Die Fachgebiete Orthopädie und Unfallchirurgie werden seit 2005 zusammengefasst.
Das menschliche Skelett besteht aus Knochen, Knorpel, Gelenken und Bändern sowie der Skelettmuskulatur. Das Knochenskelett ist weiter in Röhrenknochen, kurze Knochen, platte Knochen und Gelenke zu unterteilen.
Röhrenknochen Bei Röhrenknochen ( ▶ Abb. 32.1) heißt die Knochenröhre Diaphyse und wird durch eine harte, belastungsstabile Knochenrinde(Kortikalis) gebildet. An beiden Enden geht die Diaphyse in die Metaphyse über. Die gelenkbildenden Anteile der Röhrenknochen nennt man Epiphyse, diese wird an der sog. Epiphysenlinie (ehemalige Epiphysenfuge) von der Metaphyse abgegrenzt. Das Längenwachstum der Röhrenknochen findet an der Epiphysenfuge statt.
Die Knochenrinde ist umgeben von dem Periost (Knochenhaut), das sehr schmerzempfindlich ist. Das Periost dient den Sehnen und Bändern sowie der Muskulatur als Ansatzpunkt.
Unter der stabilen Kortikalis liegt die Spongiosa, die aus feinen Knochenbälkchen besteht. Der Zwischenraum der Knochenbälkchen ist mit Knochenmark aufgefüllt und somit wesentlicher Bestandteil des blutbildenden Organs.
Abb. 32.1 Röhrenknochen. Anatomie eines Röhrenknochens am Beispiel des Femurs (Oberschenkelknochen).
Gelenke Unter einem Gelenk versteht man eine bewegliche Verbindung zwischen 2 oder mehreren Knochen.
Diarthrosen (freie Gelenke) sind Gelenke mit Gelenkhöhle und Gelenkspalt, dazu gehören alle Extremitätengelenke. Synarthrosen sind gelenkige Verbindungen ohne Gelenkhöhle und ohne Formschluss der Gelenkpartner mit geringer Bewegungsfähigkeit (Iliosakralgelenk, Symphysenfuge). Sie sind elastisch verformbar und somit in der Lage, innere Organe zu schützen.
Die Extremitätengelenke (Diarthrosen) werden von den Epiphysen der Röhrenknochen gebildet. Die Gelenkflächen sind von glattem Hyalinknorpel überzogen und von einer doppelten Gelenkkapsel umhüllt. Die innere Gelenkkapsel (Tunica synovialis) produziert Gelenkschmiere (Synovia), wodurch die Gleitfähigkeit des Gelenkknorpels verbessert wird. Die darüberliegende Gelenkkapsel besteht aus Bindegewebsfasern und stabilisiert das Gelenk. Im Röntgenbild ist der Gelenkknorpel nicht zu erkennen, er stellt sich als Gelenkspalt dar.
Zusatzinfo
Luxation. Man unterscheidet knochengeführte Gelenke (z.B. Hüftgelenk), bandgeführte Gelenke (z. B. Kniegelenk) und muskelgeführte Gelenke (z. B. Schultergelenk). Wird die Bewegungsfähigkeit eines Gelenks überfordert, kommt es zur Gelenkverrenkung (Luxation).
Die Gelenkfunktionen werden international nach der Neutral-Null-Methode untersucht und dokumentiert.
Definition
Die Neutral-Null-Stellung entspricht der Körperhaltung, die ein gesunder Mensch im aufrechten Stand mit hängenden Armen und nach vorn gerichteten Daumen sowie parallel stehenden Füßen einnimmt.
Messung Der Arzt kann mithilfe der Neutral-Null-Methode die Gelenkfunktion bzw. -beweglichkeit erheben. Die ▶ Abb. 32.2 zeigt die Messung beispielhaft am oberen Sprunggelenk. Die Beweglichkeit der Gelenke kann durch das Abmessen des Winkels erhoben werden. Die Protokollierung erfolgt immer mit 3 Zahlen:
Die 1. Zahl beschreibt immer die vom Körper wegführende Bewegung (also Extension, Abduktion, Außenrotation und Retroversion).
Die 2. Zahl entspricht normalerweise der Nullstellung.
Die 3. Zahl beschreibt die zum Körper hinführende Bewegung.
Kann ein Gelenk jedoch nur in eine Richtung bewegt werden, z. B. bei einer Kontraktur, so steht die Null am Anfang (oder am Ende), um anzuzeigen, dass die Nullstellung nicht erreicht werden kann. Bei völliger Gelenkversteifung (Ankylose) werden hinter (oder vor) der Null gleiche Zahlen eingesetzt.
Abb. 32.2 Neutral-Null-Methode. Beispiel für das Heben und Senken des Fußes im oberen Sprunggelenk (OSG). Im Stand bilden Unterschenkel und Fuß einen rechten Winkel (= Nullstellung), von der aus die Messung erfolgt.
Abb. 32.2a Normalerweise ist eine Fußhebung im OSG um 30° möglich, eine Fußsenkung um 40°.
Abb. 32.2b Fußhebung und Fußsenkung sind auf je 10° beschränkt.
Abb. 32.2c Der Fuß ist nur zwischen 20°- und 40°-Plantarflexion beweglich und kann nicht bis zur Nullstellung angehoben werden.
Abb. 32.2d Einsteifung in 30°-Spitzfußstellung.
Definition
Eine Arthrose (Gelenkverschleiß) entsteht, wenn ein Missverhältnis zwischen Belastungsfähigkeit eines Gelenks und dessen individueller Belastung besteht.
Ursache Bei den primären Arthrosen ist die Ursache für den Gelenkverschleiß nicht bekannt. Häufig findet man jedoch minderwertige Knorpelqualität oder eine unphysiologische Gelenküberlastung als prädisponierende Faktoren.
Eine sekundäre Arthrose kann entstehen durch:
eine angeborene oder erworbene Über- oder Fehlbelastung (z.B. nach einem Unfall, bei Adipositas oder bei Fehlstellungen der Beine)
durch metabolische Störungen (z.B. bei Gicht oder Hypothyreose)
.
Zusatzinfo
Prophylaxe. Physiologische Belastung und Bewegung vermindern das Arthroserisiko, da der nicht durchblutete Gelenkknorpel durch die eingepresste Gelenkflüssigkeit bei der Bewegung ernährt wird.
Bei übermäßiger oder unphysiologischer Belastung kommt es zunächst zu einer Auffaserung und Zerrüttung des hyalinen Knorpels, der dann zunehmend zerteilt und wie Korn zwischen Mühlsteinen zermahlen wird. Knorpelteilchen und Knochentrümmer bezeichnet man als Detritus. Dieser bewirkt eine Entzündung der Gelenkschleimhaut mit Ergussbildung, Schwellung und Überwärmung des Gelenks. In diesem Stadium spricht man von einer „aktivierten Arthrose“ oder auch von einer unspezifischen „Arthritis“. In den arthritischen Schüben verursachen Arthrosen besonders starke Beschwerden.
Ist der Knorpelbelag der Gelenke erst einmal aufgebraucht, entwickelt sich eine zunehmende Verknöcherung der Gelenkoberfläche, die sog. Sklerose. Das Gelenk steift mehr und mehr ein, es kommt zu weiteren Knorpelaufbrüchen, Defekten und zunehmender Gelenkdestruktion.
Symptome In der Frühphase besteht Anlaufschmerz bei Beginn einer Bewegung. In diesem Stadium lassen die Schmerzen bei gleichmäßiger Bewegung nach. Später entwickelt sich ständiger Belastungsschmerz, in der Spätphase auch Ruheschmerz.
Diagnostik Die bildgebende Diagnostik erfolgt durch Röntgen ( ▶ Abb. 32.3), CT oder MRT. Der Aufbrauch des Gelenkknorpels zeigt sich als Gelenkspaltverschmälerung. Die ungleiche Druckverteilung im Gelenk führt zu Knochenanbauten und die Verknöcherung der Gelenkfläche zu einer subchondralen Sklerosierung.
Zusatzinfo
Schwere des Röntgenbefunds und klinischer Befund stimmen häufig nicht überein.
Abb. 32.3 Arthrose.
Abb. 32.3a Röntgenbild einer Hüftgelenksarthrose.
Abb. 32.3b Normales Hüftgelenk zum Vergleich.
Vorbeugende Maßnahmen In der Frühphase erfolgen eine medikamentöse Therapie und funktionelle Physiotherapie. Zu den therapeutischen Maßnahmen zählen:
Gewichtsreduktion
Bewegung
Aufbau der Muskulatur zur besseren Gelenkführung
Gabe von Chondroprotektiva (Medikamente zum Knorpelschutz)
Verbesserung des Knorpelstoffwechsels durch Magnetwellenbehandlungen und PST (pulsierende Signalwellen-Therapie)
Gelenkerhaltende Operationen Bei schweren Achsenfehlern (unphysiologischer Gelenkwinkel) ist bei jungen Patienten eine Korrekturosteotomie sinnvoll, um die unphysiologische Gelenkbelastung auszugleichen. Dabei wird der Winkel zwischen Knochenlängsachse und Gelenkfläche durch eine Operation verändert (Entfernung eines Knochenkeils).
Beispiele für eine Korrekturosteotomie sind die Tibiakopfumstellung bei Varus-Gonarthrose (O-Bein) und die intertrochantäre Femur-Osteotomie bei Coxa valga (X-Bein).
Bei jungen Patienten mit kleinen Knorpeldefekten kann eine Knorpeltransplantation indiziert sein.
Gelenkersetzende Operationen Die Implantation eines künstlichen Gelenks (Endoprothese) kommt bei älteren Patienten infrage. Beispiele für Gelenkersatzoperationen sind die zahlenmäßig im Vordergrund stehenden Endoprothesen an Hüftgelenk und Kniegelenk, seltener an Schulter-, Ellenbogen- oder Sprunggelenk.
Definition
Osteoporose (Knochenschwund) ist eine häufige Knochenerkrankung im Alter. Durch den Abbau von Knochenmasse, die über das physiologische Ausmaß hinausgeht, ist die Entstehung von Frakturen begünstigt.
Bis zum 40. Lebensjahr wird mehr Knochenmasse aufgebaut als abgebaut, danach überwiegt der allmähliche Abbau. Ein krankhafter übermäßiger Knochenschwund tritt bevorzugt im Alter auf, besonders bei postmenopausalen Frauen.
Ursache Häufigste Ursache ist der Östrogenmangel bei Frauen nach den Wechseljahren. Die für den Knochenaufbau wichtigen Substanzen Calcitonin und Vitamin D werden hormonell gesteuert. Ein Mangel kann auch durch Ernährungsfehler, Stoffwechselerkrankungen (z.B. Nebenschilddrüse), langfristige Medikamenteneinnahme (z.B. Kortison) oder chronischen Missbrauch von Alkohol und Nikotin verursacht sein. Dadurch werden die Knochen instabil und brechen leichter, besonders im Bereich der Wirbelkörper.
Symptome Anfänglich bestehen kaum Beschwerden. Im späteren Verlauf treten (Rücken-) Schmerzen mit Bewegungseinschränkungen auf. Langfristig kommt es zu einem Größenverlust mit Verkrümmung der Lendenwirbelsäule (Rundrücken).
Diagnose und Therapie Neben der Anamnese und der klinischen Untersuchung kann eine Messung der Knochendichte durch spezielle Röntgenaufnahmen oder CT erfolgen.
Wichtig ist ausreichend Bewegung. Immobilität fördert die Osteoporose. Neben Schmerzmitteln gibt es unterschiedliche pharmakologische Ansätze, z.B. die Gabe von Calcium oder Vitamin D.
Die Hormonersatztherapie mit Östrogenen ist nebenwirkungsreich und wird nur in Einzelfällen durchgeführt.
Komplikationen Der weichere Knochen bei Osteoporose führt häufig zu Spontanfrakturen bei nur geringer äußerer Gewalt (Mini-Trauma). Es kommt besonders zu Wirbelkörperbrüchen ( ▶ Abb. 32.4) oder Schenkelhalsfrakturen. Wirbelbrüche können durch eine Kyphoplastie stabilisiert werden. Bei der osteoporotischen Schenkelhalsfraktur wird meistens eine zementierte Totalendoprothese (TEP) implantiert.
Pflegepraxis
Sturzprophylaxe und Entlassungsmanagement. Bei Patienten mit Osteoporose müssen Sie bedenken, dass das Frakturrisiko stark erhöht ist. Daher spielt die Sturzprophylaxe während des Klinikaufenthalts eine besonders wichtige Rolle. Daneben beraten Pflegende vor der Entlassung zum Thema Sturzprävention, Ernährungsberatung und Alltagsbewältigung.
Abb. 32.4 Wirbelkörperfraktur bei Osteoporose. Der Wirbelkörper (Pfeil) ist in seiner Höhe gegenüber den Nachbarwirbeln verschmälert („gesintert“).
Definition
Bei der Kontusion (Prellung) wirkt ein direktes Trauma (Schlag, Stoß, Aufprall) als Druck auf das Gelenk und die umgebenden Weichteile ein. Eine Zugbeanspruchung des Bandapparats findet nicht statt.
Bei der Distorsion (Zerrung, Dehnung, Überdehnung, Verstauchung) wirkt ein indirektes Trauma als Biegungs- oder Drehkraft auf die Gelenkkapsel der Bänder ein, woraus eine Überdehnung oder Teilzerreißung des elastischen Bandapparats resultiert.
Symptome Am häufigsten betroffen sind Handgelenk, Sprunggelenk, Knie und Halswirbelsäule (HWS-Schleudertrauma). Die wichtigsten Symptome sind:
schmerzbedingte Bewegungseinschränkung
lokale Schwellung
Weichteilhämatom
evtl. bildet sich ein traumatischer Gelenkerguss (insbesondere am Knie)
Ein frisch überdehntes Band ist häufig schmerzhafter als ein gerissenes!
Diagnostik Eine Verdachtsdiagnose lässt sich schon aufgrund der Symptome und des Unfallhergangs stellen, wenn röntgenologisch eine Fraktur ausgeschlossen wurde. Die durch eine Kontusion oder Distorsion bedingten Veränderungen sind im Röntgenbild nicht sichtbar.
Therapie Neben Analgetika kann eine kurzzeitige Ruhigstellung (z.B. durch eine Schiene) notwendig sein. Schmerzen entstehen durch die Weichteilschwellung (Gewebsspannung). Dementsprechend sind schmerzlindernde Maßnahmen indiziert.
Pflegepraxis
Pflegemaßnahmen. Neben körperlicher Schonung kann die betroffene Extremität hochgelagert werden und kühlende Verbände dem Patienten Linderung verschaffen.
Definition
Bei einer Bandruptur (Ligamentruptur, Bänderriss) ist der Unfallhergang ähnlich dem bei der Distorsion. Das Trauma ist allerdings größer, sodass nicht nur einzelne Fasern einreißen, sondern das Band komplett rupturiert.
Lokalisation und Symptome Zumeist erfolgt der Riss im ligamentären Anteil. Man spricht daher von intraligamentärer Ruptur. Weil Bänder sehr stabil sind (oft fester als Knochen), kann der knöcherne Bandansatz ausreißen, wobei das Band selbst intakt bleibt. Dies nennt man einen knöchernen Bandausriss oder eine Abrissfraktur (Bandruptur mit knöchernem Fragment).
Wie bei einer Prellung oder Zerrung finden sich lokal Schmerzen und ein Hämatom.
Diagnostik Wesentliches Merkmal der Bandruptur ist eine unphysiologische vermehrte Beweglichkeit des Gelenks (z. B. Talusvorschub bei Außenbandruptur des oberen Sprunggelenks, ▶ Abb. 33.76).
Die Röntgenaufnahme in 2 Ebenen kann bei Unklarheit durch Gelenksonografie, CT und MRT ergänzt werden.
Zusatzinfo
Bei der früher üblichen gehaltenen Röntgenaufnahme wurde das Sprunggelenk in einem Halteapparat eingespannt und in Luxationsrichtung gedrückt. Diese Technik wird kaum noch angewendet ( ▶ Abb. 32.5).
Abb. 32.5 Malleolarbandruptur.
Abb. 32.5a Anatomie mit Bandapparat des oberen Sprunggelenks (OSG).
Abb. 32.5b Prinzip der gehaltenen Röntgenaufnahme. Der Gelenkspalt klafft bei rupturiertem Außenband.
Abb. 32.5c Die gehaltene Röntgenaufnahme a.-p. zeigt die pathologische Aufklappbarkeit des OSG bei ausgedehnter Bandverletzung (2–3 Bänder).
Abb. 32.5d Gehaltene Röntgenaufnahme seitlich (Talusvorschub = Subluxation).
Therapie Nach nicht verheilten Bandrupturen kann sich eine dauernde Gelenkinstabilität entwickeln. Bei jungen, sportlich aktiven Patienten sollte die Möglichkeit der operativen Bandrekonstruktion gegenüber der konservativen Behandlung in Erwägung gezogen werden.
Zu beachten ist, dass die Bandnaht nur zu einer Adaptierung der Bandenden führt. Eine nennenswerte Festigkeit kommt dadurch primär nicht zustande. Die endgültige Stabilität wird erst nach Abschluss der körpereigenen Heilungsvorgänge erreicht, was ca. 6 Wochen benötigt.
Zusatzinfo
Knöcherne Bandausrisse sind prognostisch und therapeutisch günstiger. Der Knochen ist gut durchblutet und heilt besser als ein Band. Ein Knochenfragment kann osteosynthetisch versorgt werden, womit sofortige Übungsstabilität erreicht wird.
Näheres finden Sie in folgenden Kapiteln:
Schultereckgelenkverrenkung: Kap. ▶ 33.4.6
Skidaumen: Kap. ▶ 33.6.7
Kniebandrupturen: Kap. ▶ 33.14.2
Malleolarbandruptur: Kap. ▶ 33.16.2
Definition
Die Luxation (Verrenkung) ist eine schwere Gelenkverletzung, wobei die knorpeligen gelenkbildenden Flächen den Kontakt zueinander vollständig verloren haben. Die Gelenkkapsel und die stabilisierenden Bänder sind häufig zerrissen.
Abb. 32.6 Luxationsformen.
Abb. 32.6a Schultergelenk, Delle über der Gelenkpfanne.
Abb. 32.6b Wirbelsäule.
Abb. 32.6c Sprunggelenk.
Spezielle Luxationsformen
Habituelle Luxation: Mehrfach wiederkehrende (rezidivierende) Luxationen im gleichen Gelenk ohne adäquates Trauma. Man spricht daher auch von gewohnheitsmäßiger Verrenkung. Ursache der Verrenkungsneigung ist eine angeborene Gelenkfehlbildung (Dysplasie) oder eine verletzungsbedingte Beeinträchtigung der Gelenkanatomie. Die habituelle Luxation betrifft besonders das Schultergelenk und die Kniescheibe ( ▶ Abb. 32.6a).
Subluxation (unvollständige Verrenkung): Im Gegensatz zur Luxation haben die gelenkbildenden Flächen noch unvollständigen Kontakt ( ▶ Abb. 32.6b).
Luxationsfraktur (Verrenkungsbruch): Gleichzeitiges Bestehen einer Verrenkung und einer Fraktur am gleichen Gelenk ( ▶ Abb. 32.6c).
Speziellen Luxationen Näheres finden Sie in folgenden Kapiteln:
Schultereckgelenkverrenkung: Kap. ▶ 33.4.6
Schulterluxation: Kap. ▶ 33.4.4
Subluxation des Radiusköpfchens: Kap. ▶ 33.6.3
Hüftluxation: Kap. ▶ 33.11.5
Definition
Als Gelenkerguss bezeichnet man eine krankhaft vermehrte Flüssigkeitsansammlung im Gelenkinneren. Klinische Bedeutung hat vor allem der Gelenkerguss am Knie.
Ursache Generell gibt es 3 mögliche Ursachen eines Gelenkergusses:
Degenerative Gelenkveränderungen führen zum serösen Gelenkerguss. Ursache ist die von der Gelenkinnenhaut (Synovialis) vermehrt produzierte Gelenkflüssigkeit (Synovia). Der Erguss ist daher wasserklar und steril.
Traumatisch bedingt sind blutige Gelenkergüsse (Hämarthros).
Eitrige Gelenkentzündungen sind die Folge eines bakteriell infizierten Gelenkergusses (selten).
Zusatzinfo
Gelenkentzündung. Pathogene Keime können auf 3 Wegen in das Gelenkinnere gelangen:
direkt von außen bei offener Gelenkverletzung oder iatrogen (griech.: vom Arzt verursacht) durch unsterile Punktion, Injektionen, Arthroskopie oder Arthrotomie (operative Eröffnung eines Gelenks)
durch Einbruch des Eiters in das Gelenk bei benachbarter Knocheninfektion (Osteomyelitis)
hämatogen (auf dem Blutweg) von einer Streuquelle an anderer Körperstelle ausgehend (Sepsis)
Symptome Die wichtigsten Symptome eines Gelenkergusses sind:
Schwellung
Schmerz
Bewegungseinschränkung
Bei Gelenkerguss am Knie „tanzende Patella“: Die Kniescheibe wird durch den Erguss von ihrer Unterlage abgehoben, sodass sie sich mit dem Finger hoch- und runterdrücken lässt.
Diagnostik Geeignet sind Sonografie, CT oder MRT. Bei unklarer Ursache erfolgt eine Gelenkpunktion. Die makroskopische Betrachtung des Punktats lässt Rückschlüsse auf die Ursache zu. Die weitere Abklärung erfolgt durch Bakteriologie und rheumatologische Spezialuntersuchungen.
Therapie Die Therapie richtet sich nach der jeweiligen Ergussursache ( ▶ Tab. 32.1 ).
Zur Gelenkruhigstellung verwendet man eine Schiene. Am Knie eine Oberschenkel-L-Schiene ▶ Abb. 32.20). Am Arm eine dorsale Oberarmgipsschiene ( ▶ Abb. 32.19).
Merke
Bei frischen Gelenkverletzungen darf wegen der drohenden Schwellung durch Erguss niemals ein zirkulärer Gips angelegt werden!
Seröser Erguss |
Blutiger Erguss (= Hämarthros) |
Eitriger Erguss (= Gelenkempyem) |
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Ursache |
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Trauma |
bakterielle Infektion |
Ergussfarbe |
klar-gelb |
rot |
schmutzig-grau |
Therapie |
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Definition
Die Bursitis (Schleimbeutelentzündung) ist ein steriler Reizzustand oder eine eitrige Entzündung eines Schleimbeutels (Bursa = Schleimbeutel).
Ursache Der menschliche Körper ist mit über 40 Schleimbeuteln ausgestattet, deren Aufgabe in der Reibungsminderung an gelenknahen Strukturen besteht. Klinisch am wichtigsten sind folgende 2 Schleimbeutel:
Bursa olecrani (an der Ellenbogenstreckseite)
Bursa praepatellaris (unterhalb der Kniescheibe)
Durch ständige mechanische Irritation oder nach einem Kontusionstrauma (Prellung) kann eine Bursitis als chronischer oder akuter Reizzustand auftreten. Eine bakterielle Entzündung liegt daher meist nicht vor.
Abb. 32.7 Bursitis olecrani. Typischer Befund einer Schleimbeutelentzündung am Ellenbogen.
Symptome und Diagnostik Bei der Bursitis führt der geschwollene Schleimbeutel zu einer Ausbeulung der Haut, die oft gerötet ist. Nur die anatomische Region der entzündeten Bursa ist als pralle schmerzhafte Vorwölbung tastbar ( ▶ Abb. 32.7). Demgegenüber ist bei einem Gelenkerguss das ganze Gelenk zirkulär geschwollen und die Beweglichkeit stärker eingeschränkt.
Eine bildgebende Diagnostik durch Sonografie oder MRT ist bei eindeutigem klinischem Befund nicht erforderlich.
Therapie Antibiotika sind nur bei nachgewiesener bakterieller Entzündung erforderlich. Die chronische Bursitis wird durch eine Bursektomie (Schleimbeutelentfernung)(Bursektomie) behandelt. Der Eingriff wird aber erst vorgenommen, wenn die entzündlichen Reizerscheinungen abgeklungen sind.
Pflegepraxis
Verband. Die chronische Bursitis wird mit einem entzündungshemmendem Salbenverband und einer Schiene für einige Tage ruhiggestellt:
bei Bursitis olecrani eine Oberarmschiene ( ▶ Abb. 32.19)
bei Bursitis praepatellaris eine dorsale Tutorschiene ( ▶ Abb. 32.20)
Definition
Eine Fraktur (Knochenbruch) entsteht durch direkte oder indirekte Gewalteinwirkung. Dabei wird die Elastizitätsgrenze des Knochens überschritten. Die Bruchstücke (Fragmente) werden durch den Bruchspalt (Frakturlinie) getrennt.
Symptome und Diagnostik Man unterscheidet sichere Frakturzeichen, die die Diagnose eines Knochenbruchs auch ohne Röntgenaufnahme beweisen, und unsichere Frakturzeichen, die zwar den Verdacht einer Fraktur nahelegen, jedoch auch durch eine Prellung verursacht sein können ( ▶ Tab. 32.2 ).
Merke
Zur Diagnose einer Fraktur ist immer eine Röntgenaufnahme in 2 Ebenen oder ein CT erforderlich.
Unsichere Frakturzeichen |
Sichere Frakturzeichen |
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Komplikationen Bei den Frakturen kann es zu folgenden Komplikationen kommen:
Begleitverletzungen: Bei jedem Knochenbruch kann umliegendes Gewebe mitverletzt sein ( ▶ Abb. 32.8). Das gilt besonders für Haut, Muskeln, Sehnen, Nerven (z. B. des N. radialis bei der Oberarmfraktur) und Gefäße (z. B. Verletzung der A. poplitea bei Frakturen im Kniebereich). Zur Untersuchung gehört deshalb neben der obligaten Röntgenaufnahme immer die klinische Überprüfung der motorischen Funktion, der lokalen Sensibilität sowie des Pulsstatus.
Blutverlust: Jeder Knochenbruch führt zu einer Blutung im Frakturbereich. In Körperregionen mit dicker Weichteilhülle kann der Blutverlust erhebliche Ausmaße annehmen, weil die Zahl der zerrissenen Blutgefäße groß ist und mehr Raum zur Hämatomausbreitung zur Verfügung steht ( ▶ Abb. 32.9).
Mit einem hohen Blutverlust ist besonders bei Frakturen im Beckenbereich, bei Oberschenkelfrakturen und Lendenwirbelfrakturen zu rechnen.
Pflegepraxis
Notfallmaßnahmen. Bei jeder frischen Fraktur wird die „DMS“ geprüft: Durchblutung, Motorik, Sensibilität.
Abb. 32.8 Begleitverletzungen.
Abb. 32.8a Röntgenbild einer Unterschenkelfraktur.
Abb. 32.8b Klinischer Aspekt mit Ischämie des Vorfußes.
Pflegepraxis
Beobachtung. Ein Blutverlust von 1–2 Litern kann zum Kreislaufschock führen! Deshalb sind eine engmaschige Puls- und Blutdruckkontrolle, eine Hämoglobinbestimmung und ggf. eine intravenöse Volumensubstitution erforderlich.
Abb. 32.9 Blutverlust bei geschlossenen Frakturen. Insbesondere Frakturen im Beckenbereich können zu einer erheblichen inneren Blutung führen.
Knochenbrüche können nach verschiedenen Gesichtspunkten eingeteilt werden:
Art der Gewalteinwirkung Nach der Art der Gewalteinwirkung unterscheidet man das direkte vom indirekten Trauma:
Direktes Trauma: Es handelt sich um Schlag-, Stoß-, Tritt- oder Schussverletzungen, bei denen die Gewalt direkt auf den Knochen einwirkt. Der Knochen bricht an der Einwirkungsstelle.
Indirektes Trauma: Die Gewalt wirkt indirekt auf den Knochen ein. Indirekte Traumen sind Biegung, Drehung (= Torsion), Stauchung (= Kompression), Zug- oder Scherkräfte.
Daneben können Frakturen ohne adäquates Trauma unterschieden werden:
Pathologische Fraktur Der Knochen bricht anlässlich eines Bagatelltraumas an einer krankhaft geschwächten Stelle, z. B. im Bereich einer Knochengeschwulst (Sarkom oder Knochenmetastase).
Spontanfraktur Es handelt sich um einen Knochenbruch ohne akutes Trauma durch chronische Überbelastung, z. B. Fraktur eines Mittelfußknochens bei Hoch- und Weitspringern oder Marathonläufern (auch Ermüdungsfraktur genannt).
Osteoporotische Fraktur Es handelt sich um eine Spontanfraktur ohne adäquates Trauma infolge des Verlusts von Knochensubstanz, häufig am Wirbelkörper oder Schenkelhals.
Anzahl der Fragmente Je nach Anzahl der Bruchfragmente unterscheidet man:
einfacher Bruch: Fraktur besteht aus 2 Fragmenten
Mehrfragmentbruch: Fraktur besteht aus mehreren Bruchstücken
Trümmerfraktur: Es finden sich sehr viele kleine Bruchstücke
Stückfraktur: Knochen ist an 2 Stellen gebrochen (Doppelbruch), wobei sich zwischen beiden Frakturlinien ein größeres intaktes Bruchstück befindet; diese Form der Fraktur findet man häufig bei Rippenfrakturen
Verlauf der Frakturlinie Je nach dem Verlauf der Frakturlinie spricht man von Querfraktur, Längsfraktur, Schrägfraktur, Spiralfraktur, T-Fraktur und Y-Fraktur. Daneben können noch spezielle Frakturformen unterschieden werden:
Fissur: Als Fissur bezeichnet man eine traumatisch bedingte Rissbildung im Knochen („Sprung“) ohne vollständige Knochendurchtrennung. Sie tritt häufig am Schädeldach auf.
Flake Fracture: Es handelt sich um eine kleine Absprengung (flake, engl.: Flocke, Schuppe) im Bereich einer Gelenkfläche ( ▶ Abb. 32.10), meistens im Knie- oder Sprunggelenk.
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Zusatzinfo
Eine Flake Fracture kann ohne Behandlung zu schweren Gelenkschäden (Arthrose) führen. Die Therapie erfolgt durch operative Wiederanheftung (Refixierung durch Fibrinklebung, resorbierbare Stifte oder Schrauben).
Abb. 32.10 Flake Fracture. Kleine Absprengung aus Knorpel oder Knochen im Bereich einer Gelenkfläche.
Dislokationsform Unter einer Dislokation versteht man eine Verschiebung der Bruchstücke. Man unterscheidet Brüche ohne Dislokation und mit Dislokation ( ▶ Abb. 32.11):
Seitenverschiebung: Verlagerung eines Bruchstücks zur Seite unter Stufenbildung (gabelförmig versetzt)
Verkürzung: Knochenfragmente sind in der Längsachse verschoben
Stauchung: Fragmente sind ineinander verschoben
Achsenknickung: Knochenachse ist durch „Knickung“ der Frakturstücke verändert
Rotationsverschiebung: Knochenfragmente sind gegeneinander verdreht
Abb. 32.11 Dislokationsformen bei Frakturen.
Hautbeteiligung Die Unterscheidung zwischen geschlossener und offener Fraktur hat erhebliche therapeutische Bedeutung.
Geschlossene Fraktur: Die Haut im Bruchbereich ist unverletzt.
Offene Fraktur: Die Haut ist durch ein direktes Trauma von außen oder durch Anspießung von innen eröffnet. Offene Frakturen werden in 3 Schweregrade eingeteilt ( ▶ Abb. 32.12):
offene Fraktur 1. Grades: Durchspießung der Haut von innen, ohne erhebliche Weichteilschädigung
offene Fraktur 2. Grades: Hautdurchtrennung von außen, ohne erhebliche Weichteilschädigung
offene Fraktur 3. Grades: ausgedehnte Eröffnung der Fraktur mit massiver Weichteilschädigung (Muskeln, Sehnen, Gefäße, Nerven)
Abb. 32.12 Schweregrade der offenen Fraktur.
Offene Frakturen haben ein erhöhtes Infektionsrisiko, weil Keime von außen in die Wunde und den Knochen eindringen können. Es besteht die Gefahr eines Knocheninfekts (Osteomyelitis). Deshalb werden offene Frakturen möglichst frühzeitig (innerhalb von 6 Stunden) operativ versorgt und ein Antibiotikum verabreicht.
Merke
Eine offene Fraktur ist ein chirurgischer Notfall und sollte innerhalb von 6 Stunden operiert werden. Wenn das nicht möglich ist, muss mit der OP mehrere Tage abgewartet werden, bis die Weichteilschwellung abgeklungen ist.
Bestimmte Zellen des Knochens (Osteoblasten) sowie manche Bindegewebszellen sind in der Lage, stabiles voll belastbares Knochengewebe neu zu bilden. Man unterscheidet die primäre und die sekundäre Frakturheilung.
Primäre Frakturheilung Die Voraussetzung für eine primäre Frakturheilung ist, dass die Bruchenden in anatomischer Stellung fugenlos adaptiert stehen ( ▶ Abb. 32.13). Außer bei unvollständigen Brüchen (Grünholzfraktur, Fissur) wird dies nur erreicht, wenn die Fragmente ideal reponiert und ruhiggestellt werden.
Der Bruchspalt wird direkt von Knochenzellen (Osteoblasten) überbrückt. Eine sichtbare Kallusbildung findet nicht statt.
Abb. 32.13 Frakturheilung.
Abb. 32.13a Primäre Knochenheilung: Mit einer stabilen Osteosynthese erreicht man Knochenheilung in idealer Stellung ohne Kallusbildung.
Abb. 32.13b Sekundäre Knochenheilung: Bei konservativer Behandlung resultiert eine Kallusbildung durch Bewegungsruhe.
Sekundäre Frakturheilung Bei einer sekundären Frakturheilung sind die Bruchenden nicht fugenlos adaptiert. In den verbleibenden Frakturspalt ( ▶ Abb. 32.13) sprießen vom umgebenden Weichteilgewebe kleine Blutgefäße ein, aus denen Bindegewebszellen austreten. Diese Gewebszellen wandeln den Bluterguss (Frakturhämatom), der den Bruchspalt und seine Umgebung ausfüllt, in Bindegewebe um.
Diese anfangs noch weiche Verbindung der Bruchenden nennt man Kallus (Kallus = Narbe, Schwiele). Erst im Laufe von Wochen wird der Kallus durch Kalkeinlagerung hart und belastungsfähig. Die sekundäre Knochenheilung ist dann abgeschlossen.
Die Kallusbildung kann in ungünstigen Fällen zu Bewegungseinschränkungen oder zu Instabilität des Knochens führen.
Die Heilungsdauer eines Knochens hängt wesentlich von der Bruchlokalisation (Durchblutung!) und dem Alter des Patienten ab (bei Kindern kürzere Heilungsdauer). Bei konservativer Behandlung gelten die in ▶ Abb. 32.14 genannten Knochenheilungszeiten.
Die operative Frakturbehandlung verkürzt die Heilungsdauer nicht grundsätzlich, allerdings führt sie oft zu einem besseren funktionellen Endergebnis. Wenn die natürliche Heilungsdauer eines Knochens dem Patienten nicht zugemutet werden kann, muss eine belastungsstabile Osteosynthese erfolgen (z. B. Schenkelhalsfraktur bei alten Menschen).
Merke
Es gilt folgende Faustregel: Knochenheilungsdauer bei Erwachsenen 6–12 Wochen. Obere Extremität 6 Wochen, untere Extremität 12 Wochen. Bei Kindern die Hälfte.
Abb. 32.14 Heilungsdauer. Die Heilungsdauer von Knochenbrüchen bei Erwachsenen.
Eine ungestörte Frakturheilung ist nur unter folgenden Voraussetzungen möglich:
ausreichende Durchblutung
ununterbrochene Ruhigstellung
enger Kontakt der Fragmente
Infektionsfreiheit
Sind diese Voraussetzungen nicht gewährleistet, kann es zu Störungen der Frakturheilung kommen.
Definition
Eine Pseudarthrose ist eine bewegliche bindegewebige Verbindung im Frakturspalt. Man spricht daher auch von Falschgelenk.
Ursache Ursachen für eine Pseudarthrose sind mechanische Faktoren und eine mangelhafte Durchblutung.
Mechanische Faktoren: ungenügende Ruhigstellung der Fraktur, Weichteileinklemmung im Bruchspalt, großer Knochendefekt, weit klaffender Bruchspalt.
Mangelhafte Durchblutung: infolge ausgedehnter Weichteildefekte, bei Infektionen.
Es findet sich eine schmerzfreie krankhafte Beweglichkeit im Frakturbereich. Röntgenologisch ist keine knöcherne Durchbauung der Fraktur nachweisbar ( ▶ Abb. 32.15).
Abb. 32.15 Pseudarthrose. Röntgenbild des Unterschenkels. Die Bruchstücke des Schienbeins wachsen nicht zusammen.
Therapie Die Therapie erfolgt durch eine operative Behandlung z. B. durch eine lokale Entfernung der Kortikalis („Dekortikation“) zur „Anfrischung“ der Fraktur. Anschließend führt man eine Osteosynthese mit Spongiosaplastik durch.
Prophylaxe Durch eine absolute Ruhigstellung, eine Erhaltung der Vaskularisation (Durchblutung) und die Vermeidung von Infektionen kann eine Pseudarthrose verhindert werden.
Definition
Eine Osteomyelitis ist eine bakterielle, eitrige Entzündung des Knochenmarks (Knochenmarksentzündung). Erreger sind meist Staphylokokken. Die Infektion des Knochens allgemein nennt man Osteitis.
Ursache Die Bakterien können direkt oder auf dem Blutweg (hämatogen) in das Knochenmark gelangen:
Exogene Osteomyelitis: Die Bakterien gelangen durch den Frakturspalt in den Knochen. Besonders gefährdet sind offene Frakturen und osteosynthetisch versorgte Frakturen.
Endogene/hämatogene Osteomyelitis: Eine bakterielle Infektion an anderer Körperstelle ist Ursache der Osteomyelitis. Die Keime gelangen über die Blutbahn in das Knochenmark.
Symptome Die typischen Symptome einer Osteomyelitis sind:
lokale Entzündungszeichen (Rötung, Schwellung, Schmerz, Überwärmung)
Fieber
laborchemisch erhöhte Entzündungsparameter (Leukozytose, CRP-Erhöhung)
evtl. sezernierende Hautfisteln im entzündeten Bereich (besonders bei chronischer Osteomyelitis)
Pflegepraxis
Infektionsprophylaxe. Patienten mit einer Osteomyelitis gelten als septisch und sollten von Patienten mit aseptischen Wunden isoliert werden.
Diagnostik Röntgenologisch sind bei einer Osteomyelitis erst 2–3 Wochen nach der Infektion Veränderungen erkennbar.
Therapie Therapeutische Maßnahmen sind die operative Ausräumung des Infektionsherds und das Einlegen einer Spül-saug-Drainage ( ▶ Abb. 7.9). Wenn die Fraktur schon stabil verheilt ist, wird das Osteosynthesematerial entfernt. Ist die Fraktur noch nicht stabil verheilt, wird das infizierte Metall ebenfalls entfernt und ein Therapiewechsel mit Fixateur externe durchgeführt. Entsprechend der bakteriellen Austestung (Antibiogramm) werden Antibiotika in hoher Dosierung verabreicht.
Pflegepraxis
Spül-saug-Drainage. Die Spülzufuhr läuft kontinuierlich mit z. B. 2000 ml SpülIösung (z.B. Ringer-Lösung) über 24 Stunden. Ist die Spülgeschwindigkeit ungleichmäßig, neigt das System zum Verstopfen. Deshalb ist das Drainagesystem 3-mal täglich auf Durchgängigkeit zu überprüfen. Hierzu lässt man eine bestimmte Spülmenge einlaufen, die bei ungehindertem Durchgang des Systems innerhalb kurzer Zeit in der Sekretauffangflasche erscheint. Die Spülflüssigkeit wird bilanziert und außerdem auf Aussehen und Beimengungen hin beobachtet. In regelmäßigen Intervallen ist die Sogwirkung abzulesen.
Definition
Bei der Sudeck-Dystrophie handelt es sich um eine komplexe schmerzhafte Funktionsstörung nach einer Extremitätenverletzung. Man bezeichnet das Krankheitsbild auch als Sudeck-Syndrom oder als komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS).
Dystrophie bedeutet „Fehlernährung“. Dystrophische Störungen sind somit Gewebszerstörungen, die aufgrund vaskulärer, neurogener oder stoffwechselbedingter Veränderungen entstanden sind.
Ursache und Therapie Die Ursache ist noch ungeklärt, man vermutet eine neurovaskuläre Fehlregulation. Bevorzugt kommt es nach wiederholten Repositionsversuchen gelenknaher Frakturen (besonders distaler Radius) zur Entwicklung einer Sudeck-Dystrophie.
Die Erkrankung wird in 3 Stadien eingeteilt ( ▶ Tab. 32.3 ). Eine Heilung der Sudeck-Dystrophie ist nur in den ersten beiden Stadien möglich.
Stadium |
Symptome |
Therapie |
Stadium I (2–8 Wochen nach Trauma) |
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Stadium II (8 Wochen bis 1 Jahr nach Trauma) |
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Stadium III (Endstadium) |
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Definition
Als ischämische Kontrakturen bezeichnet man Weichteilverkürzungen (besonders der Muskeln) aufgrund von Mangeldurchblutung und Nervenschädigung durch einengende Gipse, ausgedehnte Hämatome, Ödeme oder Fremdmaterial. Als Folge der Ischämie wird die Muskulatur nekrotisch und durch narbiges Gewebe ersetzt, was zur Muskelkontraktur führt.
Zusatzinfo
Häufigste Lokalisation ischämischer Kontrakturen sind Unterarm und Unterschenkel.
Als Volkmann-Kontraktur bezeichnet man eine Beugefehlstellung („Klauenhand“) des Handgelenks als Folge einer ischämischen Kontraktur im Rahmen von Frakturen und Luxationen im Ellenbogenbereich ( ▶ Abb. 32.16). Die Schädigung der Arterien und der den Unterarm versorgenden Nerven führt zu entsprechenden muskulären und neurologischen Ausfallserscheinungen.
Abb. 32.16 Volkmann-Kontraktur. Posttraumatische ischämische Kontraktur nach komplexer Ellenbogenverletzung mit ausgeprägter Beugefehlstellung (Klauenhand).
Symptome und Therapie Der Schmerz beginnt rasch, das Gewebe ist steinhart und sehr druckempfindlich, die Bewegung ist eingeschränkt. Therapeutische Maßnahmen sind die Entfernung einengender Gipsverbände und evtl. eine operative Spaltung der Faszien, die den angeschwollenen Muskel einengen (Faszienspaltung).
Ein Kompartmentsyndrom ist eine Muskelschwellung im Unterschenkel durch lokale Ischämie infolge massiver Drucksteigerung in den Muskellogen. Man spricht auch vom Tibialis-anterior-Syndrom ( ▶ Abb. 32.17).
Abb. 32.17 Tibialis-anterior-Syndrom. Ischämische Blaufärbung über dem vorderen Schienbeinmuskel (Kompartmentsyndrom).
Ursache Im Unterschenkel sind die Muskeln von sehr straffen Muskelfaszien umgeben. Kommt es z. B. im Rahmen einer Unterschenkelfraktur zum Hämatom im Bereich der Muskulatur, so führt dies zu einer enormen Drucksteigerung. Die Folge ist eine Kompression der lokalen Gefäße, die eine lokale Minderdurchblutung nach sich zieht.
Symptome und Therapie Es findet sich ein Druckschmerz mit Schwellung des vorderen Schienbeinmuskels. Später entwickelt sich eine Zehen- und Fußheberschwäche. Das Kompartmentsyndrom ist ein chirurgischer Notfall. Eine Muskelschädigung ist nur durch die frühzeitige Faszienspaltung zu verhindern.
Prinzipiell gliedert sich eine Frakturbehandlung in 3 Schritte: Reposition, Retention, Rehabilitation.
Reposition (Einrichten) Dislozierte Frakturen werden durch manuellen Zug und Druck auf die Extremität eingerichtet (geschlossene Reposition). Gelingt die Reposition von außen nicht, so muss die Einrichtung des verschobenen Bruchs durch operative Freilegung des Knochens erfolgen (offene Reposition). Generell muss eine notwendige Reposition so früh wie möglich und unter Schmerzausschaltung (Leitungsanästhesie, Bruchspaltanästhesie, Kurznarkose) erfolgen.
Retention (Ruhigstellung) Nach der Reposition müssen die Fragmente des eingerichteten Bruchs bis zur knöchernen Heilung unverrückbar fixiert werden. Konservative Methoden sind der Gipsverband oder die Ruhigstellung durch eine Orthese, die prinzipiell ähnlich wirkt. Operativ lässt sich eine Fraktur durch verschiedene Osteosyntheseverfahren fixieren.
Rehabilitation (Wiederherstellung) Die Rehabilitationsmaßnahmen beginnen schon während der Ruhigstellungsphase mit intensiver physiotherapeutischer Übungsbehandlung und sofortiger aktiver Bewegung aller nicht verletzten Extremitäten (frühfunktionelle Behandlung). Dies dient der Verhütung von Muskelatrophien und Gelenkversteifungen.
Grundsätzlich soll der Gipsverband die Fraktur und die beiden benachbarten Gelenke ruhigstellen. Bei einem Unterschenkelbruch muss der Gips also sowohl über das Knie als auch über das Sprunggelenk hinausgehen (sog. Oberschenkelgips). Allerdings gibt es von dieser Regel mehrere Ausnahmen (z. B. Unterarmgips bei Speichenbruch, Unterschenkelgips bei Knöchelbruch).
Pflegepraxis
Lagerung. Um eine größtmögliche Selbstständigkeit des Patienten zu gewährleisten und um Kontrakturen vorzubeugen, wird das betroffene Gelenk in Funktionsstellung (Gebrauchsstellung) fixiert (z. B. Ellenbogen 90° gebeugt, Finger leicht gebeugt).
Beim Sprunggelenk besteht ein erhöhtes Kontrakturenrisiko („Spitzfuß“). Aus diesem Grund wird das Sprunggelenk grundsätzlich in der Neutral-Null-Stellung ( ▶ Abb. 32.2) eingegipst, d. h., der Fuß muss im rechten Winkel zur Unterschenkelachse stehen.
Bei jeder frischen Verletzung muss damit gerechnet werden, dass der traumatisierte Bereich innerhalb der folgenden Stunden oder Tage durch zunehmende Weichteilschwellung (Bluterguss) anschwillt. Deshalb gilt die Regel: kein zirkulärer Gips bei frischen Verletzungen und kein zirkulärer Verband unter dem Gips. Es könnte sonst zu Durchblutungsstörungen kommen.
Merke
Bei frischen Verletzungen darf niemals ein zirkulärer Gipsverband angelegt werden.
Der Gipsverband stellt eine unnachgiebige Hülle für die Extremität dar und kann schwere Druckschäden ( ▶ Abb. 32.18) oder Durchblutungsstörungen durch Kompression verursachen. Aus diesem Grund werden bei frischen Verletzungen nur Gipsschienen oder entsprechende Orthesen angelegt. Falls man sich trotzdem für einen zirkulären Gips entscheidet, muss dieser unbedingt gespalten, d.h. auf der ganzen Länge „bis auf den letzten Faden“ aufgeschnitten werden.
Pflegepraxis
Überwachung. Schienen und Verbände sind täglich zu inspizieren, um Durchblutungsstörungen und andere Auffälligkeiten rechtzeitig zu erkennen.
Gipsverband. Unabhängig von der Art des Gipsverbands sind Knochenvorsprünge wegen der Gefahr von Drucknekrosen mit Filzstückchen zu polstern (z. B. Oberarmkondylen, Fibulaköpfchen, Knöchel, Ferse).
Abb. 32.18 Schäden durch Gipsverbände.
Abb. 32.18a Die Fingerschwellung ist durch einen zu engen Gipsverband entstanden. 3 Tage nach dem Anlegen der Oberarmgipsschiene. Die Gipskontrolle nach 24 Stunden war nicht erfolgt.
Abb. 32.18b Druckgangrän durch zu engen Gipsverband.
Die Patienten müssen angewiesen werden, die eingegipste Extremität möglichst hochzulagern (geringere Schwellungsneigung) und lokal zu kühlen. Bei stärkeren Schmerzen, Durchblutungsstörungen (kalte oder gefühllose Finger bzw. Zehen) oder Stauungszeichen (geschwollene Finger oder Zehen) sollen sie sofort den behandelnden Arzt informieren. In diesem Fall ist der Gipsverband zu eng geworden und muss neu angelegt werden.
Pflegepraxis
Schmerzen. Generell gilt: „Ein klagender Patient mit Gips hat immer recht.“ Nach der Schmerzursache muss gefahndet werden.
Unabhängig von den genannten Symptomen muss nach Anlegen eines Gipses 24 Stunden später eine ärztliche Kontrolle von Durchblutung, Motorik und Sensibilität (DMS) erfolgen. Nach dem Anlegen eines Gipsverbands sollte immer eine Röntgenkontrolle in 2 Ebenen erfolgen.
Bei Gipsverbänden an unteren Extremitäten darf die medikamentöse Thromboseprophylaxe (Kap. ▶ 9.2) und bei offenen Begleitverletzungen (Schürfung, Risswunde etc.) die Tetanusprophylaxe (Kap. ▶ 6.4) nicht vergessen werden.
Es gibt verschiedene Gipsverbände für die obere Extremität ( ▶ Abb. 32.19). Ob die Finger frei bleiben, hängt von der Frakturlokalisation ab. Bei frischen Verletzungen wird eine dorsale Gipsschiene an der Streckseite des Handgelenks angelegt.
Unterarmgipsschiene/Unterarmgips Bei frischen Verletzungen der Finger und des Handgelenks (z. B. Radiusfraktur).
Kahnbeingips Bei Kahnbeinfraktur nach Abschwellung. Gips muss Daumen- und Zeigefingergrundgelenk einschließen.
Oberarmgipsschiene/Oberarmgips Bei Verletzungen im Bereich Ellenbogengelenk und Unterarm, Schleimbeutelentzündung im Ellenbogengelenk (Bursitis olecrani) oder Sehnenscheidenentzündung (Tendovaginitis).
Hängegips (Hanging cast) Bei Oberarmschaftfrakturen mit Fehlstellung durch Verkürzung, nach Abschwellung. Sonderform des Oberarmgipses mit Extension der Oberarmschaftfraktur (Humerusfraktur) durch Gewicht.
Pflegepraxis
Frakturzustand. Generell wird bei frischen Verletzungen eine Gipsschiene angelegt. Ist die Verletzung alt oder der Frakturbereich abgeschwollen, wird die Schiene durch einen zirkulären Gips ersetzt.
Abb. 32.19 Gipsverbände der oberen Extremität. Beispiele.
Pflegepraxis
Frakturzustand. Bei frischen Verletzungen wird eine Gipsschiene angelegt, die nach Abschwellung durch einen Liegegips ersetzt wird. Wenn eine Teilbelastung der Fraktur möglich ist, wandelt man den Liegegips in einen Gehgips um ( ▶ Abb. 32.20).
Abb. 32.20 Gipsverbände der unteren Extremität. Beispiele.
Unterschenkelgipsschiene Bei frischen Verletzungen im Bereich des Sprunggelenks und am Fuß. Dorsal angewickelter L-förmiger Gipsstreifen (L-Schiene). Keine Belastung erlaubt.
Oberschenkelgipsschiene Bei frischen Verletzungen im Bereich von Oberschenkel, Knie oder Unterschenkel.
Unterschenkel-/Oberschenkelliegegips Bei älteren Verletzungen nach Abschwellung. Zirkulärer Gips als Ersatz der entsprechenden Gipsschiene.
Pflegepraxis
Mobilisation. Die Bezeichnung Liegegips besagt nicht, dass der Patient strenge Bettruhe einhalten soll. Aufstehen mithilfe von Gehstützen ist nach ärztlicher Anordnung durchaus erlaubt, doch darf das eingegipste Bein nicht belastet werden.
Gehgips Diese Gipsform wird bei Verletzungen am Unter- bzw. Oberschenkel eingesetzt, wenn eine Teilbelastung erlaubt ist. Der Gehgips ersetzt den primär angelegten Liegegips. Wegen der Belastung wird eine Gehhilfe eingegipst oder ein abnehmbarer Gehschuh angeschnallt. Der Patient kann damit auftreten und abrollen.
Tutorschiene Dient zur Ruhigstellung des Kniegelenks bei einer Weichteilverletzung mit Ergussbildung. Dabei werden Gipsstreifen dorsal vom Knöchel bis in Leistenhöhe gewickelt. Das Sprunggelenk bleibt frei beweglich, der Patient kann Schuhe anziehen und darf das Bein voll belasten.
Tutor Ähnlich wie die Tutorschiene vom Knöchel bis zur Leiste, aber zirkulär. Der Tutor dient zur Ruhigstellung des Kniegelenks, wenn keine Ergussgefahr mehr besteht und die Verletzung eine Vollbelastung möglich macht.
Sarmiento-Gips Eine Sonderform des Unterschenkelgipses, die eine frühfunktionelle Behandlung erlaubt. Durch Anmodellieren des oberen Gipsabschlusses an Schienbeinkopf und Kniescheibe wird Rotationsstabilität im Knie erreicht und ein Teil des Körpergewichts auf den Gips übertragen. Der Gips wirkt so ähnlich einem Gehapparat und entlastet die Fraktur.
Zusatzinfo
Die Behandlungstechnik nach Sarmiento sieht folgendermaßen aus: Bei einer geschlossenen Unterschenkelschaftfraktur wird für 2 Wochen ein Oberschenkelliegegips angelegt. Danach erfolgt der Einsatz eines Sarmiento-Unterschenkelgehgipses mit zunehmender Belastung.
Alternativ kann auch ein Brace (Sarmiento-Brace-Technik) verwendet werden (brace, engl.: Stütze; im Sinne von industriell gefertigten Kunststoffmanschetten).
Definition
Extension bedeutet „Streckverband“, denn bei diesem Verfahren wird die Ruhigstellung der Fraktur durch permanenten Zug auf die Bruchstücke erreicht.
Wegen der langen Immobilisationsdauer ist die Extensionsbehandlung veraltet und wird nur noch in Ausnahmefällen angewendet. Als Angriffspunkt für die Zugkraft dient ein Metallstift (Kirschner-Draht), der in örtlicher Betäubung quer durch den Knochen distal der Fraktur gebohrt wird. Heute wird die operative Osteosynthese bevorzugt ( ▶ Abb. 32.21).
Abb. 32.21 Extensionsbehandlung. Beim Streckverband (hier: Unterschenkelfraktur) wurde der Fuß zur Spitzfußprophylaxe mit einem Schlauchverband versehen und mithilfe des Extensionsgestänges in 90°-Stellung fixiert.
Spezielle Extensionsformen
Crutchfieldextension: Wird bei Luxationen und Frakturen im Bereich der Halswirbelsäule ( ▶ Abb. 33.50) eingesetzt.
Pflasterzugextension: Anwendung bei Oberschenkelschaftfrakturen des Kindes bis zum 7. Lebensjahr ( ▶ Abb. 32.36).
Die operative Frakturbehandlung erfolgt durch Osteosynthese, was „Knochenzusammensetzung“ bedeutet. Man versteht hierunter die operative Reposition und Fixation einer Fraktur.
Verwendet werden Drähte, Schrauben, Nägel, Platten und der Fixateur externe. In der Regel werden diese Materialien nach Abschluss der Frakturheilung (3 Wochen bis 2 Jahre) im Rahmen eines Zweiteingriffs entfernt (Metallentfernung = ME). Kleinere Knochenfragmente können auch mit Stiften (Pins) aus resorbierbarem Material fixiert werden.
Bei manchen Frakturen muss statt eines Osteosyntheseverfahrens ein Gelenkersatz durchgeführt werden. Hierfür verwendet man Endoprothesen. Diese werden nicht entfernt und verbleiben für immer im Körper.
Ziele des Osteosyntheseverfahrens sind:
stabile Osteosynthese
anatomische Reposition, besonders bei Gelenkfrakturen
gewebeschonende Operationstechnik (Erhaltung der Blutzirkulation)
frühzeitige, aktive, schmerzfreie Mobilisation der frakturierten Körperregion
Indikation Die Indikation zur Osteosynthese ist vom Einzelfall abhängig. Fast immer operativ versorgt werden:
offene Frakturen
Frakturen mit Gelenkbeteiligung
dislozierte Frakturen, die sich nicht geschlossen reponieren lassen
Frakturen mit begleitenden Nerven-/Gefäßverletzungen
Frakturen bei Polytrauma zur Pflegeerleichterung
Oberschenkelfrakturen bei Erwachsenen
Pseudarthrosen
Entscheidet man sich zur operativen Primärversorgung, sollte diese innerhalb der ersten 6–8 Stunden erfolgen. Sind mehr als 8 Stunden seit dem Unfall vergangen, muss mit der Operation abgewartet werden, bis das Frakturhämatom resorbiert und die Weichteilschwellung abgeklungen ist. Das dauert 3–5 Tage. Bis dahin wird die gebrochene Extremität in einer Schiene schmerzfrei gelagert.
Merke
Postoperativ muss immer eine Röntgenkontrolle in 2 Ebenen erfolgen.
Die ▶ Tab. 32.4 stellt die konservative und operative Frakturbehandlung vergleichend gegenüber.
Frakturbehandlung |
Gipsbehandlung |
Osteosynthese |
Reposition |
nicht exakt möglich |
anatomisch korrekte Reposition |
Ruhigstellung |
absolute Ruhigstellung nicht möglich |
absolute Ruhigstellung |
Mobilisation |
mithilfe von Gehstützen meist früh möglich |
Frühmobilisation an Gehstützen oder Vollbelastung meist früh möglich |
Infektionsrisiko |
keines, da Fraktur geschlossen bleibt |
Infektion des gesamten Knochens möglich |
Weichteilkontrolle |
nicht möglich |
gut möglich (besonders wichtig bei offenen Frakturen) |
Thromboserisiko |
bei Gips an unteren Extremitäten erheblich |
bei Frühmobilisation gering |
spezielle Vorteile |
meist ambulante Therapie möglich |
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spezielle Nachteile |
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Die postoperative Frakturstabilität hängt vom Osteosyntheseverfahren ab. Dabei unterscheidet man:
Lagerungsstabile Osteosynthese: Der operierte Frakturbereich darf nicht bewegt werden und wird deshalb in einer Gipsschiene ruhiggestellt.
Übungsstabile Osteosynthese: Der Patient darf die operierte Extremität frei bewegen, jedoch nicht belasten. Wenn die Drainagen nach 2 Tagen entfernt sind, kann sofort mit der Physiotherapie begonnen werden.
Belastungsstabile Osteosynthese: Manche Frakturen sind postoperativ sofort voll belastbar. Dazu gehören die hüftgelenksnahen Femurfrakturen (TEP, Gamma-Nagel) und die Marknagelosteosynthesen des Ober- und Unterschenkels.
Pflegepraxis
Mobilisation. Die Entscheidung über die Übungs- oder Belastungsstabilität einer operierten Fraktur fällt der Arzt, wenn er die postoperativ angefertigten Röntgenbilder gesehen hat. Vorher darf nicht mit der Bewegungsaufnahme begonnen werden!
Die OP-Techniken bewirken entweder eine reine Schienung der Fraktur oder eine zusätzliche Druckausübung auf den Bruchspalt, was die Heilung begünstigt (interfragmentäre Kompression).
Im Folgenden sind die wichtigsten Osteosyntheseverfahren dargestellt. Die ▶ Tab. 32.5 verdeutlich die Anwendung der verschiedenen Verfahren und den Grad der Stabilität.
Spickdrahtosteosynthese Nach Reposition des Fragments werden 2–3 Kirschner-Drähte unter Röntgendurchleuchtung mithilfe einer Bohrmaschine durch die Haut eingedreht, wobei die Metallstifte das Bruchstück an den übrigen Knochen „anspicken“. Eine Kompression auf den Bruchspalt ist nicht möglich. Die Drähte verhindern lediglich ein Abgleiten des Fragments (Dislokation) nach erfolgreicher Reposition ( ▶ Abb. 32.22).
Abb. 32.22 Osteosyntheseverfahren (I). Operative Fixierung bei kleineren Bruchstücken.
Zuggurtung Zwei parallele Spickdrähte verhindern das Abrutschen der Fragmente. Dann wird eine im Knochen und an den Kirschner-Drähten fixierte Drahtschlaufe in Achterform unter Spannung angezogen („gegurtet“), wodurch die Fraktur unter Kompression gerät ( ▶ Abb. 32.22).
Verschraubung (Schraubenosteosynthese) Durch das Eindrehen von Schrauben, die den Frakturspalt überqueren, werden die Fragmente zusammengepresst und fixiert ( ▶ Abb. 32.22).
Marknagel Ein kräftiges Metallrohr wird in das Knochenmark eines Röhrenknochens eingeschlagen, wodurch eine innere (intramedulläre) Schienung im Sinne eines „Rohr-in-Rohr-Prinzips“ entsteht. Der in der Markhöhle fest verkeilte Marknagel gestattet eine frühzeitige Vollbelastung ( ▶ Abb. 32.23).
Abb. 32.23 Osteosyntheseverfahren (II). Intramedulläre Schienung.
Verriegelungsnagel Das Verfahren ähnelt dem Marknagel, hat jedoch quer eingedrehte Schrauben, die die Bruchstücke gegenüber einer Rotationsverschiebung oder Verkürzung „verriegeln“. Sind proximales und distales Hauptfragment verriegelt, spricht man von statischer Verriegelung (keine interfragmentäre Kompression). Befinden sich die verriegelnden Querbolzen nur in dem distalen Fragment, handelt es sich um eine dynamische Verriegelung (mit interfragmentärer Kompression) ( ▶ Abb. 32.23).
Zusatzinfo
Eine statische Verriegelung sollte nach teilweiser knöcherner Konsolidierung durch Entfernen der proximalen Schrauben in eine dynamische Verriegelung umgewandelt werden.
Plattenosteosynthese Eine Metallplatte wird in beiden Knochenfragmenten mit Schrauben fixiert. Es gibt vorgefertigte Platten in verschiedensten Formen (gerade Platte, Winkelplatte, T-Platte, L-Platte). Die Platte dient entweder nur zur Schienung oder zusätzlich zur Kompression der Bruchfläche. Zur Druckausübung wird die dynamische Kompressionsplatte (DC-Platte) bevorzugt eingesetzt ( ▶ Abb. 32.24).
Abb. 32.24 Osteosyntheseverfahren (III). Plattenosteosynthese. Prinzip der dynamischen Kompressionsplatte (DC-Platte).
Abb. 32.24a Die Schrauben werden in die ovalären Löcher der Platte exzentrisch eingesetzt.
Abb. 32.24b Beim Anziehen der Schrauben gleiten diese in die Mitte der Plattenlöcher, wodurch die Knochenteile zusammengepresst werden und der interfragmentäre Druck entsteht.
Verbundosteosynthese (Doppelplatten-Verbundosteosynthese) Belastungsstabile Verbindung der Fragmente durch Knochenzement (Palacos) und Plattenosteosynthese. Wenn die Zerstörung des Knochens so weit fortgeschritten ist, dass die Bruchstücke nicht mehr direkt aneinandergefügt werden können, wird der „Verbund“ der Fragmente durch Knochenzement, der den Hohlraum zwischen den Bruchstücken auffüllt, wiederhergestellt. Eine zusätzliche Stabilisierung erfolgt durch eine spezielle tragfähige Plattenkonstruktion ( ▶ Abb. 32.25).
Abb. 32.25 Osteosyntheseverfahren (IV). Doppelplatten-Verbundosteosynthese.
Abb. 32.25a Schematische Darstellung am Beispiel einer Femurfraktur (Knochenzement gelb).
Abb. 32.25b Röntgenbild.
Fixateur externe (äußerer Festhalter, äußerer Spanner, Außenspanner) Stabilisierung der Fragmente durch eine außerhalb des Gewebes liegende Metallkonstruktion ( ▶ Abb. 32.28und ▶ Abb. 32.27). In die Bruchstücke werden Metallstifte (lange Schrauben) quer zur Längsachse eingebracht. Sie überragen die Haut nach außen und dienen als verlängerte Arme der Bruchstücke. Außerhalb des Körpers werden die Metallstifte durch spezielle Rohre, Gelenkstücke und Spannvorrichtungen fest miteinander verbunden. Dadurch gelingt eine relativ schonende Reposition und Fixierung der Fraktur.
Zusatzinfo
Bei fast allen offenen Frakturen 2. und 3. Grades ist der Fixateur externe das Behandlungsverfahren der Wahl.
Verfahrenswechsel Bei offenen Fakturen des Unter- und Oberschenkels, bei denen eine langfristige Ruhigstellung (ca. 3 Monate) erforderlich ist, wird in vielen Kliniken ein Wechsel der Osteosynthese vorgenommen ( ▶ Abb. 32.29). Die Primärversorgung erfolgt mit Fixateur externe. Wenn die Weichteile nach 2–3 Wochen abgeheilt sind, wird der äußere Festhalter entfernt und in gleicher Narkose gegen eine innere Osteosynthese (z. B. Verriegelungsnagel, Plattenosteosynthese) ausgetauscht.
Zusatzinfo
Durch einen Verfahrenswechsel werden die Vorteile des Fixateur externe in der Frühphase genutzt (Operation außerhalb der Weichteile). Gleichzeitig werden die Nachteile des Fixateur externe in der Langzeitbehandlung (Infektausbreitung von außen über die Schrauben zum Knochen) vermieden.
Abb. 32.26 Osteosyntheseverfahren (V). Fixateur externe. Ansicht seitlich und im Querschnitt (Beispiel: offene Unterschenkelfraktur).
Abb. 32.26a Unilateraler Fixateur externe.
Abb. 32.26b V-förmiger Fixateur externe.
Endoprothese Implantation der Gelenkprothese aus Metall ( ▶ Abb. 32.28).
Abb. 32.27 Fixateur externe. Unilateraler äußerer Festhalter bei offener Unterschenkelfraktur mit ausgedehntem Weichteildefekt.
Abb. 32.28 Osteosyntheseverfahren (VI). Endoprothese bei instabiler Schenkelhalsfraktur.
Abb. 32.28a Röntgenaufnahme der Hüfte. Bruchspalt (Pfeile), SH: Schenkelhals, HK: Hüftkopf, OS: Oberschenkelknochen (Femur).
Abb. 32.28b Postoperatives Röntgenbild mit Duokopf-Prothese.
Abb. 32.29 Verfahrenswechsel der Osteosynthese.
Abb. 32.29a Offene Unterschenkelfraktur.
Abb. 32.29b Primärversorgung mit Fixateur externe.
Abb. 32.29c Sekundärversorgung mit Marknagel (statische Verriegelung).
Spongiosaplastik Auffüllung von Knochendefekten mit körpereigenem regenerationsfähigem Knochenmaterial. Die Spongiosa wird Beckenkamm, Trochanter major des Oberschenkelknochens oder Schienbeinkopf entnommen und an den Ort des Defekts transplantiert. Zusätzlich ist eine Osteosynthese durch Fixateur externe oder Platte erforderlich.
Osteosyntheseverfahren |
Anwendung (Beispiel) |
Stabilität |
Spickdrahtosteosynthese |
distale Radiusfraktur, Brüche an Hand und Fuß |
nicht übungsstabil, Gipsruhigstellung bis zum Abschluss der Knochenheilung erforderlich |
Zuggurtung |
Ellenbogen (Olekranonfraktur), Kniescheibe |
übungsstabil |
Verschraubung (Schraubenosteosynthese) |
ohne zusätzliche Plattenosteosynthese nur bei kleinen Fragmenten (z. B. Innenknöchel) |
meistens übungsstabil |
Marknagel |
Oberschenkel- und Unterschenkelschaftfraktur im mittleren Drittel |
belastungsstabil |
Verriegelungsnagel |
gelenknahe Ober- und Unterschenkelfrakturen |
belastungsstabil nach 1–4 Wochen (abhängig von Frakturform) |
Plattenosteosynthese |
je nach Frakturform an praktisch allen Knochen anwendbar, insbesondere an Röhrenknochen |
meistens übungsstabil |
Verbundosteosynthese (Doppelplatten-Verbundosteosynthese) |
Knochendefekt durch pathologische Fraktur, z.B. bei einer Knochenmetastase |
belastungsstabil |
Fixateur externe (äußerer Festhalter, äußerer Spanner, Außenspanner) |
offene Frakturen an den Extremitäten mit Weichteilschädigung, Stabilisierung bei Knocheninfekten oder Pseudarthrosen |
übungsstabil |
Endoprothese |
hüftnahe Femurfraktur, wenn eine hüftkopferhaltende Operation nicht möglich ist |
belastungsstabil |
Spongiosaplastik |
Defektzonen durch Trümmerfraktur (z. B. Tibiakopffraktur mit Gelenkflächenimpression), Pseudarthrosen |
durch Spongiosaplastik keine, Stabilität abhängig von der zusätzlichen Osteosynthese |
Definition
Als Rehabilitation (kurz „Reha“) bezeichnet man die Gesamtheit der Maßnahmen zur Wiedereingliederung in Familie, Beruf und Gesellschaft.
Orthopädische und unfallchirurgische Patienten bedürfen nach der Entlassung häufig einer speziellen rehabilitativen Weiterbehandlung.
Rehabilitationsziel sind die Wiederanpassung des Patienten an die Alltagsbelastungen sowie die Vermeidung oder Verminderung von Erwerbsunfähigkeit und Pflegebedürftigkeit. Alle Rehabilitationsmaßnahmen müssen vor Beginn bei dem zuständigen Kostenträger (z. B. Krankenkasse, Berufsgenossenschaft, Rentenversicherungsträger) beantragt und von diesem genehmigt werden.
Pflegepraxis
Entlassungsmanagement. Die Pflegenden sollten gemeinsam mit den zuständigen Ärzten daran denken, dass eine geeignete Weiterbehandlung möglichst früh organisiert wird!
Ambulante Physiotherapie Ambulante physiotherapeutische Maßnahmen sind geeignet für Patienten, die in ihre häusliche Umgebung entlassen werden können und wollen.
Anschlussheilbehandlung (AHB) Eine AHB ist eine Weiterbehandlung in einer Reha-Klinik nach Entlassung aus der vollstationären Krankenhausbehandlung. Zwischen Entlassung und AHB dürfen maximal 14 Tage liegen.
Geriatrische Rehabilitation Geeignet ist die geriatrische Rehabilitation für multimorbide oder in ihrer Bewegungsmöglichkeit eingeschränkte ältere Patienten, wenn dadurch ein Behandlungserfolg zu erwarten ist.
Kurzzeitpflege Als Zwischenlösung ist die Kurzzeitpflege geeignet für Patienten, die sich nicht selbst versorgen können, wenn ein Pflegeplatz noch nicht zur Verfügung steht oder die Angehörigen die Pflege zu Hause noch organisieren müssen. Die Versorgung in diesen speziellen Einrichtungen beschränkt sich im Wesentlichen auf Pflegemaßnahmen. Die medizinische Behandlung muss abgeschlossen sein.
Grundsätzlich gelten, auch bei einer akut auftretenden Operationsindikation, die allgemeinen präoperativen Maßnahmen (Kap. ▶ 9.3).
Wenn mit einem großen Blutverlust während der Operation gerechnet wird, sind ausreichend Blutkonserven bereitzustellen. Nimmt der Patient Antikoagulanzien (z.B. Marcumar) ein, müssen auch Gerinnungsfaktoren (z.B. Thrombozytenkonzentrat, Fibrinogen) bestellt oder an eine Antagonisierung gedacht werden. Die Laborwerte geben dabei Aufschluss über die Blutgerinnung (Quick, PTT) des Patienten.
Bei geplanten Operationen (z. B. bei einer Hüft-Endoprothese) können Patienten unter bestimmten Bedingungen präoperativ Eigenblut spenden, was ihnen intra- oder postoperativ verabreicht wird.
Ernährung und Ausscheidung Wenn die Operation als Notfall sofort durchgeführt werden muss, können weder Nahrungskarenz noch Darmentleerung mehr stattfinden.
In jedem Fall sollte dem Patienten die Möglichkeit gegeben werden, seine Blase zu entleeren. Bei einer geplanten Operationszeit von über 2 Stunden und einer anschließenden Immobilisation in den ersten postoperativen Tagen wird meist präoperativ ein Blasendauerkatheter gelegt.
Die unterstützende Pflege ist abhängig vom Ausmaß der Beeinträchtigung in der Bewegung, von Schmerzen, weiteren Verletzungen oder Begleiterkrankungen und den Ressourcen des Patienten. Zu den besonderen pflegerischen Schwerpunkten gehören:
Lagerung und Mobilisation Ziel ist eine bequeme, schmerzreduzierende und funktionelle Lagerung der operierten Extremität. Um postoperative Schwellungen durch einen venösen Rückstau zu vermeiden, wird der betroffene Körperteil leicht hochgelagert.
Es gelten die Anordnungen des Operateurs über Art und Dauer der Schienenlagerung. In der Regel wird die betroffene Extremität 4–7 Tage auf einer Lagerungsschiene oder einem Kissen ruhiggestellt. Die Lage der Schiene und der Sitz der Extremität in der Schiene (und ggf. die Polsterung) sind regelmäßig zu kontrollieren. Regelmäßig werden Durchblutung, Sensibilität und Beweglichkeit durch die Pflegefachkraft kontrolliert (z.B. Finger des betroffenen Arms oder Zehen des betroffenen Beins).
Da die meisten Osteosynthesen mindestens eine Übungsstabilität erlauben, wird eine frühzeitige Mobilisation angestrebt. Die Entscheidung über die Übungs- oder Belastungsstabilität findet immer erst nach der postoperativen Röntgenkontrolle und durch den Arzt statt. Vorher darf keine Mobilisation oder Bewegung vorgenommen werden.
Pflegepraxis
Beratung. Leiten Sie den Patienten nach Einschätzung seiner Fähigkeiten und seines Kooperationswillens an, die korrekte Lage auf der Schiene selbst zu kontrollieren. Informieren Sie ihn darüber, warum gerade diese Lagerung wichtig ist.
Obere Extremitäten Zur Ruhigstellung (z. B. nach einer Humerusfraktur) wird der Arm nach vorn auf ein oder mehrere Kissen gelagert. Der Oberarm wird um ca. 60° von der Mittellinie weggeführt (abduziert), das Ellenbogengelenk in ca. 90° Mittelstellung gebeugt.
Die Mobilisation kann i. d. R. noch am OP-Tag stattfinden. Je nach Kreislaufsituation ist das Stehen vor dem Bett oder ein kurzes Aufstehen (z. B. zur Toilette) mit Unterstützung und in Begleitung einer Pflegefachkraft möglich.
Untere Extremitäten Vor allem nach Hüft-TEP bei Schenkelhalsfrakturen ist auf die Luxationsprophylaxe zu achten. Das Bein wird flach in einer Schiene oder auf ein Kissen gelagert, dabei liegt der Fuß gerade in der Schiene. Zur Spitzfußprophylaxe sollte der Fuß am Ende der Schiene anliegen. Um Dekubitalgeschwüre zu vermeiden, ist auf Weich- oder Hohllagerung der Ferse zu achten. Zur Unterstützung und um eine Überstreckung des Kniegelenks zu vermeiden, wird ein kleines, flaches Kissen in die Kniekehle gelegt. Das Wadenbeinköpfchen muss besonders gut abgepolstert werden, da dort die Gefahr der lagerungsbedingten Schädigung des Nervus peronaeus besteht.
Beim Aufsetzen des Oberkörpers sollte die Hüfte nur leicht gebeugt werden. Zwischen den Beinen befindet sich ein weiteres oder ein spezielles Keilkissen, um unerwünschte Bewegungen eines Körperteils zur Mittellinie (Adduktion) zu vermeiden. Eine Abduktion > 20–30° über die Mittellinie sollte verhindert werden.
Pflegepraxis
Lagerung. Stellen Sie Nachttisch, Getränke, Telefon und Klingelanlage zur Luxationsprophylaxe in erreichbare Nähe, damit sich der Patient beim Drehen und Beugen des Oberkörpers nicht in eine luxationsbegünstigende Lage begibt.
Die erste Mobilisation kann i. d. R. am 1. postoperativen Tag stattfinden. Sie orientiert sich aber am Zustand des Patienten und geschieht im besten Fall in enger Zusammenarbeit mit den Physiotherapeuten. Wie das Lagern erfordert auch die Mobilisation bei Frakturen an den Beinen, besonders bei Endoprothesen, einige Aufmerksamkeit. Bei bestimmten Bewegungen besteht Luxationsgefahr, deshalb gelten folgende Regeln:
Drehen und Aufstehen über die operierte Seite
Überkreuzen der Beine beim Aufstehen und Sitzen vermeiden
optimale Sitzposition in 90°-Hüftbeugung durch Sitzerhöhung
tiefe Sitzposition vermeiden
In der ersten postoperativen Zeit benötigt der Patient Hilfe bei der Lageveränderung im Bett. Die Pflegeperson hält und stabilisiert das operierte Bein. Der Patient wird dazu angehalten, die gesunden Extremitäten regelmäßig zu bewegen, evtl. unter Anleitung der Physiotherapeuten. Diese stellen auch geeignete Hilfsmittel wie Unterarmgehstützen, Gehwagen und Rollator zur Verfügung und üben das Gehen.
Nach ärztlicher Anordnung und Einweisung durch den Physiotherapeuten ist die Motorschiene zur passiven Bewegung des Kniegelenks eine geeignete Mobilisationsform. Bevor sie in ein anderes Bett gelegt wird, ist sie, unter Berücksichtigung der Einwirkzeit, mit einem geeigneten Oberflächendesinfektionsmittel abzuwischen.
Die Übungen erfolgen i. d. R. 2-mal täglich. Der Beugungsgrad wird der Schmerzsituation des Patienten angepasst täglich gesteigert.
Pflegepraxis
Mobilisation. Beim Mobilisieren eines Patienten mit einer Fraktur der unteren Extremität kann die Pflegefachkraft den eigenen Fuß unter den des Patienten stellen. Damit kann sie eine versehentliche Frakturbelastung „erspüren“.
Unterstützung. Es gilt:
beim Ausziehen: mit operierter Extremität beginnen
beim Anziehen: mit gesunder Seite beginnen
Schmerzmanagement In den ersten postoperativen Tagen nach einer Osteosynthese leidet der Patient unter starken Schmerzen. Je nach Arztanordnung erhält er Schmerzmittel oral, als Injektion oder Infusion bzw. kontinuierlich über eine PCA-Schmerzpumpe.
Zusatzinfo
PCA (engl.: Patient controlled analgesia) bedeutet patientenkontrollierte Analgesie: Der Patient fordert Schmerzmittel in kleinen Dosen entsprechend seinem Bedarf. Die Schmerzpumpe ist vom Arzt programmiert, sodass keine Überdosierung möglich ist.
Besonders wichtig ist, dass der Patient zu Beginn der Mobilisationsmaßnahmen schmerzfrei ist, um aktiv an den Bewegungsübungen teilnehmen zu können. Eine rechtzeitige und ausreichende Schmerzmittelgabe verhindert unnötige Schmerzsituationen. Der Patient wird darüber informiert, dass er keinesfalls Schmerzen „aushalten“ muss.
Gelkühlkissen können zusätzlich zur Schmerzlinderung und als abschwellende Maßnahme eingesetzt werden. Die Kühldauer sollte ca. 15 Minuten nicht überschreiten, um Kälteschäden zu vermeiden.
Wundmanagement und Drainagen Um Blutungen frühzeitig zu erkennen, werden Wunden und Drainagen in engen zeitlichen Abständen von der Pflegefachkraft überwacht. Sie achtet auch darauf, dass der Verband korrekt sitzt, nicht einschnürt oder Falten wirft. Der erste Verbandwechsel erfolgt unter aseptischen Bedingungen nach Anordnung des Arztes.
Je nach OP-Art liegen 1–3 Wunddrainagen. Von der Pflegeperson werden der Wundverband, Fördermenge und Sog kontrolliert. Abhängig davon werden die Drainagen am 2.–3. postoperativen Tag nach Anordnung des Arztes entfernt. Alle Beobachtungen werden dokumentiert, vor allem die Fördermenge, das Aussehen sowie die Veränderung des Sekrets mit Zeitangaben. Starke Nachblutungen müssen schnell erkannt werden, um Gegenmaßnahmen wie Kompression, Kühlung und im schlimmsten Fall eine erneute Operation einleiten zu können.
Wundversorgung bei Fixateur externe Bei einem Fixateur externe sind zusätzlich die Eintrittsstellen der Schrauben und Nägel täglich zu inspizieren, um Komplikationen rechtzeitig erkennen zu können. Die sog. Pintrack-Infektion (Pin = Stift, Track = Weg) kann zur Lockerung und damit zur Instabilität führen. Bei fortschreitender Infektion droht die Bohrlochosteomyelitis.
Offene Wundbehandlung Bei der offenen (verbandlosen) Versorgung werden Eintrittsstellen und Wunde mit geeignetem Wundantiseptikum (z. B. Lavanid) desinfiziert. Die weiteren äußeren Metallteile können mit einem alkoholischen Hautantiseptikum abgesprüht werden. Bei sauberen und trockenen Wundverhältnissen ist es möglich, die Extremität mit lauwarmer, steriler Ringer-Lösung zu spülen und den Wundbereich mit sterilen Kompressen zu trocknen.
Geschlossene Wundbehandlung Die Eintrittsstellen werden nach der Desinfektion mit Schlitzkompressen abgedeckt und mit einer Binde fixiert. Um den sterilen Verband kann noch eine Art Polsterverband angelegt werden.
Kontrolle der DMS Um Komplikationen, wie z.B. starke Schwellung, Nervenverletzungen, Nachblutungen, ▶ Kompartmentsyndrom, schnellstmöglich zu erkennen, ist eine regelmäßige Kontrolle der Durchblutung, Motorik und Sensibilität durchzuführen.
Die Durchblutung können Sie durch die Rekapillarisierungszeit prüfen. Dazu wird auf einen Finger- oder Zehennagel 1–2 Sekunden Druck ausgeübt, bis er sich weißlich verfärbt hat. Bei guter Durchblutung braucht die Haut weniger als 2 Sekunden, bis sie wieder rosig ist. Generell gibt die Haut gute Hinweise auf die Durchblutungssituation.
Die Motorik wird meistens bei Problemen und Verletzungen der Nerven und bei großen Schwellungen beeinträchtigt. Hier ist es wichtig, den Zustand der Motorik direkt nach der Operation und im präoperativen Verlauf zu beobachten und zu dokumentieren.
Die Sensibilität kann sowohl durch Nervenverletzungen, Durchblutungsstörungen, aber auch bei starken Schwellungen eingeschränkt sein. Gibt es hier Auffälligkeiten (z.B. Taubheitsgefühl der Finger), ist immer größte Vorsicht geboten.
Alle Veränderungen müssen Sie zeitnah dokumentieren und dem zuständigen Arzt mitteilen.
Ernährung Patienten mit Frakturen der oberen Extremitäten benötigen besondere Hilfestellung bei der Zubereitung der Mahlzeiten, z. B. Brötchen aufschneiden, Flaschen und Portionsverpackungen öffnen.
Ausscheidung Patienten mit Frakturen der unteren Extremität müssen unter Umständen ein Steckbecken oder eine Urinflasche benutzen. Bei Patienten mit Hüftendoprothesen oder Femurschaftfrakturen muss das Steckbecken von der nichtoperierten Seite aus unter das Becken platziert werden. Eine Hilfe zum schmerzärmeren Unterstecken oder Entfernen des Steckbeckens kann eine Erhöhung des Trochanter major auf der gegenüberliegenden Seite sein.
Entlassungsmanagement Vor der Entlassung wird der Patient mit den noch erforderlichen Hilfsmitteln wie Unterarmgehstützen, Toilettensitzerhöhung ( ▶ Abb. 32.30) und Toilettenstuhl versorgt. Die häusliche Situation muss in Gesprächen mit dem Patienten und seinen Angehörigen erfasst werden. Bestehen längerfristige Einschränkungen in der selbstständigen Versorgung, können vom Sozialdienst entsprechende Veränderungen in der Wohnung eingeleitet und ein ambulanter Pflegedienst engagiert werden.
Abb. 32.30 Toilettensitzerhöhung. Eine Toilettensitzerhöhung erleichtert dem Patienten das Aufstehen und Hinsetzen auf die Toilette und verhindert eine zu starke Beugung des Hüftgelenks über 90°.
Bei einer endoprothetischen Versorgung schließt sich häufig eine Anschlussheilbehandlung (AHB) an. Das wesentliche Ziel ist die Verbesserung der Beweglichkeit, um die weitgehende Selbstständigkeit des Patienten zu erreichen und ihn je nach Alter evtl. für das Arbeitsleben zu rehabilitieren.
Im Krankenhaus begonnene Maßnahmen wie Narbenpflege, Physiotherapie oder Lymphdrainagen sollten weitergeführt werden, um den Erfolg des Osteosyntheseverfahrens sicherzustellen.
Merke
Frakturen und Operationen an den unteren Extremitäten haben ein besonders hohes Thromboserisiko. Näheres zur Thromboseprophylaxe finden Sie in Kap. ▶ 9.2.
Fallbeispiel
Oberschenkelschaftfraktur. Frau Keller wurde schon am Tag nach der Operation (Marknagel) mobilisiert. Die Schmerzen waren mithilfe der Medikamente gut auszuhalten. Jeden Tag übte sie mit der Physiotherapeutin das Gehen an Unterarmgehstützen und nach wenigen Tagen konnte sie in Begleitung auf dem Krankenhausflur spazieren gehen. Die Sozialarbeiterin kümmerte sich um eine ambulante Rehabilitationsmaßnahme. Versorgt mit allen Hilfsmitteln und der Unterstützung ihrer Familie kann sich Frau Keller weiterhin gut selbstständig versorgen.
Kinder kompensieren selbst ernsthafte Verletzungen sehr viel besser und schneller als Erwachsene. Es gibt jedoch spezielle Verletzungen, die erheblichen Einfluss auf die weitere Entwicklung und das spätere Wachstum von Kindern haben können. Das gilt insbesondere für Verletzungen der Wachstumszonen.
Das Längenwachstum findet an den Wachstumsfugen(Epiphysenfugen) der langen Röhrenknochen statt. Die auf der Metaphyse aufsitzenden Epiphysenfugen bilden ständig neue Knorpelzellen, die säulenartig von der nachfolgenden Schicht vorgeschoben werden und so ein Längenwachstum bewirken.
Die Ansatzpunkte von Sehnen und Bändern an den Knochen nennt man Apophysen, die bis zum Wachstumsabschluss an den Apophysenfugen knorpelig mit den Röhrenknochen verbunden sind.
Zusatzinfo
Sowohl Epiphysenfugen als auch Apophysenfugen stellen einen mechanischen Schwachpunkt dar, der bei starker Kraftentwicklung besonders leicht verletzt werden kann.
Verletzungen der noch nicht verknöcherten Wachstumsfugen können harmlos sein, aber auch schwerwiegende Veränderungen im Knochenwachstum bewirken.
Epiphysenverletzungen Für die Wachstumsfugenverletzungen (Epiphysenverletzungen, ▶ Abb. 32.31) gibt es Einteilungen nach Aitken (0–4) oder Salter (1–5).
Aitken I (Salter 2) Epiphysiolyse mit metaphysärem Fragment: Hier wird die Knorpelzellen produzierende Basalmembran von der Metaphyse abgehoben, aber nicht verletzt. Überwiegend konservative Behandlung nach exakter Reposition.
Aitken-II-Fraktur (Salter 3) Ablösung der Wachstumsfuge von der Metaphyse mit epiphysärem Keil. Die Wachstumsfuge wird nur an einer kleinen Stelle durchbrochen. Je nach Ergebnis der Reposition konservative oder operative Behandlung.
Aitken-III-Fraktur (Salter 4) Durch die Wachstumsfuge durchgehende Fraktur ohne Epiphysenlösung, meist verbunden mit einer Quetschung der Wachstumsfuge. Überwiegend operative Therapie.
Aitken-IV-Fraktur (Salter 5) Schwere Verletzung der Epiphysenfuge mit zu erwartendem Fehlwachstum. Eine OP ist meist nicht sinnvoll.
Abb. 32.31 Epiphysenverletzungen im Wachstumsalter. Einteilung nach Aitken (M: Metaphyse, F: Epiphysenfuge, E: Epiphyse):
Aitken-I-Fraktur: reine Epiphysenlösung ohne oder mit metaphysärem Keil,
Aitken-II-Fraktur: Epiphysenfraktur,
Aitken-III-Fraktur: Epiphysenfraktur mit metaphysärem Keil.
Ferner gibt es auch reine Verschiebungen in der Wachstumsfuge, die sog. Epiphysiolyse und die meist sehr schwere Epiphysenfugenquetschung, die fast immer zu einem Wachstumsstopp führen.
Diagnostik und Therapie Die Diagnose wird durch Röntgenaufnahmen gestellt. Die Therapie erfolgt durch die optimale Reposition, ggf. durch eine Minimal-Osteosynthese unter Schonung der Wachstumsfuge ( ▶ Abb. 32.32).
Abb. 32.32 Epiphysenfraktur.
Abb. 32.32a Abbrechen der Femurepiphyse in der körperfernen Wachstumsfuge beim Kind.
Abb. 32.32b Postoperatives Bild nach Spickdrahtosteosynthese (Fixierung mit Kirschnerdrähten). O: Oberschenkelknochen, E: abgebrochene Epiphyse, K: Kniescheibe, S: Schienbein, W: Wachstumsfuge.
Apophysenverletzungen Die Apophysenfugen stellen in der Adoleszenz mechanische Schwachpunkte dar, weil die Reißfestigkeit der Fuge geringer ist als die Belastungsfähigkeit der ansetzenden Sehnen und Bänder. Bei einer Verletzung kommt es zu Abriss- oder Ausriss-Frakturen in den Wachstumsfugen, sog. Apophysenabrissen. Beispiele hierfür sind:
Knöcherner Ausriss der Patellasehne aus dem Schienbein. Der Ausriss entsteht bei abruptem Überstrecktrauma im Knie. Die Patellasehne ist stabiler als die Apophysenfuge. 90 % der Verletzten sind Jungen um 15 Jahre.
Ausriss des vorderen Kreuzbands aus der Tibia.
Apophysenabriss am Ellenbogen ( ▶ Abb. 32.33).
Diagnostik und Therapie Die Diagnose wird durch Röntgenaufnahmen gestellt. Die Therapie besteht in der Refixation mit Minimal-Osteosynthese, 3-wöchiger Ruhigstellung und anschließend funktioneller Nachbehandlung.
Abb. 32.33 Apohysenabriss.
Abb. 32.33a Der knöcherne Muskelansatz (*) am medialen Ellenbogen ist ausgerissen, H: Humerus, U: Ulna, R: Radius.
Abb. 32.33b Röntgenkontrolle nach operativer Fixierung.
Übergangsverletzungen Übergangsfrakturen sind eine Sonderform der Wachstumsfugenverletzung in der Pubertät (Übergangszeit zwischen Kindheit und Erwachsenenalter). Es handelt sich um eine Kombination von Wachstumsfugenverletzung und Fraktur eines Knochens kurz vor dem Wachstumsabschluss. Hauptsächlich betroffen ist die distale Tibia. Die Übergangsverletzung ist oft schwer zu reponieren.
Grünholzfraktur Unvollständiger Biegungsbruch eines Knochenschafts, bei dem die Knochenhaut (Periost) ganz oder teilweise erhalten ist ( ▶ Abb. 32.34 u. ▶ Abb. 32.35). Die Bruchform ähnelt der eines „frischen grünen Holzes“, daher die Bezeichnung. Diese Frakturform kommt nur im Wachstumsalter vor, solange das Periost noch elastisch ist.
Suprakondyläre Humerusfraktur Häufigste Armfraktur (oberhalb des Ellenbogens) im Kindergartenalter (Sturz von der Schaukel). Oft sehr schwierig und nur operativ zu behandeln (Kap. ▶ 33.4.10).
Subluxation des Radiusköpfchens (Chassaignac) Typische Verletzung in Ellenbogenhöhe beim Kleinkind (Kap. ▶ 33.6.3).
Abb. 32.34 Grünholzfraktur beim Kind. Der stabilisierende Periostschlauch (grün) des Knochens ist weitgehend erhalten. Deshalb findet sich keine (a) oder nur eine leicht zu reponierende Fehlstellung der Fragmente (b).
Abb. 32.35 Grünholzfraktur der Speiche. Röntgenbild, 6-jähriges Kind. Keine Dislokation vorhanden, lediglich die gerissene Knochenhaut (Periost) ist sichtbar (Pfeil).
Die Indikation zur Operation wird beim Kind strenger gestellt als bei Erwachsenen, weil der kindliche Knochen eine höhere Heilungspotenz hat. Manche Frakturen, die bei Erwachsenen eine klare OP-Indikation darstellen, heilen bei Kindern durch konservative Maßnahmen ( ▶ Abb. 32.36).
Abb. 32.36 Femurschaftfraktur des Kleinkinds. Konservative Behandlung als Heftpflaster-Vertikalextension (Overhead-Extension). Sowohl das gebrochene als auch das unverletzte Bein wird extendiert. Die Hüftgelenke sind um 90° gebeugt.
Generell sind die Ruhigstellungszeiten bei Kindern sehr viel kürzer als beim Erwachsenen. Je jünger ein Kind ist, umso leichter werden Achsfehlstellungen durch Knochenumbauvorgänge kompensiert (bis 20° bei 10-Jährigen). Rotationsfehler können durch körpereigenes Korrekturwachstum jedoch nicht ausgeglichen werden.
Pflegepraxis
Repositionsfehler. Beim Eingipsen einer kindlichen Fraktur ist ein Rotationsfehler das größte Problem. Verdrehungen des gebrochen Knochens können bei falscher Ruhigstellung auch beim Kind nicht mehr ausgeglichen werden.
Merke
Kleine Kinder und junge Jugendliche brauchen im Grunde keine Physiotherapie. Meistens müssen nur die Eltern beruhigt werden.
So wie die Behandlung von Kindern und Jugendlichen einige Besonderheiten aufweist, gilt dies auch für die alten Patienten (ab ca. 70 Jahren). Die Heilungspotenz des Knochens ist beim alten Menschen viel schlechter. Der Knochen ist durch Osteoporose (Knochenschwund, Kap. ▶ 32.2.2) wesentlich instabiler und brüchiger. Behandlungsmaßnahmen werden oft durch altersbedingte Begleiterkrankungen erschwert.
Wirbelbruch Bei alten Menschen mit osteoporotischen Knochen kommt es häufig zu einer Fraktur eines Wirbelkörpers, der sich dann an der Vorderkante verschmälert. Den zusammengesunkenen Wirbel bezeichnet man als Sinterungsfraktur. Da oft ein echtes Trauma fehlt, spricht man auch von einer Spontanfraktur.
Symptome Nach Fehltritten „ins Leere“ klagen die meist älteren Patienten über Schmerzen im Rücken. Besonders häufig sind Spontanfrakturen im Übergangsbereich zwischen Brustwirbelsäule (BWS) und Lendenwirbelsäule (LWS).
Konservative Behandlung In der Frühphase wird eine medikamentöse Schmerztherapie mit Physiotherapie kombiniert. Eine Stützung der Wirbelsäule im sog. „Aktiv-Mieder“ kann dabei helfen, länger dauernde Bettruhe zu vermeiden. Eine langfristige Immobilisation führt häufig zur Verschlimmerung der Osteoporose. Parallel zu dieser symptomatischen Behandlung wird versucht durch eine Osteoporose-Therapie die Ursache der erhöhten Frakturbereitschaft zu behandeln.
Operative Behandlung Bei anhaltenden Schmerzen und sicherer Diagnose einer „frischeren Fraktur“ ist eine minimalinvasive operative Behandlung zu erwägen. Dabei wird der zusammengesinterte Wirbelkörper durch einen Ballon aufgeweitet und mit Knochenzement stabilisiert. Dazu wird der Wirbel von dorsal mit einer Kanüle punktiert. Dieser als Ballonkyphoplastie oder Kyphoplastie bezeichnete Eingriff kann als schonende Methode auch bei sehr betagten Patienten in kurzer Zeit zur deutlichen Beschwerdelinderung beitragen.
Pflegepraxis
Mobilisation. Die Patienten dürfen nach Kyphoplastie schon am Folgetag aufstehen und ohne Aktiv-Mieder mobilisiert werden.
Schenkelhalsfraktur Bei Patienten mit Osteoporose und gleichzeitig bestehender Hüftgelenksarthrose genügt oft schon ein relativ banaler „Sturz“, um eine Schenkelhalsfraktur zu verursachen. Frakturen des Schenkelhalses und des proximalen Femurs gehören zu den häufigsten alterstypischen Verletzungen des Menschen über 80 Jahre.
Therapie Details zur Schenkelhalsfraktur finden Sie im Kap. ▶ 33.12.2.
Schienbeinkopfbruch Der kniegelenksnahe Bruch des Schienbeines tritt häufig im Alter als Überlastungsbruch bei begleitender Kniegelenksarthrose auf.
Therapie Wenn die Gelenkfläche des Schienbeines zum Kniegelenk verschoben ist, sollte auch bei älteren Menschen eine operative Osteosynthese erfolgen, um eine schmerzfreie Bewegung zu ermöglichen. Bei vorbestehender Kniegelenksarthrose (Gonarthrose) ist oftmals ein endoprothetischer Ersatz erforderlich.
Die Pflege älterer Menschen stellt in der Unfallchirurgie eine besondere Herausforderung dar. Neben den verletzungsbedingten Bewegungseinschränkungen kommt es häufig zu Gedächtnis-, Orientierungs- und Bewusstseinsstörungen (akuter Verwirrtheitszustand, Delir), die die Kooperationsfähigkeit beeinträchtigen können.
Das Gefährdungspotenzial einer Operation muss gegen das Risiko der konservativen Behandlung abgewogen werden. Wenn eine OP-Indikation besteht, sollte eine frühzeitige und definitive operative Versorgung erfolgen. Bestehende Begleiterkrankungen müssen beachtet und wenn erforderlich mitbehandelt werden.
Pflegepraxis
Mobilisation. Die Mobilisation muss zur Prophylaxe von Sekundärerkrankungen so frühzeitig wie möglich erfolgen. Zur Aktivierung, besonders beim ersten Aufstehen, sind aufgrund des großen Unterstützungsbedarfs häufig 2 Pflegefachkräfte erforderlich. Gemeinsam mit der Physiotherapie wird zudem der individuelle Einsatz von Gehhilfen (Gehwagen, Rollator etc.) besprochen. In den ersten Tagen/Wochen werden Gehhilfen von Patienten häufig als sehr hilfreich wahrgenommen.