Anatomie und Physiologie im Fokus
(nach Schwegler u. Lucius 2016)
Harnsystem im Überblick
Der Harntrakt ist anatomisch und physiologisch zu unterteilen in den oberen Harntrakt (Nieren und Harnleiter) und den unteren Harntrakt (Harnblase, Harnröhre sowie beim Mann die Prostata).
Nieren
Die Nieren haben eine bohnenförmige Gestalt. Jede Niere ist etwa 12 cm lang, 6 cm breit, 3 cm dick und wiegt etwa 150 g. Sie liegen im Retroperitonealraum (hinter der Bauchhöhle gelegener Bindegewebsraum zwischen dem 12. Brustwirbel und 3. Lendenwirbel beiderseits der Wirbelsäule). Die rechte Niere liegt unterhalb der Leber, die linke unterhalb der Milz. Die Anatomie der Niere ist in ▶ Abb. 33.1 und ▶ Abb. 33.2 dargestellt.
Anatomie der Niere und der ableitenden Harnwege.
Abb. 33.1
Die Nieren liegen direkt neben der Wirbelsäule und sind durch die Rückenmuskulatur nach hinten isoliert.
Abb. 33.2
Die Nieren enthalten jeweils ca. eine Million sog. Nephrone. Diese bestehen aus Nierenkörperchen, die das Blut filtrieren, sowie dem Tubulusapparat, der die gefilterte Flüssigkeit (Primärharn) konzentriert und wieder dem Blut zuführt ( ▶ Abb. 33.3). Jedes Nierenkörperchen besteht aus einer Kapsel (Bowman-Kapsel) und einem Netz aus Kapillarschlingen (Glomeruli).
Ein Nephron ist die kleinste Funktionseinheit zur Filtration und Resorption des Urins.
Abb. 33.3
Von der Hauptschlagader (Aorta) zweigt pro Körperseite jeweils eine Arterie ab, welche die jeweilige Niere versorgt. Zwei Venen führen das Blut zurück zur großen Körpervene (Vena cava). Die sich aus der Nierenarterie verzweigenden Arteriolen (Vas afferens) führen dem Glomerulus das Blut zu; ein abführendes Gefäß (Vas efferens) führt es weg. Die starke Durchblutung der Nieren (ca. 20 – 25 % des Herzminutenvolumens, d. h. etwa 1,2 l Blut pro Minute) dient der Aufrechterhaltung der Filtrationsfunktion und der Ausscheidung von Stoffwechselendprodukten ( ▶ Tab. 33.1 ).
Funktion |
betroffen |
Exkretion (Ausscheidung harnpflichtiger Substanzen) |
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Regulation |
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Hormonsekretion |
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Harnblase
Die Blase ist ein glatt-muskuläres Hohlorgan, das mittelständig unterhalb des Bauchraumes (subperitoneal) gelegen ist ( ▶ Abb. 33.4, ▶ Abb. 33.5). Abhängig vom Blasenfüllungszustand wechselt die Lagebeziehung der Harnblase zum Bauchraum, bei großer Füllung kann die Harnblase den gesamten Unterbauch bis in Nabelhöhe einnehmen. Der Überzug der Blase mit dem Bauchfell erklärt, warum Erkrankungen der Harnblase klinisch mit Beschwerden des Darms verwechselt werden können.
Harnröhre (Mann).
Abb. 33.4 Beim Mann hat die Harnröhre eine durchschnittliche Länge von etwa 25 cm, bei einer Weite von 7–9 mm (27 Charrière).
Harnröhre (Frau).
Abb. 33.5 Bei der Frau hat die Harnröhre eine Länge von 3–4 cm und einen Durchmesser von 8–10 mm (30 Charrière).
Der vom Nierengewebe produzierte Harn wird in die Nierenbeckenkelchsysteme ausgeschieden. Aus dem Nierenbecken wird er aktiv von den Harnleitern (Ureteren) zur Harnblase transportiert und dort in der Speicherphase (Niederdruckphase) gesammelt. Normalerweise fließt kein Urin von der Harnblase in die Harnleiter zurück. Je nach Körpergröße überbrücken die Harnleiter eine Distanz von 24 – 30 cm. Während der Miktionsphase (Hochdruckphase) wird der zuvor in der Blase gespeicherte Urin nach Entspannung des inneren und des äußeren Blasenschließmuskels durch die Muskulatur der Harnblase aktiv entleert.
Als Harnsteinleiden (Urolithiasis) bezeichnet man die Bildung von Steinen in der Niere und/oder den ableitenden Harnwegen. Harnsteine können im Nierenparenchym, in den Nierenpapillen, in den Nierenkelchen und im Nierenbecken lokalisiert sein, ebenso in Harnleiter, Blase, Harnröhre und Prostata.
Harnsteine bilden sich, wenn der Urin mit steinbildenden Bestandteilen übersättigt ist. Zunächst entstehen kleine Kristalle, die zu größeren Konkrementen heranwachsen, z. B. Kalziumphosphat-, Kalziumoxalat-, Harnsäure- oder Zystinsteinen. Einen Überblick über Ursachen der Übersättigung sowie weitere Risikofaktoren gibt ▶ Tab. 33.2 .
Beeinflussende Faktoren |
Erläuterung |
Auswirkung |
physikalisch |
Harnvolumen wird reduziert durch:
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anatomisch |
Harnabflussbehinderungen, z. B. durch
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metabolisch (Stoffwechselstörungen) |
vermehrte Kalziumausscheidung (Hyperkalzurie), z. B. durch:
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bakteriologisch |
Harn wird angereichert mit:
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Lebensstil |
fördernde Faktoren sind z. B.:
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Ein Harnsteinleiden kann sowohl als akut schmerzhaftes Ereignis – meist geprägt durch die Kolik – als auch durch chronische Beschwerden auffällig werden.
Harnsteinkolik Sie bezeichnet plötzlich einsetzende, krampfartige, anfallsweise auftretende Flankenschmerzen von unterschiedlicher Dauer. Der von einer Kolik geplagte Patient ist meist unruhig und krümmt sich vor Schmerz. Je nach Lokalisation des Harnsteins strahlen die Schmerzen in andere Körperregionen aus, z. B. in den Unterbauch, den Penis, die Hoden, die Schamlippen oder in den Bereich des Harnleiterverlaufs. Zusätzlich können folgende Symptome auftreten:
Übelkeit/Erbrechen
(sichtbares) Blut im Urin (Mikro- bzw. Makrohämaturie)
Miktionsbeschwerden, z. B. schmerzhaftes, gehäuftes oder erschwertes Urinieren
Schüttelfrost/Fieber als Zeichen einer begleitenden Nierenbeckenentzündung
Kreislaufkollaps
Ileus (Darmverschluss)
Aber auch bisher nicht durch eine Kolik auffällig gewordene Harnsteine können dem Patienten Beschwerden verursachen:
gehäufte Harnwegsinfekte
Blasenentleerungsstörungen
Inkontinenz
Auch wenn das Harnsteinleiden meist als eine relativ harmlose Erkrankung betrachtet wird, können sich erhebliche Folgeschäden mit Verminderung der Lebenserwartung entwickeln:
Nierenfunktionsschädigungen
Entzündungen bis hin zur Urosepsis
Komplikationen durch invasive Behandlungsmethoden
Beim akuten Steinleiden bietet meist das klinische Erscheinungsbild den wichtigsten Anhaltspunkt für die Diagnose. Ergänzend kommen weitere diagnostische Verfahren zum Einsatz:
Urinanalyse Hier wird nach Blut, Infektzeichen sowie steinbildenden/-lösenden Stoffen gesucht.
Blutanalyse Folgende Laborwerte werden kontrolliert:
Kreatinin, Harnstoff, Elektrolyte zum Zeichen einer Nierenfunktionsschädigung
TSH (Thyroidea stimulierendes Hormon) vor Gabe jodhaltiger Kontrastmittel
Leukozyten, CRP als systemische Entzündungsparameter
Gerinnungsparameter zur Einschätzung einer möglichen Blutungsgefahr
Harnsäure, Parathormon (fakultativ) als Marker einer verantwortlichen Grunderkrankung
Bildgebung Verschiedene Verfahren stehen zur Verfügung:
Sonografie: zur Darstellung eines Harnstaus und zum direkten Konkrementnachweis
Abdomenübersichtsaufnahme: kann schattengebende Konkremente zeigen
Ausscheidungsurogramm (AUG): intravenöse Kontrastmitteluntersuchung mit Darstellung des Kontrastmittelflusses über die Harnwege, die neben der Konkrementdarstellung auch Aussagen über die Nierenfunktion erlaubt
Abdomen-Nativ-CT (A-CT, „Stone-CT“): Vorteile sind u. a. die fehlende Notwendigkeit der Kontrastmittelgabe und die orientierende Darstellung sämtlicher Bauchorgane
An erster Stelle steht die Akuttherapie der Nierenkolik. Zur eigentlichen Steintherapie stehen konservative und invasive Behandlungsverfahren zur Verfügung, deren Auswahl meist von der Größe und Lokalisation des Steins abhängt.
Bis zu einer Größe von ca. 5 mm können Harnsteine häufig spontan abgehen. Wichtig sind eine ausreichende Schmerztherapie sowie eine erhöhte Urinausscheidung (Trinkstoßtherapie). Bei älteren Patienten, die ihre Trinkmenge nicht ausreichend steigern können, kann eine Infusionstherapie notwendig werden. Die Austreibung des Harnsteins sollte nach Möglichkeit durch Bewegung unterstützt werden (z. B. Treppensteigen). Ferner können Medikamente, wie der α-Blocker Tamsulosin oder der Kalzium-Antagonist Nifedipin, den Steinabgang fördern. Harnsäuresteine können über oral verabreichte Medikamente aufgelöst werden. Die Harnsäure ist ein Endprodukt im Purinstoffwechsel. Bei einer Störung sind für die Steinbildung die Mehrausscheidung von steinbildenden Ionen sowie die Säurestarre des Urin-pHs verantwortlich.
Definition
Unter Säurestarre versteht man bei einem Urin-pH-Tagesprofil konstante Werte < 6.
Anhebung des Urin-pHs Durch die orale Aufnahme eines Kalium-Natrium-Zitrat-Komplexes als Granulat wird der Urin zwischen 6,2 und 6,8 eingestellt. Hierzu sollte der Patient je nach Ernährungs- und Trinkgewohnheiten mehrmals täglich den Urin-pH messen; ggf. muss die Medikation angepasst werden.
Senkung der Harnsäure Bei primärer Gicht, purinreicher Ernährung oder erhöhtem Zelluntergang (Chemotherapie bei Tumorerkrankungen) steigt die Konzentration der Harnsäure im Urin. Eine Drosselung der Harnsäurebildung wird durch Xanthinoxidase-Hemmer (z. B. Allopurinol) in Tablettenform erreicht.
Für die Steinentfernung stehen verschiedene Methoden zur Verfügung.
Harnleiterschienung Bei einem durch einen Harnstein gestauten Nierenbecken kann die Urinableitung durch eine sog. Double-J-Schiene notwendig sein. Diese wird zystoskopisch durch die Harnleiteröffnung in der Harnblase bis in das Nierenbecken vorgeschoben und sichert den Urinabfluss.
Extrakorporale Stoßwellenlithotripsie Die Zertrümmerung von Harnsteinen (abgekürzt ESWL) erfolgt durch außerhalb des Körpers erzeugte Stoßwellen ( ▶ Abb. 33.6). Diese dringen ins Körperinnere ein und lassen im Optimalfall den Stein in sandkorngroße Teile zerfallen, welche dann meist spontan abgangsfähig sind (hohe Trinkmenge nötig).
Ortung eines Harnleitersteins.
Abb. 33.6 Piezoelektrische Stoßwellenerzeugung.
Ureterorenoskopie Dieses Verfahren, auch Harnleiterspiegelung oder abgekürzt URS genannt, erfolgt retrograd durch die Blase und erlaubt eine direkte Sicht in den Harntrakt und auf den Stein. Verschiedene Instrumente, die parallel zur Optik eingeführt werden können (z.B. Laser, Schlinge), dienen der Zertrümmerung und der Bergung des Steins ( ▶ Abb. 33.7).
Ureterorenoskopie.
Abb. 33.7 Entfernung eines Harnleitersteins a durch ein Ureteroskop, b mit einer Schlinge.
Perkutane Nephrolitholapaxie Bei diesem Verfahren, auch PCNL genannt, wird das Nierenbecken durch die Haut punktiert. Nach Vorschieben eines Schaftes und Einbringen einer Kamera können hierdurch ähnlich der URS Instrumente zur Zertrümmerung und Bergung von Steinen eingeführt werden ( ▶ Abb. 33.8).
Steinentfernung durch PCNL.
Abb. 33.8
Offene Schnittoperation Diese spielt in der Steintherapie nur noch eine untergeordnete Rolle, z. B. bei großen Ausgusssteinen.
Fallbeispiel
Mit einem Mal kam er – ein Schmerz wie ihn Frau Meier noch nie in ihren 62 Jahren erlebt hatte. Und dabei hatte sie an diesem heißen Sommertag noch eine Radtour von 45 km problemlos hinter sich gebracht. Der Schmerz zog plötzlich von der linken Flanke über die gesamte Seite. Außerdem musste sie sich übergeben. Jetzt lag sie auf einer Liege in der Notaufnahme und nach einer Infusion ging es ihr schon deutlich besser. Einige Untersuchungen hatte sie schon hinter sich. Nun sollte sie noch zum CT, da die Ärztin glaubte, dass Frau Meier eine Nierenkolik gehabt habe. Tatsächlich fand sich ein kleiner Stein in ihrem linken Harnleiter. Dieser werde mit Schmerzmitteln, reichlichem Trinken und Bewegung von selber abgehen, hat ihr die Ärztin erklärt.
Da sie vor den Schmerzen große Angst hatte, blieb sie über Nacht im Krankenhaus. Dort erhielt sie aufgrund der wiederkehrenden Schmerzen noch 2-mal eine Infusion. Am nächsten Morgen kam der Übeltäter endlich heraus: Im Urinsieb, das man ihr gegeben hatte, fand sie einen kleinen roten Stein, etwa so dick wie ein Reiskorn. Dieser wurde zur Untersuchung eingeschickt. Wie ihr die Ärztin später sagte, müsse sie in Zukunft mehr trinken. Dies versucht Frau Meier nun, indem sie sich jeden Morgen 2 große Flaschen Wasser bereitstellt, die sie im Laufe des Tages trinken will.
Die meisten Patienten kommen mit schmerzhaften Koliken in die Notaufnahme. Im Vordergrund stehen zunächst schmerzlindernde Maßnahmen und die Diagnostik. Im späteren Verlauf ist es wichtig, den Patienten beim Verständnis der Therapie zu unterstützen, anzuleiten und zu beraten. Pflegeschwerpunkte sind:
akute Symptome lindern
Komplikationen rechtzeitig erkennen
bei der Steintherapie unterstützen
zur Metaphylaxe anleiten (erneutes Auftreten verhindern)
An erster Stelle steht die Fortführung der Schmerztherapie – meist intravenös, da die Patienten häufig unter Übelkeit leiden. Dementsprechend kann unterstützend eine antiemetische Therapie notwendig sein. Viele Patienten empfinden lokale Wärme als entspannend. Auch die Stuhlregulation kann eine förderliche Wirkung haben. Diese Maßnahmen sollten mit dem Arzt abgesprochen werden.
Praxistipp
Kolikpatienten sind durch die erlebte Notfallsituation, die Diagnostik in der Aufnahme, die schweren akuten Schmerzen und die verabreichten Medikamente verunsichert. Erläuterungen zur geplanten Therapie (z. B. warum bei der konservativen Therapie scheinbar „nichts gemacht wird“) können den Patienten beruhigen.
Über eine Verschlechterung des Allgemeinzustandes, besonders in Form von Schüttelfrost oder Fieber, sollte sofort ein Arzt informiert werden. Die Symptome könnten eine ▶ Urosepsis ankündigen – ein schweres Krankheitsbild, das unbehandelt zum Tode führen kann.
Jeder Harnsteinpatient sollte Urinsiebe erhalten, um die bei der Miktion ausgeschiedenen Harnsteine aufzufangen. Diese werden dann zur Ursachenforschung einer Steinanalyse zugeführt. Bei der medikamentösen Therapie unterstützt die Pflege die Kontrolle des Urin-pHs und die Senkung der Harnsäure in Serum und Urin.
Praxistipp
Besprechen Sie mit dem Patienten die Notwendigkeit der regelmäßigen ▶ Urin-pH-Messung und zeigen Sie ihm die Vorgehensweise. Die Handhabung der Teststäbchen setzt voraus, dass der Patient Farbabstufungen optisch wahrnehmen kann.
Pflegerische Aufgaben richten sich nach den Standards der einzelnen Zentren, den allgemeinen ▶ prä- und postoperativen Standardpflegeplänen bzw. den Standardpflegeplänen für endoskopische Eingriffe in der Urologie.
Harnleiterschienung und ESWL Falls die Eingriffe in Narkose vorgenommen werden, gelten die üblichen Fristen für Nahrungs- und Flüssigkeitskarenz. Entblähenden Maßnahmen können zusätzlich die röntgenologische Ortung des Steins im Rahmen der ESWL (Extrakorporale Stoßwellenlithotripsie; Zertrümmern durch Stoßwellen) vereinfachen.
Ureterorenoskopie Da eine Narkose benötigt wird, sind die üblichen Fristen für Nahrungs- und Flüssigkeitskarenz einzuhalten. Schmerzen müssen gelindert und der Urin beurteilt werden:
qualitativ (Blutung, Infekt, Steinkonkremente)
quantitativ (Menge)
Perkutane Nephrolitholapaxie Da eine Narkose benötigt wird, sind die üblichen Fristen für Nahrungs- und Flüssigkeitskarenz einzuhalten. Zusätzlich werden Urinmenge und -qualität und liegende Harnableitungen (z. B. Nierenfistelkatheter) beobachtet. Hinweise auf einen größeren Blutverlust können Blässe, ein Bluterguss in der Flanke oder Kreislaufschwäche sein.
Offene Schnittoperation Bei Schnittführung am Rippenbogenunterrand ist eine intensive Pneumonieprophylaxe und Atemtherapie notwendig. Regelmäßige Schmerzmittelgaben ermöglichen die schmerzfreie Atmung. Ansonsten gelten die gleichen Maßgaben wie für die PCNL.
Die Beratung zur Metaphylaxe (Verhinderung des erneuten Auftretens) von Harnsteinen hat aufgrund der häufigen Rezidive und möglichen Folgeschäden eine besondere Bedeutung.
Trinkmenge und Ernährung Die Steigerung der Trinkmenge ist die wichtigste vorbeugende Maßnahme für jede Steinart; eine Urinausscheidung von mindestens 2 l pro Tag ist empfohlen. Das Führen eines Trink- und Miktionsprotokolls kann besonders zu Beginn sowohl Kontrolle als auch Ansporn für den Patienten sein. Die Aufnahme von Kochsalz, Purin (in Innereien, Fleisch, Fisch, Erbsen, Linsen) und Oxalat (in Spinat, Mangold, roten Rüben, Rhabarber, Schokolade) sollte beschränkt werden. Kalzium sollte dagegen in normalen Mengen aufgenommen werden. Übergewicht und ein Mangel an körperlicher Bewegung sind ungünstig.
Zudem gibt es noch spezifische Maßnahmen, die an die jeweilige Steinart angepasst sind und vom Arzt empfohlen werden können.
Bei einer Harnwegsinfektion sind die ableitenden Harnwege durch Besiedelung mit Erregern entzündet. Abhängig von der Lokalisation werden Harnwegsinfektionen in Infektionen der oberen und der unteren Harnwege eingeteilt. Je nach Lokalisation unterscheidet man z. B.:
Urethritis: Harnröhrenentzündung
Zystitis: Blasenentzündung
Pyelonephritis: Nierenbeckenentzündung
Darüber hinaus werden Harnwegsinfektionen ohne Begleiterkrankungen als unkomplizierte bzw. primäre Harnwegsinfekte bezeichnet. Demgegenüber sind komplizierte bzw. sekundäre Harnwegsinfektionen begünstigt durch Begleitumstände, die das Risiko einer Harnwegsinfektion erhöhen ( ▶ Abb. 33.9).
Harnwegsinfektionen werden z. B. nach Lokalisation und Entstehungsart eingeteilt.
Abb. 33.9
Lebensphase Kind
Harnwegsinfektion
Harnwegsinfektionen gehören zu den häufigsten Infektionen des Kindesalters. Das Neuauftreten von Harnwegsinfekten liegt bei Mädchen bei 7% im Gegensatz zu Jungen mit 1,6% in den ersten sechs Lebensjahren. Bei „unklarem“ Fieber besonders im Säuglings- oder im Kleinkindalter sollte daher der Urin untersucht werden.
Harnwegsinfekte entstehen i. d. R. durch Bakterien, die von außen in den Harntrakt aufsteigen. Die häufigsten Erreger sind Bakterien der Darmflora (Escherichia coli, Enterokokken). Selten sind Pilze, Viren oder höhere Mikroorganismen Auslöser von Harnwegsinfekten.
Merke
Die unterschiedliche Länge der Harnröhre bei ▶ Abb. 33.4 und ▶ Abb. 33.5 hat einen wesentlichen Einfluss auf die Neigung zu einem Harnwegsinfekt. Bei Frauen haben Keime „den kürzeren Weg“.
Risikofaktoren für das Entstehen eines Harnwegsinfekts sind Begleiterkrankungen des Harntrakts, die zu einer Harntransportstörung führen, z. B.:
Verengung des Nierenbeckenabgangs oder des Ureters
Rückfluss von Urin aus der Harnblase in Harnleiter und Nierenbecken
Erkrankungen, die Harnwegsinfektionen begünstigen, sind Immobilität (z. B. Querschnittssyndrom), Diabetes mellitus, allgemeine Abwehrschwäche (z. B. HIV, Immunsuppression durch Chemotherapie oder nach Transplantation) sowie Schwangerschaft.
Werden aus diagnostischen oder therapeutischen Gründen Katheter in den Harntrakt gelegt, ändern diese die Funktionsweise des Harntraktes und stellen mit ihrer Oberfläche einen Lebensraum für Mikroorganismen dar.
Merke
Fremdkörper (z. B. Blasenkatheter) erhöhen das Risiko für eine Keimbesiedlung des Harntrakts. 80% der nosokomialen Harnwegsinfekte sind Katheter-assoziiert.
Harnwegsinfektionen zeigen meist eine Kombination mehrerer Symptome, die sich je nach Lokalisation des Infekts unterscheiden ( ▶ Tab. 33.3 ). Zu den Symptomen gehören z. B.:
Urethritis |
Akute Zystitis |
Akute Pyelonephritis |
Symptome |
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Dysurie, Algurie, Pollakisurie, Ausfluss aus der Harnröhre |
Dysurie, Algurie, Pollakisurie, Hämaturie, suprapubische Schmerzen |
Dysurie, Algurie, Pollakisurie, Fieber, Schüttelfrost, Flankenschmerzen, allg. Krankheitsgefühl |
Untersuchung |
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Rötung der Mündung der Harnröhre |
Druckschmerz im Blasenlager |
Klopf- oder Druckschmerz im Nierenlager |
Labor |
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Drei-Gläser-Probe, Leukozyturie, Harnröhrenabstriche (Chlamydien/Mykoplasmen) |
Mittelstrahl-Urin, Nitrit-Nachweis im Urin, Leukozyturie, Mikrohämaturie |
Mittelstrahl-Urin, ggf. Punktionsurin aus dem Nierenbecken, Blutkultur, BSG, CRP, kleines und großes Blutbild |
Bildgebung |
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Harnröhrendarstellung, ggf. Doppelballonuntersuchung |
Ultraschall: Restharn, Blasenstein, Blasentumor Röntgen: Zystogramm |
Ultraschall: Aufweitung des Nierenbeckenkelchsystems, Nierensteine, echoarme Parenchymareale Röntgen: Ausscheidungsurografie, Computertomografie (CT), Magnetresonanztomografie (MRT) |
Endoskopie zur ergänzenden Abklärung |
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Urethroskopie |
Urethrozystoskopie |
Ureterrenoskopie |
Dysurie (Missempfinden beim Wasserlassen)
Algurie (Schmerzen beim Wasserlassen)
Pollakisurie (häufiger Harndrang mit geringen Urinportionen)
imperativer Harndrang (starker Harndrang, ggf. mit Urinverlust)
Schmerzen, z. B. im Unterbauch oder im Rücken
Merke
Fieber im Rahmen einer Harnwegsinfektion deutet meist auf eine Beteiligung der Niere hin. Die Pyelonephritis gilt als die häufigste Nierenerkrankung.
Neben der Anamnese und der körperlichen Untersuchung steht die Untersuchung des Urins im Vordergrund (s. ▶ Tab. 33.3 ). Er wird untersucht auf:
Hämaturie: vermehrte rote Blutkörperchen
Leukozyturie: vermehrte weiße Blutkörperchen
Bakteriurie: vermehrte Bakterien (≥ 105 Keime/ml)
Nitritnachweis: Stoffwechselprodukt der bakteriellen Nitratreduktase (Enterobakterien)
Resistogramm: Art der Keime und ihre Empfindlichkeit gegen Antibiotika mittels einer Bakterienkultur
An erster Stelle steht die möglichst resistogrammgerechte antibiotische Therapie. Ergänzende Maßnahmen sind eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr sowie eine regelmäßige und vollständige Blasenentleerung, da der Urinfluss und die antimikrobielle Aktivität des Urins das Bakterienwachstum behindern. Wärme und Schmerzmittel haben eine krampflösende Wirkung.
Merke
Nicht ausbehandelte Harnwegsinfektionen können bleibende Nierenschäden, eine arterielle Hypertonie oder eine chronische Niereninsuffizienz zur Folge haben.
Nach Feststellung eines Harnwegsinfektes kann der Patient die Heilung durch einfache Maßnahmen unterstützen. Bei fieberhaften Harnwegsinfekten, die eine stationäre Aufnahme erforderlich machen, ist neben der antibiotischen Therapie eine weitere Überwachung notwendig. Pflegeschwerpunkte sind:
Infektionszeichen beobachten
bei Harnwegsinfektion unterstützen
Anzeichen einer Urosepsis erkennen
Gesundheitsberatung
Qualitätssicherung
Zunehmende oder neu auftretende Schmerzen haben Signalcharakter. Besonders Rückenschmerzen können auf eine Mitbeteiligung der Niere hinweisen. Auf der Station können Streifentests einen Anhalt für einen Harnwegsinfekt geben. Urinkulturen (Uricult) können ebenfalls auf der Station angelegt werden, werden aber meist im Labor „bebrütet“.
Merke
Eine Urinprobe sollte innerhalb von 30 Min. untersucht werden, da sonst das Ergebnis verfälscht werden kann. Morgenurin sollte nur bei Verdacht auf eine Urotuberkulose untersucht werden.
Hier berät die Pflege zu den Grundsätzen einer antibiotischen Therapie, zur Flüssigkeitszufuhr und führt weitere Maßnahmen durch.
Antibiose An erster Stelle steht die antibiotische Therapie, die die vollständige Ausheilung zum Ziel hat. Wird die Therapie bei nachlassenden Beschwerden vorzeitig beendet, tritt der Harnwegsinfekt meist wieder auf. Die Zuverlässigkeit der Medikamenteneinnahme ist nicht hoch; nur ein Drittel der Patienten nimmt das Antibiotikum vorschriftsmäßig; bis zu 20 % der Patienten nehmen es gar nicht ein.
Flüssigkeitszufuhr Eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr ist von großer Bedeutung. Im verdünnten Urin können sich die Keime schlechter vermehren und durch die Durchspülung des Harntraktes werden die Bakterien ausgeschwemmt. Wasser, Früchtetee und Säfte sind uneingeschränkt zu empfehlen. Kann der Patient nicht selber die erforderliche Flüssigkeit trinken, ist eine Infusionstherapie notwendig.
Weitere Maßnahmen Lokale Wärme oder eine medikamentöse Schmerztherapie können Blasenkrämpfe oder Unterbauchbeschwerden lindern. Die Patienten sollen große körperliche Anstrengung vermeiden und müssen bei der Körperpflege entsprechend unterstützt werden. Eine vorübergehende sexuelle Abstinenz ist zu empfehlen.
Definition
Eine Urosepsis entsteht, wenn Keime aus dem Urogenitaltrakt in die Blutbahn gelangen. Ursachen können ein erhöhter Druck im Harntrakt, eine verspätete, falsche oder unterdosierte Antibiotikatherapie, das Eindringen von Bakterien bei instrumentellen Untersuchungen und Behandlungen oder zusätzliche Anomalien des Harntraktes sein.
Zeichen der Urosepsis sind alle Zeichen des septischen Schocks wie:
Tachykardie
niedriger Blutdruck
hohes Fieber
Tachypnoe
Petechien infolge einer ▶ Thrombozytopenie
Merke
Eine Urosepsis ist lebensgefährlich; die Sterblichkeit liegt unbehandelt bei 50 %. Daher muss der Patient bei Verdacht auf eine Urosepsis engmaschig und ggf. intensivmedizinisch überwacht werden.
Wichtig zur Vorbeugung ist ein normaler Miktionsrhythmus: Die Miktion soll dem Tagesablauf angepasst (ca. 4 – 6-mal/Tag) entspannt erfolgen und nicht aufgeschoben werden. Eine ausgewogene Ernährung führt meist zu einem physiologischen Urin. In besonderen Fällen erfolgt die Einnahme eines niedrig dosierten Antibiotikums zur Nacht, um die lange nächtliche Urinverweilzeit in der Harnblase durch wirksame Antibiotikaspiegel im Urin zu überbrücken.
Prävention und Gesundheitsförderung
Früchtetee und Säfte säuern den Urin an (Urin pH 5 – 6) und erschweren das Bakterienwachstum. Auch Preiselbeeren als Saft, Kompott oder Tablette sollen das Bakterienwachstum vermindern und das Anheften der Bakterien an das Oberflächenepithel des Harntraktes erschweren.
Intimhygiene Nach dem Stuhlgang muss darauf geachtet werden, von vorn nach hinten zu wischen. Bei der Intimpflege sollten keine Seifen oder Duftsprays verwendet werden, die die normale Keimflora im Intimbereich stören. Die Schutzschicht der Haut bietet den besten Schutz gegen Bakterien. Nach jedem Geschlechtsverkehr soll möglichst bald Wasser gelassen werden. Die Kleidung im Intimbereich soll aus natürlichen Materialien bestehen und ausreichend weit sein, da Keime sich bevorzugt in feuchter und warmer Umgebung vermehren. Kälte und Nässe im Intimbereich rufen zwar keine Blasenentzündung hervor, schwächen aber die ortsständigen Abwehrkräfte und sollten vermieden werden. Badekleidung daher immer sofort nach dem Baden ausziehen.
Prävention und Gesundheitsförderung
Patienten mit Harnableitungen wie Kathetern müssen besonders sorgfältig und hygienisch im Intimbereich gepflegt werden, um Harnwegsinfekten vorzubeugen.
Harnwegsinfektionen durch nosokomiale (im Krankenhaus erworbene) Keime sind ein zunehmendes Problem in der Therapie und Pflege. Ungenügende oder fehlende Hygienestandards tragen zur Weitergabe dieser Keime bei. Aktuell müssen nosokomiale Infektionen und damit auch Harnwegsinfektionen gesondert erfasst und dokumentiert werden.
Lebensphase alter Mensch
Harnwegsinfektion
Harnwegsinfekte sind die zweithäufigste Infektion alter Menschen. Etwa die Hälfte betrifft Dauerkatheterträger. Die Symptome wie z. B. Abgeschlagenheit, Verwirrtheit, Bauchschmerzen sind eher atypisch wie bei Kindern. Die Gründe hierfür sind vielfältig und hängen insbesondere von der Lebens- und Wohnsituation ab.
Allgemeine Risikofaktoren sind eine zu geringe Trinkmenge, da das Durstgefühl im Alter reduziert ist und die Produktion des antidiuretischen Hormons (ADH) nachlässt, Diabetes mellitus und eine reduzierte Immunabwehr.
Spezielle Risikofaktoren sind die Nierensteinerkrankung im Alter sowie eine vermehrte Urin- und Stuhlinkontinenz. Bei Männern besteht mit dem Alter eine zunehmende Vergrößerung der Vorsteherdrüse, die zu einer gestörten Blasenentleerung führen kann. Bei Frauen besteht nach der Menopause eine geänderte Vaginalflora, die das Anhaften und Eindringen von Bakterien erleichtert. Eine lokale Östrogenbehandlung kann sinnvoll sein.
Eine Entzündung der Glomerula (Nierenkörperchen) wird als Glomerulonephritis bezeichnet. Sie kann akut, schnell fortschreitend (rapid progredient) oder chronisch verlaufen. Die Entzündung kann in den Nieren diffus oder herdförmig verteilt sein und jeweils das gesamte Nierenkörperchen oder nur Segmente betreffen. Bei chronischem Verlauf nimmt die Anzahl der Funktionseinheiten der Niere (Nephren) allmählich ab. Die noch funktionstüchtigen Einheiten übernehmen zwar die Aufgaben der geschädigten Nephren, können diese Mehrbelastung aber nur für eine begrenzte Zeit leisten.
Die akute Glomerulonephritis kann nach einer akuten Infektion auftreten, z. B. nach einer Streptokokkeninfektion im Rahmen einer Halsentzündung (Angina). Die Toxine der Streptokokken bewirken eine Zweiterkrankung, die i. d. R. 1 – 3 Wochen nach der Erstinfektion auftritt. Ursachen für schnell fortschreitende Glomerulonephritiden können auch Immunreaktionen (z.B. beim Goodpasture-Syndrom) oder Systemerkrankungen (z.B. Lupus erythematodes oder Granulomatose mit Polyangiitis) sein. Sie müssen als Notfall angesehen und sofort behandelt werden.
Stärker gefährdet als Patienten mit Streptokokkeninfektionen (z. B. eitrige Tonsillitis, Mittelohrentzündung, Eiterherde an Zähnen) sind heute Patienten mit Erkrankungen durch Staphylokokken und gramnegative Erreger sowie Patienten mit Defekten der Immunregulation (Ältere, Diabetiker, Alkoholiker, Drogenabhängige).
Die Schädigung der Kapillaren der Glomerula kann sich äußern durch
vermehrte Durchlässigkeit mit Ausscheidung von verformten roten Blutkörperchen (Akanthozyten), Erythrozytenzylindern und Eiweiß,
Veränderung der Struktur mit Funktionsverlust und
vermehrte Natrium-Rückresorption im Harnkanälchen: Entwicklungen von Ödemen, z. B. an den Augenlidern.
Bei den Symptomen der akuten Glomerulonephritis unterscheidet man das nephritische und das nephrotische Krankheitsbild.
Nephritisches Krankheitsbild Kennzeichen sind:
plötzlicher Beginn
Mikro- oder Makro-Hämaturie mit formveränderten Erythrozyten mit kugeligen Ausstülpungen (Akanthozyten) und Erythrozytenzylindern
Abnahme der glomerulären Filtration/Anstieg des Serum-Kreatinin-Wertes
Ansammlung von Natrium und Wasser im Körper mit folgendem Bluthochdruck
Nephrotisches Syndrom Dieses entwickelt sich gelegentlich sekundär durch ausgeprägten Eiweißverlust mit dem Urin. Durch die Proteinurie gehen Transporteiweiße für Fette und Gerinnungsfaktoren sowie Medikamente verloren. Daher entstehen:
Proteinurie
Hypalbuminämie
Ödeme
Hypercholesterinämie
Wegen des Verlustes von Eiweißen über den Urin kommt es zusätzlich zur Neigung zu Thrombosen und Infekten. Außerdem fördert die Proteinurie das Fortschreiten der Nierenschädigung ( ▶ Abb. 33.10).
Diagnostische Verfahren zur Feststellung und Beurteilung einer Glomerulonephritis sind:
Untersuchung des Urinsediments
Bestimmung der Art und des Ausmaßes der Proteinurie
Suche nach immunologischen Markern (Antikörper und Antigene)
Bestimmung der Retentionswerte (Kreatinin, Harnstoff, Kreatinin-Clearance), Natrium, Kalium, Kalzium, Phosphat
perkutane Nierenbiopsie mit histologischer Untersuchung
Die akute Nierenschädigung und der Übergang in ein chronisches Leiden mit dem Endstadium „terminales Nierenversagen“, das Dialysepflicht bedeutet, sind häufige Komplikationen.
Zur Behandlung sind folgende Maßnahmen geeignet:
bei Flüssigkeitseinlagerung: Begrenzung der Trinkmenge auf die Menge der Urinausscheidung plus 500 ml/Tag
Reduktion der Natriumzufuhr
Normalisierung der Eiweißzufuhr auf 1 g je kg Körpergewicht pro Tag
Therapie der Krankheitsursache
Einstellung des Blutdrucks
Gabe von Diuretika
Verzicht auf oder Reduktion aller potenziell nierenschädigenden Medikamente