sollten 10 cm oberhalb des Bauchnabels, Schambehaarung bis zur Oberschenkelmitte rasiert werden. Bei Nabel-, Narben- und epigastrischen Hernien werden mindestens 15–20 cm in der Umgebung der Hernie rasiert.
Ernährung und Ausscheidung Am Vortag der Operation darf der Patient ausschließlich flüssige Kost zu sich nehmen. Abführmaßnahmen (z. B. Laxanzien, Klistier) sollten am Vorabend der OP erfolgen. Im Rahmen der ambulanten Chirurgie und des ▶ Fast-Track-Konzepts wird jedoch zunehmend auf einen Kostabbau am Vortag und Abführmaßnahmen verzichtet.
Grundsätzlich besteht nach einer operativen Versorgung ein hohes Rezidivrisiko. Pflegerelevante Maßnahmen sind das Wundmanagement, die Lagerung und Mobilisation, die Ernährung und die Rezidivprophylaxe in Form einer Entlassberatung.
Wundmanagement Eine eingelegte Redondrainage wird meist am 2. postoperativen Tag gezogen. Die Fäden oder Klammern werden am 6.–10. Tag entfernt. Da der Patient ambulant operiert oder schon früher entlassen wird, erfolgt dies häufig durch den Hausarzt.
Lagerung und Mobilisation Sowohl zur Schmerzreduktion als auch zur Entlastung der Bauchdecke wird der Patient mit leicht erhöhtem Oberkörper und Unterstützung der Beine bauchdeckenentlastend gelagert. Ein auf ärztliche Anordnung im Wundbereich aufgelegter Sandsack kann einem Hämatom entgegenwirken. Zur Verhinderung einer häufig auftretenden Skrotalschwellung wird das Skrotum auf ein Hodenbänkchen gelagert oder ein Suspensorium angelegt.
Pflegepraxis
Beobachtung. Liegt bereits eine Schwellung vor, ist der Arzt zu informieren. Eine mögliche Durchblutungsstörung der Hoden kann zu einer Hodenatrophie führen.
Am Abend des Operationstags, bzw. 6–8 Stunden nach der Operation, kann der Patient meist schon mobilisiert werden. Bei hohem Rezidivrisiko wird mit der Mobilisation länger gewartet (je nach ärztlicher Anordnung).
Pflegepraxis
Beratung. Bewegungen, die den intraabdominellen Druck erhöhen, erhöhen auch das Rezidivrisiko. Leiten Sie daher den Patienten an, beim Husten oder Niesen mit der Hand Gegendruck auf die Wunde auszuüben. Leiten Sie eine Obstipationsprophylaxe ein, um ein Pressen beim Stuhlgang zu reduzieren.
Ernährung Der Patient bekommt i. d. R. am 1. postoperativen Tag leichte Kost. Wurde aufgrund einer Inkarzeration ein Darmteil reseziert, wird mit dem Kostaufbau bis zum Einsetzen der Darmperistaltik gewartet.
Entlassungsmanagement Der Patient ist darüber zu informieren, dass er sich in den ersten Wochen körperlich nicht schwer belasten sollte. Nach ca. 2 Wochen sind leichte körperliche Anstrengungen wie gelegentliches Heben und Tragen von Gewichten unter 10 kg, Schwimmen und Wandern erlaubt. Je nach beruflicher Tätigkeit ist auch die Aufnahme der Arbeit erst nach Ablauf dieser Frist wieder möglich. Sportarten, die mit einer mittleren bis schweren körperlichen Belastung einhergehen (Joggen, Fahrradfahren), sollten erst nach 2–3 Wochen wiederaufgenommen werden. Der Patient sollte aufgefordert werden, seine beruflichen sowie sportlichen Belastungen genau zu beschreiben, nur dann kann eine individuelle und konkrete Entlassungsberatung erfolgen.