Spaziergang 5: Durch das Dorsoduro-Viertel
Wenn die Galleria dell’Accademia (s. u.) morgens um 8.15 Uhr ihr schmuckloses Portal öffnet, wimmelt es auf dem Vorplatz bereits von Besuchern. Wer zu den Wartenden gehört, sollte sich die Zeit auf dem Ponte dell’Accademia vertreiben, denn nirgends hat man einen schöneren Blick auf den Unterlauf des Canal Grande. 1854 errichtete die österreichische Besatzungsmacht hier erstmals eine Kanalbrücke aus Eisen. 1932 wurde diese Konstruktion durch eine Holzbrücke ersetzt. Obwohl sie den Eindruck eines Provisoriums macht, ist die Akademiebrücke längst ein unverzichtbarer Übergang zwischen San Marco und Dorsoduro.
Gleich neben dem wuchtigen Gebäude der Accademia taucht man in eine überraschend lebendige und sympathische Wohngegend ein. Vieles zeugt von bürgerlichem Wohlstand und altehrwürdiger Tradition. Spricht man mit den Anwohnern, beklagen sie den dramatischen Mangel an Geschäften für den täglichen Bedarf, während der Souvenirhandel sichtbar zunimmt.
Kurz vor dem Campo San Vio erhebt sich der stattliche Palazzo Cini (s. u.), der eine sehenswerte, private Kunstsammlung beherbergt.
Am Campo San Vio selbst liegt einem der Canal Grande förmlich zu Füßen. Die vielen, z. T. hypermodern durchgestylten Kunstgalerien deuten bereits an, dass sich der Palazzo Venier mit der Peggy-Guggenheim-Sammlung (s. u.) ganz in der Nähe befindet. Achtung, am Campiello Barbaro passiert man die Rückseite der verfluchten Ca’ Dario (→ S. 123)!
Übernachten
16Accademia Villa Maravege
25Agli Alboretti
33American
36Casa Messner
37Seguso
38La Calcina
Essen & Trinken
2Caffé Rosso
5Osteria alla Bifora
6Osteria Da Codroma
12Pasticceria Colussi
13Antica Trattoria La Furatola
14Tea Room Beatrice
19Taverna San Trovaso
20Locanda Montin
21Enoteca/Cantinone Già Schiavi
22Pizzeria Ae Oche
23Trattoria Ai Cugnai
24Ristorante San Trovaso
27Osteria Vecio Forner
31Ristorante Ai Gondolieri
32Gelateria Nico
35Ristorante/Pizzeria Da Gianni
Bars & Clubs
4Margaret DuChamp
6Osteria Da Codroma
9Venice Jazz Club
18Piccolo Mondo
Einkaufen
1Paolo Olbi
3Punto Simply
7Luciano Zardin
8Calle delle Botteghe
10Ca'Macana
11Signor Blum
15Toletta
17Mistero Buffo
26Bac Art Studio
28San Gregorio Art Gallery
29Giorgio Nason
30Saverio Pastor
34Loris Marazzi
Gleich hinter der unscheinbaren gotischen Chiesa San Gregorio ragt die majestätische Chiesa Santa Maria della Salute (s. u.) auf, eine der eindrucksvollsten Kirchen Venedigs.
An der „Speerspitze“ Dorsoduros, der Punta della Dogana, hat man einen herrlichen Blick auf das gesamte Markusbecken. Hier wurde im 17. Jh. das Seezollamt Dogana da mar errichtet, dessen markanter Eckturm von einer vergoldeten Weltkugel geschmückt wird. Die Seerepublik führte damals strenge Zollkontrollen ein, die sich jedoch negativ auf den Handel auswirkten. In den riesigen Lagerhallen zu beiden Seiten der Uferwege stauten sich die Waren, die man aufgrund der neuen Zollbestimmungen zwecks Kontrolle zwischenlagern musste.
Entlang der Uferpromenade stößt man auf die alten Magazzini del sale, die barocken Salzspeicher der Serenissima, wo das neue Emilio-Vedova-Museum (s. u.) seinen Platz gefunden und auch die städtische Kunsthochschule Accademia di Belle Arti di Venezia ihre Ausstellungsräume hat.
Ein Stück hinter der verschlossenen Chiesa Santo Spirito entfaltet sich die Fondamenta Zattere zur breiten, belebten Uferpromenade mit viel Flanieratmosphäre und einladender Gastronomie. Früher war diese Uferzone ein wichtiger Anlandeplatz für Bauholz, das auf Flößen („Zattere“) hierher geschifft wurde, daher der Name.
Hinter der sehenswerten Chiesa dei Gesuati (s. u.) stößt man auf den Rio San Trovaso, an dessen Westufer sich eine der ganz wenigen, noch aktiven Gondelwerften Venedigs befindet. Bei dem Squero di San Trovaso handelt es sich um einen Holzbau im alpinen Stil, den Einwanderer aus dem nördlichen Venetien im 17. Jh. errichteten („Squero“ ist die Bezeichnung für eine venezianische Gondelwerft). Heute werden v. a. Wartungsarbeiten und Reparaturen ausgeführt, während der Stapellauf von neuen Gondeln Seltenheitswert hat.
Zurück an der Uferpromenade, wo einige Prachtfassaden (z. B. der Sitz der staatlichen Reederei Adriatica) das Auge erfreuen, erblickt man bereits die vorderen Kaianlagen der Stazione Marittima. Dort hat zumeist ein monströses Kreuzfahrtschiff festgemacht, wenn man Glück hat, setzt es sich gerade in Bewegung und schiebt seinen gigantischen Rumpf langsam durch den Canale della Giudecca - ein grandioser Anblick, aber eine schleichende Katastrophe für Venedig und die betroffenen Anwohner.
Jetzt führt der Weg über den kleinen Campo di San Basegio zur Chiesa San Sebastiano (s. u.), einem wichtigen Etappenziel für alle Fans des Malerfürsten Veronese.
Weiter westlich, im Einzugsbereich der Chiesa San Nicolò dei Mendicoli (s. u.), befindet man sich mitten im alten Arbeiterviertel von Dorsoduro. Die Case Tron, restaurierte Reihenhäuser aus dem 18. Jh., mit ihren markanten sieben Schornsteinen zeugen von bescheidenen Wohnverhältnissen. Auf der anderen Kanalseite, im Quartiere Santa Marta, einer Wohnsiedlung aus der Mussolini-Ära, kann man bereits von ärmlichen Verhältnissen sprechen. Dieser äußerste Zipfel Dorsoduros wird von manchen Einheimischen abschätzig als die „Bronx Venedigs“ bezeichnet. Eine „No-go-Area“ ist es auf keinen Fall, aber nicht nur hier merkt jeder, dass die romantische Museumsstadt Venedig auch ein starkes soziales Gefälle hat.
Invasion der Ozeanriesen
Weit über tausend Kreuzfahrtschiffe und Großfähren passieren jedes Jahr die Lagune von Venedig und spucken Millionen von Touristen an der Stazione Marittima von Dorsoduro aus. Dabei kommen die gigantischen Schiffskolosse der pittoresken Lagunenstadt bedrohlich nahe. Seitdem die deutsche „Mona Lisa“ 2004 im Markusbecken vor dem Dogenpalast im Nebel auf Grund gelaufen ist, sind Schlepper im Einsatz, um das Schlimmste zu verhindern. Aber das ändert nichts daran, das Venedigs ärgster Feind, das Hochwasser, in den bis zu 300 m langen Riesenschiffen einen neuen Verbündeten hat; denn die über 15 m tiefen Fahrrinnen, die die Grandi Navi benötigen, erhöhen die Geschwindigkeit der Flut innerhalb der Lagune und begünstigen die Überschwemmungen der historischen Stadtgebiete.
Viel Schaden, wenig Nutzen, sagen nicht nur Venedigs Umweltschützer angesichts der starken Luftverschmutzung und der zunehmenden Gebäudeschäden durch die Vibrationen der Schiffsmotoren, die Tag und Nacht laufen müssen, damit ausreichend Strom an Bord vorhanden ist. Der Lärm, den die mit schwefelhaltigem Treibstoff angetriebenen Motoren verursachen, wird für die betroffenen Anwohner langsam unerträglich, ganz zu schweigen von den gesundheitsschädlichen Abgasen, die auch die Substanz der historischen Bauten angreifen. An manchen Tagen liegen mehrere Riesen gleichzeitig an den Kais der Stazione Marittima, der Rekord liegt bei zwölf Schiffen, die alle am 21. September 2013 ankamen und zusammen 20.000 Passagiere ausspuckten.
Insgesamt zeichnet sich da eine neue, schleichende Katastrophe für Venedig und seine Bewohner ab. Doch während die Proteste gegen die Invasion der Ozeanriesen (No Grandi Navi) zunehmen, lässt sich die Stadtregierung wieder einmal unendlich viel Zeit dabei, die Umweltschäden gegen den wirtschaftlichen Nutzen des Kreuzfahrttourismus abzuwägen. Ein Lagunen-Verbot für die stählernen Hotelschiffe, die der Stadt viel Geld einbringen, wird es kurzfristig wohl nicht geben. Und von der katastrophalen Havarie der Costa Concordia vor der toskanischen Insel Giglio 2012 will anscheinend auch niemand lernen, wie ein nationaler Regierungserlass zeigt, der seitdem Küstenpassagen von weniger als 2 Seemeilen verbietet, überall in Italien - nur nicht in Venedig!
Der spitz zulaufende Gebäudekomplex beherbergt ein neues Privatmuseum für zeitgenössische Kunst, das Centro d’Arte Contemporanea (s. u.). Der Eigentümer François Pinault ist damit zum Kunstzaren Venedigs aufgestiegen und hat das Guggenheim-Museum, das sich an dieser Stelle ebenfalls vergrößern wollte, auf die Plätze verwiesen. Ein Großteil der alten Lagerhallen wird hingegen von den alteingesessenen Ruder- und Segelclubs der Stadt als Bootshäuser genutzt.
Am Ostufer des Rio dei Carmini, der zum gleichnamigen Campo dei Carmini führt, erhebt sich der herrschaftliche Palazzo Zenobio, ein Barockbau aus dem späten 17. Jh., der gewissermaßen die letzte Bastion der Prachtbauten dieses Stadtteils bildet. Die Scuola Grande dei Carmini (s. u.) garantiert wiederum Kunstgenuss vom Feinsten, während die gegenüberliegende Chiesa Santa Maria dei Carmini aufgrund ihres gotisch-barocken Stilgemenges ein eher kurioses Gotteshaus ist.
Dahinter öffnet sich der unregelmäßig geformte Campo Santa Margherita, eine echte Piazza del Popolo, unbestreitbar der volkstümlichste Platz des Viertels. Marktstände, Geschäfte, Restaurants, Cafés, Schatten spendende Bäume und einige Ruhebänke - genügend Gründe, um hier zu verweilen oder am Abend wiederzukehren. Am Nordende des lang gestreckten Campo, in der ehemaligen Kirche Santa Margherita, befindet sich heute die Universitätsaula.
In entgegengesetzter Richtung führt der Rio Terrà Canal zur Kanalbrücke Ponte dei Pugni (Faustkämpferbrücke), die den Rio San Barnaba überspannt. Hier fanden ab dem Mittelalter derbe Schlägereien zwischen den Castellani und den Nicolotti statt. Die Castellani lebten jenseits des Canal Grande im Stadtviertel Castello, während die Nicolotti aus dem Westteil Dorsoduros stammten. Die hasserfüllten Faustkämpfe („Pugni“) dieser beiden verfeindeten Fraktionen wurden von der Obrigkeit geduldet und hatten sogar Volksfestcharakter, bis sie Anfang des 18. Jh. schließlich verboten wurden. In der Pinacoteca Querini-Stampalia (→ S. 169) befindet sich eine Darstellung dieser als Wettkämpfe bezeichneten Prügeleien.
Jetzt lohnt sich ein Abstecher zur Ca’ Rezzonico mit dem Museo del Settecento Veneziano (→ S. 128).
Auf der anderen Seite der Faustkämpferbrücke, wo zumeist ein mit Obst und Gemüse beladenes Marktschiff festgemacht hat, öffnet sich der stimmungsvolle Campo San Barnaba. In der säkularisierten Kirche ist eine ständige Ausstellung mit den „Erfindungen“ von Leonardo da Vinci zu sehen. Die anschließende Calle della Toletta, eine ausgesprochen schöne Wohn- und Geschäftsstraße mit überraschendem Verlauf, führt zurück zur Akademiebrücke.