Vorwort

Stanislaw Lem, der große polnische Science-fiction-Autor, ist mittlerweile über achtzig Jahre alt. Sein beispielloses Werk hat ganze Generationen beeinflusst und die Entwicklungen des Informationszeitalters fiktiv vorweggenommen.

In dieser nur als elektronische Version existenten Zusammenstellung sind seine Kolumnen für das Magazin Telepolis von 1997 bis 2001, zwei Interviews, ein Lebenslauf sowie die Examensarbeit von Albert Almering „SF im Allgemeinen und Lem im Besonderen“ enthalten.

Alle Texte wurden ohne Zustimmung der Autoren verwendet, somit handelt es sich hier um ein „illegales“ eBook, obwohl alle Texte im Netz heruntergeladen werden können. Es ist nicht zum Verkauf bestimmt. Ich widme es der deutschen eBook-Szene, die sich sehr um die freie Zirkulation von Informationen verdient gemacht hat und deren Mitglied zu sein mir eine Ehre ist.

Mein weiterer Dank gilt der Telepolis-Redaktion sowie dem Heiseverlag, die das mit Abstand beste deutschsprachige Internetmagazin ermöglichen. Möge es noch lange Bestand haben.

Die Examensarbeit von Albert Almering habe ich von www.ijon-tichy.de heruntergeladen, auch ihm herzlichen Dank und Respekt für seine Arbeit.

Abschliessend ist natürlich Stanislaw Lem zu danken, der trotz seines hohen Alters immer noch am Puls der Zeit ist, auch wenn ihm dieser anscheinend zunehmend Unbehagen bereitet.

DUB SCHMITZ im Dezember 2002

Inhalt

Teil I:

Telepolis-Kolumnen

Teil III:

Albert Almering „ SF im Allgemeinen und Lem im Besonderen“

Teil I:

Telepolis-Kolumnen

Meine Abenteuer mit der “Futurologie”

Stanislaw Lem 24.04.1997

Im ersten Essay der Reihe, die Telepolis von Stanislaw Lem veröffentlicht, berichtet der bekannte polnische Futurologe und Science Fiction Autor von den Anfängen und Motiven seines Schaffens. Gerade die intellektuelle Isolation während des kommunistischen Regimes führte für ihn zu einer kreativen Explosion, die sich in zwei Bahnen niederschlug - in futurologische und wissenschaftliche Arbeiten und in grotesken, surrealistischen Erzählungen.

I - Die Kindheit

Ein sogenannter Zukunftsforscher bin ich unabsichtlich und sogar unbewußt geworden. Wenn ich heute zurückblicke, sehe ich ungefähr, wie es dazu gekommen ist. Als ich mich mit dem zu beschäftigen begann, “was noch möglich ist”, wußte ich nichts über irgendeine “Futurologie”. Ich kannte diesen Begriff nicht und folglich wurde mir nicht bewußt, daß Ossip K. Flechtheim diese Bezeichnung 1943 geprägt hat.

Um Gewißheit über dieses Datum zu erhalten, schlug ich im Meyer-Lexikon nach und erfuhr, daß Flechtheim seine “Futurologie” in drei Zweige teilte: die Prognostik, die Planungstheorie und die Zukunftsphilosophie. Wie mir scheint, habe ich meine Kräfte allmählich in allen diesen Zweigen gleichzeitig ausprobiert. Es ist, wie ich zugebe, schon eine seltsame Sache, sich eine ziemlich lange Zeit, ziemlich genau und ziemlich ignorant mit etwas zu beschäftigen, wovon man überhaupt nicht weiß, was es ist. Ich

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vermute, daß der erste Urmensch auch nicht wußte, was der Gesang ist, als er zu singen begann. Aber gerade so war es. Da sich gegenwärtig vieles von dem, was ich mir als künftige Errungenschaften (und als künftige Mißgeschicke) der Menschheit vorgestellt habe, bereits für mich ganz unerwartet erfüllt hat, kann ich jetzt auch über mich, einen Vorwand des Eigenlobs vermeidend, weniger schmeichelhafte Sachen erzählen.

Den sogenannten “Antrieb” hatte ich seit meiner Schulbank am Gymnasium. In dem Buch “Das hohe Schloß”, das meiner Kindheit gewidmet ist, beschrieb ich z.B. meine “Erfindertätigkeit”, als ich das Alter von dreizehn Jahren fast erreicht hatte. Ich füllte Hefte mit Zeichnungen    von    kriechenden oder fliegenden

Maschinen -    eine    diente sogar zur einfacheren

Zubereitung von gekochtem Mais, da mich alles interessierte. In dieser Zeit habe ich mich auch mit noch phantastischeren Dingen beschäftigt: Ich habe nämlich während der langweiligen Unterrichtsstunden fleißig aus    dem    ausgeschnittenen Papier der

Schulhefte, Ausweise für Kaiser oder Könige sowie Verleihungen    von    verschiedenen Schätzen oder

Juwelen und vielerlei    Passierscheine, die zum Eintritt

in das Innere von Sehr-Geheimen-Burgen berechtigten, angefertigt. Davon hatte ich einen ganzen Haufen. Es war vielleicht ein Keim meines späteren literarischen Schaffens. Aber ich weiß es nicht.

Mit meiner eigenen Person habe ich mich sehr wenig beschäftigt. Es haben mich eher Antworten auf die Frage Warum? interessiert, und ich habe mit solcher Fragerei meine Onkels und meinen Vater gequält, seitdem ich mich daran erinnern kann. Und über die Schule, über die Klasse hinaus habe ich in das am weitesten entfernt Liegende geblickt. Zuerst in die Vergangenheit, aber nicht in die aus den

Geschichtshandbüchern, sonder in die Vorzeit, in der es von Dinosauriern gewimmelt hat (ich besaß Bücher über sie, denn ich war ein Bücherwurm und las alles -sogar das Brockhaus-Lexikon aus dem Jahre 1890. Ich zeichnete darüber hinaus auch solche Monster, die es nicht gab, die es aber offensichtlich meiner Ansicht nach gegeben haben sollte. Ich bin also mit meiner Phantasie in andere Zeiten und andere Welten geflüchtet, und obwohl ich verstanden habe, daß dies nur scheinbar ist, ein Spiel, hütete ich meine Geheimnisse.

Man kann diese Kindheitsschrulle sicher nicht als Anfang meiner “futurologischen Tätigkeit” bezeichnen. Dennoch war das, was ich während meines Medizinstudium zu schreiben begann, als ich nach dem Krieg mit meiner Familie in Krakau landete, nicht nur schlechte Science Fiction.

II - Die Chancen der Isolation

Für meine Ausflüge in die Zukunft kam mir eine beträchtliche Hilfe seitens der kommunistischen Obrigkeit zugute, weil ich ihr (zusammen mit ganz Polen) eine vollständige Abtrennung vom Westen und also auch von deren Literatur zu verdanken hatte. Ich hatte bis 1956 weder ein SF-Buch gelesen (außer Jules Verne und Orson Welles, die ich schon vor dem Krieg in Lemberg kennenlernte), noch hatte ich einen Zugang zu wissenschaftlichen Werken - mit einer Ausnahme.

Der Psychologe Dr. Choynowski hatte im Jahre 1946 ein Seminar für Wissenschaftslehre gegründet und ich wurde irgendwie zu seinem wissenschaftlichen Angestellten. Choynowski wandte sich an wissenschaftliche Stellen in den USA und Kanada mit der Bitte um wissenschaftliche Literatur für die durch die deutsche Besatzung ausgehungerte polnische Wissenschaft. Diese Bücher kamen in großen Mengen an, und meine Aufgabe war es, sie auszupacken und mit der Post an die Universitäten des ganzen Landes zu versenden. Ich habe das, was mich faszinierte, einfach nach Hause mitgenommen, in den Nächten gelesen und am nächsten Tag dann erst zur Post gebracht. Auf diese Weise habe ich mich mit der Kybernetik von Norbert Wiener, der Informationstheorie von Claude Shannon, den Arbeiten von John von Neumann, die auf mich einen ungeheuer großen Eindruck hinterlassen hatten, der Spieltheorie und vielem anderen vertraut gemacht, und da ich des Englischen nicht mächtig war, mußte ich mit einem Wörterbuch in der Hand lesen.

Aber die Lektüre befriedigte mich bald nicht mehr. Auf den durch sie gelegten Grundlagen habe ich begonnen, eigene Gedanken aufzubauen. Zuerst habe ich mir eine “atomare Wiederauferstehung des Menschen” ausgedacht, die mir “im Prinzip” möglich erschien. Weil ein jeder von uns aus Atomen besteht, sollte man sie nach dem Tod sammeln und so den Organismus wiederherstellen können. Vom Bischof Berkeley lieh ich mir dazu die Dialogpartner Hylas und Hylonous aus und veranlaßte sie, diese Resurrektion zu untersuchen. Herr Oswiecimski, einer der Seminarassistenten, dem ich zeigte, was ich geschrieben hatte, versuchte meine Schlußfolgerung anzufechten, daß der aus Atomen gebaute Mensch nicht derselbe sein kann wie der Verstorbene, sondern nur - wie ein Zwilling - dessen Kopie. Er kam jeden Tag mit einem neuen Gegenargument, das ich widerlegte, und auf diese Weise wurde unabsichtlich und planlos das erste Kapitel meines Buches Dialoge ausgearbeitet.

Ich habe das Buch 1953 geschrieben, als Stalin noch lebte, und von einer Veröffentlichung konnte keine Rede sein, weil ich eine Menge von zukünftigen neuen Chancen aus der Kybernetik abgeleitet habe, die offiziell als eine “bürgerliche lügnerische Wissenschaft” galt. Man sprach über Zukunftsprognosen schon aus dem einfachen Grund nicht, weil die Zukunft bereits mit größter Genauigkeit in Gestalt eines kommunistischen Paradieses vorgesehen war, in das uns die kommunistische Partei führte, wie einst Moses die Juden in das Gelobte Land. Das aber hat mich weder zufriedengestellt noch interessiert. Ich schrieb meine eigenen Sachen.

Dank dem “Tauwetter” konnte man im Jahre 1956 die Dialoge veröffentlichen. Da aber niemand beim Verlag wußte, wovon das Buch handelte und was es bedeutete, malte ein Grafiker auf dem Umschlag eine Bühne, und auf dieser eine Leiter und zwei aufgegebene Halbschuhe. (Parallel schrieb ich auch SF, die bereits einen gewissen Erfolg hatte, aber vorläufig schweige ich über ihre Rolle in meiner “futurologischen Arbeit”). Mein Gedankengang war merkwürdig gespalten. Es kommt schon vor, daß sich jemand unabsichtlich verliebt, aber daß jemand unabsichtlich heiratet und dies gar nicht bemerkt, ist schon eine Seltenheit. Jetzt schreibt man also über mich, daß ich mich mit der Futurologie, die irgendwann in den Sechzigern aufkam und die Lesermärkte eroberte, überhaupt nicht beschäftigt habe. Ich habe aber bereits über die Zukunft zu schreiben begonnen, bevor diese Mode den Westen eroberte, und ich konnte vor allem nicht wissen, was im Westen geschah. Trotz der Störsender hörte ich “Free Europe”, aber bei diesem Sender gab es nichts über die Zukunft. Warum ich 1962 mit dem Schreiben meines opus magnum, mit der Summa technologiae begonnen habe, kann ich auch nicht sagen, weil ich es nicht weiß. Die kürzeste Erklärung lautet: Ich war einfach neugierig, überaus neugierig, was in der Zukunft passieren kann.

Ich habe mich nicht mit der politischen Zukunft der Welt, nicht mit zukünftigen Krisen und auch nicht mit der Bevölkerungsexplosion beschäftigt, sondern vor allem mit den möglichen technischen Errungenschaften. Francis Bacon schrieb schon vor ein paar hundert Jahren, daß Maschinen entstehen werden, die auf dem Meeresgrund gehen und fliegen können. Weil ich nicht wußte, daß der Philosoph Karl Popper alle Voraussagen für “unmöglich” hielt, habe ich mich gerade an solche Voraussagen gemacht. Und weil ich keinen Zugang zu irgendwelchen Quellen der Futurologie hatte, mußte ich mir selbst ein Muster, einen Leitstern, irgendein Schlagwort für eine weit entfernte Zukunft ausdenken. Ich habe, wie die Deutschen sagen, aus einer Not eine Tugend gemacht. Ich wollte, um Gottes willen, nicht mehr wie im Gymnasium phantasieren, sondern ich sehnte mich nach einem sicheren Rückhalt, also nach etwas, das es bereits gibt und das die Menschen als Technologie irgendwann imstande sein werden zu übernehmen.

Wenn man darüber nachdenkt, wird man sehen, wie einfach das war. Es gibt Pflanzen und Tiere, und auch wir existieren mit Sicherheit. Die ganze lebende Welt ist aus der natürlichen darwinistischen Evolution entstanden. Falls die Natur es konnte, dann werden auch wir, so war meine Hoffnung, imstande sein, sie als einen Lehrer zu betrachten. Wir werden beginnen, wie die Natur oder sogar besser als sie zu schaffen, weil wir dies zum eigenen Gebrauch machen. Meine ganze Mühe richtete ich beim Schreiben der Summa technologiae auf die Ausführlichkeit, also was sich daraus ergibt, falls man das erreichen sollte, und wie man “die Natur einholen und überholen kann”. Als ich schrieb, hörte man noch kaum etwas von einer Biotechnologie, von der Gentechnologie, von der Entdeckung der “menschlichen Vererbung” (Human Genome Project). Um mich herum herrschte der Marxismus-Leninismus, und ich verfügte ausschließlich über in Moskau herausgegebene Werke in russischer Sprache aus dem Bereich der exakten Wissenschaften wie der Astrophysik und der darwinistischen Biologie. Darwin hatten die Kommunisten ziemlich gern. Es gab auch, wie beispielsweise die Physik von Feynman, “gestohlene” Bücher, weil Moskau das beste übersetzte und den Autoren natürlich nichts zahlte. Aber über Prognosen durfte man kein Wort sagen.

Ich hatte also große Schwierigkeiten mit der Terminologie. Sie glichen denen eines Menschen um 1800, dem es einfallen würde, über die Eisenbahn zu schreiben. Wie sollte man, da es sie nicht gab, dann die Kessel, Zylinder, Kolben, Sicherheitsbremsen und so weiter nennen? Ich mußte mir daher alles so ausdenken und benennen, wie Robinson Crusoe erst lernen mußte, wie man aus Ton einen Topf kneten und ihn glasieren kann. Ich war gewissermaßen ein Robinson der Futurologie und ich verdanke dieser Einsamkeit, dieser Isolation viel.

Als die Summa herauskam, ist nicht einmal eine Rezension erschienen. Nur ein bekannter polnischer Philosoph schrieb, daß ich eine Utopie mit Information verwechselt habe und alles nur Märchen seien. Wenn ich nämlich erfahren hätte, daß im Westen schon Institute wie die Rand Corporation, das Hudson Institute oder die französische Futuribles Gruppe entstanden sind, hätte ich angesichts dieser Flut von Wissen und dieser Größen der Weisheit, die durch ganze Brigaden von Computern, durch den Zugang zur gesamten Weltliteratur und durch die Freiheit der Teilnahme an allen wissenschaftlichen Konferenzen und Kongressen unterstützt wurden, mich wohl nicht zu schreiben gewagt. Kann man sich vorstellen, daß ich alleine, fast auf dem Land, am südlichen Stadtrand von Krakau lebend, mit meinen Voraussagen mit solchen Experten hätte in Konkurrenz treten sollen, die wie Herman Kahn oder Alvin Toffler einen Bestseller nach dem anderen auf den Buchmarkt lancierten?

Zu meinem    Glück hatte    ich keinen    blassen

Schimmer von ihnen noch von    ihrem Ruhm,    den sie

genossen. Die Isolation kann also auch förderlich sein. Damals sind    ganze Scharen von Futurologen

entstanden, und als ich endlich ( nach irgendeiner Ausgabe der    Summa) die    aus dem    Westen

kommenden Bände in die Hand bekam, konnte ich genaue Diagramme sehen (Herman Kahn sagte im Hinblick auf das Wachstum des Nationaleinkommens der DDR, also den Ostdeutschen, den zweiten Platz in Europa, gleich hinter der Bundesrepublik Deutschland, vorher). Doch wenn ich mir diese Statistiken und Extrapolationen anschaute, habe ich sehr wohl den Vorteil meiner Einsamkeit begriffen.

Nachdem die Sowjetunion in kürzester Zeit zerfallen ist und die DDR aufhörte zu existieren, verschwand Futurologie aus den Schaufenstern der Buchhandlungen. Stattdessen erschienen neue Artikel und Bücher, die nicht davon handelten, was es irgendwann geben wird, sondern die darüber berichteten, was es hier und jetzt gibt und was sich bereits jetzt entwickelt.

III - Was ich nicht vorhergesehen habe

Was war geschehen? Es vollzog sich eine allgemeine Zuwendung zur Biologie, zur Biotechnologie, zur

Erforschung des biologischen Erbes des Menschen und der für unterschiedlichste Merkmale und Erkrankungen verantwortlichen Gene. Mächtige Firmen wie Genetech und viele andere, deren Namen ich nicht mehr weiß, begannen zu entstehen. Man fing an, verschiedene neue Bakterien zu patentieren und in die chemosynthetische Produktion einzuspannen. Ich war von all dem sehr überrascht, weil ich in einer Überzeugung schrieb, die der Gewißheit gleichkam, daß ich nichts von der Verwirklichung meiner Prognosen erleben werde, daß das, worüber ich schreibe, höchstens irgendwann im dritten, vielleicht erst im vierten Jahrtausend entstehen wird. Aber es kam alles anders. Ich kann mit der Lektüre über neue Erkenntnissen der Biotechnik nicht mehr zu einem Ende kommen, doch die neue Terminologie ist selbstverständlich völlig anders, als die, die ich mir wie ein Robinson Crusoe in meiner Summa ausgedacht hatte.

Beispielsweise gibt es bereits meine “Phantomologie” und “Phantomatik”, aber sie heißt Virtuelle Realität. Immer mehr solche neue Bezeichnungen entstehen jede Woche. Man kann die allgemeine Entwicklungsrichtung vorausahnen, dafür habe ich bereits Beweise, aber die Namen für konkrete Produkte, Techniken oder Instrumente vorauszuahnen, wäre schon nicht mehr eine Prophezeiung, sondern ein Wunder. Ich glaube nicht an Wunder.

Meine Ideen wurden, auch wenn nicht gänzlich, schon durch den immer stürmischer vorangetriebenen Fortschritt des theoretischen Wissens und seiner praktischer Umsetzung überholt. Ich kann hier natürlich nicht die gesamte Summa zusammenfassen, aber ich kann in einigen Worten den Hauptfaktor oder das Grundprinzip erklären, das meiner Meinung nach aus der von der natürlichen Evolution des Lebens

übernommenen Technologie ein völlig neues Gebiet eröffnete, das    sich    grundlegend    von der

Ingenieurspraxis,    dem    Know-how    und dem

“hypothesenschaffenden”    Denken der    Menschen

unterscheidet, wie    sie in    den letzten Jahrhunderten

entstanden sind.

Wir hatten immer mit der Werkzeugmaschine und mit dem, was bearbeitet wird, mit einem Instrument und mit dem Rohstoff, mit dem Meißel und mit dem Stein, mit einer Erfindung und den gebauten Prototypen und - im Bereich der höchsten Abstraktion

-    mit den Hypothesen und Theorien zu tun, die wir den Falsifikationstests unterziehen. Diesen Test hat Popper als entscheidenden Faktor für die Legitimation von Theorien bezeichnet. Was dem Falsifikationstest überhaupt nicht unterzogen werden kann, ist aus der Sicht der wissenschaftlichen Wahrheit äußerst zweifelhaft. So gehen wir vor, seitdem der erste Urmensch mit dem mit einem Flint bearbeiteten Feuerstein begann, ein Feuer zu schlagen, wobei er zuvor einen Hammer aus Stein verfertigt hatte, bis hin zur Discovery, zu Satelliten oder zu Atomkraftwerken

-    die Methode blieb im Kern stets die gleiche.

Die Evolution hingegen, die sich selbst aus dem molekularen Chaos und Gewimmel entwickeln mußte, schafft keine theoretischen Konzeptionen und kennt keine Trennung zwischen dem Bearbeitenden und dem Bearbeiteten. Der “Plan” in ihr ist die aus den Molekülen zusammengesetzte DNA-Spirale - auch wenn wir immer noch nicht wissen, wie ihr dies gelungen ist -, die innerhalb von vier Milliarden Jahren der Lebensentwicklung auf der Erde entstanden ist. Übrigens hat sich die Evolution nicht allzusehr verausgabt, wenn sie innerhalb von drei Milliarden Jahren nichts außer verschiedenen Bakterien erschaffen hat. Mehrzellige Wesen, Pflanzen und Tiere sind “erst” vor achthundert Millionen Jahren und der Mensch ist auf dieser Skala erst “vor einem Augenblick” entstanden, etwa vor zwei bis vier Millionen Jahren. Meine größte Sorge und mein größtes Problem bestanden mithin darin, wobei ich auf meine Futurologie zurückkomme, ob die Menschen imstande sein werden, die Technologieentwicklung so außergewöhnlich zu beschleunigen, daß sie das, was die Evolution in Milliarden von Jahren gestaltet hat, einholen und in ein paar Jahrhunderten diese Kunst erwerben und beherrschen können.

Zwei Dinge habe ich nicht vorausgesehen. Erstens, daß wir diesen Wettlauf gewinnen können, daß wir aus der Konkurrenz bereits zum Ende des 20. Jahrhunderts als Gewinner hervorzugehen beginnen und daß dies so schnell, so stürmisch und auf so vielen Abschnitten der biotechnologischen Front geschieht. Ich war offensichtlich in diesem Sinne ein Pessimist.

Dagegen habe ich mich als Optimist in einem anderen Sinne und in einem anderen Bereich erwiesen, denn ich habe zweitens auf den prometheischen Geist der Menschheit gezählt. Ich ahnte nicht, daß die wunderbarsten Errungenschaften der Menschheit für niederträchtige, gemeine, schuftige und unerhört dumme Zwecke mißbraucht werden, daß etwa die Computernetze, über die ich schon im Jahre 1954 schrieb, Pornographie übertragen werden.

Mich interessierte nicht allein die Vorhersage der biotechnischen Geschöpfe, sondern ich wollte immer erraten, wie Menschen das von ihnen Geschaffene gebrauchen werden. Beim Nachdenken über diesen Aspekt der zukünftigen Dingen stieß ich auf die menschliche Natur, die leider non est naturaliter christiana. Gleichzeitig habe ich versucht, mich den dunkeln, vor allem den dummen, aber auch mörderischen Seiten der menschlichen Natur irgendwie entgegenzusetzen. Ich nahm in der Summa und in den Dialogen keine Kapitel über die “schwarze” Zukunft der grandiosen Technologien auf. Aber ich mußte erkennen, als ich mich in die “Zukunftsphilosophie” (von Flechtheim) eingelassen habe, daß fast jeder Typus einer hochentwickelten Technologie notwendigerweise mit unserer ganzen Kulturtradition, mit der historisch entstandenen Ethik des Religionsglaubens, mit unseren durch die Rechtsund Sozialbremsen geschützten Umgangsnormen kollidieren wird, und daß sich aus diesen immer heftigeren Zusammenstößen bedrohliche Phänomene ergeben, die auf die Zivilisation selbstzerstörerisch wirken.

Ich habe mich nicht an die Beschreibung solcher bedrohlicher Veränderungen gemacht. Ich weiß nicht, ob ich dies absichtlich nicht wollte, jedenfalls habe ich weder eine “permissive Gesellschaft” noch die Triumphe der von der Lebensevolution übernommenen Technologien behandelt. Mein Ausgangspunkt wurde die Science Fiction. Ich beschrieb auch das Düstere, aber in einer grotesken und närrischen Verkleidung. So ist der Futurologische Kongreß entstanden (und wurde in vielen Übersetzungen in der Welt herausgegeben). Er schildert eine Welt, in der man allgemein nicht einfache Drogen verwendete, sondern psychotrope Mittel, die die Persönlichkeit eines Menschen verändern, die ihn wie eine Marionette steuern können. Ich habe dies aber unter Lachen geschrieben, und so wurde es auch empfunden. Leider findet man derartiges jetzt bereits auf den Seiten der Tageszeitungen. Eine solche “psychemische Zivilisation” oder “Psyvilisation” scheint schon vor der Tür zu stehen. Ich habe sie mit Ironie, Hohn und Humor versüßt, und auch in vielen anderen Büchern immer in einer satirisch-surrealistischen Tonart geschrieben, da es andernfalls wie ein Requiem für die Technologie klingen würde, wie ein pompe fünebre, wie ein MENETEKEL.

IV - Die zwei Hälften der Zukunft

Zum Schluß muß ich noch etwas bekennen. Ich war keineswegs ein allwissender Prophet der kreativen technischen Explosion mit einem wunderbar sonnigen Avers und einem schwarzen und düsteren Revers. Ich habe mich keineswegs vor fast fünfzig Jahren hingesetzt und überlegt, wie ich der Menschheit sage, was sie im Guten und im Bösen in den unvermeidlich kommenden Zeiten erwartet. Ich habe nicht das Gute vom Bösen schlau so getrennt, daß die guten Nachrichten seriös, mit vollem Ernst, in den sogenannten Sachbüchern mitgeteilt werden, während ich die schlechten, fatalen Prognosen dagegen mit dem Zuckerguß der Spielerei überzog, sie mit einem Zwinkern so erzählte, wie man verrückte Witze erzählt. So war es überhaupt nicht. Als ich mit dem Schreiben begann, gab es in meinem Kopf keine bewußt auf die Zweiteilung meines Schreibens gerichteten Gedanken - in meinem Bewußtsein, sage ich vorsichtig.

Diese Aufteilung ergab sich irgendwie von selbst, und erst jetzt, am Ende meiner schriftstellerischen Arbeit, kann ich dieses aus zwei Hälften zusammengesetztes Ganzes erkennen, das beinahe zufällig, fast instinktiv, als ob mich etwas geführt hätte, woran ich gleichzeitig nicht glaube, entstanden ist. Es war vielleicht ein genius temporis. Ganz einfach, ICH WEISS ES NICHT. Fragen Sie mich nicht mehr nach diesen Ursprüngen meines gesamten Schreibens. Wenn ich noch etwas dazu als Erklärung

bemerken könnte, würde ich dies bereits jetzt gern tun, aber ich kann es nicht.

Informationsbarriere?

Stanislaw Lem 03.01.1997

Über die Informations sintflut wird allerorten geklagt. Einen Weg zurück gibt es nicht mehr. Träumen die einen von intelligenten Agenten, also schlauen Dienern, die einem die Qual der Wahl abnehmen sollen, machen die anderen dicht oder lassen sich von unsinnigen Informationsmengen überschwemmen. Stanislaw Lem überlegt, ob die gezündete “Megabitbombe” nicht nur auf Grenzen der menschlichen Kapazität, sondern auch auf eine technische Barriere stößt. Die allmähliche Ersetzung der menschlichen Kognition durch intelligente Systeme hat für ihn jedenfalls eine Folge - die mögliche Frühpensionierung der meisten Menschen.

In dem Buch Summa Technologiae, das jetzt bereits gute dreißig Jahre zählt, habe ich die metaphorischen Begriffe Megabitbombe und Informationsbarriere eingeführt. Der Schlüssel zu Erkenntnisressourcen ist, so schrieb ich damals, die Information. Der rasante Anstieg der Anzahl der Wissenschaftler seit der industriellen Revolution hat das bekannte Phänomen verursacht, daß die Informationsmenge, die durch einen der Kanäle der Wissenschaft gesendet werden kann, begrenzt ist. Die Wissenschaft stellt einen Kanal dar, der die Zivilisation mit der nichtmenschlichen und der menschlichen Welt verbindet. Der Anstieg der Anzahl der Wissenschaftler bedeutet eine Erweiterung der Kapazität dieses Kanals. Dieser Prozeß kann jedoch, wie jedes exponentielle Wachstum, nicht über eine beliebig lange Zeit weitergehen. Wenn es an Kandidaten für die Wissenschaft mangelt, wird die

Grenzen der Informationsverarbeitung

Hat sich an diesem Bild nach dreißig Jahren etwas geändert? Zuerst möchte ich bemerken, daß mehrmals Versuche unternommen wurden, die absolute Leistungsfähigkeit der “Endgeneration” des Computers entsprechend der in der Physik bekannten absoluten Geschwindigkeit, d. h. der Lichtgeschwindigkeit, wie man heute annimmt, zu berechnen. Die Ergebnisse der Schätzungen wichen jedoch substantiell voneinander ab.

Man hat mit der Annahme von Werten, die für die Physik spezifisch sind, also mittels der Lichtgeschwindigkeit und der Unbestimmtheitsrelation gemäß der Planckschen Konstante, berechnet, daß der leistungsfähigste Computer, der die Daten mit der maximal erreichbaren Geschwindigkeit verarbeitet, ein Würfel mit einer Kantenlänge von drei Zentimeter wäre. Eine bei diesen Annahmen unausgesprochene Prämisse war jedoch eine ausschließlich iterative Weise der Berechnung, die in ihrer einfachsten Form den Turing-Automat charakterisiert, der nur einen der beiden Zustände annehmen kann: Null oder Eins. Man kann jede Berechnung jedes linear prozessierenden Computers mit dem einfachsten Turing-Automaten ausführen, nur benötigt ein Turing-Automat dafür eine Ewigkeit, was ein Cray in einem Sekundenbruchteil durchführt.

Parallelcomputer

Man hat aber schnell erkannt, daß auch parallel prozessierende Computer gebaut werden können, obwohl deren Programmierung und Arbeitsreihe eine Reihe sehr schwierig zu lösende Probleme mit sich bringen. Einen Beweis, daß solche Computer konstruierbar sind, tragen wir in unserem eigenen Schädel: das Gehirn ist nämlich dank seiner Bauweise hauptsächlich, obwohl nicht ausschließlich, das eigentliche Gegenstück eines Parallelcomputers. Es besteht aus zwei großen Hemisphären, in denen auch eine für den Menschen als den Konstrukteur sehr merkwürdige Strategie der Allokation von untergeordneten Arealen herrscht.

Für Neurophysiologen war das ein echtes Chaos, das ausschließlich aus Rätseln bestand. Die Forscher konnten zwar Symptome des Ausfalls von einzelnen Funktionen, z.B. bei der Aphasie, Amnesie, Alexie etc., feststellen, aber sie konnten deren Funktionsweise kausal und funktionell nicht erklären. Im übrigen begreifen wir, wie es sich gehört, immer noch nicht sehr viel von diesen und anderen Erscheinungen in unserem Gehirn. Das Gehirn kann Informationen mit einer Geschwindigkeit von 0,1 bis 1 Bit pro Sekunde aufnehmen, wogegen heutzutage auf uns ein Fluß von neuen Informationen mit einer Geschwindigkeit einströmt, die zwischen drei und zwanzig Bits pro Sekunde liegt.

Informationsschwemme

Die Gesamtheit des menschlichen Wissens verdoppelt sich ungefähr alle fünf Jahre, wobei sich diese Verdoppelungszeit ständig verkleinert. An der Wende vom 19. auf das 20. Jahrhundert betrug diese Rate noch ungefähr 50 Jahre. Jeden Tag werden auf der Welt 7000 Artikel veröffentlicht und über 300 Millionen Zeitschriften sowie 250.000 Bücher gedruckt. Auf der anderen Seite gibt es bereits über 640 Millionen Radio- und Fernsehgeräte. Da diese Angaben schon vier Jahre alt sind, sind sie sicherlich zu niedrig angesetzt, vor allem wegen der gewaltigen Zunahme des Wissens im Bereich des Satellitenfernsehens.

Die Menge der bislang gespeicherten Information soll 10 hoch 14 Bit betragen und wird sich bis zum Jahr 2000 verdoppelt haben. Sicherlich ist die Informationsaufnahmefähigkeit des Gehirns bereits erschöpft. Außerhalb der Wissenschaft kann man die Symptome dieser Informationsasthenie viel leichter als in der Wissenschaft selbst bemerken, zumal wenn wir ihren Bereich auf die exakten Wissenschaften beschränken. Sie sind von einem “Halo” in Gestalt von Pseudo- und Quasiwissenschaften umgeben, die sich überall einer beträchtlichen Popularität erfreuen. In der Regel handelt es sich zwar um wertloses und falsches “Wissen” (Astrologie, Kurpfuscherei, sektiererische Absonderlichkeiten vom Typ “Christian Science” und alle “Psychotroniken”, wie Telepathie, Telekinese, “geheime Wissen”, Nachrichten über die “fliegenden Untertassen” oder über die “Geheimnisse der Pyramiden” etc.), das aber angenehm einfach ist und durch Versprechungen fasziniert, das menschliche Schicksal, den Sinn des Seins etc. pp. zu klären.

Ich beschränke mich hier jedoch nicht auf den Bereich der exakten Wissenschaften, der übrigens schon lange von trüben Fälschungen überschwemmt wird, die nicht nur schädlich sind, sondern auch den gesellschaftlichen Stellenwert der Wissenschaft in Frage stellen. Betrug geschieht immer öfter in der Wissenschaft, und er wird durch die immer noch geltende Regel publish or perish gefördert. Viele Faktoren wirken also an der Verstärkung der Informationsüberschwemmung zusammen. Dagegen

unterliegt die oben erwähnte unwissenschaftliche Sphäre informativen Selbstbegrenzungen, die ein über eine Satellitenschüssel verfügender Zuschauer leicht bemerken kann:    in    Hinsicht auf den Inhalt

unterscheiden sich fast alle Sender weltweit nur sehr wenig voneinander, was einfach bedeutet, daß sich Programme der weit entfernten Staaten, Länder und Sprachgebiete inhaltlich fast gleich sind.

Dem überdrüssigen Publikum geht es nicht um eine bewußte “Abspeckung des Fernsehmenüs” oder um die Schaffung eines Plagiats, es will einfach lieber die Variante der bekannten Sujets sehen, weswegen es immer neue Versionen von irgendwelchen Tarzans oder von den Drei Musketieren, in den USA von Kämpfen mit den Indianern oder dem Sezessionskrieg, in Europa hingegen vom letzten Weltkrieg gibt. Die Informationsallergie im visuellen Bereich ist besonders auffallend. Man fürchtet bei den Sendern die Innovation mehr als das Feuer, als innovativer Schein wird es dagegen aber geschätzt. Ich spiele hier selbstverständlich keinen Kritiker, weil ich nicht bewerten und dadurch die Programme herabsetzen will, was nur oberflächlich wäre, sondern ich versuche die tiefere, rein perzeptorische Ursache dieser Tatsache zu entblößen, die dem Fernsehzuschauer aus Erfahrung bekannt ist. Das Wesen des Fernsehens besteht in einer merkwürdigen Ähnlichkeit von großen Mengen angeblich völlig unterschiedlicher, unabhängig produzierter Programme. In der Regel ist freilich, wenn man den Ton ausschaltet, schwierig zu erkennen, ob wir aus der Türkei, aus Großbritannien, aus den Niederlanden, aus Schweden, Dänemark oder Spanien gesendete Bilder sehen, weil an unsere Antenne von überallher beinahe der gleiche Grießbrei mit Pfeffer kommt.

Vor der Informationsüberschwemmung rettet sich ein durchschnittlicher Mensch sowohl durch eine Reduktion des Bitstromes als auch durch eine Eliminierung dessen, was für die geistige Absorption irgendwie nicht “nötig” sind. Im täglichen Leben führt das zu einem verstärkten Ethnozentrismus der Medien, zu einer “wachsender Dickhäutigkeit” gegenüber den Inhalten, die schockieren oder die Gefühle verletzen können. In der Wissenschaft jedoch ist eine Zurückhaltung solcher Art nicht zulässig. Das ist der Grund für das wachsende Gewicht der Mahlzeiten, die der Wissenschaft von der Informatik mit den Heerscharen von Computern geliefert werden. Wie ein jedes neues Ereignis, auch wenn es nicht mehr ganz so neu ist, stellt die Computerisierung eine unentbehrliche Lebenssphäre her, die aber gleichzeitig auch neue Sorgen mit sich bringt. In den Ländern, in denen die Computerisierung gerade erst begonnen hat (zu denen de facto auch Polen gehört), kennt man diese Sorgen und dieses Dilemma noch nicht.

Das erstbeste Beispiel erklärt, wo der Haken stecken kann. Im SF-Roman Rückkehr von den Sternen (1960) habe ich in die Handlung Kalster als kleine Geräte eingeführt, die den Geldverkehr und -umlauf ersetzen. Sicherlich gibt es in einem Roman keinen Platz, die Infrastruktur dieser “Erfindung” zu beschreiben! Heute aber schreibt man bereits in den Zeitschriften (z.B. in den Vereinigten Staaten) über smart cards, die auf diesem Prinzip beruhen. Es muß kein Geld mehr im Umlauf sein. Auch die Zahlung mit Schecks kann der Vergangenheit angehören, denn jetzt hat jeder ein Konto bei einer Bank und in der Brieftasche eine smart card. Bei der Bezahlung gibt man diese Karte dem Kassierer, der sie in die mit der Bank verbundene

Kasse einsteckt. Der Computer überträgt dem Bankcomputer, wieviele Währungseinheiten vom Konto abzuziehen sind. Dasselbe geschieht auch auf dem Weg Zahler (also sein Computer) - die Bank - der Bezahlte (also sein “Kalster”).

Das ist alles ganz wunderbar - unter der Bedingung, daß zu unserem Konto niemand mittels eines elektronischen Dietrichs gelangt. Wie man weiß, gibt es schon lange computer crime und Hacker, die sogar zu den am besten geschützten Computern verschiedener Generalstäbe gelangen konnten. Bargeld kann man vergraben oder in einer Schatzkammer verstecken, aber die Bankcomputer sind mit Sicherheit verschiedenen Attacken über Online oder Funk ausgesetzt. Das Phänomen der Viren ist uns bereits so bekannt, daß es sich nicht lohnt, sich mit dieser “dunklen” Seite der Informatik zu beschäftigen.

Durchbrechen der Informationsbarriere

Zum Durchbrechen der “Informationsbarriere” in der Wissenschaft könnten einerseits Computernetze dienen, die so wie die Neuronen im Gehirn miteinander vernetzt wären (und jedes Neuron ist, wie wir wissen, indirekt oder direkt mit einigen Zehntausend anderen verbunden. Deswegen beruht die Aussage, daß, verkürzt ausgedrückt, das Gehirn zwischen 12 und 14 Milliarden Neuronen zählt, eigentlich auf einem Mißverständnis, da es um die Anzahl der Verbindungen und nicht um die der Einheiten geht, die nur nach dem Prinzip Flip-Flop arbeiten.). Andererseits würden dazu Computergiganten beitragen, für die zur Zeit mein Golem XIV aus dem Roman mit dem gleichen Titel stehen kann.

An dieser Stelle sollte ich vielleicht erklären, wie ich auf diesen Golem gekommen bin und worin die Konzeption eines “übergolemschen” Wachstums der terabitischen Macht bestehen kann, deren Wachstum von Perioden des Stillstands unterbrochen wird. Das ist deswegen keine “reine Phantasie”, weil ich seit jeher die natürliche Evolution des Lebens auf der Erde als meinen Leitstern oder eher als Leitkonstellation gewählt habe. Das ihr vielleicht eigentümlichste Phänomen ist die Entwicklung einer Folge von Pflanzen- und Tiergattungen, die sich durch eine diskontinuierliche Zunahme der Komplexität auszeichnet. Von den ersten Lebewesen ist uns nur bekannt, daß sie innerhalb von drei Milliarden Jahren (mindestens, nicht höchstens) den genetischen Kode mit seiner verblüffenden kreativen Universalität gebildet hatten. Aus ihm sind zur Photosynthese fähige Algen entstanden, dann Bakterien, Urtierchen, die Weichtiere, dann Fische, Lurche, Reptilien und schließlich Säugetiere, die mit der Entstehung der Hominiden und mit dem Mensch an der Spitze ihre Krönung fanden. Zwischen den Gattungen gähnen allerdings sehr große Abgründe. Obwohl es beispielsweise Übergangsformen zwischen dem Reptil und dem Vogel oder zwischen dem Fisch und dem Lurch gab, ist nichts davon übrig geblieben. Diese Abgrenzungen von Gattungen, diese Zonen der Gattungsstille, habe ich als so wichtig erachtet, daß ich sie in einen Bereich der auf sie folgenden Kulminationen des Verstandes “übertragen” habe. Sie befreien sich aus den primären, durch die Physiologie und Anatomie gegebenen Aufgaben, die das zentrale Nervensystem eines jeden lebenden Wesens (sofern es ein tierisches Wesen ist) erfüllen muß.

Sicherlich ist die Vorstellung, daß der größte konstruierbare Computer ein “Würfel” mit einer Kantenlänge von drei Zentimeter ist, abzulehnen. Ob jedoch der Bau von immer größeren Computer ein besserer Weg sein wird als das Schaffen eines Netzes nach dem Ebenbild der neuronalen Netze des Gehirns, kann nur die Zukunft zeigen. Der Vergleich des Gehirns mit dem Computer der letzten Generation sieht gegenwärtig folgendermaßen aus: das Gehirn ist ganz klar ein Parallel- und Mehrprozessorensystem, zusammengesetzt aus ungefähr 14 Milliarden von Neuronen, die eine dreidimensionale Struktur bilden, in der jedes Neuron bis zu 30000 Verbindungen mit anderen Neuronen besitzt.

Falls eine Verbindung nur eine Operation innerhalb einer Sekunde durchführt, wäre das Gehirn theoretisch imstande, innerhalb dieser Zeit zehn Billionen von Operationen durchzuführen. Das Flip-Flop eines Neurons dauert nur einige Millisekunden lang. Komplexe Aufgaben wie die Erkennung und das Verstehen der Sprache führt das Gehirn innerhalb von ungefähr einer Sekunde durch, weil es einiger Rechenoperationen bedarf. Der Computer dagegen braucht für eine analoge Aufgabe eine Million von elementaren Schritten.

Da ein Neuron einem zweiten Neuron keine komplexen Symbole übermitteln kann, weil es ein “einfaches” Gerät eines Flip-Flop-Typs ist, hängt die Leistungsfähigkeit des Gehirns von einer großen Zahl wechselseitiger neuronaler Verbindungen ab. Dank diesen können wir uns einfach der Sprache oder Sprachen bedienen. Die Aufgabe, zwei mehrstellige Zahlen zu multiplizieren, stellt dagegen bereits ein Problem dar, mit dem nicht jeder fertig wird. Das

Phänomen von unerhört geschickten Rechenkünstlern, die außerdem sogar debil sein können, ist für mich ein anderes Rätsel, weil es von der Existenz verschiedener Subareale zeugt, die sogar - oder gerade dann -leistungsfähiger funktionieren können, wenn andere, normalerweise an der Aufgabe beteiligte Areale beschädigt sind! (Das Gehirn verträgt, allgemein gesagt, Beschädigungen viel leichter als der Computer).

Heutige Supercomputer funktionieren, wie ein Experte behauptet, auf dem Entwicklungsniveau eines fünfjähriges Kindes (es geht dabei aber um eine nicht affektive Leistungsfähigkeit). Es erscheint paradox, daß für die Simulierung des Gehirns in Echtzeit Tausende von Computern mit höchster Rechenleistung nötig wären, für das Durchführen von arithmetischen Berechnungen dagegen Milliarden von Menschen.

Eine elementare Operation eines Neurons dauert, wie gesagt, ungefähr 1 Millisekunde lang. Ein Computer kann diese hingegen innerhalb einer Zeit von einer Nanosekunde ausführen. Er arbeitet also sechsmal schneller. Dennoch erkennt ein Mensch, der in ein Café kommt, das Gesicht seines gesuchten Bekannten in Sekundenbruchteilen, und der Computer würde dafür einige Minuten brauchen…

Automatisierung der Kreation

Das wahrscheinlich für unsere, also für die menschliche Zukunft wichtigste Anliegen scheint die Antwort auf die Frage zu sein, ob und wie eine kreative Informationskapazität der Computer im Sinne einer authentischen Kreation entstehen kann. Die Lösung einer beliebig schwierigen mathematischen Aufgabe hat mit dem Schaffen, an das ich denke, nicht viel gemeinsam, weil die Antwort bereits in Gestalt einer Lösung in der mathematischen Struktur der gestellten Aufgabe “insgeheim steckt”. Ich erlaube mir, zu dem Buch, das ich am Anfang zitiert habe, zurückzukommen. Ich habe darin geschrieben, daß der Übergang von den nicht erneuerbaren Energiequellen zu neuen - von der Muskelkraft, der Kraft der Tiere, des Windes, des Wassers über die Kohle oder das Rohöl bis hin zu atomaren Energiequellen - einer zuvor stattfindenden Informationsgewinnung bedarf. Erst dann wird dank der trial-and-error—Methode die Informationsmenge einen “kritischen Punkt” überschreiten,und die auf sie beruhende neue Technologie uns neue Bereiche der Energie und der Handlung eröffnen. Wenn die Ressourcen an Brennstoffen (Kohle, Öl, Gas), so schrieb ich, z.B. am Ende des 19. Jahrhunderts schon verbraucht worden wären, wäre es zweifelhaft, ob wir Mitte des 20. Jahrhunderts die atomare Energie in Gang gesetzt hätten, weil ihre Befreiung sehr große Kräfte erforderte, die zuerst in den Labors und dann im Industriemaßstab realisiert wurden. Dennoch ist die Menschheit, wie ich damals schrieb, überhaupt nicht dazu bereit (auch heute nicht), auf die ausschließliche Ausbeutung der Atomenergie überzugehen …

Die von Fleischman und Pons verkündete Cold Fusion, die kalte Fusion von Deutererium mit Helium, wurde schnell als ein Irrtum abgetan, obwohl in letzter Zeit vor allem die Japaner Experimente in diesem Bereich wieder aufgenommen haben, so daß man “nichts sicheres weiß”. Ich sage dies im Kontext der Informatik deswegen, weil wir mit der Festlegung von Startparametern, die selbstverständlich unserem heutigen kosmologischen Wissen entspringen, zwar auf dem Computer das Bild des Weltraumes in 100 Milliarden von Jahren (wie man das bereits gemacht hat) modellieren, d.h. simulieren, aber aus dieser

Simulation keine überraschenden Erkenntnisse ziehen können - und zwar deswegen, weil in den Startparametern jede Spur von diesen fehlt. Hier ein Beispiel, das vielleicht manch einen Leser überraschen wird.

Boleslaw Prus (polnischer Schriftsteller, 1847 -1912, Hauptvertreter des literarischen Positivismus) ließ den Professor Geist, eine der Figuren seines Romans Die Puppe, behaupten:

“Wir haben drei Würfel mit der gleichen Größe und aus dem gleichen Material, die jedoch unterschiedlichen Gewichts sind. Und warum? Weil es in einem vollem Würfel die meisten Stahlteilchen gibt, in dem leeren weniger, und in diesem aus Draht am wenigsten. Stelle dir vor, daß es mir gelungen ist, statt vollen Teilchen käfigartige Teilchen zu bauen, und

dann wirst du das Geheimnis der Erfindung verstehen

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Und jetzt ein Zitat aus einem Artikel der wissenschaftlichen Spalte des SPIEGELS (ich zitiere die wissenschaftliche Presse nicht, weil es mir auf Kürze ankommt):

“Die Wissenschaftler erwarten eine ‘völlig neue Chemie’, die sie sich von den käfigartigen Kohlekugeln, genannt Fullerene, erhoffen. Zum ersten Mal sind sie in den deutschen Labors entstanden, und die Anzahl ihrer möglichen Anwendungen - ist eine Unmenge. … Die Fullerene, so nach den selbsttragenden Kuppelstrukturen von Richard Fuller in der Architektur benannt, sind leere Kügelchen, die aus sechzig Atomen Kohle gebildet werden, die miteinander so verbunden sind wie die verbundenen Fünfecke, die einen Fußball bilden. Man kann sie als Konstruktionselemente in Raumschiffen einsetzen, weil sie unbeschädigt von einer Stahlplatte abprallen, wenn

man mit einer Geschwindigkeit von 27.000 km/h auf sie feuert … “

Die Japaner synthetisieren bereits zylinderartige Fullerene, die mit Bleiatomen gefüllt sind, und haben daraus einen Draht mit einer Dicke von einigen Atomen gezogen. In der amerikanischen Presse schreibt man über Buckminsterfullerene, in die man Neon- oder Heliumatome einpressen konnte … . Das ist erst der Anfang. Und was kann man über die Phantasie von Boleslaw Prus sagen? Sie hat sich in einem Zeitraum von einhundert Jahren verwirklicht …

Es ist eine banale Sache, daß niemand diese Konvergenz bemerkt hat, weil, wie ich meine, Prus selbst nicht sehr an ihre Verwirklichung geglaubt hat (ich bin mir aber in dieser Hinsicht nicht sicher; ich weiß nicht, warum er über seine - über die von Professor Geist gemachte - Entdeckung, einen Roman unter dem Titel “Der Ruhm” schreiben wollte und diese Idee aufgegeben hat). Im Grunde genommen waren die käfigartigen Konstruktionen (z.B. aus Kohleatomen) theoretisch vorstellbar, man wußte nur nicht, wie die Synthese durchzuführen sei - es sind hohe Temperaturen und Druck erforderlich. Aber das sind schon Informationen, die unbedingt mit den Parametern von Atomen bei der Ausgangsannahme gegeben sein müssen …

Noch immer besitzt der Computer keine schöpferische Fähigkeiten. Ich denke jedoch, daß er, obwohl er die Erfinder und die Wissenschaftler nicht arbeitslos gemacht hat, auf einem anderen Feld - der industriellen Produktion - bereits seine Invasion begonnen hat, die die Gefahr einer Massenarbeitslosigkeit mit sich bringt.

Die Zukunft

Norbert Wiener, der Entdecker der Kybernetik, hat in seinem Buch Human Use of Human Mind vor einem halben Jahrhundert eben diese Arbeitslosigkeit bereits vorausgesagt, die durch die wachsende Automatisierung    von    immer    mehr

Produktionsprozessen verursacht wird. Wer hat noch nicht im Fernsehen eine der vielen japanischen Autofabriken gesehen, in denen meistens gelb emaillierte große Roboter wie verrückt wirbeln und in Abwesenheit des Menschen die Elemente von Karosserien, Motoren, Kupplungen zusammensetzen, schweißen, verschrauben. Solche menschenleeren Fabriken entstehen bereits, und dadurch wird die Arbeitslosigkeit, wie manche Ökonomen oder Ingenieure behaupten, zu einem irreversiblen, zunehmenden und gesellschaftlich bedrohlichen Phänomen werden, weil die Arbeit von RoboterAutomaten billiger als die menschliche und oft genauer ist. Diese Roboter, deren Weltarmee bereits die Zahl von Dreihunderttausend überschritten hat, brauchen kein Essen, keinen Lohn, keine Erholung und keinen Urlaub, keine Sozialfürsorge und auch keine Sozialversicherung im Alter (“im Alter” gehen die Roboter als Wracks auf den Schrottplatz).

Uns droht kein Aufstand der Roboter und auch nicht deren Herrschaft, mit der man uns sooft geängstigt hat. Es droht uns einfach ein blutloser Konflikt, weil die Früchte unseres Verstandes und unserer Zivilisation die arbeitenden Menschen einfach überflüssig machen werden. Auch wenn das noch nicht heute geschieht, so ist es doch kein ausreichender Trost, da sich die Kosten der Investitionen in Roboter kontinuierlich verringern werden und ihnen, wie man vermuten kann, das 21. Jahrhundert gehören wird. Es scheint, daß am

Anfang des Lebens wirklich das Wort war: das Wort des GENETISCHEN KODES. Und auf dem langen Weg in die Zukunft wird dieses Wort die Information gebären, die gedankenlose und perfekte Arbeiter aus der toten Materie erzeugt …

Aber was wird dann unser Schicksal sein? Das ist eine Frage, die ich heute nicht beantworten kann.

Exformation

Stanislaw Lem 30.01.1997 Die explosive Information

Informationen sind, so könnte man meinen, einfach bedeutungsvolle Daten, und Informationsexplosion ist schlicht eine Überschwemmung durch die Herstellung von zu vielen Daten. Stanislaw Lem stellt eine andere, kreative Bedeutung der Informationsexplosion in der Biologie heraus und zeigt, welcher neuer und faszinierender Weg sich für die technische Konstruktion in diesem Jahrhundert eröffnet hat.

Exformation und Information

Den Begriff der Exformation gibt es nicht. Ich verwende ihn jedoch, um den Unterschied zum traditionellen    Bedeutungsbereich    einer

INFORMATIONEXPLOSION kurz darzustellen. “Explosion” stammt vom lateinischen EXPLODO ab, was in etwa “Abstoßen” bedeutet. Im Grunde genommen geht es um eine Detonation, die sich ausbreitet und dadurch das Sprengmaterial abstößt oder auch verstreut, so daß die zu einer solchen chemischen Verwandlung fähige Substanz in Sekundenbruchteilen expandiert, um einen mehrere tausendmal größeren Raum als die Ausgangsform einzunehmen.

Das Wort “Information” ist ebenfalls lateinischer Herkunft und bedeutet “Formen” oder “Gestalten” (z.B. eines Bildes). Der Begriff der Information hat im 20. Jahrhundert eine bedeutende Karriere erlebt und ist zur Grundlage und Orientierungsrichtung der neuen und immer mächtigeren Technologien geworden.

Information, so könnte man glauben, kann weder explodieren noch baut eine Explosion etwas auf, sondern sie zerstört vielmehr. Aber so ist es wohl in der Natur nicht. In ihr herrscht, würde ich sagen, gerade das Gegenteil der Zerstörung, nur haben wir uns daran gewöhnt, diesen Prozeß ganz anders zu bezeichnen und ihn außerhalb der Wissensbereiche anzusiedeln, die sich auf die menschlichen Technologien beziehen, nämlich dort, wo diese Technologien noch nicht (und vielleicht auch fast noch nicht) angekommen sind: in der Biologie.

Biologische Exformation

Die typischsten, notwendigsten und, da sie das Leben ermöglichen, hilfreichsten Explosionen geschehen überall um uns herum und - was noch merkwürdiger erscheint - in uns selbst, und, wenn jemand dies noch genauer sagen wollte, in der weiblichen Variante unserer Gattung. Das weibliche Ei hat einen Durchmesser von ungefähr 0,1 mm. Das ist ungefähr die Größe der kleinsten durchschnittlichen Zelle eines erwachsenen Körpers. Innerhalb von einigen Monaten “explodiert” die Eizelle zu einem Körper, der nach der Geburt innerlich gesteuert und geregelt die “Explosion” immer langsamer fortsetzt, um ein ungefähr neun milliardenmal größeres Volumen als das Startvolumen des befruchteten Eis zu erreichen. Wie wir bereits mit Sicherheit wissen, ist der ganze Plan des Organismus, also das Ergebnis dieser konstruktiven explosiven Expansion, bereits fertig im Eikern enthalten und aus Gründen, von denen ich hier nicht sprechen kann, weil sie unsere Ausführung sprengen würden, ist ein ähnliches, obwohl nicht ganz gleiches “Bauprojekt” im Kopf des männlichen

Samens enthalten, der noch dazu, außer daß er diesen Plan in sich trägt, ein “Zünder” der Bioexplosion ist, die ich gerne “Exformation” nennen würde, da es sich hier um biochemisch berechnete INSTRUKTIONEN zur Konstruktionsausführung handelt.

Außerdem muß man die Aufmerksamkeit auf eine besondere Tatsache richten, die den größten Unterschied    zwischen    unseren

Konstruktionstechnologien (z.B. von Autos, Computer) und Bautechnologien (z.B. von Brücken, Häusern) und der Technologie darstellt, die das Leben benutzt, wie es sich innerhalb von drei (fast vier) Milliarden Jahren des Bestehens des Planeten Erde ausgearbeitet hat.

Die biotechnologische Exformation, in der Biologie Ontogenese oder einfacher die Fötalentwicklung genannt, entwickelt sich scheinbar bedeutend langsamer als eine einfache Detonation unserer Sprengstoffe, aber wenn man sogar die der Vernichtung entgegengesetzte    Wirkung der

Embryonenbildung außer Acht lässt, da sie schafft und nicht vernichtet, stehen die    Phänomene der

Proliferation von lebendigen Organismen den blitzartigen Explosionen verschiedener Sprengstoffe im Verhältnis nicht nach. Das Endvolumen der Sprengstoffe ist, im Vergleich zum Anfangsvolumen, höchstens eine millionmal größer, bei uns aber und bei anderen Lebewesen, die sich aus einem Ei entwickeln, ist es mehrere MILLIARDENMAL größer. Das Volumen stellt einen millionenfachen Unterschied zugunsten des Lebens dar. Wenn man demnach die Verschiedenheit des Anfangs- vom Endzustand berücksichtigt, ist die Konstruktion in den Lebensprozessen nicht weniger “explosiv” als in den verschiedenartigen Techniken des “In-die-Luft-Sprengens”.

Unterschied zwischen technischer und biologischer Konstruktion

Das mag vielleicht für uns keine große Bedeutung haben, so daß die angeführten Vergleiche als ein wenig gekünstelt angesehen werden könnten. Dann wäre es tatsächlich eine belanglose Andersartigkeit der hier und dort verwendeten Beschreibungssprache. Aber es geht darum, daß wir in Zukunft diese exformative Technologie des Lebens übernehmen und nicht nur für biologische Zwecke einsetzen werden können.

Der Unterschied zwischen der Konstruktion eines Technikers und dem Aufbau eines Organismus beschränkt sich nämlich nicht nur auf die obige Differenz. Der wesentlichste Unterschied besteht nicht darin, daß wir einmal eine chaotische Explosion, welche die Entropie gewaltsam vergrößert, und einmal eine reproduktive Explosion beobachten, die durch eine für uns unerreichbaren Präzision gesteuert wird und die in der Leibesfrucht enthaltene Entropie auf Kosten ihres Wachstums an einer anderen Stelle verringert. Der für die Technologie wichtigste Unterschied besteht darin, daß wir in unseren Technologien immer mit Material und Werkzeug, mit dem, was bearbeitet wird, und dem, was bearbeitet, mit dem Baustoff und dem Bauherrn, mit dem Operierten und dem Operateur, mit dem Fahrzeug und dem Fahrer, mit dem Stoff und dem Werkzeug zu tun haben, während die Lebenserscheinungen diese grundlegende Dualität nicht zeigen. Das Lebendige “baut sich selbst auf”, gestaltet sich selbst, regelt sich selbst, schafft sich selbst, und daraus ergibt sich diese, der Kürze und nicht der Wortbildungsliebhaberei wegen angenommene und vorgeschlagene “Exformation” als verblüffende Erscheinung bei der “Planung der Nachkommen” oder der “Konstruktion der Kinder”. Die Konstrukteure dieses Projekts wollen dies vielleicht gar nicht und wissen nie, welche Zusammensetzung als Baby sich aus der Permutation und Kombination ihrer Gene ergibt … Das ist das Merkwürdigste, und das wird mit Sicherheit für eine technologische Übernahme am schwierigsten sein …

Es war fast sicher nicht so, wie es sich Marx vorgestellt hat, daß die Arbeit den Menschen erschaffen und seine Evolution von den Hominiden bewirkt hat, aber ganz bestimmt war die Hand der Prototyp jedes beliebigen Werkzeuges unseres Zeitalters. Ohne die Befreiung der ausgestreckten Hand von unterstützenden Funktionen, also ohne unserer Zweibeinigkeit und die aufgerichteten Körperstellung, würde es mit der Entstehung der Manufaktur (also der Handarbeit) und der gegenwärtigen Automatik sehr schlecht stehen. Der Eolith, also die Benutzung eines unbearbeiteten Steines, das Paläolithikum, also viele Jahrhunderte des Spaltens und Behauens von Steinen, der Beginn des Neolithikums und so weiter wären ohne die bis zum heutigen Tag gültige Trennung von dem, was bearbeitet wird, und von dem, womit es bearbeitet wird, unmöglich. Selbstverständlich verliert ab dem Zeitpunkt, als das mehr oder weniger “domestizierte” Leben in den Bereich unserer Bedürfnisse Einzug hält, diese Teilung, jedoch nur teilweise, ihre Richtigkeit. Der Bauer denkt sich wohl nicht die Konstruktion der Samenkörner aus, aus denen das Getreide wächst, aber auch er braucht Werkzeuge für die Bodenbearbeitung. Dasselbe gilt für jede Züchtung, z.B. des Schlachtviehs oder von Haustieren wie den Hunden.

Exformative Technologien

Aber das ist eine Selbstverständlichkeit, über die sich nicht zu sprechen lohnt, wenn wir in die Zukunft blicken. In meinen SF-Erzählungen entstehen (weil sie aufwachsen) aus den gepflanzten Samen Videorecorder oder Möbel, aber so wird es nicht gehen können. Wir wissen nicht, in welchen Formen es zu einer Vereinigung der Maschine und des zu bearbeitenden Materials kommen wird. Doch wenn das Leben diese Kunst beherrschen konnte, sehe ich auch keine unüberwindbaren Hindernisse auf dem Weg, auf dem wir vielleicht bereits im 21. Jahrhundert schnell lernen werden, ähnliche Technologien einzusetzen.

Man muß nicht gleich die Phantasie überborden lassen und glauben, daß aus einem Samen, der, mit irgend etwas begossen, in den Boden hineinwächst, ein glänzendes Auto herauswachsen würde. Es geht um eine grundsätzlich ernste Sache. Die Produktionskosten werden nicht sofort auf Null wie die Wachstumskosten der Unkräuter oder der Gräser absinken, aber sie werden sich als ungeheuer niedrig im Vergleich mit den gegenwärtigen erweisen. Und weil wir nicht wissen, auf welchem Wege und mittels welcher Methoden sich diese größte wissenschaftlichtechnische Revolution verwirklicht, ähnlich wie wir auch bis heute nicht wissen, wie sie sich vor Milliarden von Jahren auf der Erde verwirklicht hat (also einfach, wie das Leben entstanden ist), sollte man nicht allzu voreilig in die unbekannte, aber in Bezug auf das, was es zum Entdecken und/oder Erfinden gibt, fruchtbare Zukunft hineinstürmen, weil dies weder eine wirkliche Entdeckung noch eine umwälzende Erfindung sein wird.

Das irdische Leben hat sich diese Technologie vor so langer Zeit und so umfassend ausgedacht und verwirklicht sie so erfolgreich, wobei es nebenbei auch uns selbst geschaffen hat, daß man diese Ingenieurmethode nicht für unmöglich halten sollte. Deswegen habe ich mich daran auch in den Jahren 1962-64 orientiert, als ich das Buch Summa Technologiae verfaßte. Ich habe hier sogar über eine “reine Informationszüchtung” geschrieben, also über eine Züchtung, die zwar nicht dem Leben dienen würde, aber uns als Ertrag wissenschaftliche Theorien liefern sollte. Aber das ist ein schwieriges, breites und ganz anderes Thema.

Vor dreizehn Jahren wandte sich die Polnische Akademie der Wissenschaften an mich mit der Bitte um eine Prognose der Entwicklung in der Biologie, und ich habe sie geschrieben. Als Grenze habe ich das Jahr 2060 angenommen, weil es ungefähr eine Verdoppelung des Zeitraumes war, seitdem Crick und Watson den DNA-Code, ein für alles irdische Leben universelles Codierungssystem, entdeckt hatten. Diese Prognose hat in Polen das Licht der Welt nicht erblicken können, da sie in die stürmischen Zeiten der (ersten) Solidarnosc samt ihrem Kriegszustand gefallen ist. Ich habe diese Prognose dann in Deutschland in einer SF-Anthologie veröffentlicht (vielleicht, sogar mit Sicherheit, war dies dumm) und festgestellt, was ich später und an einem anderen Ort veröffentlicht habe, daß man eine Information (hier: die Prognose), wenn man sie vor der ganzen Welt so verbergen will, daß sie auf eine vollkommene Weise allen aus den Augen verschwindet, nicht in Tresoren, nicht in Verliesen, nicht hinter Chiffren und nicht durch das Vergraben um Mitternacht auf einem Friedhof zu verstecken braucht: es reicht, sie in einer sogar millionenfachen Auflage als Science Fiction zu veröffentlichen. Dann wird auch der Teufel sie nicht entdecken, und auf diese hervorragende Weise wird sie verborgen bleiben.

Von der zis- und transbiologischen Technologie

In der Prognose hatte ich also ungefähr das geschrieben, was ich zuvor zusammengefaßt habe, nur war es fachlicher ausgedrückt, weil ich beim Schreiben Fachempfänger im Sinne hatte. Überdies fügte ich hinzu, daß sich aus der technologisch oder auch biotechnisch durchschnittlichen Biologie sowohl die zis- als auch die transbiologische Domäne entwickeln wird. Dies sollte bedeuten: Wir werden zuerst den Erkenntnisstand des durchschnittlichen oder einfach durch die Nachahmung des Lebens erworbenen Wissens erlangen, und erst später, wie ich meinte, nach 2060, werden wir in den “transbiologischen” Bereich übergehen.

Die Unterschiede sah ich, um es ganz einfach auszudrücken, folgendermaßen: die Zisbiotechnologie ist das, was das Leben einfach zugunsten der Prokreation macht (daraus kann z.B. das mikrochemische Konstruieren von allerlei Arzneimitteln entstehen, die so auf die Ursache der Krankheiten ausgerichtet sind wie ein Geschoß auf sein Ziel. Heutzutage betreten diesen Weg solche, vor allem amerikanische Konzerne wie GENTECH, obwohl die Ergebnisse zur Zeit noch bescheiden sind). Als Transbiologie habe ich hingegen die Produktionstechniken bezeichnet, die überhaupt nichts unmittelbar mit den Lebensprozessen gemeinsam haben, abgesehen davon, daß sie aus den Methoden hergeleitet werden, mit denen das Leben arbeitet, d.h. welche es für den Bau der Genome verwendet, um die spezifischen Arten der Pflanzen und Tiere festzulegen,

was heutzutage den Projekt- und Montagebestimmungen der    Fernsehapparat und

Fahrzeugtypen entsprechen    würde, um diese

Gattungen für den Fall    einer Beschädigung

beispielsweise mit der Fähigkeit zur Selbstreparatur zu versorgen (d.h. mit einer Selbstheilungspotenz, wie zum Beispiel der Vernarbung bei Verletzungen). Kurz, ich habe vorgeschlagen, daß wir uns innerhalb des biologischen Bereichs konstruktiv wie zu Hause fühlen werden, und später auch jenseits von ihm. Mit einem höherem Kenntnisstand werden wir in die höchste Klasse der “Plagiatoren” eintreten (daraus sind diese “Zis” und “Trans” als bestimmende Zusätze entstanden). Eine solche Reihenfolge der kreativen Arbeiten schien grundsätzlich wahrscheinlich zu sein. Ich nehme an, der scharfsinnige Leser weiß Bescheid, warum ich in meiner Summa technologiae, die einer breit verstandenen Informationspraxis gewidmet ist, das hier ausgeführte Thema erwähnt habe. Es geht um die Aneignung der kostbarsten und raffiniertesten INFORMATION (in diesem Text Exformation genannt), die man sich überhaupt vorstellen kann. Und man kann sich diese vorstellen, weil sie in der irdischen Biosphäre allgemein existiert und seit Milliarden von Jahren funktioniert.

Aneignung der biologischen Exformation

Ich habe jedoch folgende Aufteilung hinzugefügt. Wie man heute in der Wissenschaft allgemein annimmt, weist der Lebensprozeß Leistungsfähigkeit in mindestens zwei Bereichen auf. Er hat sich selbst entwickelt. Man nimmt im allgemeinen nicht an, daß irgendwelche freundliche Urastronauten auf die Erde Lebenskeime gebracht und eingepflanzt haben. Und deswegen hat sich herausgestellt, daß das Leben spontan auf der Erde entstanden ist. Es hat sich zuerst in ihren Ozeanen vermehrt, ist nach Millionen von Jahren auf die Kontinente gekommen, hat die Atmosphäre verändert, sie mit Sauerstoff für die zukünftigen Tiere aufbereitet und innerhalb der Umhüllung des Planeten mit einem riesigem Evolutionsbaum an Gattungen so gefüllt, daß sie bis heute 10 Kilometer (oder etwas mehr) dick ist (wenn man vom Meeresgrund bis zur Stratosphäre, bis zu welcher manchmal Vögel fliegen können, mißt).

Diese Zweikomponenten-Potenz, die spezifisch für das Leben ist, muß NICHT vom Menschen kopiert oder übernommen werden, weil “das Leben nicht anders konstruieren konnte” (wenn es nicht SELBSTÄNDIG entstehen würde, könnte es auch nichts “in Fortsetzung” schaffen, weil NIEMAND irgend etwas in Organismen hätte organisieren können). Wir Menschen dagegen können uns von der Annahme verabschieden, daß wir abwarten müssen, bis etwas selbständig entsteht, und dann dank der Selbsterschaffung lernen werden, “was damit weiter zu machen wäre”. Wir werden unserem biotechnischen Stoff ein solches Doppelkönnen nicht implantieren müssen, da der Stoff nicht “selbständig” entstehen muß: WIR können ihn nach unserer Art synthetisieren und mit der Fähigkeit einer Entwicklung in die FÜR UNS NÜTZLICHE RICHTUNG ausstatten.

Das Moos, die Flechten oder die Dinosaurier sind wohl nicht FÜR UNS entstanden, wir dagegen als Herrscher der Biotechnologie werden in der Produktion daran interessiert sein, was UNS so dient, wie heute beispielsweise die Molkereiprodukte. Abstrakter gesagt ist die Menge aller möglichen “Bauelemente”, die mit der Fähigkeit einer Weiterentwicklung und eines selbständigen, geplanten (wie in einem Ei) und programmierten Bauens versehen werden können, aller Wahrscheinlichkeit nach größer als die Menge solcher “Elemente”, die erstens sowohl ohne irgendeine technologischen Hilfe von außen ein Keimmaterial bilden und folglich, zweitens, aus diesem eine Evolution der Geschöpfe in der Art von Flora und Fauna einleiten. Die zweite Aufgabe soll selbständig entstehen und selbst das Entstandene mit einer universellen Ausdehnungs- und Kreationsfähigkeit versehen, die ihm das Leben auf der Erde und in den Meeren ermöglicht. Das ist sicherlich SCHWIERIGER als das erste, als nur das zu synthetisieren, was zwar verschiedene Kreationspotentiale besitzt, aber nicht spontan entstehen kann.

An einem einfachen Beispiel kann man sich das vor Augen führen. Wir produzieren keine Pferde und können sie aus den Elementen nicht herstellen. Hingegen waren irgendwelche “Urpferde” die Vorahnen der Pferde in ihrer heutigen Vielfalt. Uhren, im Gegensatz zu Pferden, konnten selbstverständlich nicht selbst entstehen (ich meine “künstliche” Uhren, die wir auf den Rathaustürmen sehen oder an den Handgelenken tragen, und nicht die “natürlichen” wie Atomschwingungen oder Umlaufbahnen der Planeten). Wir haben uns also Uhren ausgedacht und sie gebaut. Und mit den ersten Uhren bildeten sich “Evolutionsradiationen” und sogar “Gattungen” heraus, entstand also eine Evolution der Arten, weil die Aufgabe (die Zeitmessung) für eine Klepsydra mit Sand und für eine Quarzuhr die gleiche ist, aber sie sich ihrem Bau nach, jeder wird dies doch bestätigen, nicht weniger unterscheiden wie eine Mücke von einem Pferd. So ist auf der Erde natürlich nur das entstanden, was SELBSTÄNDIG, ohne äußeren Eingriff, als Startprodukte der natürlichen Evolution entstehen konnte; und sicherlich ist die Vielfalt der verschiedenen und für die Entstehung des Lebens

notwendigen Bedingungen, die erfüllt werden müssen, weil sonst das Leben nicht hätte entstehen können, viel größer als die Zahl der Bedingungen, die für das nicht selbständig Gewordene erfüllt sein müssen, das wir aber auf den weiteren Weg der für uns notwendigen Spezialisierung bringen. Übrigens sind unsere ganzen Technologien vom Schmelzen der Metalle bis hin zur Konstruktion der Raumfähre nichts anderes als ein “Anstoßen” und    “In-Bewegung- Setzen”    von

bestimmten, am Anfang sehr elementaren, unzuverlässigen, stark durch Unfälle beeinträchtigten Techniken. Der technische Fortschritt verringert (unter anderem) die Unzuverlässigkeit und vergrößert die Parameterbündel, die WIR brauchen. Es geht also um einen riesigen Fluß nicht ganz neuer Prozesse, die es aber ermöglichen, die Fähigkeiten des Lebens zu übernehmen, um ähnlich wie das Leben zu konstruieren, auch wenn es sich natürlich um “nichtlebendige” Geschöpfe handelt.

Das erste “Nicht-Lebendige”, das mir in den Sinn kommt, ist der COMPUTER. Wir könnten bereits, beginnend mit dem Rechenbrett, einen riesigen Stammbaum immer leistungsfähigerer Computer aufzeichnen, die alle Informationen verarbeiten, ähnlich wie auch die natürliche Evolution Informationen verarbeitete und verarbeitet. Die Evolution hat “für sich” gearbeitet und die Computer tun etwas ähnliches, aber ausschließlich “für uns”. Mit einem Wort, ich habe eine potentielle Existenz von zwei Mengen von “Geräten”, was man wie in der Logik darstellen könnte: ein größerer Kreis schließt das ein, was nicht selbständig entsteht, aber was nach der Entstehung “sich vermehren” und etwas Vorgegebenes “konstruieren” kann; und ein kleinerer Kreis innerhalb des ersten größeren “kann” sowohl selbständig entstehen (unter günstigen

Umweltbedingungen natürlich) und darüber hinaus irgendeine Evolution in Gang bringen: auf der Erde eine biologische aus DNA mit Eiweiß, aber anderswo vielleicht eine andersartige Evolution.

Und das ist alles, was man sich zum konstruktiven Schaffen ausdenken kann, OHNE sich (und das ist eine unabdingbare und feststehende Bedingung) auf irgendwelche Vitalkräfte, auf Urastronauten, auf Zauberkräfte oder auf grüne Männchen zu berufen…

Das faustische Schicksal der Menschen

Zum Schluß komme ich zur Gegenwart zurück. In letzter Zeit hat man sehr viel über die Bedrohungen geschrieben, die aus der Gentechnologie, aus dem Human Genome Project, aus dem Klonen entstehen. Vor allem letzteres rief ein Donnern aus dem Vatikan hervor. Aber die zwei amerikanischen Wissenschaftler haben keine Klone geschaffen. Klonen bedeutet, aus dem lebendigen Körper eine Zelle zu entnehmen und einen Zwillingsorganismus    (wie    aus einem

befruchteten Ei) zu züchten. Sie haben dagegen nur das gemacht, was jetzt möglich ist. Sie nahmen ein menschliches Ei, das irrtümlich nicht von einem, sondern von zwei Spermien    befruchtet wurde (was

solche Eier immer zu    einer    anfänglichen

“Inkraftsetzung” der Teilung und dann zum Tode verurteilt, weil mit Sicherheit nichts aufgrund einer Doppelbefruchtung entstehen    kann).    Anschließend

haben sie mit einem Enzym die sogenannte ZONA PELLUCIDA aufgelöst (was man bereits bei Eiern von Tieren macht), die das in zwei Teile geteilte Ei umhüllte. Wenn diese zwei Zellen durch nichts mehr gehalten werden, beginnt jede von ihnen einen eigenen Entwicklungsweg (und stirbt dann schnell wieder ab -ich erinnere an den fatalen Fehler der “Pseudoempfängnis”, der am Anfang geschehen war). Das ist alles. In meinen Augen war dies kein Klonen, sondern eine Überprüfung des noch nicht bestätigten Wissens, daß nach der Befruchtung die Entwicklung des menschlichen Eis sich in nichts von der Entwicklung der Eier aller anderen Tiere unterscheidet. Das kann jemanden gefallen oder nicht, aber über Tatsachen kann man sinnvoll keinen Streit führen. Sicherlich, der informative Inhalt, und dadurch die prospektive Potenz (so würde der alte Driesch sagen), ist eine andere bei den menschlichen als bei den Eiern von Kühen, aber das wird von niemanden - um Gottes willen - in Frage gestellt. Ob solche Experimente nötig waren? Darüber kann man verschiedener Meinung sein! Als Lilienthal in seinem Segelflugzeug vor einhundert Jahren flog, hat er sich das Genick gebrochen. War dies nötig? Blanchard hatte früher mit Ballons unangenehme Abenteuer. War dies nötig? Ich sehe erste Schritte - oder eher ein Kriechen - in die Richtung, in der sich verbirgt, was ich zuvor mit den für Langzeitprognosen typischen Mühen versucht habe zu beschreiben. Weil es die prognostizierten und unbekannten Phänomene einstweilen NICHT GIBT, fehlen die Begriffe, fehlt die Sprache für ihre Beschreibung. Es gab und es wird kleine Schritte in diese Richtung geben, und falls ich irgend etwas über die menschliche Erkenntnis weiß, dann dies, daß den Menschen auf diesem Wege - ob zum Gutem oder Bösem - keine Ermahnung, keine Verdammung und kein Gesetz aufhalten wird.

Das ist unser “faustisches” Schicksal. Abber auf die Beurteilung des Menschen, der sich unerbittlich in die Zukunft begibt, möchte ich mich hier nicht einlassen, weil ich nicht bewerte und weder Lob noch Mißbilligung ausspreche, sondern ausschließlich das wiedergebe, was im Schoß der Zukunft verborgen ist.

Sicher können verschiedene Regierungen Gesetze mit der Kraft von Verboten erlassen. Beispielsweise sollte vor 160 Jahren vor einem mit der Geschwindigkeit eines Fußgängers fahrenden Zug ein mit der roten Fahne winkender Wachmann gehen. Wenn der Zug mit der Geschwindigkeit von 40 km/h fahren könnte, würden alle Fahrgäste, wie man verkündete, den Verstand verlieren. Irgendwie wurde das gesetzliche Verbot aufgehoben - und wenn Menschen auch heute (wie in Kiew in Bezug auf “das Ende der Welt”) verrückt werden, dann ist das eine ganz andere Geschichte…

Evolution als Parallelcomputer

Stanislaw Lem 04.03.1997

Noch wissen wir nicht, wie das Leben entstand. Bis die ersten Mikroorganismen entstanden, die wir kennen, war eine ungeheuer lange Zeit des Experimentierens notwendig. Stanislaw Lem schlägt in seinem Beitrag vor, die Evolution des Lebens unter dem Bild eines massiv parallel arbeitenden Computers zu verstehen, und er zieht daraus überraschende Konsequenzen.

Der Ursprung des Lebens

In einem Artikel mit dem Titel “Die Rechenleistung des Lebens” habe ich kurz und vereinfacht eine Methode dargestellt, um zur Lösung von mathematischen Aufgaben, die bei einem normalen Computer eine riesige Berechnungszeit erfordern, kurze Nucleotidsequenzen heranzuziehen. Im dargestellten Fall ging es um eine Aufgabe aus dem Bereich der Graphentheorie: um das Herausfinden des kürzesten Weges zwischen einer großen Anzahl von Scheitelpunkten. Die unerwartet von Adelman entdeckte Rechenleistung entsteht dadurch, daß zur “Attacke” auf die gestellte Aufgabe eine beträchtliche Anzahl von Oligonucleotid-Abschnitten eingesetzt werden, die durch Polymerase vermehrt werden: im Endeffekt entsteht eine sehr große Anzahl von Einheiten, die gleichzeitig mit der Aufgabe beschäftigt sind, und zum Schluß erhalten wir eine solche Einheit, die die Lösung der Aufgabe beinhaltet (deren Struktur die Lösung der Aufgabe IST).

Weil die Aufgaben, die Adelman den Nukleotiden stellte, nicht unmittelbar zum Bereich der Biologie gehören und eher den Zweig einer ziemlich schwierigen mathematischen Theorie der Rekurrenzfunktionen darstellen (nicht direkt, aber ich kann hier nicht ausführlicher werden), habe ich dieses Phänomen der Anwendung einer force brute in der Lösungsphase (gewissermaßen in Form eines “flüssigen Parallelcomputers”) als MODELL betrachtet, das NICHT für eine direkte Anwendung oder auch Übertragung auf die elementaren biogenetischen Prozesse geeignet ist. Nichtsdestoweniger kann man SCHON jetzt, auch wenn nicht ohne Risiko, einen Ansatz zu entwickeln versuchen, der zumindest in einer gegenwärtig noch ziemlich vagen Weise zeigt (in der sich aber die “Lösung des Evolutionsproblems” zu verbergen scheint), was, wie und weswegen das Leben auf der Erde entstand, bevor die kambrische Explosion der Vielzeller nach einer mehrere Milliarden von Jahren dauernden Stagnation des Lebens stattfand.

Die frühesten Lebensanfänge werden heute vor dreieinhalb oder vier Milliarden Jahren angesetzt. Dieses auf Protobakterien beschränkte Leben “explodierte” dann in einem für die Geologie sehr kurzem Zeitraum vor knapp achthundert Millionen Jahren in der kambrischen Evolution. Zuerst wurden die Ozeane und dann auch die Kontinente durch das Leben besiedelt, das sich in Pflanzen und Tiere auftrennte.